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Der sechste Sinn

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Thomas wurde stillschweigend akzeptiert.

»Die Sonate ist hin,« sagte Busgaard den Kampf aufgebend. Erst verliere ich 5 Spanferkel, dann ärgere ich mich über den verwünschten Kreisrichter und den infamen Diebstahl, und jetzt schafft Mutter mir den Laffen, den Thomas, auf den Hals. – Alles an einem Vormittag! es wäre erklärlich und verzeihlich, wenn ich mich dem Trunke ergäbe – rein spielen, wenn es mir so im Kopf summt, kann ich nicht – facit, der Tag ist verloren.

Ich gehe zum Vieh hinaus. – Glauben Sie nur, Ingenieur, die stummen Kreaturen sind die wahren Freunde des Menschen.«

Mit dieser philosophischen Bemerkung ging Onkel Bus hinaus, um zu wirtschaften, wodurch der Betrieb auf Braendholt für einen Tag ernstlich gebremst wurde. Frau Busgaard schüttelte den Kopf und nahm den Strickstrumpf wieder auf.

»Sie haben wohl nichts dagegen, daß ich meinem Neffen das Zimmer, das Sie haben, gebe? Er hat es immer gehabt, wenn er hier war,« sagte sie freundlich zu Willumsen, und der Ingenieur verstand, daß der Herr, der kam, einen Stein im Brett hatte an den Stellen, von denen die eigentliche Regierung auf dem Gute ausging.

Er neigte den Kopf mit einem »Gott bewahre« und ging, um seine Habseligkeiten zu ordnen.

Unterdessen rollte ein Wagen dem Hofe entgegen, und darin saßen unsere beiden Rechtsgelehrten aus der Eisenbahn, die somit auf den Kampfplatz geführt wurden, den das Leben ihnen für diesen Augenblick anweisen wollte.

Entree der Juristen

Die wenigsten Leser ahnen, wie schwer es ist, die rechten Farbentöne für ein Interieur zu finden, das einem kritischen Publikum behagen soll. Es scheint so einfach. Soll Liebesglück geschildert werden, so nimmt man eine Sommernacht mit Mond, tiefblauem Himmel und funkelnden Sternen; handelt es sich um Gewalt und Mord, so ist die Nacht schwarz, der Sturm heult, während die Wolken wie böse Gewissen über einen mondlosen Himmel jagen; im Jugendglück leuchtet der Wald grün und die Lerchen schlagen, bei Hoffnung spielen die blauen Wogen, als Abschluß versinkt die Sonne rot über dampfenden Wiesen und so weiter in großer festlicher Auswahl.

Nach dem alten Rezept.

Das moderne ist gerade entgegengesetzt. Soll stilles Glück geschildert werden, so rast eine sturmgepeitschte See; soll Liebe gemalt werden, so stehen steife dürre Bäume da und strecken Totenfinger gegen die Liebenden aus, kurz der Gegensatz wird von dem Dichter betont, der ein Weihnachtsidyll gibt und dabei beschreibt, wie ein brustkrankes Proletarierkind auf einer Hintertreppe sitzt und zu Tode hungert. Das ist etwas schwerer als das andere und es endet damit, daß man wie jüngst ein junger Lyriker einen idyllischen Fjord bei Sonnenuntergang mit einer aufgerissenen blutigen Wunde vergleicht.

Auch dies hat seine Liebhaber – es gilt bloß den Geschmack des geneigten Lesers zu treffen. Aber Staffage gehört dazu.

Wenn nun also Kreisrichter Heiden und Kriminalassessor Klem in Gutsbesitzer Busgaards zweisitzigen Jagdwagen von Roskilde nach Braendholt hinausrollen, um zu den Untersuchungen zu schreiten, die auf mehr als 252 Seiten die gespannten Leser dieser wahrhaftigen Schilderung fesseln sollen, so ist es Pflicht des Autors eine landschaftliche und meteorologische Staffage zu geben, die sich auf passende und angenehme Weise um die Schilderung herumlegt.

Die Roskildegegend kann man nun einmal nicht umändern, und da im vorigen Kapitel auf Braendholt Sonnenschein war, ist das Wetter – diese große immer wiederkehrende Frage – eine gegebene Größe in der Gleichung. Winter ist es, wie schon früher öfters bemerkt, und die Uhr ist gegen zehn.

Einige Tiere haben wir zur Verfügung – sie dienen immer zur Belebung. Die Kühe sind im Stall, und wilde Tiere gibt es in der Gegend von Roskilde in größerer Menge nicht. Ein Hase kann draußen auf den Schneefeldern herumhüpfen. Mag er! Fünf, sechs Krähen können mit heiserem Krächzen – heiseres Krächzen ist gut – von rechts geflogen kommen. Das bedeutet Glück, und wenn die beiden Herren kein Glück haben sollten, hätten wir sie ebensogut zu Hause lassen können.

Also.

Die Sonne schien über die Schneefelder, die sich gegen den tiefblauen Fjord herabsenkten, wo das Eis am Ufer schmale Rinden gebildet hatte wie die Ränder einer mit Kollodium bestrichenen Wunde (eine Anleihe beim Lyriker). Die Weiden mit ihren starrenden nackten Zweigen guckten wie Hexen über die Zäune, und draußen im Schnee hüpfte ein einsamer Hase umher. Eine Schar grauer Krähen strich von rechts her über den Weg, der sich den Hügel hinauf wand, und der Wagen rollte vorwärts über den gefrornen Schneemorast, der unter den Rädern knirschte wie Kandiszucker. Eine leichte Dampfwolke stand über den schwitzenden blankbraunen Pferden, und die Nase von Niels, dem Kutscher, leuchtete wie ein blauroter Leuchtturm aus seinem Bärenfellkragen hervor.

Es ist nicht ganz sicher, ob diese Schilderung künstlerisch ganz richtig ist, da im Künstlerischen das Perspektivische eine große Rolle spielt und die Türme von Roskildes Domkirche, die sich in der Ferne von dem weißblauen Himmel abheben, sich nicht gut in ein perspektivisches Verhältnis zu Niels Nase bringen lassen.

Gehen wir über diesen Punkt hinweg und lassen unsre beiden Rechtsgelehrten ohne weitere Naturbeschreibung in Braendholt einfahren.

Hier ist ein Hiatus geboten.

Tyr, Tut, Tine und Monny kommen in die Wohnstube auf Braendholt hineingetanzt.

Hipp, hipp, hurra, rufen die beiden Kleinen und Tine strahlt wie ein Jubiläumszweikronenstück. Hipp, hipp, hurra für Vetter Thomas.

»Ergebenster Diener, Onkel Bus – küß die Hand, Tante Mus! Hier habt Ihr mich.«

Thomas Klem macht sich aus der Jugendgruppe los und nähert sich dem Familientisch, wo die beiden alten Busgaards sitzen. Er ist vergnügt, schön und strahlt, schlank, jung und groß. Er ist da, und er hat das Recht da zu sein. Denn man hat nach ihm geschickt.

Nichtsdestoweniger sagt Onkel Bus: »Was Teufel willst Du hier? Wer hat Dich gerufen?«

Thomas fängt den Ball im Wurfe: »Du nicht, Onkel Bus, aber öffne Deine Arme, denn meine Kamele dürsten gewaltig!«

Busgaard brummt. »Ist der Herr dort mit dem langen Haar vielleicht eins von Deinen Kamelen?«

Thomas verbeugt sich vorstellend: »Im Gegenteil, darf ich vorstellen Kreisrichter Heiden, Ritter des Dannebrog, p. p.«

Tante Mus schlägt die Hände überm Kopf zusammen: »Unser neuer Kreisrichter, Gott bewahre uns!«

»Das tut er schon, Tante, wenn Du ihn hübsch darum bittest,« sagt Thomas, aber jetzt poltert der Gutsbesitzer los: »Da soll doch gleich der Teufel . . .«

Thomas fährt fort: »Er auch, Onkel, wenn Du ihn kräftig beschwörst. Er hat Dir früher geholfen, und Du hast die Adresse.«

Der Gutsbesitzer ignoriert den Neffen und wendet sich zum Kreisrichter, der mit einem muntern Lächeln dasteht und sein Entree genießt. »Sind Sie unser neuer Kreisrichter?«

Und Heiden geht auf den Ton seines Begleiters ein: »Mit der Erlaubnis des Herrn Gutsbesitzers und königlicher Bestallung.«

»Nun, ich habe Sie nie gesehen,« sagt Busgaard und schlägt die Hände zusammen.

»Das haben Sie nicht –« fährt der Kreisrichter fort: »Sie haben mich nie vorher gesehen und deshalb sollen Sie mich auch betrachten dürfen, wie Sie tun, obgleich ich selber meine, daß ich ganz zivilisiert aussehe. – Ich bin Ihre weltliche Obrigkeit«

Thomas legt seine Hand auf die Schulter des Kreisrichters. »Sehen Sie ihn an! Mein Onkel Gutsbesitzer Niels Busgaard auf Braendholt! Kratzbürste, Geißel für jeden Gerichtsbezirk, Grossist in Arbeiterunruhen und Gesindeprozessen. Ein Mann, mit dem man nur umgehn kann, wenn man nicht die geringste Rücksicht auf ihn nimmt. Ein Landwirt mit rauhen aber reinen Sitten!«

»Und dies ist seine Familie.«

Heiden lächelt. »Eine recht liebenswürdige Familie.«

Worauf Thomas sich ihm zuwendet und mit Überzeugung sagt: »Ja, das können Sie Onkel bitten, mit einem Fluch zu bekräftigen, er flucht häufig und gern.«

»Kopenhagner Laffe,« klingt es halbversöhnt von den Lippen des Hausherrn, und damit haben unsre beiden Juristen ihren Einzug auf Braendholt gehalten.

Die Familie bemächtigt sich des Vetters Thomas, der in Prozession auf sein Zimmer geführt wird. Der Assessor ist ein höchst patenter und reinlicher Mann, der gleich Toilette machen will. Er ist auch besonders populär in der Familie, und daß er solange nicht auf Braendholt gewesen ist, hat die früher erwähnten Gründe. Der Kreisrichter blieb allein mit dem Hausherrn zurück; es war deutlich, daß die Begegnung mit dem Neffen Busgaard nicht sonderlich erbaut hatte, aber er meinte doch, er müßte sich vor dem neuen Kreisrichter, der zum ersten Mal in seiner Stube stand, zusammennehmen. Und dann mußte er ja auch die Gelegenheit benutzen sich mit der Obrigkeitsperson bekannt zu machen. An den Diebstahl dachte Onkel Bus ganz und gar nicht; wahrhaftig er war zerstreut, und es fiel ihm in diesem Augenblick durchaus nicht ein, was der Kreisrichter auf dem Hofe wollte. Er hatte nur instinktmäßig das Gefühl, daß etwas Unangenehmes seiner wartete.

»Wollen Herr Kreisrichter Platz nehmen?« sagte er geschäftsmäßig freundlich und ließ sich in den großen Mittagsruhestuhl am Familientisch fallen. Heiden setzte sich seinem Wirt gegenüber und faltete die Hände über die Knie. Es knackte in seinen schmalen, weißen Fingern; er wandte sein schönes Gesicht fragend dem Gutsbesitzer zu.

Es entstand eine Pause.

»Ein charmanter junger Mann, Ihr Neffe,« sagte Heiden. Er war freundlich gestimmt und wollte gern das Seinige zum Sonnenschein beitragen.

»Ein Kopenhagener Laffe,« brummte Busgaard.

Der Kreisrichter protestierte. »Klem ist einer der angesehensten Assessoren des Kriminalgerichtes. Er ist Dr. jur. ein kenntnisreicher und tüchtiger Mann, auf den jedes Richterkollegium mit Recht stolz sein kann, und auf den das Kriminalgericht auch stolz ist.«

 

»Sie haben auch nicht viel, auf das sie stolz sein können, die Herren!« sagte Busgaard mit dem höchsten Grad von Feindseligkeit gegen den Richterstand. Ehrlich gesprochen: »Das größte Übel, was wir von dem Diebsgesindel haben, ist, daß wir die hochnäsigen Juristen ertragen müssen, die eine Entschuldigung für ihr Dasein darin finden, daß sie auf die Verbrecher aufpassen sollen, mit denen sie sich nur in dem einen messen können, nämlich daß sie uns friedliche Bürger genieren. Ich kümmere mich sonst nicht viel um das Gewäsch, was in den Zeitungen steht, aber so viel habe ich doch herausgelesen, daß die wichtigtuenden Herrn da drinnen genötigt sind, unschuldige Leute zu quälen und zu arretieren, weil sie die, die es wirklich gewesen sind, nie erwischen.«

»Es steht so viel in den Zeitungen,« schob der Kreisrichter mit seinem stillen Sokrateslächeln ein.

»Zugegeben,« erwiderte Busgaard, »aber soviel weiß ich doch, wenn es Lügen wären, was die Blätter über die Richter schreiben, so würden sie die Zeitungsschreiber ins Loch sperren, und wenn sie es nicht tun, so geschieht es, weil sie wissen, daß jene recht haben. Nein, mein Lieber, das Diebsgesindel ist ein elendes Pack, das sei zugegeben, aber die Richter sind bei Gott viel schlimmer. Das steht bei den meisten Blättern fest, und selbst wenn es nicht so wäre, so ist es doch meine Meinung und damit Basta.«

Heiden lachte. »Sie meinen es nicht so schlimm.«

»Ich meine immer, was ich sage,« sagte Busgaard barsch.

Der Kreisrichter nickte. »So, meinen Sie das. Es kann auch seine Annehmlichkeiten haben mit einem Mann zu verhandeln, der meint, was er sagt. Solche sind nicht häufig.«

»Also – – –«

»Sie kommen in amtlicher Eigenschaft, soviel ich weiß?« Busgaard war jetzt etwas versöhnlicher gestimmt.

Er haßte Widerspruch, gab man ihm jedoch recht, so wurde er gleich umgänglicher. »Das tue ich,« erwiderte Heiden. »Ich vereine das Nützliche mit dem Angenehmen, indem ich bei Ausübung meines Berufes die Bekanntschaft eines ausgezeichneten Mannes mache. Ich bin eine poetische und harmonische Natur.«

»So, so, sind Sie von dieser Art?« Busgaard fühlte sich bereits ganz überlegen. »Da taugen Sie wohl nicht viel zum Kreisrichter?«

Heiden genoß seinen Wirt. »Das kann ich nicht sagen,« sagte er freundlich. »Ich habe das Amt erst vor kurzem angetreten. Und ein Maulheld bin ich nicht.«

Busgaard fuhr auf. »Soll das eine Anspielung sein,« sagte er augenblicklich en garde, »so muß ich doch . . .«

»Sie müssen gar nichts,« unterbrach ihn Heiden. »Sie sind sicher ein angenehmer Mann, wenn man Sie näher kennen lernt. – Sie sind kein ganz höflicher Mann – absolut nicht, auch kein ruhiger Mann. Aber Sie sind ein Mann, der 2500 Kronen verloren hat in einem Haus, das in meinem Gerichtsbezirk liegt, und daher interessieren Sie mich im Augenblick im allerhöchsten Grade.«

»Das hatte ich ganz vergessen,« sagte der Gutsbesitzer und zog ein saures Gesicht bei der Erinnerung an den Verlust.

Der Kreisrichter lächelte. »Sie sind also auch ein glücklicher Mann. Ein glücklicher Mann ist der, der vergessen kann, daß man ihm vor kurzem 2500 Kronen gestohlen hat. Den Dieb habe ich nicht, so glücklich bin ich nicht, aber ich habe mir den Beistand Ihres Neffen gesichert, und ich habe die feste Gewißheit, daß ich darin auf alle Fälle klug und bedachtsam gehandelt habe. Es ist mir deshalb darum zu tun, daß Sie, wenigstens solange unsere Untersuchungen währen, wenn nicht mit Wohlwollen, so doch mit einem gewissen Vertrauen auf die Juristen blicken, die Sie doch nun einmal selber herbei gerufen haben und in die Sie sich daher schicken müssen. Mein Polizeidiener Hansen ist ein flinker Spürhund, und ihren Neffen nennen sie drinnen in der Hauptstadt den Mann mit dem sechsten Sinn. Also, des Diebes können Sie sicher sein.«

Nach dieser ungewöhnlich langen Auseinandersetzung sank der Kreisrichter im Stuhl zurück und sah seinen Mandanten wohlwollend fragend an.

Busgaard brummte: »Sicher – ja die Sicherheit hat mich 2500 Kronen gekostet. Die sind weg, aber daß die Polizei den Dieb erwischen sollte – nie!«

»Soll ich Ihnen etwas anvertrauen?« fragte Heiden mit seinem sanftesten Lächeln. »Ich glaube es auch nicht. So werden Sie jedenfalls nicht enttäuscht.«

Busgaard sperrte Mund und Nase auf, und Heiden fuhr fort: »Wissen Sie vielleicht, wo der Dieb ist?«

»Ich –?«

»Ja, sehn Sie. Sie sitzen mitten darin, und Sie wissen es nicht. Finden Sie es da nicht etwas viel verlangt, daß ich, der ich anderthalb Meilen davon sitze, wissen soll – –«

»Das muß ich sagen,« fiel Busgaard ein.

»Ja, das dürfen Sie gern,« fuhr der Kreisrichter in demselben sanften Ton fort. »Es ist nämlich sehr klug. Sie sind überzeugt, daß die Obrigkeit nicht dazu taugt, die Diebe zu finden. Und in diesem Punkte werde ich Ihnen durchaus nicht widersprechen. Das ist sehr schwer, weil die Herren ein Interesse daran haben, inkognito zu bleiben. Meine Auffassung ist es denn auch, daß die Richter dazu da sind, die Verbrecher, mit denen die Herren kommen, zu verurteilen, das ist meiner Treu Arbeit genug, und es ist wohl ein bißchen viel verlangt, daß wir auch noch Untersuchungen anstellen sollen, wer das Verbrechen begangen hat. Dazu gehören gar keine Voraussetzungen, auf jeden Fall keine juristische Ausbildung, und es wird Ihnen sicher bekannt sein, daß die Nationalhelden, die in die Literatur übergegangen sind, die Sherlock Holms und Nick Carter und wie die Herren sonst heißen, alle viel klüger sind als die Polizei, und das sind, wie Sie in allen Ihren Blättern lesen können, unsere nationalen Gentlemen of the press auch.«

Busgaard hörte ihn etwas betreten an. Dann sagte er: »Na, sind Sie von der Art?«

»Von der Art bin ich,« lautete die friedfertige Antwort. »Sie müssen mich nehmen wie ich bin. Ihre Aussichten sind gering und es ist, wie gesagt, am vernünftigsten, mit niedrigen Erwartungen zu beginnen, was Sie ja auch, wie Sie mir offenherzig mitgeteilt haben, tun.«

Busgaard stand auf. »Das muß ich übrigens sagen –«

»Überflüssig,« unterbrach ihn Heiden, »ganz überflüssig, denn ich habe es bereits gesagt. Ich bin eine harmonische, poetische Natur, und sollte es mir glücken, Sie auf Moll herabzustimmen, so ist meine Reise nicht vergebens gewesen.«

»Halten Sie mich zum Narren?« brauste Busgaard auf, mit gesenktem Kopf, wie ein angriffsbereiter Stier. Jetzt wurde er nämlich zornig.

Doch der Kreisrichter erhob seine schmale, weiße Hand und sagte mild und freundlich wie vorher: »Ich spiele Violine, mein Herr, und vor dem Konzert stimme ich mein Instrument und mein Mitspieler muß sich im Ton nach mir richten. Das wissen Sie ja, der Sie selber ein Streichinstrument spielen. Dann spiele ich oft mit Sordine weiche, lange Striche, Verehrtester! Nicht wahr?

 
Wo man spielt, da laß dich ruhig nieder,
Böse Menschen haben keine Lieder –
 

Wir beide werden noch Freunde werden.«

Busgaard blieb stehen und starrte ihn an. – Frau Busgaard trat aus dem Eßzimmer herein.

»Wollen die Herren nicht eine Herzstärkung haben. – Das Frühstück ist fertig.«

»Vielen Dank,« erwiderte Heiden und schritt an Frau Busgaard vorbei auf die Tür zu. Busgaard gab seiner Frau einen Wink und sie näherte sich ihm.

»Mutter,« sagte er, so leise er konnte, »er ist verrückt, komplett unmöglich.«

Frau Busgaard dämpfte: »Aber Bus!«

Der Kreisrichter, der das eheliche Duett gehört hatte, wandte sich auf der Schwelle lächelnd um.

»Kümmern Sie sich nicht darum, liebe Frau Busgaard. Sie kennen und schätzen Ihren Mann; ich kenne ihn noch nicht richtig, aber ich glaube sicher, ich werde ihn schätzen lernen. Er spielt mehrere Instrumente, auch Gonggong und Pauke, das sind Instrumente, die ihre Berechtigung in jedem größeren Orchester haben. Und sie sind leicht zu handhaben. – – Ist dies der richtige Weg?«

Und lächelnd glitt der Kreisrichter über die Schwelle dem Tisch entgegen, der sich bog unter der Last der Schüsseln, während der Herr des Hauses hinterhertrippelte, desorientiert und kopfschüttelnd. – – Das war doch ein schnurriger Kauz, dieser Kreisrichter.

Wenn ein Kriminalassessor liebt

Kreisrichter Heiden hat gefrühstückt und sitzt jetzt am Klavier in der Wohnstube, damit beschäftigt die Familienvioline zu stimmen, um ein Duo mit dem bestohlenen Busgaard zu probieren. Polizeidiener Hansen hat einen Bissen Brot und einen Schnaps in der Leutestube erhalten und ist jetzt dabei den Taillenumfang der Wirtschaftsschülerin, Fräulein Antonsen, zu messen – dies geschieht aus Gründen der Vorsicht in der Speisekammer.

Und Thomas Klem – Dr. jur. und Kriminalassessor, der Mann, auf dessen Schultern alles ruht – er steht in der Fensternische in seiner Stube, während die Sonne die Eisblumen am Fenster schmilzt, tief versunken in seine starke junge Liebe.

Thomas Klem liebte Martine Luthera Busgaard – ja das klingt nach Lustspiel, das duftet nach Spießbürgerlichkeit, das kann unmöglich erhaben sein. Und doch, es ist erhaben, denn die Liebe ist erhaben. An und für sich ist diese Bemerkung banal, aber an dieser Stelle, in dieser Erzählung, die sich hier zu Höhen zu erheben trachtet, die sie später nicht wieder erreichen wird, muß es mit fünfzölligen Nägeln im Bewußtsein des Lesers festgenagelt werden, daß in dem Satze: die Liebe ist erhaben – doch mehr als Banalität steckt.

»Tine,« sagte Thomas, der selber die Empfindung hatte, daß ihre Liebe sich in ungewohnt erhabene Regionen verstieg, »der Kuß der Geliebten schmeckt doch am besten!«

»Thomas,« sagte Tine mit Zweifel in der Stimme.

»Nein, Geliebte, wie kannst Du an Jung-Hagbarths Treue zweifeln.«

»Warum nennst Du Dich Hagbarth?« fragte Tine mit einem Lächeln, das die Mißstimmung verscheuchen sollte.

»Frage nicht,« antwortete Thomas und küßte sie – »für Dänemark ist das Erhabene in der Liebe durch Hagbarth und Signe symbolisiert, jüngst vorgeführt im Tiergarten unter einigen herrlichen Buchenstämmen, auf die die Kopenhagener bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal aufmerksam wurden. Tine, Dein Vater gleicht der Königin Bera, ohne die Perfektibilität dieser hohen Dame. – Tine!«

»Wenn Vater nur wollte,« seufzte die holde Maid.

Aber ihr Vater wollte nicht. Es läßt sich nicht verhehlen, daß ein junger Mann, der in züchtiger Liebe ein Heim gründen will, Mittel haben muß, und die Assessoren des Kriminalgerichts sind bezahlt wie bessere Kegeljungen, vielleicht weil der Öffentlichkeit die Augen für ihre Vortrefflichkeit noch nicht aufgegangen sind.

Thomas seufzte. »Tine, ich habe bisweilen Lust der Gerechtigkeit Lebewohl zu sagen und ins Gastwirtsfach überzugehen. Das Bier ist ja der Weg zu Ruhm und Macht. Und ich fühle selbst, daß ich ohne Dich nicht menschenwürdig leben kann. Ich kann nicht, Tine.«

»Ich bin so grenzenlos unglücklich,« seufzte Tine mit Tränen in den Augen, Tränen, die wohl trotzalledem Freudentränen waren.

Thomas küßte die Tränen fort. »Und ich bin grenzenlos glücklich – vierzehn Tage lang. Weißt Du, Tine, es gibt keine Liebe auf Erden, die in Seligkeit sich mit unglücklicher Liebe messen kann. Das wirst Du merken, wenn wir beide erst glücklich werden. Und Spaß beiseite, jetzt muß es geschehen! Du mußt nämlich wissen, Tine, daß ich Schaden an meiner Seele nehme. Es ist etwas daran an dem Wort, es ist nicht gut, daß der Mann allein sei. Meine Gedanken sind mein Kapital – mein einziges, doch das Kapital ist gebunden, die Gedanken sind bei Dir. Und meine Liebe zu Dir, die mich emportragen sollte, führt mich von dem fort, was meine Aufgabe ist. Es ist grenzenlos töricht, wenn man es als erhabener Herr der Schöpfung aussprechen muß, kleine Tine, aber ich bin ganz unglücklich, und was schlimmer ist, ich werde ganz untauglich. Es ist zu Hause in meiner Stube ein leerer Platz, und selbst, wenn ich innerlich überzeugt bin, daß die Zeit kommen wird, wo ich Dich bitte, mich mit meiner Arbeit allein zu lassen – jetzt ist es merkwürdig, ich kann nicht arbeiten ohne Dich.«

Tine fühlte das Bedürfnis den Armen zu trösten und tröstete ihn.

Dies verlief eine Weile in Stillschweigen.

»Tine,« sagte Thomas ernst. »Im Grunde ist es ganz dumm von Dir und mir, daß wir uns wie ein paar Operettenliebende aufführen, die auf den Klimax im dritten Akt warten, um im vierten vereint zu werden. Und nun muß es ein Ende haben! Es gibt garnichts romantisches in der Geschichte unserer Liebe, sie beruht auf sich selber und muß aus sich selber wachsen. Wir sind alt genug dazu, und nun muß es ein Ende haben! Dein Vater kann mich nicht leiden, das ist sein Fehler. Deine Mutter hat mich um einen Dienst gebeten, und ich leiste ihr einen Dienst, doch dann muß ihr Ehegemahl sich darein finden, daß ich Dich als Siegespreis mitnehme. Die Möglichkeiten, die wohl verborgen unter meiner vielleicht nicht sonderlich vertrauenerweckenden Schale liegen, kannst nur Du allein durch Liebe zur Entwicklung bringen. Und ich kann merken, daß Dir die Lust dazu nicht fehlt.«

 

Das war nicht weiter verwunderlich, denn Tine hatte die Arme um seinen Hals geschlungen und sah zu ihm auf, als ob er ein Halbgott wäre. Es dient zu Thomas Klems Ehre, daß er in einem solchen Augenblick ganz die Lust verlor, witzig zu sein, eine Gewohnheit, die, im Vertrauen gesagt, die größte Schwäche des Mannes war.

»Du bist ein Engel, Tine,« sagte er ganz leise. Dies ist ja keine außergewöhnliche Wendung, sie zeichnet sich auch nicht durch Originalität oder besonders modernes Gepräge aus, aber sie ist eben so gut, wie sie alt ist. Wer es nicht glaubt, probiere es!

»Kleine Tine,« fuhr Thomas fort und zog sie vom Fenster weg nach dem kleinen steifen Roßhaarsopha – das von früheren Herren auf Braendholt und ihrer Liebe berichten konnte – »kleine Tine! Jetzt geloben wir einander, daß wir diese Stätte zusammen verlassen und dort hingehen, wo wir wirken sollen. Und als ein Pfand dieses Gelübdes sollst Du in mir in diesen Tagen einen Diener dieses Hauses sehen, einen demütigen Diener, der sein Kreuz schweigend trägt und in der Stille wirkt. Aber daß Du es weißt, Tine, jetzt lasse ich Dich nicht mehr.«

Und Tine bekräftigte das Gelübde schweigend. Die richtige Liebe ist stumm. Oder ist das nur eine schwache Entschuldigung für die mangelnde Fähigkeit, der Liebe Worte zu verleihen?

Monny brach in das Idyll ein. Sie klopfte leicht an die Tür und stand einen Augenblick später schweigend mit einem Lächeln im Zimmer. Dann lachte sie und sagte neckend: »Das sollte Klemmesen sehen, Tine!«

Thomas sprang auf: »Wer ist Klemmesen? – Ich sage, wer ist Klemmesen?«

Und so kriegte Thomas zu wissen, wer Klemmesen war. Wieder bewies die Liebe hier ihre Allmacht. Assessor Klem, der große Mann, der Herr über das Wohl und die Freiheit von Hunderten, hatte in diesem Augenblick das Gefühl, als ob ihm das Herz zusammengepreßt und die Kehle zugeschnürt würde. Er wiederholte den Namen für sich: Klemmesen, Klemmesen – ich muß das Weiße in den Augen des Mannes sehen. Ich muß Klemmesen sehen! Und die Gefahr, die er geahnt und gefühlt hatte, als etwas Unbestimmtes, nahm feste Form, nahm Menschenform an und wurde zu Klemmesen. Tine begriff es garnicht und Monny war ganz bestürzt. Die beiden kannten ja den richtigen Klemmesen.

Für Thomas war es nur ein Name, der Name eines Unbekannten, aber so viel Mensch war Thomas doch, daß der Name das Böse in ihm in Bewegung setzte. Bulwer würde geschrieben haben: Wehe Klemmesen.

Was Bulwer tun konnte, können wir hier auch tun: Wehe Klemmesen! Und der Konflikt tritt in sein erstes Stadium. Die Idylle verwandelt sich in Kampf.

Als Thomas Klem in die Wohnstube trat, saß der Kreisrichter da und spielte Haydn mit Busgaard. Was Polizeidiener Hansen machte, wissen wir auch. Heiden wandte sich dem Assessor zu, aber bevor er noch ein Wort sagen konnte, gab Thomas den Ereignissen die Wendung, die die Polizeimänner dahin zurückbrachte, wohin sie gehörten.

Und jetzt ist also alles auf seinem richtigen Platz.