Zwischen meinen Inseln

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Brisbane, 28. Januar 1918

Vater hat sich vor zwei Tagen auf den Weg nach Mackay gemacht und sich jetzt von dort gemeldet. Der Sturm hat große Schäden angerichtet. Mackay war seit dem 21. Januar für mehrere Tage von der Außenwelt abgeschnitten und niemand wusste von der Lage dort. Vater berichtet von abgedeckten Dächern und überfluteten Straßen. Für all dies ist kein einfacher Sturm verantwortlich, sondern ein Zyklon, der sehr starke Winde und Regenfälle gebracht hat.

Brisbane, 5. Februar 1918

Vater ist jetzt auf dem Rückweg nach Brisbane in einem Ort namens Rockhamton angekommen. Die Unwetter der letzten zwei Wochen haben auch dort zu schlimmen Überflutungen geführt, obwohl Rockhampton nicht direkt an der Küste liegt. Der Fitzroy River hat die Wassermassen vom Meer her mitgebracht. Der Fluss soll einen Höchststand von über dreißig Fuß erreicht haben. Vater erwähnt noch die Orte Yeppoon und Mount Morgan in der Nähe von Rockhampton, in denen es ebenfalls große Schäden gegeben hat. Ich habe wie immer meinen Atlas zur Hand und schaue mir die Orte auf der Landkarte an.

Brisbane, 7. Februar 1918

Tom kann sich auf ewig daran erinnern, dass er an einem Donnerstag eingeschult wurde. Er hat im ersten Jahr eine Lehrerin, wo er sich doch so sehr einen Lehrer gewünscht hat. In der Vorschule waren auch nur Lehrerinnen. Einige Kinder aus Toms Vorschule gehen in seine Klasse. Wir haben auch gleich Jimmy, Keith und Paul mit ihren Eltern getroffen. Es gab heute nur eine Stunde. Die Mütter und Väter durften im Klassenraum bleiben. Mrs. Lovegrove hat uns begleitet und sie war auch ganz stolz. Es wurde heute nicht gleich unterrichtet. Die Lehrerin hat sich vorgestellt und dann musste jedes Kind ein Namensschild basteln. Die Namen wurden dann von der Lehrerin darauf geschrieben. Tom konnte seinen Namen natürlich selbst schreiben und mit ihm noch drei oder vier andere Jungen.

Brisbane, 12. Februar 1918

Ich bin froh, dass Vater noch rechtzeitig wieder von seiner Reise zurück ist. Wir feiern heute schließlich seinen sechzigsten Geburtstag und ich habe einiges vorbereitet. Heute Abend kommen Gäste, Onkel Louis und Tante Maggie, einige Kollegen von der Zeitung und ich habe auch Helen und Olga und die beiden Johns eingeladen. Wir sind zu zwölft und Vater weiß noch von gar nichts davon, es soll eine Überraschung werden. Ich muss mein Büchlein gleich verstecken, dass er am Ende nicht noch liest, was ich mir ausgedacht habe. Das ist natürlich Unsinn, Vater würde niemals in meinem Tagebuch lesen. Es ist jetzt kurz nach vier. In einer Stunde geht Vater mit Tom in die Stadt zum Eisessen, dann habe ich Zeit alles heimlich vorzubereiten. Ich werde zusammen mit Onkel Louis kochen. Ich freue mich schon so auf die Überraschung.

Brisbane, 27. März 1918

In Frankreich, bei einer Stadt namens Amiens sollen australische Truppen sehr tapfer und erfolgreich gegen den Feind gekämpft haben. Dann noch die Nachricht, dass Paris bombardiert wurde. Es ist so schwer, sich ein Bild von den Schlachten zu machen. Vater und ich haben den Atlas und ein Stück Transparentpapier genommen und die Orte eingezeichnet, an denen von Kampfhandlungen berichtet wird. Amiens und Picardie liegen ganz im Nordwesten Frankreichs, nicht weit von Belgien entfernt. Verdun wiederum liegt östlicher und südlicher. Zwischen Amiens und Verdun liegen geschätzte hundertundfünfzig Meilen, von Amiens nach Paris sind es wohl weit weniger als hundert Meilen. Mir scheint, es kann schnell passieren, dass Paris von den Deutschen überrannt wird, nicht jedoch, wenn Australier und Neuseeländer weiterhin so tapfer kämpfen.

Brisbane, 8. April 1918

Nach den Herbstferien ist Tom heute das erste Mal alleine von der Schule gekommen. Es ist ja nur eine halbe Meile Fußweg. An der Ecke hat er sich von Jimmy verabschiedet, der eine Straße weiter wohnt. Ich hatte schon fast eine halbe Stunde am Küchenfenster gestanden und auf Tom gewartet. Heute Morgen habe ich ihn noch zur Schule gebracht, aber am Montag wird er auch den Hinweg ohne mich machen. Jimmy wird ihn begleiten und unterwegs werden sie auch noch Paul auflesen.

Brisbane, 30. April 1918

Eine neue Stadt, eine neue Schlacht, in der das Australian Corps den Feind zurückgeschlagen hat. Villers-Bretonneux ist ein Flecken in der Nähe von Amiens. Ich habe Vater gefragt, ob er noch weiß, wie es dort aussieht. Vater erinnert sich an Wälder, Wiesen und Äcker und an Frieden, genau das waren seine Worte. Er erinnert sich aber auch an Festungsbauten bei Verdun und Fort Douaumont, ein Name, den ich in den Zeitungen jetzt schon öfters gelesen habe.

Brisbane, 11. Mai 1918

In den letzten Jahren haben wir Bilder von Kanonen, von Schlachtschiffen und manch anderem gefährlichen Gerät gesehen. Jetzt etwas ganz Neues für uns, ein Ding ganz aus Metall, mit langen, umlaufenden Ketten anstatt der Räder. Es wird Tank genannt und es ist eine neue Waffe, die den Krieg vielleicht beendet. Wenn Hunderte dieser Tanks über die Schlachtfelder fahren, wenn sie über die Schützengräben fahren, natürlich unverwundbar, das ist die Voraussetzung, so können sie tief hinter die Front gelangen. Nur, was ist, wenn auch die Deutschen solche Tanks haben, dann wäre es doch wieder unentschieden, dann bliebe doch wieder alles stehen.

Brisbane, 29. Mai 1918

Die Vereinigten Staaten stationieren ihre Truppen schon seit Anfang des Jahres in Frankreich. Bisher haben nur Franzosen, Kanadier, Engländer, Australier und Neuseeländer gekämpft. In Cantigny waren es jetzt die Amerikaner, die den Deutschen gegenüberstanden. Wir hoffen, es werden viele, viele Amerikaner geschickt. Eine solche Übermacht muss doch einfach siegen.

Brisbane, 1. Juni 1918

Dann hören wir von einem schlimmen Rückschlag. Die Menschen in Paris haben wieder Angst, denn der Feind hat es geschafft, Granaten auf die Stadt abzufeuern. Es soll Treffer gegeben haben.

Brisbane, 24. Juni 1918

In Australien ist der Absinth doch verboten. Ich sehe mir gerade die drei Flaschen an, die Onkel Louis im Februar zu Vaters Geburtstag mitgebracht hat. Eine Flasche haben wir auf der Feier gleich geöffnet und jeder hat mit einem Glas Absinth auf Vater angestoßen. Ich denke für den Hausgebrauch dürfen wir die Flaschen behalten. Onkel Louis hat noch ganze fünf Kisten davon im Keller und muss sie wohl irgendwie loswerden. Zum Wegschütten seien sie ihm zu schade, auch weil es sehr guter Absinth ist. Die angebrochene Flasche werde ich aber trotzdem in den nächsten Tagen ausgießen, Vater trinkt ohnehin nichts davon und ich ja auch schon gar nicht.

Brisbane, 12. Juli 1918

In den Winterferien hatte ich leider nicht sehr viel Zeit für Tom. Vater hat sich um ihn gekümmert. Ich muss mich an die Ferienzeiten gewöhnen und schon vorher etwas planen, einen Ausflug oder sogar eine kleine Reise. Am Nachmittag geht Tom immer mit seinen Freunden in den Park. Keith hat eine Angel und sein Vater beaufsichtigt die Jungen, wenn sie am Fluss sind. Vor ein paar Tagen soll Keith sogar einen Fisch gefangen haben. Ich muss an die Fischer von Ua Huka denken, an die Boote und wie der Fang verteilt wurde.

Brisbane, 27. Juli 1918

Vater und ich haben gestern einen Artikel gelesen. Es ging um die Moral der französischen Truppen. Die Oberbefehlshaber mussten Zugeständnisse machen, weil Verpflegung und Unterbringung der Frontsoldaten schlecht waren. Jetzt soll es wieder besser sein und im Innern herrscht nun Ruhe, sodass der wahre Feind bekämpft werden kann. Vater hatte natürlich ein Sprichwort für mich ist es geradezu ein Reim: »Elend wird vergessen, gibt's nur was zu essen«. Ich musste lachen, denn es scheint ja auch zu stimmen. Jetzt bin ich aber wieder ernst, denn man darf über diesen Krieg nicht lachen.

Brisbane, 15. August 1918

In allen Zeitungen findet sich eine Fotografie von General Monash. Er wurde zum australischen Helden auf den Schlachtfeldern Frankreichs und ihm wurde eine besondere Ehre zu Teil. King Georg persönlich hat ihn zum Knight Commander erhoben und das noch auf dem Schlachtfeld.

Brisbane, 1. September 1918

In Frankreich steht es für die Alliierten besser, ein Ende des Krieges soll aber noch nicht absehbar sein. Es gibt Stimmen, die meinen, der Stellungskrieg, dieses Kämpfen entlang einer festen Front, kann sich auch noch im nächsten Jahr fortsetzen.

Brisbane, 6. September 1918

In der Vorschule ist Tom nie gehänselt worden, doch jetzt haben einige Jungen entdeckt, dass er anders ist als sie. Es genügt dazu eine Kleinigkeit. Seine Haut ist dunkler als die der anderen Kinder und sein Gesicht trägt die Züge seiner marquesanischen Vorfahren. Es sind Dinge, auf die Tom stolz sein kann, doch das sehen nicht alle so. Er wurde gefragt, ob er aus dem Outback käme und ob er zu Hause auch Raupen essen würde. Tom hat mir das nicht selbst erzählt. Jimmy war es, der mir gleich davon berichtet hat. Er konnte auch die Jungen benennen, was aber nicht wichtig ist. Warum sollte ich mit ihren Eltern sprechen oder gar mit der Lehrerin. Tom steht nicht alleine da, Jimmy ist auf seiner Seite und auch Keith und Paul. Es steht vier gegen vier.

Brisbane, 14. September 1918

Es wird von australischen Heldentaten in Belgien und Frankreich berichtet. Wieder fällt der Name Monash, General Monash.

 

Brisbane, 24. September 1918

Am Wochenende habe ich Tom von Ua Huka und Nuku Hiva und von Tahiti erzählt und von den Menschen, die dort leben. Ich habe von den Bauern und Fischern erzählt, die auf winzigen Inseln inmitten eines riesigen Ozeans über alles herrschen. Ich habe Tom von der einen Hälfte seines Blutes erzählt und Vater dann von der anderen Hälfte, von den stolzen Franzosen, die überall auf der Welt ihre Kolonien besitzen. Tom kennt seine Herkunft ja bereits, aber es war wichtig, sie ihm jetzt noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Ich habe dann heute Nachmittag mit Toms Lehrerin gesprochen. Wir haben vereinbart, dass Tom in der nächsten Woche vor der Klasse über seine Herkunft berichten soll, über das, was er von Vater und mir gelernt hat. Tom soll vor seiner Klasse nicht mehr der Junge mit der dunklen Haut und den schwarzen Augen sein.

Brisbane, 2. Oktober 1918

Australische Truppen kämpfen auch am Mittelmeer und in Palästina. Die Stadt Damaskus wurde von ihnen eingenommen. Das Osmanische Reich scheint immer mehr an Boden zu verlieren. Wenn es doch jetzt auch nur in Frankreich ein Ende mit dem Kriege nähme.

Brisbane, 7. Oktober 1918

Australische Truppen erobern die Stadt Montbrehain. Ich habe nachgesehen, wo der Ort liegt und abgeschätzt, dass es gut hundert Meilen von Paris entfernt ist, sogar noch nördlicher als Amiens. Die Zeitungen schreiben seit einigen Tagen von einer Wende. Die Deutschen sind des Krieges müde.

Brisbane, 15. Oktober 1918

Ich komme eben aus Toms Schule. Mein kleiner Plan ist aufgegangen. Tom hat seinen Vortrag schon vor zwei Wochen gehalten, gleich nach den Frühlingsferien. Jetzt erfahre ich, dass jeder der Jungen ganz begierig die Geschichte seiner eigenen Familie vortragen will. Jeden Morgen erzählt ein anderer Junge, aus welchem Land oder welcher Stadt seine Eltern stammen. Die Lehrerin hat eine Weltkarte im Klassenraum aufgehängt und es werden Fähnchen auf die Orte geklebt und auf den Fähnchen steht der Name jedes Jungen. Tom wird in seinem Leben immer wieder auf Menschen stoßen, die ihn wegen seines Aussehens ablehnen oder ihn deswegen sogar angreifen. Es wird nicht immer so einfach zu lösen sein, wie mit den Kindern in seinem ersten Schuljahr.

Brisbane, 22. Oktober 1918

Die Zeitungen schreiben, der Deutsche Kaiser sei am Ende. Es ist bald mit einer Kapitulation zu rechnen. Es wird immer euphorischer, immer siegesgewisser. Ich frage mich nur, wann die Alliierten endlich ins Deutsche Reich einmarschieren, wo die Deutschen doch schon so lange in Frankreich und Belgien stehen.

Brisbane, 12. November 1918

Der Krieg ist zu Ende, mehr kann ich nicht schreiben, es sagt alles. Es ging plötzlich so schnell, mir kam es zumindest so vor, aber wir sind ja auch so weit, weit weg von allem.

Brisbane, 30. November 1918

Heute hatte ich eine schöne Begegnung, an einem interessanten, aber schmutzigen Ort. Wir haben uns heute das Kraftwerk unten am Fluss angesehen, dass Brisbane mit Strom versorgt, dort fand die Begegnung statt, die Begegnung zwischen mir und Mr. Pollock. Er arbeitet im Kraftwerk und ist für die elektrischen Anlagen zuständig für die vielen komplizierten Geräte. Unsere Gruppe war schon weitergeführt worden, als mir Mr. Pollock noch etwas erklärte. Ich muss gestehen, ich habe nicht viel verstanden, weil ich auch nicht richtig zugehört habe. Ich habe natürlich zugehört, dabei aber nur auf seine schöne Stimme geachtet und auf seinen konzentrierten Blick, der mich so angezogen hat. Am Ende habe ich gar nichts mehr von dem Kraftwerk gesehen, nur das, was mir Mr. Pollock gezeigt hat. Weil ich meine Gruppe hoffnungslos verloren hatte, musste ich am Empfang warten, bis die Führung zu Ende war. Mr. Pollock ist bei mir geblieben und wir haben Kaffee getrunken. Er ist erst vor Kurzem aus dem Krieg heimgekehrt, er war bei der Marine. Jetzt hat er wieder seine Stellung im Kraftwerk, wie auch schon vor dem Krieg.

Brisbane, 9. Dezember 1918

Mr. Pollock hat mich gestern Nachmittag in ein Café ausgeführt. Wir haben uns am Rathaus getroffen und sind dann erst etwas spazieren gegangen. Jetzt kenne ich auch seinen Vornamen, Jack. Wir sind aber beim Sie geblieben, wir kennen uns ja erst kurz. Ich weiß aber schon recht viel von ihm. Er ist zehn Jahre älter als ich, seine Eltern leben an der Küste außerhalb von Brisbane und er ist nicht verheiratet, war es nie. Ich habe ihm von Tom erzählt, warum auch nicht.

Brisbane, 13. Dezember 1918

Toms erste Sommerferien haben begonnen, ich zähle das Vorschuljahr nicht mit. Vater wird sich in den nächsten Wochen etwas Zeit nehmen müssen, er hat es aber auch versprochen. Für heute ist er allerdings entlastet, denn Tom ist vor einer halben Stunde mit Keith in den Park gegangen und sie treffen sicherlich auch Paul und Jimmy dort.

Brisbane, 16. Dezember 1918

Das Rathaus ist unser Treffpunkt, wie schon letzten Sonntag. Mr. Pollock hat gewartet, ich war etwas zu spät. Es war erst kurz nach eins und weil wir beide noch nicht gegessen hatten, sind wir in ein Restaurant gegangen. Jack wird schon am nächsten Wochenende zu seinen Eltern fahren und über Weihnachten bleiben. Auch wenn es nicht schicklich ist, wollte ich ihn dann an Silvester zum Ball einladen. Leider hat er über Neujahr in seinem Kraftwerk Dienst. Wir können uns daher wohl erst im nächsten Jahr wiedersehen.

Brisbane, 22. Dezember 1918

Ich habe für Vater noch ein spätes Weihnachtsgeschenk gefunden, ein Buch. Es ist auf Französisch, das wird ihn schon einmal freuen. Ich habe es aber auch genommen, weil auf dem Buchrücken die traurige Geschichte des Autors abgedruckt ist. Er hieß Alain-Fournier, einfach nur so, ohne Vornamen, und er ist gleich zu Beginn des Krieges gefallen. Der Roman soll im Frankreich der neunziger Jahre spielen, also zu einer Zeit, in der Vater auch noch dort gelebt hat. Ich hoffe, dass ihm die Geschichte gerade deswegen gefallen wird.

1919
Brisbane, 1. Januar 1919

Ich arbeite morgen nicht und auch nicht am Freitag. Es wird ein sehr langes Wochenende. Ich bin heute Morgen erst früh um vier nach Hause gekommen. Vater hat sich um Tom gekümmert, und wie ich ihn kenne, hat er Tom bis nach Mitternacht aufbleiben lassen und sie haben sich das Feuerwerk vom Garten aus angesehen. Die letzten Jahre haben wir es uns immer gemeinsam angeschaut, nur dieses Silvester bin ich auf eine richtige Party gegangen. Ich bin noch erschöpft. Wir haben getanzt und ich muss gestehen, ich habe auch getrunken. Um Mitternacht war ich etwas traurig, ich habe so gehofft, dass Jack, noch auf die Party kommt. Er hat es mir nicht versprochen, aber ich hätte geglaubt, dass meine Bitte Antrieb genug für ihn sein könnte. Es ist nicht so gekommen. Er hatte Dienst, in seinem Kraftwerk, das auch zu Silvester nicht stillsteht, um die Stadt mit Strom zu versorgen. Eigentlich hat Jack einen wichtigen Beruf. Er hat mir schon bei unserem ersten Treffen vor vier Wochen alles genau erklärt. Er ist so technisch und ich bin etwas stolz, dass ich einen richtigen Ingenieur kennengelernt habe, der an einer Fachschule studiert hat. Ich liebe es, wenn Jack sich für eine Sache begeistert. Er hat sich auch für mich begeistert, das habe ich gespürt, aber es fällt ihm schwer, seine Gefühle zu zeigen. Es liegt wohl daran, dass Jack die letzten beiden Jahre in einer Männerwelt gelebt hat. Er war im Krieg, bei der Marine, als Schiffsingenieur, als Offizier. Es wird Vater interessieren, dass Jack Offizier war. Aber noch werden sich Vater und Jack nicht kennenlernen. Ich kenne Jack ja selbst noch nicht richtig.

Brisbane, 11. Januar 1919

Jetzt habe ich doch den Meaulnes zuerst gelesen, noch vor Vater, wo es doch sein Weihnachtsgeschenk war. Ich musste mich beim Lesen schon konzentrieren, um die ganzen Beziehungen der Personen in diesem Buch richtig zu verstehen. Für mich war aber nicht allein die Handlung spannend, sondern das Frankreich, das ich ja nicht kenne und vor allem die Zeit, in der die Geschichte spielt, weil es auch die Zeit meiner Geburt war. Das Buch soll autobiografisch sein und Monsieur Alain-Fournier selbst sei dieser Meaulnes. Auf jeden Fall hat es ein tragisches Ende genommen, mit viel Schmerz und Tod. Es ist schade, dass es der einzige Roman von Monsieur Alain-Fournier sein soll, und es ist traurig, dass er keine mehr schreiben wird. Am Ende des Buches habe ich auch noch gefunden, dass Monsieur Alain-Fournier mit Vornamen Henri hieß.

Brisbane, 31. Januar 1919

Vater denkt über einen Ortswechsel nach. Es wäre nicht das erste Mal. Ich verstehe Vater nicht. Er ist ständig unterwegs, sieht ganz Australien und manchmal auch noch fernere Orte. Warum ist Brisbane jetzt nicht mehr gut genug. Wir diskutieren niemals über solche Dinge. Wenn Vater mit so etwas anfängt, dann stelle ich ihm nur Fragen und er ist hinterher zumeist einsichtig. Diesmal scheint es anders zu sein, diesmal ist es wohl ernster. Er hat nur noch eine Zeitung hier in Brisbane, die mit ihm zusammenarbeiten will. Es ist immer noch die Sache von damals auf Hawaii. Vater ist Korrespondent, natürlich ist er auch politisch, muss es sogar sein, wie er mir immer erklärt. Er war sein Leben lang unpolitisch, musste aber die Politik Frankreichs vertreten. Nicht dass es Vater jemals belastet hätte, damals, als er noch französischer Offizier war, aber in Australien hat er eine andere Stellung, ist er nicht mehr irgendeiner Regierung verpflichtet. Ich glaube nicht, dass Vater an Australien zweifelt. Wir haben über verschiedene Städte gesprochen. Sydney würde natürlich sehr schön sein. Ich war bereits einmal in Sydney. Es würde mir auch gefallen. Dann kenne ich noch Melbourne. Vater sprach auch über Canberra, aber ich habe nur gelacht. Ich bin noch immer davon überzeugt, dass die Regierung sich irgendwann doch noch anders entscheidet und Melbourne als Hauptstadt bestehen bleibt. In Canberra ist nichts und wird so schnell auch nichts sein. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dort einmal das Leben pulsiert, so wie hier in Brisbane. Ich weiß jetzt, dass Vater fortwill. Ich habe mich bereits daran gewöhnt, dass er die Hälfte des Jahres nicht in Brisbane lebt, nicht bei Tom und mir ist. Wenn er ganz fortzieht, muss ich mir überlegen, ihn zu begleiten. Tom hat erst letztes Jahr mit der Schule begonnen. Ein Umzug käme daher nicht gelegen.