Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte

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Im Studiengang wurden zwei Winterlager absolviert, die einen hohen Stellenwert hatten. Das erste Lager fand in Oberwiesenthal unter guten materiellen Bedingungen und an schneesicheren Hängen und Langlaufpisten statt. Als das zweite Winterlager vorbereitet wurde, freuten wir uns wieder auf Oberwiesenthal, es war einer der bekanntesten Wintersportorte der DDR. Doch unsere Freude wurde gedämpft, Oberwiesenthal stand nicht mehr zur Diskussion. Die Hochschule hatte in diesen Jahren in der Nähe von Klingenthal/Mühlleithen im Vogtland einen Teil von Häusern eines ehemaligen Bergbaugebietes der Wismut übernommen. Der Ort hieß „Schneckenstein“, von einem mehrere Meter hohen Naturstein abgeleitet. Nur wenige von uns Studenten kannten diese Gegend, sie war auch einige Jahre Sperrgebiet für dort nicht beschäftigte Bürger. Mit unserem Studienjahrgang der Fachrichtung „Schulsportlehrer“ sollte die zukünftige Wintersportausbildung der DHfK in Schneckenstein begonnen werden. Mit einer gewissen Skepsis fuhren wir in das neue Wintersportzentrum der DHfK, wie es von nun an genannt wurde. Da die Einrichtung der Häuser und Gebäude der ehemaligen Wismut noch nicht abgeschlossen waren, ist die Unterbringung nur in bescheidenem Maße möglich gewesen. Vier bis fünf Studenten wohnten in der Regel in einem Zimmer, das selbst geheizt werden musste. Besonders jene Studenten, die schon einen handwerklichen Beruf erlernt hatten, konnten in den ersten Tagen nach der Skiausbildung noch mithelfen, die eine oder andere Komplettierung der Zimmer und Verpflegungsräume vorzunehmen. Ich, als ehemaliger Tischler, wurde einbezogen und konnte mich nochmals in diesem Beruf bei Holzarbeiten beweisen.

Oberwiesenthal war und ist nach wie vor ein typischer, attraktiver Wintersportort mit langjähriger Tradition. Schneckenstein, aus einer Siedlung für die Beschäftigten der Wismut entstanden, hatte deshalb nicht so ein reizvolles Umfeld an Häusern, gastronomischen Einrichtungen und Ski-Anlagen wie Oberwiesenthal zu bieten. Trotzdem sind wir mit Elan und guten Vorsätzen sowohl an die Ausbildung als auch an die Freizeitgestaltung herangegangen. Die Stimmung wurde auch insofern sehr positiv beeinflusst, weil das Gebiet um den Ort Schneckenstein und den Berg „Kiel“ außerordentlich gute, schneesichere Bedingungen hatte., was das Wesentlichste für eine Wintersortausbildung ist. Das Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport und die Hochschulleitung hatten einen guten Griff getan, ein eigenständiges Wintersportzentrum in dieser Gegend einzurichten. Von diesem Zeitpunkt an bis zur Abwicklung der DHfK in den Jahren 1990/91 sind umfangreiche materielle Verbesserungen in Schneckenstein vollzogen worden. Über die staatlich finanzierten Bauvorhaben hinaus haben Mitarbeiter des Instituts Wintersport der DHfK, von anderen Bereichen der Hochschule sowie Studentengenerationen tausende freiwillige, unbezahlte Arbeitsstunden an diesem Objekt geleistet. Es entstanden unter anderem: Kleine Sprungschanzen, Übungshänge an den Abraumhalden des ehemaligen Bergbaus für die alpine Ausbildung, Lifte, ein Internat, Verpflegungsräume und Eislaufflächen. Daran war im ersten Winterlager 1959 in Schneckenstein, an dem ich teilnahm, noch nicht zu denken. Ein größerer, moderner Neubau war Anfang der 80er Jahre im Gespräch, ist nach meiner Kenntnis wegen fehlender Baukapazität und abschlägiger Genehmigungen von Bergbaubehörden gescheitert. Im Jahre 1999 habe ich Schneckenstein und die ehemaligen Gebäude und Trainingsanlagen der DHfK wieder einmal besichtigt. Mit großer Enttäuschung musste ich zerfallene Häuser und nicht mehr benutzbare Ski-Abfahrtshänge und Sprungschanzen zur Kenntnis nehmen. An die Initiativen und Arbeitsleistungen ehemaliger Mitarbeiter und Studenten, die in dieses Objekt über Jahre hinweg investiert wurden, konnte man sich nur noch erinnern. Der Anblick war ein Spiegelbild der abgewickelten DHfK.

In den 50er Jahren, vor allem zum Ende dieses Jahrzehnts, spitzte sich die politische Lage zwischen der DDR und der BRD sowie zwischen den Warschauer Vertragstaaten und der NATO immer mehr zu. Die Frage Krieg oder Frieden stand auf beiden Seiten im Mittelpunkt der politisch-ideologischen Auseinandersetzung. Parallel dazu verlief die militärische Aufrüstung in beiden deutschen Staaten. Ein Diskussionspunkt mit internationaler Dimension war die Problematik „Westberlin“. Nach Auffassungen der Sowjetunion, der DDR und der anderen Staaten des Warschauer Vertrages gehörte Westberlin auf der Grundlage von Abkommen nicht zur BRD. Führende Politiker der Westmächte waren anderer Meinung. Es wurden Pläne der NATO bekannt, die der DDR mit militärischer Gewalt drohten, die ihrerseits Vorkehrungen treffen musste, sich davor zu schützen. Diese Probleme waren auch an der DHfK bei den Studenten im Gespräch, Gegenstand in Lehrveranstaltungen und in Versammlungen des Jugendverbandes.

Obwohl die Hochschulangehörigen mit dieser Situation vertaut waren, traf sie ein Beschluss Anfang 1958 überraschend, der sinngemäß beinhaltete: Die militärische Ausbildung als integrierender Bestandteil des Studiums an der DHfK für Männer und Frauen einzuführen. Vormilitärische Ausbildung in Form von GST-Lagern (Gesellschaft für Sport und Technik) gab es für die Studierenden an der Hochschule bereits in früheren Jahren. Jedoch eine vollwertige, militärische Ausbildung als gleichberechtigter Studienbestandteil war eine völlig neue Qualität im Vergleich zu der früheren Ausbildung unter GST-Bedingungen, mit Einschnitten im Studienablauf und im Studienalltag verbunden. Die ideologische Vorbereitung von allen Studenten und Hochschulangehörigen zur praktischen Realisierung des Beschlusses fand durch die staatliche Leitung der Hochschule in Vollversammlungen und anschließenden Diskussionen auf der Basis der Seminargruppen statt. Anwesend waren dabei zahlreiche Lehrkräfte. Es gab keine Ablehnung des Beschlusses, vielmehr wurden zahlreiche Fragen zur Durchführung und zu möglichen persönlichen Konsequenzen gestellt. Das Ziel bestand darin, dass alle männlichen und weiblichen Studierenden nach der militärischen Ausbildung gleichzeitig mit dem Studienabschluss an der DHfK, ein Dokument erhalten sollten mit der Ernennung zum Reserve-Offizier (Unterleutnant) der Nationalen Volksarmee, bei den Männern in der Waffengattung Mot.-Schützen, bei den Studentinnen für die Sanitätsdienste. Das schloss die Vereidigung als Soldat der NVA ein. Der Eid beinhaltete auch den Gebrauch der Waffe bei einer kriegerischen Auseinandersetzung im Ernstfall. Für alle Studierenden dieser Jahre war es eine hohe Anforderung, die mit eigenen politisch-moralischen Grundsätzen und Überzeugungen übereinstimmen musste. Einige Studierende hatten religiöse Bindungen und pazifistische Einstellungen. Zu dieser Zeit in der zweiten Hälfte der 50er Jahre gab es in der DDR noch keine Wehrpflicht. Nur einzelne männliche Studierende hatten vor dem Studium als Freiwillige in der NVA gedient und waren bereits vereidigt. Der Beschluss zur militärischen Ausbildung an der DHfK kam der Einführung der Wehrpflicht für die immatrikulierte Studentenschaft gleich. Es ist damit eine Tatsache geschaffen worden, die wahrscheinlich keine Legitimation durch das Parlament der DDR, der Volkskammer, hatte. Die Teilnahme an dieser militärischen Ausbildungsform geschah jedoch auf der Basis der Freiwilligkeit, eine Ablehnung wäre möglich gewesen. Die politische Atmosphäre an der Hochschule im Lehrkörper, bei Arbeitern, Angestellten und Studierenden war aber soweit entwickelt, dass es keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zu dieser Maßnahme gab. Auch in unserer Seminargruppe sprachen sich alle Studenten zustimmend dafür aus, es kam zu keiner vorzeitigen Exmatrikulation in dem Zusammenhang. Ein neuer Bestandteil des Studiums an der DHfK wurde somit in Kraft gesetzt, der jedoch seit Mitte der 60er Jahre wieder außer Kraft gesetzt worden ist.

Die organisatorische und praktische Gestaltung der Ausbildung wurde von einer speziellen Abteilung geleitet, der vier bis fünf Offiziere der NVA angehörten. Alle männlichen und weiblichen Studierenden sind mit Felddienstuniformen eingekleidet worden. Die Ausbildung vollzog sich jeweils an einem Werktag in der Woche, an dem kein Fachstudium stattfand. Eine hohe Belastung für uns Studenten an Unterrichtsverpflichtungen an den verbleibenden Werktagen war die Folge. Unsere Uniform, einschließlich Stahlhelm, befand sich nicht in einer Kleiderkammer an der Hochschule, wir hatten sie „am Mann“, wie man so sagt, und in den Internatsräumen oder in privaten Unterkünften der Studierenden aufbewahrt. Zur Ausbildung musste jeder in Uniform erscheinen. An den ersten Ausbildungstagen ergaben sich kuriose Erlebnisse, über die wir oftmals miteinander lachten und man jederzeit mit einem Schmunzeln zurückdenkt. Einige brachten ihre Uniform in einer Reisetasche mit an die Hochschule, zogen sich auf der Toilette um und waren damit dienstbereit. Andere Studenten, ich gehörte dazu, fuhren mit Felddienstuniform, den Stahlhelm am Koppel, in der Straßenbahn zum Dienst. Anfangs haben uns die Bürger Leipzigs skeptisch in der Straßenbahn betrachtet, manchmal auch belächelt. Es war nicht üblich, dass sich NVA-Angehörige mit Felddienstuniformen in öffentlichen Verkehrsmitteln zeigten. Noch eigenartiger war der Anblick der Studentinnen, die ebenfalls in Uniform, dazu gehörte eine nicht gerade modische Kopfbedeckung, zum Dienstbeginn zu erscheinen hatten. In den militärisch organisierten Ausbildungsstunden wurde auch viel Spaß verbreitet, vor allem, wenn einige Studenten den Versuch unternahmen, den „Braven Soldaten Schwejk“ zu spielen. Die Offiziere haben solche Auflockerungen des Dienstes nicht unterbunden, im Gegenteil oft unterstützt, sie hatten eine gute Beziehung zu uns Sportstudenten gefunden und konnten sich auf uns verlassen, wenn es darauf ankam. Ergänzt wurden die wöchentlichen Ausbildungstage mit einem vierwöchentlichen Aufenthalt in einer NVA-Kaserne nach jedem Studienjahr. Die Studentinnen absolvierten während diesen vier Wochen eine vertiefte Sanitätsausbildung in medizinischen Objekten der NVA. Mit Prüfungen in militärischer Theorie und Praxis an Offiziershochschulen wurde die militärische Ausbildung abgeschlossen. Während der Feierstunde zur Exmatrikulation im Jahre 1960 erhielten wir mit dem Staatsexamen bzw. Diplomzeugnis auch die Ernennungsurkunde zum Unterleutnant der Reserve der Nationalen Volksarmee überreicht.

 

In den Jahren meines Hochschulstudiums fand das III. Deutsche Turn- und Sportfest in Leipzig im Jahre 1959 statt. Beim II.Turn- und Sportfest 1956 gehörte ich nicht zu den aktiven Teilnehmern. Das Turn- und Sportfest 1959 brachte nun die Gelegenheit, wenigstens einmal während des Studiums und des Aufenthaltes in Leipzig unmittelbar mitwirken zu können. Ich wurde ausgewählt und gehörte dem Übungsverband der Sportstudenten der DDR an, den Dr. Schnürpel leitete. Das Gestalterkollektiv unseres Verbandes hatte eine Übung konzipiert, die zu den besten Übungen der Sportstudenten aller Turn- und Sportfeste von 1954 bis 1987 gehörte. Fachvertreter haben sich immer wieder in der Weise geäußert. Bei den Männern waren Sprungelemente über eine rot-weiße ca. 1,50 mal 2,00 Meter große Platte der Schwerpunkt der Übung. Die Platte ist eigens dafür entworfen worden. Grätsche, Hocke, Handstandüberschlag, Salto u.a. waren Bestandteil der Sprungreihen, die in hohem Tempo und in kurzen Abständen der Springer über die Platte, die von Studenten gehalten wurde, abliefen. Die Platte hatte den Charakter eines Sprungtisches und war durch veränderte Stellungen vielseitig einsetzbar und in wenigen Sekunden im Sinne eines anderen Sprunghindernisses zu verwenden. Die Übungselemente der Studentinnen entsprachen einem hohen individuellen, gymnastischen Leistungsniveau, sie fügten sich harmonisch zu einer Gesamtkomposition zusammen. Die Musik unterstrich in hervorragender Weise den Charakter der Übung. Sie klingt mir noch heute in den Ohren, vor allem bestimmte Takte für die Sprungteile.

Vorbereitung und Training der Teilnehmer geschah hauptsächlich dezentral an allen Ausbildungseinrichtungen der Sportstudenten über mehr als ein Jahr und wurde mit einem zentralen Lehrgang von vier Wochen in Leipzig unmittelbar vor dem Beginn des Sportfestes abgeschlossen. Der Übungsverband setzte sich das erste Mal nicht nur aus Studenten der DHfK zusammen. Er war eine Vereinigung der Studierenden der DHfK mit den Studierenden der Institute für Körpererziehung (später Sektionen für Sportwissenschaft) der Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, insgesamt aus neun Institutionen. Er hieß deshalb auch: Übungsverband der Sportstudenten der DDR. Diese Zusammensetzung wurde bei den folgenden Turn- und Sportfesten beibehalten und hatte sich bewährt. Die DHfK-Studenten hatten im Vorbereitungslehrgang das erste Mal überhaupt unmittelbaren Kontakt mit den Studenten aus anderen Hochschuleinrichtungen, die auch Sportlehrer ausbildeten. Die schon etwas dominierende Rolle, die die DHfK in diesen Jahren bereits unter den sportwissenschaftlichen Ausbildungsstätten spielte, führte auch dazu, dass wir anfangs zur Überheblichkeit gegenüber den anderen Einrichtungen und ihren Studierenden neigten, obwohl es dafür objektiv keinen Grund gab. Insofern waren wir im Vorbereitungslehrgang gespannt, was die Studierenden der Institute für Körpererziehung zu bieten hatten. Schon nach wenigen Tagen zeigte sich, dass sie mit ansprechenden sportlichen Leistungen und mit einem bemerkenswerten Ausbildungsstand ihre Hochschulen oder Universitäten repräsentierten. Sie waren auf dem gleichen sportlichen Leistungsstand wie wir von der DHfK. Nach wenigen Tagen im Lehrgang waren die Studierenden aller Einrichtungen zu einem einheitlichen Übungsverband der Sportstudenten der DDR zusammengewachsen mit dem Ziel, mit unserer Übung im Rahmen der großen Sportschau im Zentralstadion in einen sportlichen Wettbewerb gegenüber den anderen Übungsverbänden, besonders zu „Dynamo“, der Sportvereinigung der Polizei, und zur Armeesportvereinigung „Vorwärts“ einzutreten. Es war ein Erlebnis, das man nicht vergisst, vor 100 000 Zuschauern im Stadion präsent gewesen zu sein. Wir haben viel Beifall und Anerkennung erfahren. Als aktiver Teilnehmer des Turn- und Sportfestes im Jahre 1959 sind mir die Wochen der Vorbereitung und die Festtage selbst in guter Erinnerung geblieben.. Trotz beharrlicher Trainingsarbeit, der Einhaltung von Disziplin und Ordnung, bot die Stadt Leipzig mit zahlreichen Veranstaltungen umfangreiche Möglichkeiten, sich als relativ junger Mensch „auszutoben“. Wir trafen uns mit anderen Teilnehmern am Sportfest in Parks und auf Plätzen, die für die Freizeit der Sportler und für alle Besucher des Festes besonders ausgestaltet waren. Beziehungen, auch zwischen den Geschlechtern, wurden geknüpft, die, wie man manchmal später erfuhr, auch Jahre hielten oder überhaupt zu festen Bindungen führten.

Die Turn- und Sportfeste der DDR in Leipzig waren insgesamt Feste der Lebensfreude der unmittelbar Mitwirkenden, der Bürger Leipzigs und der Besucher der Sportfeststadt. Sie waren ein starker Impuls für die Verbreiterung des Freizeit-und Erholungssports bei Jung und Alt des Landes. So wie Körperkultur und Sport fest in das gesellschaftliche System der DDR integriert gewesen ist, so wurden die Turn-und Sportfeste auch für die politischen Ziele des Staates genutzt. Verschiedentlich sind aber nach meiner Auffassung bestimmte Veranstaltungen zu vordergründig dafür konzipiert und durchgeführt worden. Auf bestimmte politische Losungen, die von der Osttribüne im Zentralstadion während der Sportschau gezeigt wurden, hätte verzichtet werden können. Ökonomischer Aufwand stand in mancher Hinsicht nicht im angemessenen Verhältnis zum Nutzen, wenn man die wirtschaftliche Lage der DDR in Betracht zieht, obwohl die Feste zum größten Teil von Spenden finanziert worden sind. Von einer objektiven Bewertung dieser Höhepunkte von Körperkultur und Sport in der DDR sind wir aber in der BRD weit entfernt. In einer Ausstellung anlässlich des Turnfestes 2002 in Leipzig mit dem Titel „Die Kehrseite der Medaille“ wurden beispielsweise die Turn- und Sportfeste der DDR ausschließlich auf Politik und auf die begleitende Wirksamkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) reduziert. Als Beweise sind dafür überwiegend nur Dokumente von ehemaligen Dienststellen des MfS herangezogen worden, die man in Archiven zu dieser Problematik gesucht und gefunden hatte. Diese Sicht auf die Turn-und Sportfeste der DDR ist eindeutig nur auf Diffamierung angelegt gewesen, entsprach nicht der tatsächlichen Zielstellung, dem Inhalt und der Funktion der Feste. Diese Ausstellung war ein weiterer Beweis dafür, dass ein bestimmter Personenkreis an einer objektiven Betrachtung der Geschichte des DDR-Sports nicht interessiert ist. Zum weiteren Zusammenwachsen des Sports, der Sportler selbst und der Funktionäre aus Ost und West, die den Sport tragen und befördern, tragen solche Zerrbilder über Körperkultur und Sport der DDR auf keinen Fall bei.

Nach dem Sportfest 1959 und dem anschließenden Urlaub begann im September des gleichen Jahres das dritte, für mich letzte Studienjahr an der DHfK. Es standen eine Reihe von Abschlussprüfungen bevor, die noch einmal Energie und Konzentration erforderten. Meine finanzielle Situation hatte sich für diese letzte Etappe noch bedeutend verbessert. Die für unsere Fachrichtung zuständige staatliche Leitung hatte mit Zustimmung der FDJ-Gruppe mein Leistungsstipendium, dass im 2. Studienjahr 40 Mark betrug, im Ergebnis der Prüfungsergebnisse am Ende dieses Studienjahres auf 80 Mark erhöht. Dank einer neuen Richtlinie der Regierung der DDR, die in dieser Zeit erlassen wurde, erhielt ich als ehemaliger Facharbeiter noch 80 Mark Stipendium hinzu, so dass ich nunmehr mit dem Grundstipendium zusammen 340 Mark, abzüglich der Kosten für Mensaverpflegung und Internatskosten von 70 Mark, zur Verfügung hatte. Da ich von meiner Mutter oder Verwandten aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten kaum Unterstützung in den vergangenen fünf Jahren des Studiums erhalten konnte, empfand ich diese Summe plötzlich als unerwartetes Geschenk. Der monatliche Betrag für Kleidung und für die Teilnahme am umfangreichen kulturellen Leben in Leipzig, wie zum Beispiel Theater- und Konzertbesuche sowie Tanzveranstaltungen, konnte damit erheblich vergrößert werden.

In diesem dritten und letzten Jahr des Hochschulstudiums musste die Staatsexamensarbeit noch angefertigt und rechtzeitig zum Termin abgegeben werden. Sie war für mich mit einem besonderen Erlebnis verbunden. Im Lesesaal der DHfK lag eine Liste mit den Themen für Staatsexamensarbeiten aus, die aber nicht mit den Namen der betreuenden Hochschullehrer oder wissenschaftlichen Mitarbeiter gekennzeichnet waren. Ich wählte eine Thema, das sich mit dem Zusammenhang zwischen Kultur und Körperkultur befassen sollte. Nach einigen Tagen bekam ich eine Einladung, um zwecks der Examensarbeit zum Rektor der DHfK zu kommen. Mir wurde damit bewusst, dass ich mit der Entscheidung für dieses Thema ungewollt den höchsten Repräsentanten der DHfK, den Rektor, als meinen Betreuer ausgewählt hatte. Ich kannte natürlich den Rektor, Prof. Dr. Erbach, aus Versammlungen und Feierstunden, aber ein persönliches Wort hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit ihm gewechselt, seine Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten sowie an seinen Umgang mit Studenten sind mir ebenfalls nicht bekannt gewesen. Das Thema zu wechseln und damit der Begegnung mit ihm zu entgehen, die Möglichkeit hätte noch bestanden, habe ich aus Stolz vor mir selbst ausgeschlossen. Ich betrat zum angegebenen Zeitpunkt das Vorzimmer des Rektors, wurde von einer netten Sekretärin freundlich begrüßt und durfte dann das Arbeitszimmer des Rektors betreten. Angetan von der Einrichtung des Zimmers und dem zwanglosen Gespräch, hatte ich meinen zu großen Respekt vor dem Rektor bald abgelegt. Es kam zu einem normalen Dialog über meine Staatsexamensarbeit. Die laufende Betreuung hatte der Rektor einem kompetenten Mitarbeiter seines Instituts der Theorie der Körpererziehung, Dr. Trogsch, übertragen. Meinem Lebensweg bis zu diesem Zeitpunkt geschuldet, habe ich das Ansehen und die Autorität eines Rektors etwas überhöht beurteilt. In jedem Fall hat es zur Festigung meines Selbstbewusstseins beigetragen. Als Student den Rektor der Hochschule zum Gegenstand der eigenen Staatsexamensarbeit sprechen zu können, war nicht der Normalfall. Insofern ist es für mich etwas Besonderes gewesen. Nur wenige Studenten sind in eine solche Situation gekommen. Mit meiner Staatsexamensarbeit habe ich erste Erkenntnisse wissenschaftlicher Arbeit sammeln können. Als ich die Bewertung der Arbeit mit dem Prädikat „gut“ übermittelt bekam, fand damit das Studium einen für mich erfreulichen Abschluss.

Ende des Jahres 1959 kam eine weitere Begegnung mit dem Rektor während meiner Studienzeit hinzu. Zwischen der DHfK und dem Braunkohlenkombinat Böhlen bei Leipzig sollte ein Patenschaftsvertrag unterzeichnet werden. Die Unterschrift unter den Vertrag erfolgte von Seiten der DHfK durch den Rektor und von einem Vertreter der FDJ-Leitung der Fachrichtung „Schulsportlehrer“ im Kulturhaus in Böhlen. In diesen Monaten amtierte ich für einige Zeit als FDJ-Sekretär unserer Fachrichtung und wurde gebeten, zur Unterzeichnung mit dem Dienst-Pkw des Rektors mit nach Böhlen zu fahren. Die Unterschriftsleistung verlief nach den üblichen protokollarischen Formalitäten. Nach dem offiziellen Teil fand ein Empfang der Kombinatsleitung statt. An einem solchen Empfang, bei dem es keine Begrenzung von Speisen und Getränken für die Teilnehmer gab, hatte ich bisher nicht teilgenommen, ich hatte keine Gelegenheit dazu. An das Trinken von Alkohol, ohne an Bezahlung denken zu müssen, war für mich bis zu diesem Zeitpunkt deshalb völlig ausgeschlossen. Offensichtlich hatte ich mich überschätzt, über „den Durst“ getrunken und konnte die letzten Stunden des Empfangs nicht mehr bei voller Wahrnehmung erleben. Am nächsten Tag ließ der Rektor nachfragen, wie mich sein Fahrer in das Internatszimmer gebracht und wie ich geschlafen hätte. Ich habe mich entschuldigt und fand es fair, dass mein Verhalten ohne Konsequenzen geblieben ist. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten habe ich an ähnlichen Empfängen dieser Art mehrfach teilgenommen und musste mich an meinen ersten Empfang in Böhlen erinnern.

Nachdem die Abschlussprüfungen und die Examensarbeit geschafft waren, konnte man sich mit der neuen beruflichen Aufgabe gedanklich intensiver beschäftigen sowie mit der Schule Kontakt aufnehmen. In Verwirklichung eines Verfassungsgrundsatzes, des Rechtes auf Arbeit für jeden Bürger, und gesetzlicher Regelungen zur Absolventenlenkung in der DDR wurde der Einsatz der Absolventen nach dem Studium im Zusammenwirken zwischen Verantwortlichen der Hoch- und Fachschulen, den Einrichtungen der Berufspraxis und dem einzelnen Absolventen langfristig vorbereitet und zum Abschluss gebracht. So vollzog sich die Absolventenlenkung auch an der DHfK. Eine Bewerbung war im Prinzip ausgeschlossen, Wünsche konnte jedoch jeder Student oder Absolvent für den Ort des Einsatze äußern. Das gesamte Absolventenlenkungsverfahren erfolgte nach dem Grundsatz: Den Einsatzwunsch der Absolventen mit dem gesellschaftlichen Bedarf der Praxis für bestimmte Territorien, Orte, Betriebe, Einrichtungen und mit konkreten Arbeitsfeldern möglichst in Einklang zu bringen. Das kam einer Bewerbung sehr nahe. Bei einem hohen Prozentsatz der Absolventen konnte das erreicht werden. In den Monaten, in denen die Absolventenlenkung meines Studienjahrganges stattfand, wurde durch die Volkskammer der DDR die Einführung der Zehnklassigen Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule für alle Schüler beschlossen. Zum gleichen Zeitpunkt sind eine Vielzahl von Zentralschulen in ländlichen Gebieten eingerichtet worden. Besonders für diese Zentralschulen und für zahlreiche Dörfer sind im Zuge der neuen Beschlüsse mehr Lehrer als in den vergangenen Jahren gebraucht worden. Das erforderte, die Absolventen der Lehrerbildungseinrichtungen für die Arbeitsaufnahme in den schulpolitisch festgelegten Schwerpunkten zu gewinnen. Mit uns Lehrerstudenten wurde auch an der DHfK darüber gesprochen mit dem Ziel, eine Bereitschaftserklärung dafür zu erreichen. In meiner Seminargruppe ist das gelungen, ich hatte mich den Verpflichtungen angeschlossen, dort meine Lehrertätigkeit aufzunehmen, wo es die Gesellschaft für erforderlich hält.

 

Während der sechs Jahre Studienzeit hatte ich in meinem Wohnort Lipprechterode im Kreis Nordhausen, mit Sportfreunden und Bekannten Kontakt gehalten. Der Direktor der Schule, Adolf Dörge, der dem Sport sehr nahe stand und einige Jahre auch die BSG „Traktor“ leitete, war an meiner Tätigkeit an seiner Schule sehr interessiert. Ein ausgebildeter Sportlehrer gehörte bisher nicht zu seinem Lehrerkollektiv. Nach Tagen der Überlegung habe ich dem Direktor zugesagt, dass ich der Absolventenlenkungskommission der Hochschule als Einsatzwunsch meinen Heimatort nennen werde. Die Kommission hatte aber für mich andere Vorstellungen. Während des Einsatzgespräches wurde für meine zukünftige Lehrertätigkeit der Vorschlag unterbreitet, ab Schuljahr 1960/61 an der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Erfurt die Arbeit aufzunehmen. Das Angebot war sowohl eine gewisse Anerkennung meiner Leistungen als Student als auch eine vielversprechende, persönliche Herausforderung für die neue berufliche Tätigkeit. Mein Hinweis auf die abgegebene Verpflichtung, die Tätigkeit in einer Dorfschule oder an einer Zentralschule aufnehmen zu wollen, wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen, aber schien für die Mitglieder der Absolventenlenkungskommission keine große Rolle zu spielen. Das war enttäuschend für mich, da meine Einstellung bisher darauf gerichtet war, eingegangene Verpflichtungen auch zu erfüllen. Ich bin ihrem Vorschlag nicht gefolgt.

Für meine Absage, nicht an der KJS in Erfurt eingesetzt zu werden, waren im Wesentlichen zwei Gründe entscheidend: Lehrtätigkeit an Kinder- und Jugendsportschulen waren mit einem hohen pädagogisch-methodischen Anspruch an die Lehrkräfte aller Fachgebiete verbunden. Ich fühlte mich noch nicht reif genug, um erfahrenen Lehrern an der KJS ebenbürtig zu sein. Die Sorge, im Lehrerberuf nicht zu bestehen, war größer als mein Selbstbewusstsein. Sich an einer Dorfschule zunächst „auszuprobieren“ und Erfahrungen zu sammeln, um in den Beruf gut hineinzuwachsen, war mir wichtiger als ein attraktiver Arbeitsvertrag an einer KJS. In späteren Jahren hätte ich ein solches Angebot sicher nicht ausgeschlagen. Der weitere Grund meiner Absage war die Tatsache, dass ich gegenüber der Seminargruppe auch bei meiner Verpflichtung bleiben und nicht in Konflikte kommen wollte. Die Absolventenlenkungskommission akzeptierte meinen Standpunkt der Ablehnung ihres Vorschlages und auch meinen eingereichten Wunsch, in meinem Wohnort im Kreis Nordhausen tätig werden zu können. Zwei Monate vor dem unmittelbaren Studienabschluss bekam ich eine Einladung vom Kreisschulrat aus Nordhausen zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrages und zu einem Einstellungsgespräch. Die Anforderung des Direktors der Schule, mich in das Kollegium seiner Schule aufzunehmen, führte auch beim Kreisschulrat zu einer positiven Entscheidung. Ausschlaggebend ist vielleicht auch gewesen, dass ich in Lipprechterode keinen Wohnraum benötigte, da ich nach sechs Jahren zunächst wieder zu meiner Mutter zurückkehrte. Nach den Gesetzen der DDR zur Absolventenlenkung waren die staatlichen Organe verpflichtet, zumindest eine zumutbare Unterbringung für die Absolventen zur Verfügung zu stellen. Das war eine Aufgabe, die bis zum Ende der DDR mit großen Anstrengungen für die Verantwortlichen verbunden gewesen ist. Die Bereitstellung von Wohnraum war eine bedeutende soziale Maßnahme der Regierung gegenüber den Absolventen der Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR. Mit dem unterschriebenen Arbeitsvertrag als Lehrer einer Allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule konnte ich dem Studienabschluss an der DHfK mit Zuversicht entgegensehen.

Anfang Oktober 1989 reiste der gesamte Übungsverband der Sportstudenten der DDR, der am III. Deutschen Turn- und Sportfest im Juli 1959 in Leipzig teilgenommen hatte, anlässlich der Feierlichkeiten zum 10. Jahrestages der DDR nochmals nach Berlin. Im damaligen „Walter-Ulbricht-Stadion“ führten wir unsere Übung im Rahmen einer Sportschau nochmals auf, zu der noch weitere kulturelle Darbietungen gehörten. Wir verbanden mit dieser Reise eine weitere nachträgliche Wertschätzung unserer sportlichen Leistungen, die wir zum Turn- und Sportfest gezeigt hatten. Nur vier oder fünf Übungsverbände des Sportfestes wurden für den Auftritt in Berlin ausgewählt. Die Unterbringung erfolgte dezentral in verschiedenen Turnhallen. Zu den Proben im Stadion fuhren alle Teilnehmer des Übungsverbandes selbständig mit der U- oder S-Bahn. Die Grenze zu Westberlin verlief nur ca. hundert Meter vom Stadion entfernt, die bis zum 13.August 1961 im Prinzip von jedem Bürger der DDR passiert werden konnte. Über den Status von „Westberlin“ waren wir informiert und hatten ausreichende Kenntnisse über sein Zustandekommen. Vor und während unseres Aufenthaltes in Berlin wurden wir von der Übungsverbandsleitung auf die besondere Situation bezüglich der Grenze in Berlin vorbereitet. Es gehörte zu den Erwartungen und Einsichten, das Territorium Westberlin nicht zu betreten. Ich glaube, dass sich alle Mitglieder des Übungsverbandes der Sportstudenten der DDR daran gehalten haben. Neugierig waren wir aber schon. In den Trainingspausen verließen wir oftmals das Stadiongelände und gingen bis unmittelbar an die nur mit Pfählen markierte Grenze heran, an eine Straße, die nach Westberlin führte. Wir schauten hinüber auf das Territorium Westberlins. Auf unserer Seite standen einige Volkspolizisten, ca. 20 bis 30 Meter weiter waren Westberliner Polizeibeamte zu sehen. Fußgänger überschritten von beiden Seiten kommend die kaum sichtbare Grenzmarkierung. Nur verschiedentlich führten Polizisten Kontrollen durch. Relativ ungezwungen ging es im Oktober 1959 noch an der Grenze in Berlin zu.