Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

An einem Trainingstag stand eine Gruppe von uns Sportstudenten doch in Westberlin, der ich auch angehörte. Wie an allen Tagen unseres Aufenthaltes in Berlin fuhren wir in unseren Trainingsanzügen mit der U-Bahn zum Stadion, die Männer des Übungsverbandes mit je einer roten Fahne an einer ca. zwei Meter langen Stange befestigt, die mit zur Übungskomposition gehörte. Die letzte Station dieser Strecke in der Hauptstadt der DDR war das Stadion, der nächste Haltepunkt befand sich bereits in Westberlin. An einem bestimmten Tag war die U-Bahn derartig überfüllt, dass wir den Zug an der beabsichtigten Station nicht verlassen konnten. Die Türen schlossen sich wieder, der Zug fuhr weiter und hielt nach wenigen Minuten in Westberlin. Wir stiegen aus und standen mit unseren Trainingsanzügen bekleidet und mit der roten Fahne in der Hand auf dem U-Bahnsteig , überrascht und gespannt, was wohl nun passieren würde. Unsere Fahrscheine waren nur für unseren Teil Berlins gültig, Geld in der Währung der BRD hatten wir nicht, um eine Rückfahrkarte zu kaufen. Bahnbeamte und Westberliner Bürger schauten uns verdutzt an, vermuteten aber keine politische Demonstration oder gar Provokation mit unseren roten Fahnen. Es kam zu einem kurzen Gespräch und zur Klärung des Sachverhaltes, wir konnten mit der nächsten Bahn in unsere Richtung zurückfahren. Die Tage in Berlin anlässlich des 10. Jahrestages der DDR waren mit intensivem Training, wenig Freizeit, aber auch mit angenehmen Erlebnissen verbunden. Wir haben Berlin, vor allem an den Abenden und oftmals bis Mitternacht, nicht nur schlechthin als Hauptstadt der DDR kennen gelernt, sondern auch als eine pulsierende Stadt mit vielen Theatern, Museen, Gaststätten, Tanzlokalen und aufgeschlossenen Menschen. Da wir für unseren Auftritt im Stadion große Anerkennung erfahren haben, sind wir mit Stolz nach Leipzig zurückgekehrt. Die DHfK hatte wieder einen Auftrag erfüllt und die Leistungsfähigkeit ihrer Studierenden demonstriert.

Zur Geschichte der DHfK gehört auch der Hochschulfasching. Seine Geburtsstunde geht auf das Ende der 50er Jahre zurück. Als Studentinnen und Studenten das erste Mal den Fasching in den Räumen der Hochschule unter Verantwortung der FDJ-Organisation und des Elferrates organisierten und feierten, die Lehrkräfte waren damals stark vertreten, ahnte wohl niemand, dass er in Leipzig und Umgebung über Jahrzehnte hinweg, auch nach der abgewickelten DHfK, zu einem Markenzeichen von Faschingsveranstaltungen in Leipzig wurde und nach wie vor ist. Der Hauptkonkurrent von studentischen Faschingsveranstaltungen in Leipzig, die Studenten der damaligen Bauhochschule mit ihrem Ruf „Bahu, Bahu...“, konnten mit zahlreichen Versuchen die DHfK mit ihren gelungenen Faschingsprogrammen nicht übertreffen. Eintrittskarten waren außerordentlich gefragt und wurden zum Teil zu „Schwarzmarktpreisen“ gehandelt.

Nicht nur durch den Fasching haben die Studenten mitgeholfen, die DHfK über ihren eigentlichen Gegenstand hinaus populär zu machen. Seit den 50er bis in die 60er Jahre bestand an der Hochschule ein Kultur- und Sportensemble, das von Dr. Flechsig geleitet wurde. Auf den Gebieten des Tanzes, des Gesangs, des Musizierens, der Zauberei, des Jonglierens, der Rezitation, mit weiteren kulturellen Darbietungen und natürlich mit sportlichen Elementen brachten zahlreiche Studenten ihre Fähigkeiten in das Ensemble ein. Unsere Seminargruppe war oftmals mit einbezogen, da man davon ausging, dass wir als Deutsch-Studenten auch rezitieren könnten. Manchmal waren mehrere Tausend Leipziger Bürger bei den Veranstaltungen anwesend. Ich erinnere mich besonders an Auftritte im Kino „Capitol“, im „Felsenkeller“ und im festen Gebäude des Zirkus „Aeros“. So konnte ich auch diese Seite der Wirksamkeit der Studenten kennen lernen und bestimmte Erfahrungen sammeln, die mir während der Tätigkeit als Lehrer zugute kamen.

Als die Studienzeit an der DHfK Mitte des Jahres 1960 endete, ist mir erst richtig bewusst geworden, was Leipzig so alles zu bieten hatte. Leipzig war schon damals eine interessante Stadt in der DDR. Sie war weltoffen, auf dem Gebiet der Kultur, der Musik und des Sports repräsentierte sie bereits wenige Jahre nach Kriegsende wieder ein ansprechendes Niveau. Die Leipziger Messe, die immer wieder Brücken zwischen Ost und West schlug, konnten wir Studenten aber kaum unmittelbar erleben, da die Internate für die Messebesucher bereitgestellt werden mussten und wir diese Wochen in unseren Heimatorten verbrachten. Die Jahre des Studiums vergingen relativ schnell und ich stellte zum Abschluss selbstkritisch fest, dass ich die Zeit in Leipzig hätte noch intensiver nutzen sollen. Trotzdem erweiterten Aufenthalte im „Auerbachs Keller“ mit dem Fassritt aus Goethes „Faust“, das Kennenlernen des Schillerhäuschens, Besuche am Völkerschlachtdenkmal und im Dimitroff-Museum u.a. die im Studium erworbenen Kenntnisse und förderten eine enge Bindung zum Ort des Studiums. Dabei werde ich zum Beispiel eine fünf Stunden lange Aufführung von Schillers „Wallenstein“ mit einer meisterhaften Leistung des Schauspielers Günter Grabbert nicht vergessen. Stammgast war ich auch mit anderen Studienfreunden im Kino „Capitol“ in der Petersstraße, das immer spannende und aktuelle Filme der DDR und aus dem Ausland zeigte. Um die Eintrittskarten gab es oft verbale Kämpfe in langen Warteschlangen. Der Besitz einer Kinokarte für das „Capitol“ bei besonders gefragten Filmen kam einem kleinen Lottogewinn gleich. Als ich einmal in der Gottschedstraße am Gedenkstein für die von den Nazis in Brand gesetzte Synagoge stand, wurden geschichtliche Kenntnisse über diese Zeit am Ort des Geschehens besonders emotional empfunden. In dieser Straße erinnerte auch eine Tafel mit dem Hinweis, dass Walter Ulbricht hier geboren wurde. Unweit des Zentralstadions besuchte er die Schule, die einige Jahre die KJS beherbergte, bevor an anderer Stelle ein Neubau für sie errichtet worden ist.

Der Besuch zahlreicher Leipziger Tanzlokale gehörte natürlich auch zum Freizeitprogramm. Wir bevorzugten Gäste im „Napoleonstein“ in der Nähe vom Völkerschlachtdenkmal zu sein, das in den 80er Jahren wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Besonders attraktiv für die Jugend und für Studenten war zu dieser Zeit auch das „Haus Antifa“, wie es damals hieß, in der Elsterstraße, das zu Tanzveranstaltungen am Wochenende einlud. Zum Monatsanfang nach dem Empfang des Stipendiums konnte wir uns auch einen Besuch der Tanzbar „Che Kiang“ leisten, die von einem Chinesen betrieben wurde, doch im Verhältnis zu den vorangegangenen Lokalen mehr Ausgaben verursachte. Es war damals möglich, bei solchen Tanzveranstaltungen mit 5 Mark auszukommen. Meistens hatten wir kaum mehr Geld in der Tasche. Nur 2 Mark kostete in der Regel der Eintritt, der Rest reichte für zwei bis drei Getränke.

Wenn ich heute in der Innenstadt durch die Leipziger Ritterstraße gehe, so muss ich immer daran denken, dass damals an einer bestimmten Stelle ein altes Gebäude (seit vielen Jahren abgerissen) stand, in dem damals eine Tanzbar namens „Elefant“ auf sich aufmerksam machte. In der Leipziger Volkszeitung wurde mit folgender Anzeige geworben: „Willst du mal froh und glücklich sein, so kehr in den Elefanten ein“. Mit weiteren Studienfreunden stand ich an einem Sonnabend Abend vor dem „Elefanten“. Der Eintritt war erheblich teurer als gewohnt. Wir wurden zu je zwei Männern an bestimmte Tische geleitet, um Platz zu nehmen, an denen schon zwei weibliche Personen saßen. Bald bemerkten wir, welchen Charakter dieses Lokal hatte. Es war im „Elefanten“ so üblich, dass mit den Damen ausgiebig gespeist und getrunken werden sollte und die Männer am Tisch für die Rechnung aufzukommen hatten. Das überschritt natürlich unsere finanziellen Möglichkeiten , außerdem gingen unsere Wünsche in eine andere Richtung, als sie sich die Damen am Tisch eventuell vorgenommen hatten. Wir waren um eine weitere Erfahrung reicher, die wir auch in Leipzig machen konnten. Einige Male begeisterte ich mich an Konzerten mit dem Tanzorchester „Kurt Henkels“, zu dem der bekannte Schlagzeuger Fips Fleischer gehörte, und war um so erstaunter und auch enttäuscht, als ich erfuhr, dass Kurt Henkels die DDR verlassen hatte. Der Konkurrenz in der BRD ausgesetzt, hat er wohl nie mehr jene Aufmerksamkeit wie in der DDR erreicht.

Leipzig erlebte in den Jahren meines Studiums bereits hochklassigen Leistungssport. Ich denke dabei vor allem an die Hallenhandballmannschaft des SC DHfK mit dem Kapitän Paul Tiedemann, an die Ankünfte der „Friedensfahrt“, an Fußball - Länderspiele im Zentralstadion, dabei besonders an den Sieg der DDR über Wales mit 2 : 1 im Rahmen der Ausscheidungsspiele zur Fußball-WM 1958, an Steher-Rennen auf der „Alfred-Rosch-Kampfbahn“ sowie an Boxkämpfe mit dem späteren Profi, dem Ungarn Lazlo Papp. Als Zuschauer solcher Sportveranstaltungen wurde auch der Blick für den Leistungssport geschärft, der im Studium in der Fachrichtung „Schulsportlehrer“ nur eine geringe Rolle spielte. Die Atmosphäre an der DHfK und das unmittelbare Erleben leistungssportlicher Wettkämpfe, oftmals mit internationalem Charakter, erweiterten das Verständnis für die sportpolitische Thematik. Die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1960 und die Bildung der gemeinsamen Olympiamannschaften von DDR und BRD löste bei uns Studenten viele Fragen aus. Die BRD-Seite begab sich auf die Position eines Alleinvertretungsanspruches gegenüber den Sportlern der DDR. Sie verhinderte 1952 die Teilnahme der DDR an den Olympischen Spielen und war immer wieder bestrebt, in den Ausscheidungswettkämpfen zwischen den Sportlern der DDR und der BRD zu gemeinsamen Olympiamannschaften die Sportler unseres Staates zu benachteiligen, was auch in einigen Fällen gelang. Wir wurden mit der Tatsache konfrontiert, dass zu den Olympischen Winterspielen im Februar 1960 in Squaw Valley (USA) durch den Einfluss der Außenpolitik Adenauers und der damaligen Sportfunktionäre der BRD einer Reihe von Trainern und Journalisten der DDR die Einreise verweigert wurde. Die sportpolitische Auseinandersetzung mit der BRD war eingebettet in den „Kalten Krieg“, der sich Ende der 50er Jahre weiter zugespitzt hatte, besonders durch die Absicht der BRD, die Bundeswehr im Rahmen der NATO weiter aufzurüsten und Atomwaffen auf ihrem Territorium zu stationieren. Wir hatten gelernt, die nationale und internationale Politik genauer zu beurteilen und sich damit auseinanderzusetzen. Die Jahre an der ABF und die Zeit des Hochschulstudiums hatten meine politisch-ideologische Einstellung geprägt und weiter gefestigt, Idee und Ziel des Sozialismus in der DDR entsprachen im Gegensatz zur Politik der BRD weitgehend meinen Vorstellungen. Folgerichtig führte das letztlich zu meinem Antrag, Mitglied der SED zu werden, als Kandidat wurde ich an der ABF aufgenommen.

 

Einschließlich der ABF–Zeit hatte ich sechs Jahre in Leipzig und an der DHfK verbracht. Unterschiedliche Einflüsse im Studium und im Umfeld dieser Stadt haben auf mich gewirkt. Dabei hat der gesamte Lehrkörper in unterschiedlicher Art und Weise eine besondere Rolle gespielt, wie ich nach Jahrzehnten in der Rückschau feststellen muss. Beeindruckt haben mich immer jene Funktionäre und Lehrkräfte, die parteilich, offen und vertrauensvoll mit uns Studenten auch über eventuelle Fehlentwicklungen in den sozialistischen Ländern gesprochen haben. Es hat mich, und ich glaube auch die überwiegende Mehrheit der Studentenschaft, nicht gestört, dass die DHfK in der Öffentlichkeit als „Rote Hochschule“ bezeichnet wurde. Im Gegenteil, es entwickelte sich vielmehr ein Gefühl des Stolzes daraus. Diese Bezeichnung hatte in den 50er und 60er Jahren, im Prinzip bis zur Abwicklung der Hochschule, den Charakter, mit Leistungen und hoher Einsatzbereitschaft für eine kontinuierliche Entwicklung von Körperkultur und Sport in der DDR verbunden zu sein. In der Wendezeit ist „Rote Hochschule“ in bewusster Verkennung der Tatsachen, was an dieser Einrichtung hervorgebracht worden ist, auch als Gründe für politische Entscheidungen zur Abwicklung der DHfK missbraucht worden.

Die DHfK hob sich auch deshalb von anderen Hochschuleinrichtungen und Universitäten ab, indem bestimmte akademische Traditionen, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsen waren, nicht im Vordergrund standen. Das wurde auch schon im Sprachgebrauch deutlich. Das Wort „Kommilitone“ hörte man von den DHfK-Studenten kaum. Wir waren Studienfreunde oder FDJ-Studenten. Die Anrede des Rektors mit „Magnifizenz“ wurde selten gebraucht. Es war üblich, „Genosse Rektor“ mit akademischem Titel und Namen zu sagen. Das Wort „Rigorosum“ war kein gängiger Sprachgebrauch. Veranstaltungen zur Verleihung von Doktortiteln in der Bekleidung der Professoren mit Roben und die Übergabe des Doktorhutes an den Doktoranden, wie es an manchen anderen Einrichtungen noch üblich war, fanden in dieser Form an der DHfK nicht statt. Auf traditionelle akademische „Zöpfe“ wurde verzichtet. Aber das Tragen der Amtskette des Rektors unserer Hochschule gehörte zum Ritual bei besonderen Veranstaltungen. In der Amtskette waren Bildnisse von fortschrittlichen, bürgerlich-humanistischen Sportpädagogen und führenden Vertretern der Arbeitersportbewegung der Weimarer Republik enthalten, deren Tradition und Ideengut die Hochschule in ihre Arbeit einbezog und weiterentwickelte. Das war kein Widerspruch zu der Tatsache, dass die DHfK ein Kind der DDR gewesen ist und in dem Sinne auch keine Vorgeschichte hatte. Insofern war es normal, solche akademischen Traditionen, außer einer Amtskette, nicht erst einzuführen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand Anstoß daran nahm. Nationale und internationale Anerkennung erwarb sich die DHfK durch ihre sportwissenschaftlichen Leistungen, durch ihre Absolventen in der Sportpraxis, durch die Wirksamkeit im gesellschaftlichen Leben in der DDR sowie durch ihre solidarische Haltung gegenüber unterentwickelten und unterdrückten Staaten und Völkern.

In den letzten Wochen meiner Anwesenheit an der DHfK, alle Prüfungen und Studienverpflichtungen waren erfüllt, wurde noch eine Anfrage an mich gestellt, ob ich im Rahmen einer Studentendelegation mehrere Tage mit nach Prag zur Zentralen Spartakiade der CSSR reisen möchte. Bedingung war: Der Termin lag bereits nach der Exmatrikulationsfeier, auf Urlaubszeit musste verzichtet werden, und ein bestimmter Teil der Reisekosten war persönlich zu übernehmen. Ohne lange zu überlegen, sagte ich zu. Unter Leitung von zwei Lehrkräften der DHfK, Dr. Schwidtmann und Dr. Schnürpel, fuhren ca. 30 ehemalige Studenten mit dem Zug nach Prag zu diesem sportlichen Höhepunkt unseres befreundeten Nachbarlandes. Die Spartakiade in der CSSR hatte in wesentlichen Teilen den Charakter unserer Turn- und Sportfeste. Schwerpunkte waren dabei ebenfalls die Vorführungen von Übungsverbänden in Form von sportlichen Massenübungen im Strachov-Stadion. Die Anzahl der Übungsteilnehmer pro Übungsverband war aber erheblich größer als bei unseren Turn- und Sportfesten. Oftmals waren bis zu 10.000 Sportler auf dem Vorführgelände. Es war ein großes Erlebnis für die gesamte Delegation. Unbelastet, das Staatsexamen in „der Tasche“, lernte ich gemeinsam mit den anderen Teilnehmern der Reise die schöne Stadt Prag mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten und freundlichen Menschen kennen. Als ich in den folgenden Jahren noch mehrmals privat oder dienstlich in Prag gewesen bin, musste ich immer wieder gerade an diese Reise denken. Sie hatte besondere historische Bedeutung für mich, weil sie meine erste Auslandsreise überhaupt gewesen ist. So endete der im Jahre 1954 begonnene und im Jahre 1960 zum Abschluss gebrachte Qualifizierungsschritt noch mit einer Reise nach Prag. Bis zum Antritt der Lehrertätigkeit waren nur noch wenige Wochen Zeit, um von der Studienzeit Abschied zu nehmen, umzuschalten und sich auf die neue berufliche Tätigkeit einzustellen und vorzubereiten.

Als DHfK-Absolvent in der Schule
(1960-1962)

Das Studentenleben war abgeschlossen, in der letzten Woche im August 1960 begann für mich mit der Vorbereitungswoche des Lehrerkollegiums auf das kommende Schuljahr ein neuer beruflicher Lebensabschnitt. Nach sechs Jahren Studium in der Großstadt Leipzig kehrte ich in das Dorf Lipprechterode im Kreis Nordhausen zurück. Ich wohnte wieder bei meiner Mutter, die diese Lösung nicht als Belastung empfand, obwohl mit meiner Anwesenheit zusätzliche Verpflichtungen für sie verbunden waren. Unser Zusammenleben vollzog sich ohne Probleme, ich hatte ausreichend Zeit zur Verfügung, meine schulischen Aufgaben zu erfüllen.

Eine typische kleine Dorfschule, die ich von Oktober 1945 bis Juni 1949 als Schüler selbst besucht habe, war von nun an mein Arbeitsumfeld. Die Klassenräume befanden sich in zwei verschiedenen Gebäuden, etwa 1 km voneinander entfernt, Fachkabinette gab es nicht. Für den Sportunterricht stand ein Sportplatz zur Verfügung, der von der Gemeinde verwaltet wurde. Er hatte einen unebenen Rasenbelag, keine Sprunganlagen und nur die notwendigste Sanitärausstattung. Um den Sportplatz zu erreichen, brauchte man ungefähr 15 Minuten Fußweg mit den Schülern. Eine Sport-oder Turnhalle war nicht vorhanden. Für die Zeiträume und Tage, wo der Sportplatz aufgrund der Witterungsverhältnisse nicht genutzt werden konnte sowie für das Gerätturnen über das gesamte Schuljahr hinweg, bestand zwischen der Schule und einer Gaststätte im Ort eine Vereinbarung, dass im Tanzsaal in der 1.Etage der Sportunterricht durchgeführt werden kann. Der Vorraum des Tanzsaales diente als Umkleideraum, jedoch ohne Waschgelegenheit. Toilettenbenutzung war im Hof der Gaststätte möglich. Ich habe mich über die materiellen Bedingungen der Schule, vor allem was den Sportunterricht betraf, nie beklagt, da ich die Verhältnisse kannte und mich trotzdem für diesen Ort entschieden hatte. Mir war von Beginn der Tätigkeit an dieser Schule bewusst, dass eine Improvisation des Sportunterrichts bevorstand und eine auf diese Umstände angepasste Unterrichtsgestaltung verlangte. An den Anforderungen des Lehrplanes sollte es trotzdem keine Abstriche geben.

Mit mir bestand das Lehrerkollektiv aus sechs männlichen und zwei weiblichen Lehrkräften sowie einem Pionierleiter, der mehrere Dorfschulen in der Pionierarbeit zu betreuen hatte. Der Fachlehrer für Russisch unterrichtete ebenfalls in mehreren Orten. Bis auf eine junge Unterstufenlehrerin, die wie ich zum gleichen Termin den Lehrerberuf begann, handelte es sich bei allen anderen Kollegen um schon erfahrene Pädagogen. Die relativ kleine Anzahl von insgesamt 180 bis 200 Schülerinnen und Schülern machte den schulischen Alltag übersichtlich, man kannte sie nach kurzer Zeit alle mit ihrem Namen. In jeder Stufe von der 1. bis zur 8. Klasse gab es nur je einen Klassenverband. Die Schüler der Klassenstufen 9 und 10 der Erweiterten Oberschule fuhren in eine 3 km entfernte Zentralschule nach Bleicherode, da für sie keine Klassenräume mehr an unserer Schule zur Verfügung standen. Während der Praktika in Leipzig erlebte ich Schulen, die mit dieser Dorfschule nicht zu vergleichen waren. Meine ersten Unterrichtsstunden in Leipzig in den Fächern Sport und Deutsch absolvierte ich in einer Praktikumsschule mit mehr als 1.000 Schülerinnen und Schülern im Stadtteil Großzschocher, jede Stufe hatte zwei bis drei Klassen, das Lehrerkollegium bestand aus 50 und mehr Pädagogen. Bald konnte ich den grundsätzlichen Unterschied zwischen den Schulen in Leipzig und unserer Dorfschule feststellen.

Meine Entscheidung fand ich als völlig richtig getroffen, eine relativ kleine Schule als erste Arbeitsstelle für eine langjährige pädagogische Berufspraxis gewählt zu haben. Für das Ausprobieren von unterschiedlichen Methoden im Unterricht und das schrittweise Hineinwachsen in pädagogisch-psychologische Situationen im Klassenverband und mit einzelnen Schülern bestehen bessere Voraussetzungen an Schulen mit niedrigen Schülerzahlen als an einer großen Stadtschule. Gerade die ersten Jahre als Lehrer, die das Gefühl für diesen Beruf stärken sollen, sind für das weitere Berufsleben von besonderer Bedeutung. Wer im Unterrichtsprozess mit den Schülern nicht zu Erfolgserlebnissen kommt, der wird die Freude am Lehrerberuf bald verlieren, wie unzählige Beispiele beweisen. Vor mir stand also die Aufgabe, mich an dieser Dorfschule auf der Grundlage der erworbenen Kenntnisse des Studiums einzuarbeiten.

Während der Vorbereitungswoche auf das beginnende Schuljahr 1960/61 hatte mich der Direktor gebeten, ob ich bereit wäre, zwei Klassen, die 5. und die 8. Klasse, als Klassenleiter zu übernehmen, weil es aus Gründen der Zusammensetzung des Lehrerkollektivs keine andere Lösung geben sollte. Ich empfand dieses Anliegen als nicht gerechtfertigten Vorschuss für meine Arbeit und stellte die Frage, ob die Schulordnung die Führung von zwei Klassen als Klassenleiter überhaupt zuließ. Nachdem die Frage positiv beantwortet werden konnte, gab ich meine Zustimmung. Schon nach kurzer Zeit musste ich feststellen, dass die pädagogische Ausbildung an der DHfK für die spezielle Tätigkeit als Klassenleiter in der Schulpraxis unzureichend gewesen ist. Einen Überblick über die Aufgaben eines Klassenleiters konnte ich mir nur während der Praktika verschaffen, ohne dabei die Vielfalt kennen gelernt zu haben. Das richtige Führen des Klassenbuches als außerordentlich wichtiges Dokument einer Schulklasse über ein Schuljahr hinweg, die Gestaltung von Elternabenden, das Verhalten bei Elternbesuchen, die Entstehung der Halbjahres- und Schuljahresendzensuren der Schüler, das Schreiben von Zeugnissen mit den Worturteilen usw. , um nur einige Beispiele zu nennen, waren nicht Gegenstand der Ausbildung. All das musste erst mit Beginn der Berufspraxis erlernt und erworben werden. Ich habe mich zu diesen Problemen nach einigen Wochen der Lehrertätigkeit an das Institut für Pädagogik der DHfK mit schriftlichen Vorschlägen zur Ausbildung auf diesem Gebiet gewandt. Die Antwort befriedigte mich nicht. Man war der Auffassung, dass solche, mehr schulorganisatorische Aufgaben der Lehrer nicht unbedingt Gegenstand im Rahmen einer akademischen Ausbildung sein müssten. Nur schulorganisatorische Aufgaben? Das konnte ich nicht verstehen. Als ich völlig überraschend zwei Jahre später meine Tätigkeit in diesem Institut aufnahm, habe ich diese Problematik und weitere Vorschläge erneut vorgetragen, fand abermals dafür kein Verständnis. Noch zu unerfahren im Kreis von Hochschullehrern und Mitarbeitern des Instituts konnte ich meine Meinung nicht überzeugend vortragen. Somit hatten meine Vorschläge, wesentliche Tätigkeiten des Klassenleiters in die Ausbildung aufzunehmen, keine Chance der Realisierung.

Im ersten Lehrerjahr unterrichtete ich die Klassen 5 bis 8 im Sport, die Klassen 5 und 8 in Deutsch und die Klassen 5 und 6 im Werken. Für das zuletzt genannte Fach war ich zwar nicht ausgebildet, aber mein ehemaliger Beruf als Tischler war dafür eine gute Voraussetzung. Die Einhaltung des Lehrplanes im Werken unterlag auch keiner genauen Kontrolle, so wurde die Bearbeitung von Holz und das Herstellen von kleinen praktischen Gegenständen aus Holz zum Hauptinhalt des Unterrichts. Die Schüler arbeiteten aufmerksam mit, sie konnten ihre selbst angefertigten Kerzenständer, Untersetzer, Briefkästen usw. mit nach Hause nehmen. Den Sportunterricht bereitete ich nach einem ausführlichen Stoffverteilungsplan vor, so wie ich es im Fach Methodik an der DHfK gelernt hatte und verzichtete auf die tägliche Stundenvorbereitung. Ich war der Meinung, den Sportunterricht in der erforderlichen Qualität durchzuführen. In Wirklichkeit war es ein Stück Überheblichkeit. Die Quittung für diese Arbeitsweise bekam ich nach knapp zwei Jahren der Lehrertätigkeit. Für jeden Lehrer, der nach dem Studium in dieser Zeit die Arbeit an einer Schule aufnahm, war eine Probezeit von zwei Jahren gesetzlich festgelegt. Als der Schulinspektor im Auftrage des Kreisschulrates meine Probezeit mit Hospitationen und mit der Einsicht in Unterrichtsvorbereitungen am Ende des Schuljahres 1961/62 beurteilen wollte, konnte ich ihm die Stundenvorbereitungen für Sport nicht vorlegen. Mein ausführlicher Stoffverteilungsplan wurde dafür nicht als ausreichend anerkannt. Ich hatte eine gesetzliche Anordnung, dass Stundenvorbereitungen anzufertigen sind, nicht befolgt. Meine Probezeit im Fach Sport, die bei positiver Beurteilung mit einer Urkunde des Kreisschulrates dokumentiert wurde, hätte fast negativ geendet. Die gute Bewertung der Hospitationsstunden und die Urteile des Direktors sowie der anderen Lehrer über meine bisherige Unterrichtsführung stimmten den Schulinspektor um, ich bekam die Probezeit im Sport - und auch im Deutschunterricht bestätigt.

 

Im Fach Deutsch konnte ich Unterrichtsvorbereitungen vorweisen. Sie für jede Deutsch-Stunde anzufertigen, war für mich eine Notwendigkeit. Eine Reihe von Lehrplaninhalten der Schulen waren im Studium kaum Gegenstand unserer Ausbildung. Im Praktikum in Leipzig unterrichtete ich in einer 6.Klasse Deutsch, kannte damit auch die Lehr – und Lesebücher der Schüler. Aber über die Bücher der 5. und 8.Klasse fehlten mir die Kenntnisse. Ich war gezwungen, sie mir schrittweise aneignen. Obwohl ein gründliches Studium im Fachgebiet „Kinderliteratur“ am Pädagogischen Institut in Leipzig erfolgte, sind eine Vielzahl von Geschichten und Buchtitel, die Bestandteil der Lehrpläne der Schule waren, während der Studienzeit nicht behandelt worden. Somit musste für den Unterricht im Fach Deutsch erheblich mehr Zeit investiert werden.

Die gründliche Unterrichtsvorbereitung für dieses Fach hatte noch einen weiteren Grund. Im ersten Jahr meiner Tätigkeit hatte diese Schule kein Lehrerzimmer. Das führte dazu, dass Kollegen, die eine Freistunde laut Stundenplan hatten, sich in diesen Stunden in eine Klasse setzten, in der gerade Unterricht stattfand. Es war im Kollegium so besprochen und niemand nahm Anstoß daran. Mir wurde auch das „Glück“ zuteil, mehrfach in der Woche im Fach Deutsch durch diesen Umstand hospitiert zu werden. Ich war also über ein Schuljahr lang im Deutschunterricht ungewollt einer Kontrolle ausgesetzt. Die hospitierenden Kollegen erledigten zwar ihre schriftlichen Arbeiten während dieser Stunde, meine Unterrichtsführung ist ihnen aber nicht verborgen geblieben. Diese Vielfalt von Hospitationen war zwar unangenehm, hatte aber den Nutzeffekt, dass ich mich gründlich vorbereiten musste. Selbstverständlich bin auch ich in den „Genuss“ gekommen, meine eigenen Freistunden mit Hospitationen bei den anderen Lehrern auszufüllen. Dabei lernte ich bei den Kollegen ihre pädagogischen Maßnahmen und Unterrichtsmethoden kennen. Insgesamt herrschte nicht zuletzt durch diese räumliche Einengung ein auf gegenseitiger Achtung beruhendes gutes Klima im Lehrerkollektiv, zu dem der Direktor durch seine verbindliche, aber gleichzeitig freundschaftliche Art der Leitungstätigkeit bedeutend beigetragen hat.

Schnell bekam ich einen engen Kontakt zur BSG „Traktor“ des Ortes, die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) war der Trägerbetrieb. In der Sportgemeinschaft wurden zwei Sportarten betrieben, Fußball und Tischtennis. Es dominierten die Kinder-, Jugend- und Männermannschaften im Fußball, die auch die überwiegende Anzahl der Mitglieder stellten. Die meisten Sportfreunde kannte ich persönlich bereits vor dem Studium. Eine Mitarbeit in der BSG verstand ich nicht als Pflicht, es war auch Bedürfnis. Besonders Funktionäre und Sportler der Sektion Fußball freuten sich, dass ich dem sportlichen Geschehen des Dorfes zur Verfügung stand, noch dazu ausgebildet auf diesem Gebiet. Auf Anfrage und durch meine Zustimmung wurde ich als Mitglied des Vorstandes kooptiert. Auch schnürte ich wieder meine Fußballschuhe für die 1.Männermannschaft, die damals in der 1.Kreisklasse im Kreis Nordhausen im Punkspielbetrieb eingeordnet war. Training der Fußballmannschaft fand bisher nur sporadisch und ohne Zielstellung statt. Wer gerade dazu Lust hatte oder durch die Arbeit nicht verhindert war, traf sich an einem Nachmittag in der Woche auf dem Sportplatz. Das, was man Training nannte, bestand bisher hauptsächlich darin, dass zwei gewählte Mannschaften gegeneinander ein Spiel durchführten. Nach kurzer Zeit gab es den allgemeinen Wunsch, nach einem Programm mit der gesamten Mannschaft zu trainieren. Ich wurde gebeten, mich als Übungsleiter zur Verfügung zu stellen und konnte somit nach dem Studium auch erste Erfahrungen als Spielertrainer sammeln. Auf der Grundlage dem Niveau der Mannschaft angepassten Planes trainierten wir einmal wöchentlich, um Kondition, Technik und Taktik zu verbessern. An Übungsbestandteile, die aus der Leichtathletik und aus der Gymnastik entlehnt waren, mussten sich meine Fußballfreunde erst gewöhnen, vor allem was die Anzahl der Wiederholungen einzelner Übungsteile betraf. Als nach einigen Wochen erste Erfolge im Wettspielbetrieb eintraten, konnten auch solche Elemente des Trainings beibehalten werden. In den Wintermonaten gelang es mir nur selten, die Mannschaft im Dorfgasthofsaal zu versammeln, um Gymnastik, Übungen an Turngeräten oder kleine Spiele durchzuführen, denn Fußballspielen war in diesem Saal nicht möglich. Von einer mittelmäßigen Mannschaft in der 1.Kreisklasse schafften wir einen vorderen Tabellenplatz nach Abschluss der Punktspielsaison. Das war für alle Motivation, im kommenden Wettkampfjahr so weiter zu trainieren.

Auf Anraten des Direktors und eigener Überlegungen gründete ich eine Arbeitsgemeinschaft „Gerätturnen“ mit interessierten Schülern der Schule, obwohl diese Sportart nicht zu meinen bevorzugten, selbst betriebenen Sportarten gehörte. Mit Kindergruppen im Gerätturnen, auch mit bescheidenen Leistungen, bestand die Möglichkeit, bei kulturellen Veranstaltungen im Saal des Dorfgasthauses mitzuwirken. Eltern konnten damit das Leistungsniveau ihrer Kinder beurteilen, die Schüler haben sich ebenfalls gern vor der Dorfbevölkerung und den Eltern gezeigt. Da Sprungelemente über Pferd und Bock besonders attraktiv sind und die Schüler dabei im Sportunterricht und im außerunterrichtlichen Übungsbetrieb gute Fortschritte machten, war ich der Überzeugung, dass die Sprungplatte, die für den Übungsverband der Sportstudenten der DDR anlässlich des III. Turn- und Sportfestes im Jahre 1959 hergestellt wurde, auch mit Schülern der 7.und 8.Klasse verwendet werden kann. Das Institut für Gerätturnen der DHfK antwortete mir auf meine Anfrage, dass diese Platten mit Sprungbrett zu günstigen Preisen verkauft werden und ich ein Gerät erhalten kann. Die Kosten der Anschaffung übernahm die Schule. Kurze Zeit nach meiner Bestellung traf die Platte mit dem Sprungbrett per Bahn und Post ein. Ich war dem Institut sehr dankbar dafür. Die relativ einfachsten Sprünge, Hocke und Grätsche, über die senkrecht stehende Platte sind von den 13- bis 14-jährigen ausgewählten Schülern erlernbar gewesen. Einige schafften auch den Handstandüberschlag über die waagerecht gehaltene Platte.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?