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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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„Paff paff paff pa .. paff, oh, nicht gar so lange; es sind erst zwei Jahre her, daß ich ihn vom Gestüt bezogen habe.“

„Und haben Exzellenz ihn schon zugeritten erhalten“ – paff paff! – „oder ihn erst hier zureiten lassen?“

Paff, paff, pa, pa, pa .. a .. ff. „Erst hier“, und der General verschwand völlig in einer Rauchwolke.

Inzwischen kam ein Soldat aus dem Stall herbeigesprungen, es ertönten Hufschläge, und kurze Zeit darauf erschien ein zweiter in einem weißen Kittel mit einem ungeheuren schwarzen Schnurrbart; er führte ein scheues zitterndes Pferd am Zaume, das plötzlich den Kopf erhob und den auf dem Boden kauernden Soldaten mitsamt seinem Schnurrbart beinahe in die Luft riß.

„Na, na, Agraphena Iwanowna!“ sagte dieser, indem er das Tier unter die Terrasse führte.

Die Stute hieß nämlich Agraphena Iwanowna; kräftig und wild wie eine südländische Schöne, schlug sie mit den Hufen dröhnend gegen die hölzerne Terrasse und blieb plötzlich stehen.

Der General nahm die Pfeife aus dem Munde und besichtigte Agraphena Iwanowna mit zufriedener Miene. Selbst der Oberst kam die Stufen herunter gegangen und faßte Agraphena Iwanowna bei der Schnauze, und auch der Major strich Agraphena Iwanowna über die Beine; die übrigen aber schnalzten nur mit der Zunge.

Tschertokutzky schritt die Treppe hinab und trat gleichfalls an sie heran. Der Soldat stand stramm, hielt den Zaum in der Hand, und sah den Besuchern mit einem solchen Ausdruck in die Augen, als ob er sie auffressen wollte.

„Sehr, sehr gut!“ meinte Tschertokutzky. „Ein echtes Rassepferd! Erlauben Exzellenz mir die Frage, welche Gangart es hat?“

„O, es hat eine recht gute Gangart; nur … weiß der Teufel … dieser Schafskopf von einem Feldscher hat ihm solche verteufelte Pillen eingegeben, und nun muß es schon seit zwei Tagen immerwährend niesen.“

„Ein prächtiges Tier, in der Tat! Haben Exzellenz auch die dazu gehörige Equipage?“

„Eine Equipage? Das ist doch aber ein Reitpferd!“

„Das weiß ich; ich habe Sie nur deshalb danach gefragt, Exzellenz, um zu erfahren, ob Sie auch einen Wagen für Ihre andern Pferde besitzen?“

„Hm, allzuviel Wagen habe ich ja nun gerade nicht. Offen gestanden möchte ich eigentlich schon lange eine moderne Equipage haben. Ich habe meinem Bruder, der jetzt in Petersburg lebt, schon darüber geschrieben, weiß aber nicht, ob er mir eine schicken wird oder nicht!“

„Meiner Meinung nach,“ bemerkte der Oberst, „werden die besten Equipagen entschieden in Wien hergestellt, Exzellenz.“

Paff, paff, paff … „Sie haben vollkommen Recht.“

„Ich besitze eine ganz außerordentlich schöne Equipage, Exzellenz, ein echtes Wiener Fabrikat.“

„Welche? Die, in der Sie hierhergefahren kamen?“

„Nein, das ist nur so ein Reisewagen, den ich bei meinen Reisen benutze, jene dagegen … ist ganz entzückend leicht; wie eine Pflaumfeder, sage ich Ihnen: wenn Sie hineinsteigen, überkommt Sie ein Gefühl, gerade als ob – mit Eurer Exzellenz Erlaubnis – als ob Sie in der Wiege liegen und von der Amme hin und her geschaukelt werden!“

„Also ist sie wohl sehr bequem?“

„O sehr, sehr bequem; die Kissen und die Sprungfedern, alles sieht aus wie gemalt.“

„Das ist schön.“

„Und wie geräumig sie ist! Das heißt, Exzellenz, ich habe noch nie eine zweite gesehen, die ihr gleich käme. Als ich noch im Dienste stand, da habe ich einmal zehn Flaschen Rum und zwanzig Pfund Tabak im Kutschkasten untergebracht, und dazu hatte ich noch extra sechs Uniformen, sehr viel Wäsche und zwei Pfeifenrohre von beträchtlicher Länge bei mir, Exzellenz; außerdem könnte man in ihren Taschen noch einen ganzen Ochsen verstecken.“

„Das ist schön.“

„Ich habe viertausend Rubel für sie bezahlt, Exzellenz.“

„Nach dem Preise zu urteilen, muß sie sehr schön sein. Und Sie haben sie selbst gekauft?“

„Nein, Exzellenz, ich habe sie ganz zufällig erworben. Ein Kamerad von mir hatte die Equipage gekauft; ein ganz seltener Mensch, ein alter Jungfreund, mit dem Sie sicher auch innige Freundschaft schließen würden, Zwischen uns gab es kein Mein und Dein. Ich habe sie ihm im Kartenspiel abgewonnen. Würden Exzellenz nicht so freundlich sein und mir die Ehre erweisen, morgen bei mir zu Mittag zu speisen? Sie könnten dann auch gleich die Equipage besichtigen.“

„Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll … Ich allein, das wäre ein wenig … Es sei denn, Sie gestatten, daß ich zusammen mit den Herren Offizieren …?“

„Natürlich sind mir die Herren Offiziere gleichfalls willkommen. Meine Herren! Ich würde es mir als große Ehre anrechnen, wenn ich das Vergnügen haben dürfte, Sie in meinem Hause zu sehen.“

Der Oberst, der Major und die übrigen Offiziere dankten mit einer höflichen Verbeugung.

„Ich bin selbst der Meinung, Exzellenz, daß, wenn man sich einmal irgend ein Ding anschafft, es auch unbedingt gut sein muß; wenn es nicht gut ist, so sollte man es lieber gar nicht erst kaufen. Bei mir z. B. … Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, mich morgen zu besuchen, werde ich Ihnen einige Gegenstände zeigen, die ich zu wirtschaftlichen Zwecken bei mir eingeführt habe …“

Der General sah vor sich hin und blies eine Rauchwolke aus.

Tschertokutzky war sehr zufrieden, daß er die Herren Offiziere zu sich eingeladen hatte; er bestellte schon im Geiste allerhand Saucen und Pasteten und wußte nicht, ob er sich zum Whist niedersetzen sollte oder nicht.

Aber als die Herren Offiziere ihn mehrere Male dazu aufforderten, schien ihm eine Weigerung unvereinbar mit den Gesetzen des Anstandes zu sein – und so nahm er denn gleich ihnen an einem Tische Platz. Er merkte gar nicht, wie sich ein Glas Punsch neben ihm einfand, das er in seiner Zerstreuung sofort leerte. Nach zwei Runden fand Tschertokutzky wieder ein Glas Punsch vor, und er leerte es abermals in seiner Zerstreuung, nachdem er zuvor erklärt hatte: „Es ist Zeit meine Herren, daß ich nach Hause komme, es ist wirklich Zeit.“

Übrigens setzte er sich gleich wieder, um noch eine weitere Partie zu spielen. Unterdessen hatten die Gespräche in den verschiedenen Zimmerecken ganz private Bahnen eingeschlagen. Die Whistspieler waren ziemlich schweigsam; die dagegen, die nicht mitspielten, sondern abseits auf dem Sofa saßen, unterhielten sich auf das eifrigste.

In einer Ecke erzählte der Stabsrittmeister, auf ein Kissen gelehnt und mit der Pfeife im Munde, ziemlich frei und zwangslos von seinen Liebesabenteuern und hielt die Aufmerksamkeit des Kreises, der sich um ihn gebildet hatte, vollständig gefesselt. Ein außergewöhnlich dicker Gutsbesitzer mit kurzen Armen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit zwei ausgewachsenen Kartoffeln hatten, hörte ihm mit zuckersüßer Miene zu und bemühte sich nur, ihm mit seiner kurzen Hand von Zeit zu Zeit hinter den breiten Rücken zu langen, um ihm die Tabaksdose aus der Rocktasche zu ziehen. In einer anderen Ecke entspann sich ein ziemlich heißer Streit über das Exerzieren der Schwadronen, und Tschertokutzky, der schon zweimal einen Buben statt der Dame ausgespielt hatte, mischte sich plötzlich in das fremde Gespräch und schrie von seinem Tisch aus herüber: „In welchem Jahr war das?“ oder „In welchem Regiment?“, ohne selbst zu bemerken, daß seine Frage sehr oft gar nichts mit dem Gegenstand der Unterhaltung zu tun hatte. Einige Minuten vor dem Souper, hörte der Whist endlich auf; er wurde aber noch im Gespräche fortgesetzt, und es schien, als ob alle Köpfe von ihm eingenommen seien. Tschertokutzky erinnerte sich recht gut, daß er sehr viel gewonnen, aber mit den Händen nichts einkassiert hatte, und daß er, als er sich vom Tisch erhob, sehr lange in der Haltung eines Menschen da stand, der kein Taschentuch bei sich hat. Inzwischen war das Souper serviert worden. Es versteht sich von selbst, daß kein Mangel an Weinen war, und daß Tschertokutzky sich manchmal fast gegen seinen eigenen Willen einschenken mußte, weil immer rechts und links von ihm ein paar Weinflaschen standen.

Das Tischgespräch zog sich in die Länge, nahm aber eine etwas eigentümliche Wendung: ein Oberst, der die Kampagne von 1812 mitgemacht hatte, erzählte von einer Schlacht, die niemals stattgefunden hatte, und entfernte darauf, aus einem ganz unbegreiflichen Grunde, den Pfropfen von einer Karaffe und steckte ihn in den Kuchen. Kurz, als alle aufbrachen, war es schon drei Uhr, und die Kutscher mußten einige Personen wie einen Warenballen in die Arme nehmen und forttragen; Tschertokutzky aber verbeugte sich, als er schon im Wagen saß, trotz seiner aristokratischen Formen noch einmal so tief und mit einem solchen Schwunge, daß er, als er daheim anlangte, in seinem Schnurrbart zwei Kletten mit nach Hause brachte.

Hier lag schon alles in tiefem Schlafe. Nur mit Mühe gelang es dem Kutscher, den Kammerdiener aufzufinden, der den Herrn durch den Salon geleitete, und ihn dem Stubenmädchen überantwortete; dieses folgte Tschertokutzky, so gut es ging, bis zum Schlafzimmer, wo er sich neben seinem jungen, hübschen Frauchen, das in seinem schneeweißen Nachthemd höchst anmutig dalag, ins Bett fallen ließ. Die Erschütterung, die dieser Fall ihres Ehegatten verursachte, weckte sie aus dem Schlaf. Sie reckte sich, schlug ihre Augen auf, kniff sie ganz rasch dreimal hintereinander zusammen, und öffnete sie wieder mit einem schmollenden Lächeln; da sie aber sah, daß er ihr diesmal durchaus keine Liebkosung erweisen wollte, drehte sie sich verdrossen auf die andere Seite um und schlief, die frische Wange auf die Hand gestützt, bald wieder ein.

Es war eine Tageszeit, die auf dem Lande keineswegs für besonders früh angesehen wird, als die junge Herrin neben dem schnarchenden Gemahl erwachte. Sie erinnerte sich, daß er gestern erst gegen 4 Uhr nachts nach Hause gekommen war, und es tat ihr leid, ihn zu wecken. So schlüpfte sie denn in ihre Morgenschuhe, die sich ihr Gatte aus Petersburg verschrieben hatte, trat mit einem weißen Negligé bekleidet, das an ihr herabfloß wie ein rieselndes Gewässer, in ihr Ankleidezimmer, wusch sich mit Wasser, das so frisch war wie sie selbst, und ließ sich vor dem Toilettenspiegel nieder. Nachdem sie einige prüfende Blicke hineingeworfen hatte, stellte sie fest, daß sie heute äußerst vorteilhaft aussah. Dieser anscheinend unbedeutende Umstand veranlaßte sie, genau zwei Stunden länger als gewöhnlich vor dem Spiegel zu verbringen; endlich zog sie sich sehr niedlich an und begab sich in den Garten, um sich etwas zu erfrischen. An diesem Morgen war das Wetter so herrlich, wie es nur ein südlicher Sommertag hervorzubringen vermag. Die Sonne, die bereits den Höhepunkt überschritten hatte, sengte einen mit der ganzen Glut ihrer Mittagsstrahlen. Aber unter dem Laub der Alleen konnte man, ohne von ihnen belästigt zu werden, spazieren gehen. Die von der Sonne erwärmten Blumen verdreifachten ihren Duft. Die hübsche Hausfrau hatte ganz vergessen, daß es bereits zwölf Uhr geschlagen hatte, und daß ihr Gatte noch immer nicht erwacht war. Schon drang das nachmittägliche Schnarchen zweier Kutscher und eines Groom, die im Stall hinter dem Garten schliefen, an ihr Ohr, sie aber weilte noch immer in der lauschigen Allee, von der sie einen freien Blick nach der Landstraße hin hatte, und blickte zerstreut in die menschenleere Einsamkeit, als plötzlich eine Staubwolke, die sich in der Ferne erhob, ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie spähte scharf hin und unterschied bald einige Wagen. Voran fuhr eine offene, zweisitzige Equipage, in der der General saß, dessen schwere Epauletten in der Sonne glänzten, und neben ihm saß der Oberst. Dieser folgte eine zweite, viersitzige; sie barg den Major mit dem Adjutanten des Generals und noch zwei Offizieren, die ihnen gegenüber saßen. Dann kam die allgemein bekannte Regimentsdroschke, die diesmal im Besitze des dicken Majors war. Hinter der Droschke fuhr ein viersitziger Bon-Voyage her, in dem vier Leutnants Platz genommen hatten, während ein fünfter in ihren Armen ruhte. Und endlich hinter diesem gewahrte man drei Offiziere auf herrlichen dunklen Apfelschimmeln.

 

„Kommen sie wirklich zu uns?“ fragte sich die Hausfrau. „Ach, Herrgott! Sie wenden und fahren tatsächlich auf die Brücke zu.“ Sie schrie auf, schlug die Hände zusammen und lief über Beete und Blumen hinweg direkt in das Schlafzimmer ihres Mannes. Dieser lag noch immer da und schlief wie ein Toter.

„Steh auf! Steh schnell auf!“ rief sie und packte ihn am Arm.

„Wie?“ gähnte Tschertokutzky, der sich mächtig reckte, ohne die Augen zu öffnen.

„Steh auf, Männe! Hörst du, die Gäste kommen!“

„Gäste? Was für Gäste?“ Nach diesen Worten grunzte er leise vor sich hin wie ein Kalb, das mit der Schnauze das Euter der Mutter sucht. „Hm, hm!“ brummte er, „reich mir doch dein Hälschen her, mein Herzblatt, ich will dir einen Kuß geben.“

„Beeile dich doch um Gotteswillen mit dem Aufstehen, Schatz! Der General kommt mit seinen Offizieren. Ach, Herrgott, du hast ja eine Klette im Schnurrbart!“

„Der General? Was, er kommt schon? Aber weshalb hat mich denn, hol’s der Teufel, niemand geweckt? Und das Diner? Was ist mit dem Diner? Ist auch alles fertig, wie es sich gehört?“

„Was für ein Diner?“

„Hab ich denn keins bestellt?“

„Du? Du bist ja erst um 4 Uhr nachts nach Hause gekommen? So sehr ich mich auch bemühte, dich auszufragen, du wolltest mir nicht antworten. Ich habe dich nicht geweckt, Männe, weil du mir leid tatest.“ Die letzten Worte sagte sie mit einer äußerst schmachtenden und bittenden Stimme.

Eine Minute lang lag Tschertokutzky mit weit aufgerissenen Augen wie vom Blitz getroffen auf seinem Lager. Endlich sprang er im bloßen Hemde aus dem Bette, wobei er garnicht daran dachte, daß das eigentlich unanständig sei.

„Ach ich dummes Pferd!“ sagte er und schlug sich an die Stirn. „Ich habe sie ja zum Mittagessen eingeladen. Was tun? Sind sie noch weit von hier?“

„Ich weiß nicht. Sie müssen jeden Augenblick eintreffen.“

„Verstecke dich, Schatz. He! Wer da! Du Mädel, komm mal her! Was fürchtest du dich, dumme Gans? Die Offiziere können jeden Augenblick hier sein! Sag ihnen, der Herr sei nicht zu Hause. Sage, daß er heute garnicht mehr zurückkommt, er sei schon ganz früh am Morgen abgereist. Hörst du, und sage es auch allen Knechten und Mägden! Geh schnell!“

Mit diesen Worten packte er eiligst den Schlafrock zusammen und lief spornstreichs in die Remise, um sich dort zu verstecken, da er hier am sichersten zu sein glaubte. Als er es sich aber in einem Winkel bequem machen wollte, sah er, daß er auch hier noch bemerkt werden könne. „Das da wird besser sein,“ schwirrte es ihm durch den Kopf; sofort ließ er das Trittbrett der gerade dastehenden Equipage herunter, sprang in sie hinein, schlug die Türe hinter sich zu, bedeckte sich vorsichtshalber mit dem Vorhang und dem Lederschurz und saß mäuschenstill da, indem er sich in seinen Schlafrock hüllte und niederkauerte.

Unterdessen waren die Wagen bei der Terrasse vorgefahren. Der General stieg heraus und schüttelte sich tüchtig. Nach ihm erschien der Oberst, der den Federbusch auf seiner Mütze zurechtrückte. Dann sprang der dicke Major mit dem Säbel unter dem Arm heraus, sodann entstiegen die schlanken Leutnants mitsamt dem Fähnrich, der auf ihren Armen gesessen hatte, dem Bon-Voyage, und endlich saßen die drei Reiter ab.

„Der Herr ist nicht zu Hause!“ sagte der Lakai, der sich auf die Terrasse hinausbegeben hatte.

„Wieso nicht zu Hause? Er kommt aber doch zum Mittagessen?“

„Nein, der Herr ist für den ganzen Tag verreist. Er wird frühestens morgen um diese Zeit zurückerwartet!“

„Da haben wir’s!“ sagte der General. „Wie kommt denn das?“

„Das muß ich sagen, das ist aber ein schöner Streich,“ sagte der Oberst lachend.

„Nein, wie kann man nur so etwas tun?“ fuhr der General ziemlich ärgerlich fort.

„Ja … zum Teufel! … Wenn du einen nicht empfangen kannst, weshalb lädst du uns denn dann ein?“

„Ich verstehe nicht, wie man so etwas tun kann, Exzellenz!“ sagte ein junger Offizier.

„Was?“ fragte der General, der dieses Fragewort stets anzuwenden pflegte, wenn er mit einem Offizier sprach.

„Ich meinte nur, wie kann man bloß so handeln, Exzellenz?“

„Natürlich! Ja, wenn es absolut nicht anders geht usw., so teilt man es einem doch wenigstens vorher mit, oder man ladet einen lieber überhaupt nicht erst ein.“

„Ja, Exzellenz, was können wir tun? Wollen wir nach Hause fahren?“ sagte der Oberst.

„Selbstverständlich! Es bleibt uns ja gar nichts anderes übrig. Aber wir können uns schließlich die Equipage auch ohne ihn ansehen. Er wird sie wohl kaum mitgenommen haben. He, holla, wer ist da? komm mal her, Brüderchen!“

„Zu Befehl!“

„Bist du der Stallknecht?“

„Jawohl, Eure Exzellenz!“

„Zeig uns doch mal die neue Equipage, die dein Herr sich unlängst angeschafft hat!“

„Bitte, kommen Sie mit mir in die Remise!“

Und der General begab sich mitsamt den Offizieren dorthin.

„Gestatten Sie, ich werde sie ein wenig herausziehen. Hier ist es zu dunkel!“

„Genug, genug, es ist schon gut!“

Der General und die Offiziere gingen um die Equipage herum und sahen sich die Räder und Sprungfedern sorgfältig an.

„Hm, das ist doch nichts Besonderes,“ meinte der General. „Eine ganz gewöhnliche Equipage!“

„Ein höchst unansehnliches Ding,“ bestätigte der Oberst. „An der ist wahrhaftig nicht viel Gutes zu entdecken.“

„Mir scheint, Exzellenz, sie ist gar keine 4000 Rubel wert,“ meinte einer der jungen Offiziere.

„Was?“

„Ich sage, daß sie meiner Meinung nach gar keine 4000 Rubel wert ist, Exzellenz!“

„Ach was! 4000! Sie ist keine 2000 wert! An dem Ding ist doch gar nichts dran! Es müßte denn sein, daß es drinnen etwas Besonderes zu sehen gibt. Bitte, mein Lieber, schnalle doch mal den Lederschurz ab.“

Und Tschertokutzky bot sich den Blicken der Offiziere dar; er saß in seinen Schlafrock gehüllt, in einer seltsamen Stellung zusammengekauert am Boden der Kutsche.

„Ach, Sie sind hier?“ sagte ganz verdutzt der General.

Er schlug die Tür zu, bedeckte Tschertokutzky mit dem Schurz und fuhr mit seinen Herren Offizieren von dannen.

Anhang

Mirgorod

Beide Teile dieser Novellensammlung erschienen im April des Jahres 1835. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum „den 29. Dezember 1834“.

Mirgorod (Erster Teil.)

I. Gutsbesitzer aus der alten Zeit. Der erste Entwurf dieser Novelle stammt aus dem Jahre 1833. 1834 arbeitete Gogol sie noch einmal für den Druck um.

II. Taraß Bulba. Die erste Fassung dieser Erzählung stammt aus dem Jahre 1834. In den Jahren 1839-1842 arbeitete Gogol den ursprünglichen Text für den zweiten Band seiner gesammelten Werke noch einmal um. Unser Text geht auf diese letzte Fassung zurück.

Mirgorod (Zweiter Teil.)

III. Wij. Diese Erzählung ist 1833 begonnen und 1834 noch einmal für die erste Ausgabe von „Mirgorod“ umgearbeitet. Die erste Ausgabe enthielt noch eine Fußnote, die am Schluß der Erzählung, unter dem Strich, abgedruckt war, und folgenden Wortlaut hatte: „Ein Versehen. In dieser Erzählung ist aus Unachtsamkeit die Hälfte einer Seite ausgelassen, aus der wir erfahren, wie der Bursche Choma Brut in der Tochter des Hauptmanns die Hexe wiedererkannte, die ihm in Gestalt einer alten Frau begegnet war.“ Vermutlich meint der Verfasser folgende Zeilen des handschriftlichen Textes, die im Drucke weggefallen sind. „‚Er kennt mich, er erinnert sich sicher noch an den Schafs … Was aber dort im Schafs … vorgefallen ist, habe ich nicht mehr gehört. Das liebe Kind hatte nur noch Zeit diese Worte zu sagen, – dann legte sie sich hin und starb.‘ Ein übermächtiger Schmerz ließ den Hauptmann einen Augenblick inne halten. ‚Du mußt wissen‘, sagte er, nachdem er sich ein wenig erholt hatte, ‚was das zu bedeuten hat, im Schafs …‘ – ‚Gott mag wissen, was das heißt, Herr Hauptmann. Ich habe einen Schafspelz. Vielleicht meinte sie den. Vielleicht hat sie mich einmal auf dem Bazar oder sonstwo in ihm gesehen‘.“ Gogol hat dann den Wij für die erste Ausgabe seiner gesammelten Werke noch einmal umgearbeitet. Hierbei hat er, abgesehen von mehreren unwesentlichen Verbesserungen, noch folgenden Stellen eine veränderte Fassung gegeben.

1) Seite 262 von den Worten an: „Sie stöhnte anfangs wütend“ bis zum Ende des Absatzes „Choma zitterte am ganzen Körper“ Seite 263. In der ersten Bearbeitung lautete die Stelle folgendermaßen: „und er begann mit aller Gewalt auf die Alte loszuschlagen. Nach einigen Schlägen merkte er, daß sie immer langsamer und langsamer zu laufen begann, der Philosoph aber schlug immer eifriger auf sie ein. Endlich hielt die Hexe es nicht mehr aus, fing an zu wanken und brach unter seinen Schlägen zusammen. Unterdessen war der Tag angebrochen, die Vögel jubilierten in den stillen, schlaftrunkenen Haselnußsträuchern; vor ihm, wie auf der Handfläche, lag Kiew mit seinen länglichen birnenförmigen Kuppeln. Er sprang auf, warf einen Blick auf die vor ihm liegende und kaum noch atmende Hexe, und er konnte sich sein eigenes Gefühl nicht erklären: sah er doch, wie ihr Gesicht sich verjüngte, und wie ein schneeweißer Glanz in ihm aufleuchtete; jetzt kam sie ihm garnicht mehr alt vor, ein eigentümlicher, halb lieblicher, halb abstoßender Zug umspielte ihre Lippen und drang ihm schneidend bis ins Herz hinein. Er fühlte etwas wie Mitleid in sich aufsteigen, aber er wollte nicht länger bei ihr bleiben, und machte sich schleunigst auf den Weg nach der Stadt, während er unaufhörlich über dies seltsame Abenteuer nachsann.“

2) Die Zeilen: „Plötzlich glaubte er in ihrem Gesicht etwas furchtbar Vertrautes zu erkennen. – Es war dieselbe Hexe, die er getötet hatte.“ (Seite280) lauteten in der ersten Fassung folgendermaßen: „‚Das ist ja die Hexe, die ich getötet habe,‘ schrie er entsetzt auf, als er sie sich näher ansah. Und in der Tat, ihr Gesicht trug dieselben Züge, die ihn damals in Erstaunen gesetzt hatten, als er statt des alten Weibes eine Jungfrau vor sich liegen sah ‚Ah, das also war der Grund, warum ich für sie beten sollte.‘ Voll inneren Grauens blickte er auf sie: jeder Zug ihres Gesichtes schien ihm jetzt etwas Schreckliches und Drohendes zu haben, und kalter Schweiß rann ihm von der Stirn herab.“

3) Auch die folgende Stelle hat eine Umarbeitung erfahren. (Seite 293): „Wieder erhob sich der Leichnam, der jetzt ganz blau und grün aussah. Die Lippen der Toten bewegten sich und schienen etwas sagen zu wollen. Sie stampfte mit ihrem zarten, fast knochenlosen Fuß dumpf auf den Boden, und die ganze Kirche erzitterte. Er glaubte zu hören, wie sich etwas auf sie legte, und an den Fenstern erschienen allerhand schreckliche Gestalten von furchtbarer Häßlichkeit. Aber in diesem Augenblick ertönte ein ferner Hahnenschrei, und die Leiche sank in den Sarg zurück.“

 

4) Ferner ist folgende Stelle stark gekürzt und umgearbeitet worden. Seite 304: „Er ließ den Kopf sinken und fuhr in seinen Beschwörungen fort, da hörte er plötzlich, wie die Tote mit den Zähnen knirschte und die Hände hin und her zu bewegen begann, als wolle sie ihn fassen. Er blickte vorsichtig nach ihr hin, und sah, daß die Leiche gar nicht dahin griff, wo er stand, und daß sie ihn gar nicht sehen konnte. Dieser Mißerfolg schien die Tote rasend zu machen, sie knirschte wieder mit den Zähnen, trat in die Mitte der Kirche und stampfte abermals mit dem Fuße, aber es gab nur einen kurzen dumpfen Ton, ihre Lippen verzerrten sich und schienen etwas vor sich hin zu murmeln; allein man hörte nicht, was es war. Der Philosoph vernahm, wie die Wände der Kirche zu stöhnen begannen, ein seltsames Murren und ein schneidendes Gewimmer drang unter dem dumpfen Gewölbe hervor, von den Fenstern her erscholl ein widerwärtiges Kratzen und plötzlich drang aus Türen und Fenstern mit furchtbarem Lärm und Getöse eine Unzahl von Gnomen von schrecklichem und abstoßendem Äußern herein, wie sie noch nie jemand – nicht einmal im Traume gesehen hat. Der Philosoph sah plötzlich eine ungeheure Menge widerwärtiger Flügel, Füße und Gliedmaßen vor sich, die er in seiner Angst gar nicht einzeln zu unterscheiden vermochte. Hoch über alle hinaus ragte ein seltsames Wesen, das die Form einer Pyramide hatte und ganz mit Schleim bedeckt war. Statt der Füße besaß es zwei Knochen, die die Gestalt eines halben menschlichen Kinnbackens hatten; oben von der Spitze dieser Pyramide hing eine lange Zunge herab, die das Ungeheuer beständig ausstreckte und nach allen Seiten hin und her bewegte. Auf dem gegenüberliegenden Chor saß etwas Großes, Weißes mit zwei langen weißen Säcken, die es statt der Beine herabhängen ließ; an Stelle der Arme, Augen und Ohren hatte es gleichfalls Säcke, die tief herunterhingen. Ein wenig weiter reckte sich etwas Schwarzes empor, das ganz mit Schuppen bedeckt war, es hatte eine Unzahl von feinen dünnen Händen, die es über der Brust gekreuzt hielt, und statt des Kopfes eine blau schimmernde Menschenhand. Ein riesenhafter Schwabenkäfer fast von der Größe eines Elefanten, war an der Tür stehen geblieben und streckte seine Fühler durch die Türöffnung herein, von der Spitze der Kuppel fiel etwas Schwarzes lärmend in die Mitte der Kirche herab: es bestand aus lauter Beinen, die sich auf dem Boden hin und her bewegten und sich unaufhörlich zusammenkrümmten, wie wenn das Ungeheuer sich erheben wollte. Ein rötlich-blaues Wesen ohne Hände und ohne Beine streckte zwei lange Rüssel in die Luft hinaus und schien nach jemand zu suchen, und eine gewaltige Menge anderer Geschöpfe, die das erschrockene Auge schon nicht mehr zu unterscheiden vermochte, ging, flog und kroch in allen Richtungen durcheinander; eins bestand einzig und allein aus einem Kopf, ein anderes aus einem abscheulichen Rachen, ein drittes aus einem Flügel, welcher mit unerträglichem Zischen durch die Luft flog. Choma schloß die Augen und hatte nicht mehr den Mut, hinzublicken. Er hörte nur, daß diese ganze Gesellschaft nach ihm suchte, er bemühte sich krampfhaft, sich aller Beschwörungen, die er kannte, zu erinnern, und sprach sie mit hastiger, stockender Stimme vor sich her.

Die Angst und das Entsetzen trieben ihm den Schweiß auf die Stirn. Es schien ihm, als müsse er vor lauter Schrecken sterben, wenn das Bein eines dieser Ungeheuer von so abstoßendem Äußern ihn berühren würde. Schon sah er, wie eine dieser Mißgeburten seine langen Rüssel ausstreckte, und wie einer von diesen über den Strich hinaus langte … O Gott! Aber da ertönte ein Hahnenschrei, die ganze Schar erhob sich mit einem Male und flog zu den Türen und Fenstern hinaus.

5) Vollkommen verändert ist auch der Schluß der Erzählung, der in der ersten Fassung folgenden Wortlaut hatte: „Plötzlich vernahm er inmitten der Stille aufs neue das widerwärtige Kratzen, Pfeifen, Klirren und Lärmen an den Scheiben. Ängstlich schloß er die Augen und hörte einen Augenblick auf, zu lesen. Ohne die Augen zu öffnen, vernahm er plötzlich, wie ein ganzer Haufen von Ungeheuern mit Getöse auf den Boden fiel, das von einem schrecklichen dumpfen oder hellen Gepolter, zarten Geräuschen, wie wenn etwas Weiches herabfiele, oder widerlichem Gewinsel begleitet war. Er öffnete seine Augen ein wenig, schloß sie aber schnell wieder. Entsetzen umfing ihn; es waren dieselben Gnomen von gestern, nur mit dem Unterschiede, daß er noch eine ganze Menge neuer unter ihnen erblickte. Nahezu ihm gegenüber stand etwas Kohlschwarzes, dessen dunkles Skelett deutlich hervortrat, und zwischen dessen dunklen Rippen der gelbe Leib deutlich durchschimmerte. Etwas abseits stand ein langes, mageres Wesen, das einem Stocke glich und aus lauter Augen mit langen Wimpern zusammengesetzt zu sein schien. Etwas weiter sah er ein riesenhaftes Ungeheuer, das beinahe die ganze Wand einnahm und in einen dichten Wald von durcheinander gewirrten Haaren eingehüllt war. Aus diesem Haarnetz blickten zwei entsetzliche Augen hervor. Voller Angst schaute er empor: über ihm in der Luft schwebte etwas wie eine gewaltige Blase, die aus ihrer Mitte tausend Krebsscheren und Skorpionenstacheln hervorstreckte, an denen mächtige Klumpen schwarzer Erde hingen. Entsetzt richtete er seine Augen wieder auf sein Buch. Die Gnomen machten einen fürchterlichen Lärm mit ihren Schuppenschwänzen, ihren mit Krallen versehenen Füßen und ihren rauschenden Flügeln, und er hörte, wie sie ihn allesamt in allen Ecken suchten. Das alles machte, daß der letzte Rest seines Rausches verschwand, der noch im Kopfe des Philosophen rumorte, und voller Eifer las er seine Gebete herunter. Er hörte, wie jene vor Wut rasten, weil sie ihn nicht zu finden vermochten. ‚Wie wenn sich nun plötzlich die ganze Schar auf mich stürzte?‘ dachte er und schrak bei diesem Gedanken zusammen. ‚Wij! laßt uns den Wij holen‘ schrie eine Menge seltsamer Stimmen durcheinander, und es schien ihm, wie wenn ein Teil der Gnomen sich entfernte. Dennoch aber stand er mit geschlossenen Augen da, und wagte es nicht aufzublicken. ‚Wij, Wij,‘ schrien alle mit lauter Stimme, und aus der Ferne ertönte Wolfsgeheul und dumpfes Hundegebell. Die Tür sprang krachend auf, und Choma hörte, wie eine ganze Schar von Geistern hereinstürzte, dann wurde es plötzlich still, wie in einem Grabe. Er wollte die Augen öffnen, aber eine innere Stimme flüsterte ihm zu: ‚sieh nicht hin‘. Er nahm alle Kraft zusammen .. doch eine unbegreifliche, vielleicht aus der Angst stammende Neugierde machte, daß sein Auge sich wie von selbst öffnete. Vor ihm stand ein riesengroßes Geschöpf von menschlicher Gestalt, dessen Augenlider bis zur Erde herabhingen. Voller Grauen bemerkte der Philosoph, daß das Antlitz dieses Wesens von Eisen war, und er richtete seine glühenden Augen wieder auf sein Buch. ‚Hebt mir die Lider empor,‘ sagte Wij mit unterirdischer Stimme, und die ganze Dämonenschar stürzte auf ihn zu, um ihm die Lider emporzuheben. ‚Sieh nicht hin,‘ flüsterte eine innere Stimme dem Philosophen zu. Aber er hielt es nicht aus und blickte hin. Zwei schwarze Kanonenkugeln starrten ihm gerade in die Augen, und eine eiserne Hand erhob sich und wies mit dem Finger auf ihn. ‚Da ist er,‘ schrie Wij, und alle Dämonen, die in der Kirche waren, all die scheußlichen Ungeheuer fielen zusammen über ihn her, und leblos stürzte er zu Boden. Der Hahn krähte schon zum zweitenmal, den ersten Schrei hatten die Geister überhört. Jetzt erhoben sich die Dämonenscharen und wollten davonfliegen, aber es war schon zu spät, sie kamen nicht vom Flecke und blieben regungslos zwischen Türen und Fenstern, an der Kuppel und in den Ecken und Winkeln hängen … Da öffnete sich die Tür, und ein Geistlicher, der aus einem fernen Dorfe gekommen war, um die Totenmesse abzuhalten und die Tote zu begraben, betrat die Kirche. Entsetzt wich er zurück, als er diese Schändung des Allerheiligsten erblickte, und er wagte es nicht, das göttliche Wort in diesen Räumen erklingen zu lassen. So blieb denn seit jener Zeit in dieser Kirche alles, wie es war. Auch heute noch sind die Ungeheuer dort in den Fenstern festgebannt. Die Kirche ist mit Moos bewachsen, und von Bäumen und Sträuchern überwuchert, die ihre Wurzeln bis in die Wände und Mauern hineinsenken: nie wird sie von einem menschlichen Fuße betreten, und keine Seele weiß, wo und in welcher Gegend sie sich befindet.“