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Der sechste Sinn

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Schildert Kummer und Freude als zwei herrliche Gegensätze

Es war gegen Abend, die Lampe brannte auf dem Tisch in der Wohnstube, und die Hausfrau saß dabei und strickte.

Tyr und Tut lernten ihre Lektion und bedachten sich unter dem Tisch mit Fußtritten; das taten sie immer, wenn sie da saßen.

»Kannst Du es nun, Tyr?« fragte die Mutter ein bißchen müde und griff nach dem Buch.

»Ja, Mutter, jetzt kann ich es,« antwortete Tyr und lieferte das Lesebuch aus.

»Laß mich hören – was hast du auf?« Die Mutter nahm das Buch.

»Über den Verfall der katholischen Kirche – da« – Tyr zeigte im Buch.

»Laß hören,« sagte die Mutter und setzte sich zurecht. Tyr begann:

»Die Gründe, warum die Reformation unter Friedrich dem Ersten in Dänemark so rasche Fortschritte machten, waren eh – eh – eh – eh«

»Na, was waren sie?«

»Eh – eh – eh . . .« Tyr saß fest.

»Von verschiedener Natur eh – eh –«

»Der höhere Priesterstand –« sie klopfte ungeduldig mit den Stricknadeln.

»Bestand aus Adligen, die zum – zum . . .«

»Größten Teil . . .« soufflierte die Mutter.

»Zum größten Teil nur Sinn für die zeitlichen Güter hatten, die ihnen ihre Stellung brachte, und in dem – eh – eh –«

»Niederen Priesterstand.« Es klang ungeduldig.

»In dem niedern Priesterstand eh – eh –«

»Fand sich –«

»Fand sich eh – eh –«

»Was fand sich da?« Tante Mus fing an böse zu werden.

Tyr schwieg.

»Nun, was fand sich in dem niedern Priesterstand?«

»Mönche,« riet der Unglückliche.

»Unsinn – Du kannst es ja nicht! Fand sich viel Un –«

»Viel Un –«

»– wissenheit! Gleich –«

»Unwissenheit, gleich – eh – eh – gleichsam . . .«

»Gleichgültigkeit!«

»Gleichgültigkeit eh – eh . . .«

»Und Un . . .«

»Und Unzuverlässigkeit!« – Tyr war nahe daran das Ganze aufzugeben.

»Nein, Unsittlichkeit! Du kannst es nicht, lerne es noch einmal.«

Und Tyr bekam das Buch an den Kopf.

Ein wenig später kam Tine herein; sie strahlte und ging direkt auf den Stuhl der Mutter. Die Jungen glotzten.

»Mutter kann ich mit Dir reden?« – Die Sache wurde geheimnisvoll.

»Gern, mein Kind!« – lautete die mütterliche Antwort.

Aber Tyr und Tut durften nicht hören, wonach sie vor Neugierde brannten.

Die beiden wurden ins Eßzimmer geschickt mit dem Befehl weiter zu lernen. Es kostete etwas Mühe sie los zu werden, aber schließlich wurden sie mit Tines Hilfe hinausgesteckt.

Als sie draußen waren, ging Tine zu ihrer Mutter hin und umarmte sie zärtlich und nicht ohne eine gewisse Leidenschaft.

»O, Mutter, Mutter, ich bin so unsäglich glücklich!« sagte sie, und das war sie.

»Das ist ja hübsch zu hören,« antwortete die Mutter gleichsam ein bißchen dämpfend, aber Tine fuhr fort.

»Vater hat nachgegeben! – Du weißt, ich sollte Thomas nicht kriegen, weil wir Vetter und Kusine sind, und ich liebe Thomas. Ich habe ihn schon als kleines Mädchen geliebt. Und jetzt kriege ich ihn richtig! O, Mutter, ich bin so unsäglich glücklich.«

Tine tanzte rund herum, und die Mutter nickte ihr zu. Es war gut, daß wenigstens eine glücklich war.

»Ja, da siehst Du's, mein Kind, man muß nur warten!« Sie konnte es doch nicht lassen, moralisch zu sein und Lehren an die lichten Augenblicke des Lebens zu knüpfen.

Tine faltete die Hände. »Und ich, die ich nahe daran war eine alte Jungfer zu werden – ja, das war ich! Pastors Emilie ist verheiratet und Doktors Anna ist aufgeboten. – Mortensens Trine hat schon das Erste taufen lassen. Alle versorgt. Nur ich – aber Mutter, jetzt ist das aus – jetzt heiraten wir. Ach, wie herrlich!« Und Tine jubelte laut bei dem schönen Gedanken.

»Und was soll ich dann machen? – An mich denkst Du nicht. Dann ruht alles auf mir allein.« – Die hausmütterlichen Sorgen meldeten sich.

»Du hast Monny – sie kann es recht gut. Und sie soll – nicht? sie soll.« Tine legte tröstend den Arm um den Hals der Mutter. Sie sah die Gefahr und verstand sie.

»Monny« – Tante Mus schüttelte den Kopf – »es wird doch nicht dasselbe, Tine – nie.«

»Du darfst es mir nicht verleiden, Mutter! Jetzt war ich so froh,« – und Tine, das gute Geschöpf, war nahe daran das Ganze zu bereuen.

»Das will ich auch nicht. Die Schwingen wachsen, und die Jungen verlassen das Nest. Die Alten bleiben allein zurück.« Die Haubenbänder zitterten.

»Das ist der Gang des Lebens, Tinchen! Das ist der Gang des Lebens; Gott segne Dich, mein Kind – Du bist mir eine gute Tochter gewesen. Und Thomas kann sich freuen, daß er Dich bekommt? Wie ist es denn zugegangen?«

Sie wollte doch gern die Geschichte in extenso hören.

Aber Tine war nicht eigentlich für das Epische veranlagt, sie gefiel sich ausschließlich in der Lyrik, die große Gesten, aber nur wenig Worte hat.

»Thomas hat zugegriffen,« sagte sie, »nun ist es Ernst, er hat Klemmesen in ein Mauseloch gejagt.«

»Der arme Klemmesen,« lächelte Tante Mus.

»Ach was, er kommt schon darüber weg. Du glaubst doch nicht etwa, daß er der Dieb ist? – Das hat Thomas freilich auch nie gemeint.«

Nein, das glaubte Tante Mus nicht – aber gerade darunter tut er ihr leid. Tine meinte dagegen, Klemmesen müßte froh sein, daß er so davon käme. Er könnte doch bei Gott im Himmel nicht alles auf einmal kriegen. Und fügte sie schelmisch hinzu: »Wenn Lea weg ist, so ist doch Rahel noch da.«

»Monny meinst du;« Tante Mus schüttelte den Kopf.

»Ja, das ist Monnys Sache,« sagte Tine kurz. »Ich bin nur so glücklich.«

»So daß Du nur an Dein eigenes Glück denken kannst,« fiel Tante Mus ihr ins Wort. »Ja so sind sie, die jungen Leute – aber warte nur! Auch das Eure kommt noch. Jeder bekommt das Seinige hier im Leben,« und wieder wurde das Belehrende an das Erfreuliche geknüpft.

Tine lachte: »Jetzt kriege ich meinen, und dann mag jede ihren nehmen –« und sie tanzte lustig im Zimmer herum und schlug mit den Flügeln.

Sie endete schließlich am Klavier und begann in unbändiger Freude die unschuldigen Tasten zu mißhandeln und dazu zu singen.

»Ach Mutter, ich bin so unsäglich glücklich!« Und ohne ihre Freude näher zu begründen, tanzte sie zur Stube hinaus, um die Quelle aller Freude zu suchen, den früher halb heimlichen, jetzt im Sonnenlicht offenbaren regulären, bald mit Ring versehenen einzigen Einen – –

Glückliche Jugend, glückselige Tine!

Frau Busgaard strickte und schüttelte den Kopf. Sie kannte das Leben. Ach ja, das tat sie. Betrübt und niedergedrückt, recht ein Jammer anzuschauen, trat kurz darauf Monny in die Stube ein und näherte sich mit langsamen Schritten.

»Monnychen – was fehlt Dir?« fragte Tante Mus und blickte auf.

»Nichts, Mutter,« lautete die Antwort. Es klang nicht überzeugend.

»Doch, es fehlt Dir etwas – komm her zu Mutter! – Komm, kleines Mädchen, wie in alten Tagen – komm zu Mutter mit Deinen kleinen Sorgen!« Und Tante Mus lockte die arme Monny wie ein Hündchen.

»Ich kann nicht, Mutter.« Es war dicht vorm Ausbruch.

»Gewiß kannst Du, Monny – ein junges Mädchen kann immer mit seinen Sorgen zu seiner alten Mutter kommen! – Sprich Dich nur aus, mein Kind. Monny« – und die mütterlichen Arme öffneten sich.

Da schmolz das Eis und Monny brach in Tränen aus. »Ach Mutter, Mutter, ich wollte, ich wäre tot, ich bin so grenzenlos unglücklich!«

»Aber, mein Gott, was ist mit Dir?« Tante Mus war ganz entsetzt. Monny schluchzte.

»Du bist so gut, Mutter – Du bist meine liebe Mutter, Du mußt mir helfen – ich kann nicht, Mutter, ich bin so grenzenlos unglücklich!« – Das Köpfchen sank auf den stützenden Arm herab, Monny gab den Kampf auf!

»Was ist es denn – Du mußt es mir erst erzählen,« fragte Tante Mus beinahe eben so unglücklich wie die Tochter. Und nun begann der Bericht unklar und stotternd:

»Er – er – er, der unten im Rollkeller sitzt, das ist – er – Arthur – den ich liebe!« Monny weinte weiter, ganz in Tränen aufgelöst.

»Was sagst Du, Kind? Sitzt einer, den Du liebst, unten im Rollkeller?«

Tante Mus, die ganz unvorbereitet war, schlug in wirklichem unverstellten Erstaunen die Hände überm Kopf zusammen. Etwas derartiges hatte sie ganz und gar nicht erwartet.

»Ja – Arthur Franck!« Es war der Name des Geliebten, der ausgeliefert wurde.

»Wer ist Arthur Franck?« fragte Tante Mus; sie war so klug wie zuvor.

Monny fuhr fort, erst stotternd, dann immer fester: »Ja, es war Sünde von mir – und darum straft mich der liebe Gott so streng – ich habe es vor Dir geheim gehalten, Mutter – es war im August – nein, es war im vorigen Winter, wir trafen uns bei Tante Bine –.« Hierauf folgte das ganze Idyll, das wir schon lange kennen.

Die Mutter schüttelte den Kopf, sie könnte doch nicht alles begreifen.

»Er ist so gut und lieb – und sein Vater ist furchtbar reich! Arthur hat nicht gestohlen, er hat es nicht nötig zu stehlen. Und Thomas kennt ihn sehr gut, es ist nur, weil er schlecht ist . . .« Monny war tief in eignen Gedanken.

»Es ist Arthur Franck – sein Vater ist Hans Franck & Co., Wein und Zigarren. – Arthur studiert Jura. Er liebt mich, und ich liebe ihn, und wir sind heimlich verlobt!«

»Ohne Vater und mich zu fragen?« Tante Mus schüttelte bedenklich den Kopf.

»Ja, Vater hätte es ja nie erlaubt, – das weißt Du doch, Mutter! Vater ist so furchtbar ungerecht gegen Juristen, und wir haben ja keine Ringe. – Ich würde nie einen Verlobungsring haben, ohne daß Vater und Du es wüßtet.«

Tante Mus fuhr fort den Kopf zu schütteln.

»Nein, süße Mutter, liebes süßes Mütterchen, das würdest Du nicht sagen, wenn Du Arthur kenntest. Er ist so tüchtig, und er spielt so schön Klavier, viel besser als der eklige Willumsen. – Ach Mutter, Mutter . . . Und nun sitzt er im Rollkeller unten, und Thomas sagt, er hätte die 2500 Kronen gestohlen.«

 

Tante Mus verstand trotz alledem nicht ein Wort von der ganzen Geschichte.

Thomas würde ihr alles erklären – Monny wußte gar nichts – sie wußte nur, daß Arthur vor dem Mittagessen arretiert worden wäre. – Und als sie von der Verhaftung sprach, weinte sie wieder und fuhr fort mit weinen.

»Wir müssen es Vater sagen,« sagte Tante Mus und stand auf; aber davon wollte Monny nichts hören. Doch die Mutter blieb dabei.

»Ja, kleine Monny! Vater und ich sind bald 27 Jahre verheiratet, und ich habe nie ein Geheimnis vor ihm gehabt. Er ist Dein Vater, und er ist ein guter Vater. Darüber muß ich gleich mit ihm reden.« – Und sie machte sich los, um zu gehen.

Monny hielt sie auf. »Mutter, Mutter – dann laufe ich hinaus und ertränke mich im Teich.« Monny zitterte am ganzen Körper vor Nervosität.

»Nicht zu Vater – nicht zu Vater – sprich mit Thomas.«

Tante Mus blieb unschlüssig stehen; was in aller Welt sollte sie tun? Zum Glück ging die Tür auf und Thomas in eigener Person trat ein. Er blieb stehen und sah die beiden an, sagte aber nichts. Tante Mus sprach zuerst.

»Monny ist ganz außer sich – ich verstehe nicht die Hälfte von dem, was sie sagte, aber die ganze Geschichte ist furchtbar verfahren.«

»Das ist sie« – sagte Thomas mit Grabesstimme.

»Sie will nicht, daß ich es Vater sagen soll,« fuhr Tante Mus fort. »Aber ich finde doch, ich soll und muß es ihm sagen. Was meinst Du, Thomas?«

Thomas antwortete: »Ich finde wie Du – Du mußt unbedingt dem Onkel alles sagen, alles was Monny erzählt hat – und will er mehr wissen, kann er mich fragen.«

»Thomas, daß Du es übers Herz bringst,« kam es halberstickt von Monnys Lippen, aber Thomas war unbeugsam.

»Geh, Tante Mus, geh und tue Deine Pflicht!«

Und Frau Busgaard schritt auf die Tür zu, beständig kopfschüttelnd. »Monny wollte ihr nach. »Mutter!« – Aber Thomas trat dazwischen und sagte scharf: »Du bleibst hier, Monny!«

Monny blieb stehen – in ihrem Auge brannte eine trotzige Glut, hier stand Vetter gegen Kusine. Tante Mus flüchtete.

»Zu wem redest Du?« fragte Monny, als die beiden allein waren.

»Ich rede zu Dir – setz Dich!« lautete die feste Antwort.

»Willst Du hier kommandieren?« fragte sie rasch und spitz.

»Ja – ich habe das Kommando übernommen,« erwiderte er unbeugsam.

»Ach, Thomas, Thomas! Hilf mir, ich halte es nicht aus.« Jetzt brach Monny zusammen.

»So, so, kleine Monny – Deine Hand, so – so ist es recht, und nicht lange danach umschlangen die beiden kleinen Hände seinen Hals. – »Ach, Thomas, Thomas –«

Es wurde also Friede. Thomas tröstete.

»Was jetzt geschieht, geschieht um Deinetwillen und zu Deinem eigenen Besten! Die Kur ist vielleicht hart. Aber so muß es bisweilen sein. Die Sonne kann nicht immer scheinen.«

Monny schluchzte: »Arthur hat nicht gestohlen! – Arthur kann nicht stehlen!«

»Das werden wir erfahren,« sagte Thomas und beruhigte sie, wie man ein kleines Kind zur Ruhe redet. »Es genügt nun einmal nicht zur Entscheidung der Sache, daß Du es sagst. Der Dieb soll gefunden werden, und er soll jetzt gefunden werden. Das wird meine Sache sein. Hat Arthur gestohlen, so ist es vorbei – und hat er es nicht getan, so fängt es für Dich erst recht an!« Und Thomas strich behutsam über die weichen braunen Locken.

»Arthur kann nicht stehlen,« murmelte Monny standhaft.

»Das hilft nichts,« unterbrach er sie – »Du sollst mit Deinem Vater sprechen – Du magst es ihm gern sagen – Du sollst ganz frei von der Seele weg sprechen! Was später geschieht, ist meine Sache.«

»Und Arthur, soll er in dem garstigen Keller sitzen bleiben?«

»Das schadet ihm nichts. – Er sitzt, wo er sitzen soll – vorläufig. Verlaß Dich nur auf mich, Monny.«

»Glaubst Du, daß Arthur gestohlen hat?« Sie war nicht davon abzubringen. Er antwortete: »Ich glaube nie, wo ich sicher bin, daß ich in kurzer Zeit wissen werde. Trockne Deine Augen und sei ein vernünftiges Mädchen. – So, da kommt der Onkel!«

Man hörte feste Schritte vom Eßzimmer her.

»Du darfst nicht gehen, Thomas – Du mußt bleiben,« bat Monny in Angst.

»Nein, das muß ich gerade nicht,« lautete die Antwort. Ich komme, wenn es für mich Zeit ist einzugreifen. Jetzt ist es an Dir!« Und Thomas schritt zur Tür. »Kopf hoch, für alles, was Du getan hast, kannst Du getrost einstehen. Kopf hoch!«

Jetzt trat Busgaard vom Eßzimmer her sehr feierlich ein; hinter ihm her trippelte ängstlich seine Frau. – Thomas ging rückwärts, ohne ein Wort zu sagen, zur Tür hinaus, und Busgaard blieb mitten im Zimmer stehen, wie der steinerne Gast im Don Juan, unheilschwanger, bereit loszudonnern und Fluch und Verdammnis auszusprechen.

Monny sank hilflos auf einen Stuhl am Tisch nieder und verbarg ihr Gesicht in den Händen, recht ein Bild von Kummer und Zerknirschung.

Da geschah das große Wunder. Busgaards Gesicht wurde mild und freundlich; er ging zu seiner Tochter hin, legte die Hand auf ihre Schulter und sagte: »Monny, Kind, hast Du wirklich kein Vertrauen zu Deinem alten Vater mehr?«

Und da schmolz Monny zum zweiten Male hin.

»Ich dachte – ich glaubte,« stotterte sie verschüchtert unter Tränen.

Busgaard nahm sie in seine Arme und streichelte ihr Haar: »Du glaubtest, ich, Dein Vater, auf dessen Knien Du als kleines Mädchen gesessen hast, der Dich gehätschelt und für Dich getan hat, was er konnte, im Laufe der Jahre, ich würde Dich, das erste Mal, wo Du Deine eigenen Wege gingst und Dich aus dem schützenden Heim hinauswagtest, in Sturm und Regen – in Not und Verzweiflung – stehen lassen. Nein, kleine Monny, da kennst Du Deinen Vater nicht!«

»Ach, Vater, Vater,« – die kleine Monny war ganz aufgelöst.

Busgaard fuhr fort: »Ich kann wohl schelten und aufbrausen – ich kann wohl ungerecht sein – aber ich habe ein Herz, nicht Mutter? das weißt Du doch besser, als irgend einer. – Ich habe wirklich ein Herz. Das habe ich doch heute schon einmal gezeigt – nicht?

Du hast also einen getroffen, der Dir den Kopf verdreht hat, kleine Monny. Laß mich nun die ganze Geschichte hören.«

Und nun erfuhr auch Busgaard Monnys kleinen Roman. Er hörte andächtig zu, schüttelte ab und zu das buschige Haupt, sagte aber kein Sterbenswörtchen.

»Arthur hat nicht gestohlen!« schloß Monny; das war im Grunde das einzige, worum ihre Gedanken sich drehten.

Busgaard rieb sich die Stirn und zögerte mit der Antwort. Er wollte ungern zur Sache Stellung nehmen, ehe alles aufgeklärt und in Ordnung wäre. Schließlich sagte er:

»Ich kann wohl begreifen, daß Du das wissen möchtest – und es wird bald aufgeklärt werden. Das verwünschte Geld! Erst beschuldigte Thomas mich, dann unsern braven Klemmesen, und jetzt sitzt der Bursche dort unten – Ich bereue, daß ich den Laffen, den Thomas nicht vom Hofe gejagt habe . . .« Jetzt sollte es über den unschuldigen Thomas hergehen. »Das ist auch Deine Schuld, Mutter,« und der alte Busgaard wollte wieder erwachen.

»Aber Mann,« tönte es verweisend von Tante Mus' Lippen.

Monny fiel ein: »Vater, Du darfst nicht zulassen, daß der Kreisrichter . . .« Busgaard schüttelte den Kopf.

»Nichts mehr davon, mein Kind! – Heute Abend sprechen wir darüber. Geh zu Deiner Schwester und trockne Deine Augen, der liebe Gott hilft uns schon« – Der Vater war wieder bewegt und Monny verließ das Zimmer mit einem väterlichen Kuß auf der Stirn und dämmernder Hoffnung im Herzen.

Busgaard ging ernst zu seiner Ehehälfte hin und starrte ins Weite:

»Mutter, Mutter, hier gehen merkwürdige Dinge vor sich. Die Kinder bekommen Flügel und wollen aus dem Nest flattern. Sie wollen ihren Flug selbst bestimmen. Und ich meinte, wir sollten auch in dem Kapitel für sie sorgen. Das tat Dein Vater für Dich, Mutter, und keins von uns hat es jemals bereut.«

»So soll es jetzt wohl nicht mehr sein,« wandte die treue Gattin mit frommer Resignation ein. »Wenn man nur wüßte, was das Richtige ist.«

»Das Neue kann zu einem schlimmen Ende führen,« sagte der bekümmerte Vater, und das graue buschige Haar bewegte sich auf seinem Kopfe wie unter einem unruhigen Herbstwind.

Tante Mus legte ihre Hände auf seine Schulter und blickte ihn freundlich an:

»Das konnte das Alte wohl auch! – Nein, Vater, wir sollen die jungen Herzen sprechen lassen. Und gibt es einen reinen Klang, so wollen wir sie gewähren lassen. – Du liebst die Musik ja so sehr.«

Busgaard küßte sie. »Du bist so still, Mutter, und Du bekommst so still recht.«

Die Entreetür ging auf und herein trat lächelnd und liebenswürdig der musikalische Kreisrichter Heiden.

Tante Mus flüchtete verlegen und Busgaard beeilte sich zu erklären: »Ich küßte meine Frau, Herr Kreisrichter,« dann lachte er ein wenig.

»Ja, das ist Ihr gutes Recht, Herr Gutsbesitzer,« sagte Heiden ruhig.

»Jedenfalls nichts, dessen man sich zu schämen braucht, Mutter,« fuhr Busgaard behaglich fort. »Das haben Sie wohl auch schon getan, Herr Kreisrichter.«

Heiden lächelte: »Nein, Ihre Frau habe ich nie geküßt, und selber habe ich nie eine gehabt. Ich habe mein Amt und meine Musik.«

»Hm,« sagte Busgaard, »wem das genügt! Ich liebe meine Musik, das tue ich wahrhaftig, aber Frau und Kinder – wissen Sie, Herr Kreisrichter – sind doch die schönste Musik, die der liebe Gott für menschliche Stimmen gesetzt hat.«

Consilium juridicum

Onkel Bus war liebevoll und mild. Daran war hauptsächlich der Spaziergang vor Tisch schuld, aber zugleich und vielleicht nicht zum wenigsten das kleine hübsche Intermezzo, das eben geschildert wurde. Und wenn Onkel Bus mild war, wollte er Musik machen.

Doch der Kreisrichter war diesmal nicht dazu aufgelegt.

»Lieber Herr Gutsbesitzer,« sagte er, »ich kann es wirklich nicht verantworten, die wichtige Sache länger ruhen zu lassen. Ich muß mit Ihrem Neffen darüber verhandeln, was wir vornehmen sollen. Auf mir ruht die Verantwortung, ich kann die Arbeit nicht länger von mir schieben.«

Dem konnte Onkel Bus natürlich nicht widersprechen, aber ehrlich gesagt fand er es viel einfacher, Thomas den ernsthafteren Teil der Arbeit zu überlassen. Auf diesem Punkt war Onkel Bus ein echter Landmann. Er wollte wirklich etwas für seine Ausgaben haben, und hatte er Tine jetzt an Thomas gegeben, so war es nur recht und billig, daß dieser zum Entgelt eine Arbeit leistete, die er aller Wahrscheinlichkeit nach besser leisten konnte, als der ihm in musikalischer Hinsicht weit überlegene Kreisrichter.

Doch Heiden blieb fest. Jetzt fühlte er sich als Kreisrichter, und fühlte er den Drang zu wirken. Fast war er neidisch auf den Assessor geworden, wegen des aktiven Anteils, den dieser an den Ereignissen hatte, und doch hatte Heiden selber das Ganze von sich geschoben.

Jetzt zuckten dem braven Kreisrichter die Finger, in die Sache einzugreifen, der er den ganzen Tag keinen Gedanken geschenkt hatte. Und warum? Weil Hansen ihm mitgeteilt hatte, daß ein Gegenstand für die Untersuchung unten im Rollkeller säße. Das war mehr als Heiden aushalten konnte. Er wollte die Ehre haben, den Verhafteten zu verhören, er wollte die Verantwortung für den weiteren Verlauf der Sache übernehmen, weil er der zuständige Kreisrichter war. –

Die beiden Beamten saßen in Busgaards Zimmer, in der vom Kreisrichter gewünschten Konferenz.

»Zunächst hätte ich Lust zu erfahren, was Sie gesehen und gehört haben,« sagte der Kreisrichter.

»In großen Umrissen sollen Sie es erfahren,« erwiderte Thomas freundlich, »aber nur in großen Umrissen, dieweil das Geheimnis meiner Methode ist, daß sie als Anschauungsunterricht wirken soll.

Ich ging davon aus, daß hier ein Hausdiebstahl vorläge, und darin waren Sie ja heute morgen mit mir einig; aber der Hausdieb, den wir zunächst im Verdacht hatten, schien uns beiden ein ehrlicher Mann zu sein. Das führte Sie dazu, in Ihrem Verdacht schwankend zu werden, während es mich darauf brachte von der Person abzusehen und davon auszugehen, daß alle ehrlichen Männer verdächtig wären. So kam ich dazu, abgesehen davon, daß ich meine privaten Kartoffeln häufelte, was ich bekenne in reichem Maße getan zu haben, den Verdacht auf Willumsen zu richten, und ich fand heraus, daß er im allerhöchsten Grade verdächtig sei, aber gerade als ich im besten Zuge mit ihm war, wurde ich auf den dritten aufmerksam, der jedem Polizeibeamten auffällig erscheinen mußte.«

»Das ist vermutlich der, der im Keller sitzt,« warf Heiden ein.

»Richtig,« antwortete Thomas. »Aus dem Grunde sitzt er im Keller, während Klemmesen und Willumsen frei herumgehen. Klemmesen ist von dem Verdacht völlig gereinigt, denn er hat Busgaard Aufklärungen über seine Ersparnisse und Einkünfte gegeben. Er hat damit meinen ausgezeichneten Onkel geärgert und mich erfreut, aber er hat zugleich über eine Menge kleiner Dinge, die ich später vor Ihnen aufrollen werde, Licht verbreitet. Ich habe gesprächsweise alle Hausbewohner verhört und mein Verdacht, daß ein Hausdiebstahl vorliege, ist mehr als bestätigt worden – er ist zur Gewißheit geworden.«

 

»Sieh an,« sagte der Kreisrichter, »das ist nicht wenig; und doch sitzt der junge Mann im Rollkeller.«

Thomas lächelte: »Er sitzt dort aus privatrechtlichen Gründen; doch lassen Sie mich hinzufügen, es ist möglich, daß ich meinen Coup nicht durchführen kann. Es ist möglich, daß ich nicht beweisen kann, daß ich recht habe. Und in diesem Fall bin ich sehr gegen meinen Willen genötigt, den jungen Mann auszuliefern. Ich rechne mit starkem und bedeutendem Widerstand, und ich unterschätze meine Gegner niemals. Ich betone daher ausdrücklich, es ist möglich, daß mein großes Verhör damit endet, daß Sie sagen non liquet, wie die alten römischen Richter taten, wenn die Sache nicht genügend aufgeklärt war. Und aus diesem Grunde führe ich jetzt gern dieses Gespräch mit Ihnen. Glückt es mir nicht, den Dieb festzunageln und die Beweise auf den Tisch zu legen, so bitte ich Sie dabei mitzuwirken, daß diese Sache in Frieden geordnet wird. Ich glaube, Busgaard ist bereit, sie fallen zu lassen. Die Summe ist gewiß groß, aber sie bedeutet für ihn nicht viel, und für die Familie ist es am besten, wenn die Sache heute zum Abschluß kommt, ob sie entschieden wird oder nicht. Wollen Sie mir dazu helfen?«

Der Kreisrichter legte den Finger an die Nase und sah sehr nachdenklich aus.

»Ich glaubte, Sie wären Ihrer Sache sicher,« sagte er.

»Sicher,« wiederholte Thomas lächelnd, »wer ist sicher? Ich bin meiner Sache ziemlich gewiß, mehr darf ich nicht behaupten. Aber ich möchte ungern daneben treffen. Ich bin nicht unfehlbar. Ich habe im Sinn, ziemlich weit zu gehen, viel weiter als Sie je gehen würden. In einem Verhör dieser Art ist ein coup de main rätlich und zulässig. Aber wenn er mißglückt, ist ein rascher Rückzug nötig.

Sie müssen mir also ganz freie Hand lassen, Wollen Sie das?«

Heiden kaute eine Weile daran.

»Viel ist es nicht, was Sie mir die Ehre erwiesen, mitzuteilen,« sagte er lächelnd.

»Abgesehen von dem allgemeinen Verdacht gegen Willumsen, den Sie nicht einmal begründet haben, eigentlich gar nichts. Aber ich will versuchen, mich Ihres Vertrauens würdig zu zeigen, indem ich Ihnen Vertrauen schenke. Das ist eine hübsche und bisweilen nützliche Übung zwischen Männern von Geist. Sie können über mich disponieren. Wollen Sie ein Verhör haben mit Protokoll und dem ganzen Apparat, oder wünschen Sie einen Anschauungsunterricht in Ihrem eignen Stil.«

»Absolut das letztere,« antwortete Thomas eifrig. »Ein Monstrum, wie ein Gerichtsprotokoll darf nicht zum Vorschein kommen, am allerwenigsten in dieser Sache, ehe sie klar und offen vor Augen liegt.«

»Und Sie meinen, sie kann ohne Einschreiten beigelegt werden? Es handelt sich doch um einen bedeutenden Diebstahl?«

»Ich meine, daß jeder Prozeß, der sich nicht um Mord oder Gewalt von grober und gefährlicher Art dreht, eingestellt werden kann und muß, wenn die sonstigen Umstände dafür sprechen. So lange wir einem großen, vielleicht dem größten Teil der Missetaten, die begangen werden, machtlos gegenüberstehen, haben wir das Recht zu wählen, welche wir verfolgen wollen und welche nicht. Das Eigentumsrecht war einst der Grundpfeiler der menschlichen Gemeinschaft; jetzt haben wir andere ebenso wertvolle Güter kennen gelernt und ihnen gegenüber treten neue Ideen ins Leben. Wir wollen daher nicht zu doktrinär an den alten Begriffen festhalten. Es ist bisweilen ganz geschickt, die großen Diebe laufen zu lassen, sie sind vielleicht doch nicht so gefährlich für die Gesellschaft wie die kleinen.«

Heiden schüttelte den Kopf. »Prinzipien haben Sie wohl nicht, mein lieber Klem,« sagte er.

»Nein«, erwiderte Thomas, »ich bekenne, daß ich Vollblut-Nützlichkeitsmoralist bin. Aber ist man es konsequent, so ist es ja in Wirklichkeit nur eine neue Bezeichnung für dasselbe, wie das Alte. Das wichtigste ist, daß wir beide einig sind.«

Das waren sie also. Thomas begab sich auf sein Zimmer, um die letzte Hand ans Werk zu legen.

Der Kreisrichter blieb sitzen und dachte nach. Dann schüttelte er sein ergrauendes Haupt und sagte vor sich hin:

»Du bist gewiß nicht auf Deinen rechten Platz gekommen, lieber alter Freund.«

Das sagte er zu sich selber, denn er hielt viel von sich und das nicht mit Unrecht.