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Der versiegelte Engel und andere Geschichten

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VIERZEHNTES KAPITEL

Gleich nach der Unterredung begann die Aktion. Am Morgen setzten wir die große herrschaftliche Barkasse in Stand und fuhren den Engländer ans andere Ufer. Dort setzte er sich mit dem Ikonenmaler Ssewastjan in eine Kalesche und fuhr zum Kloster. Nach einer guten Stunde sehen wir unseren Ikonenmaler dahereilen mit einem Blatt in den Händen.

Wir fragen:

»Hast du sie gesehen, Teurer, und kannst du sie jetzt nachmachen?«

»Ich habe sie gesehen,« antwortet er, »und werde sie genau treffen, vielleicht, daß sie etwas lebhafter in den Farben wird, aber das ist kein Unglück, denn wenn die echte Ikone herkommt, werde ich in einem Nu das Leuchten der Farben dämpfen.«

»Väterchen,« bitten wir, »gib dir Mühe!«

»Schon gut,« erwidert er, »werde mich schon bemühen.«

Und kaum hatten wir ihn zurückgerudert, als er sich auch gleich an seine Arbeit setzte, und um die Dämmerung war der Engel auf dem Täfelchen fertig und glich unserm versiegelten, wie ein Tropfen Wasser dem andern, nur die Farben schienen etwas frischer.

Gegen Abend schickte der Vergolder die neuen Beschläge, und nun kam die gefährliche Stunde unseres Diebstahls.

Wir hatten, wie es sich versteht, alles vorbereitet und warteten auf den gegebenen Augenblick. Kaum ließen sich vom anderen Ufer her die ersten Glockenklänge zur Abendmesse vernehmen, als wir zu dritt ein Boot bestiegen, ich, Luka und der alte Maroi, der ein Beil, einen Meißel, eine Brechstange und ein Seil mitgenommen hatte, um mehr einem Diebe zu gleichen. Wir steuerten gerade auf die Klostermauer zu.

Die Dämmerung bricht um diese Jahreszeit früh an, und obwohl es Vollmondwoche war, blieb die Nacht pechschwarz, eine richtige Diebesnacht. Am anderen Ufer angelangt, ließen Maroi und Luka mich im Boot zurück und schlichen zum Kloster hinauf. Ich wartete voll Ungeduld. Die Ruder hatte ich ins Boot genommen, das ich an einem Strickende am Ufer festhielt, und war bereit abzustoßen, sobald Luka seinen Fuß ins Boot setzen würde. In der Besorgnis, wie alles gelingen würde und ob wir die Spuren unseres Diebstahls rechtzeitig verwischen könnten, erschien mir die Zeit schrecklich lang. Es dünkte mir, es sei schon viel Zeit verstrichen. Die Dunkelheit war entsetzlich, der Wind fegte nunmehr anstatt des Regens nassen Schnee daher. Das Boot schaukelte, und ich treuloser Knecht begann, mich allmählich in meinem Mantel erwärmend, einzuschlummern. Plötzlich beginnt das Boot unter einem Stoß zu schwanken, ich zucke zusammen und sehe den Onkel Luka im Boote stehen, der mit fremder, gepreßter Stimme sagt: »Rudre!«

Ich ergreife die Ruder, kann sie aber vor Schreck nicht in die Dollen einlegen. Schließlich gelingt es mir, ich stoße vom Ufer ab und frage: »Onkel, habt ihr den Engel bekommen?«

»Ich habe ihn, rudre stärker!«

»Erzähle doch,« forsche ich weiter, »wie habt ihr ihn bekommen?«

»Genau wie es geplant war.«

»Werden wir noch rechtzeitig zurückkommen können?«

»Wir müssen es können: eben erst haben sie mit der großen Litanei begonnen. Rudre! Wohin ruderst du?«

Ich sehe mich um: Großer Gott, ich rudere wirklich nicht in unsere Richtung, und doch scheint es mir, daß ich richtig quer über die Strömung halte, aber unsere Siedlung ist nicht zu sehen, weil Schnee und Sturm schrecklich daherfegen und mich blind machen. Ringsum heult der Wind und schaukelt das Boot, und oben vom Fluß weht es wie von Eis her.

Aber mit Gottes Gnade erreichen wir das Ufer, springen beide aus dem Boot und laufen, was wir laufen können. Der Ikonenmaler ist schon bereit; er handelt kaltblütig und entschlossen. Vor allem nimmt er die Ikone, und als alle vor ihr niederfallen und sich verneigen, läßt er sie den versiegelten Engel küssen und schaut selbst bald auf ihn, bald auf die Kopie und sagt: »Sie ist gut! Man muß sie nur ein wenig mit Safran dämpfen und etwas mit schmutziger Farbe tönen.« Damit nimmt er die Ikone, spannt sie in den Schraubstock, richtet die Säge her … und dann fliegt sie nur. Wir alle stehen herum und schauen voller Angst zu, ob er die Ikone nicht beschädige. Stellen Sie sich vor, wie er mit seinen übergroßen Händen das Bild, welches kaum stärker als ein Blättchen dünnsten Schreibpapieres ist, vom Brett abtrennt. Wie leicht ist da ein Unglück geschehen: wenn die Säge nur um ein Haar schief geht, so schneidet sie es durch und zerreißt das Antlitz! Der Ikonenmaler Ssewastjan aber verrichtete die schwierige Arbeit mit solcher Kaltblütigkeit und Kunstfertigkeit, daß es einem, wenn man ihn dabei betrachtete, gleich ruhig ums Herz wurde. Wie er das Bild als dünnste Schicht abgetrennt hat, schneidet er in einem Augenblick das Ausgesägte aus den Rändern heraus, nimmt seine Kopie, zerknittert sie in der Faust und schlägt sie dann auf die Tischkante, als wolle er sie zerreißen und vernichten; schließlich betrachtet er die Leinwand gegen das Licht, und nun ist das neue Bildchen voller Sprünge wie ein feines Sieb, Ssewastjan klebt es nun auf das alte Brett, nimmt dunkle Schmutzfarbe auf die Hand, mischt sie mit dem Finger mit Safran und altem Firnis zu einer Art Kitt und reibt damit kräftig, mit der vollen Handfläche das zerknitterte Bildchen ein. Dies alles hatte er mit großer Schnelligkeit vollführt, und nun sah die neue Ikone aus wie eine alte und glich aufs genaueste der echten.

Dann wurde die Kopie in einem Nu mit Lack bedeckt, und wir setzten sie in den Rahmen. Nun nahm Ssewastjan das echte, vom Brett abgetrennte Bild und verlangte so schnell wie möglich einen Fetzen von einem alten Filzhute.

Damit begann der äußerst schwierige Prozeß der Entsiegelung.

Man gab dem Ikonenmaler einen Hut, und er zerriß ihn sofort über dem Knie in zwei Teile, bedeckte mit dem einen den versiegelten Engel und schrie: »Das heiße Plätteisen!«

Im Ofen lag auf sein Geheiß ein schweres Schneiderbügeleisen. Michailiza packte es mit der Ofengabel und reichte es Ssewastjan. Jener umwickelte den Griff mit einem Lappen, spuckte auf das Eisen und legte es auf den Filzfetzen. Von dem Filz steigt ein böser Gestank auf, aber der Ikonenmaler wiederholt es noch und noch einmal und nimmt es dann plötzlich weg. Seine Hand fliegt wie der Blitz; der Rauch steigt schon in einer Säule hoch, aber Ssewastjan versteht zu backen: mit der einen Hand dreht er langsam den Filzlappen und mit der anderen führt er geschickt das Eisen. Mit jedemmal fährt er langsamer, aber fester darüber und dann wirft er plötzlich den Fetzen und das Eisen weg und hält die Ikone ans Licht: das Siegel ist fort, als wäre es nie dagewesen! Der starke Stroganower Lack hat standgehalten, der Siegellack ist vollständig verschwunden, nur ein schwacher feuerroter Tau ist zurückgeblieben, aber das leuchtende, heilige Antlitz ist jetzt ganz zu sehen.

Der eine weint, der andere betet, der dritte beugt sich über die Hände des Ikonenmalers, um sie zu küssen, nur Luka Kirillow vergißt seine Aufgabe nicht, sondern kargt mit jeder Minute. Er reicht Ssewastjan die Kopie und sagt:

»Nun, mach schneller fertig!«

Aber jener antwortet: »Mein Werk ist beendet, ich habe alles getan, was ich übernommen habe.«

»Und das Siegel aufdrücken?«

»Wohin?«

»Ja hierher, auf das Gesicht des neuen Engels, wie es bei jenem alten war.«

Aber Ssewastjan schüttelt den Kopf und antwortet:

»Nein, ich bin kein Beamter, daß ich mich erfrechen würde, so etwas zu tun.«

»Was sollen wir nun anfangen?«

»Ja, das weiß ich doch nicht. Ihr hättet dafür einen Beamten oder einen Deutschen herbitten sollen. Das habt ihr jetzt versäumt, nun tut es selbst.«

Luka erwidert:

»Was glaubst du wohl! Um nichts in der Welt werden wir uns dazu erfrechen.«

Und der Ikonenmaler antwortet:

»Auch ich werde mich nicht erfrechen.«

Während der wenigen Minuten dieses Streites stürzt plötzlich die Frau Jakow Jakowlewitschs totenbleich ins Zimmer und spricht:

»Seid ihr denn noch nicht fertig?«

Wir antworten, wir seien fertig und auch wieder nicht fertig: das Wichtige sei vollbracht, aber eine Kleinigkeit vermöchten wir nun nicht.

Sie erwidert: »Auf was wartet ihr denn? Hört ihr denn nicht, was sich draußen tut?«

Wir horchen und erbleichen noch mehr als sie. In unserer Sorge hatten wir dem Wetter keine Aufmerksamkeit geschenkt, und nun hören wir es draußen toben: das Eis geht!

Ich springe hinaus und sehe, wie das Eis schon über den ganzen Fluß treibt, wie die Schollen krachend und berstend übereinander springen. Besinnungslos stürze ich zu den Booten, … kein einziges ist mehr da, alle sind fortgeschwemmt. Mir stockt die Zunge im Munde, so daß ich kein Wort über die Lippen bringe, und mir scheint es, ich versinke in die Erde … Ich stehe da … rühre mich nicht … und gebe keinen Laut von mir.

Aber während wir hier im Dunkeln umherirren, hatte die Engländerin, die mit Michailiza in der Stube zurückgeblieben war, die Ursache der Verzögerung erfahren, die Ikone ergriffen … und einen Augenblick später eilt sie, in der einen Hand eine Laterne haltend, mit dem Bild auf die Treppe hinaus und schreit:

»Nehmt! Fertig!«

Wir schauen hin: auf dem Antlitz des neuen Engels ist das Siegel!

Luka steckt die beiden Ikonen sofort in den Busen und schreit:

»Das Boot!«

Ich eröffne ihm, daß kein Boot da ist, daß alle fortgetrieben sind.

Und ich sage Ihnen, das Eis treibt daher wie eine Herde, zerschellt an den Pfeilern und erschüttert die Brücke, so daß die armdicken Ketten dröhnen.

Wie die Engländerin dies hört, wirft sie die Hände empor und schreit mit unmenschlicher Stimme: »James!« Und sie fällt in Ohnmacht.

Und wir stehen dabei und fühlen nur das eine: »Wo bleibt jetzt unser Wort? Was wird jetzt mit dem Engländer, was mit dem alten Maroi?«

Eben ertönt vom Glockenturm des Klosters das dritte Läuten.

Da rafft sich Onkel Luka auf und ruft der Engländerin zu:

 

»Komm zu dir, Gnädige, deinem Manne wird nichts geschehen. Vielleicht wird der Henker das alte Fell unseres Maroi peitschen und sein ehrliches Gesicht mit dem Brandzeichen entehren, aber das soll erst nach meinem Tode geschehen.« Dabei bekreuzigt er sich und geht.

Ich schreie ihm zu: »Onkel Luka, wo willst du hin? Lewontij ist umgekommen, auch du wirst es!« Und ich eile ihm nach, um ihn aufzuhalten. Allein er hebt das vor seinen Füßen liegende Ruder auf, das ich bei unserer Ankunft auf die Erde geworfen habe, schwingt es über mich und schreit: »Fort, oder ich schlage dich tot!«

Meine werten Herren, ich habe mich in meiner Erzählung offen genug als kleinmütig bekannt, als ich den verstorbenen Knaben Lewontij auf der Erde seinem Schicksal überließ und selbst auf einen Baum kletterte; aber ehrlich und offen sage ich Ihnen, daß ich hier vor dem Ruder Onkel Lukas nicht erschrocken und auch nicht zurückgewichen wäre … aber, ob Sie es mir glauben oder nicht, in dem Augenblick, als ich mich des Namens Lewontijs erinnerte, sah ich, wie die Gestalt des Jünglings zwischen mir und Luka in der Dunkelheit erstand und drohend gegen mich die Hand erhob. Diesen Schrecken konnte ich nicht ertragen und wich zurück. Aber Luka stand schon am Ende der Kette und rief uns plötzlich, den einen Fuß auf die Kette setzend, zu:

»Stimmt den Chor an!«

Unser Vorsänger Arefa steht bei uns, vernimmt es und beginnt sogleich: »Ich öffne die Lippen«. Die anderen fallen ein, und so schreien wir den Chor dem Sturmgeheul entgegen, und Luka bangt nicht vor den Todesschrecken und schreitet über die Brückenketten weiter. Binnen einer Minute hat er das erste Joch zurückgelegt und steigt zum zweiten nieder … Und weiter? Die Dunkelheit umfängt ihn, er ist nicht mehr zu sehen: ob er noch geht oder schon herabgestürzt ist und von den verfluchten Schollen in den Strudel getrieben wird, wir wissen es nicht, wir wissen nicht, ob wir für seine Rettung oder für die ewige Ruhe seiner starken, liebenswerten Seele beten sollen.

FÜNFZEHNTES KAPITEL

Was war inzwischen am anderen Ufer geschehen? Seine Eminenz der Erzbischof zelebrierte wie gewöhnlich die Abendmesse und ahnte nicht, daß inzwischen am Nebenaltar ein Diebstahl ausgeführt wurde. Unser Engländer Jakow Jakowlewitsch, der mit seiner Erlaubnis an diesem Altar stand, stahl den Engel und schickte ihn, wie er es geplant hatte, mit seinem Mantel hinaus, wo Luka mit ihm davoneilte. Der alte Maroi blieb seinem Worte getreu vor dem gleichen Fenster stehen und wartete bis zur letzten Minute. Kehrte Luka nicht zurück, so würde er, gleich nachdem sich der Engländer zurückgezogen hätte, das Fenster einschlagen und mit der Brechstange und dem Meißel wie ein wirklicher Dieb durch das Fenster in die Kirche steigen. Der Engländer wendet kein Auge von ihm und sieht, wie der alte Maroi, gehorsam und seinem Versprechen getreu, dasteht und ihm zunickt, wenn er das Gesicht des Engländers dem Fenster zugewendet erblickt, als ob er sagen wollte: »Hier bin ich, der verantwortliche Dieb«.

So beweisen sie einander ihren Edelmut, und keiner will dem anderen gestatten, ihn im gegenseitigen Vertrauen zu übertreffen. Aber zu ihrer beider Glauben gesellt sich noch ein dritter, stärkerer, von dessen Wirken sie jedoch nichts wissen. Als der letzte Glockenschlag der Nachtmesse verklungen war, öffnete der Engländer leise das Klappfenster, damit der alte Maroi hereinsteige, und war schon im Begriff, sich zurückzuziehen, als er plötzlich bemerkte, daß sich der alte Maroi abgewendet hatte, ihn nicht mehr ansah, sondern gespannt nach dem Flusse hinüberschaute und in einem fort wiederholte:

»Helfe ihm Gott herüber, helfe ihm Gott herüber, helfe ihm Gott herüber!«

Dann sprang er plötzlich auf, tanzte wie betrunken und schrie:

»Gott hat ihm herübergeholfen, Gott hat ihm herübergeholfen!«

Jakow Jakowlewitsch geriet in helle Verzweiflung und dachte:

»Jetzt ist es zu Ende: der dumme Alte ist verrückt geworden, ich bin verloren!« Da sieht er auf einmal, wie Maroi den Luka umarmt.

Der alte Maroi stammelt: »Ich habe geschaut, wie du mit Laternen über die Ketten gingst.«

Luka erwidert: »Ich hatte keine Laterne dabei.«

»Woher kam das Leuchten?«

Luka antwortet:

»Ich weiß nicht, ich habe kein Leuchten gesehen, ich bin so schnell gelaufen, wie ich konnte, und weiß nicht einmal, wie ich herübergekommen und nicht gefallen bin.«

»Das waren Engel … ich habe sie gesehen, und darum überlebe ich diesen Tag nicht und sterbe noch heute.«

Luka aber hat keine Zeit, viel zu reden, und so antwortet er dem Alten nicht, sondern reicht dem Engländer beide Ikonen durch das Fenster. Der nimmt sie und fragt:

»Warum ist kein Siegel darauf?«

Luka fragt: »Wieso ist keines?«

»Ja, es ist keines.«

Da bekreuzigt sich Luka und sagt:

»Nun ist es aus. Jetzt ist keine Zeit, es auszubessern. Dieses Wunder hat der Engel der herrschenden Kirche vollbracht, und ich weiß weshalb.«

Damit stürzt Luka in die Kirche, drängt sich in den Altarraum, wo man den Erzbischof eben entkleidet, wirft sich ihm zu Füßen und spricht:

»Ich bin ein Gotteslästerer, und das habe ich getan!« Und er erzählt ihm alles. »Nun befehlen Sie, daß man mich in Ketten legt und ins Gefängnis abführt.«

Der Bischof hört voll Würde alles an und antwortet:

»Durch Betrug habt ihr das Siegel von eurem Engel genommen, unser Engel hat es selbst von sich genommen und dich hergeführt.«

Luka erwidert:

»Ich sehe es, Eminenz, und erbebe. Befehlen Sie nur rasch, daß man mich dem Strafgericht überliefert.«

Aber der Erzbischof antwortet in vergebendem Tone:

»Kraft der mir von Gott gegebenen Gewalt vergebe ich dir und spreche dich los. Bereite dich vor, morgen Christi allerreinsten Leib zu empfangen.«

Nun, und weiter, meine werten Herren, glaube ich, daß ich Ihnen nichts mehr zu erzählen habe. Luka Kirillow und der alte Maroi kehrten am nächsten Morgen zurück und sagten:

»Väter und Brüder, wir haben die Herrlichkeit des Engels der herrschenden Kirche gesehen, die Vorsehung Gottes über ihr und die Güte ihres Hierarchen; wir sind selbst von ihm mit dem heiligen Öl gesalbt worden und haben heute bei der Messe den Leib und das Blut des Erlösers empfangen.«

Ich trug in mir schon lange, seit dem Besuch beim Starez Pamwa, das Verlangen, mich im Geiste mit ganz Rußland zu vereinigen und rief:

»Und wir gehen mit dir, Onkel Luka!«

Und so versammelten wir uns alle zu einer Herde, wie Schäflein unter einem Hirten, und hatten kaum begriffen, wozu und wohin der versiegelte Engel uns alle geführt hatte, warum seine Wege zu Beginn verworren waren, und wie er sich dann der Menschenliebe willen entsiegelte, die sich in jener schrecklichen Nacht offenbarte.

SECHZEHNTES KAPITEL

Der Erzähler war zu Ende. Die Hörer schwiegen; schließlich aber räusperte sich jemand und bemerkte, daß in dieser Geschichte alles zu erklären sei: Michailizas Träume, die Erscheinung, die sie im Halbschlaf erblickte, das Herunterfallen des Engels, den eine hereingelaufene Katze oder ein Hund herabgestoßen hatte, auch Lewontijs Tod, der schon vor seiner Begegnung mit Pamwa krank gewesen war, das alles sei erklärlich. Zu erklären sei schließlich auch die zufällige Erfüllung der Worte des in Rätseln sprechenden Pamwa.

»Begreiflich ist auch«, fügte der Hörer hinzu, »daß Luka mit dem Ruder über die Ketten gegangen ist: die Maurer sind bekannt als Meister im Steigen und Klettern, und mit dem Ruder hatte er das Gleichgewicht gehalten. Es ist schließlich auch begreiflich, daß Maroi um Luka ein Leuchten gesehen hat, das er für Engel hielt. Einem aufs äußerste gespannten, vor Kälte erstarrten Menschen mag allerlei vor den Augen flimmern! Ich würde es selbst noch begreiflich finden, wenn zum Beispiel der alte Maroi, seiner Voraussage nach, den Tag nicht überlebt hätte …«

»Er hat ihn nicht überlebt«, erwiderte Mark.

»Vortrefflich! Auch hierin ist nichts Verwunderliches, wenn ein achtzigjähriger Greis nach solchen Aufregungen und einer derartigen Erkältung stirbt. Aber was mir in der Geschichte ganz unerklärlich bleibt, ist, wie das Siegel, das die Engländerin auf den neuen Engel aufgedrückt hatte, verschwinden konnte?«

»Nun, das ist gerade das Allereinfachste«, sagte Mark heiter, und erzählte, wie man bald darauf das Siegel zwischen Beschlag und Bild gefunden habe.

»Wie konnte das geschehen?«

»Nun so: auch die Engländerin wollte sich nicht erdreisten, das Gesicht des Engels zu beschädigen, und so befestigte sie das Siegel auf einem Papier, das sie unter den Beschlag schob. Das war sehr klug und kunstfertig von ihr gehandelt, als aber Luka die Heiligenbilder auf seiner Brust beim Tragen erschütterte, fiel das Siegel ab.«

»Nun, jetzt ist also die ganze Geschichte einfach und natürlich.«

»Ja, so schließen viele, daß hier alles auf ganz gewöhnliche Weise vor sich gegangen sei, und nicht nur die gebildeten Herrschaften, denen sie bekannt geworden ist, sondern auch die Unsrigen, die im Schisma verblieben sind, lachen darüber, daß uns eine Engländerin mit einem Papierchen der Kirche zugeschoben habe. Aber wir streiten nicht gegen solche Beweise. Jeder beurteilt es so, wie er es glaubt, uns aber ist es gleich, auf welchen Wegen der Herr den Menschen zu finden weiß und aus welchem Gefäß er ihn tränkt, wenn er ihn nur sucht und seinen Durst nach Vereinigung mit dem Vaterlande stillt. – Aber da kommen schon die Fell-Bauern aus dem Schnee gekrochen. Haben sich anscheinend ausgeruht, die Herzigen, und werden gleich weiterfahren. Vielleicht nehmen sie mich ein Stück mit. Die Wassilijnacht ist vorbei. Ich habe Sie ermüdet und Ihnen vielerlei von mir berichtet. Dafür habe ich die Ehre, Sie zum neuen Jahr zu beglückwünschen, und verzeihen Sie mir Unwissendem um Christi Willen!«

DIE EPOPÖE VON WISCHNEWSKIJ UND SEINER SIPPE

ERSTES KAPITEL

Im Perejaslawer Kreise des Poltawaschen Gouvernements lebte der Gutsbesitzer Iwan Gawrilowitsch Wischnewskij. Durch die Freigebigkeit der Kaiserin Jelisaweta Petrowna hatte er ein großes Gut an beiden Ufern des Flusses Ssupoi erhalten. (Die Flüsse Udai und Ssupoi werden in einem Lehrbuch der Geographie als »wegen ihrer vielen Mängel zur Schiffahrt ungeeignet« bezeichnet.) Das Gut bestand aus zwei großen Dörfern, von denen das eine Farbowanaja hieß, das andere Ssosnowka.

Der alte Pan Iwan Wischnewskij lebte und starb auf diesem Gut. Nach seinem Tode gingen Farbowanaja und Ssosnowka auf seinen Sohn, Stepan Iwanowitsch Wischnewskij über, der eine heroische Berühmtheit erlangte. Es ist freilich möglich, daß die Phantasie diese durch Legenden ergänzt und ausgeschmückt hat.

Stepan Iwanowitsch war athletisch gebaut, ein Recke, dabei gastfreundlich, starrköpfig und ein schrecklicher Wüstling, aber er besaß Bildung. Er war einer der jungen Leute gewesen, die die Kaiserin Jekaterina nach England geschickt hatte, »zur Ausbildung des Verstands und des Herzens«. Nach seiner Rückkehr aus England trat er ins Garderegiment zu Pferd ein, aber als er den Rang eines Leutnants erhalten hatte, nahm er seinen Abschied, heiratete eine Adelige aus dem Twerschen Gouvernement, Stepanida Wassiljewna aus dem Geschlechte der Schubinskijs, und ließ sich in seinem eigenen Hause zu Moskau nieder.

Zu tun hatte Wischnewskij hier nichts, und er begann »wunderlich« zu werden.

Vor allem gedachte er, den Moskowitern durch seine kosakische Nationalität zu imponieren. Er wollte mit niemand verkehren, kleidete sich kleinrussisch, trank viel »Gebrannten« und aß angeblich nur Bärenfleisch.

Der Kaiserin wurde berichtet, daß Wischnewskij »die gesellschaftlichen Sitten außer Acht lasse«, und dem Starrkopf wurde eine Rüge zuteil. Er beschloß sich zu bessern und ließ sich zu diesem Zwecke aus Kleinrußland einen Kosakenwagen mit einem Ochsengespann nach Moskau bringen und dazu einen Burschen, der mit den Ochsen umzugehen verstand. Am Tage der üblichen und für alle angesehenen Personen der Residenz obligatorischen Visiten schickte sich Stepan Iwanowitsch an, »bei allen Respektpersonen Visite zu machen«. Aber er fuhr nicht etwa leichthin in einer Equipage aus, sondern mit einem ganzen Zuge. Voraus galoppierte ein Jockei auf einer stutzschwänzigen englischen Stute, ihm folgte eine prächtige mit sechsen bespannte Kutsche, in der der Kammerdiener saß, und hinter ihr kam der Wagen, oder die kleinrussische »Fuhre«, auf der Pan Wischnewskij thronte. Der Wagen war bespannt mit einem Paar schwarzgrauer krummhörniger Ochsen. Der Pan saß, wie die kleinrussischen Bauern zu sitzen pflegen, – d. h. in der Mitte des Wagens auf einem Haufen Roggenstroh und rauchte phlegmatisch eine Weichselpfeife kleinrussischer Fasson. Der Kleinrusse, der die Ochsen lenkte, trug Pluderhosen »so weit wie Wolken«, ein geteertes Hemd, schwere Stiefel und eine hohe, zottige Mütze. Er ging mit einer Peitsche neben den Ochsen her, hielt sie mit einem Riemen am Nasenring, »damit sie in der lärmenden Stadt« nicht scheuen, und schrie ihnen bald »Zo – be« und bald »Zob« zu.

 

Der Jockei hatte die Liste der Personen, die dieser verwilderte Europäer besuchen sollte. Er sprengte voran, ritt in den Hof der auf der Liste stehenden hochmögenden Persönlichkeit und meldete laut:

»Mein Pan kommt!«

Wenn dann der Zug in Sicht kam, wendete sich ihm der Jockei mit dem Gesichte zu und rief wieder:

»Da ist der Pan Wischnewskij selbst gekommen!«

Dann hielt die Kutsche vor der Freitreppe, ihr entstieg der Kammerdiener Stepan Iwanowitschs und trat ins Haus, um zu fragen, ob es den Herrschaften genehm sei, seinen Herrn zu empfangen.

Empfing man Wischnewskij, so fuhr die Kutsche weiter, und an der Freitreppe hielt die »Fuhre« mit dem Ochsengespann; Stepan Iwanowitsch stieg aus, begab sich in die Gemächer und beschenkte freigebig die ihm unter die Augen kommende Dienerschaft. In den Appartements benahm er sich als vornehmer Herr und Europäer, prunkte mit prächtigen Manieren, vorzüglichen Sprachkenntnissen und der schlagfertigen Bissigkeit seines kleinrussischen Verstandes.

»Denn er war ein zu Scherzen aufgelegter Herr, sprach Französisch und Italienisch und vermochte in diesen Sprachen Gott zu preisen. Nur war er zu faul dazu.«