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Der versiegelte Engel und andere Geschichten

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DREIZEHNTES KAPITEL

Die Offiziere sagten zu, dachten, es sei kein großes Unglück bis zum Morgen zu warten, und fügten sich ihrem eigenwilligen Gastgeber. Sie gingen in den Flügel, aber der Pan von Farbowanaja rief den Haiduken Prokop, befahl ihm, sich in den Wagen zu setzen und nach Pirjatin zu fahren, dort die beiden Gerichtsherrchen aufzufinden und sie um jeden Preis am Morgen nach Farbowanaja zu bringen.

Der Haiduk eilte davon, suchte die Schreiber auf und sagte:

»Mit meinem Pan Wischnewskij steht es schlecht. Es geht ihm so elend, daß ich nicht weiß, ob er den Abend noch erlebt. Jetzt will er sein Testament machen und hat mich hergeschickt, um euch zu bitten, daß ihr gleich euer Schreibzeug nehmt und mit mir fahrt, um als Zeugen zu unterschreiben. Ihr bekommt ein gutes Chabar dafür.«

Die Schreiber wußten, daß Wischnewskij noch nie krank war, aber wenn solche Leute krank werden, so geht es auf den Tod.

Sie dachten: »Sicher stirbt er, und wir verschreiben uns etwas im Testament. Er ist so krank, daß er es nicht merkt.«

So nahmen sie mit Freuden ihre Sachen und fuhren ab. Als Stepan Iwanowitsch eben erwachte, standen sie schon auf seiner Freitreppe.

Stepan Iwanowitsch machte für diese Gäste eine kleine Abweichung von seiner Empfangsetikette. Ins Haus ließ er sie natürlich nicht ein, aber er befahl, ihnen ein kleines Tischchen und für die beiden nur einen Stuhl hinauszubringen, damit sie nicht wagen sollten, vor ihm zu sitzen.

Dann ging er in einer Mütze mit großem Schirm zu ihnen hinaus und begann die Unterhandlung.

»Mein Haiduk,« sagte er, »hat euch vorgemacht, daß ich sterbe. Aber, so Gott will, hat es damit noch Zeit, und dann werde ich mir für mein Testament andere, ehrlichere Zeugen als euch holen. Ich habe euch aber zu eurem eignen Wohl herbringen lassen …«

Sie machten große Augen.

»Was habt ihr, Verfluchte, vorgestern beim Juden im Keller getrieben? He?«

Das Staunen der Schreiber wuchs.

»Erlauben Sie, wer hat es Ihnen erzählt? … Wir haben nichts getrieben, sondern die Offiziere …«

»Ja, ja, ich weiß alles. Darum tut ihr mir auch leid: Ihr Dummköpfe habt euch ausgedacht, eure Schuld auf die Offiziere abzuwälzen, als wenn euch das etwas nützen würde. Ihr habt nur das eine nicht bedacht, daß die Offiziere sieben Leute sind, die bezeugen, daß ihr das Porträt beschädigt habt, und daß ihr gegen sie nur zwei seid … Wer wird euch da Glauben schenken?«

»Erlauben Sie, aber wir …«

»Nichts, keine Dummheiten reden …« unterbrach sie Wischnewskij, »ich weiß alles, – ich bin über alles unterrichtet. Ihr habt euch ausgeheckt, eine Anzeige zu schreiben, und während eure Denunziation noch unterwegs ist, sind die Offiziere schon nach Perejaslaw, nach Poltawa und Kiew geritten. Ich habe sie, Gott sei Dank, abgefangen und bei mir festgehalten. Sie sind ihrer sieben Mann, und alle haben gesehen, wie ihr die Gabeln geworfen habt.«

»Aber erlauben Sie, wann haben wir die Gabeln geworfen?«

»Nichts da«, schnitt ihnen Wischnewskij das Wort ab. »Ihr seid zwei, und sie sind sieben, und ihr könnt euch nicht herauswinden. Zudem sind sie angesehenere Leute als ihr, sind hochgeborne Adelige, und was seid ihr? – Dahergelaufene Schreiber, Unkraut.«

»Aber wir sind doch im Recht …«

»Tja, was heißt das, Recht haben gegen Moskowiter! Sie sind ihrer sieben, und ihr seid zwei. Und wißt ihr vielleicht nicht, daß bei uns die ganze hohe Obrigkeit moskowitisch ist? Zudem werden die Teufelsjuden sie bestimmt unterstützen und sagen, sie hätten gesehen, wie ihr die Messer geworfen habt.«

»Aber bedenken Sie doch, Pan, die Juden sind ja Schelme.«

»Wer sagt denn, sie seien keine Schelme? Aber sie werden gegen euch aussagen. Und deshalb ist es mir auch um euch leid, daß ihr in solche Drangsal geraten seid.«

Die Schreiber, die in den Formen der Rechtsprechung bewandert waren, sahen, daß ihre Sache, hol’s der Teufel, in der Tat schlecht stand, daß sie durchaus keine Chancen für sich hatten, ja daß vielleicht sogar die ganze Schuld auf sie fallen könne.

»Sie sind sieben … und wir sind zwei …«

»Ja, und dazu die Juden … es kann wohl sein …«

»Was sollen wir nun tun, Euer Gnaden?«

»Was ich euch lehren werde. Setze sich einer von euch her und schreibe, was ich ihm sage.«

Stepan Iwanowitsch diktierte, und das Schreiben begann:

»Da wir von Natur aus unverständig sind, und unser Gewissen durch die Schmiergelder verfinstert ist …«

Der Schreibende hielt inne, aber Wischnewskij fuhr ihn an:

»Schreibe, schreibe! Das ist notwendig so.«

… »Verfinstert ist, gingen wir Gerichtskopisten in den Keller bei dem jüdischen Laden, betranken uns bis zur Bewußtlosigkeit und fingen an, uns über die Verteilung der Schmiergelder zu streiten. Wir warfen aufeinander mit Gabeln, aber weil wir sehr betrunken waren, fuhren sie aus Unvorsichtigkeit in das Porträt …«

Der Schreibende zögerte wieder, aber Stepan Iwanowitsch gab ihm einen Stoß in den Rücken. Jener fuhr sogleich fort und schrieb den ganzen Akt zu Ende, in dem er seine unfreiwillige Schuld bekannte und gestand, sie hätten aus Furcht beschlossen, ihre Schuld auf die Offiziere zu schieben, in der Annahme, daß ihnen als Kriegsleuten nichts geschehen werde. Aber jetzt, im Gefühl ihrer Versündigung und im Gedanken an ihre dereinstige Todesstunde, bereuten sie es und bäten die Offiziere, ihnen zu verzeihen und von der Anzeige Abstand zu nehmen. Aber für ihre in betrunkenem Zustande begangene Verfehlung, bäten sie selbst den Pan Wischnewskij, sie auf seinem Gute Farbowanaja väterlich mit Ruten züchtigen lassen zu wollen, worauf dann Wischnewskij die Güte haben werde, sich zu verwenden, daß die Sache keine weiteren Folgen habe.

»Aber wofür, Euer Gnaden, wofür uns züchtigen?«

»Das steht nur so auf dem Papier.«

Sie unterschrieben es, dann unterschrieb Wischnewskij und ließ die Offiziere rufen.

»Und Sie, meine Herren,« sagte er, »unterschreiben Sie es auch, daß Sie einverstanden sind, ihnen, auch im Namen Ihrer Kameraden, zu verzeihen und daß Sie als Soldaten großmütig sein wollen und die Angelegenheit nicht weiter verfolgen werden.«

Die Offiziere unterschrieben.

»Jetzt ist alles erledigt,« sagte Stepan Iwanowitsch und steckte das Papier in die Tasche. »Und nun,« fügte er, sich an seine Leute wendend, hinzu, »führt diese Herrchen in den Pferdestall und gebt ihnen dort eine tüchtige Portion Ruten.«

»Erlauben Sie, was heißt denn das?«

»Was das heißt? Das heißt, daß es hier geschrieben ist. Ihr wollt jetzt schon das Geschriebene anfechten? Ehe! Feine Herrchen. Gebt ihnen ihre Ruten, Jungens!«

Und man züchtigte sie mit Ruten.

Es wird erzählt, daß man diese Schreiber später noch lange fragte, wie es ihnen zumute war, als sie in Farbowanaja »gefarbowalkt« wurden.

Der Kommandeur kam selbst zu Stepan Iwanowitsch nach Farbowanaja gefahren, und wenn er es auch nicht aussprach, so drückte er doch indirekt seine Anerkennung für diese Findigkeit und »die richtige Wendung der Angelegenheit« aus.

VIERZEHNTES KAPITEL

Auch in seinen eigenen Angelegenheiten war Stepan Iwanowitsch weitblickend und verfiel nur dann in Fehler, wenn die Liebesleidenschaft seinen Blick trübte. Die größte Torheit beging er in einem Fall, der mit jener schlanken, zierlichen Gapka Petrunenko zusammenhing, zu deren Füßen wir ihn verlassen haben.

In der Zeit, als Wischnewskij dieses Mädchen liebte, stand der Kirche im Dorfe Farbowanaja ein Priester namens Platon vor. Er hatte die den Russen ziemlich gemeinsame Schwäche, daß er zwar im nüchternen Zustande »zu allem wohlweislich schwieg«, betrunken jedoch gern plauderte und sogar die ungeschminkte Wahrheit sagte.

Als sich Wischnewskij am nächsten Morgen vom Teppich erhoben hatte, teilte er voller Freude Stepanida Wassiljewna eine wichtige Neuigkeit mit.

Gapka spürte in sich ein neues Leben pochen.

»Und was sie gebiert, soll nicht mehr leibeigen, sondern frei sein«, sagte Wischnewskij.

Dies war ein ungewöhnliches Liebesgeschenk seitens Stepan Iwanowitschs, denn die große Menge seiner Kinder war sämtlich unter seine »leibeigenen Seelen« eingetragen worden und arbeitete rechtschaffen auf den Feldern seines Herrengutes.

Auch Gapka freute sich darüber.

Eine Stunde später ging sie aus, um Himbeeren zu pflücken. Am Gartenzaun begegnete ihr der Priester P. Platon, der gerade in seiner aufrichtigen Stimmung war. Als er das Mädchen erblickte, sagte er ihr in priesterlichem Tone:

»Was bist du so froh, Mädel? Bist froh und vergnügt, pflückst süße Himbeerchen, aber wenn du dein Kindchen geboren hast, kriegst du auch deinen Stoß in den Rücken.«

»Warum denn?« Gapka sah ihn von der Seite an und wurde mit einem Male verwirrt und traurig, weil sie Wischnewskij, wie viele Frauen, die anfangs nur widerstrebend seine Geliebten geworden waren, liebgewonnen hatte. Gapka fragte, warum man sie denn so ganz bestimmt absetzen werde, wenn sie das Kind geboren haben würde.

»Darum,« antwortete der Geistliche, »weil man auf dem Herrenhof ein Kühlein nicht bis zum zweiten Kalb behält.«

Das war die einzige Begründung des P. Platon, aber Gapotschka wurde traurig, besonders infolge des neuen ungewohnten Zustandes ihres Organismus, und begann bitterlich zu weinen. Aber als verschlossene Kleinrussin wollte sie um nichts in der Welt sagen, warum sie weine. Stepan Iwanowitsch brachte es schließlich selbst heraus: Leute hatten gesehen, wie der Geistliche mit Gapka sprach, und hinterbrachten es dem Pan, der sogleich seinen geistlichen Vater zur Beichte vor sich rufen ließ und ihn fragte:

»Was hast du Gapka gesagt?«

Der Geistliche konnte sich nicht entschließen, zu wiederholen, was er zu dem Mädchen gesprochen hatte, und sagte:

»Ich erinnere mich nicht mehr.«

 

Wischnewskij wurde wütend und schrie ihn an:

»Aha, jetzt kenne ich dich: du hast dich an sie herangemacht … Hast geglaubt, sie werde mich mit dir vertauschen?«

»Was denken Sie, Euer Gnaden …«

»Nichts ‚Euer Gnaden‘, meine Gnaden sind dir nur so weit gnädig, daß ich, als dein geistlicher Sohn, dich nicht prügeln lasse. Aber du sollst fort von hier, und ich lasse dich durchs Dorf führen, damit die Leute wissen, was für ein Taugenichts du bist.«

Man packte den Unglücklichen, zog ihn aus, steckte ihn in einen alten Getreidesack, aus dessen Schlitz nur der Kopf herausschaute, schüttete ihm Flaumfedern über den Kopf und führte ihn in diesem Aufzug durch das ganze Dorf.

Der Geistliche fuhr in die Stadt, reichte eine Klage ein und bat um seine Versetzung, die er auch erhielt. Für Stepan Iwanowitsch blieb dieser Vorfall im übrigen ohne alle unangenehmen Folgen.

Eine gewisse Vergeltung übte der beleidigte Geistliche selbst, aber seine Rache war lächerlich und kam sehr spät. Sie wurde erst viele Jahre später offenbar, als Stepan Iwanowitsch eine seiner Töchter verheiraten wollte. Er forderte damals einen Auszug aus dem Taufregister, wo man unerwarteterweise die dumme und ganz sinnlos hineinkorrigierte Eintragung fand, daß dem Stepan Iwanowitsch und seiner ehelichen Gattin eine uneheliche Tochter geboren wurde.

Es war sinnlos und konnte Stepan Iwanowitsch keinen ernstlichen Schaden verursachen, aber es brachte ihn schrecklich auf. Wie durfte man sich mit ihm einen solchen Scherz erlauben! Und wer? – Der Pope! Zudem konnte er es nicht mehr heimzahlen, weil der Pope P. Platon nach Gottes Ratschluß schon früher gestorben war.

Sonst hätte ihn Stepan Iwanowitsch auch in einem anderen Kirchspiel zu finden gewußt …

FÜNFZEHNTES KAPITEL

Dergestalt waren die wilden Taten dieses Originals, die jetzt in unserer vielgescholtenen Zeit unmöglich wären, oder die man heute bestimmt seiner Psychopathie zugeschrieben hätte. Selbst Wischnewskijs Geschmack und seine Gefühle spiegelten seine seelische Anormalität wieder. So hatte er z. B. für die Schönheit der Natur nichts übrig und liebte ausschließlich die Nacht und die Effekte der Gewitter. In der Tierwelt liebte er nur Tauben und Pferde. Die Tauben liebte er, weil sie sich »küssen«, und die Pferde, weil sie Schnelligkeit und eine Stimme haben … ja, so außerordentlich liebte er die »Pferdestimme«, d. h. ihr Wiehern. Um sich das erstere seiner Vergnügen zu verschaffen, hielt er sich vor seinen Fenstern einen großen Taubenschlag und ergötzte sich oft ganze Stunden daran, zuzusehen, »wie sie sich küßten«. Dann rief er Stepanida Wassiljewna zu diesem Schauspiel herbei.

»Schau, – sie küssen sich!«

Des Wieherns halber ritt Stepan Iwanowitsch stets Hengste und blieb ganz gleichmütig, wenn sie ein Gespann in Unordnung brachten. Daran lag ihm nicht viel, wo er aber Pferde wiehern hörte, auf der Straße oder aus einem Hause, blieb er sogleich stehen, hielt den Finger vor sich und erstarrte … Kein Musiknarr hat vielleicht so leidenschaftlich der Calzolari, Tamberlik oder der Patti gelauscht.

Der Lieblingsanblick Wischnewskijs war seine prachtvolle Pferdeherde, unter der ein mächtiger, schöner Hengst einhergaloppierte. Hörte Stepan Iwanowitsch sein Wiehern selbst aus der Ferne, so hielt er an, und sein Gesicht drückte den Ausdruck vollsten Glückes aus. Es schien, als ob seine Augen, ungeachtet der räumlichen Entfernung, sahen, wie sich das Pferd aufbäumte, die Luft durch Nüstern und Zähne einzog und in Leidenschaft glühend dahinstürmte.

»Hörst du es, Stepanida Wassiljewna?«

»Ja, mein Freund, ich höre.«

Alles, was ihren Mann erfreute, machte auch sie glücklich, und so zeigte sie auch hier Freude, … und Stepan Iwanowitsch wußte es zu schätzen.

Er war sechzig Jahre alt, als Stepanida Wassiljewna starb. Er beweinte sie sehr, ging dann aber, trotz seines schon vorgerückten Alters eine zweite Ehe mit einem hübschen achtzehnjährigen kleinrussischen Mädchen aus der Familie Gordienko ein. Auch mit dieser Gemahlin lebte er glücklich, aber … er gedachte immer Stepanida Wassiljewnas. Trotz ihrer vielen Vorzüge, verstand es seine zweite junge Gemahlin nicht, auf all seine Schwächen und Sonderlichkeiten einzugehen. Stepan Iwanowitsch zeigte ihr die küssenden Tauben nicht und wollte sie auch nicht fragen, ob sie es höre, wie der Sultan der Herde seine schmetternde Stimme verschwenderisch ertönen ließ, sie in Triller auflöste und sie dann um eine Oktave senkte …

Wischnewskij hatte einmal versucht, die Aufmerksamkeit seiner neuen Frau darauf zu lenken, aber sie hatte sich gefühllos gezeigt, – war nicht einmal aufgestanden und hatte nicht gelächelt, sondern nur kalt gesagt:

»Ja, ich höre, da hat ein Pferd irgendwo gewiehert.« Und damit nahm sie ruhig wieder ihre Arbeit auf …

Stepan Iwanowitsch sah ein, daß seiner neuen Frau das mangelte, was der ersten eigen gewesen war, und zog sie nie mehr in den Kreis von Begriffen hinein, die ihr unzugänglich waren.

In Augenblicken seelischer Wallungen seufzte er nur auf, suchte mit den Augen das Bildnis Stepanida Wassiljewnas und lächelte ihr zu.

SECHZEHNTES KAPITEL

Mit seiner zweiten Gemahlin lebte Wischnewskij noch rund zwanzig Jahre, im Genusse unveränderlicher Gesundheit, und starb zu Beginn seines neunten Jahrzehntes. Im ganzen war er zweiundachtzig Jahre alt geworden. Hinfälliges Greisentum, oder ein langsames, allmähliches Dahinsterben blieben ihm erspart. Als seine Stunde gekommen war, ging er ganz plötzlich dahin, wie eine überreife Himbeere vom Stiele fällt.

An einem Morgen seines dreiundachtzigsten Jahres, im Frühling, wenn in Kleinrußland verschwenderisch der Flieder blüht, ritt Stepan Iwanowitsch eine wilde nogaïsche Stute zu, die sonst niemanden im Sattel duldete.

Mit Hilfe seiner ungewöhnlichen Kraft und seiner ungewöhnlichen Schwere brachte er die wilde Stute zur Erschöpfung. Vom Sattel steigend, übergab er die Zügel den Pferdeknechten, trat auf den Balkon und blieb plötzlich stehen …

Es schien Wischnewskij, als »falle sein Herz«. Er sei lange geritten, hätte sich im Sattel geschüttelt, und nun sei das Herz abgerissen … So ganz ohne Schmerz, ohne Beschädigung, wie eine überreife Beere fällt. Um ihn war es leer, und plötzlich begann sich alles zu verschieben, wie Uhrgewichte, deren Seil vom Rad geglitten ist.

Wischnewskij setzte sich schnell in einen Sessel und wollte etwas sagen, aber über seine Lippen kam kein Laut. Alles war so schön, ringsum Blüten und Duft. Er sieht und hört alles, und begreift … Da haben eben die Pferdeknechte der schweißigen Stute den Sattel abgenommen und führen sie längs der schattigen Mauer. Sie ruht aus, schüttelt sich, und von dem weißen Schaum, der sie bedeckt, fliegen leichte Flocken durch die Luft. Hinter der Mauer des Pferdestalls hallt das Stampfen kräftiger Vorderhufe auf den Fliesen wider, und es tönt laut und wohlklingend wie ein Fagott: I-ha-ha!

Stepan Iwanowitsch ließ die Augen nach rechts und links schweifen … Sie suchten das Bildnis Stepanida Wassiljewnas, aber dann blieben sie an einem blühenden Fliederstrauche haften, und er lächelte …

Es ist anzunehmen, daß er dort Stepanida Wassiljewna selbst mit ihrem länglichen Schubinskij-Gesicht sah, – er fiel vom Stuhl zu ihren Füßen nieder, – als Toter. In jenem anderen Leben haben sich die beiden wohl wiedererkannt.

DER TOUPETKÜNSTLER

ERSTES KAPITEL

Viele glauben bei uns, daß der Titel »Künstler« nur den Malern und Bildhauern zukommt, und auch nur solchen unter ihnen, die ihn von einer Akademie verliehen bekommen haben. Unsere berühmten Silberschmiede Ssasikow und Owtschinnikow werden von vielen für einfache Handwerker gehalten. In anderen Ländern ist es sicher nicht so. Heine erzählt von einem Schneider, der ein »Künstler« war und »eigene Ideen« hatte, und die Damenkleider aus dem Atelier von Worth gelten heute als Kunstwerke. Über einen solchen Künstler schrieben neulich die Zeitungen, daß er in seinem Schnitt »eine ungewöhnliche künstlerische Phantasie« zeige.

In Amerika wird das Gebiet des künstlerischen Schaffens noch viel weiter aufgefaßt. Der berühmte amerikanische Schriftsteller Bret Harte erzählt von einem Künstler, dessen Objekt Leichen waren: er verlieh den Gesichtern der Verstorbenen einen »Ausdruck des Trostes«, der von dem mehr oder weniger glückseligen Zustande der entschwebten Seele zeugen sollte.

Dieser Ausdruck hatte mehrere Abstufungen; ich kann mich nur an drei erinnern: 1. »Ruhe«; 2. »erhabene Beschaulichkeit« und 3. »Seligkeit des unmittelbaren Verkehrs mit dem Herrn«. Die Berühmtheit des Künstlers entsprach durchaus der hohen Vollkommenheit seiner Arbeit: sie war ganz kolossal. Leider fiel der Künstler als Opfer der rohen Menge, die für die Freiheit des künstlerischen Schaffens wenig Verständnis hatte. Er wurde gesteinigt, weil er den Ausdruck des »seligen Verkehrs mit dem Herrn« dem Gesicht eines verstorbenen Bankiers verliehen, der die ganze Stadt ausgeraubt hatte. Die glücklichen Erben des Schwindlers hatten dem Verstorbenen auf diese Weise ihren Dank bezeugen wollen, dem Künstler kostete es aber das Leben …

Auch bei uns in Rußland gab es einen Meister auf diesem nicht ganz gewöhnlichen Gebiete der Kunst.

ZWEITES KAPITEL

Die Kinderfrau meines jüngsten Bruders war eine lange, ausgetrocknete, doch recht proportioniert gebaute Alte, namens Ljubow Onissimowna. Sie war in ihrer Jugend leibeigene Schauspielerin am Haustheater des Grafen Kamenskij zu Orjol gewesen, und alles, was ich hier erzähle, hat sich zu Orjol in den Tagen meiner Kindheit abgespielt.

Mein Bruder war um sieben Jahre jünger als ich: als er zwei Jahre alt war und von Ljubow Onissimowna gepflegt wurde, war ich schon über neun und konnte die Geschichten, die sie mir erzählte, gut verstehen.

Ljubow Onissimowna war damals noch nicht sehr alt, hatte aber schon schneeweißes Haar; ihre Gesichtszüge waren fein und zart, die schlanke Figur ungewöhnlich gut gebaut und graziös, wie bei einem jungen Mädchen.

Meine Mutter und Tante sagten, wenn sie sie ansahen, daß sie in ihrer Jugend wohl wunderschön gewesen sei.

Sie war von einer grenzenlosen Ehrlichkeit, Sanftheit und Empfindsamkeit; sie liebte im Leben alles Tragische, trank sich aber zuweilen einen Rausch an.

Sie führte uns meistens auf den Friedhof bei der Dreifaltigkeitskirche spazieren. Sie setzte sich immer auf das gleiche armselige, mit einem einfachen Holzkreuz geschmückte Grab und erzählte mir oft Geschichten.

So hörte ich hier von ihr einmal die Geschichte vom »Toupetkünstler«.