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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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„Meine Söhne, meine lieben Söhne! Was wird aus euch werden? Was erwartet euch?“ sagte sie, und die Tränen blieben in den Runzeln hängen, die ihr einstmals so schönes Gesicht gänzlich verändert hatten. Wirklich, sie war zu bedauern, wie jede Frau in dieser kampflustigen Zeit. Nur einen Augenblick hatte sie die Liebe, die ersten hitzigen Triebe der Leidenschaft, die erste stürmische Glut der Jugend kennen gelernt, und schon hatte ihr rauher Geliebter sie verlassen, um sie gegen den Säbel, die Kameraden und Zechgelage einzutauschen. Gewöhnlich sah sie ihren Mann zwei, drei Tage im Jahr; es kam aber auch vor, daß sie jahrelang nichts von ihm hörte. Aber selbst wenn sie ihn dann sah, wenn sie zusammen lebten – was war das für ein Leben! Sie mußte jede Beleidigung über sich ergehen lassen, sie erhielt sogar Schläge, und die Liebkosungen, die ihr zuteil wurden, warf man ihr nur wie aus Gnade hin. Sie war ein seltsames Wesen, mitten in diesem Kreise unbeweibter Reiter, denen das unbändige Saporoger Leben seinen rauhen Charakter mitgeteilt hatte. Ihre an Glück und Genüssen arme Jugend war dahingeschwunden; ihre wunderschönen frischen Wangen und Brüste waren ungeküßt verblüht und hatten sich vorzeitig mit Runzeln bedeckt. Alle Liebe, alle Gefühle, alles was eine Frau an Zartheit und Leidenschaft in sich birgt, hatte sich bei ihr ausschließlich in mütterliches Empfinden verwandelt. Voller Glut und Leidenschaft, und mit Tränen in den Lidern hing sie wachsam wie eine Steppenmöve an ihren Kindern. Ihre Söhne, ihre lieben Söhne sollten ihr genommen werden – und sie würde sie niemals wiedersehen! Wer weiß, vielleicht würden die Tataren ihnen schon in der ersten Schlacht die Köpfe abhauen, und sie würde nie erfahren, wo ihre Leiber hingekommen seien, die unbeachtet am Wege lagen und die vielleicht ein vorbeifliegender Raubvogel zerfleischte. Wie gern hätte sie für jeden Tropfen ihres Blutes ihr ganzes Leben hingegeben! Weinend schaute sie ihnen in die Augen, die der allmächtige Schlaf schon zu schließen begann: „Vielleicht,“ sprach sie leise vor sich hin, „vielleicht wird Bulba, wenn er aufwacht, die Reise doch noch auf zwei Tage verschieben, vielleicht wollte er nur deshalb so früh aufbrechen, weil er zu viel getrunken hat.“

Der Mond beleuchtete schon längst den Hof, der voller Schläfer lag, und blickte auf das Weidengestrüpp und all das hohe Steppengras herab, das den Hof gleichsam umzäunte. Sie aber saß immer noch zu Häupten ihrer geliebten Söhne, blickte nicht einen Augenblick von ihnen weg und dachte nicht an Schlaf. Die Pferde, die bereits die Morgendämmerung witterten, lagen im Grase und fraßen bald nicht mehr; die Wipfel der Weiden zitterten, und ein leises Flüstern glitt wie ein Strom bis zu ihren Wurzeln herab. Sie saß da, bis es hell wurde, verspürte nicht die leiseste Müdigkeit und wünschte insgeheim, daß die Nacht recht lange dauern möchte. Von der Steppe her hörte man das leise Wiehern der Füllen, und am Himmel leuchtete der erste Streifen der Morgenröte auf.

Plötzlich erwachte Bulba und sprang empor. Er erinnerte sich an alle Anordnungen, die er gestern getroffen hatte. „Hallo, ihr Burschen, jetzt ist es vorbei mit dem Schlafen! Es ist Zeit, höchste Zeit. Tränkt die Gäule! Und wo ist die Alte? (So nannte er gewöhnlich seine Frau.) Schnell, schnell Alte, mach das Essen bereit: wir haben einen langen Weg vor uns!“

Die arme Alte ging traurig und ihrer letzten Hoffnung beraubt, ins Haus. Während sie tränenden Auges alles vorbereitete, was zum Frühstück erforderlich war, erteilte Bulba seine Befehle, machte sich im Stall zu schaffen und suchte selbst den kostbarsten Schmuck für seine Söhne aus.

Die Seminaristen schienen plötzlich wie umgewandelt. Statt der alten schmutzigen Stiefel hatten sie nun welche aus rotem Saffianleder mit silbernen Beschlägen; die Beinkleider, die so weit waren, wie das schwarze Meer, schlugen tausend Falten und wurden durch einen goldenen Gurt zusammengehalten, an dem lange schmale Riemen mit Troddeln und anderem Zierat für die Tabakspfeife angebracht waren. Ihre feuerroten Kosakenröcke schnürten bunt gestickte Gürtel ein, in denen schön ziselierte türkische Pistolen staken, und ihre Füße umklirrte ein mächtiger Säbel. Ihre nur wenig gebräunten Gesichter schienen noch schöner und weißer geworden zu sein, und ihre jünglingshaften schwarzen Schnurrbärte ließen die helle Farbe und die gesunde kraftvolle Blüte ihrer Jugend noch stärker hervortreten. Mit ihren in eine goldene Spitze auslaufenden Schaffellmützen sahen sie tatsächlich wunderschön aus. Die arme Mutter! Als sie sie erblickte, vermochte sie kein Wort hervorzubringen, und die Tränen blieben ihr in den Augen stecken.

„Nun Jungens, es ist alles fertig. Jetzt ist keine Zeit mehr zu verlieren!“ sagte Bulba endlich. „Doch wir wollen uns vor der Abreise nach christlichem Brauch erst noch einmal niedersetzen.“

Alle ließen sich nieder, selbst die Knechte, die bisher ehrerbietig an der Tür gestanden hatten.

„So, jetzt segne deine Kinder, Mutter,“ sagte Bulba, „bete zu Gott, daß sie wacker kämpfen, stets die Ritterehre hochhalten und den christlichen Glauben beschützen mögen – sonst sollen sie lieber zugrunde gehen, und ihre Spur mag vom Erdboden getilgt werden! Kinder, geht zu eurer Mutter hin, das mütterliche Gebet schützt einen zu Wasser wie zu Lande!“

Die Mutter umarmte sie, schwach wie jede Mutter, zog zwei kleine Heiligenbildchen hervor und legte sie ihnen schluchzend um den Hals. „Die heilige Jungfrau möge euch beschirmen … Vergesst eure Mutter nicht, Kinder … laßt uns ab und zu eine Nachricht zukommen …“ Mehr vermochte sie nicht zu sagen.

„Nun kommt, Jungens,“ sagte Bulba. Die gesattelten Pferde standen vor der Tür. Bulba schwang sich auf seinen „Teufel“, der sich wütend aufbäumte, wie wenn er eine Last von zwanzig Zentnern auf sich fühlte. – Taraß war nämlich außerordentlich schwer und umfangreich.

Als die Mutter sah, daß ihre Söhne bereits die Pferde bestiegen, schmiegte sie sich an den Jüngeren, dessen Züge mehr Zärtlichkeit für sie verrieten. Sie ergriff seine Zügel, klammerte sich an seinen Sattel und wollte, die Augen voll Verzweiflung auf ihn geheftet, nicht von ihm lassen. Zwei kräftige Kosaken packten sie vorsichtig an und trugen sie in das Haus zurück. Aber als die Kavalkade gerade das Tor passiert hatte, lief sie, was in keinem Verhältnis zu ihrem Alter stand, mit der Behendigkeit einer jungen Ziege vor das Tor, hielt das Pferd mit unbegreiflicher Kraft an und umarmte ihren Sohn mit einer geradezu rasenden und sinnlosen Leidenschaft. Man mußte sie zum zweiten Male fortschleppen.

Trübsinnig ritten die jungen Kosaken davon, indem sie sich aus Furcht vor dem Vater krampfhaft bemühten, die Tränen zurückzuhalten, der selbst etwas bewegt war, obgleich er sich’s nicht merken ließ. Es war ein trüber Tag, das Grün schimmerte grell, und die Vögel zwitscherten wild durcheinander. Nachdem unsere Freunde ein Weilchen geritten waren, schauten sie sich um: das Gehöft schien wie in den Boden gesunken zu sein, nur die beiden Schornsteine ihres bescheidenen Häuschens und die Wipfel der Bäume waren noch zu erblicken, in deren Ästen sie früher wie Eichhörnchen herumgeklettert waren. Nun lag die weite Wiese vor ihnen, die die Erinnerungen an ihr ganzes Leben wachrief: seit den Jahren da sie sich auf dem betauten Gras herumgetummelt hatten, bis zu der Zeit, wo sie den schwarzäugigen Kosakenmädchen auflauerten, die mit ihren flinken jungen Füßchen ängstlich über die Wiese liefen. Jetzt sah man nur noch die Stange über dem Brunnen, die mit ihrem oben befestigten Wagenrad einsam in den Himmel ragte, und die Ebene, die sie durchritten hatten, schien ihnen fast wie ein Berg, der alles verdeckte. – Lebt wohl, ihr kindlichen Spiele, lebt alle, alle wohl!

Zweites Kapitel

Die drei Reiter ritten schweigend vor sich hin. Der alte Taraß dachte an die Vergangenheit, seine Jugend zog an ihm vorüber: die dahingeschwundenen Jahre, die der Kosake beweint, der sein ganzes Leben lang jung zu bleiben wünscht. Er dachte daran, wem von seinen einstigen Kameraden er wohl in der Sjetsch begegnen würde. Er rechnete aus, welche von ihnen bereits gestorben wären, und wer wohl noch am Leben sein mochte. In seinem Auge glänzte eine stumme Träne, und sein ergrauter Kopf hing traurig herab …

Seine Söhne waren mit ganz andern Gedanken beschäftigt. Doch es ist Zeit, etwas Näheres über sie mitzuteilen. Mit zwölf Jahren waren sie auf das Seminar von Kiew geschickt worden, denn alle höheren Würdenträger jener Zeit hielten es für nötig, ihren Söhnen eine gelehrte Erziehung zuteil werden zu lassen, obschon dies zu keinem andern Zweck geschah, als damit sie nachher alles Gelernte wieder vollständig vergessen. Bei ihrem Eintritt ins Seminar waren sie, wie alle Jünglinge ihrer Art, noch sehr wild und richtige Naturburschen; dort aber wurden sie gewöhnlich etwas abgeschliffen und nahmen bald durch die gleichmäßige Erziehung Gewohnheiten an, die da machten, daß sie sich alle ein wenig ähnlich sahen. Ostap, der ältere, begann seine Laufbahn damit, daß er noch im ersten Jahre die Flucht ergriff. Man brachte ihn zurück, prügelte ihn fürchterlich durch und setzte ihn hinter die Bücher. Viermal vergrub er sein Lesebuch in die Erde, und viermal wurde ihm ein neues angeschafft, nachdem er das alte unmenschlich zerrissen hatte. Er hätte es zweifellos noch zum fünftenmal versucht, wenn ihm sein Vater nicht feierlich geschworen hätte, ihn volle zwanzig Jahre als Knecht ins Kloster zu schicken und ihm nicht angedroht hätte, er solle die Sjetsch niemals zu Gesicht bekommen, wenn er sich auf der Akademie nicht alle Wissenschaften aneignen werde. Es ist interessant, daß derselbe Taraß Bulba dies sagte, der über alle Gelehrsamkeit spottete und, wie wir gesehen haben, seinen Kindern empfahl, sich nicht mit solchen Dingen zu beschäftigen! Seit dieser Zeit begann Ostap mit außerordentlichem Fleiß über dem langweiligen Buche zu brüten und wurde bald einer der besten Schüler. Das damalige Unterrichtssystem nahm nicht die geringste Rücksicht auf das wirkliche Leben; denn diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Finessen paßten gar nicht zu dem Zeitalter, wurden nie angewendet und wurden im Leben nie wieder gebraucht. Die, die sie beherrschten, konnten ihr Wissen, auch wenn es weniger scholastisch war, nirgends anbringen. Die damaligen Gelehrten waren bei ihrer Weltfremdheit, und weil es ihnen an der nötigen Erfahrung fehlte, fast noch unwissender, als die andern Menschen. Außerdem mußte ihnen auch die republikanische Verfassung der Seminare – diese ungeheuere Anzahl gesunder, kräftiger, junger Leute, Lust zu einer Tätigkeit einflößen, die gar nichts mit den Studien, die sie trieben, zu tun hatte. Oft genug erzeugten auch die schlechte Kost, die häufigen Hungerstrafen und die Bedürfnisse, die in einem frischen, gesunden, jungen Manne erwachen, jenen Unternehmungsgeist in ihnen, dem sie nachher in der Saporoger Sjetsch ungehemmten Lauf lassen konnten. Die hungrigen Seminaristen streiften durch die Straßen Kiews und zwangen alle zur peinlichsten Vorsicht. Die Hökerfrauen, die auf dem Markte saßen, bedeckten ihre Pasteten, Brezeln und Kürbissamen stets mit den Händen wie das Adlerweibchen seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen vorbeikommen sahen. Der Konsul, dessen Pflicht es war, die ihm untergebenen Kameraden im Zaum zu halten, hatte so riesige Taschen in seinen weiten Beinkleidern, daß er den ganzen Kramladen der etwas eingeschlafenen Handelsfrau darin hätte unterbringen können. Diese Seminaristen bildeten eine abgeschlossene Welt für sich. Zu den höheren Kreisen, die sich aus dem russischen und polnischen Adel zusammensetzten, hatten sie keinen Zutritt. Selbst der Wojewode Adam Kissel führte sie trotz des Protektorates über das Seminar, das er übernommen hatte, nicht in die gute Gesellschaft ein, und erließ den Befehl, sie recht streng zu halten. Übrigens war diese Anordnung ganz überflüssig, denn der Rektor und die geistlichen Professoren sparten weder Ruten noch Peitsche, und oft genug züchtigten die Liktoren ihre Konsuln auf ihren Befehl so fürchterlich, daß jene sich noch wochenlang die Beinkleider kratzten. Vielen machte das kaum etwas aus, und brannte es nur ein wenig stärker, als ein gut gepfefferter Schnaps; andere jedoch bekamen die ständigen Züchtigungen gründlich satt und brannten nach dem Saporog durch, wenn sie den Weg dorthin zu finden wußten und nicht wieder eingefangen wurden. Ostap Bulba blieb, obschon er die Logik und die Gottesgelahrtheit mit großem Eifer zu erlernen begonnen hatte, keineswegs von den ewigen Prügelstrafen verschont. Es ist nur zu natürlich, daß diese Behandlung schließlich den Charakter verhärten und ihm jene gewisse Festigkeit geben mußte, die den Kosaken stets eigen war. Ostap galt immer für einen der besten Kameraden. Er verführte selten andere zu frechen Unternehmungen – wie etwa zu Raubzügen in fremde Obst- und Gemüsegärten; dafür aber war er einer der ersten, die sich unter die Fahne eines kühnen, unternehmungslustigen Seminaristen stellten, und nie, und unter keinen Umständen hätte er einen Kameraden verraten: weder Peitschenhiebe noch Rutenstreiche konnten ihn dazu veranlassen. Er war gleichgültig und voller Verachtung gegen alle Leidenschaften, die nicht auf den Krieg oder ein Freß- und Saufgelage abzielten. Wenigstens dachte er fast an nichts anderes. Gleichgestellten gegenüber besaß er eine große Offenheit. Er besaß eine gewisse Güte, soweit dies in dieser Zeit und bei einem solchen Charakter möglich war. Die Tränen der armen Mutter hatten sein Herz außerordentlich bewegt, und es war allein dies Gefühl, das ihn jetzt verwirrte und ihn zwang, nachdenklich den Kopf zu senken.

 

Sein jüngerer Bruder Andrij hatte lebhaftere und bestimmtere Empfindungen. Das Lernen machte ihm mehr Vergnügen, und er bedurfte dazu keiner besonderen Anstrengung, die ein schwerfälliger und harter Charakter stets dabei anwenden muß. Er war erfinderischer als sein Bruder, war öfter Anführer bei gefährlichen Unternehmungen und verstand es, dank seiner Schlauheit und Intelligenz manches Mal der Strafe zu entgehen; während sein Bruder Ostap gleichmütig und ganz von selbst seinen Rock ablegte und sich auf den Boden streckte, ohne auch nur daran zu denken, daß er um Gnade bitten könnte. Andrijs Seele dürstete gleichfalls nach Heldentaten, aber sie war auch andern Empfindungen zugänglich. Als er das achtzehnte Jahr überschritten hatte, bemächtigte sich seiner ein heftiges Bedürfnis nach Liebe. Immer häufiger tauchte das Weib vor seinen erregten Sinnen auf; während er philosophischen Disputen beiwohnte, umschwebte es ihn: jung, schwarzäugig und zart. Unablässig glaubte er ein Paar glänzende kräftige Brüste oder einen wundervollen zarten nackten Arm vor sich zu sehen; das Kleid, das die jungfräulichen und zugleich starken Glieder einhüllte, hauchte in seiner Phantasie eine unaussprechliche Wollust aus. Er verbarg diese leidenschaftlichen Wallungen seiner Seele sorgfältig vor den Kameraden; denn in jener Zeit galt es für schmachvoll und ehrlos, wenn ein Kosak an Weiber und Liebe dachte, ehe er an einer Schlacht teilgenommen hatte. Überhaupt war er in den letzten Jahren, die er im Seminar verbrachte, immer seltener Anführer einer Rotte, und irrte meist in irgend einem einsamen Winkel Kiews, zwischen Kirschgärten und kleinen Häusern umher, die verführerisch auf die Straße hinausblickten. Hin und wieder geriet er auch in das aristokratische Stadtviertel, in das jetzige „Alte Kiew“, wo die kleinrussischen und polnischen Adligen wohnten und die Häuser einen etwas bizarren Baustil hatten. Als er dort eines Tages tief in Gedanken versunken umherschlenderte, hätte ihn beinahe die Kutsche eines polnischen Pans überfahren, und der auf dem Bock sitzende Kutscher mit einem fürchterlichen Mundwerk versetzte ihm unter greulichen Flüchen einige ziemlich kräftige Peitschenhiebe. Der junge Seminarist geriet in Wut: voll unsinniger Kühnheit packten seine kräftigen Fäuste das hintere Rad, und brachten den Wagen zum Stehen. Aber der Kutscher, der eine Abrechnung befürchtete, versetzte den Pferden einen heftigen Schlag, sie zogen stark an – sodaß Andrij, der glücklicherweise seine Hand zurückgezogen hatte, umgeworfen wurde, und mit dem Gesicht mitten in den Schmutz fiel. Da vernahm er plötzlich ein helles wohlklingendes Lachen über sich. Er sah empor und erblickte am Fenster ein Mädchen von wunderbarer Schönheit, wie er noch nie ein ähnliches gesehen hatte; ihre Augen waren schwarz, und ihr Antlitz schimmerte so weiß wie Schnee, den die Morgensonne bescheint. Sie lachte aus voller Kehle, und ihr Lachen verlieh ihrer blendenden Schönheit einen geradezu überwältigenden Reiz. Er stand ganz verdutzt da. Traumverloren starrte er sie an und wischte sich zerstreut den Schmutz von seinem Gesicht, jedoch so ungeschickt, daß er sich nur noch mehr entstellte. Wer war dieses schöne Mädchen? Er suchte es von den Bedienten zu erfahren, die reichgeschmückt vor dem Tore standen und einen jungen Bandura1spieler umringten. Die Knechte und Mägde brachen jedoch in ein stürmisches Gelächter aus, als sie sein schmutziges Gesicht erblickten, und würdigten ihn keiner Antwort. Endlich hörte er, daß die Unbekannte die Tochter des für einige Zeit hier weilenden Wojewoden von Kowno sei. In der nächsten Nacht kletterte er mit einer nur den Seminaristen eigenen Frechheit über den Zaun, gelangte so in den Garten und erklomm geschwind einen Baum, dessen Zweige das Dach des Hauses berührten. Von dort schwang er sich auf das Dach und gelangte so durch den Schornstein direkt in das Schlafzimmer der Schönen, die gerade vor einer Kerze saß und ihre kostbaren Ohrringe ablegte. Als die schöne Polin plötzlich einen unbekannten Mann vor sich erblickte, erschrak sie derartig, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochte, als sie jedoch bemerkte, daß der Seminarist mit gesenkten Augen vor ihr stand und vor Schüchternheit kaum zu atmen wagte, und als sie denselben Jüngling in ihm erkannte, der vor ihren Augen in den Straßenkot gefallen war, brach sie in ein erneutes übermütiges Lachen aus. Allerdings kam noch dazu, daß Andrij garnicht schrecklich aussah, sondern ein sehr hübscher Junge war. Sie lachte von ganzem Herzen und trieb allerlei Kurzweil mit ihm. Wie alle Polinnen war auch sie sehr launenhaft; aber ihre Augen, ihre wundervollen, durchdringend klaren Augen hatten jenen langen Blick, der Beständigkeit verrät. Der Seminarist rührte keinen Finger, er stand wie gefesselt da, als endlich die Tochter des Wojewoden kühn auf ihn zutrat, ihm ihr strahlendes Diadem auf den Kopf setzte, ihm die Lippen mit ihren Ohrringen behängte und ihn in ein durchsichtiges, golddurchwirktes, mit Festons verziertes Hemdchen aus Nesseltuch hüllte. Sie putzte ihn heraus und trieb tausend Dummheiten mit ihm – keck und kindlich, wie es die Art der leichtsinnigen Polinnen ist, was unsern armen Seminaristen in noch größere Verlegenheit brachte. Er machte eine recht komische Figur, wie er mit offenem Mund dastand und regungslos in ihre leuchtenden Augen starrte. Plötzlich vernahm man ein Geräusch an der Tür; sie erschrak aufs heftigste und befahl ihm, sich unter dem Bett zu verstecken. Als die Gefahr vorüber schien, rief sie ihre Kammerzofe, eine gefangene Tatarin, und befahl ihr, ihn vorsichtig in den Garten hinaus zu führen, damit er von dort aus über den Zaun auf die Straße gelangen könne. Aber diesmal kam der Seminarist nicht so glücklich hinüber: der Wächter erwachte, packte ihn kräftig an den Beinen, und die herbeieilenden Knechte walkten ihn auf der Straße so lange durch, bis ihn seine flinken Beine retteten. Seit dieser Zeit war es für ihn gefährlich, an dem Hause seiner Angebeteten vorüberzugehen, denn der Wojewode verfügte über eine sehr zahlreiche Dienerschaft. Dagegen sah er sie einmal in der katholischen Kirche: sie bemerkte ihn und lächelte ihm aufs liebenswürdigste zu, wie einem guten, alten Bekannten. Hierauf begegnete er ihr noch einmal ganz flüchtig; bald darauf reiste der Wojewode von Kowno ab, und statt der schönen, schwarzäugigen Polin starrte ein feistes, gleichgültiges Gesicht aus den Fenstern heraus.

Das war es, woran Andrij dachte, als er mit gesenktem Kopf, und die Augen starr auf die Mähne seines Pferdes gerichtet, dahinritt.

Unterdessen hatte sie die Steppe in ihre grünen Arme aufgenommen, und das hohe Gras verbarg sie von allen Seiten, daß nur noch die schwarzen Kosakenmützen zwischen den Ähren hervorschimmerten.

„He, Jungens, weshalb seid ihr denn plötzlich so still geworden,“ sagte Bulba, endlich aus seinen Träumen erwachend, „ihr seid mir rechte Mönche! Ah, jagt doch alle trüben Gedanken zum Teufel! Steckt euch eine Pfeife in den Mund, wir wollen eins rauchen, den Gäulen die Sporen geben und dahinsausen, daß uns kein Vogel einholen soll!“

Und die Kosaken beugten sich über die Pferde und verschwanden im Grase. Bald konnte man auch die schwarzen Mützen nicht mehr sehen. Nur die lange Flucht des niedergetretenen Grases zeugte von ihrem schnellen Ritte.

Die Sonne strahlte längst am klaren Himmel und ergoß ihr belebendes, wärmespendendes Licht über die ganze Steppe. Alle Schläfrigkeit und Traurigkeit verschwand augenblicklich aus der Seele der Kosaken, und ihre Herzen schwangen sich empor gleich flinken Vögeln.

Je tiefer sie in die Steppe hineinkamen, um so schöner wurde sie. Damals war der ganze Süden, jene große Strecke, die jetzt Neurußland bildet und sich bis zum schwarzen Meer erstreckt, noch eine grüne, jungfräuliche Wüste. Der Pflug hatte diese unermeßlichen Wogen wilden Grases noch nie berührt, und nur die Pferde, die wie in einem Walde in ihm untertauchten, stampften es zuweilen nieder. Es gab kaum etwas Schöneres in der Natur: die ganze Erdoberfläche glich einem grüngoldenen Ozean, übersät von Millionen der mannigfaltigsten Blumen. Zwischen den schlanken, hohen Grashalmen schimmerten hellblaue, blaue und lila Blüten hervor; gelber Ginster ragte mit seiner pyramidenförmigen Spitze empor; weißer Klee glänzte mit seinen schirmartigen Köpfchen auf der Oberfläche; die weiß Gott wie hierher verpflanzten Weizenähren schossen gleich einem Dickicht in die Höhe, und ab und zu flogen ein paar Schnarchhühner mit vorgestreckten Hälsen hindurch. Die Luft war von tausend verschiedenen Vogelstimmen erfüllt. Mit weit ausgebreiteten Flügeln schwebten die Habichte unbeweglich am Himmel, ihre Augen unverwandt auf das Gras gerichtet. Von einem fernen See tönten die Schreie einer weit abseits vorüberziehenden Wolke wilder Gänse herüber. Mit gemessenem Flügelschlage erhob sich eine Möve aus dem Grase und badete sich voller Lust in den blauen Luftwellen. Da war sie schon in der Höhe verschwunden und erglänzte nur noch ganz fern wie ein schwarzer Punkt, aber plötzlich wendete sie ihren Flug und leuchtete hell auf in den blendenden Sonnenstrahlen – hol’ euch der Teufel, ihr Steppen, wie herrlich seid ihr doch …!

 

Unsere Reisenden machten nur auf wenige Minuten Rast, um Mahlzeit zu halten. Ihr Gefolge, das aus zehn Kosaken bestand, sprang von den Pferden und band die hölzernen Branntweinflaschen und die Kürbisse, die als Trinkgefäße dienten, ab. Man aß nur etwas Brot, Speck oder Zwieback und ähnliches, trank nicht mehr als ein einziges Glas, und auch dies nur der Stärkung wegen, denn Taraß Bulba erlaubte es nie, sich unterwegs vollzutrinken, und darauf wurde der Weg bis zum Abend fortgesetzt.

In der Dämmerung veränderte die Steppe vollkommen ihr Gesicht. Ihre ganze bunte, von den letzten hellen Sonnenstrahlen beschienene Oberfläche wurde allmählich immer dunkler, sodaß der Schatten der Kosaken in scharfen Konturen über sie hinglitt, und nahm bald einen dunkelgrünen Schimmer an. Der Erde entströmten immer stärkere Düfte: jedes Blümchen, jeder Grashalm atmete Ambra aus, und die ganze Steppe schien ein Meer von Wohlgerüchen geworden zu sein. An dem dunkelblauen Himmel schien ein riesenhafter Pinsel rötlichgoldene Streifen gezogen zu haben; hin und wieder sah man ein paar durchsichtige Wölkchen aufleuchten, und ein frischer, wohltuender Wind strich lockend, wie grüne Meereswellen, kaum merklich über die Spitzen der Gräser hin, so lind, daß er kaum die Wangen berührte. Die ganze Musik, die den Tag erfüllte, war verklungen und durch eine andere ersetzt. Bunte Ziesel kamen aus ihren Schlupflöchern, setzten sich auf ihre Hinterpfötchen und pfiffen durchdringend über die Steppe hin; immer deutlicher wurde das Zirpen der Grillen. Zuweilen tönte von irgend einem einsamen See her der silberhelle Schrei eines Schwanes durch die Luft. Die Reisenden machten mitten auf dem Felde halt, suchten sich ein Nachtlager und zündeten ein Feuer an, auf welches sie einen Kessel stellten, um sich ihr Kulisch zu kochen. Bald dampfte der Kessel und der Rauch stieg schräg in die Luft. Nachdem die Kosaken ihr Abendbrot eingenommen und die aneinandergekoppelten Pferde freigelassen hatten, damit diese ruhig grasen konnten, begaben sie sich zur Ruhe und lagerten sich auf ihren Kitteln. Die nächtlichen Gestirne blickten hell und klar auf sie hinab. Das Knistern, Pfeifen und Summen der ganzen unendlichen Insektenwelt, die im Grase schwirrte, klang an ihr Ohr. All diese Töne hallten wie Musik durch die Nacht, läuterten sich in der frischen Luft und wiegten den müden Sinn langsam in Schlaf. Wenn einer der Reisenden erwachte und sich erhob, lag die Steppe, besät mit den blitzenden Funken schwirrender Leuchtkäfer, vor ihm. Bisweilen wurde der Nachthimmel an verschiedenen Stellen vom fernen Flammenschein des trockenen Schilfrohres beleuchtet, das auf den Wiesen und Flüssen verbrannt wurde. Eine dunkle Schaar von Schwänen, die nach Norden flog, erschien plötzlich in rosig-silbernes Licht getaucht am Himmel, was so aussah, wie wenn rote Tücher am dunkelen Horizont flatterten.

Die Reisenden ritten vorwärts, ohne irgend ein Abenteuer zu erleben. Nirgends gewahrten sie Bäume; überall umgab sie die gleiche endlose, freie, herrliche Steppe. Hin und wieder nur sah man in der Ferne an den Ufern des Dniepr die Wipfel eines Waldes blau aufleuchten, und nur einmal machte Taraß seine Söhne auf einen kleinen schwarzen Punkt fern im Grase aufmerksam und sagte: „Seht mal Jungens, da trabt ein Tatar.“ Ein kleiner, mit einem Schnurrbart geschmückter Kopf richtete seine schmalen Augen auf sie, schnüffelte vorsichtig wie ein Jagdhund in der Luft herum und verschwand wie ein Reh, als er bemerkte, daß die Kosaken dreizehn Mann hoch waren. „Hallo, Jungens, versucht mal den Tataren einzuholen! Ah – laßt es lieber sein, ihr werdet ihn ja doch nicht fangen. Sein Gaul ist schneller als mein ‚Teufel‘.“ Bulba traf jedoch entsprechende Vorsichtsmaßregeln, da er einen Hinterhalt befürchtete. Er ritt mit seinem Zuge bis zu einem kleinen Fluß, der Tatarka hieß und in den Dnjepr mündet; dort sprangen sie ins Wasser, ließen sich mitsamt ihren Pferden eine Zeitlang von der Strömung treiben, um ihre Spur zu verwischen, und setzten erst hiernach an dem andern Ufer ihren Ritt fort.

Drei Tage nach diesem Abenteuer befanden sie sich endlich in der Nähe des Ortes, der das Ziel ihrer Reise war. Die Luft wurde plötzlich merklich kühler, ein Zeichen, daß der Dnjepr nicht mehr fern war. Da glänzte er auch schon in der Ferne, und hob sich als ein dunkler Streifen vom Horizont ab. Seine kalten Wellen rollten dahin, kamen immer näher und näher heran, und schienen endlich die Hälfte der ganzen Erdoberfläche zu umfassen. Das war jene Stelle, wo der Dnjepr, bis dahin von Stromschnellen eingeengt, seinen Lauf ungehindert entfalten und dem Meere gleich, fessellos, dahinrauschen kann, wo die in ihm verstreuten Inseln seine Ufer noch weiter zurückdrängen, und seine Wellen, weder von Felsen noch Dämmen gebrochen, sich breit über das Land ergießen.

Die Kosaken saßen ab, bestiegen die Fähre und gelangten nach einer dreistündigen Überfahrt an die Insel Chortiza, wo sich damals die so oft ihren Aufenthalt wechselnde Sjetsch befand.

Ein Haufen Volks stritt sich gerade am Ufer mit den Fährleuten herum. Die Kosaken zäumten ihre Pferde auf. Taraß reckte sich gewichtig empor, zog seinen Gurt fester zusammen und strich sich stolz mit der Hand über den Schnurrbart. Seine jungen Söhne musterten sich ebenfalls von Kopf bis zu Fuß, nicht ohne eine gewisse Angst und ein unklares Wohlgefallen, und alle ritten in die Vorstadt hinein, die eine halbe Werst von der Sjetsch entfernt lag. Bei ihrer Ankunft wurden sie durch den Lärm von fünfzig Schmiedehämmern betäubt, die in fünfundzwanzig unterirdischen und mit Rasen bedeckten Schmieden niederfielen. Auf der Straße saßen riesige Gerber und walkten unter dem Schutzdach die Ochsenhäute mit ihren muskulösen Händen. Zahlreiche Krämer saßen unter ihren Zelten vor ganzen Haufen von Feuersteinen und Pulver; ein Armenier bot teure Tücher zum Verkauf aus, ein Tatar drehte ein in Teig gehülltes Lamm am Bratspieß, ein Jude zog mit vorgestrecktem Kopf Branntwein aus einem Faß ab. Der erste Mensch, der ihnen begegnete, war ein Saporoger, der mit weit ausgestreckten Händen und Füßen mitten auf dem Wege schlief. Taraß Bulba konnte nicht umhin, haltzumachen und ihn mit großem Vergnügen zu betrachten. „Du hast es dir aber ordentlich bequem gemacht! Verdammt noch einmal, bist du ein prächtiger Bursche!“ rief er aus und hielt an. Das Bild, das sich ihnen darbot, war in der Tat sonderbar genug: der Saporoger lag breit wie ein Löwe mitten auf dem Wege, sein stolz zurückgeworfener Haarschopf bedeckte mindestens drei Fuß vom Boden, und die Beinkleider aus teurem roten Tuch waren mit Teer beschmutzt, um die vollkommene Verachtung ihres Besitzers gegen solche Dinge recht deutlich zu zeigen. Nachdem Bulba sich an diesem Bilde sattgeschaut hatte, ritt er weiter durch die engen Straßen, die voll von Handwerkern, welche ihren Beruf gleich hier an Ort und Stelle ausübten, und von Leuten aller möglichen Nationalität war, die den Vorort bevölkerten. Es sah hier fast so aus wie auf einem Jahrmarkt, der die ganze Sjetsch kleidete und nährte, da diese sich ja nur aufs Herumlungern und Schießen verstand.

1Eine Art Mandoline.