Zwischen meinen Inseln

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Brisbane, 8. September 1912

Es ist Frühling in Brisbane. Vater ist jetzt viel unterwegs. Er hat sein Talent als Journalist entdeckt. Seine Artikel und Aufsätze werden vom Brisbane Courier angenommen. Es sind jede Woche zwei oder drei. Alles, was in Brisbane geschieht und was von Bedeutung ist, verkauft er dann zusätzlich noch an den Daily Telegraph nach Sydney, natürlich erst, wenn er es umgeschrieben hat. Der Telegraph veröffentlicht auch Fotografien und so hat Vater recht gute Einkünfte. Er hat auch schon angeregt, ganz nach Sydney zu ziehen. Die Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. Ich fühle mich in Brisbane wohl und verstehe mich so gut mit Mildred, dass ich sie bei einem Umzug nicht missen möchte.

Brisbane, 22. September 1912

Tom hatte vergangene Woche Fieber. Es war seine erste richtige Krankheit, aber er hat sich tapfer gehalten. Heute ist schon alles wieder vorbei. Ich bin mit ihm auch noch einmal zu meiner Hebamme gegangen. Sie sagte jedoch, dass nur ein Arzt Tom untersuchen dürfe. Sie hat mir dann aber noch ein paar Ratschläge gegeben, wenn das Fieber einmal wiederkommen sollte.

Brisbane, 30. September 1912

Ich habe mich nach einer Schule erkundigt. Ich würde gerne Sprachen studieren. Ich habe mich daran erinnert, wie ich vor ein paar Jahren auf Hiva Oa von einem Kapitän ein paar Worte Portugiesisch gelernt habe. Auch in Onoos Muttersprache konnte ich mich recht gut unterhalten. Vielleicht habe ich das Talent zu Sprachen. Ich will es mit Spanisch und Portugiesisch versuchen. Das Englische ist mir ja bereits zu einer zweiten Muttersprache geworden. Es gibt in Brisbane einige Colleges. Es sind Privatschulen, deren Unterricht bezahlt werden muss. Vater kennt meinen Wunsch und wird mich sicherlich unterstützen. Ich muss eine Schule finden, die nicht zu teuer ist. Ich spreche ja schon Französisch, was aus Sicht der Australier bereits eine Fremdsprache ist, aber das reicht natürlich nicht. Ich habe mich beraten lassen. Als Übersetzerin sollte ich in jedem Fall Spanisch und Portugiesisch sprechen können und Niederländisch, was mich zuerst gewundert hat, aber dann kam die Erklärung. Australien treibt schließlich auch Handel mit den holländischen Kolonialgebieten in Indonesien.

Brisbane, 12. Oktober 1912

In diesen Tagen wurde ein neues Gesetz verabschiedet. Australien hat immer noch sehr wenige Einwohner, aber die Regierung will dies ändern, indem es künftig ein Geldgeschenk für jeden neugeborenen Bürger gibt. Vater hat schon vor zwei Wochen über die Einzelheiten des Gesetzes berichtet und es sogar recht scharf kommentiert. Zunächst möchte ich feststellen, dass ich für Tom die ausgelobten fünf Pfund nicht erhalten werde, weil die Geburt einige Monate zu früh kam. Ich hätte das Geld gerne auf Toms neues Bankkonto überwiesen. Obwohl Vater und ich Franzosen sind und wie Vater betont auch bleiben werden, so habe ich doch zumindest meinen Sohn diesem Land geschenkt, denn Tom hat die australische Staatsbürgerschaft. Wir haben ihn aber auch in unserer Botschaft angemeldet, sodass er zu unserem Stolz auch Franzose ist. Mein Fall mag schon nicht ganz so gerecht sein, ist aber nichts gegen die Ungerechtigkeit, die den Ureinwohnern Australiens widerfährt, denn für sie gilt dieses Gesetz nicht. Sie erhalten kein Geld, obwohl sie es sicher sehr gut gebrauchen könnten. Vater hat dies angeprangert, zwar sehr moderat, aber er hat es verurteilt.

Brisbane, 15. Oktober 1912

In der Nacht ist Vater aus Queenstown auf Tasmanien zurückgekehrt. Er war einer der Ersten, die über die schwere Feuerkatastrophe in der Mount Lyell Kohlenmine berichtet hat. Ich weiß nicht, wie Vater es geschafft hat, so schnell dorthin zu kommen. Er ist mit dem Schiff vom Festland nach Tasmanien übergesetzt, mit der Loongana. In seinem Artikel berichtet er dann auch von diesem Schiff und seiner Mannschaft, weil sie es geschafft hat, in Rekordzeit nach Queenstown zu fahren. Die Loongana hat wichtige Ausrüstung nach Tasmanien gebracht, Beatmungsgeräte, mit denen die Feuerwehrleute in die verrauchte Mine erst eindringen konnten. Solche Geräte gab es nur bei den Minengesellschaften auf dem Festland. Die Loongana hat es gebracht und Vater hatte Glück, dass sie ihn mitgenommen haben. Vater hat dafür auch vor Ort, in Queenstown, geholfen. Er konnte wohl nicht viel tun, aber er hat mit angefasst.

Brisbane, 10. November 1912

Heute habe ich die letzte Lieferung aus der Buchhandlung geholt und auch noch das ausstehende Geld bezahlt. Der Zyklus Rougon-Macquart endet mit den Romanen »Der Zusammenbruch« und »Doktor Pascal«. Inzwischen habe ich alle Bände in Vaters Bücherregal eingestellt. Ich musste extra Platz schaffen. Wenn ich diese lange Strecke von Büchern sehe, glaube ich nicht, dass wir sie in einem Leben zu Ende lesen können. Das Vorlesen stockt ja auch immer, wenn Vater auf Reisen ist.

Brisbane, 25. November 1912

Vaters berufliche Aktivitäten weiten sich aus. Er kommt erst heute aus Melbourne zurück, wo er bei einer Zeitung vorgesprochen hat, dem Herald. Er war erfolgreich und konnte eine Geschichte verkaufen. In Zukunft wird er seine Artikel nach dorthin telegrafieren. Die Menschen interessieren sich dort unten anscheinend für das, was in Queensland geschieht.

Brisbane, 2. Dezember 1912

Es hat mir doch immer noch der Anfang des ersten Rougon-Macquart-Bandes gefehlt. Es sind gut achtzig Seiten, die ich jetzt für mich allein gelesen habe. Wie kann man einen Friedhof umgraben, wie kann man all die Toten aus der Erde holen, ihre Knochen einfach auf einem Haufen zusammenlegen und hinterher auf einem Karren fortschaffen. Vater sagt, dass dies auch in Paris üblich war, um Platz zu schaffen, für neue Häuser und Wohnungen. Die Gebeine der Toten wurden in den Katakomben gesammelt. Es gibt tatsächlich Höhlen unterhalb der Stadt Paris. Ich finde es schrecklich, in einem Haus zu wohnen, das auf einem ehemaligen Friedhof steht.

Brisbane, 17. Dezember 1912

Über die Ereignisse der letzten Monate habe ich den Brief längst vergessen. Vater hat es aber nicht vergessen. Er hat jetzt einen Zweiten geschrieben, den er nicht nach England, sondern an eine Adresse in Paris geschickt hat. Er hat sich auf dem Amt ein Postfach genommen, damit eine Antwort auch ankommt, falls wir in den nächsten Wochen hier in Brisbane umziehen. Ich weiß nicht, was ich von alldem halten soll. Auf den ersten Brief gab es keine Antwort und der Brief selbst ist auch nicht zurückgekommen.

Brisbane, 25. Dezember 1912

Die Perle, Onoos Perle, ich habe mir von Vater einen Anhänger mit Kette gewünscht und ihn jetzt bekommen, mein Weihnachtsgeschenk. Der Anhänger lässt sich aufklappen und die Perle steckt darin, sie wird von einem Bügel gehalten. In dem Anhänger ist sie von außen unsichtbar und sie soll auch unsichtbar sein. Ich hatte mir erst vorgestellt, die Perle einzufassen, aber solange Onoo nicht bei Tom und mir ist, solange lasse ich die Perle nicht frei. Ich kann sie mir ja betrachten, wann immer ich will.

1913
Brisbane, 9. Januar 1913

In diese noch frühen Tage des Jahres dringt eine interessante Meldung aus England zu uns herüber nach Australien. In Sussex, in der Nähe eines Dorfes mit dem Namen Piltdown, wurden Teile eines Skeletts gefunden, vermutlich die Überreste eines Menschen, aber keines Menschen aus unserer Zeit, auch nicht aus einer Zeit vor hundert oder zweihundert Jahren, sondern wohl sehr viel älter. Die Jahre sollen in die Tausende gehen, wie jene Zeitungen schreiben, die die Geschichte über Kabel aus England bekommen haben. Vater kann diesmal natürlich nicht vor Ort berichten. Er ist aber sofort in die Bibliothek gegangen und hat sich erkundigt. Es gab schon früher Entdeckungen, bei denen Knochen und Schädel gefunden wurden, die menschlichen Knochen sehr ähnlich waren und die ebenfalls unvorstellbar alt sind. Vaters Artikel ist dann auch sehr interessant, wie ich finde. Im letzten Jahrhundert wurde ein Skelett in einem Tal im preußischen Rheinland entdeckt. Ich frage mich nur, was die Kirche zu alldem sagt, wurde denn schon vor der heutigen Welt eine andere geschaffen, waren es vielleicht erste Versuche, einen Menschen zu erschaffen, der dann nicht gefiel und vergraben wurde, um etwas Neues zu beginnen.

Brisbane, 7. Februar 1913

Heute ist wieder der Siebte. Tom ist jetzt genau neun Monate alt. Seinen Vater habe ich am 1. September 1911 zuletzt gesehen und jetzt haben wir schon 1913. Noch vor ein paar Monaten hatte ich die Gelegenheit, Onoo die Geburt seines Sohnes mitzuteilen. Ich habe es verpasst, aber es lag nicht an mir. Jetzt ist es dafür zu spät und es wäre unehrlich es noch zu tun. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt will, dass Onoo jemals von Tom erfährt. Dann kommt es mir plötzlich in den Sinn. Auf den Marquesas wird es niemanden geben, der nach so langer Zeit noch glauben kann, dass Onoo Toms Vater ist. Es wird keiner glauben. Ich überlege weiter. Onoo wird nie von seinem Sohn erfahren, und wenn Onoo in den nächsten Jahren Kinder mit einer anderen Frau haben wird, dann erfährt auch Tom nie, dass er Geschwister hat. Eines ist nur klar, Tom ist Onoos Erstgeborener. Ich denke, das ist eine Bürde für einen Vater. Meine Gedanken sind natürlich Unsinn. Es wird der Tag kommen, an dem alle alles erfahren. Tom wird seinen Vater kennenlernen und Onoo seinen australischen Sohn.

 

Brisbane, 15. März 1913

Vater hat es gerade noch nach Hause geschafft, schließlich habe ich übermorgen Geburtstag und da darf er nicht fehlen. Vater kommt von einem Ort, dessen Namen ich mir wohl jetzt merken muss, er lautet Canberra. Ich habe mir nie Gedanken darübergemacht, wie die Hauptstadt Australiens heißt und ich bin mir sicher, schon gehört zu haben, dass es Melbourne sei. Dies ist natürlich nicht richtig, denn Australien ist ein Bund von Territorien. Brisbane liegt im Territorium Queensland, Sydney in New South Wales und Melbourne in Victoria. Brisbane hatte wohl nie den Anspruch, Hauptstadt zu sein. Dagegen gab es schon seit Langem einen Streit zwischen Melbourne und Sydney, und weil dieser Streit zu nichts geführt hat, wird jetzt eine ganz neue Stadt gebaut, in einem ganz neuen Territorium, das von New South Wales abgetrennt wurde und gemäß seiner Bestimmung den Namen Australian Capital Territory trägt. Der Bau der neuen Hauptstadt hat schon begonnen und wird noch lange, lange dauern, denn was eine richtige Hauptstadt ist, braucht viele Gebäude. Wie lange wurde an Paris oder London gebaut, Jahrhunderte? Ganz solange wird es mit Canberra nicht dauern. Getauft wurde Canberra dagegen bereits und Vater hat diesem Ereignis beigewohnt und sein Artikel hat mir erst mein neues Wissen vermittelt. So plant ein amerikanischer Architekt das Aussehen der neuen Stadt, weil er im Wettbewerb den besten Vorschlag gemacht hat. Dritter wurde immerhin ein Franzose, was mich wieder stolz macht, denn beinahe wäre Canberra eine französische Stadt geworden. Jedenfalls, wenn mich jetzt jemand fragt, wie Australiens Hauptstadt heißt, so nenne ich ganz sicher den Namen Canberra. Trotz allem hat Sydney ein wenig verloren, denn bis in Canberra die Gebäude für die Regierung, die Ämter und Behörden fertiggestellt sind, wird Melbourne Regierungssitz sein.

Brisbane, 18. März 1913

Es war schön, dass Vater an meinem Geburtstag nicht unterwegs war und wir ein wenig gefeiert haben. Heute ist er auch noch zu Hause und auch morgen, aber dann geht es gleich weiter nach Sydney. Auf der Post habe ich mir heute wieder einen Vorrat an Briefmarken gekauft, denn wenn ich nicht in diesem Büchlein schreibe, hinterlasse ich alles und alle Neuigkeiten in meinen Briefen, die ich Vater an die Zeitungen schicke, die auf den Reisen immer seine Stationen sind. Es funktioniert recht gut, denn Vater teilt mir immer genau mit, welche Städte er anfährt und wann er dort sein wird. So gehen meine Briefe diesmal erst nach Sydney und dann nach Melbourne, also eine kurze Reise, die aber dennoch zwei Wochen dauern wird, weil Vater auch gern aufs Land, zwischen diesen Städten fährt, um seine Geschichten zu sammeln. Ich schreibe natürlich auch, weil Vater dann zurückschreibt. Die zwanzig Briefmarken, die ich gekauft habe, werden für die nächsten drei Monate reichen. Seit einiger Zeit gibt es australische Marken, die mir sehr gut gefallen. Sie eignen sich nämlich sehr gut, einem Reisenden zu schreiben. Die Briefmarken zeigen den australischen Kontinent als Landkarte, mit einem Känguru darauf. Ich zeichne immer einen Punkt für Brisbane in die Briefmarke und einen Punkt für die Stadt, in die ich den Brief schicke. Dann verbinde ich die Punkte mit einer dünnen Linie. Wenn Vater jetzt nach Sydney reist, zeichne ich eine Linie von Brisbane nach Sydney, im zweiten Brief, der nach Melbourne gehen wird, zeichne ich wieder die Linie von Brisbane nach Sydney und zusätzlich noch eine von Sydney nach Melbourne. Dieses kleine Spiel beginnt erst wieder von vorne, wenn Vater auf eine neue Reise geht. Anfangs hatte ich befürchtet, dass meine Linien die Briefmarken ungültig machen, aber bisher hat sich die Post noch nie beschwert und es ist alles angekommen.

Brisbane, 5. April 1913

Die ersten Wochen und Monate in Brisbane haben wir noch von unseren Ersparnissen gelebt. Dann hat Vater immer mehr Beschäftigung gefunden und hat eigentlich immer sehr gut zu tun. Vater hatte dafür natürlich ein passendes Zitat: »Wenig Arbeit ist eine Bürde, viel Arbeit ist eine Freude«. Es stammt von Victor Hugo, dem Schriftsteller. Ich überlege, wie es mir ergeht, ich habe auch immer viel zu tun, ich muss Tom versorgen, und wenn ich erst einmal aufs College gehe, dann wird es sogar noch mehr. Ich hoffe nur, es stimmt dann auch noch, dass viel Arbeit eine Freude ist.

Brisbane, 17. April 1913

Vater hat vor ein paar Wochen die Bekanntschaft mit Monsieur Louis Hounier gemacht. Ich schreibe Monsieur Hounier und nicht Mr. Hounier, weil Louis Franzose ist, geboren in Bordeaux. Am Sonntag habe ich Monsieur Hounier ebenfalls kennengelernt. Ich darf ihn auch Louis nennen, darauf besteht er, und Tom soll Onkel Louis sagen, wenn er schon richtig sprechen könnte. Das Interessante an Onkel Louis ist, dass er ein Restaurant hat, direkt in der Innenstadt. Es ist sehr vornehm und bietet feinste französische Küche, so Onkel Louis Worte, und tatsächlich habe ich zuletzt auf Tahiti so gegessen. Leider bin ich selbst nicht in der Lage so gutes französisches Essen zuzubereiten. Das Restaurant ist eine der besten Adressen in Brisbane, das waren Vaters Worte. Er hat es natürlich im Beisein von Onkel Louis gesagt. Das Restaurant hat aber dennoch einen sehr schlichten Namen. Es heißt einfach nur »Chez Louis«, aber gerade das finde ich so passend. Wir gehen zu Louis, sagen die Leute, wenn sie bei Onkel Louis einen Tisch bestellen. Das Chez Louis hat aber auch eine australische Seele und die heißt Maggie, Louis Frau. Onkel Louis kocht und Tante Maggie führt das Geschäft. Während Tante Maggie die Kellnerinnen und Kellner antreibt und immer alles im Auge hat, lässt sich Onkel Louis nur selten blicken, er kommt nur dann aus der Küche, wenn besondere Gäste eingetroffen sind, um sie persönlich zu begrüßen. Seine weiße Jacke und auch die blaue Schürze sind dann immer ganz sauber, was mich zunächst gewundert hat. Heute war ich zum zweiten Mal im Restaurant und Onkel Louis kam wieder aus der Küche und hat auch Vater und mich begrüßt, er hat sich sogar für eine Weile an unseren Tisch gesetzt und einige der Gäste haben neugierig herübergesehen.

Brisbane, 7. Mai 1913

Tom hat heute Geburtstag. Er hat sogar eine Torte bekommen mit einer Kerze darauf. Ich fand die Idee zunächst albern, weil er die Kerze ja nicht selber auspusten kann, was eigentlich dazugehört. Mildred hat die Torte gebacken, und als sie schließlich fertig war, hat sie mit Zuckerguss Toms Namen darauf dekoriert. Ich fand es schon sehr schön. Ich habe mir vorgenommen, dass Tom jetzt jedes Jahr eine Torte bekommen soll, jedes Mal mit einer Kerze mehr und ich hoffe, dass er sie schon nächstes Jahr selbst auspusten kann. Ich werde es jedenfalls mit ihm üben, das Auspusten. Ich will, dass mein Sohn alles lernt, alles, was er braucht und auch die Dinge, die er nicht braucht, die einfach nur schön sind, wenn er sie kann.

Brisbane, 22. Mai 1913

Vater wird nächste Woche wieder verreisen. Ich wünschte oft, er wäre nur Lokalreporter und könnte in Brisbane den Stoff für seine Reportagen sammeln. Er schreibt jetzt schon für sieben Zeitungen und macht auch Fotografien zu seinen Berichten. Vater lernt auf seinen Reisen ganz Australien kennen. Zumeist hält er sich aber in den Städten der Südküste auf. Wenn er wieder einen Artikel veröffentlicht hat, bekommen wir die Exemplare nach Hause geschickt. Außerdem bekommen wir den Courier jeden Tag gratis geliefert. Ich lese daher jetzt viel und erfahre mehr über das Geschehen in der Welt.

Brisbane, 1. Juni 1913

Mit dem Geld hier in Australien komme ich jetzt schon gut zurecht. Ich erwische mich aber immer wieder dabei, wie ich in Francs umrechne. Ich bin dabei ganz fix und habe mit dem Franc-Betrag erst den richtigen Eindruck, was mich eine Ware kostet und ob ich sie mir leisten kann oder will. Wir haben jetzt auch eigene australische Banknoten, die im Wert weiterhin dem britischen Pfund gleichen, aber eben australisch sind. Durch meine Finger gehen am häufigsten die neuen Zwanzig-Schilling-Noten und die Ein-Pfund-Noten. Die Fünf- und Zehn-Pfund-Note sehe ich dagegen seltener und wechsele sie meist schnell in kleineres Geld ein.

Brisbane, 15. Juni 1913

Vater geht seit Monaten zum Postamt, um in seinem Fach nachzusehen. Es gab nichts. Es ist auch nichts aus Tahiti nachgesendet worden, bislang nicht und ich glaube auch nicht daran. Ich will nicht über die Gründe nachdenken und ich werde auch nicht mit Vater darüber sprechen, es sei denn, er möchte es von sich aus.

Brisbane, 8. Juli 1913

Mildred ist kaum ein Jahr bei uns geblieben. Ihr Abschied kam jetzt sehr plötzlich und dabei hatten wir uns doch so gut verstanden. Ich weiß nur, dass sie von nun an in einem Feinkostgeschäft als Verkäuferin arbeitet, oder sie wird dort zur Verkäuferin ausgebildet. Es ist immerhin ein richtiger Beruf und keine Aushilfsarbeit. Mildred hat mir aber versichert, sie könnte immer einmal vorbeischauen, wenn ich für Tom einen Babysitter brauche. Ich habe Vater gesagt, dass ich mich vorerst ums Haus kümmern werde, schließlich muss ich ja auch etwas tun, obwohl mir längst etwas anderes vorschwebt.

Brisbane, 23. Juli 1913

Tom hat schon seit einiger Zeit gebrabbelt und er hört auf seinen Namen. Vater ruft ihn immer und Tom dreht sich dann um und greift in Vaters Richtung. Heute hat Tom nicht einfach nur gebrabbelt, er hat klar und deutlich »haben« gesagt. Vater hatte ein Stück Apfel. »Mama« hat Tom aber noch nicht zu mir gesagt, mir wäre »Mama« lieber als »haben«.

Brisbane, 5. August 1913

Vater und ich haben fleißig gelesen und »Das Glück der Familie Rougon« in diesen Tagen beendet. Es ist ja der Einführungsband, dort wo der Leser die Personen der Handlung kennenlernt. Ich konnte mir nicht alle merken, nur die Hauptpersonen, von denen wir annehmen können, dass sie auch weiterhin vorkommen. Zwei Personen sind mir jedoch ans Herz gewachsen, die ich aber in den folgenden Bänden nicht mehr finden werde, weil Zola sie hat sterben lassen. Es sind die kleine, tapfere Miette und der heldenhafte Silvère. Ich habe so gehofft, dass ihre Geschichte weitergeht, aber Zola war sehr brutal zu ihnen. Miette stirbt im Kampf und Silvère wird auf böse Weise gerichtet, für eine Tat, die zwar schlimm ist, aber noch lange keine Selbstjustiz rechtfertigt. Die beiden waren in ihrer Liebe und dem Leid ihres Erwachsenwerdens so unschuldig. Ich habe Vater gefragt, ob die Zeit so war. Vater ist im Zweiten Kaiserreich geboren, aber sein Bewusstsein hat er erst in der Republik bekommen, wie er mir erklärt hat. Wir werden in den nächsten Tagen mit »Der Beute« beginnen, ich finde es wirklich schade, dass Miette und Silvère nicht mehr sind.