Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

I.2 Forschungsziele und Struktur der Arbeit

Die vier Sprachen Griechisch, Albanisch, Altnordisch, Armenisch weisen unterschiedliche Artikeltypen auf, vom präponierten, freistehenden bis hin zum enklitischen, postponierten Element. In der Forschung werden diese verschiedenen Morpheme bisher alle als Artikel klassifiziert. Hier wird zunächst grundlegend der Frage nachgegangen, ob diese Klassifikation tatsächlich gerechtfertigt ist, d.h. es wird untersucht, ob man wirklich in allen vier Untersuchungssprachen von einem definiten Artikel sprechen kann. Dazu ist es notwendig, die formalen Eigenschaften und Charakteristika der Kategorie Artikel abzustecken, um diese Kriterien anschließend auf die Morpheme der Einzelsprachen anwenden zu können. Daher wird nach Darstellung der Forschungsziele das zugrunde gelegte Material beschrieben (Kap. I.3), die theoretischen und formalen Grundlagen erläutert (Kap. I.4 und I.5) und schließlich der Forschungsgegenstand, i.e. der definite Artikel, sowohl allgemein als auch sprachspezifisch eingeführt (Kap. I.6). In diesem wie in allen weiteren Abschnitten werden die Untersuchungssprachen in der gleichen Reihenfolge besprochen. Die Sprachen werden dabei nicht chronologisch angeordnet, sondern nach dem oder den Artikeltypen: Zuerst das Griechische mit dem präpositiven Artikel, danach folgen das Albanische und Altnordische mit prä- und postponiertem Artikel und anschließend das Armenische, das über Enklitika verfügt. Basierend auf der Arbeitsdefinition des Artikels können das Vorkommen und die Verwendung der verschiedenen Artikeltypen in Kapitel II untersucht werden. Die Leitfragen hierzu sind: Wie verhält sich der Artikel in den genannten Sprachen? Welche Funktionen und Aufgaben übernimmt er? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Verwendung liegen vor? Der definite Artikel wird also in formaler und funktioneller Hinsicht skizziert.

Auch die syntaktischen Kriterien sind ein zentraler Untersuchungsgegenstand. Die einzelsprachlichen Belegstellen werden hierfür nach Konstruktionen geordnet, ausgehend von der Anzahl und Art der vorkommenden Konstituenten. Dementsprechend werden die Belege in Gruppen geordnet: einfache Determinansphrasen (Substantiv + Artikel), substantiviertes Element + Artikel, Phrasen mit Pronomen, mit Adjektiv und mit Genitivattribut, Konstruktionen mit Eigennamen oder Apposition, Phrasen mit Präposition und Phrasen mit Numeralia. Diese eingehende Analyse des sprachlichen Materials führt schließlich zu einer Verfeinerung der Klassifikation des Artikels. Dabei werden folgende Fragen untersucht: Ändert der Artikel in den verschiedenen Konstruktionen sein Verhalten oder bleibt es konstant? Gibt es Konstruktionen, in denen der Artikel in einer der Sprachen zu finden ist, die die anderen Sprachen nicht kennen? Dies ist beispielsweise im Armenischen der Fall, da der Artikel dort einen ganzen Relativsatz determinieren kann. Auch das Albanische zeigt eine spezifische Konstruktion: Hier ist die Möglichkeit einer doppelten Determination zu finden. Dabei werden ein prä- und ein postponierter Artikel in einer Phrase verknüpft. Es gilt nun zu erforschen, ob es auch in den anderen Untersuchungssprachen spezielle Möglichkeiten der Artikelverwendung gibt. Hierfür ist es notwendig abzugrenzen, welche Konstruktionen alle drei Sprachen bilden können. Daraus kann auf grundlegende Funktionen des Artikels geschlossen werden, wodurch die Kategorie Artikel am Ende des Kapitels II konkreter bestimmt werden kann. Es werden sprachübergreifende und sprachspezifische Merkmale festgestellt, wodurch der Artikel als sprachübergreifendes Konzept analysiert werden kann, das sich aus Prinzipien und Parametern konstatiert (vgl. Kap. II.10). Somit kann deutlich klassifiziert werden, welche Elemente wirklich als Artikel definiert werden können. Gleichzeitig wird ein Vorschlag unterbreitet, wie die anderen Morpheme, die nicht die notwendigen Kriterien erfüllen, eingeordnet werden können.

Um Regelmäßigkeiten formulieren zu können, muss man allerdings erst einmal wissen, was genau regelmäßig ist. Dafür werden die Wortstellungsmuster der Phrasen mit Artikel untersucht, im Hinblick auf die Frage, was denn einem default mode bzw. einer Grundwortstellung gleichkommt, also welche Serialisierungsmuster die Untersuchungssprachen bevorzugen. Alten Sprachen wird häufig eine sogenannte „freie Wortstellung“ zugesprochen. In dieser Arbeit wird mit Fanselow (1988) angenommen, dass es keine freie Wortstellung gibt, sondern man von einer freien Anordnung der Konstituenten sprechen muss. Zudem tendieren Sprachen stets zu bestimmten Serialisierungsmustern. Mitunter sind diese jedoch nicht konsequent in der gesamten Sprache durchgeführt. Aber man kann je nach Werk oder Autor präferierte Tendenzen feststellen. So bilden die Wortstellungsmuster der Belegstellen einen zentralen Untersuchungsaspekt der Arbeit. Hierbei werden die lineare Anordnung der Konstituenten analysiert und Muster abstrahiert. Die grundlegende Fragestellung lautet: Was kann über das Verhalten des Artikels in den verschiedenen Phrasentypen ausgesagt werden?

Die Wortstellungsmuster dienen des Weiteren als Grundlage für die Strukturanalyse nach der DP-Hypothese der generativen Grammatik in Kapitel III. Dort werden die Sprachen anhand dieser abstrakten Muster untersucht, da man so Gemeinsames und Abweichendes deutlicher sieht. Die Kenntnisse der bevorzugten Serialisierungen erlauben auch eine angemessene Strukturanalyse, da man so weiß, von welchen Wortstellungen grundsätzlich auszugehen ist und welche als markierte Konstruktionen klassifiziert werden können. Ziel in Kapitel III ist es, eine Analyse vorzuschlagen, mit der alle Wortstellungsvarianten der Untersuchungssprachen abbildbar sind und mit der auch die Strukturen moderner Sprachen erklärt werden können.

Die generative Transformationsgrammatik erhebt den Anspruch von Universalität. Wenn theoretisch alle natürlichen Sprachen anhand der generativen Grammatik erzeugt werden können, müssen auch alte Sprachen nach dieser Methode ableitbar bzw. generierbar sein. Die vorliegende Arbeit setzt an dieser Stelle an und untersucht die innere Struktur der Determinansphrase. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die DP-Analyse auf die alten Sprachstufen übertragbar ist. Diese Annahme stützt sich auf Muyskens (2008) Untersuchung zu funktionalen Kategorien im Indogermanischen, wobei er Folgendes feststellt: „… We can conclude, on the whole, functional categories in the nominal system have survived intact, but not in the verbal system. …“1 Somit können die funktionalen Kategorien, die für die modernen Sprachen gesetzt werden, auch auf die alten Sprachstufen angewandt werden. Allerdings müssen zur Analyse Modifikationen an der DP-Hypothese vorgenommen werden, da die untersuchten Sprachstufen im Gegensatz zu den modernen Sprachen ein größeres Spektrum an Wortstellungsmöglichkeiten und noch ein ausgebauteres Kasussystem besitzen.

Die Übertragung der DP-Analyse auf die altindogermanischen Sprachen überprüft einerseits den Universalitätsanspruch der generativen Grammatik und erweitert anderseits ihren Anwendungsbereich. In dieser Arbeit wird gezeigt, dass die DP-Analyse grundsätzlich auf die altindogermanischen Sprachen angewandt werden kann, aber ergänzt werden muss. Dies stellt einen Beitrag zur inneren Struktur der DP generell dar. Gleichzeitig können die Modifikationen, die im Laufe der Untersuchung zur Generierung der vier ausgewählten Sprachen vorgeschlagen werden, auch für die modernen Sprachen in Erwägung gezogen werden.

Eine adäquate syntaktische Analyse beruht also auf einer expliziten Kategorisierung der zu untersuchenden Konstituenten. Demnach muss zuerst untersucht werden, ob alle sprachlichen Elemente über die gleichen Eigenschaften und Funktionen verfügen, die einer bestimmten Kategorie zugeschrieben werden. Schließlich beruhen syntaktische Strukturen auf formalen Eigenschaften. Daher erfolgt in Kapitel II eine ausführliche Untersuchung der grammatischen Kategorie Artikel, um anschließend in Kapitel III eine angemessene Analyse durchführen zu können, die sich sowohl nach der Stellung innerhalb einer syntaktischen Struktur richtet als auch den formalen Merkmalen der jeweiligen Elemente gerecht wird. Die Untersuchung befasst sich einerseits mit der formalen Beschreibung von grammatischen Funktionen sowie der linearen Abfolge von Konstituenten und schlägt andererseits eine komplexe syntaktische Analyse vor.

I.3 Zum Material

Zur Analyse der vier zugrunde gelegten Sprachen wurden verschiedene Texte ausgewählt. Ziel war es, für jede Sprache 200 Belegstellen mit definitem Artikel zu erheben. Im Altnordischen war dies im Gegensatz zu den anderen Sprachen allerdings nicht möglich, da der Artikel dort nur äußerst selten Verwendung findet. Zur Untersuchung des Altnordischen wurde die Saga Hrafnkels saga Freysgoða, eine der wichtigsten fiktiven Erzählungen, ausgewählt. Es wurde die Textausgabe von Baetke (1952) Hrafnkels saga freysgoða: Mit Einleitung, Anmerkungen und Glossar genutzt.

Für das Griechische wurde von Xenophons Anabasis Buch II verwendet, das besonders von Dialogen lebt und daher eine aufschlussreiche Verwendung des Artikels erwarten ließ. Der Text wurde der Website Perseus Digital Library (www.perseus.tufts.edu/hopper/) entnommen. Es handelt sich um ein Geschichtswerk mit autobiographischem Hintergrund.

Auch für das Armenische wurde ein Geschichtswerk herangezogen, i.e. das Werk Patmowtʿiwn Hayocʿ von Agatʿangełos in der Ausgabe von Thomson (1976). Dabei ist zu beachten, dass Thomson einen Teil ausgespart hat. Des Weiteren hat Thomson den Text in 14 Kapitel, zuzüglich Prolog und Epilog, eingeteilt. Die Gliederung in 900 Paragraphen, die auch Thomson (1976) beibehält, stammt aus der kritischen Edition aus Tiflis des Jahres 1909.1 Mittels der Paragraphen gestaltet sich die Bezugnahme auf Textstellen leichter, daher werden sie auch in dieser Arbeit genutzt.

 

Das Albanische wurde im Vergleich zu den anderen Sprachen spät verschriftlicht. Es besitzt zwei Hauptdialekte, Toskisch und Gegisch.2 Zur Analyse der albanischen DPn wurden die ältesten, zusammenhängenden Texte beider Dialekte herangezogen, i.e. das Missale von Gjon Buzuku (1555) und die Dottrina cristiana von Lekë Matrënga (1592). So konnte überprüft werden, ob sich die Verwendung der Artikeltypen zwischen beiden Dialekten unterscheidet. Es wurde mit den Ausgaben der Texte, die auf der Website der Universität Frankfurt (http://titus.uni-frankfurt.de/indexd.htm) zugänglich sind, gearbeitet. Als zusätzliches Hilfsmittel dienten die Edition Il ‚Messale‘ di Giovanni Buzuku: Riproduzione e Trascrizione von Namik Ressuli (1958) sowie die Bearbeitung der Dottrina cristiana von Matzinger (2006).

In den nachstehenden Abschnitten wird der Inhalt der Untersuchungstexte beschrieben. Sie werden in den historischen Kontext eingebettet und Wissenswertes wird zum Hintergrund, zum Genre oder zur Konzeption der Werke dargelegt. Nicht in allen Fällen erweist sich eine Inhaltsangabe des jeweiligen Textes als sinnvoll. Bei den narrativen Texten, z.B. dem altnordischen, wird die Handlung zusammengefasst wiedergegeben. Aber bei den albanischen Schriften wird darauf verzichtet, weil es sich dort um Gebete und liturgische Texte handelt.

I.3.1 Zur Anabasis, Buch II, von Xenophon

Die Anabasis wird insgesamt in sieben Bücher gegliedert. Dies war allerdings nicht die ursprüngliche Einteilung. Hermann (1944) spricht von einer Gliederung in drei Teile und zwar

„… a) den Hinaufmarsch, Buch I, b) den Rückmarsch durch Kleinasien hindurch zu den ersten Griechen, bis ans Meer, bis nach Trapezunt, Buch II-IV, c) die weiteren Unternehmungen bis nach Pergamon, Buch V-VII. …“.1

Xenophon selbst ordnete die Anabasis jedoch in zwei Teile. Der erste Teil reicht bis zum Tod Klearchos und der anderen Führer, i.e. nach der modernen Einteilung Ende von Buch II, und der zweite Teil umfasst den Rest des Werkes, i.e. nach der modernen Gliederung Buch II–VII.

Die vorliegende Untersuchung nutzt, der zeitgenössischen Einteilung folgend, Buch II als Datengrundlage. Um das zweite Buch der Anabasis zu verstehen, ist es wichtig, den Inhalt des ersten Buches zu kennen. Es handelt davon, wie griechische Truppen unter Kyros gegen dessen Bruder, den Perserkönig Artaxerxes, ausziehen. Es gipfelt in einem großen Gefecht, der Schlacht bei Kunaxa, in der Kyros den Tod findet. Erst zu Beginn des zweiten Buches erfahren die Griechen, dass ihr Anführer Kyros in diesem Kampf gefallen ist. Der entscheidende Konflikt besteht darin, dass sich die Griechen als Sieger fühlen, da sie das gegnerische Heer erfolgreich in die Flucht schlugen, und die Perser ebenso der Ansicht sind, sie hätten gewonnen, da sie Kyros getötet haben.

Das zweite Buch der Anabasis besteht großteils aus Gesprächen und Debatten. Zum einen verhandeln die Griechen mit den Persern, ob sie, ihre Waffen abgeben und sich dem Großkönig Artaxerxes unterwerfen sollen. Zum anderen diskutieren die Griechen untereinander über ihre Situation, denn sie befinden sich ohne Anführer, ortsunkundig in einem fremden Land und kennen den Heimweg nicht. Zudem mangelt es ihnen an Nahrungsmitteln, was ihre Lage verschärft. Im Verlauf des Buches tritt Klearchos als der fähigste Stratege hervor, der der Situation gewachsen ist und schließlich die Führung der Griechen übernimmt. Ferner erweist sich Ariaios2, ein Nicht-Grieche, der in der Schlacht von Kunaxa auf der Seite von Kyros kämpfte, als Hilfe, die Griechen in ihre Heimat zu führen. So ziehen Griechen und Nicht-Griechen gemeinsam durch das persische Reich und versuchen dem Heer des Großkönigs auszuweichen. Dies gelingt jedoch nicht und sie treffen auf einen Teil der feindlichen Streitmacht. Zuerst erscheinen Herolde der Perser im griechischen Lager und wollen einen Waffenstillstand aushandeln, schließlich sogar Tissaphernes3 persönlich. Dieser präsentiert sich als Freund der Griechen und bietet an, sie in ihr Land zurückzubringen. Die Verhandlungen bilden einen umfassenden Teil des Textes. Im griechischen Lager werden Stimmen laut, die an der Redlichkeit des Tissaphernes zweifeln. Daher sucht Klearchos diesen auf, um in einem Gespräch mit ihm den herrschenden Argwohn zu beseitigen. Tissaphernes ist ebenfalls an einer Schlichtung interessiert, betont jedoch seine überlegene Position. Die beiden Strategen vereinbaren, dass Klearchos mit allen griechischen Hauptmännern und Feldherren in Tissaphernes Lager kommt, damit sie den Konflikt gemeinsam aus dem Weg räumen können. So begeben sich 20 Hauptmänner und etwa 200 Soldaten in das feindliche Lager. Dort angekommen, werden die Feldherren gefangen genommen, die Hauptmänner erschlagen und die Soldaten von Reitern attackiert. Das Buch endet mit der Hinrichtung der Feldherren und einem Nachruf. Xenophon beschreibt darin die Persönlichkeiten der Feldherren, ihre Qualitäten als Anführer, aber auch ihre Fehler.

Die Anabasis II basiert also auf Dialogen, i.e. Beratschlagungen, Diskussionen sowie Verhandlungen. Sehr detailreich wird, als eine Art Gegengewicht, der Marsch durch das persische Gebiet beschrieben, besonders im Hinblick auf geographische Angaben.

Xenophon, der Autor der Anabasis, geboren um 430, nahm selbst an dem Kriegszug teil, den er beschreibt. Mit seinem Werk begründet er „… die literarische Gattung der Autobiographie […] wie die des Kriegstagebuchs …“.4 Die Teilnahme an dieser militärischen Operation führte zur Verbannung Xenophons aus seiner Heimatstadt Athen, da Kyros ein Feind dieser Stadt war. Xenophon lebte anschließend im Exil in Sparta.

I.3.2 Zu den albanischen Texten

Die Verschriftlichung des Albanischen setzt im Vergleich zu anderen indogermanischen Sprachen verhältnismäßig spät ein. Erst im 15. Jh. beginnen die Albaner in ihrer Sprache Texte zu verfassen. Aus dem Jahre 1462 ist eine Taufformel von Paulus Angelus bewahrt. Hierbei handelt es sich um einen einzigen Satz (alb. Unte paghesont premenit Atit et birit et sperit senit ‚Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes‘), der in einen in lateinischer Sprache geschriebenen Brief eingefügt wurde.

Das Albanische wurde schließlich in lateinischer Schrift aufgeschrieben, erweitert durch Zeichen anderer Schriftsysteme. Allerdings gab es im 15. Jh. noch keine einheitliche Schreibweise der albanischen Sprache.1 Die Wahl ist u.a. aus religiösen Gründen auf das lateinische Alphabet gefallen, denn die ersten albanischen Autoren waren Geistliche der römisch-katholischen Kirche, d.h. sie waren des Lateinischen mächtig.

Auch aus politischen Gründen ist die Entscheidung für das lateinische Alphabet plausibel. Das albanische Territorium befand sich jahrelang unter der Fremdherrschaft von Bulgaren, Byzantinern, Venezianern, Anjou, Türken u. v. m.2 Seit dem Jahr 1479 waren die Osmanen im albanischen Raum an der Macht und mit ihnen hielten die arabische Schrift und Sprache sowie der Islam Einzug. Auch die Islamisierung spielte im Zuge dessen eine Rolle in der Geschichte Albaniens.3 Zuträglich waren Missstände in der albanischen Kirche. Es mangelte an Priestern „... und die vorhandenen waren oft von erschreckender Unbildung. ...“4 Diese „Unbildung“ verdeutlicht die Erfordernisse solcher Bücher wie von Matrënga und Buzuku, wobei beide Werke nicht in Albanien selbst, sondern außerhalb entstanden sind. Das Eindringen der Osmanen löste außerdem eine Flüchtlingswelle nach Italien aus, die erst im 16. Jh. nachließ. Durch die Wahl des lateinischen Alphabets war eine Positionierung gegen die Osmanen möglich. Matzinger (2010) nennt die Wahl der lateinischen Buchstaben im Bezug auf die türkische Fremdherrschaft eine „Signalwirkung“.5

Bei Matrënga kann ein Bestreben, die Inhalte des christlichen Glaubens den albanischen Christen verständlich zu machen und ihnen das Christentum in ihrer eigenen Sprache näherzubringen, an seinem Werk abgelesen werden. Gerade in einer Zeit, in der die Türken die Albaner zwangen zum Islam zu konvertieren und viele Albaner aus ihrer Heimat flüchten. So schreibt Matrënga im italienischen Vorwort, dass sein Werk den Arbëresh6 dienen soll, die des Italienischen nicht mächtig sind. Natürlich steckt dahinter eine Rechtfertigung und Legitimation der Dottrina cristiana, damit die Kirche, die alles kontrollierte, was gedruckt wurde, sein Werk überhaupt zuließ. Im Zuge der Gegenreformation wurden viele Bücher, die in einer Volkssprache verfasst waren, durch die katholische Kirche auf den sogenannten Index librorum prohibitorum gesetzt und verboten. In der Forschung wird hinterfragt, ob auch Buzukus Werk diesem Verfahren zum Opfer gefallen sei.7 Es war nie für die einfachen Gläubigen gedacht, sondern für „... albanische Geistliche der norditalienischen Diaspora ...“.8 Dennoch war es in einer Volkssprache geschrieben und Texten dieser Art stand die Kirche im 16. Jh. kritisch gegenüber. Elsie (2007) umreißt die Einstellung der katholischen Kirche folgendermaßen:

„.... Die Einstellung der Kirche zu religiösen Veröffentlichungen, insbesondere zu Veröffentlichungen in Volkssprachen, d. h. nicht auf Latein, schwankte sehr in und nach den Jahren des Tridentinischen Konzils (1545-1563). Im Geist einer dringend benötigten Reform befürwortete die Kirche anfänglich die Übersetzung von Kirchenschriften in den Volkssprachen. Bald darauf änderte sie ihre Haltung. In Rückbesinnung auf die traditionelle katholische Lehre der Gegenreformation, die der italienischen Renaissance ein Ende machte, und in der allgemeinen Atmosphäre von Einschüchterung, die während der Inquisition herrschte, wurden die gleichen, früher geförderten Bücher auf den Index (Index librorum prohibitorum) gestellt und dadurch verboten. ...“9

Andere Wissenschaftler widersprechen der These, dass Buzukus Buch auf den Index kam. Peters (2007) weist darauf hin, dass Buzukus Buch „... eine Handreichung oder Arbeitsbehelf für Liturgie und Katechese ...“10 war. Dies könnte die katholische Kirche geduldet haben, da sie im 16. Jh. bemüht war, ihren Status zu festigen und sich einerseits in Europa gegen die Protestanten durchsetzen musste und andererseits in Albanien gegen den islamischen Einfluss. Dabei könnte ein Werk, das den albanischen Geistlichen den katholischen Glauben und dessen Dogmen etc. nahebringt und ihren Glauben festigt, hilfreich gewesen sein. Möglicherweise blieb dadurch das Missale von einem Verbot verschont. Zusammenfassend kann nur gesagt werden, dass es in der Forschung nicht abschließend geklärt ist, ob Buzukus Buch dem Verbot durch die Kirche zum Opfer gefallen ist oder nicht.

Das Missale und die Dottrina cristiana haben die Intention gemeinsam, die albanische Identität an westliches Gedankengut anzuknüpfen, um sich vom osmanischen Einfluss abzugrenzen. Dafür spricht auch, dass beide Bücher Übersetzungsarbeiten theologischer Werke sind. Zudem sind beide Werke außerhalb Albaniens durch Geistliche entstanden, „... deren Bestreben es war, das Albanische nach vielen Jh.en der Mündlichkeit angesichts der osmanisch-islamischen Eroberung als Sprache des christlichen Glaubens zu fixieren und so zu etablieren. ...“11 In den nächsten Abschnitten werden das Missale von Buzuku und die Dottrina cristiana von Matrënga kurz vorgestellt. Auf eine Inhaltsangabe wird aufgrund der Textarten verzichtet: Die Dottrina ist ein Katechismus und das Missale eine Komposition aus Gebeten, Psalmen und anderen christlichen Texten.