Za darmo

Der sechste Sinn

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Willumsen ist edel

Wir kehren jetzt zum Waldhüterhaus zurück, wo wir Arthur Franck antreffen, ahnungslos, was für ein ernstes Ungewitter sich von mehreren Seiten über seinem sündigen Haupte zusammenzieht. Er hatte beschlossen abzureisen, hatte ein paar Worte an seinen Wirt geschrieben und packte gerade seine Sachen zusammen, als es an die Tür klopfte und Willumsen eintrat.

Der Ingenieur hatte den kürzesten Weg durch den Park und den Wald gewählt und hatte so einen bedeutenden Vorsprung vor den beiden vom Hüter des Gesetzes Ausgesandten gewonnen. Franck kannte ihn nicht, aber er ahnte gleich, wer es war. Er begegnete seinem Feind mit einem raschen Blick, wie um zu prüfen, wer von beiden der körperlich Stärkere wäre. Er mußte erkennen, daß der Ingenieur ihm überlegen war. Willumsen war groß, breitschultrig und kerngesund, gewohnt draufzugehen und sicher auch baumstark. Franck war geschmeidig und sportsgewohnt, aber es war keine Rede davon, daß er es im Kampf mit dem Ingenieur aufnehmen könnte.

Er gab daher sogleich jeden Gedanken an Handgreiflichkeit auf und beschloß, sich den unbequemen Gast mit Mitteln des Geistes vom Halse zu schaffen. Der gute Franck war kein Dummkopf, sein Gehirn war in Ordnung und seine Redegabe ließ nichts zu wünschen übrig. Der Ingenieur machte unmittelbar keinen besonders intelligenten Eindruck, und Franck rechnete damit, daß er aus der schwierigen Situation, in die er geraten war, sich herausreden könnte, wie so mancher es vor ihm getan hatte.

Willumsen blieb in der Tür stehen.

»Entschuldigen Sie, daß ich bei Ihnen eindringe,« sagte er, »aber es handelt sich um eine ernste Sache. Sie kennen mich vielleicht nicht, aber ich kenne Sie und komme um Ihnen meine Hilfe anzubieten.«

Der Ingenieur log; er wußte nicht, wer Franck war, aber es war eine natürliche Kriegslist zu tun, als wüßte er es, dann mußte der andere einsehen, daß es ihm nichts nützen könnte, sich der Gefahr durch die Flucht zu entziehen.

Franck stutzte. Er begriff nicht, woher Willumsen ihn kennen sollte. Monny konnte doch unmöglich aus der Schule geschwatzt haben oder ihn verraten haben, und er wußte doch auch von ihr, daß sie den Ingenieur als ihren Todfeind betrachtete. Wo in aller Welt wußte dieser Mann her, wer er war?

Er verbeugte sich leicht und sagte sehr höflich.

»Ich kenne Sie nicht, und ich kann daher nicht wissen, was Sie zu mir führt; aber ich bin im Begriff wegzugehen, ich habe eine Besorgung in der Stadt zu machen und wenn ich länger warte, wird es zu spät. Ich muß Sie darum bitten, sich kurz zu fassen.«

Willumsen zögerte einen Augenblick. Der andere kannte ihn nicht. Das war im Grunde ganz günstig, und es war bei dem jetzigen Stand der Dinge besser, ihn nicht aufzuklären. Es fiel Willumsen nicht ein, daß es eine listige Vorspiegelung von Francks Seite sein könnte, zu tun, als ahnte er nicht, wer der ungelegene Gast wäre. Und so begannen die beiden Herren ihre Unterhaltung mit einer Lüge von jeder Seite, die keiner zu konstatieren versuchte.

»Es tut nichts zur Sache, wer ich bin,« sagte Willumsen sehr freundlich. »Es handelt sich hier nur um Sie. Sie halten sich hier im Hause unter angenommenem Namen und ohne daß der Gutsbesitzer auf Braendholt es weiß, auf. Ich weiß auch, warum Sie sich hier aufhalten; die junge Dame, die Sie heute hier besucht hat und die Sie neulich in ihrem Heim besucht haben ohne Wissen und Willen ihrer Eltern, hat Ihnen sicher mitgeteilt, daß Ihr Aufenthalt hier eine Gefahr in sich schließt.«

»Und deshalb?« fragte Franck fest.

»Deshalb habe ich, der in der Sache, um die es sich handelt, interessiert ist, diese Gelegenheit ergriffen, um mit Ihnen zu reden. Die Obrigkeit ist auf dem Gut und Kriminalassessor Klem, ein Verwandter der Familie, der in der vorliegenden Angelegenheit herbeigerufen worden ist, hat mich gebeten, mich Ihrer Person zu versichern. Das ist ein Befehl, den ich auszuführen genötigt bin. Aus Rücksicht auf die Familie und hauptsächlich aus Rücksicht auf die junge Dame, deren Ruf leicht Schaden nehmen kann, wenn dies alles hier herauskommt, habe ich indessen beschlossen, daß möglichst jeder Skandal vermieden werden soll.«

Franck fiel ihm ins Wort. »Ich danke Ihnen; da trifft es sich ja gerade gut, daß ich im Begriff stehe, abzureisen; wenn Sie daher so freundlich wären, mich fortkommen zu lassen, so brauche ich keine weiteren Wechsel auf Ihre Liebenswürdigkeit zu ziehen, und Sie erhalten auf leichte und billige Weise die Möglichkeit, sich als Wohltäter der Familie auszuzeichnen.«

Willumsen schüttelte den Kopf.

»Nein, so leicht geht es doch nicht! Man weiß, wer Sie sind, und das Land ist klein. Ich nehme nicht an, daß Sie im Sinne haben, sofort zu verschwinden, und die Obrigkeit läßt Sie kaum so ohne weiteres entschlüpfen. Es ist nach Roskilde telefoniert worden, die Polizei ist über Sie informiert und Ihr Signalement aufgegeben worden. Es würde den Skandal nur größer machen, wenn Sie auf dem Bahnhof oder wo Sie sonst angetroffen werden, verhaftet würden. Sie werden also vermutlich einsehen, daß es mit dem Fortgehen allein nicht getan ist. Sie müssen Ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht haben, ehe Sie den Ort verlassen.«

Franck trat einen Schritt zurück, dann warf er sich in einen Stuhl und blickte seinem Angreifer gerade in die Augen.

»Hören Sie einmal, Verehrtester, wer Sie auch sein mögen, Sie scheinen ganz mittelalterliche Vorstellungen von Gesetz und Recht zu haben. Ich wünsche nicht, Ihnen Rechenschaft über meine Verhältnisse abzulegen; aber selbst, wenn eine gewisse junge Dame und ich unsere Gründe hatten, uns ungestört zu treffen, so möchte ich doch wissen, welche Veranlassung die Polizei hätte, sich in diese Verhältnisse zu mischen, wir leben nicht in der Zeit Waldemars des Siegreichen, mein guter Unbekannter! Sie müssen sich also nach einer neuen Serie von Bemerkungen umsehen, denn die zuletzt angewandten waren, milde ausgedrückt, wenig zweckmäßig.«

Willumsen maß seinen Gegner. Ob der junge Bursche nichts von dem Diebstahl wußte, oder ob er etwa nur, frech war? – Es war undenkbar, daß Monny ihm nichts davon erzählt hätte; sie war nach der Begegnung mit Willumsen direkt nach dem Waldhüterhaus gegangen, und die letzten Worte, die er zu ihr gesprochen hatte, waren ja eine verblümte Beschuldigung gegen diesen jungen Mann, daß er sich das gestohlene Geld angeeignet habe.

Es mußte also Frechheit sein! Es wäre ganz hübsch gewesen, wenn Willumsen gewußt hätte, wer der junge Fant war, aber auch so galt es scharf und energisch vorzugehen. Sonst riskierte er, daß sein ganzer Plan ins Wasser fiel.

Willumsen ließ sich also nicht verblüffen, er nahm ganz ruhig Platz auf einem Stuhl, doch so, daß er zum Teil den Ausgang durch die einzige Tür des Zimmers versperrte. Die Stube war klein und niedrig, und der Ingenieur warf einen forschenden Blick durch den Raum. Da standen ein Bett, ein Tisch und ein paar Stühle, außerdem ein kleiner gestrichener Kleiderschrank und ein Waschtisch. Den einzigen Ausgang bildete die Tür nach dem Vorzimmer, das Fenster war zu klein und außerdem fest verschlossen.

Nach kurzer Pause ergriff der Ingenieur wieder das Wort. »Sie sollten versuchen zu begreifen, junger Mann, daß ich ausschließlich in der besten Absicht komme. Ich habe keinen Grund wohlwollende Gefühle für Sie zu hegen, wir begegnen uns hier zum ersten Mal. Aber ich bin dem Gutsbesitzer Busgaard und seinem Haus zugetan. Es nützt nichts, daß Sie versuchen mir vorzumachen, Sie wüßten nicht, worum es sich handelt! Sie sind in diesem Augenblick des Einbruchdiebstahls verdächtig, und alle Indizien weisen auf Sie als den Dieb. Es ist deshalb nicht damit getan, daß Sie sich davon machen. Sie werden verfolgt und verhaftet werden und dann gibt es keinen Weg zurück. Ich hoffe, Sie verstehen mich?«

Arthur Franck erhob sich, wie es sehr natürlich war, mit geröteten Wangen und blitzenden Augen bebend vor Zorn.

»Zum Henker! was sagen Sie, Mann!« brüllte er beinahe. – »Wer wagt es, mich des Einbruchdiebstahls zu beschuldigen?«

Willumsen sah ihn erstaunt an – spielte der Kerl Komödie, so spielte er sie jedenfalls ganz gut. Sollte Monny wirklich nicht . . .

»Himmeldonnerwetter, Mann, antworten Sie!« donnerte Franck weiter.

Willumsen faßte sich, es galt auf dem Posten zu sein.

»Sie brauchen nicht so gewaltig zu brüllen, Verehrtester,« sagte er ruhig. »Ich bin nicht taub, und es ist kaum jemand in der Nähe, den herbeizurufen in ihrem Interesse liegen könnte. Sie sind verdächtig 2500 Kronen aus Gutsbesitzer Busgaards Sekretär gestohlen zu haben, und ob Sie brüllen oder stampfen, Sie werden sehr bald verhaftet und in die Stadt ins Arrestlokal transportiert werden, dort können Sie dann die Geschichte mit der Behörde abmachen.«

Willumsens Augen ruhten fest auf Franck, während er sprach und als er Gutsbesitzer Busgaards Sekretär erwähnte, sah er, daß die Arme des jungen Mannes herabsanken und er um Stirn und Wangen leicht erblaßte.

Oho, dachte Willumsen, der Bursche weiß also gut Bescheid! und das gab dem Ingenieur seine gewohnte Festigkeit und Stärke wieder.

Er machte sich rasch die Situation zu nutze.

»Sie sollten sich hinsetzen; ich weiß, daß Sie lügen; Sie kennen die Diebesgeschichte sehr wohl und Sie werden also begreifen, daß es nicht wenig ist, was für Sie im Augenblick auf dem Spiele steht und auch für die Leute, die die Angelegenheit sonst angeht. Lassen Sie uns wie zwei vernünftige Menschen zusammen reden. Ich meine es ehrlich und bin bereit, Ihnen und der jungen Dame aus dieser Verlegenheit zu helfen. Ich verlange nichts dafür, aber Sie müssen tun, was ich Ihnen vorschreibe. Tun Sie es nicht, müssen Sie die Folgen tragen.«

Franck setzte sich wieder. Es war offenbar notwendig, mit dem Mann zu verhandeln, aber es galt trotzdem auf der Hut zu sein.

»Lassen Sie mich wissen, was Sie eigentlich wollen,« fragte er mürrisch und kurz.

 

Willumsen lächelte.

»So ist es recht,« sagte er; »es scheint, Sie wollen mit sich reden lassen. Sie wissen also, worum es sich handelt. Dem Gutsbesitzer Busgaard sind 2500 Kronen gestohlen worden, es liegt ein Einbruch vor, und der Verdacht ruht vorläufig mit großem Gewicht auf Ihnen. Ich wünsche nicht mit Ihnen zu diskutieren, ob Sie diesen Diebstahl begangen haben oder nicht. Ich kenne Sie nicht persönlich, aber ich habe allen Grund anzunehmen, daß Sie was man hier zu Lande einen Gentleman nennt, sind. Ich glaube, daß ich dieselbe Bezeichnung auch auf mich selber anwenden darf, und unter Gentlemen führt man ja keine Diskussion über derartig prekäre Stoffe. Ich bin nicht bei der Polizei angestellt. Sie brauchen daher nicht zu fürchten, daß ich Sie irgendwie genieren werde. Ich wünsche nur einen Skandal zu verhindern. Assessor Klem ist in dieser Auffassung mit mir einig und hat mich ermächtigt, mit Ihnen zu reden. Wenn Sie das Geld haben, können Sie es mir ruhig geben, und die Sache ist damit erledigt.«

»Sie müssen den Verstand verloren haben, Mann!« zischte Arthur zwischen den Zähnen, und Willumsen hatte den Eindruck, daß der junge Mensch gleich auf ihn losfahren würde.

Er bewahrte seine Kaltblütigkeit vollständig.

»Ich begreife sehr gut, daß Sie möglicherweise das Geld nicht bei sich haben,« sagte er sehr freundlich, »entweder weil Sie es nicht gestohlen haben oder weil – kurz, es ist überflüssig, weiter darüber zu diskutieren. Sie haben also das Geld nicht bei sich. Auch daran habe ich gedacht, und auch für diesen Fall bin ich so glücklich, einen Ausweg für Sie zu wissen. Ich bin ermächtigt, die Sache zu ordnen, und ich wünsche sie auf meine Weise zu ordnen. Sie reisen fort, wie Sie es selber wünschen und geben mir bloß eine Erklärung, die besagt, daß Sie mit mir gesprochen haben, und daß wir uns geeinigt haben, daß Sie diesen Ort verlassen. Sie braucht durchaus kein Geständnis zu enthalten; Sie haben mein Wort darauf, daß die Sache geordnet werden wird.«

Franck verschränkte die Arme über der Brust.

»Jetzt will ich Ihnen eins sagen, mein guter Willumsen; ich weiß sehr wohl, daß Sie Willumsen heißen, und daß Sie das Mädchen, das ich liebe, belästigt haben, obgleich sie Ihnen nicht ein-, sondern hundertmal erklärt hat, daß sie nicht allein keinen Funken für Sie übrig habe, sondern daß sie Sie sogar aus vollstem Herzen hasse. –

Jetzt sind Sie so töricht, zu glauben, daß Sie mir eine Erklärung entlocken können, die Sie benutzen können, sie zu überzeugen, daß ich ein Dieb sei. Lassen Sie sich sagen, mein guter Willumsen, daß Monny, obwohl sie mehrere Tage von diesem Diebstahl gewußt hat und wir mehr als einmal davon gesprochen haben, mit keinem verblümten Wort mir zu verstehen gegeben hat, daß der Verdacht sich auf mich richtete. Und wenn Sie alle Erklärungen, die Sie sich verschaffen können, heranschleppten, und wenn Sie es fertig kriegten, mich vom höchsten Gerichtshof wegen Diebstahls verurteilen zu lassen, Monny würde nie einen Augenblick glauben, daß ich ein Dieb bin. Sie können sich darum alle Mühe sparen.«

Willumsen lächelte.

»Sie sehen begabter aus, junger Mann, als Sie in Wirklichkeit sind. Ich gehe von ganz derselben Anschauung aus wie Sie. Sie stehen offenbar bei der jungen Dame hoch in Gunst, und ich werde nicht versuchen, Ihre Stellung zu erschüttern. Dazu will ich die erwähnte Erklärung auch nicht brauchen. Ich will das Wohl der Familie und nichts anderes. Ich bin nicht so dumm, zu glauben, ich könnte ein junges Mädchen zwingen, mich zu lieben, und ich bin auch nicht so unverständig, daß es mein Tod wäre, wenn sie einen anderen wählt. Aber es soll kein Skandal entstehen, und Skandal entsteht, wenn Sie arretiert werden. Assessor Klem und ich wollen die Sache ordnen, aber ohne Sie kann sie nicht geordnet werden. Es ist möglich, daß Sie unschuldig sind – ich will es glauben. Jedenfalls haben Sie doch soviel Interesse für das Mädchen, daß Sie ihr alle Unannehmlichkeiten ersparen wollen, wie sie notwendig entstehen müssen, wenn die Sache zur Verhandlung kommt. Gut! der Betrag ist nicht unerschwinglich. Assessor Klem will sich beteiligen, so sind wir drei. Ich bin ebenfalls bereit, mich zu beteiligen, und damit ist die Sache aus der Welt geschafft. – Das Geld kommt zum Vorschein, und wir sind nur drei, die wissen, wie es herbeigeschafft worden ist.« –

»Ich habe nichts gestohlen,« erwiderte Arthur scharf; »ich weiß nicht, wie es mit Ihnen steht; ich kenne Sie nicht, so wenig wie Sie mich kennen. Assessor Klem kenne ich sehr genau; er ist mein Repetent, wenn Sie es wissen wollen, und es scheint mir angemessener, daß ich mit ihm verhandle, als daß ich hier sitze und mit einer mir gänzlich unbekannten Person verhandle. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, will ich hinzufügen, daß ich im Prinzip bereit bin, bei einer Lösung zu helfen, aber daß ich mir Ihr Auftreten nur aus dem Gesichtspunkt erklären kann, daß Sie die Schuld auf mich zu wälzen wünschen, um sich einen Nebenbuhler vom Halse zu schaffen. Jede andere Erklärung ist sinnlos. Ich bin kein Dummkopf, und ich gehe in keine Falle, wie hübsch sie auch aufgestellt ist« –

Willumsen biß sich auf die Lippe.

Wenn er bloß gewußt hätte, wer dieser Bursche war! Er kannte Assessor Klem, war sogar ein Schüler von ihm. Umso besser. Der Assessor war ja geneigt, die Sache in Güte zu ordnen. Aber würde er auch bereit sein, Geld zu zahlen? Er ärgerte sich, daß er zuviel gesagt hatte. Wenn der Assessor den jungen Mann genau kannte, würde er kaum mit offizieller Schärfe gegen ihn vorgehen. Aber es war, bei dieser Art die Geschichte zu ordnen, freilich die Voraussetzung, daß der junge Mann zum mindesten jetzt verschwand. Die Leute auf dem Gut mußten ihn für den Dieb ansehen.

Und Monny!

Der Ingenieur begann an dem glücklichen Ausgang seiner Mission zu zweifeln. Er mußte doch wohl den jungen Mann auffordern, ihn zu Assessor Klem zu begleiten. Es war ja kein Zweifel, daß der Assessor ebenso interessiert daran war, einen Skandal zu vermeiden, wie Willumsen, und gerade in diesem Augenblick dämmerte in Willumsen ein neuer Plan, viel besser wie der erste, ein Plan, der erst zur Entfaltung kommen konnte, wenn er und der junge Mann allein mit dem Assessor waren, der, wenn man es recht betrachtete, doch den Faden in der Hand hielt.

Also der Beschluß war gefaßt. Willumsen wollte dem jungen Mann vorschlagen, daß sie gemeinsam zu Assessor Klem gingen. Er stand auf, um seinen Vorschlag vorzubringen, aber im selben Augenblick wurde die Tür aufgerissen und auf der Schwelle stand, atemlos vom raschen Lauf, mit roten Wangen und klopfender Brust, die, die am allerungelegensten in diesem Augenblick kam – Monny!

Unwillkürlich trat Willumsen einen Schritt zurück. Monny bahnte sich ihren Weg an ihm vorbei und lag im selben Nu an der Brust des Geliebten.

»Arthur!« rief sie, »Arthur, beeile Dich, es gilt Deine Rettung – beeile Dich, Du mußt fort.«

Aber es war schon zu spät.

Stine Steiffinger und ein wenig Musik

Ein wilder, wahnwitziger, gellender Schrei und die Tür ging auf; totenbleich stand der Graf auf der Schwelle, er hob die Pistole und . . . Fortsetzung folgt. Nicht wahr, mit dieser kleinen Erfindung hat der selige Louis de Moulin Tausenden von Lesern ein Leben mit reichem Inhalt geschaffen, und die Blicke Tausender auf die Zukunft gelenkt, die den Menschenkindern so leer und freudlos vorkommt!

Wir wollen dasselbe tun und nach Braendholt zurückkehren, wo Thomas eben von dem Stuhl aufsteht, auf dem er gesessen hat, und die eintretende Stine Steiffinger, die an der gleichen Stelle erwähnt ist, begrüßt.

Stine Steiffinger!

Ein kleines, verhutzeltes Mütterchen, in graue Baumwolle eingehüllt, mit einem geblümten Tuch um ein paar graue Haarsträhne. Gichtkrumme Arme, mit Fingern, die Schwarzwurzeln glichen, triefende rote Augen und eine Nase, die sich über einen zahnlosen Mund mit blauen schmalen Lippen herabsenkte, schiefe Kopfhaltung und krummer Rücken, und eingehüllt in eine Wolke von undefinierbarem Erdgeruch. Diese merkwürdige malerische Gestalt knickste und nickte, und wenn sie den Mund öffnete, so ging ein unartikuliertes Schnarren und Knarren daraus hervor, das nur unvollkommen an menschliche Rede erinnerte und nur im Zusammenhang mit einem Mienenspiel zu verstehen war, das über wenig Nüancen verfügte und nur durch standhafte Wiederholung wirkte.

Das war Stine Steiffinger. »– n' Tag, Thomas,« schnarrte sie.

Thomas lächelte. »Guten Tag, Postillon d'amour

»Wie beliebt?« schnarrte Stine weiter.

»Postillon d'amour!« wiederholte Thomas. »Geradeso habe ich ihn mir immer vorgestellt. Bitte genießen Sie der wohlverdienten Ruhe!«

Und mit einer raschen Taschenspielerbewegung praktizierte Thomas einen Stuhl unter das Mütterchen, das sich auf einem Bruchteil des Sitzes, gerade auf der Ecke über dem vorderen rechten Stuhlbein, niederließ.

»Jetzt haben wir beide miteinander zu tun,« sagte Thomas und setzte sich zurecht.

»Wie beliebt?« tönte es wieder.

»Sind Sie taub?« rief Thomas fortissimo.

»Ganz gut ist es nicht mit dem Gehör,« schnarrte Stine und begleitete ihr Schnarren mit einer ganzen Reihe von Naturlauten unbestimmter Art.

Thomas ging gerade aufs Ziel los.

»Bekommen Sie Briefe von einem jungen Mann und legen sie in den Sekretär dort? Und nehmen Sie Briefe an den jungen Mann aus demselben Sekretär und bringen sie zum Waldhüter hinaus?«

Stine legte den Kopf auf die Seite: »Jesses, nein!«

»Das ist eine Lüge,« rief Thomas grimmig.

Das Mütterchen sank in sich zusammen und wackelte hilflos mit dem Kopf.

»Monny hat es mir erzählt,« fuhr Thomas fort.

Stine sah ihn ergeben an: »Dann ist es wahr, denn Monny lügt nie.«

»Aber Sie tun es,« donnerte Thomas mit strenger Amtsmiene.

Stine wand sich auf ihrem Sitz. Eine kleine unschädliche Lüge dann und wann, wenn es sich so trifft, davon kann man sich ja nicht ganz freisprechen.

»Wollen Sie nun so gut sein und die Wahrheit sagen,« sagte Thomas streng.

Stine blickte schalkhaft zu ihm empor: »Was geben Sie?«

»Was sagen Sie?« echote Thomas.

Stine fuhr unverzagt fort: »Ich sage, was geben Sie? Sie wollen doch nicht, daß ich gratis die Wahrheit sage, wenn Monny mich dafür bezahlt hat zu lügen.«

Diese Beweisführung überwältigte Thomas durch ihre Klugheit, und Stine bekam 2 Kronen zur Aufmunterung und Anerkennung.

Sie spuckte auf das Geldstück und packte es sorgfältig in ein rotgeblümtes Taschentuch ein.

Thomas setzte das Verhör fort.

»Gibt es einen Menschen außer Monny und dem jungen Mann, der um diese unregelmäßige Postverbindung weiß?«

»Wie beliebt?« schnarrte Stine.

Thomas erhob die Stimme. »Weiß irgend jemand anders von den Briefen?«

»Soviel ich weiß, nicht,« erwiderte Stine.

»Gar niemand?« fuhr Thomas fort. »Und ist Stine auch ganz sicher, daß kein Mensch gesehen oder überhaupt bemerkt hat, daß Stine kam und ging und die Briefe holte.«

»Naeh« – sagte Stine – »nur einmal einer von den kleinen Stiften.«

»Stiften?« fragte Thomas.

»Ja, Tyr, der älteste; er kam eines Morgens und war naseweis, aber da sagte ich zu ihm, das wäre etwas, was ihn nichts anginge.«

»Also Tyr,« hob Thomas noch einmal hervor, »und sonst niemand?«

»Naeh, Gott steh mir bei!« beteuerte Stine.

Thomas schüttelte nachdenklich den Kopf. Stine zu verdächtigen, sich das Geld unrechtmäßig angeeignet zu haben, lag kaum ein Grund vor. Das alte Frauenzimmer wäre nie im Leben darauf verfallen, eine Summe wegzunehmen, die bei ihren Gewohnheiten und ihrer Lebensführung für sie ein Vanderbiltsches Vermögen bedeuten mußte.

»Sie können gehen, Stine,« sagte Thomas und stand auf. »Aber daß Sie mäuschenstill sind über die ganze Geschichte, verstanden!«

Stine nickte verständnisvoll.

»Jesses, ja, dafür hat mich Monny bezahlt.«

Thomas ging an den Sekretär und zog das Fach auf. »Sagen Sie mir, Stine, haben Sie nie bemerkt, daß in dem Boden des Faches, das Sie als Briefkasten benutzt haben, ein breiter Spalt ist?«

Stine schüttelte den Kopf. »Mit den Augen ist es noch schlechter als mit den Ohren.«

Thomas betrachtete die Alte, die dastand und trippelte wie eine Henne, die Eier legen will. Es konnte sein, daß sie voller Schlauheit und Hinterlist steckte, aber ihre Sinne standen nicht auf gleicher Höhe mit ihrer Niedertracht, und als Verdachtsobjekt war sie ganz ungeeignet.

»Stine kann gehen,« sagte er und entließ die Zeugin.

Und Stine trottete ab.

Thomas stand am Sekretär und ging die Resultate durch, die er im Lauf des Tages durch Gespräche mit verschiedenen Personen und sonstige Untersuchungen erreicht hatte. Seine Gedanken machten bei Tyr halt. Stine Steiffinger hatte bezeugt, daß Tyr sie einmal überrascht hatte. Es war also denkbar, daß der Junge heimlich in das Fach geguckt hatte und dabei auf das Geld, das so schlecht verwahrt war, aufmerksam geworden war. Daß Tyr es genommen hätte, war undenkbar; was sollte ein Junge mit 2500 Kronen? – außerdem muß man bei seinen Verwandten, namentlich den Minderjährigen, ein gewisses Mindestmaß von Ehrlichkeit voraussetzen. – Aber schon der Umstand, daß das Fach für mehrere Menschen ein Gegenstand der Aufmerksamkeit und Neugier geworden war, barg die Möglichkeit, daß man auf indirektem Wege den Kreis derer erweitern konnte, die das Versteck gekannt hatten.

 

Die unmittelbare Folge des Verhörs über Stine war also, daß Thomas sich vornahm, Tyr zu verhören, was, soweit er das Bürschchen kannte, am besten ohne jede Feierlichkeit in Form einer kameradschaftlichen Unterhaltung geschah. Aber gleichzeitig fiel Thomas ein, daß es doch vielleicht gut wäre, wenn er sich an den Herd der Ereignisse begäbe, und darin wurde er noch bestärkt, als Polizeidiener Hansen sich einfand und erklärte, es wäre ihm unmöglich, Willumsens habhaft zu werden; er müßte sich, wie er meinte, in der gleichen Absicht wie Klemmesen und Niels entfernt haben. Hansen bemerkte auch, daß man Fräulein Monny mit ungewöhnlicher Eile hätte nach dem Walde eilen sehen, und alles dies bestimmte Thomas, begleitet von Tyr, den er auf dem Hofe einfing, eine Wanderung nach dem Waldhüterhause anzutreten, das also mehr und mehr zum Brennpunkt der Erzählung wird.

Wir wenden uns nun zu den zwei Personen, die scheinbar ganz aus dem Gang der Ereignisse herausgeglitten sind.

Gutsbesitzer Busgaard und Kreisrichter Heiden waren die besten Freunde geworden. Der Gutsbesitzer hatte dem Kreisrichter seine Schätze in Scheune und Stall gezeigt, und hinterher hatten sie einen Spaziergang durch den Wald gemacht. Ganz natürlich war die Rede auf Musik gekommen und es zeigte sich, daß beide leidenschaftliche Bewunderer des göttlichen Haydn waren, der soviel Sonnenschein über das Dasein ältrer Herren verbreitet hat.

Es mag sehr hübsch sein über Musik zu reden, aber es ist ungleich besser, welche zu machen, und als die beiden Herren von ihrem Spaziergang heimgekehrt waren und rasch ein wenig Toilette gemacht hatten, beschlossen sie, sich der Musik zu ergeben. Aber da der Kreisrichter Violine spielte und Busgaard Violoncell, so fehlte die Klavierstimme, die normalerweise Willumsen übernehmen sollte. Der Ingenieur war nirgends zu finden, obgleich Busgaard im ganzen Hause herumfuhr und das ganze Gesinde in Bewegung setzte, ihn zu suchen.

Bei dieser Gelegenheit stieß er auf Thomas, der oben auf seinem Zimmer gewesen war, um für die Arbeit außerhalb des Hauses eine passende Fußbekleidung anzulegen.

»Suchst Du nach Deinen 2500 Kronen, Onkel?« fragte Thomas mit liebenswürdig neckendem Lächeln.

»Ich suche Willumsen,« lautete die gereizte Antwort.

»Glaubst Du, er hat sie genommen?« fragte Thomas mild.

»Scher Dich zum Teufel,« brüllte der Gutsbesitzer. »Der Kreisrichter und ich wollen Haydn spielen und da brauchen wir Willumsen.«

»Aha,« sagte Thomas. »Ich habe nie gehört, daß man sein Geld vermittelst Musik wiederkriegt. Aber es ist vielleicht eine neue Methode. Ich werde sehen, daß ich Willumsen finde; ich glaube beinahe, ich weiß wo er ist« –

»Ja, tu Du das,« brummte der Gutsbesitzer, »so tust Du wenigstens etwas Nützliches.«

Thomas protestierte. »Ich habe nichts andres getan als den ganzen Nachmittag in Deinem Weinberge gearbeitet, und ich will Dir sagen, Deine Chancen haben sich bedeutend verbessert.«

»Ist es Klemmesen?« knurrte Busgaard.

»Nein, das glaube ich nicht,« antwortete Thomas, »aber er steht noch unter Verdacht. Übrigens bin ich so glücklich fünf Verdächtige zu haben.«

»Fünf« – Busgaard starrte ihn erstaunt an. »Wo sind die fünf?«

Thomas lächelte. »Ich bringe es nicht übers Herz, Dein Gemüt in Erregung zu versetzen, mein lieber Onkel. Ich will Dich also mit den fünf Verdächtigen verschonen und hoffe heute Abend Dir den einen Schuldigen vorstellen zu können.«

»Prahlerei,« höhnte Busgaard.

Der Kreisrichter steckte den Kopf zur Wohnzimmertür hinein.

»Sieh da! Der Herr Assessor,« sagte er mit lächelnder Miene.

»Wir arbeiten,« sagte Thomas munter. »Jeder auf seine Weise, und so tragen wir Holz zu dem gemeinsamen Holzstoß zusammen. Die Herren sollen sich nicht von ihrer Musik abhalten lassen. Fangen Sie nur an, auch das ist eine Hilfe.«

»Willumsen fehlt,« bemerkte der Kreisrichter.

»Sie sollen ihn bekommen,« erwiderte Thomas. »Nur Geduld.«

Tine zeigte sich in der Tür zur Leutestube.

»Tine,« rief Busgaard, »Du mußt kommen und die Klavierpartie übernehmen.«

Tine protestierte: »Ich bin mitten in der Bereitung des Mittagessens.«

»Das kann Deine Mutter machen,« sagte Busgaard bestimmt. »Du kommst jetzt herein und spielst die Klavierpartie; auf all das Gewäsch will ich, hol mich der Teufel, ein bißchen ordentliche Musik haben.«

Thomas lachte sardonisch.

Die beiden Herren verschwanden im Wohnzimmer.

»Tine,« sagte Thomas sanft. »Geh hinein zu ihnen und spiele Haydn. Aber spiele so, daß Dein Vater aus seiner rauhen Haut fährt. Ich will Dir nämlich anvertrauen, daß ich im Sinne habe heute um deine Hand anzuhalten, und darum ist es nicht gut, wenn Du in Deines Vaters Augen zu großen Wert besitzt. Verstehst Du!«

Und mit einem Kuß auf die Lippen der Geliebten verließ der Kriminalassessor das Haus, um dorthin zu gehen, wo die Gedanken des Lesers schon längst weilen. Tyr ging also mit.