Hinter der Maske - Die Autobiografie

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Gene Klein lebte mit seiner Mutter und ihrem Ehemann in Bayside, Queens. Sie nannte mich „den Penner“. Die drei lebten in einem zweistöckigen Haus: Im Parterre wohnte ein Mieter und darüber Gene mit seiner Familie.

Eines Tages stand ich vor dem Haus und quatschte mit Gene, der aus einem der Fenster herausschaute. Plötzlich öffnete seine Mom ein weiteres Fenster und verkündete mit ihrem massiven ungarischen Akzent: „Stan, ich bitte dich, das ist hier eine friedliche Gegend.“ Mit anderen Worten: Ich war aus einem Armeleuteviertel und verstand nicht ganz, wie man sich hier in diesem schönen, netten Wohngebiet zu benehmen hatte.

In den Augen seiner Mutter konnte Gene nichts falsch machen. Wenn ich anrief und er auf dem Klo saß, sagte sie: „Der König sitzt gerade auf seinem Thron.“ Sogar wenn er am Pott abhing, glaubte sie, dass er Meisterwerke fabrizieren würde. Ich hätte nicht einmal, wenn es um mein nacktes Überleben gegangen wäre, meinen alten Herrschaften ein Kompliment entlocken können. Sie gaben sich große Mühe, mir keine Komplimente zu machen. Ich denke, dass sie glaubten, mich dadurch abhärten zu können. Gene lag einfach nie falsch, wohingegen ich nie etwas richtig zu machen schien.

Wenn man die Situation genauer betrachtet, ist es gar nicht so überraschend, dass mich Genes Mom für einen Penner hielt.

Meine Schwester und ihr Freund fuhren in einem Van durch die Gegend, von dem aus sie anscheinend Drogen verkauften. Sie warfen sich täglich LSD ein, schnüffelten gern mal ein wenig Klebstoff zwischendurch und taten, wozu sie eben gerade Lust hatten. Schließlich wurde sie schwanger. Allerdings hatte sie sich zum Zeitpunkt der Geburt schon wieder von dem Typen getrennt. Ich war mit einen Eltern im Krankenhaus, als meine Nichte Ericka zur Welt kam. Meine Schwester war nicht in der Verfassung, ein Kind großzuziehen. Sie kämpfte immer noch mit massiven psychischen Problemen und nahm weiterhin Drogen. An einem Wochenende lieh sich mein Dad einen Van, um nach Boston zu fahren, wo sie in einer Art Kommune hauste. Dort angekommen, lud er all den Babykram ein und brachte ihn nach New York in die Wohnung meiner Eltern. Das Baby lebte ohnehin schon dort.

Von da an riss der Kontakt zu Julia beinahe gänzlich ab. Es herrschte aber immer noch Angst und Unsicherheit darüber, ob sie versuchen würde, einen Sorgerechtsstreit um Ericka anzuzetteln. Einmal besuchte Julia uns und war sichtlich angeschlagen. Sie hielt Ericka und plötzlich, im nächsten Moment, hörte ich, wie die Haustür zugeschlagen wurde. Ich sah Julia mit ihrem Baby die Straße hinunterlaufen. Wir mussten ihr hinterher und Ericka zurückholen. Es war schrecklich.

Da es der Philosophie meiner Eltern entsprach, Probleme zu verdrängen, nannte meine Nichte, als sie heranwuchs, meine Mutter – ihre Großmutter – der Einfachheit halber „Mom“. Da mein Dad sich nicht sicher war, wie er genannt werden wollte, hieß er fortan „Honey“, so wie ihn meine Mutter nannte.

Während Gene ein College-Absolvent war, der gutes Geld als Aushilfslehrer oder Angestellter – er hatte in den ersten paar Jahren, in denen ich in kannte, einige Jobs – verdiente, war ich von der Tankstelle in den Feinkostladen gewechselt und hatte das College-Studium geschmissen. Nun bereitete ich mich darauf vor, eine Prüfung abzulegen, um in Teilzeit als Taxifahrer arbeiten zu dürfen. Während andere Kids aus der Nachbarschaft büffelten, um sich auf Langzeitkarrieren vorzubereiten, hatte ich mir keine andere Wahl gelassen, als mit meiner Musik Erfolg zu haben. Mir blieb nun nichts anderes übrig, als 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche darüber nachzugrübeln, wie ich das anstellen würde. Für mich war Fleiß der springende Punkt. Man kann den Wert einer Sache ganz gut daran erkennen, wie viel Fleiß man hineinzustecken bereit ist.

Zu meinem Glück war Gene – ganz unabhängig davon, was seine Mutter von mir hielt – einer Meinung mit mir, dass wir zusammen besser dran wären. Ich denke allerdings, dass mir unsere Partnerschaft damals mehr als ihm bedeutete. Da ich nun jemanden hatte, der mich bestärkte, bestätigte und mit mir abhing, hörte ich sogar auf, meinen Psychiater Dr. Hilsen aufzusuchen. In Genes Leben schien mehr zu passieren als in meinem, egal, ob es um Mädchen, Jobs oder was auch immer ging. Oberflächlich betrachtet wirkte er auch zufriedener und sicherer als ich. Für mich war Gene ein wichtiger Bestandteil meines Plans – und dieser Plan war alles, was ich in meinem Leben hatte. Ich hatte begriffen, nachdem mich die Musikverlage abgelehnt hatten, dass ich eine Band bräuchte, um mein Material an den Mann zu bringen. Alleine fehlten mir mindestens drei Typen zu dem Team, das dafür notwendig war. Ich spürte, dass ich mit Gene einen weiteren Schlüsselspieler für dieses Team gefunden hatte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits einige Leute gesehen oder getroffen, die Musiker sein wollten und von sich behaupteten, irgendwann Stars zu werden, aber den meisten von ihnen mangelte es an Disziplin. Sie waren nicht bereit, hart zu arbeiten. Talent war ja schön und gut, aber die Leute, die schließlich ihre Ziele erreichten, waren diejenigen, die am härtesten dafür gearbeitet hatten. Wichtig war jedenfalls, dass Genes Arbeitsmoral meiner eigenen sehr ähnelte.

Von dem Tag an, als ich einen Job bei einem Taxi-Unternehmen namens Metro bekam, das sich in der Nähe der Queens Plaza befand, hatte ich Geld, wann immer ich es brauchte, jedoch war ich zur selben Zeit auch beinahe uneingeschränkt flexibel. Ich fuhr einen großen Dodge-Kombi mit einer fadenscheinigen Absperrung zwischen mir und der Rückbank. Das Geschäft befand sich damals gerade an einem Wendepunkt – es gab immer weniger klassische Cabbys, also so richtige Taxifahrer-Typen. Die Kerle mit Zigarren im Mundwinkel wurden von Leuten wie mir abgelöst, die Schauspieler und Musiker waren und eine Einnahmequelle sowie ein gewisses Maß an Freiheit brauchten. Ich fand schnell heraus, was die Mindestanzahl an Schichten war, die ich zu erledigen hatte, um die Firma zufriedenzustellen. Im Grunde genommen hing mein Einkommen von meinem persönlichen Einsatz ab. Ich fand außerdem heraus, wo die Drähte waren, die das Leuchtzeichen auf dem Dach, das anzeigte, dass ein Taxi frei war, zum Leuchten brachten. Ich wusste auch, wie man die Verbindung unterbrach, ohne dabei unter das Armaturenbrett schauen zu müssen. Das hieß, dass ich eine Fahrt machen konnte, ohne dass der Taxometer lief, und dass kein Taxi-Kontrolleur das daran hätte feststellen können, dass ich mit Fahrgast und dennoch leuchtendem Signal auf dem Dach herumgefahren wäre.

Gene und ich mieteten uns einen Proberaum in der Hester Street in Chinatown, gleich neben der Canal Street in Lower Manhattan. Wir gaben dem Gebäude den Namen „Zunderhaus“: Wenn man ein Streichholz angezündet hätte, wäre das ganze Ding schon in Flammen gestanden. Aber es war großartig, dass wir unsere Ausrüstung dort lassen konnten und sie nicht ständig durch die Gegend karren mussten. Die ganze Band – also Gene, Steve Coronel, Brooke Ostrander, Drummer Tony Zarrella und ich – probten dreimal in der Woche. Aber Gene und ich waren noch viel öfter dort.

Obwohl ich anfangs von Genes Songs nicht besonders angetan gewesen war, begannen wir mit der Zeit, während wir zu einem Team zusammenwuchsen, sehr produktiv miteinander zu komponieren und zu texten. Es war sehr aufregend, einen Partner beim Songwriting zu haben – jemanden, der kreativ und intelligent war, mit dem man Ideen austauschen konnte. Einen Partner eben! Ich fühlte mich nicht länger allein.

Gene war außerdem ein ausgezeichneter Bassist. Er konnte vertrackte, interessante Bassläufe spielen und gleichzeitig singen. Das ist etwas, das nicht viele konnten. Und seine Fähigkeit, Gitarrenakkorde durch melodische Parts zu ergänzen, war auch ein großes Plus. Aber obwohl ich die Partnerschaft mit ihm sehr schätzte, gefiel mir nicht immer, wie er manche Dinge handhabte. Er verspätete sich oft zu den Proben und entschuldigte sich kein einziges Mal dafür. Es war keine Seltenheit, dass ich über eine Stunde an einer U-Bahn-Station auf ihn warten musste, damit wir zusammen in den Proberaum fahren konnten. Er nahm sich selbst sehr wichtig.

Er konnte einen in den Wahnsinn treiben, aber ich zahlte es ihm manchmal auch gerne heim. Wir aßen oft zusammen in einem billigen chinesischen Restaurant in der Canal Street, wo man eine Schöpfkelle von jedem beliebigen Gericht über Reis oder Nudeln für 1,25 Dollar bekommen konnte. Eines Nachmittags bestellten Gene und ich uns dort etwas zu essen und zwei Dosen Cola. Außer uns waren keine Gäste da. Als Gene zur Toilette ging, griff ich mir eine Plastikflasche mit scharfem Senf und drückte einen ordentlichen Schuss in seine Cola-Dose. Als er zurückkam, nahm er den Strohhalm zwischen die Lippen und nahm einen herzhaften Zug. Ich wartete einfach ab. Plötzlich quollen ihm die Augen aus dem Schädel und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Er brüllte: „Oh, mein Gott!“ Er war drei Jahre älter als ich und ich spielte ihm Streiche wie ein nervtötender kleiner Bruder.

Unser Budget bestand damals nur aus einer Handvoll Dollar pro Nase – wenn überhaupt. Eines Tages wollten wir uns einen Imbiss holen, hatten aber kein Geld. Also schnappten wir uns unsere Gitarren, spazierten raus auf die Hester Street und spielten Beatles-Songs. Unser Becher füllte sich ziemlich rasch, was uns zu unserer Mahlzeit verhalf. Wir verdienten dabei so viel Geld, dass wir uns vornahmen, es bald wieder zu probieren. Aber am nächsten Tag verjagten uns die Cops sofort, als wir zu spielen begonnen hatten. Das war das Ende unserer Karriere als Straßenmusikanten und unseres Traums von unbegrenztem Zugang zu süßsaurem Hühnchen.

 

Ich begriff sehr bald, dass Gene dazu erzogen worden war, den Wert von Geld zu respektieren und zu ehren. Manchmal war es ganz nett – zum Beispiel, als ich ihm meine alten Schuhe schenkte. Dann wieder verarschte ich ihn, indem ich Pennys auf die Straße warf, weil ich wusste, dass er ihnen hinterherlaufen würde, um sie einzustecken. Ich stand einfach an der Bordsteinkante und schnippte sie fort. Er sprang dann sofort in die Gosse, da er sie haben wollte.

Was auch immer die Unterschiede waren, Gene und ich fanden einige Gemeinsamkeiten zwischen uns. Wir entstammten beide jüdischen Einwandererfamilien, lebten beide in Queens – aber hauptsächlich ähnelte sich unsere jeweilige Einstellung zur Arbeit. Er und ich gaben stets 100 Prozent. Das traf nicht auf alle unsere Bandmitglieder zu. Tony, unser Schlagzeuger, war nur aus einem Grund mit dabei: Er sah aus wie ein Doppelgänger von Geezer Butler von Black Sabbath. Er war kein besonders guter Drummer, aber hatte ein riesiges Schlagzeug der Firma Ludwig und entsprach optisch unserer Vorstellung. Er sah sich selbst als eine Art Intellektueller. Er kam einmal zur Probe und hatte eine Zeichnung dabei, die er für ein perfektes Plattencover hielt, sofern wir einmal ein Album herausbrächten. Das Bild zeigte den Planeten Erde und eine Blume, die im Weltall schwebte. Die Blume weinte. Er sah mich an und fragte: „Verstehst du es?“

„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Doch, doch, du verstehst schon.“

„Ich habe keine Ahnung, was das ist. Eine Blume, die um die Erde weint – okay?“

Da Brooke außer Keyboard auch Flöte spielen konnte, arbeitete die Band an einer Coverversion von „Locomotive Breath“, einem brandneuen Song von Jethro Tull. Allerdings hatte Brooke manchmal ein Problem beim Singen. Er verschluckte sich an seiner Spucke und musste dann husten. Sang er in der einen Sekunde noch, fiel er in der anderen aus. Ich drehte mich dann zu ihm rüber und sah ihn, wie er hustete und nach Luft rang.

Leadgitarrist Steve Coronel und ich kamen nicht immer gut miteinander aus. Nach einer Auseinandersetzung schrie er mich an: „Du hältst dich wohl für etwas Besonderes, oder?“

„Das tue ich tatsächlich“, antwortete ich. „Ich habe eine Aura.“

Wenn ich gerade seine Mutter erschossen hätte, hätte mich Steve wohl auch nicht anders angesehen. „Du denkst, du hättest eine Aura?!“ Steve war völlig perplex. Dann mischte sich Gene ein.

„Er hat recht, Steve“, sagte er. „Er hat tatsächlich eine.“


Wir hatten Anfang 1971 einen Auftritt, für den wir uns mit dem Namen Rainbow ankündigten. Der Gig fand in den Räumlichkeiten einer Volkshochschule auf Staten Island statt – und ich holte mir zum ersten Mal in meinem Leben Filzläuse. Man kann sie von einer Matratze bekommen. Oder aber auch direkt von einer anderen Person. Bei mir war weder das eine noch das andere der Fall – ich bekam die Filzläuse von einem Klositz in besagter Volkshochschule. Bald nach dem Gig begann es bei mir zu jucken, aber es dauerte eine Weile, bis ich eins und eins zusammenzählte. Ich begriff schließlich, dass ich Filzläuse hatte, als ich in meinen Unterhosen etwas fand, das wie Brotkrumen aussah. Bei näherer Untersuchung stellten sich die Krumen als lebendige Krabbler heraus. Da müssen Hunderte von ihnen gewesen sein; absolut ekelerregend, mir vorzustellen, dass sie auf mir lebten und sich von mir ernährten. Es war mitten in der Nacht, als ich mir zusammenreimte, was da los war. Ich weckte meine Eltern auf und informierte sie, dass ich in die Notaufnahme fahren würde. Nicht eine Sekunde würde ich länger warten, um mich dorthin zu begeben, denn damals gab es noch keine Apotheken, die rund um die Uhr geöffnet hatten.

Meine Mom hatte schreckliche Angst, dass ich die Filzläuse über das ganze Haus verbreiten würde. „Ernsthaft, Stan“, fragte sie, „mit was für Kötern schläfst du eigentlich?“

Sobald ich meinen Ekel vor den Kreaturen ein wenig im Griff hatte, fand ich es eigentlich ziemlich witzig, denn der Umstand, dass meine Eltern sich total ekelten und von meinem Lebensstil abgestoßen fühlten, war ein großer Quell der Freude für mich. Ich war zwar nicht in der Lage, sie dazu zu bewegen, mich zu unterstützen, aber, hey, immerhin brachte ich sie zum Ausflippen.

Im April 1971 trat die Band ein weiteres Mal auf, oben in den Catskills, ungefähr zwei Stunden nördlich von New York City. Dieses Mal hatten wir einen neuen Namen am Start: Wicked Lester. Wir spielten nun weniger Coverversionen und mehr Songs, die Gene und ich geschrieben hatten.

Zu Hause in Queens schaute ich eines Tages im Middle Earth vorbei. Der Besitzer zog ein Stück Papier aus der Kasse und drückte es mir in die Hand. „Ein Typ aus den Electric Lady Studios war hier und hat mir seine Nummer dagelassen“, weihte er mich ein. Die Electric Lady Studios waren jenes Aufnahmestudio, das Jimi Hendrix in der 8th Street in Manhattan hatte einrichten lassen. Für Musiker bedeutete es dasselbe wie Israel für einen Juden. Es handelte sich um heiligen Boden.

Ich untersuchte den Zettel, auf dem der Name „Ron“ und eine Telefonnummer gekritzelt waren. Ich konnte es nicht fassen, dass sie diese Nummer für mich organisiert hatten.

Ich wählte sie und fragte: „Kann ich bitte mit Ron sprechen?“

„Welchen Ron? Shimon Ron oder Ron Johnsen?“

Nun, Ron Johnsen hörte sich irgendwie vielversprechender an.

„Ron Johnsen, bitte.“

„Bleiben Sie kurz dran.“

Ron Johnsen war einer der Produzenten, die dort arbeiteten. Ich wurde mit seiner Sekretärin verbunden und hinterließ eine Nachricht bezüglich meiner Band und seiner Telefonnummer, die er im Middle Earth hinterlegt hatte.

Ich versuchte es am nächsten Tag gleich noch einmal, nur war Ron wieder nicht verfügbar. Ich rief immer wieder an, Tag für Tag, bis ich seiner Sekretärin schließlich mitteilte: „Sagen Sie ihm, dass Leute wie er daran Schuld sind, dass Bands wie meine sich auflösen.“ Das brachte ihn schließlich doch noch an den Hörer. Er willigte sogar ein, uns in unserem Proberaum zu besuchen, um sich unsere Musik anzuhören.

Erst später fand ich heraus, dass der Typ, der seine Nummer im Middle Earth hinterlassen hatte, der andere Ron gewesen war, Shimon Ron, der als Hausmeister im Electric Lady arbeitete.

Als Ron uns besuchte, gefiel ihm, was er zu hören bekam. „Ihr Jungs könntet so groß wie Three Dog Night werden“, meinte er. In diesem Vergleich lag vielleicht sogar ein winziges Körnchen Wahrheit. Wir spielten ein wildes Durcheinander von Stilen. Also kann es gut sein, dass einer unserer Songs an Three Dog Night erinnerte. Der nächste hörte sich dann dafür wieder komplett anders an. Um ehrlich zu sein, Wicked Lester verfolgten keine bestimmte Stilrichtung und hatten keinen Fokus.

Trotzdem bot uns Ron Johnsen an, uns aufzunehmen und im Anschluss Tapes an Plattenfirmen zu verschicken, um uns einen Vertrag zu beschaffen.

Er legte uns etwas vor, das „Produzenten-Vereinbarung“ hieß. Ich nahm den Vertragsentwurf mit zu Matt Raels Dad. Der war Geschäftsmann, und ich vertraute der Familie. „Eine total einseitige Geschichte“, informierte mich Matts Dad. „Und nicht zu euren Gunsten.“

Wir unterschrieben den Wisch trotzdem. Das war unsere Chance, einen Plattenvertrag zu ergattern, in den Electric Lady Studios aufzunehmen und ein Album zu veröffentlichen. Das wollten wir nicht in den Sand setzen.

Sobald wir den Vertrag mit Ron Johnsen unterzeichnet hatten und damit begannen, unsere Songs im Studio aufzunehmen, machte er sich für uns auf die Suche nach Möglichkeiten, uns bei Plattenfirmen vorzustellen. Wir spielten zum Beispiel bei einer neu gegründeten Firma namens Metromedia vor.

Nachher kam Ron zu uns und sagte: „Sie passen.“ Wir fingen alle zu grinsen an und sagten: „Yeah! Sie passen zu uns!“

„Nein“, sagte Ron trocken, „sie passen. Ihr seid nicht ihr Ding.“

Schließlich setzte Epic Records uns davon in Kenntnis, dass sie uns unter einer Bedingung einen Vertrag anbieten würden: Wir müssten Steve Coronel aus der Band werfen. Es war das erste Mal, bei dem es darum ging, ob uns Freundschaft oder Erfolg wichtiger wäre. Wir entschieden uns gegen Steve. Gene musste es ihm sagen.

Das Label ersetzte Steve durch einen Session-Musiker namens Ron Leejack. Und so gab uns Epic einen Plattenvertrag. Wir würden tatsächlich eine Platte herausbringen! Auf einem Major-Label! Wir erhielten sogar einen bescheidenen Vorschuss. Ich kaufte meinen Eltern von meinem Anteil eine kombinierte Wasch- und Trockenmaschine. Immerhin wohnte ich immer noch bei ihnen zu Hause.

Ron fädelte es ein, dass wir billig aufnehmen durften. Er nutzte einfach die Zeit, in der keine andere Gruppe im Studio war. Wenn die Session einer Band zu Mittag vorüber war und die nächste erst am späteren Nachmittag eintrudelte, gingen wir ans Werk und arbeiteten an unserer Platte. Oft warteten wir bis spät in der Nacht und hofften, dass eine Gruppe es für heute gut sein lassen würde, damit wir schließlich um eins oder zwei noch etwas aufnehmen konnten. Oft war es reine Glücksache – manchmal lungerten wir den ganzen Tag nur herum, bevor wir dann doch noch die Möglichkeit bekamen, ein paar Stunden zu arbeiten.

Während einer dieser Sessions sah ich zum ersten Mal Kokain. Eine extrem bekannte Band nahm eines Abends im Studio A auf, während wir in Studio B waren. Ich schaffte es, zu ihnen ins Studio zu dürfen, um ihnen ein wenig bei der Arbeit zuzuschauen. Irgendwann sagte einer von ihnen: „Ich brauche etwas Frischluft.“ Der Typ holte ein Fläschchen hervor, leerte etwas Pulver heraus und zog es sich in die Nase.

Später kam derselbe Typ zu uns ins Studio rüber, um sich etwas anzuhören, zu dem wir gerade den Gesang aufgenommen hatten. Da seine Band für ihre unglaublichen Gesangsharmonien bekannt war, erhoffte ich mir den einen oder anderen Rat von ihm, da unsere Harmonien zu diesem Song doch noch eher fragwürdig waren und klar war, dass wir noch daran zu arbeiten hätten. Er hatte immer noch sein Fläschchen bei sich. Er hörte sich den Track an und lobte: „Mann, das ist richtig gut.“ Mein Respekt vor ihm litt an diesem Abend ein wenig, da ich wusste, dass es nicht gut war. Vielleicht sprach ja das Koks aus ihm. Ich weiß es nicht.

Dann kam einer seiner Bandkameraden zur Tür herein und erkundigte sich, ob wir ihm vielleicht ein Date verschaffen könnten. Ich konnte es nicht fassen. Das waren große Stars – und einer von ihnen fragte, ob wir ihm ein Rendezvous organisieren würden, und der andere hatte ein Fläschchen mit Kokain dabei und konnte nicht erkennen, dass ein Song Mist war. Sah so das Leben eines Rockstars aus?

Als wir erst einmal begonnen hatten, zumindest sporadisch aufzunehmen, mussten wir nicht mehr so oft in unseren Proberaum, um zu spielen. Eines Nachmittags verabredeten wir uns aber trotzdem dort.

„Wo ist der Mikrofonständer?“, fragte ich. „Wo sind die Verstärker? Wo sind die Drums? Verdammte Scheiße, alles ist weg!“

Wir wussten, dass manchmal Leute ins Haus kamen. Da war sogar mal ein hünenhafter Geistesgestörter mit verrückten Augen gewesen, der ein grünes Krankenhaus-Nachthemd trug und eines Abends unsere Probe beehrte, nachdem er barfuß aus einer örtlichen Anstalt geflohen war.

Aber wir hatten nicht erwartet, dass jemand die Metallabdeckung über dem Fenster, das zur Feuerleiter führte, abmachen würde. Das Fenster war mit einer Stahlblechplatte und einem Vorhängeschloss verriegelt. Dachten wir uns zumindest.

Ich weiß nicht, was in diesem Augenblick durch die Köpfe der anderen ging, aber alles, was ich denken konnte, war:

Okay, wie überstehen wir das jetzt nur?

War das ein Rückschlag? Logisch. Allerdings verlor ich nie das größere Ganze aus den Augen.

Wir brauchen den Kram ja gar nicht – wir sind in den Electric Lady Studios und nehmen eine LP auf! Wir haben echt Glück!

Wir konnten uns Gitarren ausleihen, wenn wir welche brauchten. Als Drums konnten Kartons herhalten. Außerdem mussten wir im Moment gar nicht proben. Schließlich waren wir die ganze Zeit im Studio und verwendeten das Hausequipment. Ich brauchte trotzdem unbedingt mehr Geld, um all die Sachen ersetzen zu können.

Gene und ich wollten uns außerdem eine eigene PA-Anlage zulegen, um unsere Live-Auftritte klanglich nach unseren Vorstellungen gestalten zu können. Also fuhr ich mehr Schichten mit dem Taxi. Mit am liebsten fuhr ich Leute zum Madison Square Garden, der legendären Arena inmitten Manhattans. Als es mit Wicked Lester begonnen hatte abwärts zu gehen, gab Elvis dort im Juni 1972 vier Konzerte nacheinander. An einem dieser Abende stieg eine kleine Gruppe zu mir ins Taxi.

 

„Wohin?“, erkundigte ich mich.

„Zum Madison Square Garden“, antworteten sie. Ich lächelte.

Und ich werde nie vergessen, wie ich an diesem Abend am Bürgersteig vor dem Madison Square Garden stehenblieb. Inmitten all des Durcheinanders schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, als die Leute aus dem Taxi ausstiegen, um den King in seiner unvergleichlichen Pracht zu bewundern:

Eines Tages werden die Leute Taxis nehmen, um mich hier zu sehen.


Wicked Lesters Vereinbarung mit ihrem Manager Lew Linet aus dem Jahr 1972.


Im Spätsommer 1972 stellten wir die Wicked-Lester-Platte fertig. Wir hatten einige unserer Eigenkompositionen, aber auch Songs, die Ron von Musikverlagen angeschleppt hatte, aufgenommen. Auf ein paar Songs verwendeten wir ein Wah-Wah-Pedal, auf anderen wiederum waren Blasinstrumente zu hören. Wir hatten gemacht, was uns angesagt worden war – und das Resultat war zum Weghören.

Sowohl Gene als auch ich hassten das Album. Wir, also nur wir beide, setzten uns zusammen und entschieden, dass wir es nicht veröffentlichen wollten. Mehr noch, wir wollten nicht mehr mit dieser Band zusammen spielen. Es funktionierte nicht so, wie wir uns das erhofft hatten. So beschlossen wir, das Album abzublasen und uns von den anderen Typen zu trennen. Das war viel leichter gesagt als getan. Tony, unser Schlagzeuger, sagte, dass er den Plattenvertrag erfüllen wollte. Also verließen Gene und ich die Band.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir keine Band, keine Plattenfirma und nicht einmal eine Ausrüstung. Was uns jedoch ursprünglich dazu bewogen hatte, zusammenzuarbeiten, machte sich nun wieder bemerkbar, da wir beide in gleicher Weise auf Rückschläge reagierten.

Keine Band, kein Label, keine Instrumente?

Alles kein Problem.

Erst einmal benötigten Gene und ich einen neuen Proberaum. Wir hatten nicht vor, uns eine neue Ausrüstung zuzulegen, nur damit sie dann wieder wer stehlen würde. Einen geeigneten Ort namens Jams fanden wir in der 23rd Street, wo wir uns zuerst stundenweise in einem der oberen Stockwerke einmieteten – eine Ausrüstung, die wir dort hätten einstellen können, hatten wir sowieso nicht. Wir nahmen also bloß unsere Akustikgitarren dorthin mit, was anfangs auch kein Nachteil war. Bald schon konnten wir allerdings einen Raum haben, der ein paar Stockwerke darunter lag und jeweils für einen Monat zur Verfügung stehen würde. Wir schlugen gleich zu.

Unser neuer Proberaum hatte wieder Stahlblech vor den Fenstern. Es war ein großer, leerer Raum, den wir mit Eierkartons auskleideten, weil wir dachten, dass wir ihn so schalldicht bekämen. Gene brachte eine Matratze mit, auf der wir gegebenenfalls hätten übernachten können. Außerdem hatten wir noch ein paar klapprige Stühle. Der allgemeine Eindruck war ein wenig klaustrophobisch, was aber zum Teil auch damit zu tun hatte, dass wir so viel Zeit dort verbrachten.

Gene und ich diskutierten die Richtung, in die wir gehen wollten. Es wurde ziemlich bald klar, dass wir ein völlig neues Ungetüm erschaffen wollten, etwas, das sowohl optisch als auch klanglich etwas hermachte. In vielerlei Hinsicht sollte es einfach die Antithese zu Wicked Lester sein. Diese Band hatte keine klare musikalische Ausrichtung gehabt, und wir wollten dieses Mal fokussierter ans Werk gehen. Was den Look betraf, so sahen Wicked Lester aus, als bestünde die Band aus ein paar wahllos zusammengewürfelten Typen, die man auch an jeder beliebigen Bushaltestelle hätte treffen können.

Wir wussten, dass wir eine Art Kernaussage bräuchten, um ein gewisses Wir-Gefühl erzeugen zu können. Ich spielte Gene S. F. Sorrow, ein Konzeptalbum der Pretty Things, vor, außerdem Platten von The Move und Slade. Mein erster Gedanke war, mit zwei Schlagzeugern, zwei Bassisten und zwei Sängern zu arbeiten. So eine Art Rock-Orchester, nicht unähnlich dem, was Roy Wood von The Move anstrebte, nachdem er das Electric Light Orchestra verließ, um Wizzard zu gründen und seine eigene Wand aus Lärm zu erzeugen. Außerdem sollte es kompakt bleiben. So sehr ich zwar Led Zeppelin liebte, ich konnte mir nicht vorstellen, jemals in einer Jam-Band zu spielen. Wir waren nicht in der Lage, einen Song über 15 Minuten in die Länge zu ziehen. Für so etwas benötigte man außerordentliche musikalische Fähigkeiten, über die wir einfach nicht verfügten. Es wäre sinnlos und langweilig für uns gewesen, unser Material über ein gewisses Maß hinaus aufzublasen.

Wir verbrachten viel Zeit damit, einander gegenüber auf den alten Holzstühlen zu sitzen, wobei wir unsere Gitarren stets im Anschlag hatten. Ein paar der ersten Songs, an denen wir arbeiteten, waren „100,000 Years“, „Deuce“ und „Strutter“. Die Akkorde zu „Strutter“ stammten noch von Genes altem Song „Stanley the Parrot“. Obwohl der ursprüngliche Song ein wenig unkonventionell gewesen war, hatte mir doch seine Akkordfolge stets sehr gut gefallen. Wir versuchten ihn also in der Art der Stones umzugestalten. Der Text flog mir einfach so zu:

She wears her satins like a lady

She gets her way just like a child

You take her home and she says, „Maybe baby“

She takes you down and drives you wild.

Die ganze Glam-Szene stellte den Style in den Mittelpunkt und die Girls sahen fantastisch aus. Natürlich tat ich mich ein wenig schwer, Anschluss zu finden, da ich meine ganze Zeit damit verbrachte, Taxi zu fahren und zu proben – da gab es nicht oft die Gelegenheit, in Clubs zu gehen. Ich hatte weiß Gott keine Freundin in Fischnetzstrümpfen oder Satin-Slips. Aber ich sah hippe Frauen, die durchs Village stolzierten, sowie andere Bands mit ihren Freundinnen. Mir ging es darum, ein Ideal zu besingen. Ich zelebrierte etwas, zu dem mir der Zugang verschlossen war. Aber egal, Brian Wilson hatte ja auch nie auf einem Surfbrett gestanden.

Meine Songs verließen sich stark auf ihre Akkorde, weil Riffs nicht zu meinen Stärken gehörten. Deshalb ergänzte Gene oft ein paar meiner Songs mit Riffs, da er besser darin war, einzelne Noten und Läufe einzubauen. Bei „Black Diamond“ etwa fügte er das Riff im Hintergrund hinzu, das gegen die Akkorde läuft. Die Lyrics zu „Black Diamond“ waren ein weiteres Beispiel für einen romantisierenden Einblick in das städtische Leben und Treiben – von Bordsteinschwalben hatte ich ungefähr so viel Ahnung wie von Liliputanern.

Gene und ich inspirierten einander; wir ergänzten unsere Songs gegenseitig sowohl textlich als auch musikalisch. Ich weiß noch, dass mir die Lyrics zu „100,000 Years“ auf der 23rd Street einfielen: Sorry to have taken so long / Must have been a bitch while I was gone. Bei „Deuce“ stammte der Einstieg mit der Gitarre am Anfang und nach dem Solo von mir. Auch wenn nicht bei jedem Song unsere beiden Namen als Songwriter angegeben waren, so hinterließen wir doch unsere Fingerabdrücke auf den Songs des jeweils anderen.

Gene und ich spielten uns auch gegenseitig Songtitel zu. Ich hatte damit begonnen, ein Stück namens „Christine Sixteen“ zu schreiben, aber Gene war es, der ihn sich schließlich aneignete und einen echt guten Song daraus machte. „Black Diamond“ war wiederum ein Titel, der zwar ihm eingefallen war, aber schließlich einer meiner Songs wurde. Es gab keine diesbezüglichen Animositäten unter uns – nur das Gefühl, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. Beide hatten wir noch ein paar ältere Songs, die etwas überarbeitet werden mussten, um in unser neues Repertoire zu passen. „She“ war eine alte Nummer von Gene, wohingegen „Firehouse“ und „Let Me Know“ Überbleibsel meinerseits waren.