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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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Fünftes Kapitel
In welchem von der Beratung zweier hochgeachteter Persönlichkeiten aus Mirgorod berichtet wird

Kaum hatte Iwan Iwanowitsch seine häuslichen Angelegenheiten geordnet und war wie gewöhnlich unter das Schutzdach getreten, um sich ein wenig auszuruhen, als er zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen an der Pforte etwas Rötliches schimmern sah. Das war der rote Aufschlag an der Uniform des Polizeimeisters. Dieser Aufschlag hatte ebenso wie der Kragen einen gewissen gleichmäßigen Glanz und war im Begriff, sich an den Rändern in ein Stück Lackleder zu verwandeln. Iwan Iwanowitsch dachte sich: „Hm! Garnicht übel, daß Peter Fedorowitsch kommt, um die Sache zu besprechen.“ Als er aber sah, wie schnell der Polizeimeister daherkam und mit den Armen schlenkerte, was gewöhnlich nur in Ausnahmefällen geschah, war er sehr verwundert. Der Amtsrock des Polizeimeisters hatte nur acht Knöpfe, der neunte war ihm vor zwei Jahren während der Einweihung der neuen Kirche abgesprungen, und die Polizisten hatten ihn bis jetzt nicht finden können, obgleich sie der Polizeimeister bei dem täglichen Rapport immer wieder fragte: „Hat der Knopf sich gefunden?“ Diese acht Knöpfe waren bei ihm so angeordnet, wie die alten Weiber ihre Bohnen zu pflanzen pflegen: einer rechts, der andere links. Das linke Bein war ihm bei der letzten Kampagne angeschossen worden, daher hinkte er, und warf es so stark zur Seite, daß die Arbeit des rechten Beines dadurch fast völlig in Frage gestellt wurde. Je schneller der Polizeimeister mit seinem Fußwerk manövrierte, um so langsamer kam er von der Stelle, und daher hatte Iwan Iwanowitsch Zeit, sich in allerlei Vermutungen zu ergehen: warum der Polizeimeister zum Beispiel mit seinem Arm herumschlenkerte usw. Iwan Iwanowitsch beschäftigte sich um so mehr mit dieser Frage, als er sah, daß der Polizeimeister einen neuen Degen umgeschnallt hatte, die Angelegenheit also unzweifelhaft von großer Wichtigkeit sein mußte.

„Peter Fedorowitsch, ich habe die Ehre,“ rief Iwan Iwanowitsch, der, wie erwähnt, sehr neugierig war und seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte, als er bemerkte, daß der Polizeimeister die Veranda im Sturme nahm, obschon er noch immer zu Boden blickte und mit seinem Gehwerk in Konflikt geriet, weil er die Stufe auf keine Weise mit einem Satz erreichen konnte.

„Ich wünsche meinem liebenswürdigen Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch einen schönen guten Tag,“ antwortete der Polizeimeister.

„Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich sehe, Sie sind ermüdet. Ihr verwundetes Bein erschwert Ihnen das Gehen …“

„Mein Bein,“ schrie der Polizeimeister, und maß Iwan Iwanowitsch mit einem jener Blicke, wie ihn ein Riese auf einen Zwerg, oder ein gelehrter Pedant auf einen Tanzlehrer wirft. Hierbei streckte er das Bein aus und stampfte damit auf den Boden; aber dieser Wagemut kam ihm teuer zu stehen. Sein ganzer Körper fing an zu wanken, und er schlug mit der Nase auf das Geländer; der weise Hüter der Ordnung tat jedoch, als sei nichts geschehen, richtete sich sofort wieder auf und griff in die Tasche, als suche er seine Tabaksdose. – „Ich will Ihnen nur sagen, verehrtester Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch, daß ich in meinem Leben noch ganz andere Märsche gemacht habe. Scherz beiseite, wahrhaftig, was habe ich nicht schon für Märsche gemacht! Zum Beispiel während der Campagne von 1807 … Ich will Ihnen erzählen, wie ich einmal zu einer niedlichen Deutschen über den Zaun geklettert bin …“ Bei diesen Worten zwinkerte der Polizeimeister mit dem einen Auge, und ein teuflisches, spitzbübisches Grinsen glitt über sein Gesicht.

„Wo sind Sie denn heut schon überall gewesen?“ fragte Iwan Iwanowitsch, indem er den Polizeimeister unterbrach, denn er wollte das Gespräch möglichst schnell auf die Ursache seines Besuches lenken. Er hätte sehr gern ohne Umschweife gefragt, was der Polizeimeister ihm mitzuteilen habe, aber seine noble Lebensart führte ihm die ganze Unhöflichkeit dieser Frage vors Gemüt, und Iwan Iwanowitsch mußte sich beherrschen und ruhig die Lösung abwarten, wenngleich sein ungeduldiges Herz heftig pochte.

„Wenn Sie gestatten, will ich Ihnen erzählen, wo ich überall war,“ antwortete der Polizeimeister. „Vor allem kann ich Ihnen melden, daß heute ein herrliches Wetter ist.“

Bei diesen Worten traf Iwan Iwanowitsch fast der Schlag.

„Gestatten Sie,“ fuhr der Polizeimeister fort, „ich komme heute in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu Ihnen.“ – Hier nahm der Polizeimeister den gleichen bekümmerten Gesichtsausdruck, die gleiche Miene, und die gleiche Haltung an, wie vorhin, als er die Balkonstufe zu stürmen versuchte. Iwan Iwanowitsch erholte sich ein wenig, obgleich er wie im Fieber zitterte, und stellte scheinbar unbefangen nach seiner Art die Frage: „Was für eine wichtige Angelegenheit ist denn das … ist sie wirklich so wichtig?“

„Hören Sie … vor allem erlaube ich mir, Ihnen, verehrter Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch, zu bemerken, daß Sie … d. h. ich meinerseits, verstehen Sie wohl, ich habe nichts … aber der Standpunkt der Regierung, der Standpunkt der Regierung erheischt es … Sie haben die Polizeiverordnung verletzt.“

„Was sagen Sie, Peter Feodorowitsch? Ich verstehe kein Wort?“

„Ich bitte Sie, Iwan Iwanowitsch, wie können Sie denn das nicht verstehen! Ihr eigenes Tier hat ein sehr wichtiges amtliches Schriftstück gestohlen, und Sie wollen noch behaupten, Sie verständen kein Wort?“

„Was für ein Tier?“

„Mit Erlaubnis zu sagen: Ihr eigenes braunes Schwein.“

„Ja, bin ich denn schuld daran? Warum lassen die Gerichtsdiener die Tür offen?“

„Aber Iwan Iwanowitsch, es ist doch Ihr eigenes Tier! Also sind Sie doch verantwortlich!“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden, daß Sie mich mit einem Schwein identifizieren.“

„Bitte, das habe ich durchaus nicht gesagt, Iwan Iwanowitsch. Bei Gott, das habe ich nicht gesagt: Bitte urteilen Sie selbst nach Ihrem eigenen Gewissen. Es ist Ihnen zweifellos bekannt, daß es nach den amtlichen Vorschriften unreinen Tieren verboten ist, in der Stadt und vor allem in wichtigsten Verkehrsstraßen zu promenieren. Sie müssen doch selbst zugeben, daß so etwas streng verboten ist.“

„Herrgott, was Sie zusammenreden! Eine große Sache, wenn ein Schwein einmal auf die Straße läuft!“

„Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken, Iwan Iwanowitsch, gestatten Sie … gestatten Sie, – das ist eben ganz unmöglich! Was ist da zu machen. Die Obrigkeit will es so – und wir müssen gehorchen. Ich widerspreche nicht, es kommt vor, daß Hühner und Gänse in den Straßen, oder sogar auf den Plätzen herumlaufen – aber wohl bemerkt: Hühner und Gänse. Ich habe doch noch im vorigen Jahr die Verordnung erlassen, daß Schweine und Ziegen auf den öffentlichen Plätzen nicht geduldet werden dürfen, und ich habe diese Verordnung in der Versammlung öffentlich und vor allem Volke laut vorlesen lassen.“

„Nein, Peter Fedorowitsch, ich kann hierin nur eins sehen: daß Sie mich durchaus beleidigen wollen.“

„Nein, nein, das dürfen Sie nicht sagen, daß ich Sie beleidigen will, verehrter Freund und Gönner. Erinnern Sie sich doch gefälligst: ich habe kein Wort gesagt, als Sie im vorigen Jahr Ihr Dach um eine Arschin höher setzen ließen, als das gesetzliche Maß es erlaubt. Im Gegenteil, ich tat, als bemerkte ich nichts davon. Glauben Sie nur, Verehrtester, daß ich auch jetzt – sozusagen vollkommen … aber meine Pflicht, oder … mit einem Wort mein Amt fordert, daß ich auf Reinlichkeit halten muß. Urteilen Sie doch selbst, wenn plötzlich auf der Hauptstraße …“

„Auch was Schönes – diese Ihre Hauptstraße! Wo die alten Weiber allen Unrat hinwerfen, den sie nicht brauchen können.“

„Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, Iwan Iwanowitsch, daß Sie es sind, der mich beleidigt. Es ist wahr, es geschieht manchmal, aber doch nur in der Nähe von Zäunen, Speichern oder Kammern; aber daß sich eine trächtige Sau auf die Hauptstraße, oder auf den Platz hinauswagt, das ist so eine Sache …“

„Was ist denn dabei, Peter Feodorowitsch! Ein Schwein ist doch auch ein Geschöpf Gottes.“

„Zugegeben. Alle Welt weiß, daß Sie ein gelehrter Mann sind. Sie kennen die Wissenschaften und viele andere Dinge. Ich habe mich natürlich nicht mit den Wissenschaften befaßt; das Schnellschreiben habe ich erst mit dreißig Jahren gelernt. Wie Sie wissen, war ich Gemeiner.“

„Hm,“ sagte Iwan Iwanowitsch.

„Ja,“ fuhr der Polizeimeister fort, „im Jahre 1801 war ich Leutnant der 4. Kompagnie im 42. Jägerregiment. Unser Kommandant war, wie Sie vielleicht wissen, ein gewisser Hauptmann Jeremeew.“ Hierbei senkte der Polizeimeister seine Finger in die Tabaksdose, welche Iwan Iwanowitsch ihm hinhielt, und zerrieb den Tabak zwischen den Händen.

„Hm,“ erwiderte Iwan Iwanowitsch.

„Aber es ist meine Pflicht, mich den Forderungen der Obrigkeit zu unterwerfen,“ fuhr der Polizeimeister fort. „Wissen Sie auch, Iwan Iwanowitsch, daß die Entwendung eines amtlichen Schriftstückes, genau so wie jegliches andere Verbrechen, vor das Kriminalgericht gehört?“

„Das weiß ich so gut, daß ich Ihnen, wenn Sie wünschen, sogar einen Vortrag darüber halten könnte. Aber das bezieht sich auf Menschen, so z. B. wenn Sie ein Dokument gestohlen hätten. Aber ein Schwein – ein Tier, ein Geschöpf Gottes …“

„Sie mögen recht haben, aber das Gesetz lautet: der des Diebstahls Schuldige – ich bitte Sie genauer hinzuhören. – Der Schuldige! Hier ist weder vom Stand, noch von der Gattung, noch vom Geschlecht die Rede, also kann auch ein Tier der Schuldige sein. Aber wie Sie wollen, das Tier muß bis zur Verkündigung des Urteils als Ruhestörer der Polizei ausgeliefert werden.“

„Nein, Peter Feodorowitsch, das wird nun nicht geschehen,“ sagte Iwan Iwanowitsch kaltblütig.

„Wie Sie meinen, ich muß mich jedoch an die Vorschriften der Regierung halten.“

„Wie? Sie drohen mir! Sie wollen wahrscheinlich den einarmigen Soldaten herschicken, um es holen zu lassen. Ich werde meiner Magd befehlen, ihm mit der Ofenzange heimzuleuchten, die wird ihm auch noch seine gesunde Hand entzweischlagen!“

 

„Ich will nicht mit Ihnen streiten. Falls Sie der Polizei das Schwein nicht auszuliefern gedenken, so tun Sie mit ihm, was Ihnen beliebt; schlachten Sie es meinetwegen zu Weihnachten, machen Sie Schinken daraus, oder verzehren Sie es. Ich möchte Sie jedoch bitten, falls Sie Würste daraus machen sollten, mir ein paar von der Sorte zu schicken, die Ihre Gapka so kunstvoll aus Blut und Schmalz zuzubereiten versteht. Meine Agrafjena Trifonowna mag sie so gern.“

„Mit Vergnügen; ein paar Würste will ich Ihnen gern schicken.“

„Sie werden mich sehr zu Danke verpflichten, verehrter Freund und Gönner. Jetzt gestatten Sie mir jedoch, Ihnen noch ein Wort zu sagen. Ich habe von allen unseren Bekannten und vom Richter den Auftrag, Sie sozusagen mit Ihrem Freunde Iwan Nikiforowitsch zu versöhnen.“

„Was, mit diesem ungebildeten Menschen! Ich soll mich mit diesem Grobian versöhnen! Niemals! Das wird nie geschehen! Das wird nie geschehen!“ Iwan Iwanowitsch befand sich in einer sehr entschlossenen Stimmung.

„Wie Sie wünschen,“ antwortete der Polizeimeister, und regalierte jedes Nasenloch mit einer Prise, „ich wage nicht, Ihnen einen Rat zu geben, aber erlauben Sie mir, zu bemerken: jetzt sind Sie verfeindet, aber wenn Sie sich versöhnen …“

Allein Iwan Iwanowitsch begann von der Wachteljagd zu erzählen, was er gewöhnlich tat, wenn er das Gesprächsthema wechseln wollte. Und so mußte der Polizeimeister unverrichteter Sache abziehen.

Sechstes Kapitel
Aus welchem der Leser alles erfahren kann, was es enthält

Wie sehr man auch im Gericht die Tatsache geheim zu halten suchte: es half nichts, am nächsten Tag schon wußte ganz Mirgorod, daß Iwan Iwanowitschs Schwein Iwan Nikiforowitschs Eingabe gestohlen hatte. Der Polizeimeister selbst war der erste, dem das Geheimnis in einem unbewachten Augenblicke entschlüpfte. Als man es Iwan Nikiforowitsch erzählte, sagte er weiter nichts als: „war es vielleicht das braune?“

Aber Agafja Fedossiewna, die gerade anwesend war, fiel über Iwan Nikiforowitsch her. „Was fällt dir ein, Iwan Nikiforowitsch? Wie wird man dich auslachen! Wie wird man sich über deine Dummheit lustig machen, wenn du dazu schweigst! Und du willst ein Edelmann sein! Du wärst ja schlimmer als das alte Weib, welche die Honigkuchen verkauft, die du so gern ißt!“ Und die Unermüdliche ließ nicht eher nach, als bis sie ihn überredet hatte. Sie trieb irgendwo einen Menschen in mittleren Jahren auf: einen brünetten Herrn, voller Flecken im Gesicht, in einem dunkelblauen Rock und mit geflickten Ärmeln – einen rechten Tintenkuli und Winkelkonsulenten. Dieser Mensch schmierte seine Stiefeln mit Teer, hatte immer drei Federn hinterm Ohr und trug eine mit einem Schnürchen befestigte Glasblase am Knopfe, welche er als Tintenfaß benutzte. Er aß neun Pasteten auf einen Sitz und steckte die zehnte ein, dabei war er imstande, so viel Verleumdungen auf einen Stempelbogen zu schreiben, daß kein Schreiber es fertig brachte, sie in einem Zug herunter zu lesen, ohne dazwischen mehrmals zu husten und zu niesen. Dieses kleine, menschenähnliche Wesen wühlte überall herum, strengte sich aus Leibeskräften an, und braute endlich folgendes Schriftstück zusammen:

„An das Kreisgericht zu Mirgorod von dem Edelmann Iwan, Nikiforows Sohn, Dowgotschun.“

„Betreffend der von mir, dem Edelmann Iwan Nikiforows Sohn, Dowgotschun, eingereichten Eingabe gegen den Edelmann Iwan Iwans Sohn, Pererepenko, welche das Kreisgericht zu Mirgorod anzunehmen sich bereit erklärt hat: Jenes freche, eigenmächtige Verfahren des braunen Schweins, ist trotz der Geheimhaltung zu fremder Leute Ohren gedrungen. Diese Unterlassungssünde aber und diese Nachsicht erfordert, als böswillig, und beabsichtigt, ein unverzügliches Eingreifen der Gerichte, denn jenes Schwein ist ein unvernünftiges Tier, und daher um so eher zum straflosen Raub von Dokumenten geeignet. Hieraus geht klar hervor, daß das oft genannte Schwein nicht anders als von dem Gegner, dem sogenannten Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, der schon häufig des Raubes, des Trachtens nach dem Leben anderer und der Gotteslästerung überführt wurde, dazu angestiftet worden ist. Aber das Gericht zu Mirgorod hat mit der ihm eigenen Parteilichkeit für seine Person sein geheimes Einverständnis zu erkennen gegeben, da ohne dieses Einverständnis jenes Schwein nicht zur Entwendung des Dokumentes zugelassen werden konnte, insbesondere da das Mirgoroder Kreisgericht mit Amtsdienern wohl versehen ist: hierfür genügt es als Beweis zu erwähnen, daß sich zu jeder Zeit ein Soldat im Empfangszimmer befindet, der, obwohl er ein schielendes Auge und eine etwas verkrüppelte Hand hat, durchaus dazu geeignet ist, ein Schwein mit einem Knittel zu schlagen und davonzujagen. Aus allem diesen geht die zu große Nachsicht des Gerichts von Mirgorod, sowie die unzweifelhafte, jüdische Teilung eines Vorteils auf Grund gemeinschaftlichen Übereinkommens hervor. Jener oben erwähnte Räuber und Edelmann, Iwan Iwans Sohn Pererepenko, hat, nachdem er sich dergestalt entehrt hat, im Vertrauen hierauf diese Affäre in Szene gesetzt. Daher bringe ich, der Edelmann Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun, dem Kreisgerichte zur Kenntnis, daß, falls jenem Schwein oder dem mit ihm in Einverständnis handelnden Edelmann Pererepenko die genannte Eingabe nicht abverlangt, und das Urteil nicht nach Recht und Gerechtigkeit zu meinem Gunsten gesprochen wird, ich, der Edelmann Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun, fest entschlossen bin, dem Appellationsgericht eine Klage wider jenes Gericht als wegen gesetzwidriger Beihilfe einzureichen, mit der in gebührender Form vorgebrachten Bitte um Desolvierung der Sache zur Revision.

Der Edelmann des Mirgoroder Kreises Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun.“

Dieses Schriftstück tat seine Wirkung. Der Richter gehörte, wie alle gutmütigen Menschen, zu der ängstlichen Brüderschaft. Er wandte sich an den Sekretär. Aber der Sekretär öffnete seine dicken Lippen, stieß nur ein „Hm“ hervor, … und sein Gesicht nahm jene gleichgültige, teuflisch-zweideutige Miene an, mit der etwa Satan eins seiner Opfer betrachtet, das ihm ins Garn ging und sich hilflos zu seinen Füßen windet. Es blieb nur noch ein Mittel übrig: die beiden Feinde zu versöhnen. Aber wie sollte man das anfangen, da bisher alle Versuche erfolglos geblieben waren. Man beschloß immerhin noch einen letzten Versuch zu machen, aber Iwan Iwanowitsch erklärte kurz und bündig: er wolle nicht, und wurde sogar ernstlich böse. Iwan Nikiforowitsch kehrte dem Vermittler statt einer Antwort den Rücken und sagte kein Wort. So ging denn der Prozeß mit der bekannten Geschwindigkeit, durch welche sich die Gerichte auszeichnen, vorwärts. Das Papier wurde abgestempelt, in die Listen eingetragen, numeriert, geheftet und unterschrieben, und dies alles geschah an ein und demselben Tage; dann wurde es endlich in den Schrank gelegt, und blieb ein, zwei, drei Jahre usw. liegen. Viele Bräute fanden Zeit, ihre Hochzeit zu feiern, in Mirgorod wurde eine neue Straße angelegt, der Richter verlor einen Backenzahn und zwei Schneidezähne, auf Iwan Iwanowitschs Hof liefen noch mehr Kinder herum als früher (Gott allein weiß, wo sie herkamen), Iwan Nikiforowitsch baute Iwan Iwanowitsch zum Trotz einen neuen Gänsestall, der sich freilich in einiger Entfernung von der Stelle befand, auf der der frühere gestanden hatte, ja er verbaute sich ganz gegen Iwan Iwanowitsch, so daß diese würdigen Männer sich fast nie mehr von Angesicht zu Angesicht sahen: die Prozeßakten aber lagen noch immer in schönster Ordnung im Schrank, der von den vielen Tintenklexen allmählich ganz marmoriert wurde.

Unterdessen aber trat ein für ganz Mirgorod äußerst wichtiges Ereignis ein: der Polizeimeister gab eine Assemblee. Wo nehme ich Pinsel und Farben her, um die ganze Großartigkeit der Auffahrt, den Glanz und die Pracht des Festmahls zu schildern. Nehmen Sie eine Uhr, öffnen Sie sie und sehen Sie sich an, was darin vorgeht. Nicht wahr, das ist ein furchtbares Durcheinander? Und nun stellen Sie sich vor, daß ebenso viele, wenn nicht noch viel mehr Räder auf dem Hofe des Polizeimeisters nebeneinander standen. Was gab es da nicht für Wagen und Kutschen! Die einen hinten ganz breit und vorne schmal, die andern vorn breit und hinten schmal; die eine war eine leichte Kalesche und zugleich ein schwerer Lastwagen, die andere weder Kalesche noch Lastwagen, die eine glich einem gewaltigen Heuschober oder einer dicken Kaufmannsfrau, die andere einem flinken Juden oder einem Skelett, das sich noch nicht ganz aus seiner Haut gelöst hat. Die einen sahen im Profil geradezu aus wie eine Pfeife mit einem Pfeifenrohr, und andere ließen sich wieder überhaupt mit garnichts vergleichen, sondern waren ganz seltsame Gebilde von furchtbarer Häßlichkeit und außerordentlich phantastischen Formen. Über dieses Chaos von Rädern und Kutschböcken erhob sich eine besondere Art von Wagen; er hatte ein riesengroßes Fenster, das von einem dicken Querholz durchkreuzt war. Die Kutscher in Kosakenröcken, grauen Bauernkitteln und – Jacken, mit den verschiedensten Schaffell- und andern Mützen führten, mit der Pfeife im Munde, ihre ausgespannten Pferde im Hofe herum. Nein, was war das für eine herrliche Assemblee, die der Polizeimeister gab! Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Namen aller Anwesenden aufzähle: Taraß Tarassowitsch, Jewil Akinfowitsch, Ewtichij Ewtichijewitsch, Iwan Iwanowitsch (nicht der bekannte Iwan Iwanowitsch, sondern ein anderer), Sawa Gawrilowitsch, unser Iwan Iwanowitsch, Eleutherij Eleutheriewitsch, Makar Nazarjewitsch, Thomas Grigorjewitsch … nein, ich kann nicht weiter, ich habe keine Kraft mehr. Und wieviel Damen da waren! – brünette und weißwangige, lange und kurze, so dicke wie Iwan Nikiforowitsch und so magere, daß man meinte, sie in die Degenscheide des Polizeimeisters stecken zu können. Und wieviel verschiedene Hauben, wie viele Kleider es da gab! rote, gelbe, kaffeebraune, grüne, blaue, neue, gewendete, umgearbeitete – und dann diese Bänder, Tücher, Ridicules! Ade, ihr armen Augen! Nach diesem Schauspiel werdet ihr zu nichts mehr fähig sein. Und welch lange Tafel da gedeckt war! Wie alles durcheinander schwatzte! Welch ein Lärm sich überall erhob! Was ist eine Mühle mit all ihren Mühlsteinen, Rädern und ihrem Stampfwerk dagegen! Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wovon man sprach, aber man darf annehmen, daß von vielen angenehmen und nützlichen Dingen die Rede war: vom Wetter, von Hunden, von Weizen, Hauben, Hengsten u. s. w. Endlich, sagte Iwan Iwanowitsch – nicht unser Iwan Iwanowitsch, sondern der andere, der mit dem schielenden Auge: „Es wundert mich sehr, daß mein rechtes Auge (der schielende Iwan Iwanowitsch ironisierte sich immer selbst), Iwan Nikiforowitsch, Herrn Dowgotschchun nicht sieht.“

„Er wollte nicht kommen,“ sagte der Polizeimeister.

„Warum denn nicht?“

„Herrgott, es sind schon bald zwei Jahre, daß sich Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch entzweit haben, und wo der eine ist, geht der andere auf keinen Fall hin.“

„Was Sie sagen!“ Hierbei erhob der schielende Iwan Iwanowitsch seinen Blick gen Himmel und faltete die Hände: „Was soll nur werden, wenn auch die Leute mit gesunden Augen sich nicht mehr vertragen wollen. Wie soll ich mit meinem schielenden Auge in Frieden leben!“ Bei diesen Worten lachten alle aus vollem Halse. Der schielende Iwan Iwanowitsch war sehr beliebt, weil er immer Witze machte, die dem damaligen Zeitgeschmack angepaßt waren. Sogar der große dürre Herr im Friesrock und mit dem Pflaster auf der Nase, der bisher unbeweglich in der Ecke gesessen und keine Miene verzogen hatte – auch da nicht, als ihm eine Fliege in die Nase flog – sogar dieser Herr stand jetzt auf, und näherte sich dem Kreise, der sich um den schielenden Iwan Iwanowitsch gebildet hatte. „Hören Sie,“ sagte der schielende Iwan Iwanowitsch, als er sah, daß der Kreis um ihn herum genügend groß war, „hören Sie, statt daß Sie sich jetzt an meinem schielenden Auge ergötzen, wollen wir doch lieber unsere beiden Freunde versöhnen! Iwan Iwanowitsch unterhält sich gerade mit den Frauensleuten … wollen wir doch heimlich nach Iwan Nikiforowitsch schicken und die beiden zusammenführen?“

Der Vorschlag Iwan Iwanowitschs wurde einstimmig angenommen; man beschloß, sofort nach Iwan Nikiforowitsch zu schicken und ihn zum Polizeimeister zu Tisch zu bitten, es koste, was es wolle. Aber vorher gab es noch eine wichtige Frage zu lösen: wen sollte man mit diesem verantwortungsvollen Auftrag betrauen? Das brachte alle in Verlegenheit. Lange wurde hin und her gestritten, wer wohl für derartige diplomatische Missionen am geeignetsten sei: endlich aber wurde einstimmig beschlossen, Anton Prokofjewitsch Golopuß zu diesem Zwecke zu entsenden.

 

Doch ich muß den Leser zuvor mit dieser außerordentlichen Persönlichkeit bekannt machen. Anton Prokofjewitsch war ein vollkommen tugendhafter Mensch in des Wortes höchster Bedeutung. Schenkte ihm einer der Mirgoroder Honoratioren ein Halstuch oder ein Paar Unterhosen, so bedankte er sich; gab ihm jemand einen Nasenstüber, so bedankte er sich gleichfalls. Fragte man ihn: „Anton Prokofjewitsch, warum haben Sie einen braunen Rock mit hellblauen Ärmeln an?“ so antwortete er gewöhnlich: „Sie haben ja nicht einmal einen solchen! Warten Sie, wenn er etwas abgetragen ist, wird sich schon alles ausgleichen.“ Und tatsächlich: mit der Zeit begann das hellblaue Tuch unter dem Einfluß der Sonne braun zu werden, und jetzt paßt es schon ganz gut zu der Farbe des Rocks. Was aber am bemerkenswertesten war, war dies, daß Anton Prokofjewitsch die Angewohnheit hatte, im Sommer Tuch- und im Winter Nankinganzüge zu tragen. Anton Prokofjewitsch besitzt kein eigenes Haus. Einst besaß er eins am Ende der Stadt, aber er verkaufte es, erstand sich für den Erlös drei braune Pferde und einen kleinen Wagen, und fuhr von einem Gutsbesitzer zum andern zu Besuch. Aber da die Pferde ihm doch viel Umstände machten, und er in einem fort Geld für Hafer brauchte, so tauschte Anton Prokofjewitsch sie gegen eine Geige, ein Dienstmädchen und fünfundzwanzig Rubel ein. Die Geige verkaufte er später wieder, und das Mädchen tauschte er gegen einen Saffiantabaksbeutel ein – aber dafür hat er jetzt auch einen Tabaksbeutel wie kein zweiter. Allerdings mußte er diesen Genuß teuer erkaufen: er kann nun nicht mehr von einem Dorf ins andere fahren, er muß in der Stadt bleiben und in den verschiedensten Häusern, gewöhnlich bei Edelleuten, übernachten, denen es Spaß macht, ihm Nasenstüber zu geben. Anton Prokofjewitsch liebt es, gut zu essen, und spielt recht gut Schafskopf oder auch Mühle. Es war immer seine Art, sich unterzuordnen, und darum ergriff er auch jetzt Stock und Mütze, und machte sich ohne weiteres auf den Weg.

Unterwegs überlegte er sichs, wie er Iwan Nikiforowitsch bewegen könnte, die Assemblee zu besuchen. Die schroffe Art des sonst gewiß würdigen Mannes, machte sein Unternehmen fast zu einer Unmöglichkeit. Wie sollte sich auch Iwan Nikiforowitsch dazu entschließen, da ihm doch schon das bloße Aufstehen soviel Mühe machte? Aber angenommen selbst, daß er aufstünde, wie sollte er dahin gehen wollen, wo – und das wußte er zweifellos – wo sein unversöhnlicher Feind sich befand? Je länger Anton Prokofjewitsch darüber nachdachte, um so mehr Hindernisse türmten sich auf. Es war ein schwüler Tag, die Sonne brannte vom Himmel herab, Anton Prokofjewitsch war wie in Schweiß gebadet. Obschon er oft Nasenstüber bekam, war er in mancherlei Hinsicht ein gewiegter Mensch (nur beim Tauschen hatte er manchmal Unglück). Er wußte sehr gut, wann man den Narren spielen mußte, und fand sich mitunter in Situationen und Verhältnissen zurecht, in denen selbst ein Kluger sich keinen Rat gewußt hätte.

Während sein erfinderischer Geist nach Mitteln und Wegen suchte, Iwan Nikiforowitsch zu überreden, gelangte Anton Prokofjewitsch allmählich bis ans Haus und wollte schon mutig der Entscheidung entgegengehen, als ihn ein ganz unvorhergesehener Umstand ein wenig in Verlegenheit brachte. Hier ist es übrigens am Platz, dem Leser die Mitteilung zu machen, daß Anton Prokofjewitsch unter anderm auch ein Paar recht merkwürdige Hosen besaß; sobald er dieses Paar trug, bissen ihn die Hunde immer in die Waden. Unglücklicherweise mußte er gerade heute diese Hosen anhaben. Er war noch ganz in Gedanken vertieft, als ihn plötzlich ein fürchterliches Hundegebell aufschreckte, das von allen Seiten an sein Ohr schlug. Anton Prokofjewitsch begann so zu schreien, (lauter als er kann man überhaupt garnicht schreien), daß nicht nur das bekannte alte Weib und der Besitzer des unförmlichen Rocks ihm entgegenliefen, sondern auch die Jungens aus Iwan Iwanowitschs Hause hinzugerannt kamen. Und obgleich die Hunde nur Zeit gehabt hatten, nach einem seiner Beine zu schnappen, setzte doch dies Anton Prokofjewitschs Mut beträchtlich herab, und so trat er denn mit einer gewissen Befangenheit in den Flur.