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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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Siebentes Kapitel

Im Lager der Saporoger herrschte Lärm und Bewegung. Anfangs vermochte niemand genaue Auskunft zu geben, wie es geschehen konnte, daß die Truppen in die Stadt eindrangen. Doch bald wurde festgestellt, daß die ganze Perejaslawsche Abteilung, die ihr Lager vor einem Seitentor der Stadt aufgeschlagen hatte, am Abend vorher total betrunken gewesen war. So war es weiter nicht wunderbar, daß die Hälfte von ihnen erschlagen und der Rest, noch ehe man recht wußte, was passiert war, gefangen wurde. Bevor noch die benachbarten Abteilungen, vom Lärme aufgeschreckt, zu den Waffen greifen konnten, zogen die Truppen schon durch das Stadttor ein; ihre letzten Reihen verteidigten sich gegen den nachstürmenden Feind, indem sie einige Schüsse auf die schlaftrunkenen und noch nicht ganz nüchternen Saporoger abgaben, die sie ohne jede Ordnung zu verfolgen suchten.

Der Hetman ließ alle Kosaken ohne Ausnahme zusammenkommen, und als sie alle schweigend und mit den Mützen in den Händen im Kreise herumstanden, sagte er: „Ihr seht, liebe Herren und Brüder, was sich diese Nacht ereignet hat. Dahin also hat uns der Trunk gebracht! Eine solche Schmach hat uns der Feind angetan! Das scheint bei euch wohl Brauch zu sein; wenn man eure Rationen verdoppelt, so seid ihr gleich bereit, euch derart vollzutrinken, daß der Feind aller christlichen Streiter euch nicht nur die Hosen abziehen, sondern euch wohl gar ins Gesicht speien kann, ohne daß ihr etwas davon merkt!“

Die Kosaken standen alle mit gesenkten Köpfen und schuldbewußt da. Nur der Hauptmann Kukubenko von der Nesamaikow-Abteilung erwiderte:

„Halt mal, Väterchen! es ist zwar nicht vorschriftsmäßig, daß man Einspruch gegen das erhebt, was der Hetman im Angesicht des ganzen Heeres sagt, aber die Sache war doch nicht ganz so, und darum will ich reden. Nicht ganz mit Recht hast du dem gesamten christlichen Heer einen Vorwurf gemacht. Freilich wären die Kosaken des Todes schuldig gewesen, die sich im Feldzug, im Kampf oder während eines schweren Unternehmens vollgetrunken hätten. Wir aber führten ein untätiges Lagerleben vor der Stadt, aus dem uns keine Arbeit aufrüttelte. Es herrschten ja weder Fasten, noch sonst eine Zeit, während der die christliche Kirche eine strenge Enthaltsamkeit vorschreibt: wie sollte es da ausbleiben, daß sich der Mensch, wenn er doch gar nichts zu tun hat, aus Langeweile einmal ordentlich betrinkt? Das ist doch keine Sünde! Aber wir wollen ihnen schon zeigen, was es heißt, über wehrlose Menschen herfallen. Wir haben’s ihnen schon früher tüchtig gegeben, jetzt aber wollen wir es ihnen so heimzahlen, daß ihre Füße sie nicht mehr nach Hause tragen sollen!“

Die Rede des Hauptmanns gefiel den Kosaken. Sie erhoben wieder das Haupt, und viele von ihnen gaben durch Nicken des Kopfes ihre Zustimmung zu erkennen und sagten: „Kukubenko hat gut gesprochen!“ Allein Taraß Bulba, der nicht weit vom Hetman stand, sprach: „Nun, Hetman, Kukubenko hat wohl die Wahrheit gesprochen. Was kannst du hierauf antworten?“

„Was ich antworte? Das will ich dir sagen: Selig ist der Vater, der einen solchen Sohn gezeugt hat. Es ist noch kein Zeichen von großer Weisheit, ein Wort des Vorwurfs zu sagen, es ist ein weit größeres, sich bei dem Unglück eines Menschen nicht lustig zu machen, sondern ihm Mut einzureden, so wie die Sporen das Pferd zu neuen Leistungen antreiben, das sich an der Tränke erfrischt hat. Ich hatte selbst die Absicht, euch später ein paar tröstliche Worte zu sagen, Kukubenko ist mir jedoch zuvorgekommen.“

„Auch der Hetman hat gut gesprochen,“ tönte es jetzt aus den Reihen der Saporoger. „Ein gutes Wort,“ wiederholten andere. Sogar die Ältesten unter ihnen, die wie blaue Täuberiche dastanden, nickten mit den Köpfen, rümpften die mit grauen Schnurrbärten gezierten Lippen und sagten leise: „Ja, ja, das war gut gesprochen.“

„So hört denn, ihr Herren,“ fuhr der Hetman fort, „die Stadt zu erstürmen, ihre Mauern zu erklimmen und unterirdische Gänge anzulegen, wie es die ausländischen deutschen Meister tun – die der Teufel holen mag – das ist nicht Kosakenart und auch nicht ihre Sache. Aber nach dem zu urteilen, wie die Sache liegt, so ist der Feind nur mit wenig Vorräten in die Stadt eingezogen. Er hat ja nur ein paar Wagen mit sich geführt. Die Leute in der Stadt sind ausgehungert und werden daher alles auf einmal aufessen; auch die Pferde brauchen ja Heu – ich weiß nicht, vielleicht schüttet ihnen einer ihrer Heiligen etwas auf ihre Gabeln herunter – Gott mag es wissen – ihre Priester verstehen sich zwar mehr auf Worte. Sei dem nun wie ihm wolle, jedenfalls sollen sie uns nicht aus der Stadt herauskommen. Teilt euch also in drei Haufen und besetzt die drei Wege, die zu den drei Toren führen. Fünf sollen sich vor dem Haupttor und je drei vor den beiden anderen aufstellen. Die Djadkiwsche und Korsunsche Abteilung dagegen bleiben im Hinterhalt liegen. Ebenso der Hauptmann Taraß mit seiner Abteilung. Die Titarewsche und Timoschewsche Abteilung decken die Vorräte auf der rechten Seite der Wagen. Die Abteilung Schtscherbinow und Teblikow die linke! Und ihr, ihr Jungen, die ihr Haare auf den Zähnen habt, tretet mal hervor aus euren Reihen, um den Feind ein wenig zu reizen! Der Pole ist ein hohler Patron, er verträgt keine Beschimpfungen, und vielleicht kommen sie noch heute aus den Toren herausgelaufen. Die Hauptleute sollen ihre Abteilungen gut im Auge behalten! Wem es an Kosaken fehlt, der soll sie aus den Resten der Perejaslawschen Abteilung ergänzen. Mustert sie noch einmal ordentlich. Gebt jedem Kosaken vorher noch ein Glas Branntwein, damit er wieder nüchtern wird und ein Stück Brot zur Stärkung. Aber ihr seid sicher noch alle satt von gestern, denn – der Wahrheit die Ehre – ihr habt euch gestern so voll gegessen, daß ich mich höchlichst wundere, wie heute nacht keiner von euch geplatzt ist. Ja, und noch eins habe ich euch zu sagen: sollte irgend so ein jüdischer Schankwirt einem Kosaken ein Maß Branntwein verkaufen, so lasse ich dem Hund ein Schweinsohr an die Stirn nageln und ihn an den Beinen aufhängen! Doch nun ans Werk, ihr Brüder, auf! Frisch ans Werk!“

Der Hetman gab seine Anweisungen, und alle verneigten sich tief vor ihm und begaben sich, ohne die Mützen aufzusetzen, zu ihren Wagen und ins Lager zurück; erst als sie schon ganz weit waren, bedeckten sie wieder ihre Häupter. Alle begannen sich zu rüsten und zum Kampfe vorzubereiten, sie prüften die Säbel und Lanzen, schütteten Pulver aus den Säcken in die Pulverhörner, rückten und stellten die Wagen zurecht und suchten sich die besten Pferde aus.

Als Taraß zu seiner Abteilung zurückkehrte, dachte er lange darüber nach, wo wohl Andrij weilen könnte, und er konnte es sich durchaus nicht erklären, wo er geblieben war. Er fragte sich, ob man ihn vielleicht zusammen mit den andern gefangen genommen oder ihn im Schlafe gefesselt habe – aber nein, Andrij war nicht der Mann, sich lebend gefangen nehmen zu lassen. Unter den erschlagenen Kosaken war er auch nicht zu finden. Taraß verfiel in tiefes Sinnen und schritt draußen seine Abteilung ab, ohne zu hören, daß ihn schon lange jemand beim Namen rief. „Wer will was von mir,“ sagte er endlich, wie aus einem Traume erwachend. Vor ihm stand der Jude Jankel.

„Herr Hauptmann, Herr Hauptmann,“ sagte der Jude schnell und hastig, wie wenn er ihm eine wichtige Nachricht mitzuteilen hätte, „ich war in der Stadt, Herr Hauptmann.“

Taraß sah den Juden an und wunderte sich, daß er es fertiggebracht hatte, sich in die Stadt zu stehlen.

„Wer zum Teufel hat dich denn da hineingebracht?“

„Ich will’s Euch sofort erzählen,“ sagte Jankel. „Wie ich bei Tagesanbruch das Schreien und Schießen der Kosaken hörte, da ergriff ich so schnell wie möglich meinen Kaftan und lief ohne ihn anzuziehen so rasch ich konnte dorthin; erst unterwegs fuhr ich in die Ärmel. Ich wollte nämlich die Ursache des Lärms erfahren und nachsehen, warum die Kosaken in so früher Stunde schießen. Ich lief immer vorwärts und kam grad in dem Augenblick an das Tor, als das letzte Regiment in die Stadt einzog. Plötzlich sehe ich den Herrn Fähnrich Galjandowitsch an der Spitze der Truppen. Ich kenne ihn sehr gut, er schuldet mir schon seit drei Jahren hundert Dukaten. Ich ging also hinter ihm her, wie wenn ich ihn an seine Schuld mahnen wollte, und gelangte auf diese Weise in die Stadt.“

„Wie bist du denn in die Stadt hineingekommen, wenn du doch nur eine Schuld eintreiben wolltest,“ sagte Bulba, „hat er dich denn nicht sofort aufhängen lassen wie einen Hund?“

„Ja, bei Gott, das wollte er tun!“ antwortete der Jude. „Seine Diener hatten mich schon gepackt und mir den Strick um den Hals gelegt; ich aber flehte den Herrn an und sagte, daß ich mit meiner Schuld warten würde, solange der Herr es wünscht, ja ich versprach ihm sogar ihm noch mehr zu leihen, wenn er mir nur helfen wolle, das Geld von den anderen Rittern einzutreiben; denn der Herr Fähnrich hatte – um gleich alles zu sagen – nicht einen einzigen Dukaten in der Tasche. Wenn er auch viel Land, einige Güter, vier Schlösser und Grund und Boden besitzt, der bis an das Tor der Stadt Schkloff reicht, er hatte doch keinen baren Groschen – wie ein rechter Kosak! Und wenn ihn jetzt zum Beispiel nicht ein paar Breslauer Juden ausgerüstet hätten, hätte er gar nicht in den Krieg ziehen können. Deshalb war er auch nicht zum Reichstag gekommen.“

„Und was hast du in der Stadt gemacht? Hast du die Unsrigen gesehen?“

„Gewiß! Da gibt es doch viele von unseren Leuten. Den Itzig, den Rachum, den Schmul, den Chaiwalch, einen jüdischen Pächter …“

„Hol der Teufel die Hunde,“ rief Bulba ärgerlich, „was geht mich deine Judensippe an. Ich frage dich nach unsern Saporogern!“

„Unsere Saporoger habe ich nicht gesehen, nur den Herrn Andrij.“

„Du hast Andrij gesehen,“ rief Bulba, „sprich, wo hast du ihn gesehen? In einem unterirdischen Gewölbe? Unter der Erde? Im Kerker? Hat man ihn entehrt und mit Schmach bedeckt? Ist er gefesselt?“

 

„Wer hätte gewagt, Herrn Andrij zu fesseln! Nein, er ist jetzt ein vornehmer Ritter – bei Gott, ich habe ihn kaum wiedererkannt! Sein Schulterbesatz ist eitel Gold, auch seine Ärmel sind mit Gold gestickt, er hat einen goldenen Spiegel, und seine Mütze glänzt von lauter Gold. Am Gürtel schimmert Gold, und überall ist Gold, und alles an ihm ist Gold! Wie die Sonne im Frühling glänzt, wenn im Garten jedes Vögelchen zwitschert und singt und die Kräuter duften, so glänzt und schimmert auch er von Gold. Der Wojewode hat ihm auch das schönste Pferd geschenkt, ein Pferd, das allein zweihundert Gulden kostet.“

Bulba stand wie erstarrt da. „Weshalb hat er denn die fremde Rüstung angelegt?“

„Weil sie schöner ist, hat er sie angelegt. Und er reitet überall umher; die andern reiten auch überall umher, und er gibt ihnen und sie geben ihm gute Lehren, wie wenn er der reichste unter den polnischen Herren wäre.“

„Wer konnte ihn dazu zwingen?“

„Ich sage nicht, daß ihn jemand gezwungen hat. Weiß denn der Herr nicht, daß er aus freiem Willen zu ihnen übergegangen ist?“

„Wer ist übergegangen?“

„Nun, der Herr Andrij!“

„Wohin ist er übergegangen?“

„Auf ihre Seite. Er gehört doch jetzt schon ganz zu ihnen.“

„Du lügst, Schweinehund!“

„Wie sollte ich denn lügen? Bin ich etwa ein Narr, daß ich lügen werde? Ich würde mich ja um meinen eigenen Kopf bringen. Weiß ich nicht, daß man den Juden aufhängen wird wie einen Hund, wenn er den Herrn belügt?“

„Du willst also sagen, daß er sein Vaterland und seinen Glauben verraten hat?“

„Ich sage doch nicht, daß er verraten hat – ich habe nur gesagt, daß er zu ihnen übergegangen ist.“

„Du lügst, Satan von einem Juden! So etwas ist noch nie dagewesen in der ganzen Christenheit! Du lügst, Hund!“

„Das Gras soll wachsen auf der Schwelle meines Hauses, wenn ich lüge! Anspeien soll jeder das Grab meines Vaters, meiner Mutter, meines Schwiegervaters, meines Vaters Vaters und des Vaters meiner Mutter, wenn ich lüge. Wenn der Herr es wünscht, will ich sogar sagen, warum er zu ihnen übergegangen ist.“

„Nun?!“

„Der Wojewode hat eine schöne Tochter – heiliger Gott, ist die schön! …“ Bei diesen Worten versuchte der Jude ihre Schönheit, so gut er es konnte, mit seinem Gesicht auszudrücken: er breitete die Hände aus, zwinkerte mit den Augen und verzog den Mund, als ob er etwas Köstliches genossen hätte.

„Nun, was soll das?“

„Für sie hat er alles getan und ist übergegangen. Wenn sich ein Mensch verliebt, geht es mit ihm wie mit einer Stiefelsohle, die man biegen kann, wie man will, wenn man sie erst im Wasser aufgeweicht hat …“

Bulba versank in tiefes Sinnen. Er dachte daran, wie groß die Macht eines schwachen Weibes ist. Wieviel Starke sie schon ins Verderben gestürzt hatte, und daß Andrijs Natur ihr nur allzuleicht unterlag. Und lange stand er wie versteinert auf einer Stelle.

„Hört, Herr, ich will Euch alles ausführlich erzählen,“ sagte der Jude.

„Im selben Augenblick, wie ich den Lärm hörte und sah, wie die Soldaten durch das Stadttor einzogen, da steckte ich für alle Fälle eine Perlenschnur zu mir; ich sagte mir: es gibt doch in der Stadt schöne Edelfrauen, die werden mir schon ein paar Perlen abkaufen, auch wenn sie nichts zu essen haben. Und kaum daß mich die Knechte des Fähnrichs losgelassen hatten, da lief ich schnell nach dem Hause des Wojewoden, um die Perlen zu verkaufen. Dort fragte ich eine Dienerin, eine Tatarin aus, von der ich alles erfuhr. Es wird bald Hochzeit gefeiert, sowie die Saporoger verjagt sind. Der Herr Andrij hat versprochen, die Saporoger fortzujagen.“

„Und du hast ihn nicht sofort totgeschlagen, den Satan!“ schrie Taraß.

„Warum totschlagen? Er ist doch aus freien Stücken übergegangen! Was kann er dafür? Es geht ihm dort besser als hier: so ist er eben zu ihnen gegangen!“

„Hast du ihn von Angesicht gesehen?“

„Bei Gott, von Angesicht zu Angesicht! Welch ein vornehmer Herr! Weit schöner als alle andern! Gott schenke ihm Gesundheit – er hat mich sogleich erkannt und als ich zu ihm herantrat, sagte er sofort …“

„So? Was hat er gesagt!“

„Er sagte … doch nein, er winkte mir erst mit der Hand, und dann erst sagte er: „Jankel“. Worauf ich sagte: „Herr Andrij!“ „Jankel, sag dem Vater, sag dem Bruder, sag den Kosaken, sag den Saporogern, sag ihnen allen, daß der Vater mir von heute ab kein Vater, der Bruder kein Bruder, der Kamerad kein Kamerad mehr ist, und daß ich mit ihnen kämpfen werde, mit ihnen allen kämpfen werde!“

„Du lügst, satanischer Judas!“ schrie Taraß außer sich, „du lügst, verfluchter Hund! Du hast auch Christus gekreuzigt, du gottverfluchtes Geschöpf! Satan, ich erschlage dich! Fliehe, flieh von hier – sonst bist du gleich des Todes!“ Mit diesen Worten riß Taraß seinen Säbel aus der Scheide, und der erschrockene Jude ergriff die Flucht und lief, so schnell er konnte, davon, so weit ihn seine trockenen dürren Beine trugen. Lange lief er, ohne sich umzusehen, durch das Kosakenlager, immer weiter und weiter über das freie Feld, obgleich ihn Taraß garnicht verfolgte – er hatte es sich überlegt, daß es unvernünftig sei, seinen Zorn an dem ersten besten auszulassen.

Jetzt erinnerte er sich daran, daß er Andrij in der vorigen Nacht mit einem Weibe durch das Lager habe gehen sehen, und er ließ sein graues Haupt mutlos herabsinken. Aber er wollte noch immer nicht daran glauben, daß ihm eine solche Schmach hätte angetan werden können und daß der eigene Sohn seinen Glauben und seine Seele verraten konnte. Endlich ermannte er sich, führte seine Abteilung in den erwähnten Hinterhalt und verschwand im Walde, dem einzigen, der noch nicht von den Kosaken niedergebrannt war. Die andern Saporoger, das Fußvolk wie die Reiter, rückten in drei Zügen bis an die drei Tore vor. Eine Abteilung zog hinter der andern her: die Abteilungen Uman, Popowitschew, Kanew, Steblikiw, Nesamaikow, Gurgusiw, Tymoschew usw. Nur die Abteilung Perejaslaw fehlte. Diese hatte nämlich am Abend vorher ein äußerst stürmisches Zechgelage veranstaltet, und die Folge davon war, daß einige von ihnen gefesselt im feindlichen Lager und andere gar nicht erwachten, sondern sogleich in die feuchte Erde gebettet wurden. Chlib, der Hauptmann, wurde ohne Hemd und Hose ins polnische Lager gebracht.

In der Stadt hörte man bald von der Bewegung im Kosakenlager. Alle liefen auf die Wälle hinaus, und ein prächtiges Bild entfaltete sich vor den Augen der Kosaken. Die polnischen Ritter standen, einer immer schöner als der andere, auf den Wällen. Die kupfernen Helme, mit schwanenweißen Federn geziert, glänzten wie kleine Sonnen. Andere trugen leichte rosa und hellblaue Mützen, deren oberer Teil auf der Seite etwas eingebogen war. Ihre Röcke mit den herabhängenden Ärmeln waren mit Goldstickereien oder einfachen Schnüren versehen; sie hatten reichverzierte Säbel und Waffen, die die polnischen Herren teuer genug bezahlt haben mochten, und vielerlei andere Schmuckgegenstände. In der vordersten Reihe stand der Oberst von Budschakow in würdiger Haltung mit einer roten, goldgestickten Mütze. Der Oberst war bedeutend größer und stärker als alle übrigen, und sein weiter kostbarer Rock war fast zu eng für seine mächtige Hühnengestalt. Auf der anderen Seite, ganz nahe am Seitentor, stand ein anderer Oberst, ein kleiner dürrer Mann, dessen winzige, scharfe Augen lebhaft unter dichten Augenbrauen hervorblickten; er drehte sich schnell nach allen Seiten um, und seine hagere Hand wies gebieterisch bald hierher und bald dorthin. Man sah, daß er trotz seiner Kleinheit sich trefflich auf das Kriegshandwerk verstand. Unweit von ihm stand der Fähnrich, ein langer Kerl mit einem dichten buschigen Schnurrbart und einer fast zu frischen Gesichtsfarbe; der Herr liebte die starken Getränke und war der Freund einer reichbesetzten Tafel. Hinter ihnen sah man noch viele viele Ritter, von denen sich ein Teil auf eigene Kosten bewaffnet und ausgerüstet hatte, der andere dagegen auf Kosten der Staatskasse oder mit jüdischem Gelde, da diese Herrn all ihr Hab und Gut, das die Schlösser der Väter bargen, versetzt hatten. Es gab darunter auch eine nicht geringe Zahl von jenen Schmarotzern, die das Gefolge der Senatoren zu bilden pflegten, und die an ihrer Tafel sitzen durften, um ihren Glanz zu erhöhen; oft genug stahlen sie dort als Entgelt die silbernen Becher von den Tischen und aus den Schränken weg und lenkten vielleicht schon morgen, ihrer Ehre entkleidet, vom Kutscherbock herab die Pferde eines großen Herrn. Da gab es alle möglichen Sorten und Gattungen von Menschen. Manch einer besaß noch nicht genug, um sich einen Becher Branntwein zu kaufen: für den Krieg aber hatten sie sich alle aufs schönste herausgeputzt.

Die Kosaken standen gelassen vor den Stadtmauern. An ihnen war auch nicht eine Spur von goldenem Zierat zu bemerken, nur ab und zu blitzte es an einem Säbelgriff oder einem Gewehrkolben auf. Die Kosaken liebten es nicht, sich zur Schlacht reich zu schmücken. Ihre Panzer und Kleider waren alle höchst einfach und bescheiden: bloß ihre schwarzen Lammfellmützen mit den roten Spitzen konnte man weithin schimmern sehen.

Zwei Kosaken lösten sich von den Reihen der Saporoger ab und sprengten nach vorn; der eine war noch ganz jung, der andere etwas älter, beide hatten Haare auf den Zähnen, verstanden sich gut aufs Reden, doch auch nicht minder gut auf das Handeln. Sie hießen Ochrim Nasch und Mykyta Golokopytenko. Ihnen folgte Demid Popowitsch, ein stämmiger Kosak, der sich schon lange in der Sjetsch aufhielt, bei Adrianopel gekämpft und schon mancherlei erlebt und erfahren hatte: sollte er doch bereits einmal lebendigen Leibes auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden; damals war er mit geteertem und geschwärzten Kopf und abgesengten Schnurrbart in der Sjetsch erschienen, aber Popowitsch hatte sich bald wieder erholt und sich einen langen Schopf, der ihm bis übers Ohr herabhing, und einen pechschwarzen, buschigen Schnurrbart wachsen lassen. Übrigens konnte Popowitsch oft recht bissig werden.

„Ja, das muß man sagen, schöne Kleider habt ihr an, ihr tapferen Ritter; ich möchte nur wissen, ob euer Mut und eure Tapferkeit ebenso groß ist?“

„Ich will’s euch schon zeigen,“ rief der dicke Oberst von oben herab, „ich lasse euch allesamt binden und an die Kette legen. Gebt eure Gewehre und Pferde her, ihr Knechtsseelen. Habt ihr’s gesehen, wie ich eure Leute habe binden lassen? Hollah, schleppt doch mal die Saporoger auf den Wall!“

Und die aneinandergebundenen Saporoger wurden auf den Wall geschleppt. Zuerst erschien der Hauptmann der Abteilung, Chlib, ohne Hemd und Hose – ganz so, wie man ihn im Rausche erwischt hatte. Er ließ den Kopf tief sinken, denn er schämte sich, daß er sich vor den Kosaken in seiner Blöße zeigen mußte, und daß er schlaftrunken wie ein Hund in Gefangenschaft geraten war. Sein mächtiger Kopf war in der einen Nacht ergraut.

„Sei nicht traurig, Chlib, wir werden dich schon befreien“, riefen ihm die Kosaken von unten zu.

„Sei nicht traurig, Freund,“ fügte der Hauptmann Borodaty hinzu, „es ist nicht deine Schuld, daß sie dich nackt gefaßt haben, jedem Menschen kann solch ein Unglück passieren. Sie müssen sich schämen, daß sie dich so hergebracht und nicht einmal deine Blöße anständig bedeckt haben.“

„Ihr scheint ja gegen Schlafende besonders tapfer zu sein,“ sagte Golokopytenko und blickte zum Wall empor.

„Wartet’s nur ab, wir werden euch schon eure Mähnen abschneiden,“ riefen ihnen jene zu.

„Das möchte ich doch sehen, wie sie es fertig bringen werden, uns die Mähnen abzuschneiden,“ sagte Popowitsch, dann wandte er sich auf seinem Pferde zu seinen Leuten um, sah sie an und sagte: „Übrigens ist es vielleicht doch wahr, was die Polen sagen; wenn der Dicke ihr Führer ist, brauchen sie sich nicht zu fürchten, das ist eine gute Schutzwehr.“

„Weshalb glaubst du, daß sie dann in Sicherheit sind?“ fragten die Kosaken, welche wußten, daß sich Popowitsch wahrscheinlich schon auf eine Antwort vorbereitet hatte.

„Na, einfach deshalb, weil sich das ganze Heer hinter ihm verstecken wird. Höchstens, daß man hinter seinem dicken Wanst einen mit der Lanze hervorholt!“

Alle Kosaken brachen in ein schallendes Gelächter aus und noch lange schüttelten einzelne von ihnen den Kopf und sagten:

„Ja ja, der Popowitsch! Der versteht’s! Wenn der es auf einen abgesehen hat, dann …“ Allein die Kosaken sagten nicht, was „dann“ kommt. „Schnell fort – schnell fort von den Mauern,“ rief der Hetman, denn die Polen schienen die boshaften Bemerkungen nicht vertragen zu können, und der Oberst hatte schon mit der Hand ein Zeichen gegeben.

Kaum waren die Kosaken einige Schritte zurückgewichen, da hagelten auch schon die Kartätschen von den Wällen herab. Auf dem Wall geriet alles in Bewegung, selbst der graue Wojewode kam zu Pferde herangesprengt. Die Tore öffneten sich, und das Heer zog hindurch. Vorne in wohlgeordneten Reihen ritt ein Trupp Husaren in schön gestickten Röcken, dann kamen, eine Abteilung Lanzenreiter und Schwerbewaffnete in schweren Kupferhelmen und schließlich etwas abseits und in einiger Entfernung die vornehmsten von den Rittern, jeder nach seinem besonderen Geschmack gekleidet. Die stolzen Herren wollten sich nicht unter die andern mischen, und wer von ihnen über kein Kommando verfügte, ritt allein mit seinen Dienern. Dann folgten von neuem lange Reihen von Soldaten, hinter denen ein Fähnrich einherritt. Dann wieder mehrere Reihen Soldaten und hinter ihnen der dicke Oberst; und endlich ganz zu letzt kam der kleine Hauptmann hinter dem Heere dahergesprengt.

 

„Hindert sie, hindert sie, ihre Stellungen einzunehmen“, rief der Hetman, „rückt auf sie los; alle Abteilungen vor! Laßt die andern Tore im Stich. Die Abteilung Tytarew greift von der einen Seite an, die Djadkiwsche Abteilung von der andern. Kukubenko und Palywoda, fallt ihnen in den Rücken! Bringt sie in Verwirrung und sprengt sie auseinander.“

Die Kosaken rückten von allen Seiten heran. Sie drängten die polnischen Reihen zurück, brachten sie in Verwirrung und gerieten selbst in ein wirres Durcheinander. Man ließ sich nicht einmal Zeit, die Gewehre zu laden und abzufeuern, sondern zog sofort das Schwert und gebrauchte die Lanze. Alles drängte sich zu einem Haufen zusammen, und jeder hatte Gelegenheit, seinen Mut und seine Kraft zu zeigen.

David Popowitsch säbelte drei gemeine Soldaten nieder, warf zwei der tapfersten Edelleute von den Pferden und rief: „Sind das schöne Pferde! Solche Pferde hatte ich mir längst gewünscht!“ Er jagte die Rosse weit ins Feld hinaus und rief einigen Kosaken zu, sie sollten sie festhalten. Dann stürzte er sich wieder in den Haufen und warf sich über die am Boden liegenden Edelleute: den einen erschlug er und dem andern warf er eine Schlinge um den Hals, band ihn am Sattel fest und schleifte ihn über das ganze Feld, nachdem er ihm zuvor seinen Säbel mit dem kostbaren Griff abgenommen und seinen Beutel mit Goldstücken vom Gürtel abgerissen hatte.

Kobita, ein wackerer und noch junger Kosak, war ebenfalls mit einem der tapfersten der polnischen Kämpfer handgemein geworden; das war ein langer Kampf; jetzt brauchten sie bereits ihre Fäuste … der Kosak hatte schon beinahe die Oberhand gewonnen, den Feind niedergeworfen und ihm ein langes türkisches Messer in die Brust gestoßen. Aber er hatte dabei nicht acht auf sich gegeben; im selben Augenblick durchbohrte ihm eine heiße Kugel die Schläfe. Einer der edelsten Herren, der schönste Ritter aus einem der ältesten Fürstengeschlechter hatte ihn hingestreckt. Schlank wie eine Pappel saß er auf seinem Schimmel, und hatte schon manch hohes Beispiel von seinem Heldenmut gegeben; zwei Saporoger hatte er geradezu zerspalten, den Fedor Korsch, einen wackeren Kosaken, samt seinem Pferde niedergehauen, den Gaul erschossen, und den Reiter unter dem Rosse mit ein paar Lanzenstichen getötet, vielen andern hatte er den Kopf oder die Arme abgeschlagen und endlich den Kosaken Kobita durch eine wohlgezielte Kugel, die jenem die Schläfe durchbohrte, niedergestreckt.

„Das ist ein Kerl, mit dem ich einmal meine Kräfte messen möchte,“ rief der Hauptmann Kukubenko von der Abteilung Nesamaikow aus. Er gab seinem Pferde die Sporen, sprengte von hinten an ihn heran und schrie so laut, daß alle, die in der Nähe standen, bei diesem unmenschlichen Gebrüll erbebten. Der Pole wollte schnell sein Pferd herumreißen, um ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten; aber das Pferd gehorchte ihm nicht. Erschreckt von dem entsetzlichen Geschrei sprang es zur Seite, und so gelang es Kukubenko, dem Ritter eine Kugel in den Leib zu jagen. Sie drang ihm ins Schulterblatt, und er stürzte vom Pferde. Aber auch jetzt ergab sich der Pole noch nicht, sondern versuchte es noch immer, seinem Gegner einen Schlag zu versetzen, doch sein kraftloser Arm vermochte den Säbel nicht mehr emporzuheben. Unterdessen ergriff Kukubenko mit beiden Händen seinen schweren Pallasch und stieß ihn dem Polen in das erbleichende Antlitz. Der Säbel hieb ihm zwei von den milchweißen Zähnen heraus, spaltete die Zunge, zerschmetterte den Halswirbel und drang noch tief in die Erde hinein. So nagelte er ihn für ewig an die feuchte Erde fest. Das edle rote Ritterblut spritzte hoch empor, so rot wie die Dolden der Eberesche am Flusse, und färbte den gelben goldgestickten Rock des Ritters. Aber Kukubenko kümmerte sich nicht mehr um ihn und stürzte mit seinen Nesamaikow-Kosaken mitten ins Gedränge hinein.

„Ei, wie kann man nur eine so kostbare Rüstung liegen lassen,“ rief der Hauptmann der Uman-Abteilung, Borodaty, der die Seinen verlassen hatte und nach der Stelle geritten war, wo der von Kukubenko erschlagene Edelmann in seinem Blute lag.

„Sieben Edelleute habe ich eigenhändig erschlagen, aber noch bei keinem habe ich eine so kostbare Rüstung gesehen!“ Von der Beute angelockt, bückte sich Borodaty, um dem Toten die kostbare Rüstung abzunehmen; schon bemächtigte er sich des türkischen Dolches mit dem Griff aus farbigen leuchtenden Edelsteinen, löste das Täschchen mit den Dukaten vom Gürtel ab und zog ihm einen Beutel mit feiner Wäsche, kostbarem silbernem Zierat und einer schönen Mädchenlocke, die hier zur Erinnerung aufbewahrt wurde, aus dem Busen. So kam es, daß Borodaty es nicht hörte, wie der Fähnrich mit der roten Nase, den er schon einmal aus dem Sattel geworfen und einen kräftigen Denkzettel versetzt hatte, hinterrücks auf ihn eindrang. Der Fähnrich holte tüchtig aus und gab ihm mit dem Säbel einen furchtbaren Hieb über den niedergebeugten Nacken. Die Beutegier trug dem Kosaken nichts Gutes ein; sein mächtiges Haupt flog ihm von den Schultern, der kopflose Leichnam brach zusammen und tränkte den Boden ringsherum mit seinem Blute. Die rauhe Kosakenseele stieg zürnend und murrend, aber zugleich voller Verwunderung, daß sie schon so früh aus dem starken Körper entweichen mußte, zum Himmel empor. Kaum aber hatte der Fähnrich die Mähne des Hauptmanns gepackt, um sie an seinen Sattel zu binden, da nahte auch ihm schon der schreckliche Rächer.

Wie ein am Himmel schwebender Habicht, der plötzlich, nachdem er mit seinen starken Flügeln manch gewaltigen Kreis beschrieben hat, mit ausgebreiteten Schwingen an einer Stelle hängen bleibt und dann wie ein Pfeil auf die singende Wachtel am Wege herabstößt, so stürzte sich Taraß’ Sohn, Ostap, auf den Fähnrich und warf ihm schnell den Strick um den Hals. Das rote Antlitz des Fähnrichs wurde noch röter, als ihm die grausame Schlinge die Kehle zuschnürte; er griff nach der Pistole, aber die krampfhaft zusammengedrückte Hand vermochte nicht mehr zu zielen, und die Kugel flog nutzlos ins Feld hinaus. Sofort löste Ostap die seidene Schnur vom Sattel des Fähnrichs, die dieser zur Fesselung der Gefangenen mit sich führte, und band ihm mit seiner eigenen Schnur Hände und Füße zusammen; das Ende befestigte er an seinem Sattel und schleifte dann den Polen über das Feld, indem er alle Kosaken der Abteilung Uman laut ermahnte, ihrem Hauptmann die letzte Ehre zu erweisen.

Als die Uman-Kosaken hörten, daß ihr Hauptmann Borodaty gefallen sei, verließen sie das Schlachtfeld und eilten herbei, um seinen Leichnam in Sicherheit zu bringen. Dann gingen sie sofort zu Rate, wen sie zu ihrem Hauptmann wählen sollten. Endlich sagten sie: „Wozu sollen wir lange überlegen? Wir können ja doch keinen bessern Hauptmann bekommen als Ostap Bulba; er ist zwar der jüngste von uns, aber er hat soviel Verstand wie ein älterer Mann.“