Fokus SEIDENPLANTAGE

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Kapitel 4

Während der Jung den Abtransport der Leiche in die Gerichtsmedizin nach Erlangen veranlasste, die nach wie vor für Regensburg zuständig ist, und während sich eine Streife auf die Suche nach dem Auto der Ermordeten machte, wandte sich der Köstlbacher erneut dem geduldig in Sichtweite wartenden Herrn Müller zu.

»Sie stehen ja immer noch da! Passt mir wunderbar, weil ich noch ein paar Fragen an Sie hätte«, sagte der Köstlbacher.

»Das habe ich mir schon gedacht, Herr Kommissar. Mir ist da noch etwas eingefallen.«

Köstlbachers fragender Blick ließ den Herrn Müller weiterreden, ohne ihn mit einer Antwort zu unterbrechen.

»Gestern hat meine Frau Gino rausgelassen, weil ich schon sehr früh zur Arbeit musste.«

»Sie arbeiten nicht in dieser ›Dayspa‹?«, fragt der Köstlbacher.

»Aber nein! Mein Arbeitsplatz ist in Rosenhof in der ›Fattoria La Vialla‹. Biodynamische Feinkost aus der Toskana! Wir beliefern unter anderem auch die ›Dayspa‹. Aber ansonsten ist sie das Reich meiner Frau und unserer Tochter. Wie gesagt, gestern musste ich schon vor der üblichen Zeit zur Arbeit, weil wir eine LKW-Ladung aus Italien erwarteten, und mein Typ als Chef im Zusammenhang damit gefragt war.«

»Ist Ihrer Frau etwas aufgefallen?«, wollte der Köstlbacher wissen, den natürlich Fakten zum Mordfall interessierten und weniger Details zu Herrn Müllers Arbeit.

»Na ja, sie erzählte mir am Abend, dass sie eine ganz in Schwarz gekleidete Person auf dem leeren Parkstreifen hier vor dem Anwesen sah. Sie hat sich noch gewundert, warum die Person sogar einen Mundschutz trug. Innerhalb der SEIDENPLANTAGE ist ein Mundschutz selbstverständlich Pflicht, inzwischen ja auch drunten in großen Teilen der Stadt, aber in der freien Natur? Noch dazu, wenn niemand unterwegs ist? Übrigens ebenfalls in Schwarz. Der Mundschutz meine ich.«

»Handelte es sich um einen Mann, oder eine Frau?«, fragte der Köstlbacher, sichtlich interessiert.

»Im morgendlichen Dämmerlicht schien das nicht deutlich erkennbar gewesen zu sein. Petra betonte noch, dass es nicht zu unterscheiden war, ob die Person ein Mann oder eine Frau gewesen ist. Die Person schien auf jemanden zu warten. Zumindest blickte sie immer wieder hinunter in Richtung Friedhof. Aber meine Frau schien ihn oder sie zu irritieren. Jedenfalls entfernte sich die seltsame Erscheinung plötzlich eilig.«

»Wissen Sie, in welche Richtung?«

»Nein! Das müssen Sie meine Frau fragen. Wir haben das Thema nicht vertieft. Schien zu dem Zeitpunkt ja auch nicht wirklich wichtig.«

Der Köstlbacher brummte nur etwas Unverständliches, was seinen Unmut zum Ausdruck bringen sollte. Aber Recht hatte dieser Herr Müller sicherlich. Warum hätte ihn eine dunkel gekleidete Person, egal ob Mann oder Frau, interessieren sollen. Heutzutage laufen schließlich viele Leute in diesem Einheitsschwarz herum.

»Ihre Frau ist zu Hause, sagten Sie?«

»Vermutlich inzwischen im ›Dayspa‹. Ich erwähnte das bereits. Aber noch sind keine Kunden hier. Wenn Sie wollen?« Herr Müller machte eine einladende Handbewegung und ging dem Köstlbacher voraus in die heiligen Hallen im Erdund Untergeschoß der SEIDENPLANTAGE, in denen dieses ›Dayspa‹ etabliert war.

Der Köstlbacher gab dem Baldauf schnell noch einige Anweisungen und folgte dann dem Herrn Müller und seinem Hund, der freudig mit seinem Schwanz wedelte, weil er sich endlich wieder bewegen durfte. Wenig später bekam er einen ersten Eindruck von dem, was ein ›Dayspa‹ war. Und, das wurde dem Köstlbacher schnell klar, es war ein ›Dayspa‹ der absoluten Luxusklasse.

Schwer beeindruckt von der orientalisch anmutenden Schönheit der teilweise schon vom Eingangsbereich aus einsehbaren Räumlichkeiten im Anwesen der SEIDENPLANTAGE, stoppte er schon nach wenigen Schritten, da er mit seinen verschmutzten Straßenschuhen das eigentliche Heiligtum selbstverständlich nicht betreten durfte. Frau Petra Herrmann kam ihm entgegen. Ihr Mann Carlo hatte sie via Handy vorabinformiert.

Kommissar Köstlbachers erster Eindruck war wie ein Déjàvu. Frau Herrmann erinnerte ihn spontan an seine Staatsanwältin, Frau Dr. Simone Becker. Zugegeben, Frau Herrmann war älter. Aber mindestens ebenso attraktiv. Und das lag absolut nicht nur an ihren blonden Haaren, der wohl größten Übereinstimmung mit Frau Dr. Becker.

»Sie wollten mich sprechen?«, begrüßte Frau Herrmann den Kommissar.

Der zuckte erst, wollte ihr die Hand schütteln, rief sich aber schnell wieder die Corona-Regeln ins Bewusstsein, nickte und stellte sich vor:

»Kommissar Köstlbacher. Kripo Regensburg. Vermutlich hat Ihnen Ihr Mann schon gesagt, was passiert ist. Ich hätte da noch ein paar Fragen an Sie.«

»Gerne! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht hereinbitte. Die Hygienevorschriften. Sie verstehen?« Dabei wanderte ihr Blick deutlich erkennbar hinab zu seinen Schuhen, deren Verschmutzung vermutlich den dünnen Überziehern aus Folie, die für Gäste bereitlagen, nicht Stand gehalten hätte.

Der Köstlbacher verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, erweiterte den Abstand zu Frau Herrmann, schob seine etwas verrutschte Maske wieder zurecht und meinte:

»Kein Problem! Zum augenblicklichen Zeitpunkt habe ich ohnehin nur wenige Fragen. Ihr Mann sprach eine Beobachtung an, die Sie beim Gassi führen ihres Hundes gemacht hätten?«

»Er meint vermutlich das mit der in schwarz gekleideten Person? Ja, es stimmt, sie fiel mir auf. Eigentlich fiel sie mehr Gino auf als mir. Wenn er nicht spontan zu bellen angefangen hätte, hätte ich die Person vermutlich gar nicht gesehen. Sie hob sich zum noch dunklen Hintergrund in der Morgendämmerung kaum ab. Aber als Gino bellte, bewegte sie sich. Erst irgendwie unentschlossen. Dann aber fast wie von einer Tarantel gestochen. Gino hat aber auch immer heftiger zu bellen begonnen. Das macht er eigentlich eher selten.«

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte der Köstlbacher.

»Nun, entweder er freut sich sehr. Dann klingt das Bellen aber anders. Oder er hat Angst. Dann klingt es auch wieder anders.«

»Und wie hat es gestern geklungen?«, wollte der Köstlbacher wissen.

»Gestern? Irgendwie aggressiv. Er mochte die dunkle Gestalt offensichtlich nicht. Hunde sind diesbezüglich sehr sensibel. Gino ist schon alt. Er sieht kaum noch. Seine Welt besteht aus Gerüchen. Und das, was er hier in die Nase bekam, schien ihm nicht gefallen zu haben.«

Der Köstlbacher machte sich dazu ein paar handschriftliche Notizen in ein kleines schwarzes Büchlein, das an ein Gebetsbuch erinnerte.

»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«

»Ich habe es ja viel mit Menschen zu tun, aber sehr eigenartig fand ich, dass ich nicht unterscheiden konnte, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelte. Schon seltsam, oder? Aber vielleicht war doch nur das schlechte Licht daran schuld. Und ganz ehrlich, ich habe dann auch nicht weiter darüber nachgedacht, weil die Person hinab in Richtung Friedhof im Halbdunkel verschwand, während ich mit Gino die andere Richtung einschlug.«

»Hm! Vorher schon einmal gesehen haben Sie diese Person nicht?«

»Definitiv nicht. Daran würde ich mich erinnern.«

»Ach ja, Ihr Mann sagt, Sie kennen diese Joggerin vielleicht?«

»Kennen ist nicht der richtige Ausdruck. Ich habe sie schon hin und wieder gesehen und das eine oder andere Mal ein ›Hallo!‹ mit ihr gewechselt. Mehr nicht.«

»Und sie kam immer bergauf hier vorbei?«

»Ob sie das immer so machte, das kann ich nicht sagen. Aber ich habe sie nie anders hier vorbeikommen sehen. Vielleicht drehte sie eine Runde. Aber bezeugen kann ich das nicht, weil ich so gut wie nie im Laufe des Vormittags mit Gino rausgehe. Zudem sind später so viele Leute hier unterwegs, dass man auf eine einzelne Person nicht mehr achtet.«

»Hm!«, brummte der Köstlbacher erneut, nicht besonders zufrieden mit dem, was er zu hören bekommen hatte. Weitere Fragen würden im Moment zu nichts führen. Daher bedankte er sich und verließ das Anwesen. Am immer noch offenstehenden Tor kam ihm der Baldauf entgegen.

»Die Kollegen von der Streife haben ihren Wagen gefunden. Einen Mini. Jetzt wissen wir auch, um wen es sich bei der Toten handelt.«

Kapitel 5

Die Kommissarin Martina Cuscunà hielt im Präsidium der Kripo in der Bajuwarenstraße 2c die Stellung. Ihr Chef, der Köstlbacher, war mit dem Baldauf immer noch oben in der SEIDENPLANTAGE, die Kommissarin Koch mit ihrer Hündin unterwegs zu ihm. Und alle anderen Kollegen und Kolleginnen hatten Ortstermine wegen anderer Ermittlungen. Seit Wochen ein seltener Zustand, dass jeder einer Beschäftigung nachging, die nicht nur zum Todschlagen von Dienstzeit angeordnet worden war.

Nicht etwa, dass das Nichtstun bei der Polizei, insbesondere bei der Kripo, der Normalzustand wäre. Es ist in der Tat eher der Ausnahmezustand. Aber seit dieses Virus das öffentliche Leben derart lahm legte, passierte einfach nicht mehr so viel. Zumindest nicht bei der Kripo. Die in den Straßen patrouillierende Polizei hingegen musste Überstunden schieben. Letztendlich eine Begleiterscheinung von COVID-19, zumindest der daraufhin angeordneten Einschränkungen und Vorschriften, deren Einhaltung es zu überwachen galt. Natürlich stieg im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie die häusliche Gewalt, die ein Einschreiten der Kripo allerdings nur in Ausnahmefällen nötig machte. Zumindest dem Köstlbacher seine Truppe wurde in aller Regel erst gerufen, wenn schwere Körperverletzung vorlag, und der Tathergang nicht eindeutig war. Zum Glück hielten sich solche Vorkommnisse in Regensburg in Grenzen.

 

Mag sein, in Berlin oder Hamburg, vielleicht sogar in München, war die Sachlage anders. Millionenstädte waren immer schon anders dimensioniert. Wenn in Regensburg 150 Leute an einer Demo mitmachen, und das Wort ›randalieren‹ den meisten davon ein Fremdwort ist, dann geben sich in Berlin vor dem Brandenburger Tor schnell mal 20 Tausend und mehr Demonstranten ein Stelldichein. Und ein paar, die so eine Demo gerne dazu nutzen, gehörig Dampf abzulassen, sind immer darunter. Aber in Regensburg …? Natürlich gibt es auch in Regensburg ein paar Bescheuerte, aber die wären notfalls auch mit einer Wasserpistole zur Ruhe zu bringen. Ob die Polizei in Regensburg über einen Wasserwerfer, quasi die professionelle Version der Wasserpistole, verfügt, das ist ernsthaft zu bezweifeln.

Also gingen seit dem Ausbruch der Pandemie größere Straftaten, bei denen Personen zu Schaden kamen, erst einmal zurück. Bis sich die neue Situation dann einzupendeln begann. Vielleicht auch, weil sich einiges aufgrund all der Einschränkungen aufgestaut hatte.

Vergleichen lässt sich das gut mit dem Geschehen in einem Vulkan. Lange passiert nichts. Der Druck wird stärker, was höchstens an einigen Rauchwölkchen zu erkennen ist. Aber irgendwann steigt der Druck ins Unermessliche und er bricht aus. So einen triebgeleiteten Verbrecher zum Beispiel, den können äußere Umstände durchaus einmal längere Zeit davon abhalten, wieder aktiv zu werden. Aber eben nur längere Zeit und nicht für immer.

Jedenfalls bekam die Kripo plötzlich wieder alle Hände voll zu tun. Das oben in der SEIDENPLANTAGE war dabei erst der Anfang.

Trotzdem schlug zumindest für den Moment eine damit in aller Regel einhergehende Hektik bis ins Präsidium noch nicht durch. Die Kommissarin Martina Cuscunà hatte noch immer nichts Konkretes zu tun und träumte, während sie an ihren Fingernägeln herumfeilte, vom letzten Jahnspiel, wo sie geschlagene 90 Minuten am Stück ganz ungeniert all die attraktiven Spieler beobachten konnte, ohne deswegen gleich als Voyeurin verdächtigt zu werden.

Frau Cuscunà war noch nicht besonders lange im Team vom Köstlbacher. Böse Zungen behaupteten, sie hätte diesen Posten nur erhalten, weil sie eine Freundin der Staatsanwältin Dr. Simone Becker war. Eine dieser bösen Zungen war die Edith Klein, die Sekretärin vom Köstlbacher. Aber wer die Edith Klein kennt, der kann sich denken, warum die so etwas erfand. Martina Cuscunà konnte es als einzige im direkten Team vom Köstlbacher mit seiner Sekretärin in punkto Aussehens aufnehmen. Nicht etwa, weil beide blond waren. Deswegen schon dreimal nicht, weil die Klein ihre Haare ja immer wieder anders färbte. Aber die Cuscunà war auf ihre Art ebenso attraktiv wie die Klein. Und das hatte was zu sagen, weil die Klein bislang unumstritten als die schönste Frau im Präsidium galt. Von der Staatsanwältin einmal abgesehen.

Das sah auch der Köstlbacher so, wenngleich er es nie zugab, damit seine Anna ihm zu Hause wegen seiner Sekretärin nicht noch mehr die Hölle heiß machte.

Dass es außer der Klein inzwischen diese Cuscunà im engeren Team ihres Mannes gab, das war der Anna Köstlbacher zwar schon zu Ohren gekommen, aber das störte sie nicht. Noch nicht! Ihr Groll war außer auf die Klein momentan mehr auf die Staatsanwältin Dr. Simone Becker gerichtet, mit der ihr Edmund im engen beruflichen Kontakt stand. In zu engem Kontakt, wie es ihr schien, was allerdings nur ein Auswuchs ihrer blühenden Fantasie war. Wirklich eng, zumindest räumlich gesehen, arbeitete der Edmund nur mit seiner Sekretärin zusammen. Immerhin versorgte die ihn auch mit Getränken und Leckereien, wenn ihm danach war, hin und wieder sogar mit einer deftigen Brotzeit.

Martina Cuscunà, die von den ›Problemen‹ der Frau ihres Chefs nichts wusste, war immer noch in Gedanken versunken. Ihr verträumter Blick wäre jedem Beobachter sofort aufgefallen. Aber es gab keinen Beobachter. Nur ein Telefon, das gerade jetzt, außer zu klingeln, auch noch rot blinkte. Das rote Blinken war dafür gedacht, dass sie, falls sie gerade in einer Besprechung wäre und nicht gestört werden wollte, wenigstens sehen konnte, dass jemand anrief.

»Hallo Martina«, begrüßte sie ihre Freundin, die Staatsanwältin Frau Dr. Simone Becker.

»Hallo Simone! Du überraschst mich. Ein privater Anruf bei mir im Dienst?«

»Da muss ich Dich enttäuschen, liebe Martina, ist nicht privat. Ich kann nur niemanden im Präsidium erreichen. Die Klein hat mich bereits informiert, was los ist. Leider ist auch Euer Abteilungsleiter Lenz nicht im Haus.«

»Er hat einen Termin in München, sollte aber eigentlich schon längst zurück sein! Was kann ich für dich tun?«

»Unsere gemeinsame Freundin Petra Herrmann hat mich angerufen. Sie hat wegen der Mord-Sache da oben vor der Seidenpantage Angst, Kundschaft zu verlieren und möchte gerne, dass seitens der Kripo bald eine Pressekonferenz abgehalten wird, um die Leute zu beruhigen. Ich weiß natürlich, dass das nicht in deiner Macht steht. Aber vielleicht kannst du diesbezüglich den Köstlbacher sensibilisieren, sobald er zurück ist? Natürlich melde ich mich später noch selbst bei ihm. Aber du kennst ihn ja. Er kann sehr ruppig werden, wenn er sich überfallen fühlt. Zumal, wenn er erfährt, dass wir beide die Petra kennen. Verheimlichen lässt sich das auf Dauer kaum.«

»Ich werde mein Bestes tun. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ihn nur eine dienstliche Anweisung überzeugen wird.«

»Wird notfalls von mir persönlich ergehen. Aber trotzdem wäre etwas Vorfühlen sicher nicht verkehrt. Ich möchte vermeiden, dass meine Intervention im Zusammenhang mit meiner Freundschaft mit Petra gewertet wird.« ›Was allerdings so ist!‹, dachte Martina und beendete das Gespräch.

Kapitel 6

Die ersten Kunden für die ›Dayspa‹, zwei Frauen und ein Mann, hatten sich inzwischen auf den Weg gemacht, um ihre gebuchten Anwendungen in der SEIDENPLANTAGE zu genießen. Zwar waren zu diesem Zeitpunkt immer noch einige Kräfte der Polizei und der Kripo vor Ort, aber ›The show must go on!‹ Schließlich war in der SEIDENPLANTAGE selbst nichts passiert. Warum also Leute nach Hause schicken, die sich schon lange auf ihren Aufenthalt in den verspielen Räumen der ›Dayspa‹ freuten, in denen sie sich in die orientalische Welt aus ›1000 und eine Nacht‹ versetzt fühlen konnten. Zumal der erste Corona-Lockdown das lange genug unmöglich gemacht hatte.

Bis dann die dritte oder vierte Kundin auf dem Weg zum Haupteingang einen Schrei ausstieß. Schon bei den ersten Schritten, den sie durch das wegen des Polizeieinsatzes immer noch weit geöffnete Haupttor machte, fiel es ihr auf. Das blutige Messer, das seitlich auf dem Kies lag. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum dieses Messer vorher niemandem aufgefallen war. Aber danach gesucht wurde nur draußen auf der Straße, im Gestrüpp hinter den Bäumen, unter den Bäumen selbst, ja sogar unten vor dem Friedhof in den Abfallkörben. Niemand suchte innerhalb der Einzäunung der SEIDENPLANTAGE, quasi auf dem Grundstück des an die Tat angrenzenden Anwesens.

Da die Spusi schon wieder weg war, steckte der Köstlbacher höchst persönlich das Messer in einen Asservatenbeutel. Das Blut musste noch mit dem der Leiche abgeglichen und der Griff auf etwaige Fingerabdrücke untersucht werden. Das Team eines der letzten noch nicht abgefahrenen Einsatzfahrzeuge nahm das Messer entgegen und fuhr es der Spurensicherung hinterher.

Fast zeitgleich kam die Kommissarin Koch mit ihrer Hündin Mina zurück. Negativ. Anfangs schien die Hündin zwar eine Spur gefunden zu haben, aber je näher sie dem Friedhof gekommen waren, desto mehr verwirrten die dort vielfältigen Gerüche die sensible Hundenase. Die Spur verlor sich sprichwörtlich im Nichts. Vor dem Verladen in den Hundetransportkäfig im Dienstwagen wurde die Hündin aus unerfindlichen Gründen wieder nervös und bellte leicht aufgeregt, aber niemand achtete darauf. Auch die Koch nicht. Ihr Job und der ihrer Hündin waren erledigt.

***

Niemand hatte damit gerechnet und niemand hätte damit rechnen können, dass die gesuchte Person sich nie wirklich weit entfernt hatte. Ein Paar abgestreifte Latexhandschuhe, ein Paar entfernte Überschuhe, wie die Spusi sie trug, um eigene Spuren nicht mit fremden zu vermischen, einige Änderungen am Outfit … und schon konnte man sich innerhalb eines unauffälligen Personenkreises bewegen. Die Idee, selbst das weggeworfene Messer zu finden und es der Polizei zu übergeben, war spontan gekommen. Es musste gefunden werden. So war der Plan! Dass eine andere Kundin der ›Dayspa‹ letztendlich schneller sein würde, war dennoch kein Beinbruch. Plan ausgeführt, wenn auch in abgeänderter Form!

Kapitel 7

Die folgenden Stunden waren im Präsidium von Hektik geprägt. Regensburg mag ob seiner Einwohnerzahl als Großstadt gelten, aber ein Mord ist hier immer noch etwas Außergewöhnliches, das selbst die augenblicklichen sehr beängstigenden COVID-19 Nachrichten von der Titelseite der Mittelbayerischen Zeitung verdrängte. Und wieder wusste mal niemand, wie die Presse Wind davon bekommen hatte. Auf alle Fälle war der Köstlbacher kaum zurück in seinem Büro und wollte seine Truppe gerade zu einer Lagebesprechung zusammentrommeln lassen, als ihm die Klein einen angeblich freien Journalisten durchstellte, der nähere Details zum Mord oben auf den ›Winzerer Höhen‹ wissen wollte.

»Hallo Herr Kommissar Köstlbacher. Mein Name ist Rudolf Kamarek. ›Unabhängige Presse Regensburg‹. Ich hätte ein paar Fragen an Sie wegen des Mordes von heute Morgen.«

»Ich kenne keine ›Unabhängige Presse Regensburg!«. Der Tonfall vom Köstlbacher sagte viel aus über seine Lust, momentan mit einem Journalisten zu reden. »Außerdem haben wir einen Pressesprecher. Wenden Sie sich an den!«

»Dann stimmt es also, dass heute eine junge Frau vor der SEIDENPLANTAGE ermordet worden ist?«

»Haben Sie nicht verstanden? Wenden Sie sich an den Pressesprecher!«, sagte der Köstlbacher und legte auf. Durch die halb offenstehende Tür zu seiner Sekretärin Edith Klein grantelte er:

»Wenn wieder so ein Pressefuzzi in der Leitung ist, dann wimmeln Sie ihn ab! Wir haben die Ermittlungen noch nicht einmal richtig aufgenommen, schon sind diese Aasgeier da.«

»Entschuldigung Chef! Aber während Sie außer Hauses waren, hat Ihre Kollegin Cuscunà durchblicken lassen, dass eine Pressekonferenz anberaumt werden soll. Und da dachte ich…!«

Der Köstlbacher erhob erstaunt seine Augenbrauen. ›Was zum Teufel ist in die Cuscunà gefahren?‹, fragte er sich und befahl laut: »Beordern Sie alle vom Team zu mir in den Konferenzraum. In einer Stunde! Wer unterwegs ist, soll unverzüglich seinen Einsatz abbrechen und zur Dienstbesprechung kommen!«

Der Köstlbacher ist, wie viele seiner leitenden Kollegen in anderen Städten, ein großer Fan von Pinnwänden. Eine steht in seinem Büro, eine übergroße im Konferenzraum und eine eher minimalistisch kleine, bei ihm zu Hause. Die Pinnwand in seinem Büro hilft ihm, seine Gedanken zu einem Fall zu ordnen. Die im Konferenzraum gibt allen einen schnellen Überblick und wird ständig erweitert und umgebaut. Was im Konferenzraum an die Pinnwand kommt, ergänzt der Köstlbacher anschließend an seiner persönlichen im Büro. Oder er lässt es von der Klein ergänzen. Die macht dann im Konferenzraum ein Foto und bringt anschließend die Pinnwand in seinem Büro auf den neuesten Stand.

Und die zu Hause? Die zu Hause ist eigentlich nur digital. Ein Handyfoto von der in seinem Arbeitszimmer im Präsidium, wenn man so will. Fallen ihm dann zu Hause Ergänzungen ein, dann macht er sich Notizen auf Zettelchen. Das kann überall geschehen. Sogar auf der Toilette. Dort sogar besonders gerne, weil es die Anna hasst, wenn er seine Arbeit zu Hause fortsetzt und sich keine Zeit für sie nimmt, wo er doch ohnehin selten pünktlich zum Abendessen nach Hause kommt. Ein Teilbereich der Pinnwände im Präsidium ist immer reserviert für eine Regensburg-Karte. Ermittlungsrelevante Orte werden dort mit kleinen Fähnchen gekennzeichnet. Das geht sogar digital. Der Kollege Jens Homeier von der Technik, ein junger Spund, frisch von der Uni, null Ahnung von der Polizeiarbeit, aber ein absoluter und exzellenter Informatik-Freak, hatte dem Köstlbacher eine App auf seinem Handy eingerichtet, mit deren Hilfe er eine Regensburg-Karte digital bearbeiten konnte. Der Jens, sein Spitzname ist ›Nerd‹, hatte das so perfekt erklärt, dass es sogar der Köstlbacher ›himself‹ verstanden hatte und am Ende sogar damit umgehen konnte.

 

Erfreulich pünktlich kamen alle zur Besprechung in den Konferenzraum. Früher hätte so eine Besprechung auf engstem Raum im Arbeitszimmer vom Köstlbacher stattgefunden. Aber früher gab es auch noch kein Corona! Jetzt musste alles auf Abstand erfolgen und natürlich mit Maske. Zum Glück gab es so einen großen Konferenzraum. Vor Corona war dieser Raum nur zu Fortbildungszwecken und hin und wieder zu größeren Zusammenkünften mit dem Abteilungsleiter und der Staatsanwältin genutzt worden und stand sonst leer.