Vom Burnout zurück ins Leben

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WIE MACHT ES SICH BEMERKBAR?

Das Burnout ist ein richtiger Halunke, denn bei jedem schlägt er anders zu. Daher ist es sehr schwierig, ein einheitliches Symptombild zu definieren. Burnout selbst eher als Symptom zu sehen. Die Ursache liegt im Betroffenen verankert, meist durch alte Muster und damit verbundene hohe Erwartungen an sich selbst. Mit kleinen aber sicheren Schritten kommt es immer näher: viele Betroffene schildern An­­zeichen, die sich langsam eingeschlichen und die sie zu lange ignoriert haben. Anfangs denken diese Personen nach Feierabend noch an die Arbeit und grübeln viel. Es fällt immer schwerer richtig abzuschalten und Schlaf wird mehr und mehr überbewertet. Dadurch wird es ­schwieriger sich zu konzentrieren, was einen Leistungs­abfall zur Folge hat. Dies wiederum gibt dem ­Be­­troffenen weiter Ansporn, viel zu denken und zu ­grübeln. Im ­schlimmsten Fall noch mehr zu ­arbeiten, um das Leistungs­defizit wieder auszugleichen. Obwohl das immer unwahr­scheinlicher wird, leistet der ­Betroffene zusätzliche Arbeiten. So wird er immer müder, unzufriedener und die ­Qualität der Arbeit immer ­schlechter. Dies ist eine Abwärts­spirale aus der ein Entkommen mit jedem Tag ­schwieriger wird.


Dadurch gerät die Work-Life-Balance ins ­Schwanken und der erhöhte Arbeitseinsatz nimmt die Freude an der Arbeit. Dadurch verschlechtert sich die Laune und Betroffene werden ihren Mit­menschen, ­Kollegen und sogar Chefs zynisch gegenüber und wirken unzufrieden. Kritik wird immer häufiger persönlich genommen, einfache Gespräche eskalieren schnell, die Lautstärke ist nicht mehr der Diskussion angemessen.

WER IST GEFÄHRDET?

 Perfektionisten, die ihre Aufgaben zu 110% erledigen möchten

 Idealisten, die sich unerreichbare Ziele setzen

 Personen, die sich stark mit der Arbeit identifizieren

 Personen, die sich für unersetzbar halten

 Unternehmer, die rund um die Uhr erreichbar sind und sich keine Pause gönnen

 Empathische Menschen, die sich zu sehr in ihre Umwelt hineinversetzen (zu ausgeprägtes „Helfer-Syndrom”)

In der Regel sind es Menschen, die ihren persön­lichen Wert durch den Beruf definieren. Das können soziale Berufe wie Lehrer, Altenpflege- oder Krankenhauspersonal sein, die sich nicht angemessen ent­schädigt oder gewertschätzt fühlen. Ebenfalls aber höher Qualifizierte, die sich selbst hohen Druck aus­setzen bzw. diesen sich selbst machen. Auch immer mehr junge Unternehmer sind betroffen. Sie haben meist ein starkes Interesse an sich zu arbeiten und sind sehr ­empfänglich für sogenannte Motivations-­Tschakka-alles-ist-möglich-Hypes, welche durch die sozialen Medien und Events weitaus leichter zugänglich sind als noch vor wenigen Jahren. Kaum eine Postkarte kommt heutzutage noch ohne Moti­vationsspruch aus. Fast jeder arbeitet an seiner eigenen ­Motivation oder die der anderen, bis man top motiviert ist. Oder tot motiviert.

Per se ist Motivation nichts Schlechtes, doch auch hier macht die Dosis das Gift. Genau wie bei Stress ist die Balance ausschlaggebend. Gefährlich wird es vor allem dann, wenn der Betroffene hohe Ansprüche an sich selbst stellt und zudem sein Partner oder Vorge­setzter psychopathisch oder gar narzisstisch veranlagt ist. Narzissmus beschreibt eine ausgeprägte Form von Selbstverliebtheit oder -bewunderung mit Geltungsdrang. Ein Narzisst zeichnet sich durch übersteigertes Selbstbewusstsein aus, was allerdings immer wieder durch Aufmerksamkeit bestätigt werden muss. Er ist ungeduldig und hat einen mangelnden Willen, andere in die eigenen Entscheidungsfindung einzubinden. In erster Linie sucht er Fans, die ihn bewundern – keine Kollegen. Ein Narzisst ist ein König des ersten Eindrucks und weiß, wie er charmant und charismatisch wirkt. Zuletzt fehlt ihm die Empathie für seine Mitmenschen, auch wenn er sie sich zu einem gewissen Teil antrainieren kann. Er weiß sie zu benutzen, fühlt sie aber nicht, was ihn so gefährlich macht. Stefan Röpke von der Charité in Berlin untersuchte in einer Studie das Gehirn von Narzissten und konnte dabei feststellen, dass ihre Großhirnrinde deutlich dünner ist. Und genau in jener sitzen die Nervenzellen, welche für unser Mitgefühl verantwortlich sind.

Narzissten sind keine Seltenheit in der Geschäftswelt. Wenn diese beiden Extreme der Perfektion und des Narzissmus' aufeinandertreffen, ist ein Burnout vorprogrammiert. Während der eine sich immer mehr verausgabt und beispielsweise aufgrund alter Muster regelmäßig über seine Grenzen geht, muss der andere gar nicht darum bitten und erhält genau das, was er möchte: vollen Einsatz und Bewunderung. Im Falle eines Narzissten weiß jener sogar genau, welche Knöpfe er bei seinem Mitarbeiter oder Partner drücken muss, damit er immer weiterläuft. Man kann sich das bildhaft vorstellen wie der Esel mit der Karotte vor den Augen. Je schneller das Tier läuft, desto mehr hofft es auf die Belohnung, doch in Wahrheit verringert sich der Abstand unter keinen Umständen. Sollte der Fleißige also irgendwann keine Kraft mehr haben der Karotte nachzueifern, so wird er kurzerhand ersetzt und die von ihm erhoffte Belohnung in Form von Anerkennung und Beförderung zerplatzt wie eine Seifenblase. Das schmerzt dem Narzissten kaum, da er sich kurzer­hand neue Fans sucht, doch der Burnout-­Leidende fällt in ein tiefes Loch.

Ich wollte nicht mehr Teil in diesem Teufelskreislauf sein, in dem man um jeden Preis mit Vollgas fährt. Gleichzeitig wollte ich mich auch nicht in das andere Extrem stürzen und gar nichts mehr tun. Mein Business war mir nach wie vor wichtig, meine Gesundheit und mein Leben allerdings auch wieder. Es musste doch auch ausgeglichen gehen. Ich wollte daher meine Muster erkennen, aufarbeiten und mich entwickeln, um eine langfristige Veränderung be­­wirken zu können. Doch wie sollte ich vorgehen, um diese Phase der Erschöpfung hinter mir zu lassen und wieder ein Leben in Balance zu führen?

Ich entschied mich im nächsten Schritt für den Klassiker: Doktor Google. Der Allwissende, der immer Rat weiß.

Prompt erschien ein Selbsthilfe-Spruch, der mir zwar nicht neu war, mich allerdings wieder wach­rüttelte:

„Ob du denkst, du kannst es, oder du kannst es nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.” (Henry Ford)

NICHT NUR DU DURCHLEBST DIESE PHASE

Was für mich ein sehr beruhigender Gedanke war, ist die Tatsache, dass es vielen Menschen so ging wie mir. Vielleicht ergeht es dir genauso. Und wenn sie es wieder zurück ins „normale Leben” geschafft haben, dann gelingt dir und mir das auch. Doch zwischenzeitlich war ich mir wirklich nicht sicher, ob es jemals wieder ein „altes Leben” voller Belastbarkeit geben würde. In mir staute sich Ungeduld an, es gibt doch so viel zu erledigen und von irgendetwas muss ich als Selbstständige ja auch leben. In meinem Kopf tanzten die wildesten Gedanken umher, und ich wusste selbst nicht mehr, welchen ich davon ernst nehmen sollte und welchen nicht. Aus diesem Grund begann ich ausführlich Tagebuch zu schreiben. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich dieses Buch geschrieben habe.

Wer hatte denn ein Burnout und ist danach wieder auf die Beine gekommen, befragte ich Google. Angezeigt wurde eine Menge an Personen, die du wahrscheinlich auch kennst. Unter anderem wurden mir folgende Interviews und Artikel vorgeschlagen:

FRANK SCHÄTZING, BESTSELLER-AUTOR

In einem Interview des Focus mit Frank Schätzing über dessen frisch veröffentlichtes Buch, erläutert der Bestseller-Autor sein Erlebnis mit dem Burnout:

Focus: „[…] Haben Sie nur gut recherchiert, oder sprechen Sie aus Erfahrung?”

Schätzing: „[…] Die ganze Klaviatur des Selbst­zweifels, inklusive Burnout. Es gab Zeiten, da war mir alles zu viel, die ganze Klotzerei hatte nur dazu geführt, dass ich nicht mehr weiter wusste.”

Focus: „Und wie kamen Sie da raus?”

Schätzing: „Wieder durch einen radikalen Schnitt. Seitdem ist mir das Gefühl, dass es in dir einen Abgrund gibt, in dem jemand haust, den du eigentlich nicht unbedingt kennen lernen willst, sehr vertraut. Doch irgendwann im Leben muss man da runter und sich diesem Kerl stellen. Um festzustellen: Der ist ganz harmlos. Das bist nur du.”4

SARAH CONNOR, SÄNGERIN

Auch Sängerin Sarah Connor kennt das Gefühl der unendlichen Erschöpfung. In einem Interview mit dem TV-Sender Vox verrät sie, wie es ihr nach ihrer Reality­-Show mit Marc Terenzi wirklich ging: „Im Jahr nach dem Dreh der Serie ging es mir richtig schlecht - mit Burnout. Mir wurde der Himmel zu schwer, wo es mir nach außen hin hätte gut gehen sollen. Aber ich saß damals da und dachte: ‚Jetzt denkt die ganze Welt, ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt, aber warum bin ich dann so traurig? Warum geht es mir so be­­schissen? Warum bin ich so leer? Warum bin ich so ausgebrannt?”

Weiter erklärte sie, wie sie damit umging: „Als Summer [Sarahs 2. Kind] geboren wurde, ging es mir besser. Meine Angstattacken gingen weg, meine Einsamkeit. Ich hatte das Gefühl, es geht nicht mehr um mich. Ich muss jetzt funktionieren und für sie da sein. […] Ich bin Mutter von drei Kindern und mag es, seit ein paar Jahren ein ganz normales Leben zu haben und nicht immer so anders zu sein.“5

 

TIM MÄLZER, STARKOCH

Ähnlich erging es auch dem TV-Koch Tim Mälzer. In nur 2 Jahren hat er 500 TV-Sendungen gemacht und ein Restaurant gegründet, in dem er außerdem selbst präsent war. Er fasst es selbst in die Worte: „Und dann gibt es noch diesen Part, der mir sehr peinlich ist. Ich habe unfassbar viel gesoffen.” Daraufhin folgte der Zusammenbruch. Der Druck sei ihm zu viel ge­­worden. Er konnte nur noch weinen.

„Burnout heißt, du hast einen an der Klatsche. Geistig, körperlich.“ Daraufhin hat er sich selbst sechs Wochen in eine Klinik begeben, und hat dort mit dem Trinken aufgehört. Zudem hat er gelernt, nicht mehr alles tun zu wollen. Sich selbst bewusst seine Grenzen setzen.6

Diese Liste war weitaus länger als ich erwartet hatte. Sogar Anne Hathaway, Beyoncé, Justin Bieber, Ricky Martin, Rihanna und Wladimir Klitschko waren darauf zu finden, nebst vielen weiteren. Die Welt der seelischen Erkrankungen macht offensichtlich auch keinen Halt vor Prominenten. Sie alle hatten Phasen, in denen sie nichts als weinen konnten. Alles empfanden sie zu anstrengend und sahen sich selbst nicht mehr im Stande ihren Aufgaben nachzu­kommen. Daraufhin begab sich jeder von ihnen in eine Auszeit von mindestens ein paar Wochen oder gar Monaten, viele nahmen zudem die Arbeit eines Therapeuten in Anspruch. Bei manchen von ihnen gab es sogar eine doppelte Diagnose wie z.B. Burnout und Depression. Dass diese beiden psychischen Störungen zusammen einhergehen ist nicht selten.

BURNOUT VS. DEPRESSION - WAS IST WAS?

Im Falle des Burnouts kann nicht konkret von Krankheitsbild gesprochen werden, da Burnout viel mehr eine chronische Erschöpfung darstellt mit Anzeichen wie Schlafstörungen, innerer Unruhe und Überforderung. Ein Burnout tritt in der Regel aufgrund einer Überlastung im Beruf auf, während eine Depression auch durch einen gestörten Botenstoffwechsel im Gehirn ausgelöst werden kann. Um den Unterschied zu verstehen, kannst du dich an folgendem Überblick orientieren:


SYMPTOME BURNOUT DEPRESSION
Traurigkeit x x
Lustlosigkeit x x
Innere Unruhe x x
Antriebslosigkeit x x
Müdigkeit x x
Ständige Gereiztheit x
Körperliche Erschöpfung x
Hoffungslosigkeit vermindert, aber vorhanden mit Tendenz steigend x
Mangelndes Selbstwertgefühl vermindert, aber vorhanden mit Tendenz steigend x
Suizidgedanken x

Während beim Burnout verschiedene Symptome erkennbar sind, ist die Ursache zunächst unklar und in der Regel erst durch eine längerfristige ­Therapie erkennbar. Bei einer Depression hingegen ist die Ursache klar. Man kann es sich so vorstellen: Bricht man sich ein Bein, so ist die Ursache klar und singular zurückzuführen: Der Knochen ist zweigeteilt. Logisch. Daher kommen der Schmerz und die Unfähigkeit zu gehen. Doch die Ursache für ein Burnout ist in der Regel weitaus komplexer und daher auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Die folgende Tabelle zeigt einen vereinfachten Überblick:


URSACHEN BURNOUT DEPRESSION
Entfremdung der Tätigkeit x
Fehlendes Feedback x
Keine Abgrenzung zwischen Beruf und Privatem x
Zu geringe Wertschätzung x
Perfektionismus x
Zu hohe Erwartungen an sich selbst x x
Stress x x
Traumatische Erlebnisse x
Ungleichgewicht im Hirnstoffwechsel x
Genetik x

Während bei einem Burnout eine Auszeit sehr empfohlen wird, versteht man unter Depression eine schwere seelische Krankheit, die durch Ablenkung oder Auszeiten nicht zwingend verschwindet. Oftmals wissen Burnout-Betroffene, dass es positive Ereignisse sowie einen schönen Teil des Lebens gibt, doch sie wissen nicht mehr wie das erleben können. Depressive Personen hingegen erkennen meist nichts Schönes mehr und empfinden ihr Leben wie in einen traurigen Mantel gehüllt, den sie nicht ablegen können. Eine reine Auszeit ist bei einer Depressions-Erkrankung definitiv nicht empfohlen, da der Erkrankte seine Krankheit mitnimmt, und es im nicht gewohnten Umfeld eher schlechter, vielleicht sogar gefährlicher, als besser wird.7

Wenn du dir in deiner Situation nicht sicher bist, so sprich unbedingt mit einem Arzt und/oder Therapeuten darüber. Diese Empfehlung möchte ich dir so oder so mit auf den Weg geben. Denn je früher ein Burn­out erkannt wird und du beginnst an den Ursachen zu arbeiten, desto schneller kann dieser erfolgreich be­handelt werden. Wenn du möchtest, kannst du vorab auch einen Schnelltest machen. Die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Doris Wolf bietet einen solchen an: www.patriciazinnecker.de/buecher/burnout/

Ein Burnout wird nicht passiv therapiert, sondern stellt einen aktiven Prozess der Erkenntnis und des Schmerzes dar. Ein wichtiger Bestandteil ist die Einsicht, nicht perfekt zu sein und trotzdem geliebt zu werden. Dadurch kann ein neues Verhalten eingeübt werden und die Plastizität des Gehirns zur Heilung genutzt werden.

Laut Dr. Rainer Hellweg, Oberarzt der ­Psychia­trie und Psychotherapie an der Berliner Charité, kann eine Behandlung unterschiedlich lange gehen. Sollte der Betroffene recht früh in die Therapie kommen, so können bereits zwanzig oder weniger Sitzungen ­genügen. Er selbst stellt fest, dass es immer wieder ­Patienten gibt, die bereits nach zwei oder drei ­Sitzungen merkbare Verbesserungen gezeigt haben. Egal, wie lang dein Weg geht: Nimm dir die Zeit. Der Weg aus dem Burnout heraus ist kein Wettlauf. Es gibt nur einen Sieger: dich.

1 Quelle: Buch “Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen. Forschungsevidenz und präventive Maßnahmen.” von Johann Siegrist, erschienen bei Urban und Fischer, 2015.

2 Quelle: Buch “Zeit. Der Stoff, aus dem das Leben ist.” von Stefan Klein, erschienen bei S. Fischer Verlag, 2006.

3 Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239872/umfrage/arbeitsunfaehigkeitsfaelle-aufgrund-von-Burnout-erkrankungen/ (Zugriff am 22.09.2020)

4 Quelle: https://www.focus.de/kultur/medien/kultur-man-erschafft-das-alles_aid_441503.html (Zugriff am 22.09.2020)

5 Quelle: https://www.vox.de/cms/sarah-connor-spricht-offen-ueber-depressionen-und-angstzustaende-1912489.html (Zugriff am 22.09.2020)

6 Quelle: https://www.welt.de/vermischtes/article189473333/Tim-Maelzer-ueber-den-Burnout-Ich-habe-unfassbar-viel-gesoffen.html (Zugriff am 22.09.2020)

7 Weitere Informationen zu dem Thema Depression können hier nachgelesen werden: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/

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ARTEN DES STRESSES KENNEN UND VERSTEHEN


Was ist Stress? „Stress ist ein Syndrom unspezifischer Veränderungen, mit denen sich ein biologisches System an Veränderungen der Umwelt anpasst.” So definiert der österreichisch-kanadische Mediziner Hans Selye den Begriff, den er als „Vater der Stressforschung” geprägt hat.

Wer versteht, welche Arten von Stress es gibt, tut sich leichter im Umgang damit. Wann ist Stress gut, wann ist er schlecht? Ist er zwingend notwendig? Diese Fragen sollen in diesem Kapitel beantwortet werden.

„Weiter, immer weiter”, so wird Oli Kahn gerne zitiert. Er gilt als einer der erfolgreichsten Torhüter im deutschen Fußball. Doch ist das wirklich so wichtig, immer weiter zu gehen, ohne Pausen? Selbstverständlich ist es wichtig, in Bewegung zu bleiben. Das Leben ist schließlich nicht statisch. Doch wie weit ist genug? Und wie weit ist zu weit?

„In der richtigen Dosis löst Stress im Körper seit Jahrmillionen eine perfektionierte Reaktion aus. Durch diese ist es für den Menschen möglich, kurzzeitig den gesamten Fokus auf die unmittelbare ‘Gefahrensituation’ zu lenken”, so Jonas Schnirring, Therapeut für klinische Psycho-Neuro-Immunologie. “Gefährlich wird es allerdings dann, wenn der Stress zur chronischen Dauerbelastung wird.” Das hat für jeden einen unterschiedlichen Rahmen. Manche Erwachsene sind mit einem 400€ Job überfordert und fühlen sich nicht kräftig genug, neben ihrer Arbeit einmal täglich mit ihrem Hund Gassi zu gehen. Andere haben einen extrem intensiven Job mit mindestens 60 Arbeitsstunden pro Woche und ­bringen nebenbei einen Partner, Kinder und die Hobbies unter einen Hut - ohne sich übermäßig erschöpft zu fühlen. Beides sind Beispiele aus meinem Umfeld und zeigt, wie unterschiedlich Menschen sind. Ebenfalls sind die Umstände eines Burnouts von Mensch zu Mensch unterschiedlich und keinesfalls nur auf den beruflichen Aspekt zu reduzieren, obgleich dieser in den meisten Fällen ausschlaggebend ist.

 

Vor allen Dingen gilt: es gibt kein Abschalten. Es gibt keinen Feierabend. Alles prasselt auf uns ein und nimmt scheinbar kein Ende. Mit der Evolution des Smartphones mehr denn je. Jegliche Nachrichten, Profile und Mails können jederzeit abgerufen werden. Es wird automatisch vom Gegenüber erwartet, dass man selbst dauernd erreichbar ist und umgehend antwortet. Laut einer Studie des Kundendienst-Unternehmen B2X und der Ludwig-Maximilians-Universität München erwarten 57% der Smartphone-Nutzer umgehend oder zumindest innerhalb weniger Minuten eine Antwort von Freunden und Familienmitgliedern.1 So möchte auch der Chef auf seine E-Mails am liebsten sofort eine Antwort, selbst wenn es Freitagabend 20.00 Uhr ist. Zur Not geht natürlich aber auch noch Samstagmorgen, doch dann möchte er aber wirklich Rückmeldung. Auch die Freunde erwarten sofort eine Antwort auf ihre Nachrichten und Fotos, die Familie sowieso.

Bei mir war es tatsächlich weitaus weniger: nichts als die Arbeit. Im Alter von nur 27 sind bei mir alle Alarmlampen angesprungen bzw. ausgegangen. Da war es vorbei. Nichts ging mehr. Dabei hatte ich weder Kinder noch einen Partner oder ausufernde Hobbies. Nun gut, da ich fast nur arbeitete, hatte ich sowieso keine Zeit für so etwas. Auch wenn das Covid-Jahr 2020 jeden von uns in unterschiedlichster Weise aus der Bahn geworfen hat, so fühlte es sich für mich wie ein extra harter Brocken an.

An einem sehr heißen Sommertag wollte ich also meinen Laptop entsperren und setzte mich auf meinen Bürostuhl. Dabei handelte es sich um einen dieser Stühle, die so weich und anschmiegsam konzipiert wurden, dass man gar nicht mehr aufstehen möchte. Ursprünglicherweise wurden sie für Gamer ent­worfen, die stundenlang ohne Pause vor ihren Computern sitzen. Allerdings gilt dies mittlerweile nicht nur für Gamer, sondern auch für Arbeitende.

Es war Samstag am Vormittag. Schon am frühen Morgen war das Thermometer bereits in hitzige Höhen geklettert. Nach wenigen Stunden Schlaf saß ich wieder am Schreibtisch, um meine Aufgaben zu beenden - im Optimalfall am gleichen Tag, damit ich am darauf­folgenden Sonntag frei hatte. So hatte ich mir das zumindest vorgenommen. Denn am Montagmorgen war die absolute Deadline und bis dahin sollte ich noch ein großes Projekt beenden, was daraus bestand, mehrere hundert Kunden und deren Daten von Hand zu überprüfen und einzutippen. Unsortiert lag eine Liste für mich bereit, die ich mit den Daten online ­manuell abgleichen und gegebenenfalls korrigieren musste. Dadurch, dass keine der Listen chronologisch geordnet war, dauerte allein das Suchen des Namens lang. Nie zuvor hatte ich mir so sehr die Suchfunktion durch die Tastenschnellwahl Strg+Z analog gewünscht. Natürlich war dieser Wunsch unmöglich und es blieb mir nichts übrig als zu beginnen. Von Hand. Doch es erschien mir mehr als aussichtslos. Selbst als Team war das nicht in ein oder zwei Tagen durchführbar. Wie sollte ich das alleine überhaupt erledigen?

Vor wenigen Tagen war ein Co-Worker überraschend aus dem Team abgesprungen und so blieb mir nichts übrig als selbst ordentlich auf die Tube zu drücken. Die Woche war viel zu voll gewesen, ein mehrtägiger Ausflug mit Kunden stand an, den ich daher nun auch alleine übernehmen und dementsprechend vorbereiten sollte, zudem sollte diese besagte Aufgabe der Kontrolle der Kundendaten in Kürze fertig gestellt werden, mir wurden hunderte Glastrophäen vor die Haustür im Erdgeschoss geliefert, welche ich allein in meine Wohnung im 2. Stock befördern musste und es lag auch noch an mir, den gesamten Kundensupport vollständig zu übernehmen. Ich rotierte und wünschte mir nichts sehnlicher als ein Oktopus zu sein: acht Arme, die gleichzeitig und unabhängig arbeiten konnten. Damit könnte ich vielleicht all das schaffen. Das glaubte ich zumindest.

Anstatt meine Position klar zu vertreten, wofür ich bereit bin und wofür nicht, ließ ich mich von Kunden und Co-Workern herumschubsen und nahm jede ­weitere Aufgabe sprachlos entgegen. Dafür war ich bekannt: ich nahm jeden Auftrag an, erledigte ihn schneller als die Konkurrenz und das sogar zu einem Spottpreis, da ich meinen Marktwert nicht kannte. Dabei war ich ursprünglich deshalb selbstständig geworden, um mir meinen Tag und meine Zeit selbst einzuteilen. Und nun stellte ich fest, dass ich andere seit Jahren darüber bestimmen ließ. Ich war kläglich gescheitert und litt nun unter dem Ergebnis jahrelanger Passivität. Doch dafür war es in diesem Moment zu spät. Ich hatte mich wie ein Spielball herumwerfen lassen und nicht auf meine Werte und Wege beharrt. Schmerzhaft musste ich mir eingestehen, dass zu einer solchen Situation immer zwei Menschen gehören: einer, der herumschubst, und eben ein anderer, der sich herumschubsen lässt. Letzteres beschrieb mich.

Als ich nach meiner Erkenntnis anmerkte, dass ich es nicht für realistisch halten würde, alles in vorgege­bener Zeit fertig zu stellen, erhielt ich die Antwort „Ach komm, so viel ist das doch nicht. Du stresst dich da nur so rein. Musst halt einfach mal ein bisschen Gas geben.” Genau das versuchte ich ja. Ich schlief weniger, fuhr den Laptop nicht mehr herunter und sagte alle anderen Termine, darunter auch Arztbesuche, ab. Wenn ich schließlich etwas anpacke, dann mache ich es zu 100% und nicht nur halbherzig. Doch ich merkte, dass ich nicht mehr konnte. Dabei wollte ich weiter machen. Nein, ich musste. Doch es ging nicht mehr. Meine Hände zitterten, mein Herz raste. Noch schlimmer als in den Tagen davor. Wie konnte es dazu kommen?

Wie immer war mein Laptop nachts nur im Ruhezustand und lag neben meinem Bett. Seit Wochen hatte ich ihn nicht mehr heruntergefahren, um mir am Morgen die Minuten des Hochfahrens zu sparen. Mein Gehirn war ebenfalls dauernd aktiv, ohne sich jemals vollständig eine Pause zu gönnen. Aus heutiger Sicht natürlich idiotisch. Aber ich war so gefangen in dieser Abwärtsspirale, dass mir nicht einmal Gedanken dazu kamen, dass mein Verhalten nicht korrekt war. Anstatt dessen erinnerten mich Posts, Bücher und mein Business-Umfeld ständig daran, dass ich wie meine Kunden dauernd online und erreichbar sein, auf Urlaub verzichten und private Termine für überflüssig erklären müsste, wenn ich wirklich erfolgreich sein möchte. Und nichts wollte ich mehr als eine profitable Firma aufzubauen, um mir das ersehnte, entspannte Leben gönnen zu können.

Bis spät in die Nacht war ich deshalb mal wieder am Schreibtisch gesessen und wollte am nächsten Morgen nahtlos weiterarbeiten. Wie fast jeden Tag - sei es Wochenende oder Feiertag. Doch was darauffolgte, war der Super-GAU. Die Spitze des Eisbergs hatte sich bereits in den Monaten zuvor gezeigt. Erst wenige Wochen zuvor hatte ich einen Termin beim Arzt wahrnehmen müssen wegen massiven Hautausschlags, ­Zittern und Schlafstörungen. Seine Diagnose lautete recht unverfroren: „Hören Sie mal auf so viel zu arbeiten und gehen Sie jeden Tag mindestens eine Stunde nach draußen, gerne auch in die Sonne. Dann wird sich das alles von allein regeln.”

Ich hörte, was er mir sagte. Ich nahm seine Worte zwar wahr, doch fand sie zu lapidar, um darauf zu hören. Dennoch versuchte ich es. Am ersten Tag setzte ich es wunderbar um und ging wie verordnet eine Stunde nach draußen. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich als Naturliebhaber die Welt vor der Haustür vermisst habe. Auch am zweiten Tag ging ich noch ­motiviert nach draußen. Allerdings bemerkte ich bei jedem Spazier­gang, dass es mich vor innerer Unruhe und potentieller Nicht-Erreichbarkeit zerriss. Ein Spaziergang half mir offensichtlich also nicht, um auszuruhen. Vielleicht sollte ich mir einen Hund besorgen? Wenn ich anderen davon erzählte, erhielt ich fast durchweg die Reaktion „Ohje, tu das bloß nicht. Da bist du nur angekettet und musst dich kümmern. Dann kannst du nie spontan wegfahren.” Was für die einen mehr Stress bedeutete, könnte für mich tatsächlich Entspannung bedeuten und ein triftiger Grund sein nach draußen zu gehen. Doch das wollte ich (noch) nicht wahrhaben. Kaum vorstellbar, wie aus einem glücklichen Naturliebhaber wie mir ein solcher Stubenhocker werden konnte.

Neben meinem Hautausschlag und den Schlaf­störungen kamen immense Konzentrations­probleme sowie Wortfindungsstörungen auf. Als ich eine ­Freundin darum bitten wollte, mir den Kugelschreiber zu reichen, wurde mir klar wie ernst die Situation sein muss: „Kannst du… ähm… Kannst du mir… Kannst du mir den Dings… den… den da… geben?“ Sie sah mich verwirrt an: „Den Kugelschreiber?“ „Danke, genau den meinte ich.“

Zuerst bestand der Verdacht einer Folge einer Covid-Erkrankung, welche sich glücklicherweise nicht bestätigt hat. Es war „nur” der Stress. Ich war schockiert, welche Folgen Dauer-Stress haben kann… Schließlich war ich bekannt für mein Elefantengedächtnis und nun fielen mir nicht einmal die einfachsten Begriffe ein und ich stotterte?!

In den Wochen und Monaten darauf spitzte sich die Situation weiter zu. Die letzten Jahre waren bereits intensiv, der Laptop war immer dabei und bei jeder noch so kurzen Fahrt oder Pause aufgeklappt. Es war eine Sucht. Ich hatte verlernt, das Leben zu leben, ohne es zu merken. Alles war minutengenau getaktet und teils bis zu ein paar Monaten oder gar Jahre im Voraus. Meine Scheuklappen waren zu eng eingestellt. Wie bei einem Pferd, das nichts mehr von der Umwelt wahrnehmen und sogar nicht mal mehr den eigenen Weg ganz erkennen kann. Meine Freunde und Familie meinten es nur gut und gaben Ratschläge. Allerdings half ein „Arbeite einfach mal weniger” nicht - ganz im Gegenteil: Ich fühlte mich unverstanden und hilflos. Der Ski-Springer Sven Hannawald teilte seine Erfahrung: „Man kann gewisse Dinge nur mit dem Therapeuten besprechen, weil die Familie damit überfordert ist.”2 Nur hatte ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstanden. Nun wollte ich es ihnen erst recht zeigen: Resultate, tolle Deals und phantastische Zahlen. Keinesfalls verstand ich, dass das niemand interessierte - nicht mal meine engsten Verbündeten im Business - und rannte direkt in das Burnout, das sich unzählige Male vorher angekündigt hatte.

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