Fokus SEIDENPLANTAGE

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Kapitel 8

Der Sportstudent Peter Bräu, der mit großem Eifer als freiwillige Erweiterung zum praktischen Pflichtprogramm jeden nur erdenklichen Kampfsport belegte, erfuhr noch vor einer Meldung in der Mittelbayerischen Zeitung von dem Mord an der Joggerin. Woher, danach fragte niemand. Manchmal werden auch seitens der Kripo wesentliche Fragen nicht gestellt. Nicht zuletzt deswegen sollte dieser Peter Bräu für die Kripo Regensburg noch sehr anstrengend werden.

Die ermordete Joggerin war dem Sportstudenten nicht unbekannt. Und, warum auch immer, er setzte es sich spontan in den Kopf, der Regensburger Kripo kein Vertrauen zu schenken und die ›Sache‹ selbst in die Hand zu nehmen. Was wohl zu bedeuten hatte, dass er auf eigene Faust zu ermitteln gedachte.

Kapitel 9

Vor der ersten Besprechung zum Mordfall SEIDENPLANTAGE nahm sich der Köstlbacher die Cuscunà zur Seite.

»Habe ich Ihnen irgendwann gesagt, Sie sollen eine Pressekonferenz vorbereiten?«, blaffte er sie an.

Die Kommissarin Cuscunà wurde schlagartig rot im Gesicht. Sie hatte natürlich mit einer zumindest ähnlichen Reaktion vom Köstlbacher gerechnet, aber wie es schien, war ihr Chef mehr als nur etwas angepisst. Ihr eigenmächtiger Vorstoß, dem Wunsch der Staatsanwältin auf dem kleinen Dienstweg Nachdruck zu verleihen, war doch nicht so gut gewesen.

»Ich, ich wollte Ihnen nur eine Arbeit abnehmen«, stotterte sie. »Dass es eine Pressekonferenz geben würde, setzte ich dabei voraus!«

»Setzten Sie voraus, Kollegin Cuscunà? Was bitte sollten wir den Aasgeiern jetzt schon sagen, ohne laufenden Ermittlungen vorzugreifen?«

»Ich, ich…«, begann die Cuscunà erneut zu stottern.

Der Köstlbacher ließ sie einfach stehen und drehte sich zu den anderen um, die von dieser Unterredung nichts mitbekommen hatten, weil sie selbst emsig in Gespräche vertieft waren, und weil der Köstlbacher zwar sehr energisch, aber trotzdem sehr leise gesprochen hatte.

Die Martina Cuscunà verließ schnell für wenige Minuten den Raum. Sie hatte Tränen der Wut in den Augen und die wollte sie niemandem sehen lassen.

Die Besprechung begann zäh. Obwohl inzwischen über das abgestellte Auto des Opfers und der darin aufgefundenen Papiere die Identität der Toten bekannt war, hatte man noch nicht den geringsten Anhaltspunkt, der Licht in den Fall hätte bringen können.

»Bei der Toten handelt es sich um die 21jährige Norwegerin Helge Martinson, wohnhaft im Studentenwohnheim Blaue-Stern-Gasse.« Der Köstlbacher steckte, während er diese Info vorlas, zu dem Fähnchen vom Tatort an der Pinnwand das der Adresse der Ermordeten.

»Das ist ja schon mal was«, bemerkte der Abteilungsleiter Lenz, der es sich wegen der Besonderheit des Verbrechens, quasi sein erster Mord seit seiner Beförderung, nicht hatte nehmen lassen, zu dieser Besprechung persönlich zu erscheinen.

»Das und die Mordwaffe. Ein handelsübliches Küchenmesser. Natürlich alles Ansätze zu weiteren Ermittlungen«, ergänzte der Köstlbacher. »Was wir aber der Presse nicht auf die Nase binden sollten. Ich schlage vor, wir geben vor, eine heiße Spur zu verfolgen und können daher wegen laufender Ermittlungen vorerst noch nichts verlauten lassen.«

»Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Allerdings neigt die Presse dazu, Märchen zu erfinden, wenn sie keine Fakten von uns an die Hand bekommt. Daher ist es vielleicht besser, wenn wir sie auf eine Spur lenken, die unverfänglich ist«, warf Abteilungsleiter Lenz ein.

Der Köstlbacher hob erstaunt den Kopf. Natürlich wusste er nicht, dass diesen Floh die Staatsanwältin dem Abteilungsleiter ins Ohr gesetzt hatte. Denselben Floh, den sie der Kollegin Cuscunà auch schon…

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte er verwirrt seinen Boss.

»Wir vermuten ein Eifersuchtsdrama. Das kommt immer gut an. Der Täter handelte mutmaßlich im Affekt, was schon daran zu erkennen ist, dass er die Mordwaffe nach der Tat weggeworfen hat. Dass sie dabei im Innenhof der SEIDENPLANTAGE landete, das war wohl eher unbeabsichtigt. Damit nehmen wir die SEIDENPLANTAGE aus dem direkten Fokus. Stellen Sie sich doch einmal vor, welchen finanziellen Schaden die Betreiber der SEIDENPLANTAGE hätten, wenn sie direkt mit einem Mord in Verbindung gebracht würden?«

»Aber…«, versuchte der Köstlbacher zu intervenieren.

»Nichts aber! Es bleibt dabei! Veranlassen Sie die entsprechende Presseerklärung!«

Mit dieser strikten Anweisung hatte sich der neue Abteilungsleiter von einer anderen, einer harten Seite gezeigt. Jetzt wusste jeder im Raum, dass der Sekt und die Canapés nur einem freundlichen Start gedient hatten.

Die Cuscunà hatte sich unterdessen wieder leise zu den anderen gesellt. Ihr Makeup leicht verschmiert. Schadenfreude empfand sie keine. Aber direkt unglücklich war sie nun auch nicht mehr.

Kapitel 10

Nach diesem Auftritt verließ der Abteilungsleiter Lenz arroganten Schrittes, wie die meisten der Anwesenden hinterher gesehen zu haben glaubten, den Besprechungsraum. Natürlich stand eine gewisse Absicht dahinter. Wer die Zügel erst einmal straff annimmt, der kann sie hinterher umso leichter auch wieder lockerlassen. Das trifft auf einen Abteilungsleiter kaum weniger zu, als auf einen Reiter. Wer weiß, vielleicht haben dieses Wissen Führungskräfte sogar vom Pferdesport übernommen.

In den folgenden Minuten war das Opfer Helge Martinson der Drehund Angelpunkt. Erst wenn genug über sie in Erfahrung gebracht worden wäre, würde man erste Theorien aufstellen können.

Trotz oder gerade wegen der offensichtlichen Meinung des Abteilungsleiters, dass die SEIDENPLANTAGE aus allem rauszuhalten sei, ließ es sich der Köstlbacher nicht nehmen, die SEIDENPLANTAGE weiterhin in seine Ermittlungen einzubeziehen. Immerhin war es möglich, dass Kunden dieser ›Dayspa‹ relevante Beobachtungen gemacht haben könnten. Selbst wenn diese bereits Tage vor der Tat gewesen wären. Und sollte diesbezüglich der Lenz wieder intervenieren, so konnte sich der Köstlbacher immer noch an die Staatsanwältin wenden, zu der er einen besonderen Draht zu haben glaubte.

Die Besprechung dauerte noch an, da noch lange nicht alles organisiert war. Die Cuscunà bekam – sie persönlich empfand es zunächst als Strafe – die Aufgabe, die Angehörigen der Toten ausfindig zu machen und sie über den Mord an ihrer Tochter zu informieren. Da die Cuscunà dazu kaum eine Dienstreise nach Norwegen genehmigt bekommen würde, stellte sich dieser Auftrag letztendlich doch nicht so schlimm heraus. Das Informieren würde die norwegische Polizei übernehmen. Und die Leiche würde nach der Obduktion in der Gerichtsmedizin Erlangen umgehend nach Norwegen überführt werden.

Kapitel 11

Es waren noch keine fünf Minuten seit der Besprechung vergangen, als zwei Anrufe hintereinander beim Köstlbacher eingingen. Der erste kam von der Spusi. Hans Keller, der Laborchef im Hause, hatte die Mordwaffe abschließend untersucht. Das Blut daran stimmte mit dem der Toten überein. Was nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber was der Keller, beziehungsweise eine seiner Laborantinnen, nach dem Säubern der Waffe entdeckt hatte, erstaunte. In die Klinge war sehr dilettantisch, jedenfalls absolut unprofessionell, ein Name in großen Druckbuchstaben eingraviert: KARIN.

Der Köstlbacher ließ sich ein Bild davon zumailen, druckte es aus und befestigte es neben dem Bild des Mordopfers an der Pinnwand. Ob sich zu dieser Dreierbeziehung Opfer/Mordwaffe/Gravur ein Zusammenhang konstruieren lassen würde? Der zweite Anruf war nicht nur beunruhigend. Dadurch würden alle Ermittlungen erschwert werden. Vor allem die oben in der SEIDENPLANTAGE. Es kam, wie nicht anders zu erwarten, zu einem erneuten Lockdown wegen der Corona-Pandemie. Gewundert hat es den Köstlbacher nicht. Anstatt diszipliniert alle geforderten Auflagen zur Vermeidung einer ungebremsten Verbreitung des scheußlichen Virus einzuhalten, suchten viele nur nach Schlupflöchern, Auflagen zu umgehen, oder erfüllten sie erst gar nicht. Verschwörungstheorien grassierten, dass einem übel werden konnte. Wieso der Landesvater Markus Söder die Schuld an allem haben sollte, – eine dieser Theorien und bei weitem nicht die absurdeste –, konnte der Köstlbacher auch nicht nachvollziehen, ganz egal, ob man den Söder nun mochte oder nicht. Immerhin war COVID-19 kein bayerisches Problem. Regensburg war inzwischen, wie die meisten bayerischen Städte und Landkreise, dunkelrot. Und darum war er jetzt da, der zweite Lockdown. In zwei Tagen würde die SEIDENPLANTAGE für mindestens 4 Wochen schließen müssen. Da war nur zu hoffen, dass die Betreiber wenigstens vor Ort blieben, um die nötige Einsicht in die Kundenkartei zu ermöglichen. Und die war bitter nötig, diese Einsichtnahme. Irgendwo musste man letztendlich mit dem Ermitteln anfangen. Schließlich war außer den Betreibern und den Angestellten das Kundenklientel der ›Dayspa‹ der einzige greifbare Personenkreis, der die SEIDENPLANTAGE und damit auch die Straße davor frequentierte.

Der Kommissar Pirzer bekam den Auftrag, sich um die Kundenkartei zu kümmern. Wie fast immer, wenn der Pirzer einen Einsatz hatte, begleitete ihn die Kommissarin Dirmeier. Bei der Kripo in Regensburg ist es ungeschriebenes Gesetz, dass immer zwei Beamte zusammen ermitteln. Nach Möglichkeit, leider aus personellen Gründen nicht immer machbar, eine Beamtin zusammen mit einem Beamten. Es hatte sich gezeigt, dass immer wieder Situationen auftreten, wo es Sinn macht, wenn eine Frau mit an Bord ist und nicht eigens im Nachhinein eine Frau hinzugezogen werden musste. Da vermutlich das Klientel oben auf der Seidenplantage überwiegend weiblich sein würde, achtete der Köstlbacher schon im Vorfeld sehr darauf, kein reines Männerteam hinzubeordern.

 

»Hat sich ganz schön gemausert, dieses Anwesen«, bemerkte der Pirzer, als er mit seiner Kollegin Dirmeier den Dienstwagen ungefähr dort, wo es zu dem tödlichen Überfall gekommen war, abgestellt hatte, um den Betreibern der ›Dayspa‹ einen Besuch abzustatten. »Ich kann mich noch erinnern, dass hier ein heruntergekommenes, mehr oder weniger baufälliges Gebäude gestanden hat.«

»Das war vermutlich vor meiner Zeit. Aber wie es auch früher hier ausgesehen haben mag, jetzt ist es mit Sicherheit eine der schönsten Villen der Stadt. Von der traumhaften Lage ganz zu schweigen.«

»Du spielst auf das Krematorium an?«, scherzte der Pirzer.

»Natürlich nicht! Die Aussicht! Der Blick über die Stadt!«, antwortete die Dirmeier, die den Spaß, den sich der Pirzer mit ihr machen wollte, erst mit Verspätung realisierte.

Kaum hatte der Pirzer den Klingelknopf gedrückt, öffnete sich das Tor automatisch. Auf der Treppe zum Haupteingang erschien fast zeitgleich Frau Herrmann.

»Haben Sie uns erwartet?«, fragte der Kommissar erstaunt, weil sie über die Sprechanlage noch kein Wort gewechselt hatten.

»In gewisser Weise ja. Ihr Chef war so nett, mich vorzuwarnen, damit ihr Besuch ›so effektiv wie möglich‹ wird, wie er sich ausdrückte«, erwiderte Frau Herrmann.

»Typisch Köstlbacher!«, brummte der Pirzer, was die Frau Herrmann aber nicht hören konnte.

»Darf ich Sie hereinbitten?«, fragte die Chefin der ›Dayspa‹ und ging den beiden von der Kripo mit einer einladenden Handbewegung voraus.

Der Kommissar Pirzer ist ja eher ein cooler Typ. Er sah sich alles mehr oder weniger unbeeindruckt an. ›Nicht schlecht!‹, dachte er sich, vertiefte diesen Gedanken aber nicht weiter. Ganz anders seine Kollegin Dirmeier. Der verschlug es erst einmal die Sprache und sie bückte sich dementsprechend spontan und unaufgefordert, um sich ihre Schuhe auszuziehen.

Frau Herrmann, die dies bemerkte, meinte: »Lassen Sie, ich habe Überschuhe für Sie herausgelegt!«

Versehen mit diesen blauen Plastiküberziehern, wie man sie auch in einigen Abteilungen der Uniklinik tragen muss, um Verunreinigungen vorzubeugen, folgten sie der Hausherrin ins Büro, wo die entsprechenden Unterlagen schon zur Durchsicht bereitlagen. Sogar zwei Tassen heißer Kaffee standen daneben.

»Ich vermutete, den könnten Sie gebrauchen!«, lächelte Frau Herrmann und deutete dabei auf den Kaffee.

Der Regelfall ist ja eher, dass die Polizei bei der Ermittlungsarbeit behindert wird. Darum hatten der Pirzer und die Dirmeier mehr oder weniger zeitgleich das Gefühl, es könnte etwas nicht stimmen und man wolle sie einlullen. Aber in der nächsten halben Stunde, in der Frau Herrmann zu jeder auftauchenden Frage, ohne zu zögern bereitwillig Auskunft erteilte, verschwand dieses Gefühl wieder. Wichtige Listen wurden zur Mitnahme kopiert. Dass bei den Ermittlungen zu einem Mordfall der Datenschutz kein Thema war, stand dabei gar nicht erst zur Debatte.

Als die beiden Kripobeamten das Anwesen verließen, wussten sie bestens über die Abläufe in der ›Dayspa› in der SEIDENPLANTAGE Bescheid und hatten die Namen aller Kunden und natürlich auch die der Angestellten mit im Gepäck. Natürlich hofften sie, einer dieser Namen würde mit der toten Joggerin in Verbindung gebracht werden können. Damit wäre schnell ein erster Schritt getan, diesen abscheulichen Mord aufzuklären.

Kapitel 12

Die Richterin Monika Kranz verband mit der Staatsanwältin Dr. Simone Becker schon seit einer gemeinsamen Studienzeit eine enge Freundschaft, die ihren Anfang allerdings schon viel früher genommen hatte. Inzwischen arbeiteten sie beide sogar dienstlich zusammen.

Nachdem Frau Dr. Becker die Richterin bezüglich des aktuellen Mordfalls in Kenntnis gesetzt hatte, reagierte diese äußerst geschockt, da sie erst vor wenigen Tagen auf eine Einladung von Frau Petra Herrmann hin einen Wellnesstag im ›Dayspa‹ der SEIDENPLANTAGE genossen hatte.

Die drei Frauen, Monika Kranz, Simone Becker und Petra Herrmann, kannten sich schon aus Kindertagen, als sie noch, wie man so schön sagt, gemeinsam im Sandkasten gespielt hatten.

Nachdem die Staatsanwältin die neue Kommissarin im Team vom Köstlbacher Martina Cuscunà in ihr Herz geschlossen hatte und hin und wieder gemeinsam etwas mit ihr nach Dienstschluss oder am Wochenende unternahm, kam es immer öfter vor, dass die Cuscunà auch in dem eingeschworenen Freundinnenkreis zugegen war. So blieb es nicht aus, dass Martina Cuscunà irgendwann eine von ihnen wurde.

Manchmal schnatterten sie zusammen wie Gänse, vor allem, wenn zu viel Prosecco im Spiel war. Manchmal verschworen sie sich aber auch zu einer vierfach dimensionierten Frauenpower, vor sich vor allem die Männerwelt in Acht nehmen musste.

»Die Kripo war bei mir«, informierte Frau Herrmann wenige Minuten, nachdem Kommissar Pirzer und Kommissarin Dirmeier die SEIDENPLANTAGE verlassen hatten, telefonisch ihre Freundin, die Richterin.

»Ich weiß. Simone hat mich bereits angerufen. Sie hatten es eilig, weil ihr ab Montag wegen des Lockdowns euren Betrieb einstellen müsst, und der Kommissar Köstlbacher befürchtet, er könnte dann vor verschlossenen Türen stehen«, antwortete die Richterin. »Unter uns: Hast du etwas zu verbergen? Du klingst so aufgeregt. So kenne ich dich gar nicht.«

»Nein! Nein, nein! Es ist zurzeit nur alles etwas viel auf einmal. Kaum, dass ich den Laden hier übernommen habe, und er endlich zu laufen anfing, zwingt uns dieser Lockdown in die Knie. Und obendrein noch diese Tote mehr oder weniger vor meiner Haustüre. Nicht gut fürs Geschäft!«, antwortete Petra Herrmann.

»Simone und ich, wir haben auf deine Bitte hin unser Möglichstes getan, um wenigstens seitens der Presse den Mord so darstellen zu lassen, dass ihr trotz der räumlichen Nähe zum Tatort außen vor bleibt. Was Corona und den Lockdown betrifft, da bin selbst ich machtlos!«, bedauerte Monika Kranz.

»Ich habe irgendwie ein komisches Gefühl. Keine Ahnung wieso! Vielleicht, weil ich die Ermordete schon öfter gesehen habe. Ich fühle mich in gewisser Weise involviert!«

»Mach‘ dir keinen Kopf! Der Kollege Köstlbacher klärt bestimmt alles schnell auf. Er ist dafür bekannt, in selbst unlösbar erscheinende Fälle Licht zu bringen. Ich muss jetzt leider abbrechen. Auf der Dienstleitung kommt soeben ein Anruf rein. Wir hören uns! Ich halte dich auf dem Laufenden!«

»Man sieht sich!«, antwortete Frau Herrmann, ein klein wenig beruhigter. Trotzdem wurde sie ihre Befürchtungen nicht los, was da noch alles auf sie zukommen könnte.

Kapitel 13

Es war an einem dieser häufig nebelverhangenen Tage im November 2020. Lina Herwig saß mit einem Glas Wein vor dem Fernseher und lenkte sich mit einer Quizz-Show ab. ›Gefragt – Gejagt‹. Die Sendung lief in diesem Jahr zum letzten Mal. Eventuell sollte es 2021 eine Neuauflage geben.

Frau Herwig war Sportlehrerin. Ehemalige Sportlehrerin. Als ihr Mann von Berlin an die Uni Regensburg berufen wurde, um dort einen vakanten Philosophie-Lehrstuhl zu übernehmen, blieb ihr nichts anderes über, als ihren eigenen beruflichen Werdegang abzubrechen. In Bayern gehen die Uhren anders. Um hier an staatlichen Regelschulen unterrichten zu dürfen, ist das bayerische Staatsexamen vonnöten. Zum Glück gab es noch andere Betätigungsfelder für eine Sportlehrerin. An der Uni Regensburg wurden traditionell diverse Kampfsportarten angeboten. Da der Kursleiter dafür kurzfristig für längere Zeit ausfiel, nutzte Frau Herwig die Chance und bewarb sich erfolgreich um den befristeten Job. Kampfsport hatte sie während ihres Studiums in Berlin als Kernfach belegt. Selber unterrichtet hatte sie ihn bislang noch nicht. Allerdings beherrschte sie den einen oder anderen asiatischen Kampfsport besser, als so manches erfolgreiche Mitglied einschlägiger privater Kampfschulen.

Als sie ihren Mann noch nicht kannte, zog sie sogar ernsthaft in Erwägung, sich zu einer Agentin ausbilden zu lassen. Allerdings erschien ihr dieser Gedanke dann doch zu absurd und vor allem zu unvereinbar mit dem, was sie sich vom Leben erwartete: eine Familie, drei Kinder mindestens, gerne auch mehr. Wenn Ursula von der Leyen 7 Kinder haben konnte und trotzdem beruflich nie zurückstecken musste, warum dann nicht auch sie? ›Gefragt – Gejagt‹ war längst vorüber. Die Flasche Wein fast leer. Lina war auf dem Sofa eingeschlafen. Gegen 22:00 Uhr wurde sie wieder wach. Ein Rundumblick und erst ein leiser, dann ein lauter Ruf nach ihrem Mann Klaus machte klar, dass er immer noch nicht zu Hause war. Am Handy war Klaus nicht erreichbar. Ein Anruf in der Uni, wo natürlich um diese Zeit längst keiner mehr vor Ort war, und dementsprechend niemand ran ging, machte klar, dass er eigentlich längst zu Hause sein müsste. Lina war nicht wirklich beunruhigt, da Klaus nach Vorlesungen, Seminaren oder auch nur langen Stunden in seinem Büro oft noch mit Kollegen auf einen Absacker ging, dann sein Auto stehen ließ und ein Taxi nahm. Wobei das mit den Kollegen vermutlich nur ein Vorwand war.

Lina entschloss sich, nicht weiter auf Klaus zu warten. Sie war müde und ging zu Bett. Sie schliefen schon länger in getrennten Schlafzimmern. Nicht zuletzt deswegen, weil es im Bett ohnehin nicht mehr klappte. Morgen früh würde er wieder da sein. Wie immer. Oder zumindest fast immer.

Irgendwann in der Nacht schreckte Lina hoch. War da etwas? War Klaus endlich nach Hause gekommen?

Aber das Schlafbedürfnis war stärker. Sie schlief wieder ein und träumte weiter diesen seltsamen Traum, den sie inzwischen fast jede Nacht hatte und nach dem sie jedes Mal nicht mehr wusste, was nun Realität war, der Traum oder die Wirklichkeit. Am nächsten Morgen, Klaus war wieder zugegen, kam es zwischen ihr und ihm zu einem heftigen Streit. Wie üblich war Linas Eifersucht der Auslöser.

Kapitel 14

Am Donnerstag, 12. November, dem vierten Tag des zweiten Lockdowns, war im Präsidium beim Köstlbacher die Hölle los. Mit Corona hatte das nichts zu tun, auch wenn im Moment sich alles nur um diese Pandemie zu drehen schien. Nicht zu vergessen die Präsidentenwahl in den vereinigten Staaten, die Corona zumindest stundenweise den Rang ablief. Das Telefon schien nicht zur Ruhe zu kommen. Unter anderem wurde ein Professor von der Uni als vermisst gemeldet. Allerdings erregte das die Gemüter kaum, zumal diese Meldung seine Ehefrau machte. Egal ob Uniprofessor oder Baggerführer, Männer verschwinden ab einem gewissen Alter gerne einmal für einige Tage und tauchen dann reumütig irgendwann mit einem Blumenstrauß wieder auf.

Jedenfalls ging diese Meldung spätestens dann völlig unter, als die Forensische Psychiaterin, die im Normalfall im Präsidium als Beraterin und Gutachterin arbeitete, auf die Idee kam, eine weitere Tote, zumindest aber einen Mordversuch, ins Spiel und damit Bewegung in den Fall SEIDENPLANTAGE zu bringen. Gemäß ihres nach neuesten psychologischen Erkenntnissen ausgeklügelten Plans, hatte alles erneut oben gegenüber der SEIDENPLANTAGE zu passieren. Und wieder sollte es eine junge Frau sein, diesmal eine, die ihren Gutschein für diverse Anwendungen in der ›Dayspa‹ einlösen wollte und ganz vergessen hatte, dass wegen des Lockdowns die Tore geschlossen waren.

Um alles so echt wie nur irgend möglich aussehen zu lassen, weihte man zunächst nur einen sehr kleinen Kreis in diese Inszenierung ein. Darunter fielen vor allem alle die, die nach außen hin sichtbar für jeden Beobachter agieren mussten, wie zum Beispiel die Spusi und einen Notarzt.

Warum erneut dort oben? Warum wieder exakt auf der Höhe der SEIDENPLANTAGE, nur wenige Meter vom Haupttor entfernt? Zufall? Oder wollte jemand ein Zeichen setzen? Und welches Zeichen? – Fragen über Fragen, die Helge Martinsons Mörder durch den Kopf gehen und ihn nervös machen sollten. Die Forensische Psychiaterin Dr. Karin Unger hätte so eine Maßnahme kaum vorgeschlagen, wenn sie nicht gerade eine Fortbildung hinter sich gehabt hätte, die sich mit der Frage befasst hatte, was in Menschen vor sich geht, die einen Mord detailliert planen und ihn anschließend auch erfolgreich durchführen. Die Quintessenz der Fortbildung war vor allem, dass derartige Täter von sich sehr überzeugt sind. Natürlich rechnen sie mit einer effizienten Ermittlung seitens der Mordkommission. Aber sie rechnen nicht mit etwas, das sie aus ihrer Sicht lächerlich zu machen droht. Sie rechnen nicht um alles in der Welt damit, kopiert zu werden. Ein ›Trittbrettmord‹ war, laut Dr. Karin Unger, bestens dazu geeignet, den Mörder zu Reaktionen aufzustacheln. Mögliche Reaktionen der beschriebenen Mörder wären vielfältig und teilweise recht außergewöhnlich. Keine Reaktion wäre eher die Ausnahme.

 

Der Köstlbacher hielt nicht allzu viel von diesem Plan, wurde aber von der Staatsanwältin, der Richterin und sogar von seinem Abteilungsleiter überstimmt. Man müsse mit der Zeit gehen und moderne Ansätze berücksichtigen.

Stunden später, kaum hatte man eine zweite Tat inszeniert, erfuhr der Sportstudent Peter Bräu, der bekannterweise das erste Opfer gut gekannt hatte, aus erneut nicht nachvollziehbaren Quellen vom neuerlichen Gewaltverbrechen. Ein Grund mehr für ihn, seine Recherchen zu vertiefen.