Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte

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Ebenso wie die sportpolitische Problematik zwischen den beiden deutschen Staaten standen politische Ereignisse in den 50er Jahren in engem Zusammenhang mit Diskussionen im Studium. Im Jahre 1954 hatte die Regierung der BRD die FDJ und 1956 die KPD in ihrem Staat verboten. Der Jugendfunktionär Philipp Müller wurde von der westdeutschen Polizei bei einer Demonstration erschossen. Die BRD wurde Mitglied in der NATO, die militärische Aufrüstung in Form der Bundeswehr ist zügig vorangetrieben worden. Die Gefahr des Ausbruchs eines neuen Krieges war nicht nur Theorie, um nur einige Beispiele zu nennen. Etwa zur gleichen Zeit brach in Ungarn ein Aufstand gegen die Regierung aus, der von der sowjetischen Armee beendet wurde. Der XXII. Parteitag der KPdSU informierte über die Probleme des Personenkults mit Stalin, für uns Studenten kaum nachvollziehbar. Zweifel an der Praxis des vorgezeichneten sozialistischen Weges in zahlreichen Ländern Osteuropas traten auf. Die DDR wurde Mitglied des Warschauer Vertrages. Von Seiten der Regierung der DDR kam der Vorschlag, eine Konföderation zwischen den beiden deutschen Staaten zu bilden. In offenen Briefen, die in der Presse veröffentlicht wurden, kamen die SED-Führung und die SPD-Führung der Bundesrepublik zu der Auffassung, öffentliche Kundgebungen im jeweils anderen Staat über die Grundpositionen ihrer Politik und über Möglichkeiten der Zusammenführung beider Staaten durchzuführen. Diese Überlegungen hatten offensichtlich keinen ernsthaften Hintergrund, denn zu solchen Kundgebungen oder weiteren zwingenden Gesprächen zwischen den Spitzenpolitikern der SED und der SPD kam es nicht. Beide deutsche Staaten – eingebunden in die jeweiligen Bündnisse – hatten die Weichen anders gestellt, der „Kalte Krieg“ begann unerbittliche Formen anzunehmen, Feindbilder wurde entwickelt. Bis zum Beginn des Studiums an der ABF haben mich diese und weitere politische Grundfragen nur beiläufig interessiert. Das änderte sich mit dem Studium an der ABF. Besonders durch die Unterrichtsfächer „Geschichte“ und „Gesellschaftswissenschaften“ erfolgte eine systematische Auseinandersetzung mit politischen und ideologischen Auffassungen von Partei und Regierung. Ich wurde – wie alle anderen Studenten ebenfalls – mit der materialistischen Weltanschauung und Philosophie in ihren Grundsätzen vertraut gemacht. Einige Schriften von Marx, Engels und Lenin waren schon Gegenstand des Unterrichtes. Die Entwicklung der Gesellschaftsordnungen von der Urgemeinschaft bis zur Gegenwart, die Entstehung des ersten sozialistischen Staates, der Sowjetunion, lernte ich kennen und vergrößerte damit mein bisher nur oberflächliches Wissen auf diesem Gebiet. Besonders intensiv ist über die Ursachen von Kriegen und über den Widerspruch von Arbeit und Kapital gesprochen worden. Ich bekam in den Jahren an der ABF langsam eine wissenschaftliche Weltsicht. Gefördert wurde dieser Prozess durch einen parteilichen Unterricht der Lehrkräfte, durch die gesamte Atmosphäre, die an der ABF herrschte sowie durch die Weiterführung der inhaltlichen Auseinandersetzungen in der FDJ-Gruppe. Nicht immer waren wir unter den Seminarmitgliedern einer Meinung oder fanden keine Erklärung für manche aktuellen Entscheidungen der Regierung der DDR und der Warschauer Vertragsstaaten. Nach meiner Auffassung war die politische und weltanschauliche Erziehung und Ausbildung, wie ich sie an der ABF und auch im Hochschulstudium kennen lernte, nicht frei von Einseitigkeiten. Das Studium war nicht darauf ausgerichtet, sich auch mit den Ansichten und Schriften von Gesellschaftswissenschaftlern und Philosophen aus dem bürgerlichen Lager im Original befassen zu können und kritisch auseinanderzusetzen. Der Ausschließlichkeitsanspruch, der sinngemäß lautete, der Marxismus-Leninismus ist richtig, weil er wahr ist, schränkte den Streit um die besten ideologischen Ansätze der Gesellschaftsordnungen ein, verhinderte die kritische Begleitung des eingeschlagenen sozialistischen Weges. Das Ziel der Erziehung und Ausbildung, bewusste Staatsbürger im Sinne sozialistischer Ideologie heranzubilden, führte aber auch nicht zur politischen Unmündigkeit der Studenten und nur zum Nachbeten von Leitsätzen. Jeder Einzelne war selbst dafür verantwortlich, welche Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit Ideologien und politischen Lehrinhalten daraus abgeleitet wurden. Die wissenschaftliche Betrachtung gesellschaftlicher Prozesse stand stets im Mittelpunkt, die jedem Studenten ausreichend Möglichkeiten einräumte, seinen eigenen politischen Standpunkt und seinen Platz im Leben zu finden. Ich habe Studenten an der ABF kennen gelernt, die von anderen weltanschaulichen Standpunkten – aus welchen Gründen auch immer – ihr weiteres berufliches und persönliches Leben gestalten wollten und wenig Bezug zur materialistischen Weltanschauung und zum Atheismus fanden. Auch sie haben das Studium an der ABF mit der Hochschulreife beendet, vorausgesetzt, die Leistungen waren dazu ausreichend.

Leben und Studium an der DHfK vollzogen sich nicht wie auf einer Insel, nur in Lehrräumen und Sportstätten. Wir waren in die gesellschaftlichen und politischen Prozesse der Stadt Leipzig und der umliegenden Kreise und Kommunen einbezogen. So wie wir am Bau des Leipziger Zentralstadions mithalfen, kamen weitere freiwillige Arbeitseinsätze in den Tagebauen der Braunkohle um Leipzig, bei Vorhaben im Häuser- und Straßenbau und vor allem in der Ernte der landwirtschaftlichen Einrichtungen in einigen Dörfern hinzu. Da ich heute nur unweit vom Naherholungsgebiet Kulkwitzer See in Leipzig-Lausen wohne, ist mir noch gegenwärtig, dass dieser See in den 50er Jahren ein Braunkohletagebau gewesen ist. Jeweils im Februar / März, in den Wochen komplizierter Witterungsbedingungen, unterstützten wir die Bergarbeiter. Unsere Arbeiten waren besonders im Schlamm versunkene Gleise wieder zu heben. Auf Grund unser insgesamt guten körperlichen Leistungsfähigkeit und der Überzeugung, dass diese Arbeitseinsätze zur Stärkung der Wirtschaft der DDR notwendig waren, sind wir stets von den Leitungen dieser Produktionsstätten gefragte Partner gewesen und wurden immer wieder zur Hilfe angefordert. Auch auf diesem Gebiet hatten sich die Studenten der DHfK insgesamt bei den staatlichen Dienststellen in Leipzig einen guten Namen gemacht.

Wir erlebten während der Studienzeit mehrfach große politische Kundgebungen in der Stadt, die nicht ohne Wirkung auf uns blieben. Auf dem Markplatz und an anderen Orten sahen und hörten wir führende Funktionäre der DDR, anderer sozialistischer Staaten, aber auch aus Ländern, die gegen Ausbeutung und Unterdrückung und um ihre Befreiung kämpften. Die meisten Studenten kannten solche großen Zusammenkünfte noch nicht. Für mich waren sie anfangs ebenfalls mit besonderen Eindrücken verbunden. Ähnlich verhielt es sich zum 1.Mai. Wie allerorts in der DDR, wurde der 1.Mai, als Kampf- und Feiertag der Werktätigen bezeichnet, mit großen Demonstrationen begangen. Die DHfK mit ihren Lehrkräften, Arbeitern, Angestellten und Stundenten nahm stets als eigenständiger Marschblock, an ihren Trainingsanzügen gut zu erkennen, daran teil. In den 50er Jahren gab es an der DHfK einen Fanfarenzug der Studenten. Wir marschierten mit den Klängen des Fanfarenzuges an der Spitze vom Hochschulgebäude durch die Jahn-Allee zum festgelegten Stellplatz und weiter an der Ehrentribüne vorbei. Das dauerte mehrere Stunden und war mit einigen Zwischenaufenthalten verbunden. Man konnte eine optimistische, gute politische Stimmung der Bevölkerung in den 50er Jahren daran ablesen. Der Marschblock der DHfK, auch überwiegend alle anderen Teilnehmer an der Maidemonstration, wurden von der Leipziger Bevölkerung mit Beifall begleitet. Viele Tausend Menschen säumten die Straßen, aus den Fenstern winkten die Bewohner. Man spürte in diesen Jahren eine Zuwendung zur Politik der DDR und eine Aufbruchstimmung, einen neuen Staat nach dem 2.Weltkrieg mit aufbauen zu helfen, eine Gesellschaftsordnung, die im Gegensatz zur kapitalistischen BRD stehen sollte. Der 1.Mai gestaltete sich zu einem richtigen Volksfest, man hatte Freude daran teilzunehmen und gewann mehr und mehr Zuversicht, dass sich die DDR weiterhin politisch, ökonomisch, kulturell und sozial zum Wohle ihrer Bürger entwickeln wird. In den kommenden Jahrzehnten, vor allem in den 70er und 80er Jahren, verlor der 1.Mai aus unterschiedlichen Gründen diesen volkstümlichen Charakter, und es blieb nur noch ein Pflichtprogramm.

Die Auseinandersetzung mit einigen Grundbestandteilen des dialektischen und historischen Materialismus und der Politik von Partei und Regierung der DDR und auch der Politik der BRD sowie das Eingebundensein in das gesellschaftliche und sportliche Leben in Leipzig führten bei mir schrittweise zu einem politisch denkenden Menschen. Sich mit Politik näher zu beschäftigen, machte mir von nun an auch Spaß und weckte Neugier und das Bedürfnis, tiefer in die gesellschaftliche Wirklichkeit einzudringen. Solche Fragen, warum sich die Welt so und nicht anders darstellt, warum sich Politiker, Staaten und Völker so und nicht anders in bestimmten Situationen verhalten, konnte man sich besser beantworten bzw. darüber mit Gesprächspartner streiten. In der Summe meiner persönlichen Erfahrungen als Kind am Ende des verheerenden 2. Weltkrieges und in den Jahren danach, die Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung führten am Ende der ABF-Zeit zu meiner politischen Grundhaltung. Ich war generell überzeugt, auch bei Widersprüchen und Enttäuschungen im Einzelfall in der aktuellen Politik, dass die DDR auf dem richtigen Weg ist. Das führte zu der Überlegung, mich mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und ihrer politischen Strategie sowie mit ihrem Statut näher zu beschäftigen. In meiner Seminargruppe war bereits ein Jugendfreund Mitglied der SED. Ich bat ihn um das Statut der SED und ließ mir das Wirken der Mitglieder einer Parteiorganisation erklären. Nach Durchsicht des Statuts und auf der Grundlage meiner bisherigen politischen Erkenntnisse war ich zu der Auffassung gekommen, dass ich die Festlegungen im Statut einhalten könne und noch bessere Möglichkeiten als SED-Mitglied hätte, für die DDR zu wirken. Es ging zugespitzt in den 50er Jahren um die Grundfrage: Nie wieder Krieg, kein Krieg darf von deutschem Boden mehr ausgehen, wir wollen ein besseres Deutschland als es vor 1945 gewesen ist ! Diese Zielstellung sah ich mit der SED, mit einem sozialistischen Staat und mit verbündeten Staaten erreichbar. Warum sollte ich mich einer solchen Partei nicht anschließen können ? Es hat mich niemand für die SED geworben, von keiner Person bin ich in dieser Beziehung angesprochen oder bedrängt worden, SED-Mitglied zu werden. Die Entscheidung wurde ausschließlich von mir getroffen. Auch der oft publizierten und geäußerten Feststellung nach der Wende, die meisten SED-Mitglieder seien aus Karrieregründen dieser Partei beigetreten, auch wenn es Einzelfälle sicher gegeben hat, muss ich grundsätzlich widersprechen und kann es an meinem Beispiel beweisen. Die Bestätigung für das Hochschulstudium an der DHfK hatte ich bereits erhalten. Eine Funktion in irgendeiner Form bekleiden zu wollen, war überhaupt nicht in meiner Gedankenwelt. Es gab also nur einen Grund, der SED beizutreten: Meine eigene politische Überzeugung. Ich stellte den Antrag, Kandidat der SED zu werden und wurde von der Grundorganisation der ABF der DHfK im Frühjahr 1957 aufgenommen. Mit dem Abitur als Voraussetzung und als Kandidat der SED nahm ich nach einigen Urlaubswochen im September 1957 das Hochschulstudium an der DHfK auf.

 

Qualifizierung mit dem Hochschulstudium
(1957 – 1960)

Die Bewerbungsunterlagen zum Hochschulstudium an der DHfK waren im 3.Studienjahr an der ABF schon vor den Abschlussprüfungen einzureichen. Nach wenigen Wochen bekam ich einen positiven Bescheid. Eine sportpraktische Eignungsprüfung fand für die Absolventen der ABF der DHfK nicht statt. Aus meiner Seminargruppe haben nur etwa 50% das Studium an der DHfK unmittelbar fortgesetzt. Zahlreiche Studienfreunde entschieden sich für andere Studienrichtungen. Das Abitur an der ABF der DHfK berechtigte auch zur Immatrikulation an allen anderen Hochschulen und Universitäten der DDR. Einige der ehemaligen Seminargruppenmitglieder der ABF habe ich in folgenden Jahren gelegentlich als Maschinenbauingenieur, Finanzökonom, Jurist usw. wiedergetroffen.

Ich stand für das bevorstehende Hochschulstudium an der DHfK vor der Entscheidung, welche Richtung ich wählen sollte. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Möglichkeiten: Das Studium in der Fachrichtung „Diplomsportlehrer“ mit einer späteren beruflichen Tätigkeit in der Sportorganisation, im DTSB, oder in der Fachrichtung „Schulsportlehrer“ zur Vorbereitung als Lehrer für die Schule im Fach Sport in der Kombination mit einem zweiten Unterrichtsfach. Zur Wahl standen hierzu: Deutsch, Geschichte, Russisch oder Kunsterziehung. Diese Möglichkeit, als Lehrer für die Schule ausgebildet zu werden, gab es seit 1955 an der DHfK. Das Institut für Körpererziehung der Universität Leipzig, das die Ausbildung der Schulsportlehrer bisher in Leipzig durchführte, wurde aus der Universität ausgegliedert. Mit ihrem hauptsächlichen Personalbestand an Lehrkräften ist es an die DHfK im Sinne einer Konzentration von Lehre und Forschung auf dem Gebiet des Sports an einer Einrichtung in Leipzig überführt worden.

Ich entschied mich für die Fachrichtung „Schulsportlehrer“ mit dem zweiten Fach Deutsch. Meine Gründe, warum ich gerade diese Ausbildung wählte, waren sehr eigennützig. Eine wichtige Rolle hat dabei gespielt, dass eine sportpädagogische Tätigkeit im DTSB noch nicht so genau abgegrenzt und definiert war wie in den 70er und 80er Jahren. Das vielseitige Tätigkeitsspektrum und die bisherigen unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten vermittelten kein genaues Berufsbild und ließen mich von dieser Studienrichtung Abstand nehmen. Die Tätigkeit und Arbeitsweise eines Sportlehrers in der Schule war dagegen bekannt und entsprach mehr meinen persönlichen Vorstellungen. Meine Wahl des zweiten Faches kann ich nicht genau begründen, sie war hauptsächlich vom Gefühl bestimmt. Natürlich hatte ich eine gute Beziehung zur deutschen Sprache und zur Literatur insgesamt, obwohl ich bis zu diesem Zeitpunkt wenig schöngeistige Literatur gelesen hatte. Das Deutschstudium, das von Lehrkräften des damaligen Pädagogischen Instituts Leipzig, der späteren Pädagogischen Hochschule, gestaltet wurde, machte mir aber zunehmend Spaß. Doch schon während des Studiums, auch während meiner Tätigkeit in der Schule, vor allem aber in den folgenden Jahrzehnten musste ich mir immer wieder eingestehen, wahrscheinlich mit der Wahl des zweiten Studienfaches einen Fehler gemacht zu haben. Es bildete sich bei mir immer stärker das Interesse für geschichtliche Ereignisse und gesellschaftliche Zusammenhänge heraus, besonders für die Zeit von der Reformation und des Deutschen Bauernkrieges bis zur Gegenwart mit den Schwerpunkten der zwei Weltkriege und der daraus resultierenden politischen Ergebnisse. Insofern wäre ein Geschichtsstudium für mich noch ergiebiger gewesen, ich hätte noch mehr Nutzen für meine spätere Tätigkeit daraus ziehen können.

Mit Beginn des Hochschulstudiums war das Unterrichtsgeschehen im Altbau für uns ehemalige ABF -Studenten beendet. Unsere Ausbildung fand nun in dem 1956/57/58 schrittweise fertiggestellten Neubau der DHfK statt. Besonders beeindruckt waren wir von den verschiedenen Sporthallen mit den dazu gehörenden Umkleideräumen und sanitären Einrichtungen. Ein großer Teil der Studenten, der in ländlichen Gebieten oder kleineren Städten beheimatet war, kannte zu diesem Zeitpunkt solche attraktiven Sportstätten noch nicht oder konnte sie für die eigene sportliche Betätigung nur selten nutzen. Das traf auch auf mich zu. Der Neubau mit dem Hörsaalbereich, den Seminar - und Verwaltungsräumen und den Sporthallen waren nach sportpraktischen und lehrmethodischen Gesichtspunkten dieser Zeit sowie den ökonomischen Möglichkeiten der DDR entsprechend errichtet worden. Als die ersten Male in der C -Halle, sie bekam später den Namen des ehemaligen Funktionärs der Arbeitersportbewegung, „Ernst Grube“, verliehen, ein Teil der sportpraktischen Ausbildung (Leichtathletik und Sportspiele) durchgeführt wurde und wir darüber hinaus noch Hallen-Fußball spielen konnten, hatten wir das Gefühl, privilegiert zu sein. Besonders deshalb, weil in den 50er Jahren in Leipzig noch unzählige Ruinen als Ergebnis des 2.Weltkrieges und wenig Neubauten zu sehen waren, aber gleichzeitig eine neue Sporthochschule errichtet wurde. Die Regierung der DDR hatte unter schwierigen ökonomischen Bedingungen bereits eine Entscheidung mit Langzeitwirkung für die erfolgreiche Entwicklung von Körperkultur und Sport im Lande getroffen. Nicht alle Leipziger waren mit dem Neubau der DHfK einverstanden. Ein Teil der Bevölkerung war der Meinung, man hätte dafür neue Wohnungen bauen und zerstörte Gebäude sanieren sollen. Wir sind auch mit solchen Auffassungen konfrontiert worden.

Das Hochschulstudium begann wiederum mit der Bildung von Seminargruppen. Absolventen der ABF trafen mit ehemaligen Oberschülern in einer Gruppe zusammen. Wir ABF-Absolventen kannten die DHfK bereits als Ganzes mit ihren Räumlichkeiten und Gepflogenheiten. Für die Absolventen der Oberschulen sind die DHfK und Leipzig eine neue Umgebung gewesen. Bedeutungsvoll war die Tatsache, dass die ABF-Absolventen eine größere Lebenserfahrung in das studentische Leben und in die persönlichen Beziehungen innerhalb der Seminargruppe einbrachten. Die ehemaligen Oberschüler waren mehr individualistisch geprägt und z. T. anfangs disziplinierter im Selbststudium. Es ergab sich eine gute Mischung von relativ jungen Menschen mit unterschiedlichen Gewohnheiten und Ansprüchen mit dem Ziel, das Studium an der DHfK erfolgreich abzuschließen. Schnell hatten wir uns trotz unterschiedlicher persönlicher Verhaltensweisen zusammengefunden. Es blieb aber nicht aus, und es war auch nicht zum Nachteil für den Einzelnen und die gesamte Gruppe, dass ein bestimmtes Führungsverhalten und ein Tonangeben im Kollektiv der Seminargruppe in den meisten Fällen von den ABF -Studenten ausgingen. Das zeigte sich auch in der Zusammensetzung der FDJ-Leitung der Gruppe.

Das Studium der einzelnen Fachgebiete war anspruchsvoll, aber es musste sich auch kein Student überfordert fühlen. Kontinuierliches Selbststudium und regelmäßige Teilnahme an den Lehrveranstaltungen waren die Voraussetzung, dass Prüfungen nicht zum Alptraum wurden und in der Regel kaum wiederholt werden mussten. Der Wechsel von Vorlesungen, Seminaren und Übungen sowie Sportpraxis prägten den Ablauf des Studienalltags und hatte positive Wirkungen auf die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit. Nach meiner Erinnerung traten nur überwiegend Probleme in der Sportpraxis auf. In der Regel beherrschte jeder Student ein oder zwei Spezialsportarten relativ gut, die er vor dem Studium bereits intensiv betrieben hatte und damit den neuen Anforderungen im Studium entsprechen konnte. Bei manchen Sportarten oder Teildisziplinen gab es Schwierigkeiten. Bei mir betraf es das Gerätturnen. Andere Studenten wiederum konnten in den Schwimmdisziplinen oder in einigen Disziplinen der Leichtathletik nicht sofort die geforderten Leistungsnachweise erfüllen. Durch zusätzliche Übungsstunden, die von Lehrkräften angeboten und geleitet wurden, konnten die Defizite in Teilen der Sportpraxis minimiert werden, wenn man diese Angebote annahm und sich selbst darum bemühte. Kaum kam es zu Exmatrikulationen, weil sportpraktische Normen nicht erreicht worden sind. Von den Lehrkräften gab es stets ein großes Entgegenkommen, über die obligatorischen Sportstunden hinaus weitere Übungseinheiten zu betreuen und Hilfe zu gewährleisten. Es entwickelte sich auch im Hochschulstudium wie an der ABF eine Art partnerschaftliche Beziehung zwischen Lehrkräften und Studenten, ohne das pädagogisch richtige Verhältnis von Lehrenden zu Lernenden zu überfordern. Vorherrschend war ein kameradschaftlicher Ton, der die Achtung der Studenten gegenüber den Lehrkräften und umgekehrt voraussetzte.

Während des Studiums ist uns Studenten nicht entgangen, dass in einigen Fachgebieten die Lehrkräfte selbst noch Suchende und Lernende waren. Die Sportwissenschaft der DDR war in den meisten Fachgebieten und in ihrer Systematisierung im Aufbau begriffen, ein qualifizierter Lehrkörper war in seiner Gesamtheit erst im Entstehen, Lehrgegenstände waren durch eigene Forschung noch nicht begründet. Daraus resultierte auch, dass Lehrbücher, Lehrhefte, überhaupt schriftliches Lehrmaterial nur begrenzt und für einige Lehrgegenstände überhaupt noch nicht zur Verfügung standen. Auf Lehrbücher, die noch mit der Nazi-Ideologie behaftet waren oder zum Sozialismus und zur DDR grundsätzlich im Widerspruch standen, wurde berechtigter Weise nicht zurückgegriffen. Die Tatsache, dass ausreichende Fachliteratur anfangs noch nicht greifbar war sowie einzelne Fachbücher aus politisch - ideologischen Gründen für das Selbststudium auszuschließen waren, führte logischerweise zur Nutzung von Übersetzungen aus der Sowjetunion oder auch in Einzelfällen aus anderen sozialistischen Ländern. Die Sportwissenschaft in der Sowjetunion hatte bereits zu dieser Zeit ein beachtliches Niveau, deshalb waren besonders ihre Standardwerke der Physiologie, Sportmedizin, Pädagogik, Psychologie und zu lerntheoretischen Fragen unentbehrliche Helfer unseres Studiums. Käuflich konnte man sie kaum erwerben, deshalb entbrannte oftmals ein „Kampf“ um die Exemplare, die im Lesesaal der DHfK ausgeliehen werden konnten. Mehr zum Ende des Studiums konnten wir auf Fachliteratur zurückgreifen, die meistens von jüngeren Lehrkräften und Sportwissenschaftlern der DHfK publiziert worden ist. Wir spürten das Bestreben im Lehrkörper, eigene wissenschaftliche Arbeiten schrittweise als Lehrmaterial, oftmals nur Lehrhefte genannt, und Lehrbücher zu veröffentlichen. Das betraf vor allem solche Fachgebiete wie Geschichte der Körperkultur, Anatomie, Sportspiele, Gerätturnen, Bewegungslehre u.a. Einige dieser Exemplare der Erstauflagen besitze ich auch heute noch.

Gleichzeitig fand im Lehrkörper eine intensive Diskussion zu grundlegenden theoretischen Problemen einer in der Entstehung befindlichen sozialistischen Körperkultur statt. In Einzelfällen war ich auch Zuhörer in solchen Veranstaltungen, zu denen die Studenten eingeladen waren. Die Themen waren interessant, doch fanden wir noch wenig Bezug zu diesen Theorie-Diskussionen. Naheliegender war, uns sportfachliches und pädagogisch- methodisches Wissen und Können als praktisches Handwerkzeug für die spätere Tätigkeit anzueignen. Angeregt von diesen Veranstaltungen wurde ich aber trotzdem, mich schrittweise auch mehr theoretischen Problemen der Sportwissenschaft zuzuwenden. Bereits im 3.Studienjahr wählte ich für meine Staatsexamensarbeit eine vorrangig theoretische Thematik und konnte Gefallen daran finden. Während der späteren Tätigkeit als Lehrkraft an der DHfK wurde meine Beziehung zu diesem Teil der Sportwissenschaft noch intensiver.

 

In den zu absolvierenden schulpraktischen Tagen, die parallel zu Vorlesungen und Seminaren Bestandteil des Studiums waren, lernten wir erstmalig den Schulalltag und den Sportunterricht unter der Sicht eines zukünftigen Sportlehrers kennen und sammelten eigene pädagogisch-methodische Erfahrungen. Gründliches Wissen zur Schulsportmethodik insgesamt, zu Altersbesonderheiten der Schüler, zum organisatorischen Aufbau einer Sportstunde waren von großer Bedeutung, um in den Praktikumsstunden vor den kritischen Augen der DHfK-Mentoren und des Sportlehrers der entsprechenden Schule bzw. Klasse zu bestehen. Dazu lieferten die Vorlesungen von Prof. Dr. Meinel im Fach „Bewegungslehre“ eine besonders gute theoretische wie praktische Grundlage. In diesen Jahren wurde an allen Ausbildungseinrichtungen für Sportlehrer und auch an den Schulen eine Neuerung für die Gestaltung der Sportstunden diskutiert und nach Experimenten eingeführt. Vorausgesetzt, die Sportlehrer waren dazu befähigt, davon überzeugt und gewillt, sich dieser Form des Sportunterrichts zu stellen. Es ging um die Intensivierung der Sportstunde durch das sogenannte Kreistraining oder den Stationsbetrieb. Viele Schüler sollten an mehreren Stationen mit gezielter Aufgabenstellung gleichzeitig üben, um die körperliche Belastung der Schüler zu steigern. Von der bisher meist angewandten Form des Sportunterrichts mit sehr geringer Übungsintensität für den einzelnen Schüler ( nur ein Schüler übt und die anderen sind zunächst Zuschauer bis der Wechsel erfolgt) sollte Abschied genommen werden. Das kam einer gewissen Revolution bei der Gestaltung der Sportstunden in der Schule gleich. Mit der theoretischen Ausbildung im Fachgebiet „Methodik des Sportunterrichts“ und während der schulpraktischen Tage sowie im mehrwöchigen Schulpraktikum haben wir diese neue Form der Organisation von Sportstunden kennen gelernt und erste Lehrversuche durchgeführt. Wir waren auch auf diesem Gebiet auf das praktische Berufsleben gut vorbereitet.

Die Studienbestandteile des Faches „Deutsch“ waren mit Vorlesungen, Seminaren und Übungen im Studienablaufplan sowie in den Wochen- und Tagesplänen mit den Lehrgebieten des Sportstudiums verzahnt. Diese Studienplangestaltung hatte überwiegend Vorteile. Auch wenn die theoretischen Lehrveranstaltungen des Sportstudiums uns geistig nicht unterforderten, setzten doch die Lehrgebiete des Deutschstudiums andere Akzente an das Denken und an das Hineinversetzen in die Lehrgegenstände Orthografie, Grammatik, Phonetik, Literatur usw. Eine große Aufmerksamkeit und Abstraktionsfähigkeit waren erforderlich, die Allgemeinbildung wurde erheblich erweitert, was sich wiederum auf das Sportstudium positiv auswirkte. Nachteile ergaben sich nur insofern, wenn Vorlesungen zu den Fachgebieten des Deutschstudiums unmittelbar nach dem sportpraktischem Unterricht, vor allem nach dem Schwimmen stattfanden. Es war dann immer ein Spagat zwischen dem Verfolgen der Vorlesung und Ermüdungserscheinungen, die zu überwinden gewesen sind. Trotz der nachhaltigen Wirkung, die das Studium des zweiten Fachgebietes auf meine Persönlichkeitsentwicklung hatte, und der völligen Gleichwertigkeit im Ausbildungsgang im Verhältnis zum Sportstudium, habe ich mich immer vorrangig als Sportstudent und später als Sportlehrer gefühlt. Insofern war für mich die oft gestellte Frage nicht von Bedeutung: Was ist eigentlich Haupt – und was ist Nebenfach an der DHfK? Ausschlaggebend ist das „Phänomen Sport“ gewesen, das für die Motivation entscheidende Akzente setzte, in diesem Berufsfeld tätig zu sein.

Nach anfänglicher Skepsis sowohl von Studenten als auch von Lehrkräften des Pädagogischen Instituts (PI), wie die Ziele des Deutschstudiums mit Sportstudenten erreicht werden können, ergab sich bald ein produktives Miteinander ohne Vorbehalte. Oft haben die Lehrkräfte des PI zum Ausdruck gebracht, dass ihr Lehrauftrag mit den DHfK- Studenten nach den gleichen Anforderungen gestaltet werden kann wie mit den Studenten des PI. Sie sind ihren Lehrverpflichtungen mit Freude nachgekommen, weil ihnen die Sportstudenten als aufgeschlossene junge Menschen begegneten. Das nicht gerechtfertigte Vorurteil, das gelegentlich auch zu hören war, die DHfK-Studenten hätten keine ausreichenden, intellektuellen Voraussetzungen für geisteswissenschaftliche Lehrgebiete, konnte durch ihre Leistungsfähigkeit bald korrigiert werden. Profitiert haben die Lehrkräfte des PI auch von ihrer Tätigkeit an der DHfK. Sie lernten indirekt den Inhalt und den Lehrbetrieb an einer sportwissenschaftlichen Einrichtung kennen, bekamen Kontakt zu ihrem Lehrkörper und erhielten einen Einblick in den Forschungsgegenstand sportwissenschaftlicher Disziplinen, was auch zu einer größeren Achtung und Anerkennung der DHfK ihrerseits führte.

Die DHfK war eine völlige Neugründung im Jahre 1950, sie ist nicht aus einer anderen akademischen Einrichtung entstanden. Insofern war sie vor allem in den ersten Jahren ihres Bestehens auch der kritischen Betrachtung durch das Personal der Leipziger Hochschuleinrichtungen und der Universität ausgesetzt. Die Verbindung der DHfK mit den anderen akademischen Einrichtungen in Leipzig, so auch mit der Karl-Marx-Universität, die für das Studium des Faches Geschichte und Kunsterziehung der DHfK-Studenten verantwortlich war, ist auch für die Deutsche Hochschule für Körperkultur vorteilhaft gewesen. Sie konnte ihre Ausstrahlung unter den Hochschuleinrichtungen erhöhen und von ihren Fachwissenschaften gegebenenfalls auch Ideen für die eigene Wissenschaftsentwicklung ableiten. Diese Einschätzung habe ich während meiner Studienzeit noch nicht treffen können, das ist mir erst Jahre später bewusst geworden, als ich für das Studium an der DHfK und für Verbindungen zu anderen Hochschuleinrichtungen in Leipzig eine bestimmte Verantwortung getragen habe.

Bestandteil des Studiums an der DHfK war das Marxistisch-leninistische Grundlagestudium (M/L). Es wurde an allen Hoch- und Fachschuleinrichtungen der DDR nach einem einheitlichen Lehrprogramm gestaltet, gegliedert in die Bestandteile: Dialektischer und Historischer Materialismus (Philosophie), Politische Ökonomie des Kapitalismus und Sozialismus sowie Wissenschaftlicher Sozialismus. In späteren Jahren kam noch der besondere Teil „Grundlagen der Geschichte der Arbeiterbewegung“ hinzu. Vorlesungen für alle Studenten eines Studienjahrganges und Seminare zu den entsprechenden Themen auf der Basis der Studentengruppe sind bis 1989/90 die praktizierten Lehrweisen gewesen. Diese Lehrgebiete waren Bestandteil der Semester- und Studienjahresprüfungen. Da die ehemaligen ABF-Studenten im Fach „Gesellschaftswissenschaften“ bereits in Ansätzen mit diesem Gegenstand Kontakt hatten, war das M/L - Grundlagenstudium eine logische Fortsetzung der bisher angeeigneten Kenntnisse im Sinne der inhaltlichen Erweiterung und Vertiefung. Das Interesse von uns Studenten für diesen Bestandteil des Studiums war entscheidend abhängig von der Befähigung und dem Willen der einzelnen Lehrkräfte, den Inhalt nicht nur als unumstößliche Leitsätze darzubieten, sondern ihn auch in seiner Widersprüchlichkeit und polemisch zu behandeln, Streitgespräche in den Seminaren herauszufordern. Dazu sind mir Unterschiede zwischen den Lehrkräften im Gedächtnis geblieben. Das pädagogisch-methodische Vermögen und die Art der Behandlung der Thematik, wie das kritische Hinterfragen philosophischer oder ökonomischer Auffassungen, haben die Beziehung zu diesem Lehrgebiet maßgeblich gefördert. Wer von den Lehrkräften den Marxismus-Leninismus nicht nur a priori als absolute Wahrheit lehrte, der konnte einer interessanten Seminargestaltung sicher sein, die letztlich auch zu Überzeugungen bei den Studierenden führte. Das Lehrgebiet M/L und die Einbeziehung der Beschlüsse der SED-Führung in das Unterrichtsgeschehen hatten zum Ziel, die Studenten zu bewussten Staatsbürgern der DDR zu erziehen und mit Kenntnissen dafür auszurüsten. Das ist mit unterschiedlichem Erfolg bei jedem einzelnen Studenten auch gelungen, doch insgesamt war es wirkungsvoll. Die Studieninhalte haben zum besseren Verständnis der Welt in ihrer Entstehung und Entwicklung, zu materialistischem und dialektischem Denken, zur genaueren Analyse von Gesellschaftsformationen und der praktischen Politik von Regierungen, der besseren Beurteilung von Ursachen und Wirkungen, der sachlichen Einschätzung von unterschiedlichen Ideologien und Wertvorstellungen in hohem Maße beigetragen. Darüber hinaus sind eine Vielzahl von Grundsätzen der marxistischen Philosophie und Dialektik eine unentbehrliche Grundlage wissenschaftlicher Arbeit für die Sportwissenschaft gewesen. Die überwiegenden Inhalte dieses Studienfaches haben das eigentliche Fachstudium auch ergänzt und bereichert.