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Der Knecht mußte schließlich auf den Fuchs und sie mitnehmen. Mit Prusten und Schnauben und Wiegen ging es in den See. Um den Rumpf der Tiere trübte sich die Flut wie von blonden und grauen Mähnen auf. Hermine drückte ihr Ohr stürmisch an den Hals des Fuchses, so daß der Knecht sie erschreckt ergriff, in der Meinung, sie fiele. Ein großes Wohlgefühl durchschwärmte sie, und ihr fehlte nur noch ein Prügel, mit dem sie auf das Wasser hätte einhauen können. Wie eine Amazonenfürstin kam sie sich vor, als eroberte sie ein herrliches fremdes Reich. Lachend, schwankend, blitzschnell, hier und da riß sie den Kleidsaum hoch empor, um ihn vor der Nässe zu beschützen.

Der Knecht wollte durchaus nicht tief in den See und kehrte nach zwanzig Schritten um.

Jenseits an der Stadtseite hoben einige Spaziergänger zeigend ihre Stöcke.

Hermine setzte sich wohl noch für Stunden ans Ufer, trällerte und sah sich bald die winzige Wassermühle, eigentlich eine Windmühle, an, die kleine Knaben in den See gesetzt hatten, und bald den großen Venusstern drüben.

Als sie vor der Haustür ankam, stand Dagott unter dem grünlichen Haupt der Laterne und fragte schüchtern:

„Hm, wo bist du denn heute gewesen?“

„Ich?!“

„Herr Winterlicht, dessen Sohn übrigens noch diese Nacht eintrifft, kam vor kurzem nach Hause und sagte im Vorübergehen: Ihre Tochter will wohl Soldat werden. – Ich staune, er lacht. – Ja, ja, sagt er und geht.“

„Gewiß, Vater,“ erwiderte Hermine scharf, „und zwar ein Reiteroberst möcht’ ich werden und ein Stück Land einnehmen zu dem Wasser, das ich heute erobert habe.“

Dagott sah sie demütig verzeihend an: da erzählte sie ihm in wenigen einfachen Worten den Ritt und lachte laut über das Gesicht, das Dagott dazu machte.

Er sagte ablenkend: „Von Edwin Maßholder ist eben ein Bote dagewesen und hat diesen Brief überbracht.“

Sie las ihn: „Entschuldigen Sie, daß wir nicht zum Feste gekommen sind. Mein Vater ist erkrankt. Mutter allein wollte nicht fahren, und ich mußte bei der Hand sein, wenn frisches Wasser aus unserer widerspenstigen Pumpe gebraucht wurde. Ich bitte also der Pumpe die Schuld an unserem zerstörten Beisammensein zu geben. Was macht meine liebe Spielgefährtin? Ich teile ihr mit, daß ich mich auf ein wohl ewiges Junggesellentum vorbereite, denn morgen gedenke ich Brot zu backen; es wird wahrscheinlich so hart werden, daß man es mit dem Hammer auseinanderschlagen müssen wird. Doch nehme ich auf mich, es zu verzehren, Ich bleibe nämlich noch so lange, bis Vater wieder aufsteht. Von uns dreien herzliche Grüße!“

Hermine kannte den Brief auswendig und träumte in der Nacht, ihn vor Hugo Winterlicht, der plötzlich eine blanke Königskrone auf hatte, als Schulkind hersagen zu müssen und vor seinem Wagen zu knixen. – Dann sah sie die mageren Pferde vom Abhang und die fetten vom See. Es wurden ihrer je sieben. Ägyptenland umgab sie plötzlich. Joseph war bei ihr und teilte ihr goldene Weizenkörner zu. Sie flogen in das Erdreich, hohe Ähren schossen auf, die Pferde stampften sie nieder, die Saat erhob sich wieder. Endlich hatte Hermine in jede Straße ihrer Stadt einen Leiterwagen mit Korn zu fahren, sie warf Herrn Uhrmacher Winterlicht, Herrn Pfeiffer und all den anderen würdigen Herren lachend und im Herzen guter Dinge recht dicke Garben an die Köpfe. Von einem gar zu herzhaften Schwunge, bei dem ihr unwohl und schwindlig wurde, erwachte sie.

Was sie in den letztvergangenen Tagen getan, war wie ein Ruf durch die Stadt gedrungen, und wohin sie jetzt den Fuß setzte, vernahm sie ein Echo. Es war ihr, als ob es lange verborgen geschlafen hätte und nur zufällig erweckt worden wäre. Es gewitterte in ihr, aber ein kindisch eitler Trost kauerte selbstgenügsam unter den Wolken, der, wenn er bis zum Wort gereift wäre, gelautet hätte: ich bin zu schade für euch und ich hoffe selig.

Von ihrem Zimmer her sah sie aus dem Fenster eines Hauses am Markt eine Spinne kriechen. Sie schloß die Lider, sah im Geiste viele schmutzigweiße Straßen vor sich, und aus allen Fenstern krochen Spinnen, Skorpione, Schildkröten und Schlangen.

Achtes Kapitel


Die Michaelisjagd rückte heran. Dieses Fest hatte Dagott zur vornehmsten Feierlichkeit seines Hauses erhoben, und niemand, der sonst etwa ausblieb, durfte sich an diesem Tage entschuldigen. Hugo Winterlicht und Edwin Maßholder waren eingeladen. Den ersteren hatte Hermine während seines ganzen Aufenthaltes in der Stadt nur gar so flüchtig gesehen, den anderen sprach sie überhaupt nicht. Vater Maßholder erhole sich, hieß es in einem Briefe. Edwin bleibe bis zur Jagd nur, um mit Dagott noch einmal recht fröhlich beisammen zu sein. Hugo reiste ebenfalls noch an demselben Nachmittag ab; auch er wartete angeblich nur, die Erinnerung an den Michaelisbesuch vor mehreren Jahren aufzufrischen. Seine Amtsgeschäfte waren schon einige Tage früher erledigt.

Hermine mutete dieses Zusammentreffen wie eine nahende Entscheidung an, und sie ersehnte den Tag bald mit allen Kräften, bald wünschte sie ihn fern. Sie schlug den Kalender auf, las lange darin und las doch nur Mi—cha—el. Sie schlug ihn zu und in ihr klang schwelgerisch: „Engel Mi—cha—el!“ Sie keuchte sogar oft, wenn sie vorwärtsschweifte, keuchte vor Niedergeschlagenheit und dann wieder vor Fülle der Erwartung.

Die Leute in der Stadt wurden ihr deshalb so gleichgiltig, daß sie nötigenfalls nur durch das „Blaue und Rote“ mit ihnen verkehrte. Mit dreifacher Liebe aber klammerte sie sich eben darum an ihre fernen Geliebten.

Diese Zwischenzeit verging ihr seltsam. Sie schlafwandelte gleichsam durch einen einzigen langen Tag, und die schwirrenden Gerüchte, selbst die vielen Wechsel zwischen Licht und Finsternis, wo die Himmelskugel bald die helle Hälfte mit der Sonne nach oben kehrte und bald die dunkle mit dem Mond und rollte und rollte, flatterten ihr vorüber, als säße sie auf einem Stuhle außerhalb der Welt und verfolgte eine Schaustellung. Ihre Stirnhaut schmerzte von der vielen Schlaflosigkeit. Sie zündete und löschte die Kerze neben ihrem Lager mehrmals in einer Nacht und wußte nicht weshalb. Und sie kaute an dem abgetropften Unschlitt der Lichter stundenlang.

Ruhige Gefühle der Liebe hatte sie höchstens für eine Stunde des Tages. Dann schaute sie sanftäugig und rechnete: „Welches sind die liebsten Menschen in der Welt? Hugo Winterlicht mag ich am meisten, am zweitliebsten ist mir Edwin Maßholder, doch will ich mich selbst auf die Schulter küssen, wenn nur er mich nimmt. Auch Bruno Pfeiffer liebe ich ein wenig. Armer Knabe, du tust mir weh, aber ich muß mich von dir wenden. Wollen mich die anderen nicht, dann werden wir beiden gute Freunde und vielleicht Mann und Frau. Aber ich bin für sie bestimmt. Und wer ist sonst noch übrig? Karp hat sehnsüchtige Augen. Ich kenne ihn nicht, aber ich darf freundlich mit ihm sein; der Mutter vertraue ich und Grelert achte ich. – Ja, zuerst kommt Hugo Winterlicht, zu zweit Edwin Maßholder, zu dritt Bruno Pfeiffer? – zu viert kommt Lehrer Karp, zu fünft? – zu fünft jetzt die Mutter, zu sechst Grelert.“ – So rechnete sie mit holder Kindlichkeit und mit einer Bestimmtheit, die nur das einfältige Herz besitzt, und wenn sie aus dem Chaos der taumelnden Furcht und Hoffnung, Fügsamkeit und Wildheit, Bangigkeit und Ungenügsamkeit einmal sanfte Augen aufhob, so gab sie sich den Erwägungen mit der Sonntagsstille nach einer vollbrachten Schöpfung hin. Sie setzte den beiden, Hugo und Edwin, Stühle zurecht, stellte sich davor, glitt mit der Hand am oberen Rande der Lehne entlang und dachte sich, sie betrachtete jeden einzelnen Finger an den Händen der beiden sorgfältig und eingehend.

Aber die meisten Stunden entbehrten dieser gegründeten Wohlgedanken. Sie lebte meist, als wäre der Spruch gefallen: denn morgen sind wir tot, und die Bestürzung darüber riefe die mannigfachsten Wirkungen hervor. Ihr Gang wurde langsamer und edler. Das Geringste tat sie wie zum letztenmal, den Mörser hob sie wie ein Opfergefäß und den Schlegel wie ein verlorenes Szepter. Nichts entbehrte der Feierlichkeit. – Manchmal wieder ging sie umher wie in wehmütigem Abschiednehmen. Die kleine Schwester Ruth mußte sich viele Küsse gefallen lassen. Ihre Stube mußte noch einmal geschmückt sein: alle Blumen wurden erneuert, und der Segen des Herbstes, soweit er Trauerfarben hervorbrachte, füllte strotzend den unteren Rand der Fenster. – Dann wieder brachen Resignation und dumpfe Gleichgiltigkeit hervor. Sie suchte sich Arbeiten, welche die größte Geduld erfordern, zarte Tücher, die nur die feinsten Nadeln und engsten Stiche vertragen. Sie spielte das Spiel Ungeduld auf künstliche Weise: Blumenblätter zerriß sie in kleine Teile und die Teile wieder und konnte nicht raffiniert genug werden, mit der Spitze der Fingernägel und der Schärfe der Zähne das fast Unteilbare zu zermalmen. Oder sie schweifte nach dem ganz Groben aus und rückte an den schweren Bettgestellen mehr als notwendig war. – Denn morgen sind wir tot! Aber auch ein Geizen und Lechzen stellte sich bisweilen ein. Beide Männer, Hugo und Edwin und noch dazu ?Bruno Pfeiffer begehrte sie manchmal leidenschaftlich zu gleicher Zeit. In den Mahlzeiten wurde sie unmäßig. Verheiratete Altersgenossinnen der Stadt beneidete sie bis zur Geilheit. Sie träumte schwül, ob jene beiden Männer sie wohl besitzen möchten. Und in solchen Übergängen herrschte sie die Mutter an, daß diese es sich verbitten mußte. Aber der Schlag ihres Herzens hieß: rette mich, rette mich!

Sie war manchmal wie ein Adler im Käfig, der von ein paar anderen freien sich hat zurufen hören: „Es gibt eine Alpe und morgen kommst du dahin,“ und der nun in blindem Hasse Käfig, das beste Futter und die lindeste fütternde Hand mit Krallenfüßen schlägt. Und manchmal war sie wie der reuige Verbrecher am Kreuze, der gehört hat: „Morgen wirst du mit mir im Paradiese sein.“

 

So kam der Vorabend zu Michaelis heran. Um die siebente Stunde rüstete sie allein in der Küche das Abendbrot. Bruno Pfeiffer sollte heute noch kommen, obwohl er auch für morgen zur Jagd geladen war. Weil er der Sohn des Bürgermeisters war, hätte der vaterstadtfreundliche Dagott es wohl am liebsten gesehen, daß sich Hermine mit ihm verband, und bat ihn daher nach seinem Plane vor anderen so oft herüber. Hermine wußte nicht, was sie beginnen würde, wenn er heut um sie anhielt. Freilich morgen war der Tag des großen Gewinns. Aber der Sturmwind und diese Dämmerung machten sie unglücklich.

Das Licht im Herde sauste. Ein gewaltsamer Aufruhr schäumte durch den dornumgebenen alten Garten hinauf und hinab und belebte auch die düsteren, verwachsenen Gänge im Hintergrunde mit seiner kalten Heftigkeit. Das zähe Holz ächzte mitunter wie in wehmütigem Erstaunen. An den Fenstern wirbelten die Blätter vorüber wie auswanderndes, kleines, wildes Getier in rotgelbem Wams.

Hermine wurde es zu Sinnen, als schnob der Wind durch ihre Kleider, ihren Leib und ihre Seele, als wollte er, was an ihr lebendig war, kühlen und auslöschen, – und sie hatte niemanden, an den sie sich schmiegen konnte.

Diesen Augenblick wußte sie nicht, ob sie nach Mann oder Weib verlangte. Sie sah plötzlich im Geiste eine Doppelgängerin aus der Tiefe des Gartens sich entgegenkommen, griff entsetzt mit ihren eckigen Händen in die Henkel eines Kochtopfes und ruckte ihn vom Feuer. Sie horchte in den Sturm. Niemand in der ganzen Stadt hat wohl so in die verstreuten Stimmen hineingebangt wie sie. Verwirrt hielt sie den Tiegel in Händen und starrte auf die Funken im Ruß. Einer nach dem anderen ließ sein Gold in die schwarze Rinde untergehen. Sie träumte mit dem Ohre: morgen.

Morgen war auch Elisabeths Sterbetag. Totengräber Grelert schaffte heute im Unwetter an ihrem Grabe. Hermine hatte es von ihrem Zimmer aus gesehen. Sie fühlte Erde auf ihren jungen Nacken und alle ihre weißen Glieder regnen. Darum begann die Sehnsucht nach einem Menschen, dem sie sich hingeben konnte, wiederum in ihr umzugehen in fatalen Kreisen, wie ein großer, kalter Mühlenstein.

Horch! Trommelte jemand aus den Wolken mit nackten Fäusten einen Wirbel auf die Erde? Seltsam rollte der Wind, zwischen den Häusern gefangen. Totengräber Grelert würde wohl sagen: „Heute wird ein grimmiger Musikus geboren.“

Doch der Sturm legte sich, und Hermines Seele ward müder mit dem Feuer im Herde. Zwar spürte sie sich von Kräften schwer, aber diese dehnten sich nicht so drückend und pressend nach allen Seiten, sie wollten nicht mehr durch die verschleiernde Nacht ins Morgen hinausschwärmen und -schnellen, vor dem das verhungernde Verlangen heute doch betäubt niedertaumeln mußte. Sie hatte Vertrauen zur Zukunft, sie war für sie gefeit …

Sie dachte: „Was kann mir Bruno Pfeiffer jetzt noch sein?“ Indessen als er kam, konnte sie ihn nicht anders als mit Liebe betrachten, – und er mußte nach ihr heißhungrig sein! Wie? Was hatte es zu bedeuten, daß die Eltern ihm öfter freundlich zunickten und Dagott heimlich vor ihr, doch hörbar sagte: „Ich würde mich sehr freuen, versuchen Sie nur, immer tapfer!“ Ihr war dabei eine heiße Welle über den Rücken gelaufen.

Sagte sie zu, ging ihr das Morgen unter. Zagende aber werden nicht gesegnet.

Nach dem Abendessen wurde ein Kartenspiel vorgeschlagen. Sie wünschte nicht teilzunehmen, – wollte aber von fern zusehen und die heute besonders angezogene Ruth verweilen.

Sie setzte sich mit dem Kinde ins unbeleuchtete Schlafzimmer und erzählte ihm ungemütlich Schnurren, während Dagott, Frau Katharina und Pfeiffer vor ihr in der großen Stube um den runden Tisch saßen, Bruno ihr gegenüber. Sie mußte ihn oft ansehen, fühlte sich immer wieder hingezogen und hörte Dagotts Worte nachklingen: „Versuchen Sie nur!“

Wie? Pfeiffer stand doch erst an dritter Stelle unter den Menschen, die ihr lieb waren, von den beiden anderen war ihr gewiß doch mindestens einer sicher.

Sie merkte, wie sich Brunos Blicke an den ihren mehr und mehr entzündeten, und so wollte sie morgen die anderen Geliebten unfehlbar zwingen!

Morgen! – Hätte sie denn Bruno wirklich zurückweisen können, wenn er um sie warb? – — Um der anderen willen, ja! O, käme er doch jetzt und hielte um sie an!

Die vorige Lust regte sich in ihr, aber alle Stimmen, die jubeln wollten, knebelte sie, damit es morgen in um so hellerem Lobgesang zusammenjauchzen – zusammenschrillen möchte: sie dachte es trotzig noch einmal: wenn sie Bruno doch heute abweisen dürfte! Und sie tat sich damit wiederum bitter weh … Sie sah ihn an wie einen lieben Hund, dem sie die Hand zu lecken geben wollte, um ihm dafür auf die Schnauze zu schlagen, damit sie seinen Schmerz selbst zu kosten Gelegenheit fände.

Wohlan! Sie mußte Bruno diesen Abend noch herlocken, wie um eine Probe ihrer Anziehungsfähigkeit zu machen. Sie berauschte sich in den entgegengesetztesten Gefühlen. Mit einem koketten Blick auf ihn umarmte sie Ruth wie eine Braut den Bräutigam. Mit Wollust sah sie, wie er in das vor ihm stehende Glas hineinerrötete. Seine heißen Augen schienen, während die Strahlen herniederfuhren, die Wangen anzuglühen. Ihre Grausamkeit brannte immer süßer. Sie redete ungereimt zu Ruth. Diese wollte bloß mehr hören, am liebsten, was Hermine in ihrem Alter für Streiche begangen. Hermine tischte lauter abenteuerliche Lügen auf, aber während sie vom singenden Füllen auf der Wiese fabulierte, spottete sie innerlich: „Es ist schon recht, bester Bruno, daß du im Kartenspiel so oft gewinnst. Wer weiß, ob dir verlockendere als die Kartendamen hold sind!“ Bruno ließ kaum die Augen von ihr.

Sie küßte schnell wiederum Ruth, diesmal mit einem unsicheren Blick auf ihn, aber er errötete zu ihrem Entzücken doch.

Weil Ruth sie schon um eine neue Geschichte anging und sie durch ihre Erfolge höhnisch gestimmt war, kam sie auf den Einfall, Bruno als Modell eines Elefanten zu gebrauchen, der in einer Jugendmär auftrat. Etwas Sentimentalität mengte sich hinein, denn sie entsann sich nebenbei des Nachmittags, an dem sie mit Edwin Maßholder ausländischen Komödianten nachgerannt war. Pfeiffer hatte einen massigen Schädel, ganz kleine Augen, eine platt angedrückte lange Nase, dicken Rumpf und fette Gliedmaßen, so daß er bei guter Weinlaune einem Elefanten mit zierlichem Rüssel wohl verglichen werden konnte. Hermine spann eine lange Fabel, und da sie geschminkt lachend auf Bruno blickte und einflocht, daß ihr Elefant auch Karten spielen könne und verliebt sei, so wußte Ruth gar wohl, auf wen sie zielte. Hermine fragte gar, aber ihre Stimme war zerrüttet: „Wenn nun ein Elefant käme und mich heiraten wollte, was würdest du dazu sagen?“ Ruth lachte herzlich. „Ich würde keinen nehmen,“ sagte sie. „Ich auch nicht,“ stimmte Hermine bei und winkte mit kränklich blitzenden Augen gegen Bruno.

Dieser erhob sich bald darauf und trat zaudernd auf die Schwelle des Schlafzimmers mit den Worten: „Störe ich? Hier wird eifrig erzählt.“

„Von Ihnen, Herr Elefant,“ erwiderte Ruth.

Pfeiffer, eiskalt berührt, begann schleunig mit Leichenbittergebärden: „Fräulein Hermine —“

Ruth fiel ihm ins Wort: „Einen Elefanten heiratet meine Schwester nicht,“ stieß mit den ausgebreiteten Händen gegen seine Schenkel und schob ihn stramm rückwärts.

Er sagte mit saurem Lächeln, kreidebleich, noch einige Allgemeinheiten und verabschiedete sich. Herr und Frau Dagott machten peinliche Gesichter.

Hermine stand mit bewölkter Stirn dabei. Wehe, was hatte sie begangen! Ihr wurde es jäh leid und sie prüfte sich brünstig, ob sie Bruno nicht mehr lieb habe als die anderen. Sie fühlte sich im Kreuz eidechsenhaft zerbrechlich. Ihre Hand zuckte empor, Ruth zu schlagen, aber die Kraft entwich sofort aus den Muskeln. Mutlosigkeit und Vertrauenslosigkeit hielten sie im Bann.

Bis zum späten Einschlafen folgte in ihr Furcht auf Furcht. Blutrünstige Bilder tauchten auf, Fratzen umtanzten sie, Dünste wollten sie ersticken, Schreie Sterbender erdrosseln. Sie trug selber Verlangen nach dem Tode und wollte bereit, abgerufen zu werden, beten, obschon sie Jahre lang nie gebetet hatte. Trotzdem, ihre Liebesleidenschaft war keineswegs untergegangen, denn grausam spielerische Unehrlichkeit war in ihr Todverlangen gemischt: sie sah flatternd wieder ihre Doppelgängerin, ließ sie an ihrem Lager knien und stammelte ihr ein geziertes Gebet zurecht: „Nicht länger laß mich auf der Erde wandeln, Herr. Warum ich so dich bitte, weiß ich nicht, doch fühle ich, es ist eine gerechte Bitte. Warum ist mir das Herz so voller Not, und diese Worte, warum schweben sie mit wermutbitterem Geschmacke von der dürren Lippe? – Jener Dolch ist das allerschönste Stück von denen um mich her, aber er ist kalt und seine Klinge ist zerbrochen. Brich mir das letzte Stück des Lebens ab. Daß es als dein Geschenk schön war, glaube ich, aber brich das letzte Stück ab, denn bisher war es ja hart und kalt wie jene Klinge. Darum brich es ab.“

Ein unentwirrbares Durcheinander von Gesichten umzirkte sie, aber im Hintergrunde stand immer nebelhaft ein großer, grauer Elefant, steif wie ein Götze.

Wie ihr der nächste Tag bis gegen Abend verfloß, das hätte sie kaum sagen können. Sehr frühe war sie aufgestanden und hatte jedes Kleidungsstück verkehrt angezogen. Es war auch noch nicht spät gewesen, als Dagott mit Hugo Winterlicht in ihr Zimmer gekommen war und gesagt hatte: „Ja, die Waffen müssen Sie sich ansehen. Das ist etwas für Sie.“ Ihr war nicht entfallen, daß er vor Jahren demselben Manne den Wunsch, die Sammlung zu besichtigen, verweigert hatte und daß er seit einigen Wochen öfter jüngere Besucher herauf führte, wenn sie selbst oben weilte, angeblich um die Waffen vorzuweisen. Trotz aller glückhaften Überraschung durch Hugo hatte sie Dagott angehalten und unvermittelt entgegnet, daß sie gestern Bruno Pfeiffer zurückgewiesen, als er sie zum Weibe wünschte. Dann war sie mit Hugo hinuntergegangen, die Jäger hatten gelärmt, sie war irgendwie dabei gewesen, in blutiger Wirrsal. Alle waren fortgegangen, sie übrig geblieben, und weder Hugo Winterlicht noch Edwin Maßholder hatte sie begehrt. Sie hatte bis jetzt gefastet und saß mit einem Herzen im Garten, das wie von unzähligen Blitzen zerschlissen war.

Hugo kam nicht mehr wieder; er wollte von der Jagd gleich nach Hause gehen und abfahren.

Edwin war glasspröde gewesen. Er fuhr morgen.

Hermine gab sich dennoch einer gewissen Ruhe hin, als wäre etwas Geahntes nun erfüllt. Sie war geduldig. Nur die lebhafte Ruth mochte sie nicht um sich leiden und sagte: „Du bist ungezogen, geh’ vor das Haus auf die Straße und spiele dort.“ Ruth verließ sie.

Der Himmel blaute über dem Garten ohne Glanz. Hermine war so traurig, daß sie meinte, die Sterne müßten auch jetzt am Tage scheinen. Der Garten war ausgeblüht. Die vorletzte Woche hatten noch zehn Astern, die letzte noch zwei geschimmert, nun stand nur eine einzige von blauer Farbe verlassen da. Wie eine Zwergenampel leuchtete der vielzinkige Stern dieser letzten zu Füßen eines alten Baumes, der sich vor ihr zurückneigte. Der gestrige Abend träumte in Hermine nach: an dem Stamm lehnte eine Mädchengestalt wie sie selbst in dünnem Schleierhemde und legte ihre Stirn an die Nacktheit der übereinandergeschobenen, zum Oval verbundenen Arme in hellem Schlafe.

Plötzlich bemerkte Hermine vier Männer auf dem fernen Rande der Höhen hinter dem Garten. Sie lösten sich eben vom Hintergrunde der Wälder ab und kamen den Grenzrain herunter, der auf die Hecke zulief. Hermine machte sich froh stutzend auf und verschwand im Hause.


Die vier, ausgestattet mit Rucksäcken und Flinten, einer hinter dem anderen schreitend und von fern anzuschauen wie Troubadoure, waren Bruno Pfeiffer, Edwin Maßholder, Hugo Winterlicht und Lehrer Karp. Sie hatten zusammen gepürscht, weil sie die jüngsten waren und ein säuerliches Gefühl der Zusammengehörigkeit sie beieinander hielt, hatten sich verspätet und auf dem nächsten Dorfe gemeinsam Mittag gegessen, wobei jeder auf des anderen Glück in der Liebe trank, obwohl er ihm insgeheim in dieser Beziehung durchaus nicht wohl wollte, denn alle vier liebten Hermine. – Jetzt schwiegen sie schon lange.

Ernst überschritten sie den Steg des Grabens, welcher früher wie ein Pfauenauge gestrahlt hatte und nun verschlammt dalag, als ein Abendvogel in der Linie ihrer Köpfe niedrig hergezogen kam und im Dagottschen Garten weiterkreiste.

Bruno Pfeiffer, der erste, hörte ihn surren, ließ aber den Kopf gesenkt. Er hatte gestern den anderen zuvorkommen wollen, und heute hoffte er schon nichts mehr. Er hatte morgens vor den Stadtmauern die Jäger erwartet, weil er Hermines Haus nicht betreten mochte.

Der zweite, Edwin Maßholder, warf dem Vogel nur einen kurzen Blick nach und ließ ihn dann vor den Füßen an der Erde entlang laufen. Er dachte sich: „Heute früh war sie häßlich wie eine Hure. Laß mich jetzt noch einmal nachsehen. Kam sie mir doch wonnesam vor, als sie uns neulich besuchte, und liebreich und rosig blaß wie jenes verstorbene Kind aus alter Zeit, das eine Truhe in Händen trägt mit Spitzenzeug, ihm als Braut bereit. Ich wollte das duftige Zeug entfalten … Ich kann nicht von ihr lassen“.

 

Hugo Winterlicht, der dritte, verfolgte den Vogel ein gutes Stück mit scharfem, sinnendem Auge und starrte dann schräg in die Höhe. Auch er liebte Hermine sehr und war morgens hereingetreten, um sie zu begehren. Aber er hatte es unterlassen müssen. Es war gewesen, als verlangte sie nach ihm und bebte doch, angerührt und in die Arme geschlossen zu werden. In Augenblicken steigerte sich das zu unverhülltem Zurückstoßen. Dann schien sie wieder gereizt. Sie machte steife Augen, hatte eine gelle Stimme, ihr Kopf fiel wie bei einem Schwindel zur Seite. Krank erschien sie. Ein Sichselbstsuchen und Sichbesinnenwollen klang aus ihren Worten, es war auch, als verberge sie einen salzigen Nachgeschmack auf der Zunge. Dann wieder wurde sie mild, als umwehten sie Palmenschatten einer Oase nach mondelanger Wüstenwanderung. Auch so erfreute er sich ihrer nicht, denn sie schoß kühne Blicke zu Edwin Maßholder. Einige Male betrachtete sie ihn selbst geradezu lüstern. Er gab den Blick nicht keusch wieder, und doch war sie schroff, als begänne unter der Halskrause der Stein. Er konnte nicht um sie werben, aber missen konnte er sie auch nicht und wollte sie in Briefen erforschen, sie, die er schon genau zu kennen geglaubt. Jetzt zweifelte er nur, ob er sich ihr vor der Abreise noch zeigen sollte. Zwar wozu?

Karp hatte dem Vogel am längsten nachgesehen, so lange, bis er in den Büschen verschwunden war, mit wehmuthellen Augen, jedoch ziemlich gedankenlos. Ihm schnürte sich die Kehle wie einem, der übergangen ist, wo viele ausgezeichnet wurden.

So kamen die vier vor das Dagottsche Haus, noch immer einer hinter den andern gereiht. Ruth warf ihr Spielzeug auf die Straße und lief ihnen entgegen. Zu Pfeiffer sagte sie: „Guten Tag, Herr Elefant,“ und ergänzte schnippisch: „Sie nehmen wohl übel, daß meine Schwester Sie Elefant genannt hat?“ Er versetzte ihr einen leichten Schlag gegen den Arm und sagte: „Pfui, du Unart solltest dich schämen.“ Nun zweifelte Hugo Winterlicht nicht mehr, sondern ging kopfschüttelnd neben Bruno Pfeiffer davon und wollte sein Heil auf den Briefen beruhen lassen.

Edwin Maßholder war eigens in die Stadt zurückgekommen, um Hermine zu sehen. So trat er ein. Karp folgte, doch er mochte dem Gespräche nicht zuhören in der Furcht, das Ungeheuerliche möchte nun vor sich gehen. Er hatte herausgefunden, daß er lange nichts gegolten hatte, daß die Blicke Hermines auf ihm kalt ruhten und die Verwirrung in ihnen sich lediglich auf die anderen bezog. Er schlich, sobald es anging, rückwärts an die Tür und hinaus in den Garten „zu den Abendvögelein“.

Aber das Ungeheuerliche geschah nicht.

Ruth kam hereingelaufen und berichtete, wie sie mit Bruno Pfeiffer verfahren und wie dieser sie geschlagen Da seufzte Hermine: „Hier darf man keinen Scherz machen“, war einen Augenblick schön, doch bald zerwühlten maßlose Aufregungen ihr Gesicht. Darum ging Edwin Maßholder sofort und wollte morgen nachmittag den endgiltigen Abschied nehmen. Seine Stimme klang durchaus geschäftlich.


Hermine hatte Gewißheit. Sie stapfte gleichgiltig in den Garten zurück. Sie erblickte Karp und ward erschüttert. Das eigenartige Gefühl durchrieselte sie, das uns ergreift, wenn eine Arbeit, die wir begonnen haben und von der wir scheiden mußten, fortwirkt. Es ist etwas Losgerissenes, das wir umschwärmen wie ein Insekt das Licht.

Hermine ging zwischen den sich fröstelnd entlaubenden Bäumen mit Karp langsam auf und ab. Sie erzählten einander Erlebnisse und wurden beide sehr freimütig. Gegenseitige Trauer schlug ähnliche Saiten an.

Hermine baute sich ein wenig auf, nur eine große Angst verließ sie nicht: in alle Äußerungen Karps horchte sie mit fragenden Ohren hinein.

Der Abend kam. Seine mäßige Kälte und der Verwesungsduft des Landes führten eine nachdenkliche Verschollenheit in den Bezirk der hohen Hecken.

Und die beiden schritten immer auf und ab …

Die Blätter schneiten unablässig, blieben manchmal am Gewand ein Weilchen kleben, vom Windhauch angedrückt, und sanken dann plötzlich nieder. Die Füße wanderten mitunter schon über eine zerrissene rote Decke. Überall stachen die Rippen des Laubes deutlich hervor.

Hermine suchte in Karp aus, was ihr verwandt sein könnte. Sie achtete auf den Tonfall seiner Worte wie aus die Richtung seiner Wünsche.

Der Boden der Gänge war hart. Die Sohlen klopften vernehmlich an. Hermine merkte, daß ihr Schritt ungleich dem Karps war. Sie ging langsamer, um mit Karp in denselben Takt zu kommen, aber auch er verlangsamte sich. Schließlich waren beide stehen geblieben. Sie glaubte sich entschuldigen zu müssen und sagte: „Horchen Sie! Liegt in der Luft nicht etwas wie leise Musik?“

Er erwiderte: „Nein.“

In der Tat meinte sie ein feines Tönen in ihr Ohr dringen zu hören.

Sie gingen weiter.

Die Seelen kamen einander näher, beide mochten nicht beplaudern, was sie wechselseitig so wenig anging. Sie suchten ein anderes Gespräch und fanden keins. In Abständen machten sie kurze Bemerkungen.

Hermine war es, als wollte immerzu irgendwo ein Morgen dämmern, aber sie war ja zu harmvoll, um ihn zu erleben.

Noch schien ihr der leise Klang in der Luft zu liegen. Noch achtete sie auf Karps Schritte, und wieder blieben beide allmählich stehen, diesmal an der Pforte der Hecke nach der Straße hinaus. Zwei Kastanienbäume waren dort.

Der Vollmond stand tief in einem spitzen Himmelszipfel zwischen einem schrägen Dach und dem Kirchturm.

„Wie er aussieht,“ sagte Hermine, um das Stillestehen zu entschuldigen. „Wie eine Apfelsine in der Tüte.“ Sie dachte, Karp werde sie über ihre aufgelesene Albernheit verlachen, indessen blieb er ernst. Sie war darüber froh und liebte ihn.

Sie redeten weiter. Hermine empfand jedes Wort süß, aber es war doch ein Reden wie durch Wasser.

„Möchten die Kastanien doch blühen,“ sagte Karp.

Hermine: „Ich saß in ihrer Blüte gern darunter, und vom rosigen Baldachine fiel Duft mir auf die Schulter, in den Schoß.“

„Wenn es durch den Baum schauert, fühlen Sie sich nicht heimatlos?“

„Ja, – in der halben Dunkelheit und im Herbst.“

„Wir gehen schon lange hier. Die Sonne ist gut zwei Stunden herunter.“

„Sie legte ihr Licht wie einen Teppich aus gelbem Sammt mit grünem Grunde auf die Dächer im Kreise. Nun ist er herabgeglitten.“

„Mir will weh werden, Fräulein Hermine.“

„Alle Straßen sind verlassen.“

„Ich bin ja auch eigentlich fremd hier. Sehen Sie, in allen Straßen zündet man die Lampen an und alle Zusammengehörigen sammeln sich um das Licht. Ich gehöre nicht um eine der Lampen.“

„Ich auch nicht.“

„Nun trifft unsern Kastanienbaum ein schmales Glänzen.“

„Der Blätterfall zieht durch den Schein.“

„Er ist linde.“

„Er geht zur Nacht.“

„Er tanzt kurz hindurch.“

„Es sind Rosentänze.“

„Rosentänze.“ –

„Herr Karp, Sie stehen auch zum Teil im Hellen. Ihr Herz sieht man im Lichte schlagen.“

Sie schwiegen darauf lange. Der Mond klomm höher. Er warf die Schatten der Sehlehen zurück, und Hermine sah auch ihren und Karps Schatten von den Dornen ergriffen.

„Es ist sehr still,“ begann Karp wieder mit bebender Stimme.

„Es liegt doch ein Klingen in der Luft,“ entgegnete Hermine.

„Jetzt höre ich es auch. Was wird es sein?“

„Kommt es nicht von rechts?“