Dornröschen und der Mettsommernachts-Traum

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Gerade öffne ich den Mund, schiebe sanft Jaz’ Hand von meiner Schulter, da klatscht etwas von außen gegen die Fensterscheibe. Etwas Großes.

»Was bei allen Sieben Geißlein ist das?«, fragt Rapunzel erstickt.

Das Mädchen, das soeben gegen Snows Scheibe gedonnert ist und dort einen beeindruckenden Fettfleck hinterlassen hat, rutscht an ebendieser hinunter. In Zeitlupe, wobei sie ziemlich weggetreten wirkt.

Ihre Flügelchen zucken. Ein geflügeltes blondes Mädchen. Etwas älter als wir.

Meine Augenbrauen wandern nach oben, ohne dass ich es verhindern kann.

Während alle anderen ziemlich verwirrt schauen, macht Rose eine ausladende Handbewegung in Richtung Fenster. »Flavia, die Zwölfte Fee.«

Flavias Zunge hängt halb aus ihrem Mund und rutscht etwas zeitverzögert zu ihrem Körper am Fenster hinab.

»Entzückend«, bemerkt Snow.

Mit ihrer Minifaust donnert die Herzkönigin gegen die Scheibe.

Das weckt die Fee auf. »Aloha!«

Rapunzel dreht sich zu mir um. »Alohomora?«

Ich schüttle den Kopf.

»Könnte mal jemand das Fenster aufmachen?«

Rexia schaltet als Erste, ungefähr in dem Moment, in dem die Fee wieder zu sich kommt und beginnt, in der Luft zu flattern.

Nachdem sich Flavia, die Fee, einmal geschüttelt und mit der rechten Hand zweimal gegen den Schädel geschlagen hat, schwebt sie herein. Für eine Fee ist sie tatsächlich sehr klein. Kaum größer als die Herzkönigin.

»Feen hatte ich irgendwie eleganter in Erinnerung«, meint die Grinsekatze.

»Warum bist du nicht durch die Tür gekommen?«, frage ich.

»Am Telefon sagte Rose, dass es dringend ist«, piepst die Fee.

Na, das erklärt natürlich alles. Meine Stirn legt sich schmerzhaft in Falten.

Die Zwölfte Fee also. Mir war, als hätte ich da neulich etwas auf Instagram über sie gelesen. Aber was war das?

»Bist du nicht die Fee, die als einzige noch ihre Magie hat? Abgesehen von der Dreizehnten? Die anderen elf wurden rechtskräftig verurteilt und ihrer Magie beraubt?«

»Oder sind verschwunden.« Flavia nickt, zieht dann an ihrem silbernen Kleidchen, an dessen Saum bunte Blüten aus Stoff genäht sind. Rosen, Lilien, Sonnenblumen … Sie wirkt wie eine Hippie-­Astronautin mit blonden Locken. Ganz so, als würde sie sich an Pains Hairstyling-Youtube-Kanal orientieren.

Nicht im Mindesten mehr peinlich berührt, umkreist die Fee die Herzkönigin und landet dann direkt vor Rose.

»Hach, ist das schön, dich wiederzusehen, kleine Prinzessin.«

»Finde ich auch.« Rose lächelt die Fee an, die bei der Feier zu ihrer Geburt einen guten Wunsch geschenkt hat. So viel weiß ich. »Wir haben Ärger mit der Dreizehnten Fee, Flavia.«

»Mit der, über deren Namen wir schweigen?« Die Zwölfte Fee reißt den Mund auf und presst beide Fäuste gegen die Wangen. Das verleiht ihr das Aussehen einer dieser Porzellanpuppen, die bei manchen Omas auf den Sofalehnen sitzen. Dabei fällt mir auf, dass sie einen Feenzauberstab in der linken Hand hält. Komplett weiß, aus gedrehtem Weidenholz, wenn ich mich nicht irre. Sieht sehr kunstvoll aus.

»Wir brauchen deine Hilfe«, fährt Rose fort. »Die Dreizehnte Fee hat …«

Doch bevor wir das bestätigen können, niest die Fee ganz entsetzlich laut. Ungefähr in derselben Lautstärke wie ein vorbei­donnernder Achtspänner. Mit Hufeisen. Dann, vollkommen unerwartet, sprühen silbrige Funken aus ihrem Zauberstab, ohne dass sie etwas gesagt hätte.

Nanu? Was hat das zu bedeuten? Vor Schreck, so scheint es jedenfalls, hören sogar die Äffchen auf, am Kronleuchter zu schaukeln.

»Bei allen Kurzhaar-Rosetten!«, kreischt Gretel. »Wie seht ihr denn aus?«

Wie? Zuerst verstehe ich nicht, was sie meint, doch dann fällt mein Blick auf Rose, auf Snow, dann auf Jaz, Asher, die Hexen, Gretel, ja sogar die Äffchen. Alle tragen Schnurrbärte. Im Gesicht.

Rapunzel tastet nach der braunen Rotzbremse unter ihrer Nase. »Waa … was? Was ist das?«

Blitzschnell zieht Cinder ihren Schminkspiegel aus einer Falte ihres Kleides. »Bitte sagt mir, dass mein Spiegel kaputt ist.«

»Ähm.« Ein ziemlich verwirrt dreinblickender Spieglein erscheint im Spiegelglas. »Du siehst aus, als hätte man dir eins von Gretels Meerschweinchen ins Gesicht geklebt.«

»Das warst du, oder?« Mit einer Hand an ihrem Mund, die den tiefschwarzen Mafiosi-Schnurrbart betastet, dreht sich die Herz­königin zur Zwölften Fee um. »Deine Funken. Du hast geniest und Puff

Die Zwölfte Fee verzieht das Gesicht zu einer schuldbewussten Grimasse, die deutlich macht, dass ihr so etwas häufiger passiert, und plötzlich erinnere ich mich, dass ich etwas Ähnliches auf Instagram gelesen habe. Die Zwölfte Fee hatte allen Äpfeln auf dem Wochenmarkt Beine gezaubert, sodass die Bauern ihr Obst einfangen mussten. Erschöpft seufze ich. Warum fangen wir uns nur immer wieder mehr Probleme als Lösungen ein?

»Tut mir leid, ich hab mich einfach nicht im Griff.«

»Was soll das heißen?«, fragt Snow scharf. »Nicht im Griff? Definier das, bitte.«

»Unkontrollierte Gefühlsausbrüche führen zu unkontrollier­barer Magie.«

Verflucht noch mal! Unter meine Nase juckt es. Und nicht nur das. Es scheint mich überall im Gesicht zu kitzeln. Kratzige Schnurrbarthaare!

»Mach das sofort weg.« Pan deutet zuerst auf seinen eigenen und dann auf Cinders Schnurrbart.

»Jaja, Moment.« Die Fee kratzt sich am Hinterkopf, wodurch ihre Haare wie ein Hahnenkamm abstehen. Glitzerstaub rieselt zu Boden.

Mein linkes Augenlid beginnt zu zucken.

»Ich hab’s gleich, ich hab’s gleich.« Sie presst die Lippen aufeinander, wedelt mit dem Zauberstab und sagt: »Peng.«

Stille.

Das kratzige Gefühl erstirbt und nach einem Blinzeln erkenne ich, dass wir alle wie frisch rasiert wirken. Selbst die Grinsekatze. Als ob ihr jemand das Fell unter der Nase glatt gebügelt hätte. Besser wir reichen Grin vorerst keinen Spiegel.

»Peng? Ich habe noch nie zuvor einen dämlicheren Zauberspruch gehört«, sagt Snow.

»Oh doch, da gibt’s viele«, sagt die Fee leichthin. Erst letztens habe ich jemanden sagen hören: Mortadella, Hot Dog. Sushi.«

»Hmpf«, sagt Snow.

Rapunzel kichert und schielt auf Snows Ebenholzzauberstab.

Die Ader an Snows Schläfe ist in diesem Augenblick genauso ausgeprägt wie die Verschlingungen am Hexenzauberstab. Snows Hand umschließt ihn und hämmert damit auf den Tisch. Das ganze Möbelstück scheint zu vibrieren.

Ich beiße mir auf die Zungenspitze und denke an Snows erste Zauberversuche zurück. Eigentlich würde ich mir zu gern ihren Hexenzauberstab ausleihen, seit ich den Feenzauberstab nicht mehr habe. Nur leider hört das verdammte Ding nicht auf mich. Nichts bekomme ich damit gezaubert. Er scheint nur Snow dienen zu wollen. Wahrscheinlich weil sie halb Hexe ist. Mein Blick schweift zu Snows Tante: Rexia, die genauso verkniffen dreinschaut wie Snow.

»Ja, nun dann.« Rose fährt sich mit der Hand über das nun schnurrbartfreie Gesicht. »Flavia, wir brauchen deine Hilfe.«

»Flavia?«, raunt mir die Grinsekatze zu. »Ist das nicht ein Pferdename?«

»Wir müssen die Dreizehnte Fee austricksen«, fährt Cinder fort. »Ihr im besten Fall den Feenzauberstab abnehmen.«

»Abnehmen? Ihr meint, sie verurteilen?« Die kleine Fee schnappt nach Luft. »Flügel abschneiden, Strafarbeit, Müll aufsammeln?«

»Ähm …« Eigentlich gar keine so schlechte Idee. Wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen?

Quinn räuspert sich. »Wenn es so einfach bei diesem gerissenen Miststück wäre.« Sie zieht sanft am Schwanz eines Äffchens, das auf ihrer Schulter herumturnt und sie zu lausen beginnt.

Mir wird ein bisschen schlecht. Aber sie hat recht. Die Dreizehnte Fee hat es über Hunderte von Jahren geschafft, ungestraft mit allem davonzukommen. Wieso sollte die Entführung und Bedrohung meiner Großmutter eine Ausnahme sein? Also sind wir wie immer auf uns allein gestellt.

»Die Jäger anrufen schadet doch nicht?«, fragt Rapunzel mit Piepsstimme. »Oder?«

Wieder ein Räuspern der Herzkönigin. »Erzähl das mal Prinzessin Swanley, die die Jäger antextete und dann von Fear reingelegt wurde, sodass die Jäger Swanley verdächtigten, ihr eigenes Baby gegessen zu haben.«

Fear bedenkt sie mit einem bösen Blick. »Das ist ungefähr zwei Millionen Jahre her.«

Vor ihrer Therapie, zumindest. Immerhin scheint Asher nicht zugehört zu haben. Er ist auf ihrem Schoß eingeschlafen.

»Also gehen wir hin?« Fast traue ich mich nicht, es auszu­sprechen. Aus Angst vor der Antwort.

Die Luft im Raum flimmert. Genauer gesagt sind es die Staubflocken.

»Wir müssen Zeit schinden«, sagt Jaz, nachdem wir lange genug geschwiegen haben, und greift nach meiner Hand. »Cinder und Pan regeln das. Mit Flavia. Mach dir keine Sorgen.«

»Korrekt.« Snow dreht sich auf ihrem Stuhl zu mir um, indem sie die Beine anzieht. »Red würde die Dreizehnte Fee mit ihrem Anblick nur zu sehr aufregen.«

Aufregen? Ich atme einmal tief durch. Gut, irgendwie hat sie recht. Die Dreizehnte Fee glaubt immer noch, dass ich diejenige wäre, die versucht hat, sie zu töten, die den Tod der anderen Märchen­antagonisten verursacht und damit alles Unglück über den Märchenwald gebracht hat. »Ich vertraue dir, Cinder. Du wirst das Richtige tun.« Für meine Großmutter und uns alle.

Und Charming würde kein Leben riskieren, nicht wahr? Er würde nichts tun, was Cinder verärgern könnte.

»Das ist eine großartige Meinung.« Snow zieht einen Spiegel aus ihrer Lederjacke. »Würde Red in dieser Hütte auftauchen, wäre ihre Großmutter direkt tot.«

 

Ich höre Spieglein kichern.

Tief atme ich ein und aus.

Im gleichen Moment lehnt sich Rose zu mir herüber. »Du kennst doch deine Großmutter. Ich bin sicher, sie hat alles im Griff und plant bereits ihren nächsten Spa-Urlaub.«

Dankbar lächle ich sie an.

Bevor ich einmal blinzeln kann, springt die Grinsekatze auf den Tisch und linst über Snows Schulter in Spiegleins Gesicht. »Ah, der Piraten-Stalker findet das witzig.«

Darauf herrscht eingeschnapptes Schweigen seitens des Spiegels.

»Komm.« Ich ziehe Jaz hinter mir her. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

»Ich begleite euch«, bietet die Herzkönigin an.

Aber ehe Cinder annehmen oder ablehnen kann, fliegt die Tür auf und herein stürmen die Prinzen.

»Oh, wie schön, dass ihr eure lange Vormittagspause auskosten konntet«, begrüßt Snow sie.

»Du mich auch, Schatz.« Prinz Philip küsst sie auf die Wange, lässt sich dann vor ihr auf der Tischplatte nieder. Als Snow schnaubt, nimmt er sich eine Handvoll Trauben aus der Schale. »Wir haben nun einen Plan.«

Aha. Interessant. Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Ach ja? Was wollt ihr denn machen? Rap-Battle gegen Charming und die Dreizehnte Fee?«

Jaz gluckst.

»Nein. Aber wir werden die Schneekönigin aufsuchen und sie bitten, aus der Wüste eine Oase zu machen. Ihr wisst schon. So ein bisschen Eis und Schnee für Morgenland und alle sind happy.« Er fuchtelt mit der freien Hand in der Luft, als könnte er es schneien lassen. »Dann wird Aladin nicht mehr wütend auf uns sein. Problem gelöst.« Philip wirft sich in einer dramatischen Geste eine Traube in den Mund. Seine Kumpels straffen den Rücken.

»Was für ein wasserdichter Plan«, presst Snow zwischen ihren geschlossenen Lippen hervor.

»Mensch, dass ihr da ganz von allein drauf gekommen seid.« Von Rexia gibt’s für diese Ankündigung einen Applaus.

In diesem Moment erkenne ich, was da genau vor Snow auf dem Tisch ausgebreitet liegt. Eine Ausgabe des Tapferen Schreiberleins. Der Zeitung, in der Ever seine Kolumne hat. Hatte. Ich schlucke schwer, möchte nach der Zeitung greifen, über ihr Titelblatt streichen, doch ich reiße mich zusammen. Ach, Ever, mein Ever. Obwohl ich meine Hände zu Fäusten balle, kann ich nicht verhindern, dass meine Sicht vor mir verschwimmt. Tränen brennen an meinen Augenwinkeln. Ever. Warum nur, warum nur? Ich konnte ihn nicht retten und bin sogar schuld daran, dass er überhaupt erst gestorben ist. Meinetwegen hat er den vergifteten Kamm gewählt und ist nicht mehr erwacht.

Relativ unauffällig schiebt sich Jaz näher an mich heran. Seine Schulter berührt meine.

»Haben wir Besuch?« Erst jetzt scheint Prinz Cedric, der nur seine Hose trägt und kein Oberteil, die Zwölfte Fee zu bemerken. Seine Finger, die er auf Rose’ Schulter gelegt hat, zittern. »Oh, nee. Echt jetzt? Das ist doch … ist doch … is das nicht …?«

»Der Grinch?«, versucht die Fee auszuhelfen.

»Die Fee, die es vermasselt hat. Wegen dir hat Rose hundert Jahre geschlafen.« Cedric presst die Lippen aufeinander, wodurch er wie ein Surfer aussieht, dem das Meer heute viel zu ruhig erscheint. Seine Schultern beben.

»Ähm.«

Oh. Nicht verarbeitete Wut auf Flavia? Auf kleinster Flamme gekocht? Fantastisch.

»Ging es nicht noch etwas kreativer?«, fügt Cedric hinzu. »Fünfundzwanzig Jahre als Huhn leben, oder so?«

Hektisch sieht sich Flavia um. An ihrem Selbstbewusstsein muss sie wirklich noch arbeiten. Ein wenig erinnert sie mich an Cinder. An die frühere Version von ihr. Von vor vier Wochen.

»Ich, äh …« In einer Art verzweifelten Geste, so kommt es mir vor, steigt die kleine Fee erneut in die Luft und hebt ihre Arme ein Stück weit an. Hinter ihr schüttelt die Herzkönigin den Kopf. Genau wie Prinz Cedric, dessen Gesicht inzwischen ganz grau angelaufen ist. Mit seinen Stirnfalten wirkt Rose’ Ehemann plötzlich doppelt so alt, wie er tatsächlich ist.

»Warte doch, Flavia.« Rose streckt eine Hand nach der Fee aus. Bei dieser Geste rutschen ihr die Hälfte ihrer dunkelblonden Haarsträhnen über die Schulter, verheddern sich in dem Rüschenausschnitt ihres Kleides.

Aber bevor sie ausreden oder die Fee gar antworten kann, niest Flavia zum zweiten Mal. Dabei wird sie gut zwei Armlängen zurückgeschleudert.

Quinn kann gerade noch so ausweichen. Das Äffchen auf ihrem Kopf kreischt entrüstet.

O nein. Das kann nichts Gutes bedeuten, denke ich noch, da fällt mein Blick auf meine Freundinnen. Nein, oder? Meine Backenzähne schmerzen, so heftig presse ich meine Zähne aufeinander. Hat sie das uns allen an den Hals gezaubert? Ich taste über meine Stirn, doch kann natürlich nichts spüren. Daraufhin tausche ich einen Blick mit Jaz. Er hat es auch. Einen Snapnap-Blumenfilter direkt vor dem Haaransatz. Und übergroße Manga-Augen zusätzlich. Als lebten wir in einem Smartphone.

»Kawaii«, sagt die Grinsekatze.

Snow tritt nach ihr. »Mach das sofort weg, unfähigste Fee aller Zeiten!« Sie springt auf und deutet auf Flavia. »Wenn ich zwischen dir und der Dreizehnten wählen müsste, ich würde mich für das kleinere Übel entscheiden und sie nehmen!«

Die kleine Fee schluckt. Und irgendwie tut sie mir ein wenig leid. Aber daran, dass Snow ziemlich schnell jedem in ihrem Umkreis die Pest an den Hals wünscht, wird sie sich gewöhnen. Immer vorausgesetzt, sie überlebt die nächsten fünf Minuten.

Ich schiele in Richtung Snow, beschließe allerdings, vorerst nicht einzugreifen. Schnurrbärte und Snapnap-Filter? Was kommt als Nächstes? Irgendwie kann ich mich nicht entscheiden, ob ich Flavia unterhaltsam oder anstrengend finden soll.

»Entschuldigt bitte.« Die Fee schlägt die Hände vors Gesicht. »Warum passiert mir das immer bei Niesern und Schluckauf?«

»Manchmal macht sie das auch im Schlaf«, ergänzt die Herzkönigin. »Was?«, fügt sie hinzu, sobald sie meinen Blick auffängt. »Das haben mir Äffchen erzählt, die aus ihrem Wäldchen gehüpft kamen.« Sie blinzelt. »Heißen jetzt Schnurrbart-Tamarine.«

Aha. Ich verstehe.

»Sag es, Flavia. Sag einfach den Spruch«, fordert Jaz sie auf.

Die Fee nickt, hebt dann ihren Zauberstab. »Peng, peng.«

Puh. Endlich kann ich wieder aufatmen. Der Anteil an Snapnap-Filtern im Raum ist soeben dramatisch gesunken und praktisch nur noch auf Cinders Handy vorhanden, mit dem sie gerade ein Selfie schießt.

»Was?« Sie sieht sich um. »War irgendwas?« Ein grinsender Pan legt ihr eine Hand auf die Schulter.

»Nein, nichts, Schatz. Du hast nichts verpasst.«

Gerade als wir alle aufatmen und Asher die langen Beine seiner Mom umarmt, klatscht zum zweiten Mal etwas gegen die Scheibe. Mein Kopf schnellt herum. Und doch kann ich es irgendwie nicht glauben. Ein Albatros? Im Märchenwald?

»Ich glaube, die Drohnen sind aus«, bemerkt die Grinsekatze, die sich dort leckt, wo die Sonne nicht hinscheint.

»Ekelhaft, Grin. Einfach ekelhaft«, herrscht Quinn den Kater an.

Natürlich macht der Kater seelenruhig weiter.

»Post«, krächzt der Vogel, ehe er am Glas hinabrutscht wie eben noch Flavia. »Einladung zur Nicht-Verhochzeitung von Alice und dem Hutmacher.«

»Kotz es einfach auf der Türmatte aus«, empfiehlt Snow, weswegen wir sie alle anstarren.

»Was denn?«, fragt sie in die Runde. »Den Brief wird er doch sicher im Schnabel haben. Wie soll er ihn sonst befördern? In seinem Hintern?«

Ehe sie das letzte Wort ganz aussprechen kann, hält Fear Asher bereits die Ohren zu. Sie und die restlichen Hexen starren Snow böse an. Demnächst muss ich ein Trinkspiel daraus machen.

Nicht-Verhochzeitung? Heißt das, die beiden heiraten auf ihre verschrobene Art und Weise? Oder nicht? Ich bin verwirrt.

»Mir kommt auch gleich alles hoch«, gesteht Rapunzel, die anscheinend dasselbe wie ich denkt.

»Also kommt ihr mit? Zur Schneekönigin?« Prinz Philip rutscht vom Ebenholztisch, als sei nichts gewesen.

»Irgendjemand sollte auf die da aufpassen.« Pain deutet auf die Prinzen. »Nicht dass die zum dritten Mal entführt werden und wir sie wieder retten müssen. Würde unsere Pläne ruinieren.«

»Aller guten Dinge sind drei«, sagt Rexia, die die Hände in die Hüften stemmt.

Pain wiegt den Kopf hin und her, als gelte es abzuwägen, ob sie zwei oder drei Prinzen in Rehe verwandelt. »Ich sag ja nur.«

»Ach ja, bitte, lockt die drei mit Lebkuchen in euren Ofen und schließt doppelt ab«, sagt Quinn. »Wir haben keinen zum Baby­sitten übrig.«

»Ich möchte auch ein Prinz sein, wenn ich groß bin.« Auf einmal strafft Asher die Schultern. »Dann kann ich meine Mama beschützen und Daddy mit Red verhochzeiten.«

Täusche ich mich, oder ist es gerade äußerst still in diesem Raum geworden?

Selbst Grin verharrt mit ausgestreckter Zunge und schielt zu mir empor.

Ich räuspere mich, meide mit aller Macht Jaz’ Blick. Mein Hals fühlt sich furchtbar kratzig an.

»Jemand Lust auf eine Wanderung in den Norden?«, krächze ich. »Wer begleitet die Prinzen?«

Nur scheint niemand so recht Lust zu haben, den hintersten Winkel der nördlichen Seen aufzusuchen, in dem sich eine Insel ganz aus Eis befindet. Und mitten darin: die Schneekönigin.

»Leider habe ich Besseres zu tun«, sagt Snow. »Ich werde mithilfe eines ausgeklügelten Plans Reds Großmutter retten.«

»Ausgeklügelter Plan?« Prinz Philip tut interessiert.

Daraufhin wendet sich Snow demonstrativ von ihm ab. Ihre Wimpern flattern, als sie das Wurfmesser in ihrer Hand begutachtet. »Ich könnte es dir erklären, aber danach müsste ich dich erschießen.«

»Weil es so geheim ist?«

»Nein, weil du es nicht kapierst und mich das aufregt.«

Ich verdrehe die Augen. »Bitte, könnt ihr euch auf das Wesentliche fokussieren? Meine Großmutter retten, Aladin aufhalten. Irgendwer sollte noch die Bevölkerung beruhigen.« Ich werfe die Hände in die Luft.

»Und wir sollten die Schneekönigin besuchen«, ergänzt Prinz Adrian hilfreich, der mit Rapunzels Haaren spielt.

Ergeben lasse ich meine Hände wieder sinken.

»Lass sie eben auch auf eine Mission gehen«, raunt mir Jaz zu. »Sie brauchen das jetzt. Ein neues Märchen. Anerkennung. Du weißt schon.« Natürlich weiß ich, dass man die Prinzen besser nicht ihrer Langeweile überlässt. Wir alle wissen, wohin dies das letzte Mal geführt hat.

Ich tausche einen Blick mit Snow, die mir zunickt. »Flavia könnte Prinzenbabysitter spielen.«

»Was?«, fragen die Prinzen und Flavia wie aus einem Mund. Letztere läuft dazu noch rot an.

Eigentlich wollten wir Flavia zur Unterstützung bei der Rettung meiner Großmutter einsetzen, aber wenn ich mir ihre Hilfe, die sie bisher geleistet hat, noch mal durch den Kopf gehen lasse … Besser nicht.

»Schickt mir unbedingt Fotos, sobald Flavia niest.« Snow wedelt mit der Hand, als wollte sie die Prinzen verscheuchen. »Oder face­timed uns.« Wieder zieht sie am Griff ihres Messers, als handle es sich dabei um eine Zigarre, was mich sofort an einen Mafiaboss erinnert. Sympathisch wie eh und je.

»Das heißt, ihr seid entlassen«, übersetzt Fear für sie. Ihre Zähne blitzen. Komischerweise verachten die Hexen die Prinzen mehr als alles andere. Ihr Feindbild Nummer eins. Nur die Herzkönigin ist eher im Team Verarsch-die-Prinzen. Also genau wie Snow und ich.

»Wir sollten in der Tat keine Zeit verschwenden«, erhebt nun Pan die Stimme.

Während er spricht, sieht Cinder zu ihm auf, als würde er eine Predigt halten, die uns allen das pure Glück verspricht. Ihre Augen glänzen. Niedlich.

»Wir gehen zur Dreizehnten Fee. Wer ist dabei?«

Natürlich möchte die Mehrheit nicht in die Hölle, daher fällt der Trupp, um meine Großmutter zu retten, deutlich größer aus. Stühle werden gerückt und Taschen gepackt.

»Du wolltest doch zu den Tinkern?«, hakt Rapunzel nach.

Pan dreht sich zu ihr um. »Nein, die haben alles im Griff, werden uns die Tage auch besuchen und von ihren Fortschritten berichten. Aber weißt du, was? Wir könnten die Hilfe der Zwerge an der Grenze gebrauchen. Gräben ausheben und Fallen verbuddeln, so was machen die doch mit links. Wäre sehr hilfreich.«

Rapunzel tauscht einen Blick mit ihrem Haustier. »Oh natürlich. Herbert und ich sind dabei. Aber lasst uns zuerst Reds Großmutter retten. Danach teilen wir uns auf. In Richtung Zwerge, Schneekönigin und Bevölkerungsbeschwichtigung.«

»Rexia und ich gehen mit Rapunzel.« Pain salutiert.

 

Das war ja klar. Ich schüttle den Kopf. So sehr die Hexen die Prinzen verachten, so sehr lieben sie Rapunzel. Auch heute haben sich Rexia und Pain ähnlich wie Rapunzel in ein senfgelbes Kleid mit braunem Taillengürtel geworfen. Ich kneife die Augen zusammen, als mir aufgeht, dass das ein großer Zufall ist. Alle in derselben Farbe …

»Hast du dir mein Wollknäuel ausgeborgt, Fear?«

»Das ist immer noch meins«, gibt sie bissig zurück. »Und Rexia und Pain haben sehr nett gefragt. Nicht so wie du. Und ich wiederhole mich: Das Wollknäuel ist mein Eigentum, daher kann ich damit anstellen, was ich will.«

»War es mal.« Obwohl ich sie ungern erpresse, muss ich es aus Sicherheitsgründen tun. Das magische Wollknäuel darf nicht missbraucht werden. »Spieglein mag eure Fußfesseleinstellungen gelockert haben, doch bevor ihr euch nicht bewiesen habt, könnt ihr keine magischen Artefakte beanspruchen. Seht es als langen Weg der Wiedergutmachung, den ihr abzuschreiten habt.«

Fear presst die Lippen aufeinander.

»Das wird schon, Mama«, flüstert Asher, der den Kopf in den Nacken gelegt hat und zu ihr aufsieht. »Irgendwann werden sie dich bedingungslos lieb haben. So wie ich.«

Genau, Asher. Ganz genau.