Hinter der Maske - Die Autobiografie

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Zusammen schneiderte wir diese Songs so zurecht, dass sie in unser Konzept einer Band passten. Ich war aufgeregt. Gemeinsam vollführten wir Dinge, die uns bis dahin alleine nicht möglich gewesen waren. Und wir hatten damit begonnen, das Fundament für unseren Erfolg zu legen: ein Rock-’n’-Roll-Manifest in der Form einer Reihe von starken, aufeinander abgestimmten Songs.

Parallel zu unserer musikalischen Weiterentwicklung arbeiteten wir an einem Konzept dafür, wie wir uns geben wollten. Zum ersten Mal arbeitete ich mit jemandem zusammen, dessen Vision so sehr auf Größe ausgerichtet war wie meine. Ich hatte schon zuvor mit Kids gespielt, die ihre Instrumente beherrschten, aber Gene schien das übergeordnete Konzept, das Gesamtpaket, zu begreifen, nämlich, dass die Musik und deine musikalischen Fähigkeiten nur einzelne Bestandteile dessen waren, was einen zu einem ansprechenden Musiker machte. So wie ich verstand er die Bedeutung von gutem Marketing. Man musste sich engagieren und sich selbst promoten, da Erfolg nicht auf Zufall basierte. Es musste ein Plan dahinterstecken.

Deshalb entschieden wir uns auch bewusst dafür, gemeinsam abzunehmen. Gene begann, sich etwas cooler zu kleiden. Und wir änderten unsere Namen. Gene hatte ja bereits einmal seinen Namen geändert, von Chaim Weitz zu Gene Klein. Da war eine weitere Anpassung, nämlich von Klein zu Simmons, keine große Sache für ihn. Ich hatte meinen Namen schon immer gehasst und sagte meinen Eltern bereits als kleines Kind, dass ich ihn irgendwann ändern würde. Sie meinten, dass ich das tun könne, sobald ich alt genug dafür wäre. Sie hatten sich wohl nicht gedacht, dass ich das tatsächlich machen würde, als ich rechtlich dazu in der Lage war.

Die Chancen auf einen Rockstar namens Stanley Eisen waren äußerst überschaubar. Das hörte sich einfach nicht so gut an wie Roger Daltrey oder Elvis Presley. Von Stars erwartete man, dass sie größer als das Leben selbst waren. Warum weiß heute keiner, wer Archibald Leach war? Weil Cary Grant einfach besser klang. Ringo Starr besaß mehr Strahlkraft als Richard Starkey. Es ging mir auch nicht darum, meinen ethnischen Hintergrund zu verschleiern. Ich wollte einfach viel lieber Paul McCartney als Shlomo Ginsberg heißen. Jedoch wollte ich auch nicht so einen dämlichen Namen wie etwa Rock Fury haben. Ich wollte einen Namen wie die Leute, denen ich nacheiferte, etwas mit Wiedererkennungswert. Die Frage war nur, für welchen Namen ich mich konkret entscheiden sollte. Ozzy Osbournes Künstlername leitete sich zum Beispiel von seinem Nachnamen ab. Eizzy Eisen? Lieber nicht.

Dann durchfuhr es mich wie ein Blitz: Paul! Das war ein mehr als passabler Name. Es gab da Paul McCartney, natürlich, und Paul Rogers von Free, einer weiteren Band, die ich sehr mochte. Ich wollte meine alte Identität auch nicht vollständig aufgeben, daher war ich froh, dass mich meine Assoziationskette von Daltrey über Presley schließlich zu … Stanley führte.

Paul Stanley.

Zuerst ließ ich meinen Namen nicht offiziell ändern, da ich mir dachte, dass ich vermutlich zu meinem alten Namen würde zurückkehren wollen, sobald meine Karriere irgendwann vorüber wäre. Das war damals üblicherweise recht schnell der Fall. Nur wenige hatten es zu dieser Zeit geschafft, länger als zehn Jahre im Geschäft zu bleiben. The Who und die Stones standen damals erst kurz davor.

Ich hoffte zumindest auf fünf gute Jahre.


Nun, da wir Songs hatten und sich sowohl für den Look als auch für das Image ein Feeling zu entwickeln begann, brauchten wir eine Band. Wir waren ja nicht Simon and Garfunkel, auch nicht die Everly Brothers, und Jan and Dean erst recht nicht. Unsere Songs sollten schließlich rocken.

Die Suche nach einem geeigneten Leadgitarristen war zunächst unsere oberste Priorität. Ich hatte nie vorgehabt, diesen Part zu übernehmen. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass ich das gekonnt hätte. Wenn ich Leuten beim Singen zuhörte, dann wusste ich, dass ich auch etwas in der Art draufhatte. Jedoch hörte ich selten ein Gitarrensolo, bei dem ich dachte, ich würde da mühelos mithalten können. Höchstens vielleicht, wenn es sehr langsam gespielt war. Ab und zu hörte ich ein Solo von Paul Kossoff von Free und dachte mir, dass ich das eventuell auch könnte, aber ich war einfach kein schneller, spektakulärer Gitarrist.

Mein Bauchgefühl riet mir ab davon, es zu probieren, da es sich nicht auszahlen würde; egal, wie viel Zeit ich in die Sache investieren würde. Zum Glück kannte Gene den perfekten Typen für den Job. Zu unserem Pech lebte der aber irgendwo außerhalb der Stadt im Norden. Wo genau er sich herumtrieb, wusste Gene nicht, und wie der Typ hieß, wusste er genauso wenig. Er war ihm mal begegnet, als er da oben gelebt hatte, und daher war dieser Kerl, wer auch immer er sein mochte, derjenige, den wir ansprechen wollten. Also trampten wir im Herbst 1972 immer wieder rauf in die Catskills, um uns auf die Jagd zu machen nach diesem sagenumwobenen Gitarrenhelden, der anscheinend in den Bars und Ballsälen der billigeren Resorts aufspielte. Am Straßenrand des Major Deegan Expressway hielten wir unsere Daumen in den Wind – ich trug dabei lindgrüne Stiefel mit Absätzen und Gene einen altmodischen, damenhaften Pelzmantel. Notgedrungen machten wir uns auf den Weg, ohne zu wissen, wo wir übernachten konnten.

Eines Abends trafen wir ein paar Leute, die in einer Kommune außerhalb einer der Städte lebten. Sie luden uns ein, bei ihnen zu pennen. Es stellte sich schließlich heraus, dass sie in einer Scheune hausten – und wir in einem Hühnerverschlag übernachten sollten. Die Leute, die wir getroffen hatten, waren dafür verantwortlich, die Eier einzusammeln – das war ihre Aufgabe in der Kommune. Sie boten uns eine warme Mahlzeit an, aber der Ort war dermaßen abgefuckt, dass ich ablehnte. Mitten in der Nacht erwachte ich und begab mich, vom Heißhunger angetrieben, in die Küche, um nachzusehen, ob noch etwas vom Essen übrig geblieben war. Als ich den Ofen öffnete, hüpfte mir eine Maus entgegen.

Ein anderes Mal nahmen uns zwei Girls in einem VW-Bus mit zu sich nach Hause. Das Haus, das auf einem Berggipfel lag, war entweder eine Ruine oder noch nicht fertig, und sie boten uns zum Schlafen einen Platz bei ihren Hunden an. Als wir da so im Halbschlaf auf dem Boden lagen, spazierte eines der Mädchen splitterfasernackt durch den Raum. Gene öffnete die Augen und ich sah, wie sein Blick ihr folgte. Ich wusste bereits, dass Gene alles zu nageln versuchte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Es war ein Teil seines Selbstbildes: besessen von Muschis.

„Wenn du sie jetzt anmachst und damit beleidigst“, flüsterte ich ihm flehend zu, „dann werfen sie uns hier mitten im Nirgendwo auf die Straße. Wir werden dann auf dem Gipfel dieses beschissenen Berges erfrieren.“

Er hielt sich nobel zurück. Aber am nächsten Morgen konnte er sich dann doch nicht mehr zügeln und startete einen Versuch – mit Erfolg. Es stellte sich heraus, dass sie ein Hörgerät trug. Jedes Mal, wenn er ihr ganz nahe kam, konnte er Rückkopplungen hören.

An einem anderen Wochenende landeten wir in einer Stadt, die bereits die Gehsteige nach oben geklappt hatte. Wir standen auf einer verlassenen Straße, als uns schließlich ein Auto entgegenkam. Wir hoben unsere Daumen und der Wagen hielt an. Im Auto saßen vier beinhart aussehende schwarze Jungs. „Wohin wollt ihr?“, fragte der Fahrer.

„Oh … äh … wir? Wir wollen nirgendwo hin.“

Der Fahrer wurde wütend. „Ihr habt eure Daumen hochgehalten. Wohin geht die Reise?“

Wir sagten ihm, dass wir versuchten, zu Grossinger’s, einer großen Feriensiedlung im Borscht Belt, zu gelangen. Gene kannte dort jemanden, der uns bei sich übernachten lassen würde.

„Steigt ein.“ Das hörte sich mehr nach einem Befehl als nach einer Einladung an. Als Nächstes fuhren wir einen unbeleuchteten Wirtschaftsweg hinunter. Ich bekam es langsam mit der Angst zu tun. Dann sah ich, dass vor uns bereits ein zweites Auto am Wegesrand wartete.

Großartig, sie warten schon auf uns. Zwei Juden am Spieß, na bitte.

Wir hielten und eine weitere Gruppe zäher Burschen sprang aus dem geparkten Wagen. Mein Leben zog vor meinen Augen vorüber. Es stellte sich allerdings heraus, dass sie bloß abhängen und einen heben wollten.

Als wir wieder ins Auto sprangen, sagten wir: „Wisst ihr, ihr braucht uns nicht zu fahren.“ Ich bildete mir ein, eine Mischung aus Zorn und leicht angriffslustiger Genervtheit in der Stimme des Fahrers zu vernehmen, als er mir zuzischte: „Ich habe gesagt, dass ich euch abliefere.“ Das tat er dann auch und brachte uns bis zu Grossinger’s.

Wir schafften es nicht, den Gitarristen ausfindig zu machen, aber diese Trips steigerten noch unsere Hingabe, mit der wir an die Sache herangingen. Wer sonst außer Gene hätte mich begleitet? Wir trampten in unserer üblichen Aufmachung, wussten nicht wohin, schliefen auf Fußböden und hatten kaum Geld in der Tasche. Die meisten Leute hätten wohl einfach eine Anzeige aufgegeben.

Das war dann auch unser nächster Schritt. Oder besser gesagt: Wir gingen selbst Anzeigen durch, um wen zu finden. Allerdings sahen wir uns nun zuerst nach einem Schlagzeuger um. Schließlich stießen wir auf eine interessante Annonce im Rolling Stone und riefen die angegebene Nummer an.

Unsere Befragungsstrategie folgte einer klaren Linie:

„Würdest du alles tun, um groß herauszukommen?“

„Yeah“, sagte der Typ am anderen Ende der Leitung.

„Würdest du auch ein Kleid tragen?“

„Yeah.“

Wir arrangierten ein Treffen mit dem Typen. Er sollte uns vor den Electric Lady Studios in der 8th Street treffen. Er war sehr cool angezogen. Cooler als wir. Er sah auch ein gutes Stück älter als ich aus. Außerdem hatte er ungefähr fünf Namen – George Peter John Criscuola bla-bla-bla –, aber nannte sich Peter Criss.

 

Wir spazierten zu einer Pizzeria und setzten uns hin. Wir hatten uns keine fünf Minuten unterhalten, da platzte es aus Peter heraus: „Mein Schwanz ist 22 Zentimeter lang.“

Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.

Ähm, kannst du mir mal den Käse reichen?

Dieser Typ war anders als wir. Peter konnte kaum lesen oder richtig schreiben. Er war kein großer Denker. Trotzdem sagten wir zu, zu einem Auftritt zu kommen, den er in einer Bar in Brooklyn haben würde. Die Bude hieß King’s Lounge, und die beiden anderen Typen in seiner Band sahen aus, als ob sie als Pizzabäcker oder Mafia-Geldeintreiber eine bessere Figur gemacht hätten. Peter hob sich komplett von ihnen ab und strahlte Selbstvertrauen aus. Er versprühte jedenfalls eine gewisse Arroganz.

Das Publikum war eher dünn gesät, aber irgendetwas an seiner Performance sprach mich an: Er spielte in dieser Bar, als wäre sie eine große, ausverkaufte Arena. Er ging total ab. Nach der Show fragten wir ihn, ob er am nächsten Tag Zeit hätte, um mit uns zu spielen.

Das erste Mal, als er mit uns probte, war nicht unbedingt prickelnd. Peter wusste nicht viel über britische Bands. Er kannte zumindest die Beatles. Und er mochte Charlie Watts von den Stones. Aber das kam wahrscheinlich daher, dass er glaubte, wie Charlie Watts zu spielen – simpel und unspektakulär. Was andere Schlagzeuger – nämlich diejenigen, deren Stile er nicht beherrschte – anging: Er mochte keinen von ihnen.

Peter verstand auch nicht den Grundaufbau von Songs. Strophe, Refrain, Bridge – er hatte keine Ahnung davon. Wenn ich etwa sagte: „Lasst uns bei der zweiten Strophe einsteigen“, dann überforderte ihn das bereits. Er musste sich einen Song von Anfang bis Ende einprägen, da er sonst leicht die Orientierung verlor. Vielleicht war sein Spiel ja deswegen so wild. Man könnte es unorthodox nennen, aber das wäre nicht ganz treffend – es war einfach nur chaotisch. Seine Parts veränderten sich von Strophe zu Strophe. Obwohl es ihm an Kontinuität mangelte, spielte er mit Herzblut und Hingabe. Es war eben nur sehr bruchstückhaft.

Wir luden ihn zu einer weiteren Probe ein, wo es dann auch viel besser lief. Sein Schlagzeugspiel hatte Persönlichkeit und war voller Lebensfreude. Ein paar unserer Songs entwickelten ein etwas anderes Feeling, als wir ursprünglich beabsichtigt hatten, da Peter einfach nicht so spielen konnte, wie die Drummer, die wir im Kopf hatten, als wir die Songs schrieben, es hätten tun sollen. Aber was er zu bieten hatte, funktionierte trotzdem für das, was wir mit der Band vorhatten. Rückblickend besteht kein Zweifel, dass ein Schlagzeuger wie John Bonham nicht zu uns gepasst hätte, obwohl wir sicherlich in die Richtung gegangen wären, wenn Gene und ich nur gut genug gewesen wären. Damals aber war Peter der richtige Typ für die Band. Er platzte förmlich vor Kraft und Elan.

Peter spielte instinktiv geradeaus. Ab und an mussten wir uns ranhalten, damit wir ihm hinterherkamen. Im besten Fall ist ein Drummer wie die Lehne eines Stuhls: Du solltest dich zurücklehnen und dich darauf verlassen können, dass er da ist, um zu verhindern, dass du nach hinten umkippst. Er ist das Fundament.

Aber Peter bewegte sich mit uns auf einer gemeinsamen Ebene, wodurch etwas ganz anderes entstand. Irgendetwas machte schließlich Klick. Sogar als Trio hörten wir uns schon ziemlich vielversprechend an. So sehr, dass wir uns entschlossen, bei Epic Records vorzuspielen, um herauszufinden, ob sie bereit waren, unter den Konditionen unseres alten Vertrages mit uns weiterzuarbeiten.

Gene und ich kratzten Geld zusammen, um uns neues Equipment besorgen zu können. Ich kaufte mir zwei Gitarren: eine Gibson Firebird mit Tobacco-Sunburst-Lackierung und eine Gitarre, die ein Typ namens Charlie LeBeau für mich anfertigte. Ich lernte Charlie kennen, als er in einem kleinen Laden arbeitete, der sich im ersten Stock eines Gebäudes in der 48th Street befand. Es war der erste Laden, der sich auf Vintage-Gitarren spezialisiert hatte. Dan Armstrong’s Guitar Service – so hieß der Shop – hatte zum Beispiel Les Pauls mit Sunburst-Lackierung, wunderschöne Instrumente, die damals weit außerhalb meiner finanziellen Möglichkeiten lagen. Aber Charlie, dessen große Stärke die Reparatur von Instrumenten war, hatte sich selbst einen Namen gemacht und baute nun auch Gitarren. Ich kaufte von ihm eine walnussfarbene Double-Cutaway. Die Gibson Firebird war ursprünglich ein Standardmodell. Mir gefiel sie, da Eric Clapton so eine bei Cream gespielt hatte. Ich gab sie eines Tages meinem Vater mit in die Arbeit, damit die Jungs im Möbelgeschäft sie mir anmalen konnten. Das sah dann zwar nicht so aus, wie ich es erwartet hatte, aber es war immerhin schwarz.

Wir legten uns auch ein Soundsystem von Peavey zu. Dazu gehörten zwei große Lautsprecher auf Teleskopstangen und ein Mischpult mit frankensteinmäßigen Reglern und Anzeigen. Wir brauchten es für den Gesang. Im Proberaum und in den kleinen Clubs, in denen wir bald auftreten wollten, mussten wir unsere Amps nicht zusätzlich verstärken, da sie auch so laut genug waren.

Don Ellis, der damalige Chef von Epic, und ein paar seiner Angestellten besuchten uns Ende November 1972 in unserem Proberaum. Wir bezeichneten uns selbst als die neue Version von Wicked Lester. Natürlich wussten wir, dass wir ein komplett neues Ding waren, aber wir hatten noch keinen Namen. Wir spielten unser neues Repertoire, welches de facto aus Songs bestand, die auf dem ersten KISS-Album landen sollten. Während wir „Firehouse“ spielten, schnappte ich mir einen Wassereimer, der mit Konfetti gefüllt war, und schüttete ihn über Ellis aus, der zusammenzuckte, da er befürchtet hatte, es wäre Wasser darin. Letztlich wollte Epic nichts mit der Band zu tun haben und verzichtete darauf, dass wir unseren vertraglichen Verpflichtungen aus dem Wicked-Lester-Vertrag nachkämen.

Ich hatte mir die Band ohnehin nie als Power-Trio ausgemalt. Es war nicht meine Absicht, die Band durch mein alleiniges Gitarrenspiel voranzutreiben. Jimi Hendrix konnte das vielleicht, Pete Townshend auch, Jimmy Page genauso. Ich allerdings nicht. Außerdem wollte ich mich in Pose werfen und die spektakulären Sololäufe jemand anderem überlassen.

Und dafür brauchten wir einen Leadgitarristen.


Leadgitarrist gesucht. Ausstrahlung und Können Voraussetzung.“ Das war der ungefähre Wortlaut der Anzeige, die wir in der Village Voice aufgaben. Als wir dann am angegebenen Tag im Dezember 1972 die Tür zu unserem Proberaum für potenzielle Leadgitarristen öffneten, warteten bereits mehr als 30 Kandidaten auf ihre Chance. Aber wer ein Rockstar werden wollte, musste auch wie einer aussehen. Daher forderten wir gewisse Voraussetzungen ein: keine Glatzköpfe, keine Bärte, keine Fettwänste.

Ein Kerl war dabei, der in Nehru-Jacke und Perlenkette um den Hals einlief. Seine Frau begleitete ihn als Dolmetscherin, da er kein Wort Englisch sprach. „Er kommt aus Italien“, erklärte sie. Ein anderer Typ namens Bob Kulick spielte zwar richtig gut, entsprach aber nicht unseren visuellen Ansprüchen. Nach einer langen wie ergebnislosen Freakshow kam ein Typ an die Reihe, der einen roten und einen orangen Sneaker anhatte. Er war ungefähr in meinem Alter, wirkte ein wenig tollpatschig und watschelte beim Gehen. Während wir uns noch mit Bob unterhielten, steckte dieser andere Kerl sein Gitarrenkabel in einen Amp und fing an zu spielen.

„Hey, Mann, sei gefälligst still, bis du dran bist“, ermahnten wir ihn.

Schließlich wandten wir uns ihm zu, um mit ihm zu jammen – und beinahe von der ersten Minute an war da etwas, das uns auf eine völlig andere Ebene transportierte. Die Kombination von uns Vieren war viel größer als alles, was wir mit den anderen Gitarristen vollführt hatten. Wir waren zwar nicht die besten Musiker, aber die chemische Reaktion zwischen uns war äußerst potent. Nach nur einer Minute mit diesem Typen namens Ace Frehley waren wir zu etwas anderem geworden, das ließ sich gar nicht leugnen. Ich war absolut beeindruckt.

Das ist es.

Das bringt es.

Die Suche ist vorüber.

Ace hatte Ausstrahlung, so viel war klar. Sein Stil erinnerte mich an Leute, die ich echt mochte – etwa Jimmy Page oder Jeff Beck. Er war ein absoluter Sonderling. Er bewegte sich, als wäre er aus Gummi, und sprach kaum. Er zuckte dafür oft mit den Schultern.

Wir alle wussten ziemlich schnell, dass die Wahl auf ihn fallen würde. Um Weihnachten herum, nach unserer zweiten Probe mit Ace, riefen wir Lew Linet, der schon Wicked Lester gemanagt hatte, an, um sein Interesse zu wecken. Er war ein herzensguter Kerl, aber ziemlich planlos in puncto Rock ’n’ Roll. Er betreute eine Band namens JF Murphy & Salt, die gelegentlich im Fillmore East auftrat, und einen alten Folk-Typen namens Oscar Brand. Lew war eigentlich mehr ein Beatnik als ein Rocker, aber er willigte ein, uns im Proberaum zu besuchen, um sich unsere Band, die wir mittlerweile KISS getauft hatten, anzuhören. Zum Glück waren alle einverstanden gewesen, als ich den Namen vorschlug. Ich wäre bereit gewesen, für ihn zu kämpfen, da ich mir absolut sicher war, dass wir damit einen Namen hätten, der klassisch und zeitlos wäre. Für mich symbolisierte er mehrere Dinge. Ich assoziierte damit etwa den Kuss des Todes, aber auch Küsse der Leidenschaft. Es hatte Wiedererkennungswert und hörte sich vertraut an. Die Leute würden sagen: „KISS? Sicher, von denen habe ich schon gehört.“

Als Lew auftauchte und wir begannen, unser Set zu spielen, regte er sich sofort auf: „Wenn ihr die Lautstärke nicht runterdreht, bin ich gleich wieder weg!“ Als wir ihm berichteten, dass wir vorhätten, Make-up aufzulegen, jammerte er verzweifelt: „Warum könnt ihr euch nicht einfach wie die Raspberries anziehen?“ Die Raspberries trugen aufeinander abgestimmte weiße Anzüge. Ganz offensichtlich verstand Lew nicht, worauf wir hinaus wollten.

Egal, wir konnten uns unsere Gigs auch selbst buchen. Abgesehen davon gab es aber immer noch einiges, an dem wir arbeiten mussten. Wir wollten eine kraftvolle Band sein, die im britischen Rock ’n’ Roll verwurzelt war, jedoch beabsichtigten wir, die Sache ungefähr zehn Schritte voranzubringen. Allerdings wussten wir noch nicht ganz, worin sich das schließlich manifestieren würde. Ich hatte Notizblöcke voll mit Ideen. Ich versuchte mir die Band auszumalen, die ich als Fan gerne sehen wollte. Neben Bergen von aufgetürmten Verstärkerboxen träumte ich dabei von vier Charakteren, die einem im Gedächtnis blieben, so wie die Beatles, und prägnanten Looks, wie man sie von Zorro und dem Lone Ranger oder auch von Superhelden kannte. Zunächst begnügten wir uns aber damit, die New York Dolls und alle anderen lokalen Bands, die sich feminin und glamourös gaben, zu imitieren. Wir trugen Plateaustiefel und bemalten uns mit Rouge, Lippenstift und Lidschatten.

Sobald wir uns als Quartett gefunden hatten, probten wir sieben Tage in der Woche. Während sich andere Bands in der Zwischenzeit einen Namen machten, indem sie im Mercer Arts Center auftraten und im Max’s Kansas City die Zeit totschlugen, verschanzten wir uns zum Proben in der 23rd Street. All diese Bands bestanden aus Typen, die eigentlich viel cooler und umgänglicher als wir waren. Sie sahen auch dementsprechend gut aus, aber niemand arbeitete so hart wie wir. Manchmal ließ ich während der Arbeit sogar mein Taxi am Stand Ecke 23rd Street und Fifth Avenue stehen, um schnell in unseren Proberaum zu laufen.

Das Zusammenspiel mit Ace ergab sich ganz natürlich. Wir mussten ihn nicht wie Peter erst einweisen. Ace passte einfach dazu, und nach nur knapp einem Monat waren wir bereit für unseren ersten Auftritt. Wir buchten uns für drei Nächte hintereinander in einem Schuppen am Queens Boulevard, der sich gerade erst von Popcorn in Coventry umbenannt hatte. Einige der hippen Bands aus New York City spielten bald darauf auch dort, darunter etwa die Dolls, die Brats, die Dictators, Television und Sniper. Letztere waren Joey Ramones erste Band.

Der erste der drei Gigs stieg am 30. Januar 1973. Am Morgen der Show nahm ich die U-Bahn nach Long Island City, einem Gewerbegebiet in Queens, das sich entlang des East River erstreckte. Dort mietete ich einen Lieferwagen von Public Service Rentals, da es der billigste Verleih war. Dann fuhr ich in die 23rd Street, wo wir etwas später unsere Sachen aus dem Proberaum einluden.

 

Ace kam zu spät und weigerte sich, überhaupt irgendetwas zu schleppen. Als wir ankamen und den Wagen an der Rückseite des Clubs parkten, machte Ace erneut keinen Finger krumm. Er saß auf der Rückbank des Vans und tat gar nichts. Dann, als wir gerade dabei waren, unser Equipment auszuladen, packte er ohne Vorwarnung seinen Penis aus und verkündete: „Das ist meine Nudel, wenn sie gerade nicht hart ist.“

Häh?

Ich wusste wirklich nicht, was es mit Peter und Ace bzw. ihren Schwanzgrößen auf sich hatte, obwohl ich im Verlauf der Zeit anfing zu vermuten, dass sie sich darüber definierten und es ihnen deshalb sehr wichtig war.

Zu unserem ersten Gig kamen weniger als zehn Leute. Es hätten ungefähr 500 reingepasst. Trotzdem bemühten wir uns, das Gebäude in seinen Grundfesten zu erschüttern – wir wussten, dass wir uns bis in alle Ewigkeit an diese Show erinnern würden. Und es fühlte sich toll an.

Ich werde mich gerne daran erinnern.

Die nächsten zwei Abende spielten wir im Coventry, beide Male vor spärlich erschienenem Publikum. Nach jedem Gig fuhren wir zurück in die 23rd Street, um unsere Ausrüstung zu verstauen. Ace saß währenddessen auf seinem Hintern und soff sich einen an. Wir waren noch nicht so mit seiner Persönlichkeit vertraut. Die Shows bestätigten, dass er alles war, wonach wir in puncto Musik gesucht hatten. Allerdings bestätigten sie auch, dass er tatsächlich einer der faulsten Menschen, nein, der faulste Mensch überhaupt war, den ich jemals getroffen hatte.

Diese ersten Shows machten mir einiges klar. Ich hatte mir immer einen massiven Sound, ja, eine Dampfwalze mit zwei Gitarren gewünscht. So wie Humble Pie. Und wir hatten das teilweise auch schon ganz gut hinbekommen. Trotzdem fehlten uns noch die Heftigkeit und die Größe. Es kam mir fast so vor, als brächten die anderen Jungs die Band in Gefahr, indem sie sich nicht angemessen präsentierten. Ace faselte während der Shows irgendeinen Mist ins Mikro und Peter sagte Sachen wie: „Ich bedanke mich bei all meinen Freunden, die heute aus Canarsie hierher gekommen sind“, was sich überhaupt nicht nach großem Theater anhörte. Es lenkte vom Image ab, das ich vermitteln wollte. Die Wahrnehmung bestimmt schließlich die Realität. Mir wurde bewusst, dass da drei Typen auf dieser Bühne in Queens standen, die nicht den geringsten Schimmer davon zu haben schienen, wie man sich einem Publikum annähert. Wollt ihr provinziell und klein wirken? Dann grüßt meinetwegen Tony und Guido zwischen den Songs. Ihr wollt so richtig groß rauskommen? Dann hinterlasst den richtigen Eindruck, egal, wie viele Leute da unten stehen. Behandle das Publikum, als würdest du den Madison Square Garden rocken.

Von da an bestand ich darauf, dass ich auf der Bühne das Sagen hätte. Ich war das Sprachrohr. Wenn jeder einfach drauflos quasselte, entstünde ein zu großes Durcheinander. Und obwohl ich es noch nie zuvor getan hatte, wusste ich, dass ich das draufhatte. Ich wusste es einfach. Ich hatte auch schon die passende Blaupause dafür. Der Grund, aus dem ich Humble Pie so liebte, war Steve Marriott, ihr Leadsänger, der stets wirkte, als würde er ein Kirchenfest zelebrieren. Er sprach nicht einfach nur, wenn er mit dem Publikum kommunizierte, nein, er verkündete die Frohe Botschaft und sang, als hätte ihn der Heilige Geist am Wickel, womit er alle zur Raserei brachte.

Ruft Halleluja!

Das war genau das, was mir im Geiste vorschwebte.

Ruft Halleluja, Brüder und Schwestern!

Ich wollte ein KISS-Konzert zu einem Rock-’n’-Roll-Gottesdienst erheben.

Gebt mir ein Amen!

Eigentlich ein witziger Gedanke für einen Juden. Außerdem ein witziger Gedanken für einen Typen, der in vielerlei Hinsicht noch immer fast krankhaft schüchtern war. Aber ich war mir meiner Sache absolut sicher. Ich würde eine Bühnenfigur kreieren, die das Publikum mitreißen würde. Deswegen sprach ich anfangs noch mit einem seltsamen Akzent – halb Engländer, halb Südstaaten-Prediger – ins Mikrofon. Ich wollte mich etwas exotischer geben, exotischer zumindest als ein Typ aus Queens. Meine Bühnenpersönlichkeit tarnte den linkischen Jungen mit dem fehlgebildeten Ohr, der aus einer zerrütteten Familie stammte.

Ich würde mich als schillernd und unerschütterlich darstellen und den Eindruck vermitteln, begehrenswert zu sein. Einfach der Typ, den jeder gerne kennen möchte. Und die Leute, die meiner Meinung nach nicht nett zu mir waren – denen würde es schon noch leid tun, mich zurückgewiesen zu haben.

Aber in Wahrheit würde ich dem Zauberer von Oz ähneln: ein kleiner Mann hinter einem Vorhang, der ein riesiges Trugbild am Laufen hielt.


Die meisten Bands aus der City orientierten sich zu dieser Zeit stark an den New York Dolls. Natürlich hatte ich schon von ihnen gehört, hatte sie aber noch nie live gesehen. Im März 1973 gingen Gene und ich schließlich zu einem ihrer Konzerte, das in einem heruntergekommenen Hotel namens Diplomat in Midtown Manhattan, wo für gewöhnlich Nutten und Junkies abstiegen, stattfand.

Sie waren die Kings der New Yorker Rockszene und kamen mit entsprechender Verspätung auf die Bühne. Eigentlich waren sie sogar viel zu spät dran. Sie sahen spektakulär aus. Als sie schließlich vor uns auf der Bühne standen, strahlten sie eine unglaubliche Kameraderie aus und zeigten, dass die Chemie untereinander stimmte. Ihre musikalische Darbietung konnte allerdings nicht mithalten.

Trotzdem sahen sie umwerfend aus. Sie waren spindeldürr. Im Vergleich zu ihnen wirkten Gene und ich wie Footballspieler. Wir sahen einander an und begriffen, dass KISS, verglichen mit den Dolls, wie Feuerwehrleute im Transenfummel rüberkamen. Das würde nicht funktionieren. Wir konnten die Dolls nicht bei ihrem eigenen Spiel schlagen. Wir mussten aufhören zu versuchen, bessere Dolls zu sein. Wir mussten uns stattdessen Mühe geben, bessere KISS zu werden. Wir mussten das Spiel auf unsere eigene Weise angehen. Nach diesem Konzert entschlossen wir uns, unsere bunten Aufmachungen hinter uns zu lassen, damit wir uns in einem sinistren, schwarzen Look neu erfinden konnten.

Ich schaute gerne in die Auslagen einiger Geschäfte, in denen die neuesten Rock-’n’-Roll-Klamotten verkauft wurden – vor allem der Kram, der gerade in London angesagt war. Eines Tages sah ich ein Paar Jeans bei Jumpin’ Jack Flash, die sich perfekt für unseren neuen visuellen Ansatz geeignet hätten, aber 35 Mäuse kosteten. Das war ganz schön viel Geld. Ich kam schließlich zu dem Schluss, dass ich mir selbst etwas Ähnliches schneidern könnte. Zwar hatte ich noch nie eine Nähmaschine bedient, schnitt aber trotzdem meine liebsten Glockenhosen auseinander. Meine Mutter wurde nicht müde, mir zu erklären, dass ich nicht in der Lage sein würde, den Reißverschluss einzunähen.

Ich kann alles.

Ich muss nur einfach hart daran arbeiten.

Die Hosen mit ihrem neuen metallisch-schwarzen Seiden-Look wurden großartig und kosteten mich praktisch nichts. Auch der Reißverschluss funktionierte tadellos. Gene gefielen die Hosen so gut, dass er mich fragte, ob ich ihm auch welche machen konnte. Natürlich kam ich seiner Bitte nach. Ace’s Mutter schneiderte ihrem Sohn ein Shirt mit einem Adler drauf.

Dann deckten wir uns in einer Tierwarenhandlung mit Hundehalsbändern ein. Meines war für eine Dänische Dogge gedacht, die Pudelgröße hätte mir nicht gepasst. Schließlich arbeiteten wir uns bis zu den Sadomaso-Shops durch. Ich werde nie vergessen, wie ich die Treppen zu diesem Laden im Meatpacking District hochkletterte und mit aufgerissenen Augen in diese mir unbekannte Welt eintauchte. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt: Ledermasken mit Reißverschlüssen vor den Augen und einem Schlauch, der vom Mund wegführte. Was wollte man denn damit anstellen? In einem anderen SM-Laden, dem Eagle’s Nest im West Village, fanden wir dann einige unserer ersten mit Nieten besetzten Accessoires.

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