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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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Fünf Jahre waren seit dem Tode Pulcheria Iwanownas vergangen, als ich wieder in diese Gegend kam. Ich fuhr nach dem Gut Afanassji Iwanowitschs, um meinen alten Nachbar zu besuchen, bei dem ich so manchen frohen Tag verbracht und mir so oft an den schmackhaften Erzeugnissen der liebenswürdigen Hausfrau den Magen verdorben hatte. Als ich in den Hof einfuhr, erschien mir das Haus um zehn Jahre älter: die Bauernhütten hatten sich zur Seite geneigt und ihre Bewohner wahrscheinlich auch; Zaun und Flechtwerk im Hofe waren ganz zerstört, und ich sah selbst, wie die Köchin einen Pfahl herauszog, um den Ofen anzuheizen, obwohl sie nur zwei Schritte hätte machen brauchen, um das dort aufgeschichtete Reisig zu erreichen. Melancholisch fuhr ich bei der Treppe vor; dieselben schwarzen und braunen Hunde, die aber jetzt schon blind waren oder verkrüppelte Beine hatten, schlugen an und wedelten mit ihren zottigen Schwänzen, die voller Kletten waren. Der Alte kam mir entgegen. Ja das war er! Ich erkannte ihn sofort, aber er war doppelt so tief zusammengesunken wie früher. Er erkannte und begrüßte mich mit dem wohlbekannten Lächeln. Ich trat nach ihm ins Zimmer. Es schien, als sei hier noch alles unverändert, aber ich entdeckte überall eine schreckliche Unordnung, – überall machte sich ein empfindlicher Mangel von etwas bemerkbar – mit einem Wort, ich empfand jenes Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir zum erstenmal die Wohnung eines Witwers betreten, den wir nie anders, als an der Seite seiner Lebensgefährtin gesehen haben, von der er sich nie trennte: Ein Gefühl, jenem gleich, das wir empfinden, wenn wir einen Menschen ohne Beine sehen, den wir nie anders als völlig gesund kannten. An allem merkte ich die Abwesenheit der sorgsamen Pulcheria Iwanowna; bei Tisch legte man ein Messer ohne Griff auf; die Speisen waren nicht mehr mit der gleichen Kunstfertigkeit zubereitet. Und nach der Wirtschaft wagte ich gar nicht erst zu fragen; ich fürchtete mich sogar, einen Blick in die Wirtschaftsräume zu werfen.

Als wir uns zu Tisch setzten, band das Mädchen Afanassji Iwanowitsch die Serviette vor; und es war gut, daß sie es tat, sonst hätte er seinen Schlafrock ganz mit Sauce begossen. Ich versuchte es, ihn ein wenig zu zerstreuen und erzählte ihm allerlei Neuigkeiten. Er hörte mir mit dem gleichen Lächeln zu, aber mitunter war sein Blick völlig abwesend; kein Gedanke leuchtete aus ihm hervor, und er war ganz leer. Häufig erhob er den Löffel mit dem Brei, aber statt ihn zum Munde zu führen, führte er ihn zur Nase; statt mit seiner Gabel ein Stück Hühnchen aufzuspießen, stieß er mit ihr gegen die Karaffe, und dann nahm das Mädchen seine Hand und führte sie zum Huhn. Manchmal mußten wir einige Minuten lang warten, bis das nächste Gericht aufgetragen wurde. Afanassji Iwanowitsch bemerkte es auch und sagte: „Warum bringt man uns denn so lange nichts zu essen?“ Aber ich sah durch den Spalt, daß der Junge, welcher uns bediente, garnicht darauf achtete, sondern den Kopf auf die Bank gelehnt, dalag und schlief.

„Diese Speise,“ sagte Afanassji Iwanowitsch, als man uns eine sogenannte Nonne mit saurer Sahne vorsetzte, „diese Speise,“ fuhr er fort, und ich spürte wie seine Stimme zu zittern begann und Tränen seine bleischweren Augen erfüllten, – aber er nahm alle Kraft zusammen, versuchte sich zu beherrschen – „diese Speise, welche die Ver – Ver – Verstorb …“ und plötzlich schluchzte er laut auf, die Hand sank auf den Teller, der Teller fiel zu Boden und zerbrach, und die Sauce ergoß sich über ihn. Er saß wie leblos da, steif hielt er den Löffel in der Hand, und Tränenbäche flossen, wie ein nie versiegender Quell in Strömen auf die vorgebundene Serviette.

Ich sah ihn an und dachte: „Mein Gott, fünf Jahre der alles verschlingenden Zeit – und nun ist er ein Greis, ein stumpfsinniger Greis, er, dessen Leben scheinbar nie durch eine starke Gemütsbewegung erschüttert worden war, dessen ganzes Leben darin bestand, auf einem hohen Stuhl zu sitzen, und getrocknete Fische oder Beeren zu verzehren, – oder harmlose Geschichten anzuhören: und nun dieser heiße, nie endende Gram! Was ist denn das Stärkere in uns: die Leidenschaft oder die Gewohnheit? Sind unsere heftigen Ausbrüche, ist der Sturm unserer Wünsche nur eine Folge der glühenden Jugend, und scheinen sie uns nur deshalb so schrecklich und verwirrend, weil wir jung sind?“ Wie dem auch sein mag, in jenem Augenblick schienen mir all unsere Leidenschaften so kindisch im Vergleich zu dieser allmählichen, fast unbewußten Gewöhnung. Wiederholt versuchte er den Namen der Verstorbenen auszusprechen: aber schon bei der ersten Hälfte des Wortes verzerrte sich sein sonst so ruhiges, indifferentes Gesicht, und sein kindliches Weinen drückte mir das Herz ab. Nein, das waren andere Tränen als die, die alte Leute so leicht bei der Hand haben, wenn sie uns von ihrer trüben Lage und ihrem Unglück vorjammern; das waren auch nicht jene Tränen, die sie so leicht bei einem Glas Punsch vergießen: nein das waren Tränen, die ungewünscht und ungerufen hervorströmten, gehäuft durch das schneidende Weh eines schon erkalteten Herzens.

Er lebte nicht mehr lange. Vor kurzem hörte ich, daß er gestorben sei. Und ist es nicht seltsam, daß die Art seines Todes eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Pulcheria Iwanownas hatte. Eines Tages sollte Afanassji Iwanowitsch ein wenig im Garten spazieren gehen. Als er langsam und gedankenlos in seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit des Weges einherschritt, da ereignete sich ein merkwürdiger Zufall. Er vernahm plötzlich, wie jemand hinter ihm mit klarer Stimme seinen Namen rief: „Afanassji Iwanowitsch!“ Er drehte sich um, aber es war niemand da. Er spähte nach allen Seiten, blickte hinter die Büsche, – aber er konnte niemand entdecken. Der Tag war still, und die Sonne strahlte am Himmel. Einen Augenblick versank er in Nachdenken, dann belebten sich seine Züge, und endlich sagte er. „Das ist Pulcheria Iwanowna – sie ruft mich!“

Sicherlich hat schon so mancher Leser einmal eine Stimme gehört, die ihn beim Namen ruft; der Volksmund erklärt das so, daß eine Seele sich vor Sehnsucht nach einem Menschen verzehrt und ihn ruft: die Folge aber sei unbedingt der Tod. Ich muß gestehn, mir war solch ein geheimnisvolles Rufen immer unheimlich. Ich erinnere mich, es in meiner Kindheit recht oft gehört zu haben: manchmal sprach plötzlich hinter mir jemand meinen Namen aus. Gewöhnlich war es ein besonders klarer und sonniger Tag, im Garten regte sich kein Blatt an den Bäumen; überall herrschte eine beklemmende Stille, selbst die Grille verstummte um diese Tageszeit, und keine Menschenseele war im Garten. Und doch muß ich sagen: hätte mich die fürchterlichste, stürmischste Nacht mit der ganzen Hölle der entfesselten Natur im einsamen Urwalde überfallen: ich wäre nicht so erschrocken gewesen, wie bei dieser schauervollen Stille mitten an diesem wolkenlosen Tag! Gewöhnlich lief ich dann, halb wahnsinnig vor Schreck, atemlos aus dem Garten und beruhigte mich erst, wenn irgend ein Mensch mir entgegenkam, dessen Anblick die furchtbare Öde aus meinem Herzen verjagte. – Er gab sich ganz der Überzeugung hin, daß Pulcheria Iwanowna ihn gerufen habe. Er unterwarf sich wie ein Kind, magerte ab, hüstelte und schmolz dahin, wie eine Kerze und verlöschte endlich wie diese, wenn nichts mehr vorhanden ist, was ihre Flamme speist.

„Legt mich neben Pulcheria Iwanowna“ – das war alles, was er vor seinem Tode zu sagen vermochte.

Man erfüllte seinen Willen und beerdigte ihn neben der Kirche, ganz in der Nähe von Pulcheria Iwanownas Grab. Diesmal waren weniger Gäste zur Beerdigung erschienen, dafür aber zahlreiche arme Leute und Bettler. Das Herrenhaus wurde jetzt ganz leer. Der unternehmende Verwalter und der Dorfälteste trugen all die altertümlichen Gegenstände und alles Hausgerät, was die Wirtschafterin übrig gelassen hatte, mit sich fort.

Bald erschien, Gott weiß woher, irgend ein entfernter Verwandter, der Erbe des Gutes; er war ein großer Reformer, und hatte, ich weiß nicht mehr, in welchem Regiment als Leutnant gedient. Er bemerkte sofort die große Unordnung und Verwahrlosung in der Wirtschaft und beschloß dies alles mit Stumpf und Stil auszurotten, zu reformieren und eine neue Ordnung einzuführen. Er schaffte sich sechs prachtvolle englische Sicheln an, ließ an jeder Hütte eine Nummer befestigen und richtete alles so vortrefflich ein, daß das Landgut nach sechs Monaten unter Kuratel gestellt wurde. Die wohlweise Vormundschaft (welche aus einem ehemaligen Assessor und irgend einem Stabsoffizier in einer verblichenen Uniform bestand), vertilgte in kürzester Zeit alle Hühner und Eier. Die Hütten, welche schon fast auf der Erde lagen, stürzten jetzt völlig ein, die Bauern ergaben sich dem Trunk und machten sich zum größten Teil aus dem Staube. Der Besitzer, der im übrigen mit seinen Vormündern auf freundschaftlichem Fuße lebte und mit ihnen Punsch trank, kam nur höchst selten auf sein Gut und verweilte nie lange dort. Er fährt bis heute auf allen Jahrmärkten Kleinrußlands umher und erkundigte sich genau nach den Preisen für die Erzeugnisse: als da sind: Mehl, Hanf, Honig usw., die en gros verkauft werden, aber er selbst kauft nur Kleinigkeiten: wie Feuersteine, einen Nagel zum Reinigen der Pfeife und überhaupt alles, was im Gesamtpreis den Wert eines Rubels nicht übersteigt.

Taraß Bulba. Eine Erzählung

Übersetzt von Eugenie Chmelnitzky

Erstes Kapitel

„Dreh dich mal um, Junge! Siehst du aber komisch aus! Was tragt ihr denn da für Talare? Geht ihr auf der Akademie alle so angezogen?“

Mit diesen Worten begrüßte der alte Bulba seine beiden Söhne, die im Seminar von Kiew studiert hatten und nun in das väterliche Haus zurückkamen.

Die jungen Leute waren eben vom Pferde gestiegen. Das waren zwei derbe Burschen, ernst und mißtrauisch dreinschauend wie alle, die das Seminar erst eben verlassen haben. Auf ihren frischen, wetterfesten Gesichtern keimte schon der erste Flaum, den noch kein Rasiermesser berührt hatte. Sie waren ganz verblüfft über den Empfang, den ihr Vater ihnen bereitet hatte, und standen mit unbeweglich zur Erde gesenkten Augen da.

 

„Halt, so laßt euch doch erst mal gründlich ansehen,“ fuhr er fort, indem er sie hin- und herschob und sie von allen Seiten betrachtete.

„Herrgott, habt ihr lange Kittel an! So etwas gibt es ja gar nicht wieder! Lauft doch mal ein bißchen herum. Ich will doch mal sehen, ob ihr nicht über eure eigenen Rockschöße stolpert und hinfallt.“

„Vater, hör doch auf und laß die Scherze,“ sagte endlich der Ältere.

„So ein stolzer Bursche! Und warum soll man denn nicht einmal lachen können?“

„Weil es mir nicht gefällt. Du bist zwar mein Vater, aber wenn du dich über mich lustig machst – bei Gott, so prügle ich dich durch!“

„Na, du bist ja ein netter Sohn! Was sagst du? Mich verprügeln?“ rief Taraß Bulba und trat vor Erstaunen einige Schritte zurück.

„Jawohl, wenn es sein muß, prügele ich auch den eigenen Vater durch. Ich lasse mich von niemandem beleidigen, von niemandem!“

„Und wie willst du dich mit mir schlagen? Welche Waffe wünschst du? Etwa die Faust?“

„Das ist mir völlig gleichgültig.“

„Na, dann meinetwegen los,“ sagte Bulba und streifte seine Ärmel auf, „ich will doch mal sehen, ob du im Faustkampf deinen Mann stellen kannst.“

Und statt sich nach so langer Trennung herzlich zu begrüßen und zu plaudern, begannen Vater und Sohn aufeinander loszuschlagen, daß es nur so von Rippenstößen und Faustschlägen auf Leib und Brust und Bauch hagelte. Bald traten sie zurück und blickten sich an, bald gingen sie wieder aufeinander los.

„Seht euch das nur mit an, liebe Leute, der Alte ist ganz verrückt geworden, ganz und gar verrückt,“ sagte die blasse, magere, gute Mutter, die auf der Schwelle stand und noch nicht dazu gekommen war, ihre teuren Sprößlinge zu umarmen. „Eben sind die Kinder nach Hause gekommen, man hat sie über ein Jahr nicht gesehen; ihm aber rappelt’s, und er beginnt mit Fäusten auf sie einzuschlagen.“

„Ja, der drischt wundervoll,“ sagte Bulba und trat zurück. „Bei Gott, das hat er fein raus,“ fuhr er fort, indem er sich etwas verschnaufte, „es wäre beinahe besser gewesen, ihn nicht erst in Versuchung zu bringen. Das gibt mal einen prachtvollen Kosaken. Ausgezeichnet, mein Junge, und jetzt wollen wir uns endlich ein paar ordentliche Küsse geben.“ Und Vater und Sohn küßten sich. „Brav, mein Junge! Prügle nur jeden so durch, wie eben mich! Laß dir nichts gefallen. Aber Dein Anzug ist wirklich ein bißchen komisch. Was baumelt denn da herunter? – Na und du? Was stehst du da und läßt die Arme hängen?“ wandte er sich an den Jüngeren. „Warum drischst du nicht auch auf mich los, du Hundsfott?“

„Das ist wieder ein echter Einfall von dir,“ sagte die Mutter und umarmte den Jüngeren. „Wie einem nur so etwas in den Kopf kommen kann! Das eigene Kind soll seinen Vater prügeln! Ja, als ob jetzt Zeit dazu wäre, wo das arme Kind eben einen so weiten Weg zurückgelegt hat und noch ganz müde ist – (das Kind war über zwanzig Jahre alt und genau einen Klafter groß) – Es müßte sich jetzt ausruhen und etwas essen. Und du zwingst ihn, sich mit dir herumzuschlagen.“

„Na, du bist mir der Rechte, das sehe ich schon,“ sagte Bulba. „Höre nicht auf ihre Reden, mein Junge, sie ist ein Weib und versteht nichts davon. Solch eine Verzärtelung! Das weite Feld und ein gutes Pferd – das ist eure Erholung! Hm, seht ihr diesen Säbel? Das ist eure rechte Mutter! Das ist alles Schund, was man euch in die Köpfe gestopft hat: die Akademien, die Bücher, die Fibeln, die Philosophie und dieser ganze gelehrte Kram – ich pfeife auf das alles!“ (Hier bediente sich Bulba eines Wortes, das sich nicht gut drucken läßt.)

„Na, es ist schon das beste, ich bringe euch nächste Woche gleich zu den Saporoger Kosaken. Das ist eine Wissenschaft, das ist die wahre Wissenschaft und die richtige Schule für euch. Dort werdet ihr erst zu Verstande kommen!“

„Was, nur eine Woche sollen sie hier bleiben?“ jammerte die alte, dürre Mutter mit Tränen in den Augen, „die Armen sollen sich nicht einmal ein bißchen erholen können, nicht das Vaterhaus kennen lernen, und ich werde mich nicht einmal richtig satt sehen können an ihnen!“

„Genug, genug, hör auf zu heulen, Alte! Der Kosak ist nicht dazu da, sich mit Weibern herumzuplacken. Du möchtest sie dir wohl am liebsten unter den Rock stecken? und auf ihnen herumsitzen wie auf Hühnereiern! Schnell, schnell, geh und deck den Tisch und bring uns, was da ist. Plätzchen, Honigkuchen, Mohnstritzel und ähnliche Kindereien kannst du dir schenken! Schaff lieber einen ganzen Hammel heran und eine Ziege, und vierzigjährigen Meth dazu. Und recht viel Schnaps, aber keinen mit allerlei Unfug, mit allerhand Zusätzen, Rosinen und ähnlichen Geschichten, sondern einen unverfälschten, prickelnden, schäumenden Schnaps, der einen brennt wie toll.“

Und Bulba führte seine Söhne in die gute Stube, aus der bei ihrem Eintritt zwei hübsche Dienstmädchen mit goldfarbenen Halsbändern herausliefen, die gerade die Zimmer aufräumten. Anscheinend waren sie über die Ankunft ihrer jungen Herren, denen man nicht gerade übertriebene Freundlichkeit nachsagte, erschrocken, oder sie wollten nach Weiberart, aufschreien, den fremden Männern entfliehen und sich lange schamhaft mit dem Ärmel die Augen verdecken. Die Stube war im Geschmack jener Zeit ausgestattet, an die sich nur noch in den Balladen und Volksliedern, wie sie früher in der Ukraine vor versammeltem Volk von blinden Greisen zu den stillen Klängen der Bandura gesungen wurden, eine lebendige Erinnerung erhalten hatte im Geschmack jener kampflustigen, rauhen Zeit, da in der Ukraine die Gefechte und Schlachten gegen die Union begannen. Alles war sauber und mit farbigem Ton bestrichen. An den Wänden hingen Säbel, Peitschen, Vogel- und Fischnetze, Waffen, ein schön gearbeitetes Pulverhorn, ein goldener Zaum und Zügel mit silbernen Beschlägen. Die Fenster dieser Stube waren klein, mit runden, trüben Scheiben, wie man sie wohl in alten Kirchen antrifft, und durch die man nur hindurch schauen kann, wenn man die eine bewegliche Scheibe hinwegschiebt. Fenster und Türen hatten rote Vorhänge. In den Ecken standen Krüge, große und kleine Flaschen aus grünem und blauen Glase, ziselierte silberne Becher, vergoldete Tassen von mannigfaltigster Arbeit: venezianische, türkische und tscherkessische, die auf mancherlei Wegen, aus dritter und vierter Hand, wie es in jenen tollen Zeiten üblich war, in die Stube des alten Bulba gelangt waren. Stühle aus Birkenholz standen ringsum an den Wänden, in der Vorderecke unter den Heiligenbildern ein ungeheurer Tisch, ferner ein breiter Ofen mit Stufen, Vorsprüngen und bunten farbigen Kacheln – das alles war unsern beiden tapfern Jünglingen wohlbekannt, die alljährlich während der Ferien nach Hause wanderten – wobei sie ihre Füße gebrauchen mußten, weil sie noch keine Pferde hatten, und da es zu jener Zeit noch nicht Sitte war, daß Schüler ritten. Sie hatten noch lange, flatternde Mähnen, an denen sie jeder waffentragende Kosak packen durfte. Erst nach ihrer Entlassung aus der Schule hatte ihnen Bulba ein paar junge Hengste aus seiner Herde geschickt.

Zur Feier der Ankunft seiner Söhne ließ Bulba alle anwesenden Hauptleute und Regimentskommandeure versammeln, und als zwei von ihnen sowie der Unterhetman Dmitro Towkatsch, sein alter Kampfgenosse, erschienen, stellte er ihnen sofort seine Söhne vor und sagte: „Seht euch mal die tapfren Jungens an! Ich will sie bald nach der Sjetsch schicken.“ Die Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute, und versicherten ihnen, daß das wohlgetan wäre, es gäbe für einen jungen Mann überhaupt keine bessere Schule als die Saporoger Sjetsch.

„Nun Brüder, nehmt alle am Tisch Platz. Da, wo es jedem am bequemsten ist. Und jetzt, meine Jungens, wollen wir vor allen Dingen einen Schnaps trinken,“ sagte Bulba. „Gott segne euch! Bleibt gesund, Kinder. Dein Wohl Ostap und deins Andrij. Gott gebe, daß ihr in der Schlacht immer Sieger bleibt, daß ihr alle Heiden, die Türken und die Tataren vernichtet, und wenn die Polen unsern Glauben antasten wollen, so gebt es auch ihnen ordentlich! Gib mal dein Glas her! He, der Schnaps ist gut? Wie heißt eigentlich Schnaps auf lateinisch? Ja, ja, das waren alles Dummköpfe, die Lateiner, die wußten nicht einmal, daß es Schnaps auf der Erde gibt. Wie hieß doch der, der lateinische Verse geschrieben hat. Ich kann nicht viel lesen und schreiben, und weiß es darum nicht mehr recht … Horaz, hieß er nicht Horaz?“

„Sieh mal einer den Vater an,“ dachte der ältere Bruder Ostap, „der alte Mops weiß alles und verstellt sich so.“

„Ich mein’, der Archimandrit hat euch nicht einmal Schnaps zu riechen gegeben,“ fuhr Taraß fort, „aber gesteht mal Jungens, man hat euch doch den Rücken und alles, was ein Kosak sonst noch hat, tüchtig mit Birken- und frischen Kirschenruten bestrichen? Oder hat’s wohl gar Peitschenhiebe gegeben, da ihr mir schon gar zu klug zu sein scheint. Man hat euch wohl nicht nur Sonnabends, sondern auch am Mittwoch und Donnerstag damit regaliert?“

„Laß das doch, Vater“, sagte Ostap kaltblütig, „was geschehen ist, ist geschehen.“

„Mag’s doch jetzt mal einer versuchen!“ sagte Andrij, „er soll nur kommen, und uns anrühren; wenn mir so ein Tatarenkerl in den Weg käme, der sollte schon erfahren, was ein Kosakensäbel für ein Ding ist.“

„Brav, Söhnchen, brav, bei Gott. Wenn die Sache so steht, so fahre ich selbst mit euch. Bei Gott, das tu ich. Was zum Teufel, soll ich denn hier sitzen und warten? Soll ich etwa Buchweizen säen, nach den Schafen und Schweinen schauen, den Hauswirt spielen oder gar mit meinem Weib schön tun? Der Teufel soll sie holen, ich bin ein Kosak und mache solche Dinge nicht! Was macht’s, daß es jetzt keinen Krieg gibt! Ich gehe mit euch zu den Saporogern – ich will mich dort ein wenig austoben. Bei Gott, ich fahre mit.“

Und der alte Bulba regte sich immer mehr und mehr auf, und geriet endlich vollkommen in Zorn, stand auf, stampfte mit dem Fuß und nahm eine energische Haltung an. „Morgen geht’s los. Wozu sollen wir es aufschieben! Welchen Feind können wir denn hier abfangen? Was soll mir diese Hütte? Wozu brauchen wir das alles? Wozu sind diese Töpfe?“ Und bei diesen Worten nahm er die Töpfe und Flaschen, warf sie auf den Boden und zertrümmerte sie. Die arme alte Frau, die an dies Benehmen ihres Mannes schon gewöhnt war, saß auf der Bank und sah traurig vor sich hin. Sie wagte nichts zu sagen: als sie jedoch von dem schrecklichen Entschluß ihres Mannes hörte, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten; sie sah ihre Kinder an, von denen sie sich so schnell trennen sollte – und niemand hätte wohl die ganze stumme verhaltene Kraft ihres Kummers beschreiben können, der, wie es schien, in ihren Augen und den krampfhaft aufeinandergepreßten Lippen zitterte.

Bulba war schrecklich eigensinnig. Das war einer jener Charaktere, wie sie nur in dem harten XV. Jahrhundert, in einem von halben Nomaden bewohnten Winkel Europas geboren werden konnten, als noch das ganze alte Süd-Rußland, von seinen Fürsten verlassen, durch die unaufhaltsamen Überfälle der mongolischen Räuber von Grund auf verwüstet und verheert wurde; als die Menschen ihres Herdes und jeglicher Habe beraubt, immer tollkühner und verwegener wurden, sich im Angesicht der ständigen Gefahr und der furchtbaren Feinde in ihren abgebrannten Häusern niederließen und sich, der Furcht spottend – daran gewöhnten, dem Kampf mutig ins Auge zu schauen; als der alte, friedliche slavische Geist von der kriegerischen Flamme erfaßt wurde, als das Kosakentum, dieses machtvolle Symbol der russischen Natur, erstand und alle an den Flüssen gelegenen Gegenden, alle Fähren und alle niedrigen und bequem liegenden Plätze von Kosaken überschwemmt wurden, deren Zahl niemand anzugeben wußte und deren kühne Kameraden einem Sultan auf seine Frage nach ihrer Anzahl antworten durften:

„Wer soll das wissen? Die ganze Steppe ist mit ihnen übersät, und wo sich nur ein Hügelchen erhebt, da ist auch schon ein Kosak.“ Es war wirklich eine ungewöhnliche Erscheinung der russischen Kraft, die der Feuerstrahl des Unglücks aus der russischen Brust geschlagen hatte. An Stelle der früheren Lehnsgüter, der mit Hundewärtern und Oberjägermeistern bevölkerten kleinen Städte, an Stelle der kleinen Fürsten, die sich gegenseitig bekriegten und ihre Städte verhandelten, entstanden trotzige Niederlassungen, Kosakendörfer und Ortschaften, die durch die gemeinsame Gefahr und den Haß gegen die heidnischen Räuber verbunden waren. Es ist jedem aus der Geschichte bekannt, wie ihr ewiger Kampf und ihr ruheloses Leben Europa vor den beständigen Angriffen der Mongolen gerettet haben, die es zugrunde zu richten drohten. Die polnischen Könige, die an Stelle der Lehnsfürsten die Herrscher dieser großen Ländereien geworden waren, begriffen – obgleich sie zu weit entfernt und zu schwach waren – sehr wohl die Bedeutung der Kosaken und den Vorteil dieses so kampffrohen und wachsamen Lebens.

 

Sie spornten die Kosaken sogar an und leisteten ihren Neigungen Vorschub. Unter ihrer durch ihre Entfernung nur wenig drückenden Herrschaft schufen die Hetmane, die selbst aus der Mitte der Kosaken gewählt wurden, die Dörfer und Ansiedelungen in regelrechte Truppenlager und Reviere um. Dies waren zwar keine regulären Truppen – die hätte man hier vergebens gesucht – aber im Kriegsfall, wenn eine allgemeine Bewegung durch das Land ging, stellte sich jeder Kosak in höchstens acht Tagen hoch zu Roß in voller Rüstung ein. Ein jeder erhielt vom Könige für seine Dienste nur einen Dukaten, und doch wurde innerhalb zwei Wochen ein solches Heer aufgestellt, wie es keine Rekruten-Aushebung hätte schaffen können. Wenn der Krieg beendet war, kehrte jeder Krieger zu seinen Wiesen und Weideplätzen, oder zu den Ufern des Dniepr zurück, lebte dort als Fischer weiter, handelte, braute Bier, und wurde wieder ein freier Kosak.

Die Ausländer waren damals mit Recht erstaunt über die außerordentlichen Fähigkeiten des Kosaken. Es gab kein Gewerbe, das er nicht verstand: Wein keltern, Wagen bauen, Pulver mahlen, Schmiede- und Schlosserarbeiten verrichten und dazu die ganzen Nächte hindurch bummeln, trinken und zechen, wie nur irgend ein Russe das vermag – das alles war so recht nach seinem Geschmack. Neben den registrierten Kosaken, die es für ihre unabweisliche Pflicht hielten, sich im Kriegsfalle zur Verfügung zu stellen, konnte man im Notfalle auch noch jederzeit ganze Scharen von Freiwilligen zusammenbringen; zu diesem Zwecke mußten die Unterhauptleute nur einmal durch alle Märkte und Plätze der Dörfer und Städtchen hindurchfahren und von ihren Wagen herab laut verkündigen: „Hallo, ihr Bierbäuche und Bierbrauer! Hört doch endlich auf, immer nur Bier zu brauen, hinter dem Ofen herumzuliegen und die Fliegen mit euren dicken Wänsten zu mästen. Macht euch auf, Ruhm und Ritterehre zu erwerben! Hallo, ihr Ackerleute, ihr Bauern, Schafhirten und Weiberknechte! Ihr seid lange genug hinter dem Pfluge einhergelaufen, habt eure gelben Stiefel mit Erde beschmutzt und mit den Weibern scharwenzelt. Wollt ihr eure Ritterehre ganz vergessen? Auf, Kerls, es ist Zeit, wieder Kosakenruhm zu erwerben!“ Solche Worte waren gleich Funken, die in trockenes Holz fielen. Der Ackermann zerbrach seinen Pflug, die Bierbrauer verließen ihre Kübel und zertrümmerten ihre Fässer, die Händler und Handwerker ließen ihr Handwerk und ihren Laden zum Teufel gehen, zerbrachen zu Hause das Geschirr, und wer es nur irgendwie durchsetzen konnte, schwang sich aufs Pferd. Kurz, der russische Charakter kam hier mächtig und herrlich zur Entfaltung und zeigte sich in einer neuen, kräftigen Gestalt.

Taraß gehörte noch zu den alten Kosakenhäuptlingen von echtem Schrot und Korn: sein ganzer Charakter war dazu angetan, die Gefahren und die Unruhe des Krieges auf sich zu nehmen, und er zeichnete sich durch ein grobes, aber offenes und gerades Wesen aus. Damals machte sich bereits der Einfluß Polens im russischen Adel bemerkbar. Viele hatten polnische Sitten angenommen, führten ein üppiges Leben, besaßen eine glänzende Dienerschaft, Falken, Hunde und ein großes Gefolge, und hielten zudem rauschende Feste und Bankette ab. All das war Taraß verhaßt. Er liebte das einfache Leben der Kosaken, entzweite sich oft mit seinen Genossen, die der Warschauer Art zugeneigt waren, und nannte sie Sklaven der polnischen Pane. Nie gönnte er sich Ruhe und er hielt sich für den rechtmäßigen Beschützer der rechtgläubigen Kirche. Unerwartet und eigenmächtig kam er in die Dörfer, wo man über den Druck der Pächter oder über die allzu harten neuen Steuern klagte, die auf den Höfen lasteten. Dort hielt er selbst inmitten seiner Kosaken Gericht ab. Er hatte es sich zur Regel gemacht, in drei Fällen stets zum Säbel zu greifen, erstlich wenn die Kommissare den Ältesten der Gemeinde nicht die nötige Achtung erweisen wollten und mit der Mütze auf dem Kopfe vor ihnen standen; zweitens, wenn sie über die rechtgläubige Kirche spotteten und die Sitten der Vorfahren belächelten, und endlich drittens: wenn es sich um Feinde, Türken und Mohammedaner handelte, gegen die er es stets für erlaubt hielt, zum Ruhme der Christenheit das Schwert zu ziehen.

Jetzt freute er sich schon im voraus bei dem Gedanken, mit seinen beiden Söhnen in der Sjetsch einzutreffen und dort laut verkündigen zu können: „Seht mal her, was ich euch für tüchtige Kerle mitgebracht habe!“ Er freute sich darauf, sie all seinen kampferprobten Freunden zu zeigen und dann ihre ersten großen Taten in der Kriegs- und Fechtkunst, die er ebenfalls für die Haupttugend eines Ritters hielt, miterleben zu dürfen. Zuerst wollte er sie allein fortschicken; aber angesichts ihrer frischen Jugend, ihres kräftigen Wuchses und ihrer männlichen Schönheit loderte sein kriegerischer Geist empor, und er beschloß, sich schon am nächsten Tage selbst mit ihnen auf den Weg zu machen, wenn ihn auch keine andere Notwendigkeit zu dieser Reise veranlaßte, als allein sein eigensinniger Wille. Er war bereits aufs äußerste beschäftigt und erteilte Befehle, wählte die Pferde, Geschirr und Sattelzeug für seine jungen Söhne aus, sah sich in den Ställen und Speichern um und bestimmte die Diener, die morgen mit ihnen zusammen aufbrechen sollten. Seine Ämter übergab er dem Unterhauptmann Towkatsch, und befahl ihm zugleich aufs strengste, sich unverzüglich mit der ganzen Schar einzufinden, sowie er aus der Sjetsch eine Nachricht von ihm erhalte. Obgleich er noch ein wenig angeheitert war, und der Branntwein noch in seinem Kopfe rumorte, vergaß er doch nichts: er befahl sogar, die Pferde zu tränken, ihnen den schönsten und besten Weizen in die Krippe zu schütten, und kam endlich ganz ermüdet von all seinen Besorgungen zu Hause an.

„Jetzt heißt es, ausschlafen, Kinder, und morgen, da machen wir, was Gott uns eingiebt. Ja, und mach uns keine Betten zurecht. Wir brauchen kein Bett; wir werden auf dem Hofe schlafen.“

Die Nacht hatte ihre Schwingen noch kaum über den Himmel gebreitet, aber Bulba pflegte sich stets früh zur Ruhe zu begeben. Er streckte sich auf dem Teppich aus und bedeckte sich mit einem kurzen Schafspelz, denn die Nachtluft war ziemlich frisch, und Bulba hüllte sich gern tüchtig ein, wenn er zu Hause war. Es dauerte nicht lange, da begann er schon zu schnarchen, und bald folgte der ganze Hof seinem Beispiel; alles, was in den verschiedenen Ecken herumlag, schnarchte, pfiff und grunzte in den verschiedensten Tönen im schönsten Konzert. Zuallererst schlief der Wächter ein: er hatte zur Feier der Ankunft der jungen Herren am meisten getrunken.

Nur die arme Mutter schlief nicht. Sie schlich sich an das Kopfende ihrer Herren Söhne, die nebeneinander lagen, kämmte ihre jungen, wirren Locken mit einem Kamme und netzte sie mit ihren Tränen. Sie blickte sie an, blickte sie vollen Herzens an, als wäre sie ganz Auge geworden – und konnte sich nicht satt an ihnen sehen. Sie hatte sie an ihrer eigenen Brust genährt; hatte sie selbst gehegt und gepflegt und großgezogen – und jetzt sollte sie sie nur einen kurzen Augenblick bei sich sehen!