Zwischen meinen Inseln

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Brisbane, 21. Mai 1915

Alles ist gepackt. Es sind zwei kleine Taschen, die ich ebenfalls neu gekauft habe, weil ich nur Koffer für eine lange Reise besitze. Ich gefalle mir. Ich habe für jeden der vier Tage, die wir in Redcliffe bleiben, eine andere Kombination aus Kleidern, Röcken und Blusen. Die Sachen sind noch nicht einmal alle neu, ein Entschluss, den ich nach langem Überlegen getroffen habe. John wird mich in einer halben Stunde abholen. Er hat angekündigt, mit einem Automobil zu kommen. Wir werden gut zwei Stunden nach Redcliffe brauchen. Bevor ich mich endgültig fertigmache, schreibe ich diese letzten Zeilen in mein Büchlein. Wenn ich das nächste Mal die Feder in die Hand nehme, werde ich schon wissen, wie der Besuch bei Johns Eltern verlaufen ist.

Brisbane, 1. Juni 1915

Am Mittwoch war ich wieder zu Hause. Dann musste Vater nach Perth reisen, wo er sich noch immer aufhält. Dann bin ich am Montag in eine Prüfung gegangen, die ich schon fast verdrängt hatte. Das Wochenende habe ich mit Lernen verbracht, das heißt nicht ganz, am Sonntagnachmittag hat John mich wieder ausgeführt und er hat mir sogar erzählt, was seine Eltern über mich gesagt haben. Ich weiß nicht, ob er mich anflunkert. Seine Mutter fand mich entzückend, aber John hat natürlich übertrieben. Sein Vater mag mich, was ein großes Kompliment sein soll. Johns Schwestern haben ihr Urteil über mich noch nicht abgegeben, weil John sie seit Pfingsten nicht wiedergesehen hat. Alles in allem habe ich mich in Redcliffe gut benommen und Tom natürlich auch. John hatte tatsächlich ein Automobil und es war das erste Mal, dass ich in einem solchen Vehikel gefahren bin. Natürlich bin ich schon oft im Omnibus gefahren, aber ein Automobil ist noch wieder anders, die Insassen sind der Straße näher, wobei wir nicht immer auf richtigen Straßen fahren konnten. Redcliffe ist ein Dorf, mit einem kleinen Hafen, in dem ein paar Fischerboote liegen. Noch etwas außerhalb von Redcliffe, mit Blick aufs Meer, besitzen die Altsmiths ein Grundstück mit einem Landhaus darauf. Der Bau ist nicht prachtvoll, sondern eher gemütlich. Es ist wohl kein Anwesen, auf dem hohe Gäste empfangen werden oder gar elegante Feste stattfinden. Es ist etwas für die Familie, wenn sich die Familie trifft, sich zurückziehen möchte, von den Geschäften und der Großstadt. Genau dieser Umstand hat es mir sehr leichtgemacht. John hat mich in seine Familie eingeladen, ganz privat. Es war zwar alles sehr würdig, aber nicht gezwungen. Eine weitere Sache hat es mir zusätzlich einfach gemacht. Ich wusste ja, dass die Altsmiths zahlreich sind, und hatte auch gehofft, dass Tom und ich uns ein wenig dahinter verstecken könnten. So war es dann auch. Ich überlege. Emilia und David haben drei Jungen, Caroline und Fred zwei Jungen und zwei Mädchen und Fabiola und Carl haben eine Tochter. Die Kinder sind im Alter zwischen fünf und vierzehn. Die beiden älteren Mädchen haben sich die ganzen vier Tage um Tom gekümmert, mit ihm gespielt, als wäre er ein Bruder oder Cousin. Nach unserer Ankunft wurden wir der Familie zunächst vorgestellt. Mr. und Mrs. Altsmith waren sehr höflich und haben mir überhaupt nicht das Gefühl gegeben, als sei ich die Sensation des Tages, die Frau, die der Sohn in das Haus der Eltern mitbringt. Dabei fällt mir ein, dass ich mich beinahe noch blamiert hätte. Johns Vater hat mein Kleid gelobt, mein elegantes Auftreten. Es war natürlich nur aus Höflichkeit, weil es sich so gehört. Ich musste aber sofort an ein Zitat aus Zolas Rougon-Macquart denken. Dort wurde eine Dame auch ihres Kleides wegen gelobt und sie hat geantwortet, dass sie darunter ein noch viel Schöneres tragen würde. Dies ist mir sofort eingefallen, als Johns Vater sein Kompliment machte und ich musste mich beherrschen, nicht zu lachen und albern zu werden. Es war die einzige heikle Situation und ich habe mich ansonsten wohl recht gut benommen. Es war auch von Vorteil, dass John nur Schwestern hat, besonders mit Fabiola habe ich mich gut verstanden. Sie ist nur drei Jahre älter als ich. Unsere Ankunft, am späten Nachmittag, und das Kennenlernen von Johns Familie, ließ den Freitag schnell vorübergehen. Noch vor dem Abendessen wurden die Zimmer verteilt. Tom und ich waren im Gästeflügel des Hauses untergebracht, in dem auch alle Kinder und Fabiola und Carl ihre Schlafzimmer hatten. Mr. und Mrs. Altsmith, John und die anderen hatten ihre Zimmer im Hauptflügel des Hauses. Das Wochenende und auch der Montag und Dienstag waren sehr unbeschwert. Ich war natürlich keine Minute mit John allein, dafür habe ich viel Neues über ihn erfahren, Dinge, die John mir selbst bestimmt nicht erzählt hätte. Ich kenne jetzt jeden Unfall, jeden Knochenbruch, den John jemals in seinem Leben hatte. Ich weiß, dass er als Kind sehr trotzig war und geweint hat, wenn die Gouvernante ihm die Haare scheiden wollte. Ich habe sogar einige Fotografien gesehen, die John als Kind zeigen. Besonders gut hat mir eine Aufnahme gefallen, auf der die ganze Familie Altsmith zu sehen war. John und seine Schwestern waren noch Kinder und Mr. und Mrs. Altsmith sahen deutlich jünger aus als heute. Das Pfingstfest und die Begegnung mit seiner Familie haben mich John ein ganzes Stück nähergebracht. Ich möchte jetzt und heute nicht darüber nachdenken, was aus mir und John noch wird, aber ich fühle mich glücklich, wenn ich an ihn denke.

Brisbane, 10. Juni 1915

Aus Europa hören wir von den ANZAC-Truppen und dem Versuch, die Halbinsel Gallipoli zu erobern. Es hat leider schon große Verluste gegeben, aber die Verbündeten sind voller Hoffnung, die Osmanen zu besiegen.

Brisbane, 23. Juni 1915

Ich glaube John und ich sind jetzt ein Paar. Ich habe nicht die Erfahrung, zu unterscheiden, ob wir nur befreundet, eng befreundet, oder schon ein Liebespaar sind. Die Menschen hier in Brisbane verhalten sich natürlich anders als auf Ua Huka. John hält immer meine Hand, wenn wir spazieren gehen und er küsst mich, wenn wir uns begrüßen oder verabschieden. Obwohl ich schon einmal verliebt war, ist es mit John etwas ganz Neues und darüber bin ich auch sehr froh. Ich bin jetzt einfach nur glücklich, immer wenn ich mit John zusammen sein kann. Ach, ich komme mir so albern vor. Ich kenne John jetzt ein halbes Jahr, ein ganzes halbes Jahr. Für mich ist es lang genug, um einen Menschen kennenzulernen. Ich weiß, dass ich John lieben kann, wenn auch er mich liebt, wenn auch er mich will, mich und meinen Tom. Es passt alles so gut, ich fühle es und genau das scheint der Grund für meine Bedenken, für mein Grübeln zu sein. Gefühle sind so wichtig, aber nur Worte geben Gewissheit. John und ich haben noch nie über uns gesprochen. Wie das klingt, über uns gesprochen, aber es sind die richtigen Worte, um unsere Situation zu beschreiben. Ich ärgere mich über meine Gedanken, weil ich jetzt sofort, wo ich diese Zeilen schreibe, daran denke, wie albern ich doch bin. Sechs Monate, ein halbes Jahr, ein Dutzend Treffen, ein einziger Familienbesuch. Was erwarte ich eigentlich, will ich alles kaputtmachen. Warum gebe ich uns keine Zeit, damit wir uns weiter prüfen können, ob wir wirklich zusammengehören. Was ich da denke, ist alles Unsinn, natürlich gehören John und ich zusammen, John, Tom und ich.

Brisbane, 5. Juli 1915

Ich war heute mit Tom wieder beim Doktor. Es ging um Toms Rücken. Wir könnten ihm für die Nacht ein Gipskorsett anfertigen lassen. Tom würde abends in dem Korsett festgeschnallt, um damit zu schlafen. Viele Kinder würden so etwas jetzt tragen, einige sogar auch tagsüber. Es kommt aus Amerika. Ich habe den Doktor gefragt, ob er in Amerika war und er hat mir erklärt, dass er es in einer Fachzeitschrift gelesen hätte. Ich bin mir nicht sicher. Ich bin doch auch frei aufgewachsen, ohne ein Korsett und Onoo erst recht. Ich möchte natürlich für Tom nur das Beste, aber ich denke wir lassen es. Der Doktor soll sich Toms Rücken alle paar Monate ansehen und dann können wir uns ja immer noch entscheiden.

Brisbane, 19. Juli 1915

Am Donnerstag habe ich John nicht gesehen, ich hätte ihm so gerne zu seinem Geburtstag gratuliert. Erst gestern haben wir uns getroffen, in einem Café. Ich habe die ganze Woche überlegt, was ich ihm schenken könnte und ob ich es überhaupt soll. Ich wollte aber unbedingt etwas mitbringen und so ist mir Tom zu Hilfe gekommen. Er hat ein Bild gemalt, ein wunderschönes Bild. Ich habe es in einen goldenen Rahmen gesetzt und fertig war das Geschenk. John war ganz überrascht. Er hat sich das Bild lange angesehen. Später hat er an einem Stand im Park eine Tüte Bonbons gekauft. Ich sollte sie Tom von ihm geben. Es hat mich nur gewundert, dass John sie ihm nicht selber bringen wollte, wo er mich doch sonst immer nach Hause begleitet. Gestern hat er mich aber nicht begleitet, gestern nicht.

Brisbane, 5. August 1915

Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe John vorgeschlagen, dass seine Eltern und mein Vater sich endlich kennenlernen. Natürlich haben wir kein so repräsentatives Haus wie die Altsmiths, aber ich dachte daran, dass Vater uns alle ins Chez Louis einlädt. Es soll ganz ungezwungen sein, ein Dinner, auf einem Sonntag, höchstens ein oder zwei Stunden. Ich habe bisher nur mit John darüber gesprochen. Er sagte, dass er mit seinen Eltern sprechen wolle. Irgendetwas kam mir an seiner Antwort merkwürdig vor. Natürlich muss er erst mit seinen Eltern sprechen, aber es hört sich so an, als ob er um Erlaubnis fragen muss. Ich weiß nicht, welche Reaktion ich von John erwartet hatte, ich weiß gar nichts. Vielleicht hätte Vater selbst die Einladung an John oder besser noch an Johns Eltern richten müssen. Ich kenne mich hier in Australien manchmal nicht richtig aus, oder liegt es nicht an Australien? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass John mir böse ist. Er wird seine Eltern fragen und am Ende sind alle meine Bedenken nichtig und es wird eine schöne Einladung, über die sich alle freuen.

 

Brisbane, 17. August 1915

Ich habe es gar nicht richtig gemerkt. Tom kann beim Sprechen ohne nachzudenken zwischen Französisch und Englisch wechseln. Vater hat von Anfang an fast nur auf Französisch mit ihm gesprochen, ich dagegen meistens nur Englisch. Ich habe es unbewusst gemacht, denn Vater und ich reden ansonsten auch nur auf Französisch miteinander. Es ist auch lustig, wenn Tom Mrs. Lovegrove erst auf Französisch anspricht und er dann merkt, dass sie es nicht versteht. Er wiederholt es dann wie selbstverständlich auf Englisch. Dabei mischt er auch manchmal Französisch und Englisch.

Brisbane, 26. August 1915

Jetzt bin ich mir meiner Gefühle nicht mehr sicher. Es ist genau drei Wochen her, dass John und ich über die Einladung gesprochen haben. Als ich vorgestern mit ihm reden wollte, ist er mir ausgewichen, er weicht mir ohnehin aus, seitdem ich das Thema aufkommen ließ. Seit Anfang August haben wir uns nur zweimal gesehen, Vorgestern und am letzten Sonntag. Mir ist es zunächst nicht aufgefallen und ich habe mir nichts dabei gedacht, aber jetzt weiß ich, dass John mir ausweicht, ich bin davon überzeugt. Er war es immer, der meine Nähe gesucht hat, der die Verabredungen geplant hat. Ich weiß nicht, was sich jetzt geändert hat. Ich denke über unsere Beziehung nach. Haben wir überhaupt eine Beziehung. Über Liebe haben wir nie gesprochen. Habe ich mir eingebildet, dass da mehr war, zwischen John und mir. Ich will auch nicht diejenige sein, die einem Mann hinterherläuft. Ich werde gar nichts mehr unternehmen, es ist an John, zu handeln. Vater war mir in diesen Tagen auch keine Hilfe, denn er ist erst heute von einer seiner Reisen zurückgekehrt. Er hat sich wahrscheinlich gewundert, dass ich ihm nicht geschrieben habe, aber ich war eben mit meinen Gedanken zu beschäftigt. Vater hat seinen letzten Artikel beinahe druckfrisch mitgebracht. Er hat einen kleinen Ort irgendwo im Landesinneren, in den Weiten von New South Wales besucht. Dieser Ort war bis vorgestern als Germantown bekannt, ein unhaltbarer Zustand, wo unsere Jungs in Europa gegen die Deutschen kämpfen und sterben. Ein gewisser Kapitän Holbrook hat jetzt seinen Namen gegeben und die Stadtväter haben ihren Ort umbenannt. Ich überlege gerade, dass es doch immer wieder Kriege geben kann und dann jede Stadt und jedes Dorf umbenannt werden müsste, wenn der Ortsname etwas mit den jeweiligen Gegnern zu tun hat. Vielleicht müssen sich auch jene Bürger umbenennen, deren Groß- oder Urgroßväter einmal aus Deutschland nach Australien eingewandert sind. Irgendwann ist der Krieg doch auch vorüber und wir werden wieder Gutfreund mit den Deutschen, dann kann Holbrook wieder Germantown heißen. Kurz vor Vaters Rückkehr kam ein Paket an. Monsieur Chazaud hat eine neue Kamera geschickt, ein ganz neues Modell der Brownie Balgenkamera. Vater hat sich dann auch in sein Zimmer zurückgezogen, um mit seinem neuen Fotoapparat zu spielen.

Brisbane, 6. September 1915

Eine Anwaltskanzlei hat mir einige Briefe zur Übersetzung gegeben, mein erster richtiger Auftrag. Am Anfang soll ich drei Briefe aus dem Französischen übersetzen. Wenn ich damit fertig bin, muss ein Anwalt der Kanzlei die Antwort schreiben, die ich dann wieder vom Englischen ins Französische übertrage. Über das, was in den Briefen steht, muss ich aber Stillschweigen.

Brisbane, 3. Oktober 1915

Es wäre genau die Zeit für ein Picknick auf dem Lande. Der Frühling breitet sich aus. Ich habe schon daran gedacht, nur mit Tom einen Ausflug zu unternehmen, nur wir beide allein, Mutter und Sohn. Vater ist auf einer Seereise. Er hat einen Auftrag, der ihn in das ferne Hawaii führt. Ich kenne Hawaii noch nicht, habe mir aber vorgenommen, es kennenzulernen. Es soll mich an Tahiti erinnern. Tom und ich werden Vater nächstes Jahr besuchen und dann mit ihm zusammen nach Australien zurückkehren. Warum ich nicht über John schreibe. Ganz einfach, es gibt nichts, was ich noch über John B. Altsmith schreiben könnte, keine albernen Liebesbezeugungen und auch keine Berichte über Ausflüge und Erlebnisse, die ich mit ihm hatte. John B. Altsmith hat sich vor mir versteckt, wochenlang. Er hat schon meine Nähe gesucht, aber nicht mehr mit der Intensität, wie er es zu Beginn unserer Bekanntschaft getan hat. Bekanntschaft, das klingt so distanziert und nichts anderes ist es mittlerweile auch. Wenn ich in diesem Büchlein einige Seiten zurückblättere, dann lese ich aus meinen eigenen Worten ganz andere Gedanken. Es ist vorbei. John B. Altsmith hat mir kein »Warum« genannt und ich habe ihn auch nie danach gefragt, es nicht zugelassen, dass er mich verletzt. Nur eine Sache ist geschehen. Ich habe Fabiola getroffen. Es war im Theater, dort wo ich an der Garderobe und als Platzanweiserin ein wenig Geld dazu verdiene. Die Begegnung war vielsagend. Fabiola hat mich erkannt und wir haben miteinander gesprochen, aber nicht so, wie damals im Haus ihrer Eltern, damals, als ich kurze Zeit zu ihrem Kreis gehörte, weil ihr Bruder mich mitgebracht hatte. Fabiola war so distanziert, so als wüsste sie mehr von dem, was ich nur ahne. Ich will nicht raten, was es ist. Ich will es einfach vergessen. Ich liebe John B. Altsmith nicht mehr, obwohl ich einmal sicher war, in ihn verliebt zu sein. Ich bin darüber hinweg und weiß, dass es in meinem Leben nur zwei Menschen gibt, die mich niemals enttäuschen werden.

Brisbane, 8. Oktober 1915

Es macht mir richtig Freude. Die Anwaltskanzlei hat mich wieder mit einer Übersetzung beauftragt. Es ist etwas schwieriger als beim ersten Mal, denn ich soll einen Brief ins Spanische übersetzen. Ich werde diesmal besonders sorgfältig arbeiten, um keine Fehler zu machen, schließlich habe ich Spanisch ja eben erst gelernt, so kommt es mir zumindest vor. Ich werde meine Formulierungen sorgfältig auswählen und die Wörterbücher und Übersetzungshilfen stark bemühen.

Brisbane, 10. Oktober 1915

Die Nachrichten sind zu mir gedrungen, obwohl es mir eigentlich egal sein könnte. Mich ärgert es nur, dass Fabiola mir nichts gesagt hat, nichts angedeutet hat, soviel Anstand hätte sie doch haben können. John ist nach Newcastle geschickt worden, weit fort von Brisbane und von der Gefahr, mir so schnell wieder zu begegnen. Sie wissen nicht, dass ich schon längst abgeschlossen habe, dass ich ihm nicht hinterherlaufen würde, es ja auch nie getan habe. Newcastle liegt sechzig Meilen von Sydney entfernt, im Landesinneren, und viele Hundert Meilen von Brisbane. Er soll nicht zu Besuch dort sein, sondern für länger bleiben. Sein Vater will, dass er den Aufbau eines Stahlwerkes überwacht und er soll dieses Werk später auch leiten. Ob John dazu in der Lage ist, spielt keine Rolle, wo seiner Familie doch die Minen und die Fabriken gehören. Ich spüre, dass John nicht freiwillig dorthin gegangen ist und genau dies weckt in mir ein eigenartiges Gefühl, ein Gefühl, das ich unterdrücken muss. Es ist nicht John, der sich mir entzieht, es ist die Gesellschaft, seine Familie, die über uns entschieden hat. Ich gebe zu, kurz daran gedacht zu haben, nach Newcastle zu reisen. Ich habe den Drang, John über seine Gefühle zu befragen. Bei diesem Gedanken habe ich den Kopf geschüttelt, so wie ich es auch jetzt mache, wo ich diese Zeilen schreibe. Nein, nein, es ist an John diesen Schritt zu unternehmen. Wenn seine Familie ihn so steuern kann, dann bin ich nicht in der Lage, ihn zurückzuholen, ich will es auch nicht, denn je mehr er sich von alldem beeinflussen lässt, desto weniger kann ich ihn lieben, desto mehr steht all dies zwischen uns und einer Zukunft. Ich bin froh, dass ich ihm hier in Brisbane nicht mehr über den Weg laufen werde. Noch ein Gedanke: Ich bin stur! Ich war auch mit Onoo stur, aber ich weiß, dass ich richtig handele, dass es immer richtig war.

Brisbane, 28. Oktober 1915

Mr. Fisher ist zurückgetreten und das mitten im Krieg. Es war daher eine gute Entscheidung, den bisherigen Außenminister Mr. William Hughes zum Premier zu wählen.

Brisbane, 10. November 1915

Ich habe jetzt schon den vierten Brief ins Spanische übersetzt und zwei Antworten vom Spanischen ins Englische. Bisher hat sich noch niemand über meine Texte beschwert und es sind wohl auch noch keine Missverständnisse aufgetreten. Ich bekomme immer mehr Übung. Ich wünschte beinahe, dass ich nun endlich auch Material in Holländisch und Portugiesisch bekäme. Die Anwaltskanzlei hat aber gerade einen Mandanten in Chile, ich denke so viel darf ich hier erwähnen, ohne meine Schweigepflicht zu verletzen.

Brisbane, 30. November 1915

Ich plane schon für Weihnachten, an Weihnachten ist Vater nicht bei uns. Wir haben das Weihnachtsfest immer gemeinsam verbracht. Diesmal ist es anders und es ist nicht tragisch. Tom hat schon voriges Jahr den ganzen Trubel um das Fest wahrgenommen. Er weiß was Weihnachten bedeutet und er wird sich auch diesmal auf seine Geschenke freuen. In Australien ist es üblich, die Geschenke am Morgen des ersten Weihnachtstages zu verteilen. Der Heilige Abend hat hier eine ganz andere Bedeutung. Tom kennt es nicht anders und wird es vorerst wohl auch nicht anders kennenlernen. Jetzt wo ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dass Tom eine australische Erziehung erhalten wird. Er wird in eine australische Schule gehen. Er ist Australier, schon von Geburt an, und kein Franzose. Natürlich spreche ich mit ihm Französisch und es ist wirklich immer lustig, wie Tom beide Sprachen miteinander vermischt. Onoo hätte ihm sogar noch eine weitere Sprache beibringen können. Plötzlich finde ich es schade. Ich nehme mir vor, Tom die wenigen Worte beizubringen, die ich von Onoo gelernt habe. Ich habe Onoos Sprache nur flüchtig gelernt, weil ich der festen Ansicht war, sie mit der Zeit immer besser und besser zu lernen. Diese Zeit ist mir aber nicht geblieben, sie ist uns nicht geblieben. Als es mit John B. Altsmith vorbei war, habe ich schon des Öfteren wieder an Onoo gedacht, obwohl es nicht richtig war und obwohl ich Onoo nicht mehr lieben könnte. Was wäre geworden, wenn Onoo mir damals nach Tahiti gefolgt wäre. Ich bin überzeugt, dann hätte es Brisbane für mich nicht gegeben, wo es mir doch heute so viel bedeutet. Ich schweife ab. Ich war beim Weihnachtsfest. Am zweiten Weihnachtstag haben Tom und ich bereits eine Einladung zum Lunch. Zu Silvester wird sich Mrs. Lovegrove um Tom kümmern, sodass ich wieder etwas Abwechslung habe.