Hinter der Maske - Die Autobiografie

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Ich weinte und fühlte mich schuldig. „Ab morgen werde ich mich bessern“, gelobte ich.

Zweifellos ein guter Vorsatz. Dann ging ich am nächsten Tag in die Schule und war immer noch taub, worauf ich mich bald wieder wie ein Loser fühlte.

Ich wusste, dass die Dinge einen üblen Verlauf nehmen würden, wenn ich nichts unternahm. Sollte das bedeuten, dass ich scheitern würde? Dass ich mich umringen würde? Ich war mir nicht sicher. In diesem Unglück zu leben, eine Lüge zu leben, andere Menschen darunter leiden zu lassen – ich wusste, dass das alles falsch war. Ich wusste nicht, wo es enden würde, aber ich wusste, dass es schlecht enden würde. Es war eine schreckliche Lage, die mich vor allem in der Nacht sehr beschäftigte. Zusätzlich zu den Albträumen und dem Schlafwandeln wurde ich nun auch noch ein Hypochonder: Ich dachte, ich würde abkratzen. Ich lag nachts wach und hatte Angst einzuschlafen, weil ich befürchtete, nicht mehr aufzuwachen. Irgendwann döste ich dann doch ein, da ich meine Augen nicht mehr offenhalten konnte. Das wiederholte sich jede Nacht.

Du stirbst. Du steckst in der Scheiße.

Dann – sieh da! – bekam ich mein erstes Transistorradio. Es eröffnete mir den Zugang in ein ganz neue Welt, in die ich gehen konnte, wann immer ich den Ohrhörer in mein funktionierendes linkes Ohr steckte. Musik gewährte mir wieder einmal Zuflucht und bescherte mir zumindest ein flüchtiges Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.

Und im Februar 1964, ein paar Wochen nach meinem zwölften Geburtstag, sah ich die Beatles in der Ed Sullivan Show. Als ich ihren Auftritt verfolgte, durchfuhr es mich: Das ist meine Fahrkarte in die Freiheit. Hier war das Transportmittel, das mich aus dem Unglück führen und mit dessen Hilfe ich berühmt, bewundert und beneidet werden würde.

Und ohne jegliche rationale Grundlage war ich überzeugt: Das kann ich auch. Ich kann in dieselbe Kerbe schlagen. Ich hatte noch nie zuvor Gitarre gespielt und schon gar keinen Song geschrieben. Und doch war dies mein Ticket in die Freiheit.

Ich wusste es einfach.

Ich fing sofort an, mir die Haare wachsen zu lassen, da ich eine Pilzkopffrisur wie die Beatles anstrebte. Natürlich tat ich dies nicht nur, weil mir der Schnitt gefiel, sondern auch, um mein Stummelohr auf der rechten Seite meines Kopfes zu verbergen. Irgendwie ging dieses Motiv völlig an meinen Eltern vorüber. Sie gingen mir wegen meiner Haare auf die Nerven und drohten mir, sie mir abzuschneiden.

An einem Nachmittag, kurz nachdem ich die Beatles bei Ed Sullivan gesehen hatte, traf ich einen Jungen aus meiner Nachbarschaft namens Matt Rael. Er erzählte mir, dass er eine E-Gitarre besäße und Musik machte. Er war eine Klasse unter mir, aber ich war trotzdem sehr beeindruckt. Ich brauchte nun auch eine E-Gitarre, damit ich ebenfalls Musik machen konnte. Und bald hatte ich auch eine Idee, um an so ein Instrument ranzukommen: Die nächsten elf Monate, während die British Invasion nicht nur die Beatles, sondern auch die Dave Clark Five, die Kinks, die Rolling Stones, die Searchers, Manfred Mann, Gerry and the Pacemakers, die Animals und viele andere zu uns brachte, lag ich meinen Eltern in den Ohren, mir zu meinem 13. Geburtstag eine E-Gitarre zu schenken.

„Das ist mein größter Wunsch“, erklärte ich ihnen.


Ich sollte noch herausfinden, dass ich besser geeignet war, ein eigenes Team zu haben, als nur in einem zu spielen.


Meine Schwester (14) und ich (12) stehen vor unserem Wohnhaus in der 75th Road in Queens … und sind angezogen, als wollten wir bei den Sopranos mitspielen.


Am Morgen des 20. Januar 1965 erwachte ich voll Aufregung. Endlich meine E-Gitarre! „Sieh unter dem Bett nach“, sagte meine Mom. Ich schaute erwartungsvoll unters Bett. Dort sah ich einen Karton, der, von der Form her, etwas zu enthalten schien, das wie ein akustische Gitarre aussah.

In mir stieg Enttäuschung hoch.

Ich zog den Karton unter dem Bett hervor. Ohne jeden Zweifel, es war eine gebrauchte japanische Akustikgitarre, die mit Nylonsaiten bespannt und mit ein paar notdürftig geflickten Rissen übersät war. Ich war am Boden zerstört und schob die Kiste samt Gitarre zurück unters Bett. Ich wollte nicht darauf spielen.

Meine Eltern entstammten Familien, denen es sinnvoller erschien, Kinder am Boden zu halten, als ihnen Hochgefühle zu verschaffen. Das war ihr Erziehungsansatz. Sie schenkten mir aus Prinzip nicht das, was ich mir gewünscht hatte, obwohl es für sie nicht schwieriger gewesen wäre. Ich glaube, sie hatten verhindern wollen, dass mir die Erfüllung meines Wunsches zu Kopfe stieg.

Nachdem ich die Gitarre verschmäht hatte, begannen sie, mir Schuldgefühle einzureden – wobei sie ihre eigene Rolle in dieser riesengroßen Enttäuschung niemals anerkannt hätten.

Mein Freund von den Pfadfindern, Harold Schiff, bekam ein paar Wochen später eine E-Gitarre – eine hellblaue Fender Mustang mitsamt einem Perlmutt-Pickguard. Er gründete dann sofort eine Band. Und er wollte mich als Sänger!

Harolds Freunde Eric London und Jay Singer, die ich ein wenig vom Glee-Club und den Pfadfindern kannte, stiegen auch ein. Eric spielte Kontrabass im Schulorchester und zupfte nun dasselbe Instrument auch bei uns. Jay, der Klavierunterricht bekam, hatte seit Kurzem ein elektrisches Keyboard, eine Farfisa-Orgel. Harold holte noch einen weiteren Jungen dazu, den er aus dem Hebräischunterricht kannte. Er hieß Arvin Mirow und sollte Schlagzeug spielen. Auch ihn kannte ich aus dem Glee-Club. Dann schlug ich vor, dass wir noch Matt Rael, der Tür an Tür mit Eric wohnte, dazuholen sollten. Er wurde unser Leadgitarrist. Matt und ich waren die einzigen Jungs aus dieser Truppe, deren Eltern nicht irgendwelche Doktoren waren.

Anders als wir wohnten die Familien von Harold und Matt nicht in Apartments, sondern hatte eigene Häuser, die auch unterkellert waren. Matts älterer Bruder Jon hatte ebenfalls eine Band – seine Eltern waren sehr tolerant gegenüber dem Krach. Auch Harolds Mom war Lärm egal. Außerdem konnten wir den Keller der Schiffs alleine benutzen, sodass wir uns dort zuerst einquartierten. Der Kellerraum war fein eingerichtet – die Wände waren mit hübschen Holzpaneelen ausgekleidet, der Boden war mit Linoleum ausgelegt, und es gab sogar ein Fenster. Außerdem führte eine Tür hinaus zum Hinterhof.

Harold und Matt steckten ihre Gitarren im selben Verstärker an, und meine Stimme lief über den Amp, der auch Jay Singers Keyboard abnahm. Ich schlug, wenn ich sang, auch gegen ein Tamburin – etwas, was man oft im Fernsehen sah. Eric musste nur den Bass so laut wie möglich zupfen. Wir versuchten uns an Songs wie „Satisfaction“ von den Stones und anderen Songs von Bands der British Invasion, wie etwa den Kinks und den Yardbirds. Um größtmöglichen Nutzen aus Jays Farfisa zu ziehen, lernten wir auch „Liar, Liar“ von den Castaways.

Ich liebte es von Anfang an. Obwohl alle Kids damals vage davon träumten, Rockmusiker zu sein – die Beatles und die Stones standen Pate für diesen Wunsch –, so hatten doch ihre Eltern ihren Lebensweg bereits vorausgeplant. Diese Kinder sollten Zahn- oder Augenärzte werden, so wie ihre Eltern auch. Eine Band war nicht mehr als ein Jux für sie.

Aber ich wurde nicht müde zu betonen: „Ich werde ein Rockstar!“

Matt Rael und ich begannen, regelmäßig im Haus seiner Familie abzuhängen. Wir übten teils selbst, teils waren wir bei den Proben der Band seines Bruders Jon dabei. Matt und ich machten so oft Musik bei ihm zu Hause, dass seine Mom einen Deal mit uns aushandelte: Wenn wir ein altes Bücherregal, das sie in Upstate New York gekauft hatte, etwas aufpolierten, dürften auch wir ihren Keller offiziell als Proberaum benutzen. Wir ließen uns nicht zweimal bitten, kratzten die alte weiße Farbe von dem Möbelstück und übten weiter in ihrem Keller.

Matts Eltern waren so etwas wie Ur-Hippies. Seine Mom hatte sogar auf den ersten Aufnahmen der Weavers mitgesungen und war mit Pete Seeger befreundet. Sie hatte auch auf Woody Guthries Kinder aufgepasst. Zur Zeit, als ich Matts Eltern kennenlernte, buchte seine Mom immer noch prominente Folk- und Bluesmusiker für Musikfeste in Manhattan, darunter Leute wie Sonny Terry, Brownie McGhee und Leadbelly. Und natürlich auch Pete Seeger.

Ich hörte wie besessen Radio und kannte die aktuellen Hits, aber bei Matt kam ich in Kontakt mit der unglaublichen Folksammlung seiner Eltern. Sie hatten tonnenweise Country-Blues und ganz alte, traditionelle Sachen sowie zeitgenössischen Folk, etwa von Bob Dylan, Eric Andersen, Tom Rush, Phil Ochs, Buffy St. Marie und Judy Collins. Schließlich kramte ich meine Akustikgitarre doch wieder unter dem Bett hervor und Matt brachte mir ein paar Akkorde bei. Dann nahm ich auch ein paar Stunden bei einer Frau, die in einer Lokalzeitung inseriert hatte. Der erste Song, den ich spielen konnte, hieß „Down in the Valley“. Bald schon hatte ich eine Mundharmonika um den Hals und versuchte, die Folkmusic, die ich bei Matt zu Hause gehört hatte, zu imitieren.

Auch die Band probte weiterhin, und im Sommer 1965 hatten wir unseren ersten Auftritt. In diesem Jahr wurde ein neuer Bürgermeister gewählt, und John Lindsays Wahlkampfteam hatte ein Büro bei uns in der Nachbarschaft eröffnet. Es war in einem Laden untergebracht und war nichts außer einem hell erleuchteten Raum.

 

Harold half freiwillig im Wahlkampf aus und teilte Flugzettel aus – ich glaube, er hielt das für eine reife und coole Tätigkeit.

Eines Tages sprach einer der Typen, der das Wahlkampfbüro leitete, davon, ein Fest zu veranstalten. Er erwähnte auch, dass man dafür ein Unterhaltungsprogramm auf die Beine stellen müsste. Obwohl er sich dabei nicht unbedingt auf Harold bezog, machte dieser sich nun bemerkbar und verkündete: „Ähm, ich hätte da eine Band.“

Sie luden uns auch tatsächlich ein, bei dieser Veranstaltung aufzutreten. Ich nehme an, dass es sich für die Demokraten ganz gut machte, ein paar Kids aus der Nachbarschaft spielen zu lassen. Wir bekamen keine Gage und es kamen auch nicht viele Leute vorbei, aber es war ein Gig. Mein erster Gig!

Hin und wieder, wenn wir probten, brachte mir Harold Barré-Akkorde auf seiner Fender Mustang bei. Die Grundlagen waren ziemlich einfach, aber wenn ich gewusst hätte, wie lange ich brauchen würde, um ein einigermaßen annehmbarer Gitarrist zu werden, hätte ich es wohl gleich wieder sein lassen. Damals allerdings fühlte ich mich wie getrieben. Ein bisschen Krach im Keller zu machen war ganz cool, aber ich wollte meine eigene E-Gitarre haben und Nägel mit Köpfen machen. Ich begann, so oft wie möglich mit der U-Bahn nach Manhattan zu fahren, um die Musikläden in der 48th Street nach erschwinglichen Gitarren zu durchstöbern.

Diese Ausflüge wurden zu so etwas wie Pilgerreisen für mich. Zwischen der Sixth und Seventh Avenue säumten kleine Instrumentengeschäfte beide Seiten der 48th Street. Und einen Block weiter, an der der Ecke 49th Street und Seventh Avenue, gab es einen Sandwich-Laden namens Blimpies. Dort holte ich mir ein Sandwich oder bei Orange Julius einen Texas-Chili-Dog, der nur so vor zähflüssigem Käse triefte. Dann machte ich mich auf die Suche nach Gitarren. Damals durfte man gar nichts anfassen. Wenn man ein Instrument spielen wollte, erkundigten sich die Angestellten erst einmal, ob man vorhatte, etwas zu kaufen. Wenn man nicht so aussah – wie etwa in meinem Fall –, dann forderten sie einen auf: „Zeig mir, ob du Geld dabei hast.“ Deswegen ging es bei diesen Trips eigentlich nicht darum, auf Instrumenten zu musizieren, sondern darum, die Ausrüstung einer Rock-’n’-Roll-Band zu bestaunen: Schlagzeug, Gitarren, Bässe. Und manchmal erspähte man sogar einen Musiker, den man aus dem Fernsehen oder einem der Magazine, die ich anfing zu sammeln, kannte. Ich war dann wie im Himmel.

Als die Junior-High voranschritt, begann ich die Schule zu schwänzen, um immer öfter die 48th Street anzusteuern. Ich kam dann schon früh am Morgen an, noch bevor die Läden geöffnet hatten – deshalb ging ich, der jüdische Junge, dann schnurstracks in die St. Patrick’s Cathedral an der Ecke 49th Street und Fifth Avenue, um dort in einer der Sitzreihen zu warten. Ich fand auch einen Schallplattenladen, der nur einen Block von der Kirche entfernt lag und Record Hunter hieß. Dort konnte man sich sogar Platten anhören, denn es gab eine Reihe von Plattenspielern und Kopfhörern. Das verstand ich dann unter einem perfekten Tag – zuerst in der Kirche warten, bis der Plattenladen öffnete, dann Musik hören, einen Chili-Dog mampfen und Gitarren bewundern.

Irgendwann entdeckte ich, dass ich – weniger weit von zu Hause entfernt ­– mit der Buslinie Q44 bis zur letzten Haltestelle in Jamaica, Queens, fahren konnte, wo sich ein riesiges, zweistöckiges Schallplattengeschäft namens Triboro Records befand. Dort gab es Tausende LPs, und da es sich um eine vorwiegend von Schwarzen bewohnte Gegend handelte, hatte ich die Gelegenheit, andere Dinge kennenzulernen als die, die ich aus meiner Nachbarschaft kannte: James Brown, Joe Tex und Otis Redding etwa, aber auch schwarze Comedians wie Redd Foxx, Pigmeat Markham und Moms Mabley. Ich hatte nicht die Kohle dabei, um mir etwas zu kaufen, aber einfach nur die Plattencover zu bestaunen und in Händen zu halten, reichte oft schon aus, damit es sich für mich auszahlte.

Nachdem ich ein Jahr lang mein Geld angespart hatte und zum 14. Geburtstag noch was dazubekam, fuhr ich eines Tages wieder in die 48th Street und spazierte in einen Laden namens Manny’s. Den Blick auf eine Gitarre gerichtet, fragte ich: „Darf ich die mal ausprobieren, bitte?“

Als Antwort erhielt ich sogleich die Gegenfrage: „Hast du denn vor, heute was zu kaufen?“

„Ja.“

„Dann zeig mir mal bitte dein Geld.“

Ich kramte mein ganzes Geld hervor, und der Mann hinter der Theke reichte mir die Gitarre, für die ich mich entschieden hatte: eine Strato­caster-Kopie von Vox mit zwei Tonabnehmern. Es war jetzt nicht die Hammer-Gitarre, aber ich konnte sie mir leisten. Sie war billiger, da sie nicht ganz so groß wie eine herkömmliche Gitarre war. Außerdem wusste ich nichts über Gitarren und konnte kaum spielen.

Aber nun hatte ich wirklich meine Fahrkarte in die Freiheit.


Sobald ich meine E-Gitarre hatte, begann ich damit, Songs zu schreiben. Ich versuchte es zumindest. Irgendwie schien mir das der nächste natürliche Schritt zu sein – ein Instrument zu spielen und zu komponieren ging Hand in Hand. Jedes Mal, wenn ich Songs hörte, die mir gefielen, versuchte ich sie nachzuahmen. So war einer meiner ersten Versuche etwa eine Hommage an „The Kids Are Alright“ von The Who. Ich studierte auch die Song-Strukturen der Komponisten aus dem Brill Building wie etwa Barry Mann und Cynthia Weil, Gerry Coffin und Carole King sowie Jeff Barry und Ellie Greenwich. Das waren Songs mit Strophe, Refrain, Bridges und großartigen Hooks. Songs, die so eingängig waren, dass man sie bereits auswendig kannte, wenn der Refrain zum zweiten Mal einsetzte. Es ging um Melodien und darum, eine Geschichte zu erzählen.

Harold Schiffs Kellerband hatte sich aufgelöst, aber Matt Rael und ich jammten regelmäßig, seitdem ich meine Gitarre hatte. Manchmal schloss sich uns auch noch ein Junge namens Neal Teeman an den Drums an. Wir nannten uns Uncle Joe und nahmen fortlaufend neue Songs in unser Repertoire auf. Matt hatte allerdings seine eigenen Probleme zu bewältigen, da ihn seine Eltern mittlerweile in eine Privatschule in Manhattan schickten.

Meine Haare waren nun richtig lang, aber auch sehr lockig. Damals hasste ich die Locken, da glatte Haare angesagt waren. Deshalb kaufte ich mir im nahe gelegenen Schwarzen-Wohngebiet ein Haarglättungsmittel namens Perma-Strate. Es roch nach Ammoniak und anderen Chemikalien und verätzte einem ordentlich die Kopfhaut. Man musste Perma-Strate auf die Haare auftragen, sie dann zurückkämmen, das Mittelchen einwirken lassen und die Haarpracht dann wieder nach vorne kämmen. Gelegentlich ließ ich das Zeug zu lange drauf, was zur Folge hatte, dass meine Kopfhaut blutete. Manchmal bügelte ich meine Haare auch. Alles nur, damit die Haare glatt waren. Die Mutter eines anderen Jungen, mit dem ich mich anfreundete, David Un, nannte mich „Prinz Eisenherz“ wegen meines Looks. Mein Dad hingegen hatte inzwischen angefangen, mich „Stanley Fettarsch“ zu nennen.

Ich hatte David Un in der Parsons Junior-High kennengelernt. Seine Familie war wie Matts Eltern fürsorglich und künstlerisch interessiert. Sein Dad war Maler und seine Mutter war Lehrerin. So wie ich hatte David richtig lange Haare. Manchmal, wenn ich die Schule schwänzte und nach Manhattan fuhr, begleitete er mich. Er stand auch total auf Musik. Und so begannen wir, so gut wir konnten, uns in die aufkommende Gegenkultur zu stürzen. Eines Tages schlenderten wir die Hauptstraße unseres Wohngebiets hinunter und bemerkten einen neuen Shop, der Middle Earth hieß. Es war ein Kifferladen, in dem Wasserpfeifen, Bongs aus Glas und alle möglichen anderen Drogen-Utensilien über den Ladentisch gingen. Die Leute, die dort arbeiteten, hatten auch lange Haare.

Vielleicht sind sie ja wie ich?

Ich passte nicht zu normalen Leuten, aber hier, in meiner Nachbarschaft, gab es eine Alternative. Ich begann, dort abzuhängen und mich mit den Besitzern und ein paar der Kunden zu unterhalten. Es ging nicht um Drogen, obwohl ich anfing, hin und wieder mal Pot zu rauchen. Es ging mir um Akzeptanz. Auf einen Ausgestoßenen oder auf jemanden, der sich in einer Art selbst auferlegtem Exil befand, wirkte Middle Earth behaglich. Ich nahm auch meine Akustikgitarre mit in den Laden und klimperte darauf herum, während ich dort abhing.

Ein Mädchen aus meiner Schule namens Ellen Mentin war mir gegenüber besonders geduldig und verständnisvoll. Ich sprach mit ihr sogar über einige meiner inneren Dämonen, aber dadurch, dass ich ihr meine Probleme andeutete, konnte ich meine Beklommenheit auch nicht vermindern. Ellen wollte, dass wir ein gewöhnliches Junior-High-Pärchen würden und gemeinsam ins Kino gingen oder so. Jedoch war ich nicht in der Lage, Dinge mit ihr in der Öffentlichkeit zu unternehmen. Es fühlte sich zu riskant, zu erstickend, zu einengend an.

Was ist, wenn jemand anfängt, sich über mich lustig zu machen, wenn ich gerade mit ihr zusammen bin?

Ich konnte gar nicht begreifen, warum sie mit jemandem wie mir zusammen sein wollte. Mit oder ohne lange Haare – ich war immer noch ein Freak. Ich fragte sie sogar: „Warum magst du mich? Warum willst du mit mir zusammen sein?“ Es ergab überhaupt keinen Sinn für mich.

Ellen und ich blieben Freunde. Allerdings war es mir nicht möglich, fest mit jemandem zu gehen, der so unerschütterlich fürsorglich war. Sogar gemeinsam im Bus zu fahren, barg Risiken, die ich nicht auf mich nehmen wollte.

Mein Dad beschloss ungefähr zu dieser Zeit, mir seine Version der Geschichte von den Blumen und Bienen aufzutischen. Völlig ansatzlos, während einer unserer Spaziergänge, sagte er: „Wenn du eine schwängern solltest, dann bist du ganz allein auf dich gestellt.“

Sollte das heißen, er würde mich mit 14 auf die Straße werfen?

Na toll.

Ich wusste ja kaum, wie man jemanden schwängert, aber nun wusste ich zumindest, dass es mir einen Fußtritt einbringen würde, der mich zur Tür hinausbeförderte.

Als wenn ich nicht schon längst auf mich selbst gestellt wäre.

Ich verbrachte die meiste Zeit allein, in meinem Zimmer, wo ich mich von der Außenwelt abschottete, Musik hörte, Gitarre spielte und Musikmagazine las. Meine Mom, die ein schlechtes Gewissen hatte, weil die missliche Lage meiner Schwester ihre ganze Zeit in Anspruch nahm, hatte mir eine Stereoanlage besorgt.

Ich wurde zu einem Stammhörer der Radiosendung von Scott Muni, The English Power Hour, eine der ersten Shows im FM-Radio, die sich auf die neuesten Sounds aus Großbritannien konzentrierte. Im Frühling 1967 dominierte Jimi Hendrix, der nach England gezogen war, die britische Szene und die dortige Hitparade. Seine Musik fand durch solche Sendungen auch immer mehr Anklang in den USA. Als sein erstes Album herauskam, traf es mich wie eine Atombombe.

Ich liebte es, The Jimi Hendrix Experience auf den Plattenteller zu legen und mich mit dem Kopf genau zwischen beide Lautsprecher ganz flach auf den Boden zu legen. Obwohl ich auf der rechten Seite taub war, konnte ich die Schwingungen der Musik mittels Knochenleitung wahrnehmen. Ich malte mein Zimmer nun auch violett an und befestigte eine Lichterkette, die zu einer Weihnachtsbeleuchtung gehörte, an der Zimmerdecke. Ich spielte auf meiner Gitarre und beobachte mich im Spiegel dabei, wie ich im Licht der Lämpchen Pete Townshend von The Who und seine Windmühlen-Schläge imitierte.

Jedoch kam der womöglich größte Einfluss, den Hendrix auf mich ausübte, von seiner Frisur. Seine Haare standen ihm zu Berge, und auch Eric Clapton und Jimmy Page machten es ihm bald nach. Ehe man sich’s versah, war das der angesagte Look, was bedeutete, dass Perma-Strate von nun an der Vergangenheit angehörte. Als ich nun meine explodierende Haarpracht der Welt präsentieren wollte, schlug meine Mutter die Hände über dem Kopf zusammen: „Du wirst doch wohl nicht so vor die Tür gehen, oder?“

„Doch, sieht ganz so aus. Bis später.“

Es war an der Zeit, ganz unverblümt den Freak raushängen zu lassen.

Als das Ende der Junior-High näher rückte, bewarb ich mich bei der Highschool of Music & Art, einer privaten Schule, die einen alternativen Lehrplan verfolgte und sich an der Ecke West 135th Street und Convent Avenue in Manhattan befand. Ich war einer der besten Zeichner in meiner Junior-High. Zeichnen lag mir einfach im Blut. Doch ebenso wichtig war es mir, durch diese spezialisierte Schule in ein angenehmeres Milieu zu wechseln. Zuerst war ich noch wegen etwas angestarrt worden, für das ich nichts konnte – mein Ohr – und im Anschluss für etwas, das ich mir selbst zurechtgelegt hatte – meine Klamotten und meine Haare. Die meisten Schulen hatten damals noch Bekleidungsvorschriften, aber an der Music & Art war es egal, was man trug, solange man überhaupt zum Unterricht erschien.

 

So, wie ich es sah, würde ich nicht länger der Freak der Schule sein, sondern in eine Schule voller Freaks wechseln.


Mit 15 im Central Park … glückselig dank kleiner Hilfsmittel. maury englander


Obwohl das Zeichnen meine Eintrittskarte für die Musik- und Kunstschule war, dachte ich nicht ernsthaft an eine Karriere im Bereich der bildenden Künste. Es sollte sich herausstellen, dass das auch kein Fehler war, denn es war ernüchternd, im Herbst 1967 in der Schule aufzukreuzen und dort auf viele Leute zu treffen, die nicht nur ebenso gut waren wie ich, sondern ganz offensichtlich sogar deutlich besser.

Ich hatte mich vor allem deshalb mit Kunst beschäftigt, weil es noch keine Schule für angehende Rockstars gab – Kunst war also mein Plan B. Aber nun nicht mehr. Ich wusste mittlerweile, dass es die Musik oder gar nichts sein würde. Und doch blieben meine musikalischen Ambitionen jeden Tag, wenn ich mich auf den Weg in die Schule machte, zurück in meinem violetten Schlafzimmer. Auch wenn ich nie einem meiner Mitschüler etwas über meine eigentlichen Bestrebungen verriet oder versuchte, in den musikalischen Zweig zu wechseln, war mir bewusst, dass Schüler, die die Music & Arts besuchten, zu enormem musikalischen Einfluss gelangen konnten. Und das bezog sich nicht nur auf den Broadway und die Orchestermusik. Eine Band namens Left Banke, die einen großen Hit mit „Walk Away Renee“ hatten, waren frische Absolventen. Ebenso die brillante Singer-Songwriterin Laura Nyro. Janis Ian, die gerade einen Hit mit „Society’s Child“ gehabt hatte, war immer noch Schülerin, als ich auftauchte.

Eines Tages kam Matt Raels älterer Bruder Jon vorbei, um mich zu besuchen. Er hatte bereits in einigen Bands gespielt und wir blickten alle zu ihm auf. Seine erste Band war von der Surf-Musik der Ventures beeinflusst gewesen, doch mittlerweile war er Bandleader in einer Gruppe namens Post War Baby Boom, die sich mehr nach der Art von Folk, Blues und Jug anhörte, wie sie aus San Francisco kam. Sie hatten eine Sängerin, die manchmal die erste Stimme übernahm, ein bisschen wie bei Grace Slicks erster Band The Great Society. Außerdem gaben Post War Baby Boom sogar Konzerte.

Absolut aus dem Nichts heraus fragte mich Jon, ob ich mich der Band anschließen wollte. Sie suchten einen Rhythmusgitarristen. Mein Verstand begann zu rasen: Warum hatten sie nicht Matt gefragt, der zu diesem Zeitpunkt ein besserer Gitarrist als ich war? Etwa, weil ich bereits in der Highschool war, während Matt noch ein Jahr in der Junior-High zu absolvieren hatte? Würde Matt am Ende angepisst sein?

Wahnsinn, eine echte Band! Das ist riesig!

Ich zögerte keine weitere Sekunde und sagte zu. Ich erinnere mich, dass wir im selben Keller probten, in dem Matt und ich bereits miteinander gejammt hatten. Wir arbeiteten sogleich an einer beschwingten Version von Gershwins „Summertime“. Ich arrangierte auch eine Version von „Born in Chicago“ von der Paul Butterfield Blues Band und sang dabei sogar die Leadstimme.

Alle anderen in der Band waren zumindest zwei Jahre älter als ich, was in diesem Alter eine Menge ist. Was mir damals gar nicht in den Sinn kam, war, dass sie alle am Ende des Schuljahres ihren Highschool-Abschluss machen würden. Wir hatten ein paar Auftritte mit „unserer“ neuen Besetzung. Dann schlug ich vor, dass wir uns um einen Plattenvertrag kümmern und ein paar Bandfotos schießen sollten. Ich wusste auch, an wen ich mich wegen der Fotos wenden musste. Im Sommer 1967 hatte ich zwei unglückliche Wochen in einem Ferienlager in den Catskills Mountains verbracht. Zumindest hätte es ein Ferienlager sein sollen, aber es stellte sich als Verarsche heraus. Ein Typ hatte ein paar Eltern davon überzeugt, ihm Geld zu zahlen, damit sie ihre Kinder zu ihm schicken konnten, wo sie zelteten und ihm dabei halfen, eine alte Scheune niederzureißen. Er nannte die Sache ein „Work-Camp“. Es sollte Kindern aus der Stadt die Möglichkeit geben, einmal ehrlicher Landarbeit nachzugehen. Letztlich war es sogar ganz witzig und ich hatte mich mit einem der Betreuer, die ebenso wie die Kinder übertölpelt worden waren, angefreundet. Sein Name war Maury Englander und er arbeitete mittlerweile bei einem berühmten Fotografen in Manhattan.

Maury hatte Zugang zum Studio des Fotografen, wann immer es gerade nicht benutzt wurde. Das war einer der Vorteile seines Jobs. Maury war selbst dabei, Fotograf zu werden, und sollte tatsächlich weniger als ein Jahr später für Magazine wie Newsweek arbeiten. Also rief ich ihn an und wir arrangierten einen Termin an einem Wochenende, damit Maury ein paar Promo-Fotos von uns schießen konnte. Er war auch politisch ziemlich vernetzt, was uns Anfang 1968 ein paar Gigs bei Partys von Anti-Kriegs-Organisationen einbrachte, wo er uns auch fotografieren sollte. Es war ja die Zeit, als die Proteste gegen den Vietnamkrieg gerade Fahrt aufnahmen.

An Auftritte in Clubs kamen wir nur schwer ran, da man dort eigentlich fast ausschließlich Coverbands engagierte, die Hits aus den Top-40 spielten. Wir hingegen spielten hauptsächlich unser eigenes Material. Die paar Covers, die wir im Programm hatten, waren nicht wirklich Songs aus den Charts. Ich verschaffte uns ein Vorspielen in einem Schuppen namens Night Owl, da ich gelesen hatte, dass The Lovin’ Spoonful dort aufgetreten waren – und ihr Gute-Laune-Sound war gar nicht einmal so weit von dem entfernt, was auch Post War Baby Boom zu spielen versuchten. Allerdings schlich sich der Typ, der dort das Sagen hatte, hinaus, während wir noch vorspielten, und so bekamen wir den Gig nicht.

Obwohl wir nur langsam vom Fleck kamen, wollte ich den Erfolg und arbeitete unermüdlich an diesem Projekt. Schließlich gelang es mir, jemandem, der bei CBS Records arbeitete, ein paar unserer Fotos zuzustecken. Ich erhielt sogar einen Anruf von einem Angestellten des Labels. Er sagte: „Wenn ihr so gut spielt, wie ihr ausseht, dann müsst ihr ja hervorragend sein!“ Er bezog sich dabei auf eines der Fotos, das Maury Englander im Studio von uns geschossen hatte.

Noch bevor uns der Typ jemals persönlich getroffen oder spielen gehört hatte, ließ er uns ein Demo für CBS aufnehmen. Ich schrieb einen Song, den wir einspielen konnten, namens „Never Loving, Never Living“, aber ich ließ mir bis einen Tag vor der Session Zeit, um ihn der Band vorzuspielen, weil ich zu schüchtern war. Aber dann entschloss sich unsere Sängerin, am Abend vor unserem Studio-Termin ein Bad im Springbrunnen des Washington Square Park zu nehmen. Sie verkühlte sich und verlor ihre Stimme. Als wir im Studio aufkreuzten, um zum ersten Mal aufzunehmen, konnte sie nicht singen.

Um die Sache noch abzurunden, rief der Typ von CBS an und verlangte, dass wir die Band in The Living Abortions umbenannten. Das Demo kam nie zustande.

In der Music & Art ergab sich inzwischen die Möglichkeit, reichlich Mädchen in T-Shirts und ohne BH zu sehen, was ein weiterer Vorteil der fehlenden Kleiderordnung war. Außerdem war es eine gute Motivation, jeden Tag zur Schule zu kommen. Doch schon bald musste ich mir eingestehen, dass ich mit mir selbst und allen anderen unzufrieden war. Meine Haare und meine Klamotten ließen mich hipper erscheinen, als ich in Wirklichkeit war. In Wahrheit fühlte ich mich von den echt coolen Kids eingeschüchtert. Langsam musste ich mir eingestehen, dass sich nicht wirklich etwas änderte, wenn ich mein Ohr mit Haaren bedeckte. Letztlich ging es wie immer im Leben nicht darum, was andere Menschen von einem wahrnahmen, sondern darum, was man selbst wusste und fühlte.

Eines Tages sprach mich eines der coolen Mädchen in der Schule an. Victoria hatte Kurven, eine blonde Mähne und entwaffnend blaue Augen. Es war weithin bekannt, dass sie sowohl in als auch abseits der Schule mit der coolsten Clique abhing. Ich trug eine Lederjacke mit Fransen, was damals ziemlich hip war, aber auch ein Style, den noch nicht viele Leute – nicht einmal an der Music & Art – für sich entdeckt hatten.