Neymar

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NEYMAR VON A BIS Z

A wie Ablösesumme

Zwar hatten die Parteien das übliche Stillschweigen vereinbart. Dennoch sickerten rasch Details über die Vereinbarung an die Öffentlichkeit, die der FC Santos und der FC Barcelona getroffen hatten, damit Neymar da Silva Santos Júnior sich ab dem 1. Juli 2013 beruflich verändern konnte. Auf 57,1 Millionen Euro beläuft sich die offiziell bestätigte Ablösesumme – das ist nicht übermäßig viel für einen Spieler, der das Potential hat, zur Nummer eins seines Fachs zu avancieren. Allerdings ist es eine hübsche Stange Geld, wenn man bedenkt, dass Neymar ein Jahr später ablösefrei zu verpflichten gewesen wäre, da sein Vertrag beim FC (→) Santos bis 2014 befristet war.

Die in einer Ausstiegsklausel festgeschriebene Ablösesumme lag bei 65 Millionen Euro, doch Santos wollte sein Juwel nach der Finalniederlage in der Regionalmeisterschaft gegen Corinthians (2:1/1:1) sowie angesichts von Neymars Durststrecke von über 800 Minuten ohne Tor in der Seleção möglichst rasch verscherbeln. Rückblickend kommt man zum Schluss, dass sich der Klub verzockt hat: Hätte Santos den Ausgang des (→) Confederations Cups abgewartet, dann wäre Barcelona wohl nicht darum herumgekommen, die komplette Ablösesumme zu bezahlen. Aber vermutlich hat rund um das Estádio Vila Belmiro niemand mit einem derartig überzeugenden Auftritt Neymars gerechnet.

Der FC Barcelona band den Spieler, der beim Confed Cup zum besten Akteur des Turniers gewählt wurde, bis zum 30. Juni 2018 an sich. Sollten ihn die Scheichs von Manchester City oder Paris Saint-Germain (oder wer auch immer) vor Vertragsende abwerben wollen, müssen sie 190 Millionen Euro locker machen – so besagt es Neymars Ausstiegsklausel.

Apropos Klauseln: Schafft es Neymar während seiner Vertragszeit beim FC Barcelona bei der Wahl zum FIFA-Weltfußballer aufs Podest, dann werden die Katalanen nochmals zur Kasse gebeten. In diesem Fall müssten sie dem FC Santos einen Zuschlag auf die Ablösesumme entrichten. Die Rede ist von zwei Millionen Euro – eine Summe, die der FC Barcelona bestätigte, nachdem der entsprechende Paragraph durch die Zeitung El Mundo Deportivo publik gemacht worden war.

Nach und nach sickerten noch weitere Vertragsinhalte an die Öffentlichkeit, sodass sich der FC Barcelona im Januar 2014 genötigt sah, den Neymar-Clan um Aufhebung der Schweigepflicht zu bitten (→ Buchhaltung). Es stellte sich heraus, dass insgesamt 95,1 Millionen Euro geflossen waren, um Neymar über den Atlantik zu locken. Diese Summe setzt sich aus der offiziellen Ablösesumme von 57,1 Millionen Euro sowie diversen Zahlungen an Firmen unter Neymars Schirmherrschaft in der Höhe von 38 Millionen Euro zusammen.


Die zehn Transfers mit den höchsten Ablösesummen:
Cristiano Ronaldovon Manchester United zu Real Madrid (2009)94.000.000 Euro
Gareth Balevon Tottenham Hotspur zu Real Madrid (2013)91.000.000 Euro
Zinedine Zidanevon Juventus Turin zu Real Madrid (2001)73.500.000 Euro
Zlatan Ibrahimovicvon Inter Mailand zum FC Barcelona (2009)69.500.000 Euro
Kakàvom AC Mailand zu Real Madrid (2009)65.000.000 Euro
Edinson Cavanivom SSC Neapel zu Paris Saint-Germain (2013)64.500.000 Euro
Radamel Falcaovon Atlético Madrid zur AS Monaco (2013)60.000.000 Euro
Luís Figovom FC Barcelona zu Real Madrid (2001)60.000.000 Euro
Fernando Torresvon Liverpool zu Chelsea (2010)58.500.000 Euro
Neymarvom FC Santos zum FC Barcelona (2013)57.100.000 Euro

A wie Abu Dhabi

Neymars Wechsel zum FC Barcelona war von langer Hand vorbereitet. Im Dezember 2010, während der Klub-WM in Abu Dhabi, befassten sich die Verantwortlichen der Katalanen erstmals mit der Personalie Neymar da Silva Santos Júnior. Talentscout André Cury, der für den FC Barcelona den südamerikanischen Markt sondiert, schwärmte derart von den Qualitäten des 18-Jährigen, dass Barça-Präsident Sandro Rosell an einem Bankett zu UEFA-Präsident Michel Platini sagte: »Neymar ist ein Spieler für Barcelona.«

Fortan wurde Neymars Entwicklung genauestens verfolgt und protokolliert. Nach der U-20-Südamerikameisterschaft im Februar 2011 (→ Porsche) erhielt Barças Sportdirektor Andoni Zubizarreta den ersten detaillierten Bericht der Scouting-Abteilung: »Neymar ist ein Spieler mit sehr starkem Charakter für sein Alter. (…) Er ist ein Stürmer, der von rechts und links angreifen kann, zweikampfstark ist, mit guter Übersicht und torgefährlich. Weder das Umfeld noch die Verantwortung belasten ihn. Wenn er sich weiterentwickelt, kann er einer der besten Spieler der Welt werden.« Aus diesem Dokument las Zubizarreta am 3. Juni 2013 (→ Antrittsbesuch) vor, als der FC Barcelona endlich die Verpflichtung desjenigen Spielers vermelden konnte, der seit zweieinhalb Jahren ganz oben auf der Einkaufsliste des Klubs gestanden hatte.

A wie Alternative

Neymar setzte alles auf die Karte Fußball. Einen Plan B gab es nicht. Was würde er machen, wenn er kein Fußballer wäre? »Auf diese Frage habe ich keine Antwort. Ich sehe keine Tätigkeit, die ich als Alternative ausüben könnte.«

A wie Alves

Eine besonders enge Beziehung pflegt Neymar zu Dani Alves. Dass seine Integration beim FC (→) Barcelona derart reibungslos verlief, verdankte er nicht zuletzt seinem Landsmann: »Er ist mein bester Freund«, sagt Neymar über den Verteidiger. »Er hat mir am meisten geholfen und war eine der ersten Personen, die mich davon überzeugten, nach Barcelona zu wechseln.«

A wie Anämie

Wir alle kennen es: Man fühlt sich zuweilen schlapp, ausgelaugt und müde. Neymar erging es nach einer im Juli 2013 durchgeführten Mandeloperation lange Zeit genauso. Anämie, lautete der Befund der Ärzte. Blutarmut, die durch einen Eisenmangel entsteht. Davon spricht man, wenn zu wenig rote Blutkörperchen und damit ein zu geringer Anteil an Blutzellen im Körper vorhanden sind. Die Verminderung der Konzentration des eisenhaltigen und sauerstofftransportierenden Proteins Hämoglobin kann bei Leistungssportlern starke Müdigkeit, Schwindelgefühle und Erschöpfung auslösen.

Tatsächlich wirkte Neymar bei seinen ersten Auftritten im Trikot des FC Barcelona gegen Lech Danzig (2:2) und den FC Santos (8:0) alles andere als spritzig. »Der Eisenwert ist signifikant gesunken. Die Müdigkeit, die er während des Trainings verspürt hat, war schon nicht mehr normal«, beschrieb Neymar Senior die Leiden seines Sohnes. Zudem verlor der neue Star des FC Barcelona stark an Gewicht (→ Federgewicht), insgesamt sieben Kilo. Ein Zustand, den sein (→) Vater Anfang August 2013 mit dem Adjektiv »besorgniserregend« umschrieb: »Denn er hat ja kein Fett, sodass die Muskelmasse angegriffen wird.«

Die medizinische Abteilung der Katalanen war also gefordert. Sie mixte einen Zaubertrank, den Neymar zum Aufbau von Muskeln jeweils nach dem Training und den Spielen zu sich nehmen muss. Das Gebräu musste ursprünglich schrecklich geschmeckt haben. Immerhin konnten ihm die Ernährungsspezialisten schließlich Drinks in den Geschmacksrichtungen Schokolade, Erdbeere und Vanille anbieten. Bekannt sind auch die übrigen Bestandteile: die Vitamine B1, B2, B6, B9, B12, C und E, Eisen, Kalzium, Glucide, Sodium, Lipide und Aminosäuren.

Hundert Gramm dieses Pulvers reichen für einen Tag und haben rund dreihundert Kalorien. Gleichzeitig muss Neymar viel rotes Fleisch, Hühnchen und Fisch essen und zusätzlich noch ein weiteres Gemisch aus Proteinen und Vitaminen zu sich nehmen. Ein Jahr lang hat er sich Tag für Tag an diese Diät zu halten. Danach sollten sich seine Blutwerte wieder im grünen Bereich bewegen – pünktlich zum Auftakt der WM 2014.

A wie Antrittsbesuch

Der 3. Juni 2013 war der Tag, an dem Neymar seine Unterschrift unter einen Fünfjahresvertrag beim FC Barcelona setzte, den (→) Medizincheck absolvierte und anschließend den Fans im Stadion Camp Nou vorgestellt wurde. Der spanische Meister inszenierte den Antrittsbesuch seines neuen Stars als Event. 334 Medienvertreter ließen sich akkreditieren, um den 57-Millionen-Einkauf in Augenschein zu nehmen – und mussten sich zunächst einmal in Geduld üben. Das Privatflugzeug des Sängers Julio Iglesias, das den Neymar-Clan über den Atlantik beförderte, landete erst um 13:02 auf dem Flughafen El Prat in Barcelona, eine Stunde später als geplant.

Das war aber auch schon die einzige Panne. Neymar ließ sich nicht wie einst sein Landsmann Ronaldo in Madrid vor dem falschen Brunnen ablichten, trug im Gegensatz zu Mario Götzes Einstand beim FC Bayern (→ Lederhosen) ein Outfit, das vom richtigen Ausrüster (→ Nike) geliefert wurde und sammelte Pluspunkte, als er die 56.000 Fans im Camp Nou auf Katalanisch begrüßte: »Bona tarda a tothom. Estic molt feliç de ser jugador del Barça i d’haver aconseguit el meu somni.« (»Guten Nachmittag. Ich bin glücklich, hier zu sein. Für mich geht ein Traum in Erfüllung.«)

Damit unterschied er sich auch angenehm von Zlatan Ibrahimovic, dem bis heute teuersten Einkauf in der Geschichte des FC Barcelona, der bei seiner Vorstellung am 27. Juli 2009 vor 60.000 Fans auf Italienisch parliert hatte. Der schwedische Egomane (Titel seiner Autobiographie: »Ich bin Zlatan!«) blieb stets ein Fremdkörper im Team und suchte nach bloß einer Saison wieder das Weite. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er mit Lionel (→) Messi und Trainer Pep Guardiola nicht auf einer Wellenlänge funkte.

 

Neymar wiederum war von seinen PR-Beratern gut vorbereitet worden, um nicht ins Messi-Fettnäpfchen zu treten. Als an der Medienkonferenz ein Journalist wissen wollte, ob er der beste Spieler der Welt sei, antwortete Neymar artig: »Der Beste der Welt ist bereits hier – und das ist Messi.« Der Ballon d’Or, die Auszeichnung für den Weltfußballer, die Messi zuletzt vier Mal in Serie gewonnen hatte, sei nicht sein Primärziel. »Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich bin hier, um Messi zu helfen, damit er der beste Spieler der Welt bleibt. Allein wenn ich daran denke, kriege ich dieses Schmetterlingsgefühl im Bauch.«

Mit solch bescheidenen Worten verschaffte sich Neymar auf Anhieb viele Sympathien. Dass sein Vertrag eine Klausel beinhaltet, wonach sich die (→) Ablösesumme erhöht, sollte er zum Weltfußballer gewählt werden, brauchte er ja nicht an die große Glocke zu hängen ...

A wie Auszeichnung

Neymar war der mit Abstand beste. Zu diesem Schluss kamen in den Jahren 2011 und 2012 die südamerikanischen Sportjournalisten, die den Angreifer des FC Santos einhellig zu Südamerikas Fußballer des Jahres kürten. Organisiert wird die seit 1971 stattfindende Wahl mittlerweile von der Zeitung El País aus Montevideo. Als Juroren fungieren die Medienschaffenden aus allen Ländern des Kontinents, die Spieler wählen können, die bei südamerikanischen oder mexikanischen Vereinen unter Vertrag stehen. 2011 erhielt Neymar 130 Stimmen – fast doppelt so viele wie der Chilene Eduardo Vargas (70) von Universidad de Chile; auf Rang drei landete Neymars Klubkollege Paulo Henrique Ganso (→ Taufpate).

Im darauf folgenden Jahr fiel das Urteil noch deutlicher aus: Auf Rang eins Neymar mit 199 Stimmen, gefolgt von Paolo Guerrero (Corinthians São Paulo) und Lucas Moura (FC São Paulo) mit 50 respektive 21 Stimmen. Die Wahl zum Rey del Fútbol de América weist für Neymar insofern eine historische Dimension auf, als dass sie ihn auf eine Stufe mit Heroen wie (→) Pelé, Kempes, (→) Zico, Francescoli, Maradona und Romário stellt, welche die Auszeichnung einst ebenfalls erhalten hatten.

B wie Ball

»Früher habe ich mir zum Geburtstag, zu Weihnachten und wenn es sonst etwas gab, immer nur eines gewünscht: einen Fußball«, erzählt Neymar. »Als ich 18 Jahre alt war, habe ich mal gezählt: 54 Bälle hatte ich. Fußball ist mein Leben.«

B wie Banane

Am 27. März 2011 sorgten nicht in erster Linie die zwei Tore für Gesprächsstoff, die Neymar im Testspiel gegen Schottland erzielte, das im Emirates Stadium in London stattfand. Schlagzeilen machte vielmehr eine Banane, die nach Neymars Elfmetertor in der 77. Minute aufs Feld flog. Dieser beklagte sich anschließend über »die permanenten Spottgesänge und die rassistische Atmosphäre«, die im Stadion geherrscht habe.

Die Scottish Football Association (SFA) wies den Rassismusvorwurf umgehend zurück. »Die schottischen Fans sind bekannt für ihr tadelloses Verhalten«, stellte der Verband in einer Medienmitteilung klar. Neymar sei wegen seines unsportlichen Verhaltens ausgebuht worden. Der schottische Altinternationale Pat Nevin, der das Spiel für BBC Radio 5 kommentierte, erklärte die Verärgerung des Publikums folgendermaßen: »Neymar ist einer dieser Spieler, die in einem Parallel-Universum leben. Der kleinste Rempler löst bei ihm höllische Schmerzen aus. Zwanzig Sekunden später erfolgt dann eine Wunderheilung und er rennt los, als sei nichts gewesen.« Neymar habe dieses Theater schon nach wenigen Minuten begonnen und so die Fans gegen sich aufgebracht (→ Schwalbe).

Schottland – Brasilien 0:2

London, 27. März 2011, Emirates Stadium, 53.087 Zuschauer.

Tore: 42. Neymar 0:1; 77. Neymar 0:2 (Elfmeter).

Schottland: McGregor, Hutton, Caldwell, Berra (73. Danny Wilson), Crainey, Adam (78. Snodgrass), Brown, Morrison (90. Cowie), McArthur (56. Bannan), Whittaker (64. Commons), Miller (87. Mackail-Smith).

Brasilien: Júlio César, Dani Alves, Lúcio, Thiago Silva, André Santos, Lucas (86. Sandro), Elano (82. Elias), Ramires, Jadson, (72. Lucas Rodriguez), Neymar (89. Renato Augusto), Leandro Damião (78. Oliveira).

Und die Banane? Die Ermittlungen der Metropolitan Police ergaben, dass diese in der zweiten Halbzeit von einem deutschen Touristen aufs Feld geworfen worden war. Der Teenager habe in der North Bank gesessen, im Sektor der brasilianischen Anhänger, und die Verantwortung für den Bananenwurf übernommen. Er habe nicht die Absicht gehabt, Neymar oder einen anderen Spieler rassistisch zu verunglimpfen, hielt der Polizeibericht fest.

In der Tartan Army, wie die schottischen Anhänger genannt werden, sorgte dieses Geständnis für Erleichterung. »Unser guter Ruf war in Gefahr«, sagte Fan-Sprecher Tam Ferry. »Eine Entschuldigung ist das mindeste, was Neymar den 30.000 schottischen Anhängern schuldet, die im Stadion waren.« Dass Neymar eine Entschuldigung verweigerte (»Ich habe keine bestimmte Person oder Fangruppe beschuldigt«), steigerte seine Popularität auf der Insel nicht wirklich.

B wie Barcelona

Romário, Ronaldo, Rivaldo und Ronaldinho: brasilianische FußballKünstler haben ihr Talent beim FC Barcelona stets gut entfalten können. Von den spektakulären Dribblings des jungen Ronaldo und von (→) Ronaldinhos Finten schwärmen die Culés, die Fans im Estadio Camp Nou, heute noch. Ebenso vom Traumtor, das Rivaldo in der 90. Minute des letzten Spieltages der Saison 2000/01 per Fallrückzieher erzielte und dem Klub damit die lebensnotwendigen Champions-League-Millionen sicherte. Ganz zu schweigen von Romário, der als Mitglied des legendären Dream Teams von Trainer Johan Cruyff in den 1990er-Jahren seinen Platz in der klubeigenen Walhalla längst auf sicher hat. Ebenso wie Evaristo de Macedo, der erste Brasilianer, der das rotblaue Trikot überstreifte: Er erzielte 1961 jenen Treffer, der das Ende der Vorherrschaft von Seriensieger Real Madrid im Europapokal besiegelte.

Das nächste Erfolgskapitel soll nun Neymar schreiben, dessen Verpflichtung jedoch auch Kritiker auf den Plan rief. Vor allem Klublegende Cruyff hob den Warnfinger. »Man muss aus der Geschichte lernen«, monierte der holländische Spiritus Rector und warnte vor innerbetrieblichen Konflikten mit Lionel (→) Messi. »Es gibt keinen Platz für zwei Gockel im gleichen Hühnerstall!« Cruyff legte dem Klub daher den Verkauf von Messi nahe.

Doch davon wollte Barcelona-Präsident Sandro Rosell nichts wissen. »Unsere Strategie besteht darin, unser Team jedes Jahr zu verbessern. Egal, wie erfolgreich wir zuvor waren«, sagte Rosell. »Wir haben Neymar nicht geholt, um mehr Druck auf unsere Stammspieler zu machen. Er passt einfach perfekt in unsere Spielweise und wird uns stärker machen.« Auch Trainer Tito Vilanova schwärmte, als der Wechsel in trockenen Tüchern war: »Ich möchte Neymar gratulieren. Er hat sich nicht für das finanziell lukrativste Angebot, sondern für das sportlich interessanteste Projekt entschieden.«

Interessant war sie in der Tat, die Frage, ob es Trainer Gerardo Martino (der Argentinier übernahm das Traineramt im Juli 2013, nachdem bei Vilanova erneut ein Krebsleiden diagnostiziert worden war) gelingen würde, Neymar in das (→) Tiki-Taka-Ensemble zu integrieren. Die Antwort: das Experiment scheint geglückt. Vor allem deshalb, weil Neymar, der brasilianische Superstar, demütig die Rolle des Zauberlehrlings annahm. Ganz ohne Allüren ging er unter Messi, Xavi und Iniesta nochmals in die Lehre (→ Lehrling). Seither ist er kompletter, mannschaftsorientierter geworden, spielt den Ball früher ab und hat die Anzahl seiner Assists deutlich erhöht, und sein erstes Tor für Barça erzielte er gar per Kopf.

In den 23 Pflichtspielen bis zur Winterpause brachte es Neymar auf zehn Treffer und zwölf Torvorlagen. Eine Bilanz, der selbst Chefkritiker Cruyff Respekt zollte. »Neymar ist ein guter Start gelungen«, räumte der Holländer ein. Hört sich wie ein Kompliment an ...

B wie Bekanntheitsgrad

Es handelte sich zweifelsohne um eine Spielerei, die Wahl des »größten Brasilianers aller Zeiten«, die der TV-Sender SBT von Juli bis Oktober 2012 durchführte. Dass sich im Finale das Medium Chico Xavier (1910–2002) mit einem Stimmenanteil von 71,4 Prozent haushoch gegen den Flugpionier Alberto Santos Dumont (1873–1932) und Kronprinzessin Isabella von Brasilien (1848–1921) durchsetzte, spricht in der Tat nicht unbedingt für das Bildungsniveau der Zuschauer, die sich die zwölf Staffeln von O Maior Brasileiro de Todos os Tempos zu Gemüte führten. Wie rasch die kollektive Erinnerung an Glanzleistungen verblasst, beweist auch die Tatsache, dass es Neymar auf Rang 20 schaffte. Der 20-Jährige ließ damit nicht nur Fußballheroen wie Romário (92.), Ronaldinho (82.), Sócrates (80.), Garrincha (72.), Zico (61.) und Rogério Ceni (50.) weit hinter sich, sondern distanzierte auch Staatspräsidentin Dilma Rousseff (33.).

Die Rangliste mag noch so diskutabel sein, eines kommt klar zum Ausdruck: die ungeheure Popularität, die Neymar beim brasilianischen (Fernseh-)Volk genießt. Dieser Promistatus hat aber auch seine Schattenseiten. »Ich kann nirgendwo hingehen, ohne dass ich sofort erkannt werde«, klagte Neymar damals in einem (→) Interview. »Sogar in New York erkennen mich die Leute. Dann geschehen ganz seltsame Dinge. Einmal fragte mich ein junger Mann, ob er mein T-Shirt haben dürfe. Es handelte sich nicht einmal um ein Santos-Trikot, sondern um ein ganz banales Kleidungsstück.«

Gleichzeitig machte Neymar die Erfahrung, dass sich sein Bekanntheitsgrad durchaus noch steigern lässt, zumindest außerhalb Brasiliens. So war beispielsweise der Tennisheld Roger Federer sichtlich verlegen, als er im April 2012 in der Sendung Esporte Espectacular vom Moderator am Ende des Interviews ein von Neymar handsigniertes Trikot der Seleção erhielt. »Ist der auch gut?«, fragte der Schweizer etwas ratlos, um sich sogleich für seine Wissenslücke zu entschuldigen: »Brasilien produziert laufend gute Fußballer, die dann nach Europa verkauft werden und dort zu Stars avancieren.«

B wie Bettkante

Als Kind schlief Neymar immer auf der Bettkante, denn im Bett lag der (→) Ball.

B wie Bildrechte

Den großen Reibach machen Fußballstars nicht in erster Linie mit den Gehältern, die ihnen die Klubs bezahlen, sondern mit ihren Bildrechten. Kein Wunder, wird darüber bei den Vertragsverhandlungen stets gefeilscht wie auf einem orientalischen Basar. Beim letzten Vertrag, den er mit dem FC Santos aushandelte, ließ sich Neymar neunzig Prozent der Einnahmen an seinen Bildrechten zusichern, der Rest floss in die Kassen des Klubs. So läpperte sich eine Menge Geld zusammen: Laut der Zeitung El País verdiente Neymar im Jahr 2012 allein an Bildrechten 22 Millionen Euro (→ Werbekönig). Im Trikot des FC Barcelona dürften sich diese Einnahmen noch steigern, zumal Neymar sich hundert Prozent der Einkünfte an seinen Bildrechten sicherte. Bei Real (→) Madrid wäre dies nicht möglich gewesen. Die Königlichen beanspruchen aus Prinzip mindestens 50 Prozent der Einnahmen ihrer Stars.

B wie Bodybuilder

»Neymar begeistert mich«, ließ Diego Maradona im August 2013 verlauten. »Ich hoffe, sie werden in Barcelona keinen Bodybuilder aus ihm machen. Sie sollen ihn einfach Fußball spielen lassen.«

B wie Bolívar

Auf Begegnungen im Estadio Hernando Siles in der bolivischen Hauptstadt La Paz freuen sich nur wenige Fußballer. Das nach einem ehemaligen Staatspräsidenten benannte Stadion liegt auf 3.637 Meter Höhe und ist somit eines der höchstgelegenen Stadien der Erde. Dank der dünnen Luft gelingt es den Einheimischen immer wieder, favorisierten Gegnern den Schneid abzukaufen.

Auch der FC Santos erlitt am 25. April 2012 im Achtelfinale der (→) Copa Libertadores Schiffbruch: der Club Bolívar gewann das Hinspiel 2:1. Vor allem für Neymar war die Begegnung ein Spießrutenlaufen. Die Fans bespuckten und bewarfen ihn mit allen möglichen Gegenständen. Tiefpunkt war ein Stein, der ihn in der 78. Minute traf, als er einen Eckball treten wollte. Der chilenische Schiedsrichter Enrique Osses drohte mit Spielabbruch. Es sprach indes für Neymar, dass er auf die Zähne biss und bis zum Schluss auf dem Platz blieb. »Denen werd’ ich es im Rückspiel zeigen«, kündigte er an.

 

Tatsächlich ging die Begegnung vom 11. Mai 2012 in die Annalen des FC Santos ein. Bolívar wurde auf Meereshöhe mit 8:0 gedemütigt. Zwei Tore gingen auf das Konto von Neymar, der laut eigener Aussage »mit Blut in den Augen spielte«, bei fünf weiteren Treffern hatte er seinen Fuß im Spiel. Mit dem Doppelpack, seinen Treffern 105 und 106, avancierte er zum erfolgreichsten Torschützen in der jüngeren Vergangenheit des FC (→) Santos – natürlich hinter Pelé, dessen 1091 Tore wohl einen Rekord für die Ewigkeit darstellen. »Ich bin glücklich, ein Teil der Geschichte von Santos zu sein«, erklärte Neymar nach seiner Galavorstellung.

Santos – Bolívar 8:0

Santos, 11. Mai 2012, Estádio Urbano Caldeira, 15.060 Zuschauer.

Tore: 6. Elano 1:0; 22. Neymar 2:0; 28. Ganso 3:0; 30. Kardec 4:0; 37. Neymar 5:0; 51. Elano 6:0; 53. Ganso 7:0; 61. Borges 8:0.

Santos: Rafael, Edú Dracena, Juan, Durval, Elano (68. Felipe Anderson), Henrique, Arouca (63. Ibson), Adriano, Ganso, Alan Kardec (56. Borges), Neymar.

Bolivar: Argüello, Álvarez (82. Siquita), Rodríguez, Frontini, Valverde, Campos, Lizio, Flores, Cardozo (66. Miranda), Arce, Cantero (68. Reyes).

B wie Boom

»Wir akzeptieren das Bild Brasiliens als Entwicklungsland, das zum Opfer gieriger ausländischer Vereine wird, nicht mehr«, polterte Santos-Präsident Luis Álvaro de Oliveira im August 2010 und verkündete der Nation: »Neymar bleibt in Brasilien!« Der 18-Jährige Shootingstar hatte damals ein Angebot des FC Chelsea abgelehnt, »weil ich hier bei Santos glücklich bin und das gut für mein Spiel ist«. Zwar hatte Chelsea weniger als die festgelegten 45 Millionen Euro Mindestablöse geboten. Doch in anderen Fällen war dies kein Grund für das Scheitern eines Transfers nach Europa gewesen.

Über Jahrzehnte verließen brasilianische Fußballer ihre Heimat bei der erstbesten Gelegenheit. Ronaldo wechselte 1994 als 18-Jähriger zum PSV Eindhoven (Transfervolumen 5 Millionen Euro), Ronaldinho heuerte 2001 im Alter von 21 Jahren bei Paris Saint-Germain (5 Millionen) an, Kaká schloss sich als 21-Jähriger 2003 dem AC Mailand an (8,5 Millionen) und Robinho als 21-Jähriger 2005 Real Madrid (24 Millionen). Neymar wechselte zwar ebenfalls im Alter von 21 Jahren nach Europa, hatte aber beim Zeitpunkt seines Transfers schon eine gefühlte Ewigkeit im Campeonato Brasileiro gespielt und zahlreiche Offerten aus Europa in den Wind geschlagen, was seiner Popularität in der Heimat bestimmt nicht geschadet hat.

Finanziell hat Neymar beim FC Barcelona keinen Rückschritt gemacht (→ Buchhaltung), doch war es nicht in erster Linie das Geld, das ihn zu einem Tapetenwechsel bewog. Denn mittlerweile floriert das Geschäft auch in Brasilien. Zwischen 2006 und 2010 verdoppelten sich die Gesamteinnahmen der brasilianischen Klubs durch Fernsehgelder, Werbe- und Merchandisingeinnahmen von 448 Millionen Euro auf 943 Millionen Euro – Tendenz weiter steigend. Das Interesse an der Liga stieg nicht zuletzt im Hinblick auf die WM 2014 und der dadurch verbundenen Modernisierung der Stadien nach europäischem Vorbild – und das in einer Zeit, wo italienische und spanische Klubs immer mehr unter der Wirtschaftskrise in ihren Ländern leiden.

Der Boom im brasilianischen Ligafußball führte nicht nur dazu, dass Supertalente wie Neymar lange im Land gehalten werden konnten. Auch zahlreiche ältere Stars kehrten Europa vorzeitig den Rücken: Rückkehrer wie Ronaldo, Ronaldinho, Robinho, Rivaldo, Juninho, Luis Fabiano, Adriano, Fred, Vágner Love, Alexandre Pato und Elano trugen wesentlich dazu bei, dass das Interesse an der einheimischen Liga zunahm. Wie lukrativ das brasilianische Fußball-Business für Sponsoren ist, mag eine Zahl belegen: Flamengo Rio de Janeiro und Corinthians São Paulo, die beiden populärsten Vereine des Landes, wissen je 30 Millionen Anhänger in ihrem Rücken.

Vor diesem Hintergrund ist die Titelseite der Zeitschrift TIME (→ Interview) zu sehen, die im Februar 2013 mit Neymar erstmals einen brasilianischen Sportler auf das Cover hievte. Der Titel zu einem Portraitbild von Neymar lautete: »Der neue Pelé«. Ergänzt wurde die Schlagzeile mit dem Untertitel »Wie die Karriere des brasilianischen Fußballstars Neymar die Wirtschaft des Landes erklärt«.

Tatsächlich ist die Hausse des brasilianischen Fußballs an die Entwicklung im Land gekoppelt. Seit der damalige Präsident Fernando Henrique Cardoso Mitte der 1990er Jahre mit dem Plano Real die Steuer- und Budgetkontrolle verbesserte und der Hyperinflation ein Ende setzte, sind in Brasilien alle Wirtschaftsampeln auf Grün gesprungen. Dank der Einführung einer neuen Währung konnte die Inflation binnen eines Jahres von 5000 auf 35 Prozent gesenkt werden. Seit 2003 sind 30 bis 40 Millionen Brasilianer von der Armut in die untere, konsumfreudige Mittelschicht aufgestiegen. Mittlerweile zählen rund 100 Millionen Brasilianer mit einem Einkommen zwischen 1200 und 5200 Reais (umgerechnet 450 bis 1560 Euro) zur nova classe media. Zusammen mit Russland, Indien und China zählt man Brasilien seit 2001 zu den BRIC-Staaten – Schwellenländer, die sich in einem Stadium fortgeschrittener Entwicklung befinden.

Ökonomen prophezeien Brasilien denn auch rosige Zukunftsaussichten: Vor der Küste wurden riesige Offshore-Vorkommen entdeckt, durch das die brasilianischen Erdölreserven von 14 auf bis zu 100 Milliarden Barrel (die gleiche Menge wie in Russland) ansteigen. Im Jahr 2011 hat das »Land der Zukunft«, wie es der Schriftsteller Stefan Zweig schon 1941 genannt hatte, bereits das Vereinigte Königreich als sechststärkste Wirtschaftsmacht gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) abgelöst. Den Aufstieg verdankte die Nation mit der Devise Ordem e Progresso (»Ordnung und Fortschritt«) im Wappen vor allem ihrem Reichtum an agrarischen und industriellen Rohstoffen.

Diese Konstellation birgt jedoch auch Risiken: Denn die Preise für Rohstoffe können ebenso schnell sinken, wie sie gestiegen sind. Als in China die Nachfrage abnahm, bekam Brasilien seine Abhängigkeit vom Rohstoffexport umgehend zu spüren. Konnte die Wirtschaftsleistung 2010 noch um 7,5 Prozent zulegen, so sank das Plus 2011 auf 2,7 Prozent und 2012 auf magere 0,9 Prozent. Gleichzeitig stieg die Inflation wieder an und vermieste den gerade erst in die Mittelschicht aufgestiegenen Menschen ihren neuen Wohlstand.

Verschärft wurde die Krise am Amazonas durch den Umstand, dass Brasilien in Sachen Produktivität noch großen Aufholbedarf hat: In der Liste der wettbewerbsfähigsten Länder der Weltbank liegt es auf Platz 53 von 144. Ein Hemmnis ist auch die Bürokratie: in Brasilien müssen die Unternehmen 2600 Arbeitsstunden im Jahr für die Steuererklärung investieren – in Deutschland sind es »bloß« 215. Dazu kommen die Custo Brasil, also die typischen Kosten, die beim Geschäftemachen in Brasilien entstehen. »Korruption spielt immer noch eine Rolle, und Investitionen in die Sicherheit von Produktionsanlagen und Mitarbeitern sind teuer«, resümiert die FAZ.

Der zweiwöchige Proteststurm, der im Juni 2013 während des (→) Confederations Cup wie aus dem Nichts über das Land fegte, war der nachdrückliche Beweis dafür, dass sich in weiten Teilen der Bevölkerung (→ Volk) trotz einer Dekade der Prosperität viel Frust aufgestaut hat. Was als Aufstand gegen die Erhöhung der Nahverkehrspreise im 20-Millionen-Einwohner-Moloch São Paulo begann, weitete sich zu Unmutsäußerungen gegen all das aus, was in dem aufstrebenden Schwellenland verkehrt läuft. Korruption, Ärztemangel, ein schlechtes Bildungs- und Gesundheitssystem und überlastete Infrastrukturen trieben Hunderttausende von brasilianischen Wutbürgern auf die Straße.

Um die Massen zu beruhigen, kündigte Staatspräsidentin Dilma Rousseff eine Reihe von Reformen an. Die Ökonomin stellte Veränderungen in Aussicht, die Brasilien nachhaltig umkrempeln werden – sofern sie denn umgesetzt werden:

–eine Steuerreform, die den öffentlichen Nahverkehr zur Priorität macht (bislang wurde vor allem die Produktion von Autos gefördert);

–mehr Transparenz bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Mandaten sowie ein neues Gesetz, das Korruption als »Schwerverbrechen« ahndet;

–sämtliche Gebühreneinnahmen aus der Ölförderung sollen ins öffentliche Bildungssystem fließen;

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