Love of Soul

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Kapitel 4

Bei Anna fühlte ich mich einige Zeit auch glücklich ohne Mann, außerdem befand ich mich seit Langem im Tal der tausend Unzulänglichkeiten, was mir die Sicht zur Sonne versperrte. Die Männer verwirrten mich immer mehr. Manchmal glaubte ich, dass sie Angst hatten vor einer Frau wie mir, die sich nicht alles gefallen ließ, ihren eigenen Willen hatte und die man nicht zähmen konnte, weil sie sonst verwelkte und glanzlos wurde. Frauen wie mich mussten sie besiegen, ihren Willen brechen, sie verletzen, damit sie ihre Maske nicht verloren. Zum Glück hatte mich das Leid meiner Mutter in ihrer Ehe etwas stärker gemacht. Ich wusste zumindest, wie ich nicht werden wollte, bescheiden, zumindest nicht so wie meine Mutter, die sich gar nichts gönnte, angepasst, folgsam, still leidend, dem Manne untertan. Auch, wenn wir im Zeitalter der Gleichberechtigung waren, gab es doch immer wieder Ausnahmen, wie zum Beispiel meinen Vater, der ein purer Macho war. Gut, eines hatte sie nach dreizehn Jahren Ehe geschafft: dass sie arbeiten durfte, aber nur, weil mein Vater sein Geld oft verzockte und wir es dringend nötig hatten. Ich hatte nur ein einziges Problem, dass ich manchmal in dieselbe Falle wie meine Mutter tappte, weil sich die Männer gut tarnen konnten und gute Köder für ihre Fallen ausstellten und ich teilweise über meine eigenen Schwächen stolperte, die sich nicht so leicht ausrotten ließen ‒ nämlich die Bequemlichkeit, die Gutgläubigkeit und der riesige Hunger nach Liebe, die mich immer wieder blind machten. Sonst wäre ich auch nie so lange mit Thomas zusammengeblieben, weil es mich immer wurmte, dass er mich nicht Kunst studieren ließ und ich nur zweimal die Woche arbeiten durfte. Ich hätte mich dann auch nicht auf den Spanier eingelassen, der mich sowieso nur enttäuschte. Ich muss zugeben, dass das Südländische schon seinen Reiz hatte, aber hinter seinem Charme, auf den man leicht hereinfallen konnte, verbarg sich meistens ein Macho. Ich wollte aber nicht mehr hereinfallen und enttäuscht werden. Also nahm ich mir vor, gar nicht mehr so viele Gefühle zu investieren, reiner Sex machte doch auch Spaß. Ich lockte die Männer an, bezauberte sie, und wenn ihr Begehren jede einzelne Pore meines Körpers durchdrungen hatte, dann gab ich mich hin, aber nur meinen Körper. Als mein Hunger gestillt war, rannte ich zum nächsten. Es machte mir Spaß, dass mich die Männer nicht durchschauen konnten. Ich spielte meine Rolle perfekt. Ich stillte meinen sexuellen Hunger, aber meine Seele ließ ich verdursten. Manchmal, wenn sie sich unverhofft meldete, weinte ich unsichtbare Tränen in die Kissen, damit der andere es nicht bemerken konnte. Manchmal ging ich auch aus Mitleid mit ihnen ins Bett. Ich hatte Mitleid mit den Männern, aber nicht mit mir.

Ich lernte Annas Bruder Carlos kennen, der wieder von einer seiner Reisen zurückkam. Er war ein netter Mensch und wurde auch für mich wie ein Bruder. Er hatte Anna sehr geholfen, als ihr Vater ihre Mutter verließ, weil sie ihn sehr liebte. Carlos meinte, dass er mal Priester hatte werden wollen, aber die Frauen ihn nicht ließen. Er wollte dann doch auf die Frucht, die Gott erschaffen hatte, nicht verzichten, und darum wurde er eher zum Frauenheld, weil die Frauen ihn liebten und er sie auch. Man hatte auch wirklich das Gefühl, dass man ihm alles anvertrauen konnte. Er hatte so eine gelassene, beruhigende Ausstrahlung, die nichts aus der Ruhe brachte. Für mich löste er zum Glück mehr brüderliche Gefühle aus, und ich war froh, dass wir so gute Freunde sein konnten.

***

In den Semesterferien arbeitete ich sechs, manchmal sieben Tage die Woche. Ich lernte eine Menge Leute kennen und hatte jeden Abend einen gefüllten Geldbeutel, mit dem es sich leben ließ. Ich konnte mir all die Dinge leisten, die ich mir vorher nicht hatte kaufen können. Nach der Arbeit ging ich immer noch weg, weil ich danach so aufgedreht war, dass ich nicht schlafen konnte. Erst in den frühen Morgenstunden fiel ich ins Bett und war wie tot.

***

Anna lag mit einer Eierstockentzündung im Bett, und ich lernte Patrick kennen. Er war ein guter Tänzer, und ich war mir sicher, dass er sonst auch nicht schlecht sein musste, ich meine natürlich im Bett. Ich fing mein Spiel wieder an, aber ich merkte, dass er es auch gut beherrschte. Ich wollte ihn zappeln lassen, schaffte es aber nicht und vergaß alles um mich, sogar die Pizza, die ich Anna hätte mitbringen sollen. Ich dachte nur noch eins: Pass auf, dass du dich nicht verliebst. Denn ich sah schon wieder den Teufel, der dahinter hämisch grinste. Es war aber schon zu spät, denn er küsste mich, und ich musste aufpassen, dass er mir nicht gleich die Klamotten vom Leib riss. Ich fuhr wie ferngesteuert in seine Wohnung. Er legte etwas Kokain auf den Tisch. Ich hatte das Teufelszeug schon mal mit Anna genommen und zögerte etwas, weil es mir danach nicht ganz so gut gegangen war. Damals hatte ich den zweiten Tag im Bett verbracht, weil sich mein Körper das holte, was das Kokain ihm genommen hatte, nämlich Schlaf; aber schlafen konnte ich nicht, weil mein Herz wie wahnsinnig zu rasen anfing, dass ich dachte, es liefe aus meinem Körper heraus. Musste schlechtes Zeug gewesen sein.

„Nimm es!“, meinte Patrick.

„Ich weiß nicht.“

Ich überlegte, und dann nahm ich es doch. Es dauerte nicht lange, bis ich in seinem Bett landete und meine Lust in vollen Zügen genoss. Wie die Tiere fielen wir übereinander her. Fünf Stunden wurden meine abgründigsten Wünsche erfüllt. Erst gegen Mittag schliefen wir erschöpft ein. Als ich wieder aufwachte, kam ich mir vor wie gesteinigt. Ich versuchte, die letzte Nacht zu rekonstruieren, und konnte gar nicht fassen, was da mit mir passiert war. Ich sah ihn an und hatte das Gefühl, dass ich mich in ihn verliebt hatte. So ein Mist!

Als er aufwachte, gingen wir zusammen frühstücken.

„Wieso hast du mich gestern mitgenommen?“, fragte ich. Ich wollte sofort die Wahrheit wissen und nicht, wenn es zu spät war.

„Alles an dir hat mich irgendwie gezwungen, deine traurigen Augen, dein verlangender Mund, dein rotes Kleid.“

Er grinste. „Mein Schwanz war geradezu verrückt danach, in dich einzudringen.“

Diese Wahrheit war knallhart, und mein Gesicht tränkte sich mit roter Farbe. Ich wusste gar nicht mehr, wo ich hinsehen sollte, und zündete mir verlegen eine Zigarette an.

„Du bist in mich eingedrungen. Und was jetzt? Jetzt kommt die nächste, oder?“

„Nein, ich will mehr. Du nicht?“

„Ich weiß es nicht. Ich meine, ich kenne dich eigentlich gar nicht.“

Er grinste wieder. „Oh, wenn ich an die letzte Nacht denke, dann kommst du mir sehr bekannt vor. Ich glaube, dass es keine Stelle an deinem Körper gibt, die ich nicht kenne.“

Mein Gesicht glühte schon, aber ich musste da durch. Wie würde mein Opa sagen? Bauernbacken.

„Du kennst nur meinen Körper, und den auch nur unter Drogen. Das kann doch nicht alles sein. Du bist kein Typ, der lieben kann, ich meine mit dem Herzen. Das gestern waren doch nicht wirklich wir. Das war nur Schein.“

„Finde ich nicht. Du bist mal ziemlich enttäuscht worden. Es muss nicht immer gleich die große Liebe sein. Manchmal zählt einfach nur Spaß, aber das ist bei euch Frauen immer ein Problem.“

Ich dachte ja genauso, dass man sich nicht zu viel vormachen sollte, dass man das Leben mehr genießen sollte, ohne sich gleich zu binden und das Große zu erwarten. Das Problem war nur, dass ich mich verliebt hatte, und gegen Gefühle konnte man nicht ankämpfen.

„Fahren wir wieder zu mir“, meinte er. „Hier ist alles so unpersönlich.“

Wir standen auf und fuhren los. Ich folgte ihm ja schon wie ein Hündchen, das läufig war.

„Lass dich einfach fallen“, meinte er, und ich ließ mich fallen. Genau drei Tage und drei weitere Nächte ließ ich mich fallen. Ich rannte die ganzen Tage nur in seinen Jogginghosen und seinen T-Shirts herum, weil ich nichts zum Anziehen dabeihatte. Am vierten Tag fuhr ich mit schlechtem Gewissen zu Anna, die sich bestimmt Sorgen machte, weil sie überhaupt nicht wusste, wo ich war.

„Tut mir leid“, meinte ich reumütig, als sie mich ansah, als wäre ich ein Gespenst. „Ich bin eine miese Freundin. Wie geht es deiner Entzündung?“

„Schon ok. Ich habe nicht erwartet, dass du meine Krankenschwester spielst, aber auf die Pizza habe ich gewartet. Wir hatten nur noch verschimmeltes Brot und gegorene Milch. Ich habe mir dann eine kommen lassen, nachdem ich zwei Stunden auf dich gewartet hatte und du auch nicht an dein Handy drangegangen warst. Am nächsten Tag hat eine Nachbarin für mich eingekauft, weil ich sonst verhungert wäre. Wen hast du überhaupt kennengelernt? Du siehst ja fertig aus.“

„Ich bin auch total am Ende. Du kennst ihn vom Sehen, Patrick heißt er.“

„Er muss dich ja ganz schön gestresst haben.“

„Ja, das kann man sagen.“

Ich erzählte Anna von den Nächten mit ihm, und Anna grinste dabei.

„Ich glaube nicht, dass er dir auf die Dauer gut bekommt.“

„Ja, momentan brauche ich auch etwas Abstand von ihm.“

Zwei Tage brauchte ich, um mich zu erholen, dann ging ich wieder arbeiten. Nach der Arbeit rief ich bei ihm an, weil er sich nicht meldete. Nicht mal eine SMS. Selbst war die Frau. Er ging aber nicht ans Telefon. Nur die doofe Mailbox war dran.

Ich fuhr mit Anna in die Disco, in der Hoffnung, ihn zu sehen. Ich sah mich um, aber keine Spur von ihm.

„Ist er das?“, fragte Anna.

Er stand tatsächlich an der anderen Bar mit einer Tussi im Arm, die ich vom Sehen her kannte. Sie unterhielten sich ganz angeregt, und ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr kannte, tauchte plötzlich wieder auf, nämlich Eifersucht. Ich sah sie schon zusammen im Bett, und da kochte es innerlich in mir. Er würdigte mich keines Blickes, obwohl er mich gesehen hatte ‒ als wäre ich Luft. Ich bestellte mir gleich einen doppelten Jacky Cola und tanzte. Ein Typ, den ich flüchtig kannte, tanzte auf mich zu und machte mich an. Ich ging darauf ein, weil ich Patricks Blicke spürte. Vielleicht wurde er ja auch eifersüchtig. Der Typ hieß Mario und war kein schlechter Tänzer. Als uns das Wasser herunterlief, erfrischten wir uns an der Bar. Ich schüttete gleich einen halben Liter Wasser in mich hinein. Jetzt behandelte ich Patrick wie Luft. Anna unterhielt sich angeregt mit einer Bekannten und warf mir ab und zu unverständliche Blicke zu, aber sie wusste ja auch nicht, warum ich mich so benahm. Ich wusste es eigentlich selbst nicht. Der Typ hatte seine Hände bald überall an meinem Körper, aber ich ließ es geschehen, denn mir war alles egal. Auf einmal war Patrick mit seiner Tussi verschwunden, und ich konnte ihn nirgendwo finden. Ich trank noch einen Jacky und wollte enttäuscht gehen, aber dieser Mario klebte wie Kaugummi an mir und nervte mich, weil meine Gedanken nur bei Patrick waren. Ich ließ ihn einfach stehen und ging zu Anna, um mich zu verabschieden.

 

Mario ging mir hinterher und zog mich wieder auf die Tanzfläche. Auch schon egal, dachte ich mir. Ich sah nur noch eins, Patrick mit dieser Tussi im Bett, und das machte mich fast wahnsinnig. Ich trank noch einen Wodka, und es kam so weit, dass mich Mario überredete, zu ihm zu fahren. Mir war sowieso schon alles egal. Aus reinem Trotz fuhr ich mit, denn der Typ bedeutete mir gar nichts, aber der Alkohol machte meinen Verstand unwillig.

Als wir bei Mario waren, fühlte ich mich sofort unwohl, alles nur Hightech. Es wirkte so steril, dass man sich gar nicht hinzusetzen traute. Die kalte Atmosphäre, nicht mal eine Pflanze stand im Raum, machte mich total unsicher und wieder nüchtern, sodass ich überhaupt nicht mehr wusste, warum ich hier war. Das war nicht einmal Patrick wert. Ich wollte nur eins, weg von hier. Mario legte Musik auf und holte ein kleines Päckchen heraus. Dieses Giftzeug verfolgte mich.

„Willst du auch was?“, fragte er.

„Nein, ich gehe jetzt lieber. Muss morgen früh aufstehen.“

Er tat, als hätte er mich nicht gehört, und zog sich das Zeug gierig rein. Danach setzte er sich lüstern auf meinen Schoß und wollte mich abknutschen. In mir drehte sich alles, und bevor ich zu kotzen anfing, wollte ich aufstehen. Diese Sabberei widerte mich an. Es war, als wollte er in meine Bronchien gelangen.

„Ich gehe jetzt“, sagte ich bestimmt.

„Nein, nicht jetzt.“

„Doch, ich bin müde. Ich muss morgen früh raus“, wiederholte ich.

Ich drückte ihn weg, stand auf und wollte zur Tür, aber er war schneller, sperrte ab und zog den Schlüssel heraus.

„Du kannst doch jetzt nicht wirklich gehen“, meinte er. „Soll das ein Witz sein?“

„Nein, eigentlich nicht. Lass mich sofort raus.“

„Wieso?“

„Frag nicht so dumm.“

Panik ergriff mich auf einmal, und von einer Sekunde auf die andere erschien er mir wie ein Monster, das mich auffressen wollte.

„Du zitterst ja“, meinte er grinsend. „Hast du Angst?“

„Nein, mir ist kalt“, log ich.

Nur keine Angst zeigen, sonst nutzt er die Situation noch mehr aus, dachte ich mir.

„Ich will gehen“, schrie ich ihn an. „Mein Hund wartet auf mich.“

Ich dachte an Venus, die ich vermisste. Sie lebte jetzt bei Oma, weil ich zu wenig Zeit für sie hatte und das Landleben besser für sie war.

„Ach, dein Hund. Der kann warten.“

Er legte den Schlüssel demonstrativ auf den Tisch, griff mich unsanft am Arm und zog mich ins Schlafzimmer. Ich wünschte mir, dass ich den Selbstverteidigungskurs, den ich schon immer machen wollte, gemacht hätte. Ich dachte an meine Gaspistole in der Tasche, die auf der Couch lag. Thomas hatte sie mir mal geschenkt, weil er Angst um mich hatte, wenn ich abends allein unterwegs war. Jetzt hatte ich Angst um mich. Lieber Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann hilf mir! Aber wenn ich an die Ungerechtigkeiten dieser Welt dachte, dann hatte ich nicht viele Chancen, dass meine Bitte erhört wurde, außerdem war ich ja selbst schuld, weil ich mit dem Arsch mitgegangen war. Wo bist du, Mutter? Konntest du nicht einmal da sein, wenn ich dich brauche? Wenn ich geschrien hätte, dann hätte es bestimmt keiner gehört, und wenn es jemand gehört hätte, dann hätte es ihn nicht interessiert. Als er mich unsanft aufs Bett warf, kam ich mir vor wie auf einer Schlachtbank.

„Du kleines Miststück“, sagte er. „Dachtest du wirklich, das könntest du mit mir machen? Zuerst machst du mich geil, und dann, wenn es darauf ankommt, willst du wegrennen? Nicht mit mir.“

Er starrte mich an wie ein perverser Lüstling. Dann zog er sich aus. Sein Schwanz kam mir vor wie eine Mordwaffe, die auf mich gerichtet war und jeden Moment losging. Ich hatte das Gefühl, wenn er in mich eindränge, dass mein Körper wie Glas zerspringen und in tausend Scherben zerbersten würde. Sein Geruch verursachte mir Ekel. Er zog mich an den Haaren zu seinem Wasserbett und gab mir einen kräftigen Schubs. Ich fiel wie ein Brett ins Bett, das mich hin und her schaukelte. Ich kam mir vor wie kurz vor dem Ertrinken. Ich wehrte mich, als er sich auf mich warf. Er schlug mir ins Gesicht, sodass ich ganz benommen davon war. Plötzlich klingelte es an der Tür.

„Es hat geklingelt“, sagte ich.

„Egal“, meinte er.

Es hörte aber nicht auf zu klingeln.

„Du bleibst, wo du bist“, befahl er.

Er stand auf, zog sich seine Hose an und ging zur Tür.

Ich ging ins Wohnzimmer, schnappte mir meine Tasche und holte meine Gaspistole heraus. Er stand im Gang und unterhielt sich mit einem Typen. Der andere sah ganz sympathisch aus, aber ich traute keinem mehr, und so ging ich auf die beiden zu und hielt ihnen die Knarre vors Gesicht.

„Geht zur Seite!“, sagte ich. „Ich will hier raus.“

„Ist die verrückt?“, meinte der eine.

„Hat sich wahrscheinlich zu viel reingezogen“, meinte Mario.

„Ich habe mir gar nichts reingezogen. Du Arsch wolltest mich vergewaltigen.“

„He, Mario, spinnst du?“, meinte der andere. „Lass die Frau in Ruhe.“

„Zuerst macht sie mich an, und dann lässt sie mich eiskalt stehen“, meinte Mario.

„Deswegen braucht man keine Frau zu vergewaltigen. Du bist ja drauf. Hast dir wahrscheinlich zu viel reingezogen. Lass sie gehen.“

„Soll sie doch gehen, die Schlampe. War sowieso nicht mein Typ.“

Ich machte die Tür auf und rannte die Treppen hinunter. Mein ganzer Körper zitterte, und als ich auf der Straße ankam, musste ich mich erst mal übergeben. Mein Gesicht fühlte sich glühend heiß an und tat weh. Geld fürs Taxi hatte ich nicht mehr, und der Akku von meinem Handy war auch noch leer, also musste ich zur nächsten Telefonzelle, um Anna anzurufen, damit sie mich holen konnte. Sie war zum Glück da und kam gleich.

„Was ist mit dir los?“, fragte sie besorgt, als sie mich sah, frierend und mein Gesicht zu Eis gefroren, weil mir der Schock immer noch im Gesicht stand.

„Erzähle ich dir später.“

***

Als wir endlich zu Hause waren, schenkte Anna mir gleich einen doppelten Wodka ein und gab mir Eiswürfel für mein Gesicht. Ich konnte nicht mal reden. Meine Augen starrten in die dunkelste aller Nächte. Als ich das Glas leer hatte, weinte ich, bis kein Tropfen mehr in mir war. Ich saß mindestens drei Stunden auf dem Küchenstuhl, wie angenagelt, und als die Sonne, die mir so fremd vorkam, aufging, kam es mir vor, als wäre mein Körper Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, ohne jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Es war mir völlig egal, wohin ich flog, denn ich hatte keine Empfindung mehr. Ich sah auf einmal, wie sich alles von mir löste, die Arme, die Beine, die Hände, der Kopf, die Haare, die Innereien; ziellos flogen die Teile durch die Atmosphäre, nur das Herz rannte der Sonne entgegen, und ich sah, wie es erleuchtete und verglühte.

Als ich die Augen vorsichtig öffnete, konnte ich mich an die letzte Nacht kaum noch erinnern.

War wahrscheinlich Selbstschutz, weil das Herz sonst zerbrochen wäre.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Anna die ganze Zeit neben mir gesessen hatte und mich sorgenvoll anstarrte. Ich schleifte mich zum Kühlschrank, um mir Wasser zu holen. Ich trank die ganze Flasche leer, und danach wurde mir so schwindlig, dass ich gerade noch den Stuhl erwischte, um mich festzuhalten. Ich musste unbedingt unter die Dusche, denn ich fühlte mich so schmutzig.

„Du siehst ja wie ein Häufchen Elend aus“, meinte Anna mitfühlend.

„Ich gehe jetzt unter die Dusche.“

Während ich duschte, fiel mir alles wieder ein. Ich duschte mich mindestens eine halbe Stunde, und am liebsten hätte ich mir die Haut abgeschrubbt. Das Dumme war nur, dass man Erinnerungen nicht wegduschen konnte. Mein Gesicht war immer noch rot, zum Glück nicht blau.

Als ich danach in mein Zimmer gehen wollte, hielt mich Anna fest.

„Was ist passiert? Ich habe lange genug gewartet.“

Ich erzählte es ihr, und sie sah mich mit großen Augen an, als erzählte ich ihr ein Märchen.

„Dieses Schwein!“, sagte sie. „Man müsste solche Typen kastrieren.“

„Nein, den Schwanz abhacken. Mensch, der Arsch hätte mich vergewaltigt, wenn es nicht geklingelt hätte. Zum Glück war er gieriger auf sein Koks, das ihm der Typ mitbrachte, als auf mich.“

„Du hattest noch einmal Glück im Unglück. Ich bin schon mal vergewaltigt worden. Ich habe es immer verdrängt, aber jetzt ist es, wie wenn es heute gewesen wäre. Ich war vierzehn, er vier Jahre älter und gab mir Nachhilfeunterricht in Mathe, das Fach, das ich am meisten hasste; aber durch ihn machte es mir wieder Spaß. Er sah gut aus, ich war verliebt in ihn, und genau das nutzte er aus. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als er dicht hinter mir stand und ich seinen harten Schwanz spürte. Er knöpfte mein Kleid auf und hatte seine Hände schnell zwischen meinen Beinen. Zuerst fand ich es irgendwie schön, aber dann bekam ich Panik. Ich begann, mich zu wehren, was ihn anscheinend noch heißer machte. Da ich noch Jungfrau war und er mir den Schwanz von hinten reinrammte, tat es sehr weh. Ich schämte mich so, dass ich es keinem erzählen wollte. Aber wie sollte ich erklären, dass ich von ihm keine Nachhilfe mehr wollte? Ich erzählte es schließlich meinen Eltern, die total entsetzt und wütend waren. Da er der Sohn reicher Eltern war, die in unserer Stadt großen Einfluss hatten, sollte alles vertuscht werden. Außerdem meinte er, dass ich ihn verführt hätte. Die Eltern boten meinem Vater Schweigegeld an, das er aber nicht annahm und ihn noch wütender machte. Mein Vater ließ nicht locker, aber das Ergebnis war, dass er seinen Job verlor und die Eltern es so weit brachten, dass wir die Stadt freiwillig verließen. Der Typ kam ungeschoren davon. Sein Gesicht werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen, und ich wüsste nicht, was ich täte, wenn ich ihm begegnen würde. Ich konnte jahrelang mit keinem Mann schlafen, weil ich mir dabei so dreckig vorkam. Erst Robert schaffte es mit viel Geduld, dass ich wieder Vertrauen hatte und mich hingeben konnte, und dann musste er bei einem Motorradunfall sterben. Ich wollte so gerne zu ihm und nahm Schlaftabletten, aber meine Mutter entdeckte mich rechtzeitig, weil sie eher nach Hause kam. Ich musste wohl eine Tablette zu wenig geschluckt haben. Eine Woche lag ich im Koma. Ich sah nur noch lauter blumig-warme Bilder und fühlte mich total geborgen. Dann wachte ich wieder auf, und die Ärzte ließen mich nicht mehr zurück. Sie hatten kein Recht, über mein Leben zu entscheiden. Ich wurde richtig wütend, sodass sie mich ans Bett fixierten und mich mit lauter Scheiße ruhigstellten. Die behandelten mich da drin wie eine Irre, und bevor ich dort drin wirklich zu einer wurde, holte mich mein Vater heraus. Eine junge Psychologin half mir wieder auf die Beine, und ich bin ihr heute sehr dankbar dafür.“

„Ich bin auch froh, dass du noch lebst“, sagte ich.

Anna versuchte alles, um mich abzulenken. Sie meinte, dass ich einen Schutzengel gehabt hätte. Wahrscheinlich in der Gestalt eines Koksdealers. Na toll, aber ich glaubte nicht mehr an Engel. Ich wusste nicht, wie ich es ohne sie geschafft hätte. Ich stürzte mich wieder in die Arbeit und ins Studium, damit ich an nichts mehr denken musste. Ich verdrängte es in die tiefste Ecke meiner Seele und brachte davor ein dickes Schloss an. Einfach weitermachen und durch! Was einen nicht umhaute, machte einen stärker. Patrick sah ich noch ein paarmal, immer mit einer anderen. Ich tat so, als hätte er nie in meinem Leben existiert. Mario sah ich noch einmal, als wir eine neue Disco ausprobierten. Auf dem Weg zum Klo begegnete ich ihm. Ich spuckte ihm ins Gesicht.

 

„Du sollst in der Hölle verrecken“, sagte ich.

Er grinste nur und meinte: „Kenne ich dich?“ Ich drehte mich um und wollte gehen. Da kam ein Typ auf Mario zu und sagte zu ihm: „Wichser.“ Ich konnte gar nicht so schnell schauen, da hatte Mario schon eine in der Fresse. Und als er etwas sagen und zurückschlagen wollte, bekam er die nächste Faust ins Gesicht. Seine Nase blutete nicht schlecht, und sie sah auch nicht mehr ganz gerade aus. Der Typ zückte auf einmal ein Messer. Das Gesicht, das Mario in diesem Moment hatte, vergesse ich nie. Die pure Angst und Hilflosigkeit standen darin. So ungefähr hatte meins auch ausgesehen, als ich bei ihm war. Es kamen noch zwei Typen dazu, die ihn anscheinend auch nicht besonders mochten. Von den anderen Leuten, die dazukamen, traute sich keiner, etwas zu machen. Die meisten verdrückten sich wieder, und einige standen da und sahen zu. Diesmal ging ich grinsend weiter, denn er hatte wohl mehrere Feinde. Alles Weitere wollte ich mir ersparen, außerdem wollte ich nicht als Zeugin aussagen, und schaulustig war ich auch nicht; vielleicht ein bisschen, aber das konnte mir auch keiner übel nehmen in diesem Fall. Ich überließ ihn seinem Schicksal. Mein Fluch hatte wohl gewirkt. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die zwei Türsteher kamen angerannt. Er hatte wahrscheinlich noch einmal Glück gehabt. Das war eine kleine Genugtuung für mich, denn wenn ich Kickboxen gekonnt hätte, dann hätte er noch ganz anders ausgesehen. Sicher wäre das dann Selbstjustiz, aber was soll man machen, wenn die Gesetze für Vergewaltiger so schwach waren? Die meisten wurden auf Bewährung freigelassen oder aus Mangel an Beweisen das Verfahren eingestellt. In Amerika hatte ein vierzehnjähriger Junge Eier auf ein Auto geworfen. Der im Auto saß, drehte durch und erschoss den Jungen. DAS war verrückt. Ich packte Anna, und wir verließen die Disco.

Ich nahm mir vor, in nächster Zeit gar nicht mehr wegzugehen, denn da kam nur Scheiße heraus.

Als mir ein Bekannter Koks anbieten wollte, schmiss ich es ihm ins Gesicht. Ich wollte das Teufelszeug nie mehr sehen.

Die nächsten zwei Wochen konnte ich mich in der Uni überhaupt nicht konzentrieren. Ich saß darin, wie wenn ich nicht dazugehören würde, und träumte von einem glücklicheren Leben.

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