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Das Bildnis des Dorian Gray

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Er hatte dann eine besondere Leidenschaft für kirchliche Gewänder wie für alles, was mit dem religiösen Ritus zusammenhing. In den langen Kästen aus Zedernholz, die auf der westlichen Galerie seines Hauses standen, hatte er viele seltene, schöne Proben des wahrhaften Kleides der Christusbraut angesammelt, die sich in Purpur, in Edelsteine und feines Linnen kleiden muß, um den bleichen, abgezehrten Leib darin zu verhüllen, der erschöpft ist von den Leiden, die sie sucht, und verwundet von selbst zugefügten Schmerzen. Er besaß einen prachtvollen Chorrock aus karminroter Seide und goldgewirktem Damast, der mit einem sich wiederholenden Muster von goldenen Granatäpfeln geziert war, die auf sechsblättrigen, regelmäßigen Blüten saßen, worunter auf jeder Seite ein in Staubperlen gestickter Tannenzapfen war. Die Goldstickereien waren in einzelne Felder geteilt, in denen Szenen aus dem Leben der Jungfrau abgebildet waren und die Krönung der Jungfrau war in der dazu gehörigen Kappe in farbiger Seide oben eingestickt. Es war italienische Arbeit aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Ein anderer Chorrock war aus grünem Samt, bestickt mit herzförmigen Bündeln von Akanthusblättern, aus denen langgestielte weiße Blüten hervorsprossen, die zart mit silbernen Fäden und farbigen Kristallperlen ausgearbeitet waren. Auf der Spange war der Kopf eines Seraphs in erhabener Goldstickerei ausgeführt. Die Borten waren fortlaufend auf blumigem Tuch in roter und goldener Seide eingewebt und mit den Medaillonbildnissen vieler Heiligen und Märtyrer ausstaffiert, unter denen sich der heilige Sebastian befand. Er hatte auch Meßgewänder aus bernsteinfarbiger Seide und blauer Seide und goldenem Brokat und aus gelbem Seidendamast und goldenem Tuch, die bedeckt waren mit Darstellungen der Passion und der Kreuzigung Christi, und bestickt mit Löwen, Pfauen und anderen Emblemen, er hatte Dalmatikas aus weißem Atlas und rosarotem Seidendamast, geziert mit Tulpen, Delphinen und heraldischen Lilien: Altardecken aus karmoisinrotem Samt und blauem Linnen, und viele Decken für Meßgeräte, Kelchhüllen und Schweißtücher. In den mystischen Diensten, zu denen diese Dinge bestimmt waren, lag etwas, das seine Einbildungskraft anregte.

Denn diese Schätze und überhaupt alles, was er in seinem wunderbaren Hause ansammelte, waren für ihn Mittel zum Vergessen, Liebhabereien, durch die er eine Zeitlang der Angst entrinnen konnte, die ihm oft zu groß erschien, um sie zu ertragen. An die Wand des verlassenen, verschlossenen Raumes, worin er einen so großen Teil seiner Knabenzeit verbracht hatte, hatte er mit seinen eigenen Händen das fürchterliche Porträt aufgehängt, dessen Züge ihm in ihrer Veränderung die wahrhafte Erniedrigung seines Lebens zeigten, und darüber hatte er als Vorhang das Bahrtuch aus Gold und Purpur angebracht. Wochenlang mochte er nicht dahin gehen, wollte er das gräßliche Gemälde vergessen und gewann dann wieder sein leichtes Herz zurück, seine wunderbare Fröhlichkeit und seine Kraft zu leidenschaftlicher Versenkung ins Leben. Dann aber schlich er plötzlich in einer Nacht aus dem Hause, besuchte schaurige Orte in der Nähe von Blue Gate Fields und blieb dort Tag um Tag, bis es ihn wieder wegtrieb. Nach seiner Rückkehr saß er dann wohl vor dem Bilde, manchmal voll Haß vor ihm und vor sich selbst, ein andermal aber erfüllt mit dem Stolze auf das eigene Wesen, der den halben Reiz der Sünde ausmacht, und er lächelte dann mit geheimem Vergnügen das verunstaltete Abbild an, das die Last zu tragen hatte, die eigentlich für ihn bestimmt war.

Nach einigen Jahren konnte er es nicht aushalten, lange von England weg zu sein, und gab das Landhaus auf, das er gemeinsam mit Lord Henry in Trouville innegehabt hatte, und ebenso das kleine, von weißer Mauer umrahmte Haus in Algier, wo sie mehr als einmal den Winter verbracht hatten. Er konnte es nicht ertragen, von dem Porträt getrennt zu sein, das jetzt gewissermaßen ein Teil seines Lebens geworden war, und er fürchtete auch, es könne in seiner Abwesenheit irgend jemand Zutritt bekommen trotz den sorgfältig gearbeiteten Sicherheitsschlössern, die er an der Türe hatte anbringen lassen.

Er war sich vollauf bewußt, daß niemand etwas verraten könne. Allerdings bewahrte das Bild unter all der Gemeinheit und Häßlichkeit seines Antlitzes noch eine deutliche Ähnlichkeit mit ihm, aber was konnte das den Leuten sagen? Er würde jeden auslachen, der es versuchen wollte, ihn zu schmähen. Er hatte es ja nicht gemalt. Was ging es ihn an, wie abscheulich und schändlich es aussah? Selbst wenn er jemand die Wahrheit erzählte, konnte sie einer glauben?

Und doch hatte er Angst. Wenn er manchmal in seinem großen Hause in Nottinghamshire war und die eleganten jungen Leute, die meistens seine Gesellschaft bildeten, bewirtete, und die Leute der Grafschaft durch den ausschweifenden Luxus und den verschwenderischen Glanz seines Lebens in Erstaunen setzte, dann verließ er wohl plötzlich seine Gäste und eilte zurück in die Stadt, um nachzusehen, ob sich niemand an der Türe zu schaffen gemacht habe und ob das Bild noch da sei. Wie, wenn es jemand gestohlen hätte? Der bloße Gedanke erfüllte ihn mit kaltem Entsetzen. Gewiß würde dann die Welt sein Geheimnis erfahren. Vielleicht hatte sie schon Verdacht geschöpft.

Denn genau wie er viele fesselte, gab es auch nicht wenige, die ihm mißtrauten. Er wäre fast schwarz ballotiert worden in einem Westend-Klub, zu dessen Mitgliedschaft ihn soziale Stellung und Geburt vollständig berechtigten, und es hieß, daß einmal, als ihn ein Freund in das Rauchzimmer des Curchill-Klubs mitgebracht hatte, der Herzog von Berwick und ein anderer Herr in auffallender Weise aufgestanden und hinausgegangen wären. Sonderbare Geschichten waren über ihn im Umlauf, als er sein fünfundzwanzigstes Jahr vollendet hatte. Man munkelte, daß man ihn in einer elenden Kaschemme in einem entlegenen Winkel Whitechapels mit fremden Matrosen habe zechen sehen, und daß er mit Dieben und Falschmünzern umgehe und die Geheimnisse ihres Gewerbes kenne. Seine auffallende Gewohnheit, zu bestimmten Zeiten zu verschwinden, war bekannt, und wenn er dann wieder in der Gesellschaft auftauchte, flüsterte man sich in den Ecken Bemerkungen zu oder man ging an ihm mit einem unzweideutigen Lächeln oder mit kühlen, forschenden Blicken vorbei, als wäre man entschlossen, sein Geheimnis zu enthüllen.

Von diesen Unverschämtheiten und versuchten Beleidigungen nahm er natürlich keine Notiz, und in den Augen der meisten Leute war sein offenes, freundliches Wesen, sein reizendes Knabenlächeln und die unendliche Grazie der wundervollen Jugend, die ihn nie zu verlassen schien, an sich eine genügende Antwort auf die Verleumdungen, denn so nannte man es, die über ihn im Umlauf waren. Indessen bemerkte man, daß einige von denen, die früher sehr innig mit ihm verkehrt hatten, ihn nach einiger Zeit zu meiden anfingen. Frauen, die ihn glühend geliebt hatten und um seinetwillen allem Tadel der Gesellschaft getrotzt und die Konvention verachtet hatten, konnte man vor Scham oder Entsetzen erbleichen sehen, wenn Dorian Gray ins Zimmer trat.

Doch dieses Skandalgeflüster erhöhte in den Augen vieler nur seinen seltsamen und gefährlichen Reiz. Auch sein großer Reichtum bot ein gewisses Unterpfand der Sicherheit. Die Gesellschaft, wenigstens die zivilisierte Gesellschaft, ist niemals schnell geneigt, etwas Schlechtes von denen zu glauben, die zugleich reich und interessant sind. Sie begreift instinktiv, daß Manieren wichtiger sind als Moral, und ihrer Meinung nach ist die höchste Ehrbarkeit weniger wert als der Besitz eines guten Küchenchefs. Und schließlich ist es auch ein sehr schwacher Trost, wenn einem gesagt wird, daß der Mann, bei dem es ein schlechtes Diner oder einen elenden Wein gegeben hat, in seinem Privatleben unantastbar dasteht. Selbst die Kardinaltugenden können nicht für kalt gewordene Entrees entschädigen, bemerkte Lord Henry einmal, als man über dieses Thema sprach; und für seine Ansicht spricht wahrscheinlich sehr viel. Denn die Gesetze der guten Gesellschaft sind oder sollten wenigstens dieselben sein, wie die Regeln der Kunst. Form ist für sie unbedingt wesentlich. Sie sollte die Würde ebenso wie die Unwirklichkeit einer Zeremonie haben und sollte den unaufrichtigen Schein eines romantischen Schauspiels mit dem Witz und der Schönheit verbinden, die für uns das Entzücken solcher Spiele ausmachen. Ist Unaufrichtigkeit denn etwas so Furchtbares? Ich glaube nicht. Sie ist nur ein Mittel, wodurch wir unsere Persönlichkeit vervielfachen können.

Das war wenigstens die Meinung von Dorian Gray. Er pflegte sich über die seichte Psychologie derer zu wundern, die sich das Ich eines Menschen als etwas Einfaches, Beständiges, Verläßliches und Einheitliches vorstellen. Für ihn war der Mensch ein Wesen mit Myriaden von Leben und Myriaden von Gefühlen, ein kompliziertes, vielgestaltetes Geschöpf, das seltsame Erbschaften in seinen Gedanken und Leidenschaften mit sich herumtrug und dessen Fleisch von den ungeheuerlichen Krankheiten der Verstorbenen angesteckt war. Er liebte es, die kahle, kalte Bildergalerie auf seinem Landsitze zu durchschlendern und die verschiedenen Porträts der Menschen zu betrachten, deren Blut in seinen Adern floß. Hier war Philipp Herbert, den Francis Osborne in seinen „Memoiren über die Herrscherzeit der Königin Elisabeth und des Königs Jakob“ als einen beschrieb, „den der Hof seines hübschen Gesichtes wegen lieb hatte, das ihm aber nicht lange Gesellschaft leistete“. War es das Leben des jungen Herbert, das er manchmal führte? Hatte sich irgendein merkwürdiger, gifttragender Keim von Körper zu Körper übertragen, bis er seinen eigenen erreicht hatte? War es eine dumpfe Erinnerung an diesen verwelkten Liebreiz gewesen, die damals in Basil Hallwards Atelier so jäh und fast ohne Grund über ihn hereinbrach, daß er jenes wahnsinnige Gebet sprechen mußte, das sein Leben so sehr verändert hatte? Hier stand in goldgesticktem rotem Wams, in einem mit Juwelen geschmückten Überrock und goldgefaßten Hals- und Ärmelkrausen Sir Anthony Sherard, die Beine mit silbernen und schwarzen Schienen gepanzert. Was war das Vermächtnis dieses Mannes gewesen? Hatte ihm der Geliebte der Giovanna von Neapel ein Erbteil der Sünde und Schande hinterlassen? Waren seine eigenen Handlungen nur die Träume, die der Tote nicht zu verwirklichen gewagt hatte? Hier lächelte von einer verblaßten Leinwand Lady Elisabeth Devereux in ihrer Gazehaube, dem perlenbestickten Brustschmuck und den roten Schlitzärmeln. Sie hielt in der rechten Hand eine Blume, und die linke umfaßte einen emaillierten Halsschmuck aus weißen und Damaszener Rosen. Auf einem Tisch neben ihr lag eine Mandoline und ein Apfel. Auf ihren kleinen, spitzen Schuhen saßen große, grüne Rosetten. Er kannte ihr Leben und die seltsamen Geschichten, die man über ihre Liebhaber erzählte. Hatte er etwas von ihrem Temperament an sich? Diese ovalen Augen mit den schweren Lidern schienen ihn so sonderbar anzublicken. Wie stand es um George Willoughby mit seinem gepuderten Haar und seinen phantastischen Schönheitspflästerchen? Wie böse er aussah! Das Gesicht war melancholisch und bräunlich, und die sinnlichen Lippen schienen verächtlich zusammengekniffen. Kostbare Spitzenmanschetten rieselten über die mageren gelben Hände, die mit Ringen so sehr überladen waren. Er war im achtzehnten Jahrhundert ein Stutzer gewesen und in seiner Jugend ein Freund von Lord Ferrars. Wie war es mit dem zweiten Lord Beckenham, dem Gefährten des Prinzregenten in seinen wildesten Tagen und einem der Zeugen bei seiner heimlichen Eheschließung mit Frau Fitzherbert? Wie stolz und hübsch war er mit seinen kastanienbrauen Locken und der herausfordernden Haltung! Welche Leidenschaften hatte er ihm vererbt? Die Welt hatte ihn für ehrlos gehalten. Er hatte bei den Orgien in Carlton House den Vorsitz geführt. Der Stern des Hosenbandordens strahlte auf seiner Brust. Neben ihm hing das Bild seiner Gemahlin, einer blassen, dünnlippigen Frau in schwarzem Kleide. Auch ihr Blut flutete in ihm. Wie merkwürdig schien das alles! Und seine Mutter mit ihrem Lady Hamilton-Gesicht und ihren feuchten, wie vom Wein benetzten Lippen – er wußte, was er von ihr mitbekommen hatte. Von ihr hatte er seine Schönheit geerbt und seine Leidenschaft für die Schönheit anderer. Sie lachte ihn an in ihrem losen Bacchantinnenkleide. In ihrem Haare waren Weinblätter. Über den Becher, den sie hielt, schäumte der Purpur. Die Fleischfarbe des Gemäldes war verblaßt, aber die Augen waren noch wunderbar in ihrer Tiefe und ihrem Farbenglanz. Sie schienen ihm überall hin zu folgen, wo er auch ging.

 

Aber man hatte Vorfahren ebensogut in der Literatur wie in dem eigenen Geschlecht, und viele davon standen einem vielleicht näher in ihrem Menschentum und in ihrem Temperament und hatten sicher einen Einfluß, von dem man sich genauere Rechenschaft zu geben vermochte. Es gab Zeiten, wo Dorian Gray den Eindruck hatte, als wäre die ganze Weltgeschichte nur ein Bericht seines eigenen Lebens, nicht wie er es nach Taten und Umständen gelebt hatte, sondern wie es seine Phantasie für ihn erschaffen hatte, wie es in seinem Gehirn und in seinen Sinnentrieben war. Er fühlte, daß er sie alle gekannt hatte, diese merkwürdigen schrecklichen Gestalten, die über die Weltenbühne geschritten waren und die Sünde so glänzend und das Böse so tief und fein gemacht hatten. Es wollte ihm scheinen, daß auf irgendeine geheimnisvolle Weise ihr Leben auch sein eigenes gewesen sei.

Der Held des wunderbaren Romans, der sein Leben so stark beeinflußt hatte, war auch von diesem seltsamen Einfall ergriffen gewesen. Im siebenten Kapitel erzählt er: wie er, bekränzt mit Lorbeer, damit ihn der Blitz nicht treffe, als Tiberius in einem Garten von Capri gesessen und die schändlichen Bücher von Elephantis gelesen habe, während Zwerge und Pfauen um ihn herumstolzierten und der Flötenspieler den Weihrauchschwinger verspottete: wie er als Caligula mit den grünbeschürzten Stallknechten in ihren Ställen gezecht und aus einer elfenbeinernen Krippe ein Mahl genommen habe mit einem Rosse, das ein edelsteingeschmücktes Stirnband trug, und wie er als Domitian durch einen Korridor gewandert sei, dessen Wände mit Marmorspiegeln bedeckt waren, in denen er mit verstörten Augen nach dem Widerschein des Dolches gesucht habe, der seine Tage enden sollte, erkrankt an der Langeweile, dem schrecklichen Taedium vitae, das alle befällt, denen das Leben nichts versagt: und wie er durch einen hellen Smaragd den blutrünstigen Schlächterszenen im Zirkus zugeschaut habe und dann in einer Karosse aus Perlen und Purpur, die von silberfarbig gesprenkelten Maultieren gezogen wurde, durch eine Straße mit Granatbäumen zu einem goldenen Hause gefahren sei und gehört habe, wie ihm die Menschenmenge zurief: Kaiser Nero, als er vorbeifuhr, und wie er sich als Heliogabal das Gesicht geschminkt, mit den Weibern am Spinnrocken gewebt und den Mond aus Karthago geholt habe, um ihn in mystischer Ehe mit der Sonne zu vermählen.

Wieder und wieder las Dorian dieses phantastische Kapitel und die zwei unmittelbar folgenden, in denen wie auf wunderlichen Gobelins oder kunstvoll gearbeiteten Emaillen die greulich-schönen Gestalten jener dargestellt waren, die Laster und Blut und Übersättigung zu Ungeheuern oder Narren gemacht hatte: Filippo, der Herzog von Mailand, der sein Weib getötet und ihre Lippen mit scharlachrotem Gift gefärbt hatte, damit ihr Geliebter von dem Leichnam, wenn er ihn liebkoste, den Tod saugen möge: der Venezianer Pietro Barbi, bekannt als Paul der Zweite, der in seiner Eitelkeit den Beinamen Formosus annehmen wollte und dessen Tiara, die zweihunderttausend Gulden Wert hatte, mit einer furchtbaren Sünde erkauft worden war: Gian Maria Visconti, der Hunde benutzte, um auf lebende Menschen Jagd zu machen, und dessen Leichnam nach seiner Ermordung von einer Dirne, die ihn geliebt hatte, mit Rosen bedeckt ward: der Borgia auf seinem Schimmel, neben dem der Brudermord hoch zu Rosse saß, und dessen Mantel mit dem Blute Perottos befleckt war: Pietro Riario, der junge Kardinalerzbischof von Florenz, das Kind und der Liebling Sixtus des Sechsten, dessen Schönheit nur von seiner Lasterhaftigkeit übertroffen wurde, und der Leonora von Aragonien in einem Zelt aus weißer und karmesinfarbener Seide empfing, das voll Nymphen und Zentauren war, und der einen Knaben vergoldete, damit er bei dem Feste als Ganymed oder Hylas aufwarte: Etzelin, dessen Schwermut nur durch das Schauspiel des Todes geheilt werden konnte und der eine Leidenschaft für rotes Blut hatte, wie andere Menschen für roten Wein – den man den Sohn des Satans hieß und der seinen Vater beim Würfeln betrogen hatte, als er mit ihm um seine Seele spielte: Giambattista Cibo, der aus Hohn den Namen Innozentius annahm und in dessen verdumpfte Adern ein jüdischer Arzt das Blut von drei Jünglingen einpumpte: Sigismondo Malatesta, der Liebhaber der Isotta und der Herr von Rimini, der zu Rom im Bilde als ein Feind Gottes und der Menschen verbrannt wurde, und der Polyssena mit einer Serviette erdrosselte, und der Ginevra d'Este aus einem Smaragdbecher Gift zu trinken gab und, um eine schändliche Leidenschaft zu ehren, einen heidnischen Tempel zur Anbetung für die Christen baute: Karl der Sechste, der für das Weib seines Bruders so ungestüm erglühte, daß ihm ein Aussätziger den Irrsinn prophezeite, der über ihn kommen werde, und der, als sein Geist krank geworden war und sich verwirrt hatte, nur durch sarazenische Spielkarten besänftigt wurde, auf denen Liebe, Tod und Wahnsinn abgebildet waren: und in seinem gezierten Kamisol und in seinem edelsteingeschmückten Barett und den akanthusgleichen Locken Grifonetto Baglioni, der Astorre bei seiner Braut und Simonetto bei seinem Pagen erschlug, und dessen Anmut so groß war, daß, als er sterbend auf der gelben Piazza in Perugia lag, selbst seine Hasser das Schluchzen nicht unterdrücken konnten, und ihn Atalanta segnete, die ihn verflucht hatte.

Ein grauenhafter Zauber war in alledem. Er sah sie bei Nacht, und während des Tages verwirrten sie seine Vorstellungen. Die Renaissance kannte seltsame Arten, zu vergiften – zu vergiften durch einen Helm und eine angezündete Fackel, einen bestickten Handschuh und einen edelsteinbesetzten Fächer, ein vergoldetes Riechbüchschen und eine Bernsteinkette. Dorian Gray war durch ein Buch vergiftet worden. Es gab Augenblicke, in denen er die Sünde einzig als eine Möglichkeit ansah, seinen Schönheitsbegriff zu verwirklichen.

Zwölftes Kapitel

Es war am neunten November, am Vorabend seines achtunddreißigsten Geburtstages, wie er sich später oftmals erinnerte.

Er ging gegen elf Uhr aus Lord Henrys Wohnung, bei dem er gegessen hatte, nach Hause und war in einen schweren Pelz gehüllt, da die Nacht kalt und neblig war. An der Ecke von Grosvenor Square und South Audley Street ging im Nebel ein Mann sehr eilig an ihm vorbei, der den Kragen seines grauen Ulsters hochgeschlagen hatte. Er trug eine Reisetasche. Dorian erkannte ihn. Es war Basil Hallward. Ein seltsames Angstgefühl, über das er sich keine Rechenschaft geben konnte, befiel ihn. Er ließ nicht merken, daß er ihn erkannt hatte und setzte rasch seinen Weg fort in der Richtung seines Hauses.

Aber Hallward hatte ihn gesehen. Dorian hörte, wie er zuerst auf dem Trottoir stehenblieb und ihm dann nacheilte. In ein paar Augenblicken lag eine Hand auf seinem Arm.

„Dorian! Was für ein besonders glücklicher Zufall! Ich habe seit neun Uhr in deiner Bibliothek auf dich gewartet. Schließlich tat mir dein ermüdeter Diener leid, und als er mich herunterließ, sagte ich ihm, er möchte zu Bett gehen. Ich fahre mit dem Mitternachtszug nach Paris, und ich hatte den dringendsten Wunsch, dich vor meiner Abreise noch zu sehen. Ich dachte, das mußt du sein, oder mindestens dein Pelz, als du vorbeigingst. Aber ich war doch nicht ganz sicher. Hast du mich denn nicht erkannt?“

„Bei so einem Nebel, lieber Basil? Ich kann nicht einmal Grosvenor Square erkennen. Ich vermute, mein Haus ist hier irgendwo in der Nähe, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Es tut mir leid, daß du verreist, denn ich habe dich ja eine Ewigkeit nicht gesehen. Aber ich denke, du kommst doch bald wieder?“

„Nein; ich bleibe sechs Monate von England fort. Ich will mir in Paris ein Atelier mieten und mich darin einschließen, bis ein großes Bild fertig ist, das ich im Kopf habe. Aber ich wollte nicht über mich reden. Da sind wir an deiner Tür. Laß mich einen Augenblick mit herein. Ich habe dir was zu sagen.“

„Es wird mir eine große Freude sein. Aber versäumst du auch deinen Zug nicht?“ sagte Dorian Gray mit müder Stimme, als er die Treppe hinaufstieg und die Tür mit seinem Drücker öffnete.

Das Lampenlicht kämpfte mit dem Nebel, und Hallward sah auf die Uhr. „Ich habe noch eine Menge Zeit“, antwortete er. „Der Zug geht zwölf Uhr fünfzehn, und es ist eben elf. Offen gesagt, ich war gerade auf dem Weg in den Klub, um dich zu suchen, als ich dich traf. Mein Gepäck wird mich, wie du siehst, nicht sehr aufhalten, weil ich die schweren Sachen vorausgeschickt habe. Hier in der Tasche ist alles, was ich mitnehme, und nach Victoria Station kann ich bequem in zwanzig Minuten kommen!“

Dorian sah ihn lächelnd an. „Für einen berühmten Maler eine merkwürdige Art, zu reisen! Eine Handtasche und ein Ulster! Komm herein, sonst dringt der Nebel ins Haus! Und bitte, sprich über nichts Ernsthaftes mit mir. Nichts ist heutzutage ernsthaft. Wenigstens sollte es nichts sein.“

Hallward schüttelte den Kopf als er eintrat, und folgte Dorian ins Bibliothekzimmer. Dort brannte in dem offenen Kamin ein helles Holzfeuer. Die Lampen waren angezündet, und ein offenstehender holländischer Likörkasten aus Silber stand nebst ein paar Sodawassersiphons und großen geschliffenen Gläsern auf einem eingelegten Tischchen.

„Du siehst, dein Diener hat es mir gemütlich gemacht, Dorian. Er hat mir alles gegeben, was ich brauchte, sogar deine besten Zigaretten mit Goldmundstück. Es ist ein recht gastfreundlicher Mensch. Ich mag ihn viel lieber als den Franzosen, den du vor ihm hattest. Was ist übrigens aus dem Franzosen geworden?“

Dorian zuckte die Achseln. „Ich glaube, er hat Lady Radleys Kammermädchen geheiratet und sie in Paris als englische Schneiderin etabliert. Ich höre, daß Anglomanie zurzeit drüben sehr Mode ist. Scheint mir recht töricht von den Franzosen, nicht wahr? Aber – weißt du noch? – er war wirklich kein schlechter Bedienter. Ich mochte ihn zwar auch nie so recht leiden, aber er gab mir keinen Grund zur Klage. Man bildet sich oft Dinge ein, die ganz sinnlos sind. Er war mir wirklich sehr ergeben und schien ganz traurig, als er wegging. Willst du noch einen Kognak und Soda? Oder lieber Wein mit Selter? Ich nehme immer Wein mit Selter. Es ist gewiß etwas im Nebenzimmer.“

 

„Danke, ich nehme nichts mehr“, sagte der Maler, legte Mütze und Überrock ab und warf sie auf die Reisetasche, die er in die Zimmerecke gestellt hatte. „Und jetzt, lieber Freund, möchte ich mit dir mal ernsthaft sprechen. Du mußt nicht so böse aussehen. Du machst es mir dadurch nur schwerer.“

„Was soll das alles?“ rief Dorian, offen seine Verdrießlichkeit zeigend und warf sich auf das Sofa. „Ich hoffe, es handelt sich nicht um mich. Ich habe heute abend genug von mir. Ich wünschte, ich wäre ein anderer.“

„Es handelt sich um dich,“ antwortete Hallward mit seiner ernsten, tiefen Stimme, „und ich muß es dir sagen. Ich werde dich kaum ein halbes Stündchen aufhalten.“

Dorian seufzte und steckte sich eine Zigarette an. „Ein halb Stündchen“, flüsterte er.

„Das ist nicht viel von dir verlangt, Dorian, und ich spreche wirklich nur zu deinem Besten. Ich halte es für angebracht, daß du endlich die schrecklichen Dinge erfährst, die über dich in London geredet werden.“

„Ich will nicht das mindeste davon wissen. Ich habe Tratsch über andere Leute recht gern, aber Tratsch über mich interessiert mich ganz und gar nicht. Es hat nicht mal den Reiz der Neuheit.“

„Es muß dich interessieren, Dorian. Jeder anständige Mensch ist an seinem guten Ruf interessiert. Du darfst doch nicht die Leute von dir reden lassen, wie von einem gesunkenen und abscheulich lasterhaften Menschen. Natürlich hast du deine Stellung, deinen Reichtum und all dergleichen. Aber Stellung und Reichtum sind nicht alles. Auf mein Wort, ich glaube von diesen Gerüchten nichts. Wenigstens kann ich ihnen nicht glauben, wenn ich dich sehe. Die Sünde steht jedem Menschen auf der Stirn geschrieben. Man kann sie nicht verhehlen. Die Menschen schwatzen manchmal von geheimen Lastern. So etwas gibt es nicht. Wenn ein unseliger Mensch ein Laster hat, so zeigt sichs in den Linien seines Mundes, in seinen herabgesunkenen Augenlidern, selbst in der Form seiner Hände. Jemand – ich will seinen Namen nicht nennen, aber du kennst ihn – kam voriges Jahr zu mir und wollte sich malen lassen. Ich hatte ihn nie vorher gesehen und damals nie etwas von ihm gehört, seitdem aber hat man mir eine Menge von ihm erzählt. Er bot mir einen fabelhaften Preis an. Ich habe abgelehnt. An der Form seiner Finger war etwas, das mir ekelhaft war. Jetzt weiß ich, daß ich mit meiner Vermutung über ihn ganz recht hatte. Sein Leben ist fürchterlich. Aber von dir, Dorian, mit deinem reinen, leuchtenden, unschuldigen Gesicht und deiner wunderbaren unberührten Jugend – ich kann nicht das Häßliche glauben, das man gegen dich vorbringt. Und doch, ich sehe dich jetzt so selten, und du kommst gar nicht mehr in mein Atelier, und wenn ich nicht mit dir zusammen bin und alle die abscheulichen Dinge höre, die sich die Leute über dich zuflüstern, dann weiß ich nicht, was ich sagen soll. Woher kommt es, Dorian, daß ein Mann wie der Herzog von Berwick aufsteht und das Klubzimmer verläßt, wenn du eintrittst? Warum wollen so viele Männer in London nicht zu dir kommen und dich niemals zu sich einladen? Du warst doch mit Lord Staveley befreundet. Ich traf ihn vorige Woche bei einem Diner. Dein Name tauchte zufällig im Gespräch in Verbindung mit den Miniaturen auf, die du der Dudley-Ausstellung hergeliehen hast. Staveley verzog die Lippen und sagte, es mag ja sein, daß du einen äußerst künstlerischen Geschmack habest, aber du seist ein Mann, den kein reines Mädchen kennenlernen solle und mit dem keine anständige Frau im selben Zimmer sein dürfe. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich dein Freund sei, und fragte ihn, was er damit meine. Er sagte es mir. Er sagte es mir vor allen Leuten geradeheraus. Es war scheußlich! Warum ist deine Freundschaft für junge Männer solch ein Unglück? Da war der unselige Bursch in der Leibgarde, der Selbstmord begangen hat. Du warst sein bester Freund. Da war Sir Henry Ashton, der England mit einem besudelten Namen verlassen mußte. Du und er, ihr beide wart unzertrennlich. Wie ist es mit Adrian Singleton bestellt und seinem furchtbaren Ende? Was war das mit dem einzigen Sohn Lord Kents und seiner Karriere? Ich traf seinen Vater gestern in St. James Street. Er schien vor Schande und Herzleid gebrochen. Was hattest du mit dem jungen Herzog von Perth? Was für ein Leben führt er jetzt? Welcher Gentleman wollte noch mit ihm Umgang haben?“

„Hör auf, Basil, du sprichst von Dingen, von denen du nichts weißt“, sagte Dorian Gray, der sich auf die Lippen biß und in seine Stimme einen Ton unsäglicher Verachtung legte. „Du fragst mich, warum Berwick aus dem Zimmer geht, wenn ich eintrete. Er tut das, weil ich sein Leben durch und durch kenne, nicht weil er etwas von mir wüßte. Wie könnte er bei dem Blut, das in seinen Adern rollt, nicht viel auf dem Kerbholz haben? Du fragst mich nach Henry Ashton und dem jungen Perth. Habe ich dem einen seine Laster, dem anderen seine Ausschweifungen beigebracht? Wenn sich Kents schwachköpfiger Sohn sein Weib von der Straße holt, was gehts mich an? Wenn Adrian Singleton den Namen seines Freundes auf einen Wechsel schreibt, bin ich sein Hüter? Ich weiß, wie die Leute in England klatschen. Die Mittelklassen spreizen sich bei ihren endlosen Diners mit ihren moralischen Vorurteilen und munkeln von etwas, das sie die Ausschweifungen derer nennen, denen es besser geht, und um sich damit zu brüsten, daß sie in der feinen Gesellschaft verkehren und intim mit den Leuten sind, die sie durchhecheln. Bei uns zulande genügt es, daß einer Vornehmheit und Geist hat, damit sich jede gemeine Zunge an ihm wetzt. Und was für eine Art Leben führen denn diese Menschen selber, die sich so auf die Moral hinausspielen? Mein lieber Junge, du vergißt, daß wir in der Heimat der Heuchelei leben.“

„Dorian,“ rief Hallward, „darum handelt sich's nicht. Wie schlecht es um England bestellt ist, weiß ich selbst und wie die englische Gesellschaft verrottet ist. Gerade deshalb wünsche ich, daß du gut bleibst. Du bist nicht gut geblieben. Man hat ein Recht darauf, einen Menschen nach der Wirkung zu beurteilen, die er auf seine Freunde ausübt. Deine Freunde scheinen alles Gefühl für Ehre, für Anstand, für Reinheit zu verlieren. Du hast sie mit einer wahnsinnigen Genußsucht erfüllt. Sie sind tief gesunken. Ja: und du hast sie da hinabgeführt, und doch kannst du lächeln, und du lächelst jetzt noch. Und es gibt noch viel Schlimmeres. Ich weiß, du und Harry seid unzertrennlich. Schon aus diesem Grunde, wenn aus keinem anderen, hättest du den Namen seiner Schwester nicht zum Spott machen dürfen!“

„Nimm dich in acht, Basil. Du gehst zu weit.“

„Ich muß sprechen, und du mußt mich hören. Als du Lady Gwendolen kennenlerntest, hatte sie noch nicht der leiseste Hauch übler Nachrede berührt. Gibt es jetzt eine einzige anständige Frau in London, die mit ihr im Park spazieren fahren würde? Ja, nicht einmal ihre Kinder dürfen bei ihr wohnen. Dann gibt es andere Geschichten – Geschichten, daß man dich gesehen hat, wie du in der Dämmerung aus schrecklichen Häusern herausgeschlichen bist, daß du dich verkleidet in den niederträchtigsten Kneipen Londons herumtreibst. Ist das wahr? Kann das wahr sein? Als ich das erstemal so etwas hörte, lachte ich. Jetzt höre ich es mit Schaudern. Wie steht es mit deinem Landhause und dem Leben, das dort geführt wird? Dorian, du weißt nicht, was man über dich spricht. Ich will dir das nicht vorhalten, ich will dir keine Predigt halten. Ich erinnere mich, daß Harry einmal gesagt hat, jeder Mensch, der sich als Moralprediger versuchen will, fängt damit an, daß er sagt, er wolle nicht predigen und dann sein Wort bricht. Ich will dir also eine Predigt halten. Ich möchte dich ein solches Leben führen sehen, daß die Welt Achtung vor dir haben soll. Ich will, daß du einen reinen Namen und einen guten Ruf hast. Ich will, daß du dich von den gräßlichen Menschen losmachst, mit denen du jetzt fraternisierst. Zucke nicht mit den Achseln. Sei nicht so gleichgültig. Du hast einen mächtigen Einfluß. Laß ihn zum Guten und nicht zum Bösen wirken. Man sagt, du verderbest jeden Menschen, mit dem du intim wirst, und es sei völlig hinreichend, daß du ein Haus betrittst, damit dir Schande irgendeiner Art auf dem Fuße folge. Ich weiß nicht, ob dem so ist oder nicht. Wie sollte ich's auch wissen? Aber man sagte es von dir. Man sagte mir Dinge, die ich unmöglich länger anzweifeln kann. Lord Gloucester war einer meiner liebsten Freunde in Oxford. Er hat mir den Brief gezeigt, den ihm seine Frau geschrieben hat, als sie allein in ihrer Villa in Mentone auf dem Sterbebette lag. Dein Name war da in die fürchterlichste Beichte verwickelt, die ich je gelesen habe. Ich sagte ihm, daß es Tollheit wäre, daß ich dich durch und durch kennte und daß du zu irgend etwas Derartigem unfähig wärest. Kenne ich dich? Ich frage mich, kenne ich dich! Bevor ich darauf antworten kann, müßte ich deine Seele sehen.“