Afrikanische Europäer

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2 SCHWARZE MITTELMEERBEWOHNER Sklaverei und die Renaissance

Alessandro de’ Medici, der erste Medici-Fürst von Florenz, widersetzt sich den Auffassungen heutiger Europäer über das Florenz der Renaissance. Die meisten Studien, Filme und anderen Darstellungen der faszinierenden Familie Medici konzentrieren sich auf deren politische Macht und auf Geschichten über Rivalität und Intrigen. Sowohl die akademische Forschung als auch die Popkultur rücken verschiedene Aspekte aus dem Italien des 16. und 17. Jahrhunderts in den Vordergrund, insbesondere den Aufstieg zur Macht von Giulio de’ Medici, später bekannt als Papst Clemens VII. Die Geschichte von Alessandro nimmt in der turbulenten Historie der Familie Medici eine relativ bescheidene Position ein. Immerhin haben sich mittlerweile verschiedene Studien den Fragen von Reputation, Sexualität und race gewidmet, die diese aufwirft.

Wie John Brackett demonstrierte, lässt sich nicht bestreiten, dass Alessandro die Vorurteile seiner Zeitgenoss*innen über Afrikaner durcheinanderbrachte.70 Seine Mutter soll eine freie Afrikanerin gewesen sein, die in einem Dorf namens Colle Vecchio in der Nähe von Rom lebte. Über ihre ethnische Herkunft wird noch immer debattiert; von Alessandros Zeitgenossen wurde sie sowohl als moro (Maurin) als auch als schiava (Sklavin) beschrieben. Brackett behauptet, Alessandro sei nicht aufgrund der Hautfarbe seiner Mutter angegriffen worden, sondern wegen ihrer bescheidenen Herkunft.71 Eine Anzahl an Autor*innen haben sich jedoch auch an dem Nachweis versucht, sie sei gar nicht afrikanischer Abstammung gewesen. 1939 bestritt der italienische Autor Ugo Romagnoli, dass sie eine Maurin war, und beschrieb sie als weiße »östliche« Bäuerin namens Simonetta, die mit einem Kutscher verheiratet gewesen sei.72 Beide, so führt er weiter aus, hätten im Dienst von Alfonsina Orsini, der Ehefrau Piero de’ Medicis, gestanden. Romagnoli erwähnte auch, Alessandro sei Papst Clemens’ Sohn gewesen und habe seine Mutter vergiftet, um den Beweis für seine Herkunft zu vernichten. Allerdings war Romagnoli nicht in der Lage, den Ursprung von Alessandros Aussehen überzeugend zu erklären. Bis heute ist kein Text aufgetaucht, der die Herkunft seiner Mutter bestätigt.

Brackett nutzt Porträts von Alessandro, um zu zeigen, wie unterschiedlich sein Image und die Interpretationen seiner Herkunft waren. Eine nach 1553, nach seinem Tod, gemalte Miniatur aus Agnolo Bronzinos Werkstatt stellt Alessandro mit lockigem Haar und afrikanischen Gesichtszügen dar. In einem Porträt von 1585 aus der Werkstatt Girolamo Macchiettis ist er reich gekleidet, und seine Gesichtszüge ähneln stark der Darstellung in dem vorherigen Porträt. Allerdings zeigt ein Porträt von Giorgio Vasari aus dem Jahr 1534 einen Herzog, dessen Physiognomie eher der eines Mannes europäischer Abstammung entspricht, mit einer Adlernase und dünneren Lippen, auch wenn er immer noch lockiges Haar und braune Haut hat. Trotz dieser Unterschiede hält Brackett daran fest, dass die Ethnizität von Alessandros Mutter kein Grund für Angriffe gegen ihn gewesen sei. Eher habe es an ihrem Platz in der Gesellschaft gelegen sowie an den Behauptungen seiner Kritiker, er sei ein uneheliches Kind und außerdem »ein grausamer Tyrann, ein Monster und ein Mörder«.73

Alessandro de’ Medici starb am 6. Januar 1537, ermordet von seinem Cousin Lorenzino de’ Medici. Die Umstände, die dem Mord vorausgingen, sowie die Gründe dafür wurden nicht sofort verstanden. Selbst nachdem Jahre nach dem Mord Lorenzinos schriftliche Apologia veröffentlicht wurde, spekulierte man noch immer über seine Motive. Allerdings waren politische Morde im Italien der Renaissance häufige Erscheinungen. Wie Nicholas Scott Baker zeigt, reichten die Gründe von persönlichen Vendetten über Rache bis hin zu politischer Rivalität.74 Lorenzinos Apologia präsentiert ihn als einen republikanischen Verteidiger der Freiheit, dessen einziges Ziel darin lag, Florenz von einem angeblichen Tyrannen zu befreien. Der zu jener Zeit übliche »Vergeltungshumanismus« verhüllte oftmals die wahre Borniertheit und Eifersucht, die zu einem Akt der Gewalt gegen den Ehrverletzer führten. Die Entschuldigung galt in diesem Kontext der Tatsache, dass Alessandros Ermordung Florenz keinen Weg in eine rosigere Zukunft geebnet hatte. Es ging dabei nicht um Lorenzinos Reue, seinen Cousin ermordet zu haben, sondern um sein Überschätzen der positiven Auswirkungen auf das Gemeinwohl. Allerdings erfahren wir, dass seine Motive Wut, Eifersucht und Vergeltung waren.

Lorenzino entstammte jener Linie der Familie Medici, die deren herrschenden Zweig bei mehreren Gelegenheiten bekämpft hatte. Sein Vater hatte ihm nur wenig hinterlassen und er war auf das Wohlwollen reicherer Verwandter angewiesen. 1526 hatte Giulio de’ Medici, damals bereits Clemens VII., versucht, Lorenzino zu helfen, aber durch dessen leichtsinniges Verhalten entzog ihm der Pontifex bald wieder seine Gunst. Nach 1534 fand er einen neuen Unterstützer in seinem berühmten Cousin Alessandro de’ Medici. Allerdings behauptet Baker, trotz der Nähe der beiden jungen Männer seien Neid und Eifersucht nie weit gewesen. Die mangelnde Unterstützung für Lorenzino in einer finanziellen Auseinandersetzung mit einem anderen Cousin (Cosimo, der später Alessandros Nachfolger wurde) mochte zur Feindschaft gegenüber Alessandro geführt haben, die schließlich in Hass umschlug. Baker erscheint es somit als sicher, dass die Ermordung nicht aus irgendeinem politischen Motiv heraus geschah, ganz gleich, wie es die Apologia darstellte. Sie wurde heimlich begangen, und der Schuldige floh vom Tatort, ohne eine öffentliche Diskussion über seine Motive oder einen Regimewechsel zu verlangen. Die Ermordung Alessandro de’ Medicis war demnach kein Tyrannenmord, wobei auch zwischen seiner Ermordung und seiner Herkunft keine Verbindungen gezogen wurden. Entgegen Bracketts Argumentation scheint in diesem Fall eine Illegitimität der Geburt für Ressentiments gegenüber Alessandro keine Rolle gespielt zu haben. Immerhin war der mächtige Papst Clemens VII. vermutlich selbst ein uneheliches Kind gewesen. Die Frage nach der Herkunft taucht in Lorenzinos Bericht zwar auf, als er anzweifelt, ob Alessandro als Medici bezeichnet werden dürfe, aber mehr wird zu diesem Thema nicht geäußert.

Die Diskussion der Motive, die im Vordergrund der Untersuchungen zu Alessandros Moral und seinen sexuellen Ausschweifungen steht, ist nicht notwendigerweise begleitet von einer Berücksichtigung seiner doppelten Herkunft. Das politische Wirken des Prinzen wurde oftmals mit seinem privaten Verhalten verglichen. Alessandros unentwegte Suche nach Vergnügungen wurde nach den Sexualitätsnormen des 16. Jahrhunderts als unakzeptabel betrachtet. Als Mann mit Verantwortung erwartete man von ihm körperliche Zurückhaltung. Allerdings ist der negative Ruf des jungen Adligen möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass er von Clemens VII. gewaltsam an die Macht gebracht wurde. Die Familie Medici hatte Florenz 1527 verlassen müssen, erkämpfte sich jedoch ihren Weg zurück durch eine Belagerung, mit der sie die Stadt hungern ließ. Schließlich ernannte Clemens VII. Alessandro zum ersten Herzog von Florenz. Trotz Versöhnungsversuchen schwelte der Groll unter jenen, die während der Belagerung gegen die Medici gekämpft hatten.

Auch wenn von ihm finanziell unterstützte Personen Schilderungen von Ungeduld und mangelnder Großzügigkeit des Herzogs widersprachen, haben Historiker*innen ein relativ negatives Bild von Alessandro gezeichnet. Aber bei aller Widersprüchlichkeit der Berichte über die Eigenschaften, die der Herzog gehabt haben mochte oder nicht – Lorenzino bezichtigte ihn in der Apologia der Grausamkeit –, ähnelten sich doch alle Ausführungen, was sein sexuelles Verhalten betraf. Der Herzog wurde beschuldigt, unablässig Frauen jeglichen Hintergrunds nachzustellen, ohne sich darum zu scheren, ob er damit deren Ruf zerstörte. Diese Angewohnheit wurde missbilligt, da sie einen Missbrauch seiner Privilegien darstellte und seine Weigerung deutlich machte, sich den gesellschaftlichen Normen anzupassen. Die lüsterne Haltung des jungen Herzogs lässt die Machtlosigkeit der Frauen jener Zeit gegenüber der übergriffigen Aufmerksamkeit von Männern hervortreten. Alessandro war der mächtigste Mann in Florenz. Als solcher wurde von ihm erwartet, dass er die Florentiner sowohl finanziell als auch moralisch beschützte, Erwartungen, die er bei diversen Gelegenheiten brüskierte. Zu jener Zeit wurde in der Florentiner Gesellschaft auch über das Thema Vergewaltigung gestritten. Baker liefert ein bedeutsames Beispiel, das ein Licht darauf wirft, wie die Mächtigen in dieser Angelegenheit öffentliche Empörung auf sich ziehen konnten. Das Verhalten des Adligen Paolo Orgiano gegenüber Frauen entsetzte die Bevölkerung eines kleinen Dorfes, und trotz seines Standes, seines Reichtums und seiner Nähe zur Macht konnte er nicht verhindern, dass die Bewohner*innen vor Gericht gegen ihn aussagten. Baker notiert, dass nahezu hundert Menschen Bericht erstatteten und damit bewiesen, dass Ehre auch für Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter eine Kategorie von großer Relevanz darstellte.75

Die abwertende Einstellung vieler Florentiner Eliten gegenüber Frauen wurde von der widersprüchlichen Angst bestärkt, Frauen könnten zu viel Macht über ihre männlichen Gefährten besitzen und damit das Gleichgewicht gefährden, das der Gesellschaft Zusammenhalt verlieh, womit die männliche Identität in Gefahr geriet. Die gesellschaftlichen Normen jener Zeit äußerten sich in außerordentlich bornierten Ansichten über Männlichkeit. Zudem wurde von Männern des 16. Jahrhunderts erwartet, dass sie die Gesellschaft von anderen Männern vorzogen, wie Baker feststellt.76 Ein Mann, der übermäßig viel Zeit mit Frauen verbrachte, wurde als verweichlicht angesehen und verlor den Respekt seiner Zeitgenossen. Man argumentierte, die Tugenden, die einen guten Herrscher ausmachten, würden durch Promiskuität geschwächt – und das ließe sie wiederum ins Tyrannische kippen. Lorenzino sollte dieses Klischee eines schwachen, unkontrollierten und tyrannischen Mannes später im Kampf gegen seinen Cousin Alessandro nutzen.

 

Diese Vorstellung von Tyrannei wurde zusätzlich durch die Art und Weise gestärkt, wie Alessandro an die Macht gekommen war. Die Medicis kontrollierten Florenz seit 1434, wobei ihre Macht zahlreichen Angriffen ausgesetzt war. 1526 begann der Krieg der gegen die Macht der Habsburger gebildeten Liga von Cognac. Clemens VII. war fest entschlossen, den Kampf gegen Karl V. zu gewinnen. 1527 wurde die Familie Medici gezwungen, Florenz zu verlassen, auch wenn sie dort noch mehrere starke Verbündete hatte. Der Krieg gab Gegnern der Medici Gelegenheit zum Machtwechsel. Die Florentiner sahen die Familie zwar nicht unbedingt als autokratisch an, aber die Tatsache, dass die Macht sich so lange in den Händen einer einzigen Familie gebündelt hatte, ließ überzeugte Republikaner von ihr abrücken. Wie die Familie sich die Macht über Florenz zurückholte, gab ihren Kritiker*innen recht: Sie rissen die Kontrolle mithilfe der Armee gewaltsam wieder an sich, woraufhin Clemens VII. Alessandro als Oberhaupt der Stadt einsetzte.

Diese Elemente trugen zu Alessandros späterer Reputation als geborener Despot bei. In seiner Apologia versucht Lorenzino, im Rückgriff auf sie den Ruf jenes Mannes zu schädigen, der bei eigenen Ausschweifungen sein Gefährte gewesen war. Sein lasterhafter Lebenswandel wurde mit tyrannischem Verhalten in Verbindung gebracht. Die unterschiedlichen Bewertungen in der Korrespondenz zwischen Alessandros Zeitgenossen, von Gegner*innen bis zu Unterstützer*innen, ergeben ein heftig umstrittenes und meist widersprüchliches Porträt des jungen Herzogs. Jene Berichte, die am ehesten als unparteiisch zu werten sind, zeigen ihn als einen fähigen Herrscher, allerdings besorgte sein lüsternes Verhalten auch jene, die ihm dienten. Zu einer Zeit, als Florenz interne Spaltungen und Mordversuche erlebte und Putschs keine Seltenheit waren, erwies sich ein makelloses Bild in der Öffentlichkeit als besonders wichtig. Die meisten Florentiner hatten die Familie Medici bei ihrer Rückkehr willkommen geheißen, aber auch ihre Erwartungen an die Regierung waren gewachsen.

Alessandros Familie, darunter auch sein Nachfolger Cosimo I., waren fest entschlossen, seinen Ruf zu schützen. Cosimo wurde zum Betreuer von Alessandros Söhnen und sicherte deren gesellschaftlichen Status. Später, im Jahr 1548, soll er für Lorenzinos Ermordung gesorgt haben. Brackett zufolge empfand es die italienische Gesellschaft im 16. Jahrhundert, trotz gelegentlicher Abwertung von Schwarzen Afrikanern, nicht als angemessen, den Adligen Alessandro in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Ethnizität anzugreifen. Es gibt keine Aufzeichnungen von negativen Sichtweisen auf Alessandros doppelte Herkunft oder Ethnizität. Die Spekulationen über seine Abstammung hielten jedoch bis nach seinem Tod an.

Catherine Fletcher liefert eine faszinierende Analyse, wie race, Vorurteile und Vorstellungen von Überlegenheit rund um das Leben und die Abstammung Alessandro de’ Medicis hervorgebracht wurden. Alessandros Halbschwester Katharina, von 1547 bis 1559 Königin von Frankreich, scheint Lorenzinos negatives Urteil über den Herzog geteilt zu haben.77 So konnte man in einem Zeugnis über das Leben Katharinas aus dem Jahr 1564 Bemerkungen über Alessandros »maurische« Abstammung lesen, die hier als negativer Aspekt geschildert wurde.78 Am Ende des 16. Jahrhunderts beschrieb wiederum Cosimos Historiograf Scipione Ammirato Alessandro als jemanden mit den Gesichtszügen eines Mannes von gemischter Abstammung.79

Die Geschichte des Herzogs hat auch weit später Autor*innen angezogen. Alfred de Musset geht in seinem Theaterstück Lorenzaccio von 1834 nicht auf das Thema race ein, wohingegen andere Autor*innen sich auf die ethnische Herkunft, die körperlichen Merkmale des Herzogs konzentrieren. Colonel G. F. Young etwa liefert in seiner im Original 1909 erschienenen Abhandlung Die Medici einen Beitrag zu den im 19. und 20. Jahrhundert geführten Diskursen über race und Intelligenz, indem er dem Herzog aufgrund seiner Herkunft Eigenschaften wie Unfähigkeit und Brutalität zuschreibt. Die Art und Weise, wie Alessandros Geschichte dargestellt wurde, bietet einen interessanten Einblick in die Geschichte von race in Europa und den Vereinigten Staaten. Wie Fletcher bemerkt, zeigt beispielsweise Arturo Alfonso Schomburgs Artikel »Alessandro, First Duke of Florence, the Negro Medici« von 1931 wiederum, wie Schwarze Aktivist*innen historische Figuren nutzten, um ihre Community zu ermutigen, etwas über ihre Geschichte zu lernen und sich diese mithilfe von Literatur zu erschließen.80 Die heute bemerkenswerterweise vergessene Arbeit von Schomburg und anderen konnte jedoch die Debatte im Hinblick auf soziale Gleichheit und Gerechtigkeit nicht voranbringen. Tatsächlich löste Alessandros Abstammung mehr als vierhundert Jahre nach seinem Tod noch immer negative Kommentare aus, beispielsweise in Form von Georges-Henri Dumonts zweifelhafter Bemerkung zum Porträt Alessandros aus der Werkstatt Bronzinos, seine Verlobte »dürfte ihn als nicht besonders attraktiv empfunden haben«.81 Das Thema race ist ein Stein des Anstoßes geblieben, da Unsicherheit darüber besteht, ob man die afrikanische Abstammung des Herzogs ausradieren oder sie als signifikant für die negative Ausprägung seines Charakters ansehen sollte. Wie David Theo Goldberg notiert: »Bei Rassismus geht es um die Aufrechterhaltung der Konturen von Homogenitäten, um das Militarisieren ihrer Grenzen und das Patrouillieren an den Orten, an denen sie überschritten werden könnten.«82 Alessandro überschritt jene Grenzen und setzte sich über die Normen seiner Zeit hinweg. Auch scherte er sich scheinbar nicht um die Erwartungen an einen Herrscher, dessen Anderssein ihm hätte gebieten sollen, mit besonderer Zurückhaltung aufzutreten.

Die europäischen Ansichten über Schwarze Afrikaner waren im 15. und 16. Jahrhundert nuancierter, als man Jahrhunderte später annehmen würde. Im Italien der Renaissance spielte die Kirche für den Status afrikanischer Menschen eine entscheidende Rolle.83 Die Ankunft von Afrikanern in Europa bot ihr eine weitere Gelegenheit, das Evangelium zu verbreiten, was deutliche Auswirkungen auf die Bekehrungsdynamik der Schwarzen Bevölkerung hatte. Wie im vorigen Kapitel beschrieben, stellte man einen der Heiligen Drei Könige vermehrt als Schwarz dar.84 1425 verurteilte Papst Martin V. den Sklavenhandel. Der spätere Papst Nikolaus V. teilte diese Auffassung jedoch nicht und gestattete es den Portugiesen, bereits versklavte Afrikaner von nichtchristlichen Händlern zu kaufen. Papst Calixt III. gab den Handel 1456 für Portugal frei, und Alexander VI. gestattete ihn 1493 auch den spanischen Königen. Im Gegensatz dazu vertrat Papst Pius II. mit seinem 1462 ausgesprochenen Verbot der Versklavung Schwarzer Menschen einen anderen Standpunkt. Papst Paul III. trat in seine Fußstapfen und fügte 1537 indigene Bevölkerungen der Liste jener Menschen hinzu, deren Versklavung ungesetzlich sei. Paradoxerweise erlaubte Paul jedoch 1548 dem Kirchenstaat, Sklaven zu besitzen. Bei der betroffenen Schwarzen Bevölkerung handelte es sich um eine breit gefasste Kategorie, die Araber, Berber, Äthiopier und andere Menschen aus dem afrikanischen Kontinent mit einschloss. Die Sklavereirouten führten bis in den heutigen Tschad, mit Landwegen in Westafrika und im Niltal. Die gefangen gesetzten Bevölkerungen wurden zum Verkauf an die Sklavenmärkte in der Stadt Tripolis geschickt, deren Eroberung durch Spanien im Jahr 1510 den Transfer in die europäischen Hauptstädte zudem erleichterte.

Das religiöse Bekenntnis der Sklaven war für die Kirche von großem Interesse. Zu einer Zeit, in der sie darum kämpfte, ärmere Bevölkerungsteile speziell in ländlichen Gegenden zu bekehren, ging man dazu über, den Übertritt zum Christentum zu vereinfachen, wobei die Furcht, bereits christliche Bevölkerungsteile zu verlieren, die Kirche in Spanien gleichzeitig dazu brachte, das Zusammentreffen von versklavten Menschen und weißen Bauern möglichst zu regulieren. Die Jesuiten spielten eine wichtige Rolle bei der Umsetzung sowie generell beim Umgang mit der afrikanischen Bevölkerung im 15. und 16. Jahrhundert. Die Kirche versuchte, insbesondere mit den afrikanischen Monarchen in Äthiopien und Kongo Allianzen zu schmieden. Henrique, der ca. 1494 geborene afrikanische Sohn des konvertierten kongolesischen Königs Afonso I., wurde dafür nach Lissabon geschickt, wo er Theologie studierte und ein Kirchenamt anstrebte. 1518 ernannte Papst Leo X. ihn unter Zustimmung der Kardinäle zum Bischof von Utica in Nordafrika.

Währenddessen waren Vorurteile in Europa weit verbreitet, und der Widerstand gegenüber afrikanischer Integration, selbst nach der Annahme des christlichen Glaubens, wurde für die Kirche als Ganze zu einer Herausforderung. Vorstellungen über race, Rassialismus und Rassismus waren noch nicht so umfassend artikuliert wie später im 19. Jahrhundert, zirkulierten jedoch bereits und prägten das Leben von Afroeuropäern. Die Sklaven jener Zeit werden dabei oftmals als eine machtlose Gruppe dargestellt, die in ihrem täglichen Leben über keinerlei Handlungsvermögen verfügte. Debra Blumenthals Studien zeichnen dagegen ein vielschichtiges Bild dieser Lebensgeschichten am Beispiel von Valencia im 15. Jahrhundert. Ihr zufolge waren die Verkäufe von Sklaven, die in das Königreich gebracht wurden, reguliert und wurden mit an die Krone zu entrichtenden Steuern belastet. Der Wiederverkauf von Sklaven war hingegen anderen Regeln unterworfen, da es sich dabei um private Transaktionen handelte. Sklaven konnten bei ihrem eigenen Verkauf eine bedeutende Rolle spielen, insbesondere während der Vehandlung, die zwischen dem Käufer, dem Verkäufer und dem versklavten Menschen stattfand.85 Dem neuen Käufer wurde außerdem eine anfängliche Testphase eingeräumt, um zu sehen, ob er mit seinem Kauf zufrieden war. Diese Zeit konnten die Versklavten nutzen, um den Käufer zu vergraulen, indem sie Krankheit vortäuschten oder abschreckende Eigenschaften zur Schau stellten.86 Blumenthal zeigt ebenfalls, dass die an die Sklaven gestellten Ansprüche teilweise vom Geschlecht abhingen: »Kaufverträge über Sklavinnen […] mochten Klauseln umfassen, die den Käufern versicherten, dass die Sklavin menstruierte, oder die eine Verantwortung für die Unzüchtigkeit einer Sklavin zurückwiesen. Manche Verkäufer hielten fest, sie wollten nicht dafür haftbar gemacht werden, falls die Sklavin sich als Hure erwies.«87

Die alltäglichen Erfahrungen von versklavten Menschen in valencianischen Haushalten gingen stark auseinander. Die Geschichte von Ursola, einer Schwarzen Sklavin im Besitz eines Maurers namens Francesc Martínez, ist recht aufschlussreich.88 Ursola durfte für andere Leute als Wäscherin arbeiten und Geld verdienen. Sie hoffte, sich durch solche Aktivitäten ihre Freiheit erkaufen zu können. Sie bekam auch die benötigten 40 Lliures zusammen, aber ihr Besitzer behauptete, die Freilassungsklausel sei null und nichtig, da Ursola nicht mehr jeden Tag zurück in sein Haus gekommen sei, um für ihn Brot zu backen. Dieser spezielle Zusatz stand tatsächlich in Ursolas und Martínez’ Vereinbarung, und ihre Freilassung wurde unwirksam gemacht. Diese Geschichte mag anekdotenhaft erscheinen, aber sie zeigt, dass das Leben der Sklaven noch immer stark von der Macht ihrer Besitzer abhing. Sie konnten durchaus den Ruf ihrer Besitzer zerstören, alternativ aber auch dazu beitragen, deren Platz in der Gesellschaft zu festigen, und Lügen über ihre Feinde verbreiten. In jedem Fall waren sie nach wie vor unterjochte Körper, deren Leben bestimmten Regeln folgte, die sich oftmals entlang von rassifizierten Grenzen bewegten.

Goldberg zufolge standen die folgenden Jahrhunderte im Zeichen der Formulierung und Formalisierung von rassifizierenden Abgrenzungen und Theorien. So wurden im Europa des 15. Jahrhunderts Schwarze und weiße Sklaven unterschiedlich behandelt, auch wenn das Leben in Sklaverei unausweichlich durch verschiedene Formen von Gewalt geprägt war. Sosehr die einzigartigen Erfahrungen und historischen Entwicklungen jedes einzelnen Landes das Thema race beeinflusst haben, gibt es doch Gemeinsamkeiten, die die europäische Herangehensweise an race, Rassialismus und Rassismus charakterisieren. Nach Goldberg hat dieser europäische Ansatz seine Entstehungsgrundlage in »Netzwerken aus rassifizierender Konzeption und Bedeutung, aus rassifizierendem Wert und Macht«.89

 

Zurückgreifend auf das Werk von W. E. B. Du Bois und seine Untersuchungen zu Rassialismus, in denen er postuliert, Menschen erbten bestimmte differenzielle, aber nicht hierarchische sichtbare Merkmale, betont Kwame Anthony Appiah, es bestehe ein schmaler Grat zwischen Rassialismus und Rassismus. Entfernten wir bei der Betrachtung dieser Merkmale die sich von gleich zu ungleich bewegenden Elemente der Hierarchisierung, so seine Annahme, dann ergebe Rassialismus einen wertneutralen Begriff.90 George Fredrickson dagegen behauptet, bei Rassismus gehe es grundsätzlich um die Ungleichheit von verschiedenen Menschengruppen, deren sichtbare Merkmale (und angenommene dazugehörige Verhaltensweisen) als unter- oder überlegen angesehen werden.91 Goldberg befasst sich eingehend mit Fredricksons Arbeit und stellt die Annahme infrage, bei Rassismus gehe es notwendigerweise um Unterlegenheit und Ungleichheit. Dazu führt Goldberg an, im Fall des »rassifizierten Historizismus« habe sich der rassifizierte Paternalismus des 19. und 20. Jahrhunderts durchaus durch den Glauben ausgezeichnet, dass als unterlegen angesehene Afrikaner und Asiaten ihren Intellekt und ihr Verhalten durch Bildung verbessern könnten.92 Er kommt zu dem Schluss, dass Rassismus über Fredricksons Definition hinausgehe. Die rassistische Ideologie impliziere »im weiteren Sinne, rassifizierte Unterschiede rechtfertigten den Ausschluss der auf diese Weise Charakterisierten von dem Aufstieg in das Reich von Protektion, Privilegien, Privatbesitz oder Profit. Kurz gesagt geht es bei Rassismus um Exklusion durch Herabsetzung, intrinsisch oder instrumentell, überzeitlich oder zeitgebunden.«93

Sergio Tognettis Analyse des Handels mit Afrikanern im Florenz des 15. Jahrhunderts zeichnet ein detaillierteres Bild vom Status der Versklavten.94 Zu dieser Zeit waren wohlhabende Familien in Zentral- und Norditalien vor allem daran interessiert, Frauen für häusliche Arbeiten zu erwerben. 15- bis 25-jährige Arbeiterinnen wurden bevorzugt, wobei die Frauen zumeist aus Osteuropa, dem heutigen Russland und Zentralasien stammten. Mit der Eroberung Konstantinopels in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts veränderten sich die Herkunftsländer dieser Arbeiterinnen, die nun hauptsächlich aus Afrika importiert wurden. In Süditalien kauften Christen versklavte Menschen vor allem von arabischen Händlern, und die Sklavenhalter erwarben meist Männer, um diese auf den Feldern und Höfen einzusetzen.

In Florenz wurde der Handel von dem mächtigen Bankhaus Cambini beherrscht, das zwischen 1420 und 1482 operierte. Auch wenn es nur relativ kurze Zeit Bestand hatte, übernahmen andere seine Methoden und Lieferketten. So lernen wir etwa aus einem Kontoauszug von Giovanni Guidetti, einem von Cambinis Handelsvertretern, dass er drei junge Mädchen erworben hatte. Nicht nur musste er für die nackt Eingetroffenen Kleidung erwerben, er bezahlte auch für jede von ihnen einen anderen Preis. Isabell war Schwarz, schien aber eine hellere Haut gehabt zu haben als die anderen, weshalb er 8500 Reales (bis 1864 die spanische Währung) für sie aufbringen musste. Barbera und Marta, die einen dunkleren Hautton hatten, kosteten ihn jeweils 7500 und 6500 Reales. Die Mädchen waren getauft worden, wurden aber dennoch in die Sklaverei verkauft.95 Andere Vertreter und Geschäftsmänner traten in seine Fußstapfen. Einer der wohlhabendsten Sklavenbesitzer, den Florenz je hervorbrachte, war Bartolomeo Marchionni. Er arbeitete für die Bank Cambini zunächst als Lehrling, dann als Vertreter und zog in den frühen siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts nach Lissabon. Aufzeichnungen aus Lissabon zeigen, dass Marchionni zwischen 1493 und 1495 1648 versklavte Menschen sein Eigen nannte. Zwischen 1489 und 1503 schickte er 1866 Afrikaner ins Königreich Valencia.96 Diese Aufzeichnungen belegen das Ausmaß der Verbindungen, die zwischen Spanien und Italien bestanden. Außerdem demonstrieren sie, dass der Sklavenhandel für einige Männer, die in Südeuropa ein Netzwerk aus Angebot und Nachfrage geschaffen hatten, ein lukratives Geschäft war. Die Frage nach der Hautfarbe und nach dem Wert, der versklavten Menschen zugeschrieben wurde, war zu diesem Zeitpunkt in italienischen Gesellschaften bereits etabliert. Daher kann man annehmen, dass die Herkunft von Alessandros Mutter wohl doch von Bedeutung war und während seiner Regierungszeit eine Rolle bei der Wahrnehmung des Herzogs durch seine Zeitgenossen gespielt haben dürfte. Auch scheint es, dass Alessandro als Herzog von Florenz aufgrund seines Status und der Furcht seiner Gegner vor einer Verbannung ins Exil keine Kenntnis dieser Ansichten gehabt hat.

Die Afrikaner aus dem Norden, dem Westen und dem Osten des Kontinents nutzten bereits Jahrhunderte vor der Ankunft der Europäer gut ausgebaute Handelsnetzwerke. Die interne Sklaverei in den afrikanischen Königreichen gehörte wie auch in Europa zur selben Zeit zu den mannigfachen Formen des Austauschs zwischen Händlern, Entdeckern und Seefahrern. Dennoch weisen gegenwärtige Debatten mit Recht darauf hin, dass sich die Arten der Unterwerfung auf dem Kontinent zu jener Zeit unterschieden und dass es historisch ungenau wäre, sie alle unter dem Begriff »Sklaverei« zusammenzufassen. Die ersten Aufzeichnungen europäischer Präsenz in Afrika südlich der Sahara reichen zurück bis ins 15. Jahrhundert. Geschichten über Begegnungen von Afrikanern und Europäern zwischen 1488 und 1498 basieren auf den Reisen von Seefahrern wie Bartolomeu Dias und Vasco da Gama. Die portugiesischen Monarchen waren auf der Suche nach Gold, um ihre politische und kommerzielle Hegemonie in Europa zu stärken. Um diese Ziele zu erreichen, versuchten sie, zu neuen Ländern vorzustoßen und diese zu erobern. Über neu entdeckte west- und ostafrikanische sowie arabische Seewege etablierten die Portugiesen ferner Partnerschaften mit westafrikanischen Höfen. In dieser Hinsicht überschneidet sich die im 15. Jahrhundert beginnende Geschichte der transatlantischen Sklaverei mit der Geschichte der Araber und den Ereignissen während der sogenannten Reconquista.

Die muslimische Besetzung der Iberischen Halbinsel führte zu Kriegen, die von 718 bis 1492 andauerten. Die Zeit der Reconquista, der Rückeroberung der von den Christen beanspruchten Gebiete, resultierte in komplexen Erzählungen von Kollaboration, Krieg und Konversion. Um effizient gegen das letzte muslimische Königreich Granada anzukämpfen, wurden die Königreiche von Aragón und Kastilien 1469 durch die Heirat von Isabella I. und Ferdinand II. vereint. Nachdem Granada 1492 zurückerobert worden war, setzten die brutalen Inquisitionsprozesse ein, die darauf abzielten, Muslime zum Übertritt zum Christentum zu zwingen. Einwohner*innen Granadas, die jüdischer oder maurischer Abstammung waren und ihrer Tradition nicht abschworen, wurden vertrieben oder ermordet.

Als der Gelehrte und Dichter Juan Latino geboren wurde, war die Beziehung zwischen Nordafrika, Spanien und Portugal geprägt von Misstrauen und Gewalt. Der muslimische Einfluss in Europa ist breit erforscht worden, häufig allerdings im Hinblick auf den Wissensaustausch und im Zusammenhang mit den Kreuzzügen. Cedric J. Robinson stellt fest:

Der Islam, ein Glaube, der eine multiethnische Zivilisation mit Menschen aus Arabien, Afrika, dem Nahen Osten, dem Osten und Südeuropa umfasste, wurde durch seine Armeen bekannt. Und Afrikaner waren in seinen Armeen von Beginn an prominent vertreten. […] Afrikaner hatten in den vorislamischen arabischen Kriegen gekämpft, und innerhalb des 1. Jahrhunderts der islamischen Ära (dem christlichen 7. Jahrhundert) war ihre Präsenz in den Königreichen Europas bereits bekannt.97