Za darmo

Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

Tekst
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Viertes Kapitel
Was sich vorm Mirgoroder Kreisgericht für eine Szene abspielte

Welch eine herrliche Stadt ist doch Mirgorod! Was gibt es da nicht für Gebäude, mit Stroh-, Schilf- und sogar mit Holzdächern! Rechts eine Straße, links eine Straße; überall wundervolle, von Hopfen umschlungene Zäune, auf denen hie und da Töpfe hängen; Sonnenblumen strecken ihre sonnenähnlichen Köpfe über sie hinweg, roter Mohn und schwellende Kürbisse … eine wahre Pracht. Die Zäune sind stets mit allerhand Gegenständen geschmückt – einem ausgespannten Unterrock, einem Hemd, oder einem paar Hosen – die sie noch malerischer erscheinen lassen. In Mirgorod gibt es weder Diebe noch Gauner, und daher hängt dort jeder hin, was ihm einfällt. Wenn Sie einmal den Marktplatz besuchen, so werden Sie sicher einen Augenblick stehen bleiben, um sich an dem Bild zu erfreuen; Sie bemerken da eine Pfütze – eine ganz wunderbare Pfütze. Eine Pfütze, wie Sie sie vorher noch nie gesehen haben! Sie erstreckt sich fast über den ganzen Platz. Eine herrliche Pfütze! Die Häuser und Häuserchen, welche um sie herum stehen, und die man von fern für Heuschober halten könnte, sind ganz in Bewunderung der Schönheit dieses Gewässers versunken.

Das schönste Haus in der Stadt ist aber nach meiner Ansicht das Kreisgericht. Es kümmert mich nicht im mindesten, ob es aus Eichen- oder Birkenholz gebaut ist, aber – meine Herrschaften – es hat acht Fenster! Acht Fenster Front auf den Platz und auf die Wasserfläche hinaus, die ich eben erwähnte, und die der Polizeimeister einen See nennt. Es ist das einzige Haus, welches mit brauner Granitfarbe angestrichen ist; alle andern Häuser in Mirgorod sind ganz einfach geweißt. Das Dach ist aus Holz und wäre sogar auch rot angestrichen worden, wenn die Kanzleidiener nicht das dazu bestimmte Öl mit Zwiebeln angerichtet und aufgegessen hätten, weil es gerade Fastenzeit war. Und so blieb das Dach ungestrichen. Das Haus hat eine Veranda, die auf den Platz hinausführt; auf dieser sieht man oft „Hühner“ herumspazieren, denn meist ist Grütze oder sonst etwas Eßbares auf dem Boden verstreut, was übrigens nicht mit Absicht geschieht, sondern eher eine Folge der Unvorsichtigkeit der Klienten ist. Das Haus ist in zwei Teile geteilt: in der einen Hälfte befindet sich die Kanzlei und in der andern das Arrestlokal. In der Hälfte, wo die Kanzlei liegt, gibt es zwei reine, schön getünchte Zimmer: das eine ist leer und dient als Vorraum für die Klienten, das andere enthält einen mit Tintenklexen verzierten Tisch, auf dem sich ein Spiegel befindet; außerdem stehen noch vier Eichenstühle mit hohen Lehnen darin, und an den Wänden ein paar eisenbeschlagene Kisten, in denen Stöße von Protokollen aufbewahrt werden. Damals stand gerade auf einer dieser Kisten ein frisch gewichster Stiefel.

Die Sitzung hatte schon früh morgens begonnen. Der Richter, ein wohlbeleibter Herr, der freilich nicht ganz so dick war wie Iwan Nikiforowitsch, hatte ein gutmütiges Gesicht und trug einen schmierigen Schlafrock. Er rauchte aus seinem Pfeifchen, trank Tee und unterhielt sich mit dem Gerichtsschreiber. Sein Mund befand sich dicht unter seiner Nase, und daher konnte er die Oberlippe nach Herzenslust beschnüffeln. Diese Oberlippe diente ihm als Tabaksdose, da der Tabak, obgleich für die Nase bestimmt, gewöhnlich auf die Lippe herunterfiel und da liegen blieb. – Wie gesagt, der Richter unterhielt sich mit dem Gerichtsschreiber. Etwas seitwärts stand ein barfüßiges Mädchen, das ein Tablett mit Tassen in der Hand hielt. Am Ende des Tisches las der Sekretär einen Gerichtsbeschluß vor, aber mit so monotoner, trübseliger Stimme, daß sogar der Angeklagte eingeschlafen wäre, wenn er ihm zugehört hätte. Dem Richter wäre es zweifellos schon eher passiert, wenn er nicht gerade in ein interessantes Gespräch vertieft gewesen wäre.

„Ich habe mich absichtlich bemüht, herauszubekommen,“ sagte der Richter, indem er seinen schon ein wenig abgekühlten Tee schlürfte, „wie man das macht, daß sie so hübsch singen. Ich hatte vor zwei Jahren eine prachtvolle Drossel. Und was denken Sie wohl, plötzlich war sie ganz verdorben, und begann, weiß Gott wie zu singen, immer schlechter, schlechter und schlechter … Sie fing an, zu schnarchen und zu krächzen – rein um sie fortzuwerfen. Dabei hing die ganze Geschichte mit einer Kleinigkeit zusammen. Wissen Sie, woher das kommt? An der Kehle bildet sich ein Bläschen, nicht größer als eine kleine Erbse. Dieses Bläschen muß man bloß mit einer Nadel aufstechen. Sachar Prokoffjewitsch hat es mich gelehrt, nämlich … wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen, wie das war. Ich komme also zu ihm …“

„Demian Demianowitsch, soll ich jetzt die andere Sache vorlesen?“ unterbrach hier der Sekretär, der schon seit einigen Minuten mit seiner Vorlesung zu Ende war, die Unterhaltung.

„Sind Sie schon fertig? Denken Sie bloß! Wie schnell das geht! Ich habe kein Wort gehört. Ja wo ist sie denn? Geben Sie her, ich will gleich unterschreiben. Haben Sie noch etwas?“

„Die Sache des Kosaken Bokitka wegen der gestohlenen Kuh.“

„Gut, lesen Sie! – Also ich komme zu ihm … ich kann Ihnen sogar ganz ausführlich erzählen, was er mir alles vorgesetzt hat. Zum Schnaps wurde ein großartiger Stör gereicht. Ja, das war nicht solch ein Stör (hier schnalzte der Richter mit der Zunge, schmunzelte, zog die Oberlippe in die Höhe und sog den Duft, aus seiner immer bereit stehenden Tabaksdose ein) wie ihn unser Störladen hier liefert. Den Hering habe ich nicht gegessen, – Sie wissen ja, er verursacht mir immer Sodbrennen, hier unterm Herzen; dafür entschädigte ich mich beim Kaviar; ein herrlicher Kaviar! Wirklich, das muß ich sagen: ein herrlicher Kaviar! Dann trank ich einen Pfirsichschnaps, der auf Tausendgüldenkraut abgesetzt war. Es war auch noch Safranschnaps da – aber Sie wissen ja, Safranschnaps mag ich nicht. Verstehen Sie mich auch richtig.

Dieser Schnaps ist sehr gut zu Anfang, um den Appetit zu reizen, wie man zu sagen pflegt, und dann wieder als Abschluß … Ah! aber was höre ich, was sehen meine Augen …“ schrie der Richter plötzlich auf, als er den eben eintretenden Iwan Iwanowitsch erblickte.

„Grüß Gott! Alles Gute über Sie,“ sagte Iwan Iwanowitsch und grüßte mit der ihm eigenen Zuvorkommenheit nach allen Seiten. Mein Gott, wie wußte er alle durch seine Umgangsformen zu bezaubern! Eine solche Formsicherheit habe ich sonst bei niemandem gefunden. Er war sich aber auch durchaus seiner Würde voll bewußt und nahm die allgemeine Hochachtung als etwas Selbstverständliches hin. Der Richter bot Iwan Iwanowitsch höchst eigenhändig seinen Stuhl an und sog dabei allen Tabak von der Oberlippe ein, was bei ihm stets ein Zeichen großer Zufriedenheit war.

„Was kann ich Ihnen anbieten, Iwan Iwanowitsch,“ fragte er. „Wünschen Sie eine Tasse Tee?“

„Verbindlichen Dank, nein,“ antwortete Iwan Iwanowitsch, machte eine Verbeugung und setzte sich.

„Aber ich bitte Sie, ein Täßchen,“ wiederholte der Richter.

„Nein, danke, danke bestens für Ihre Gastfreundlichkeit!“ antwortete Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung und setzte sich wieder.

„Eine einzige Tasse,“ wiederholte der Richter.

„Nein, bitte, inkommodieren Sie sich nicht, Demian Demianowitsch!“ Dabei verbeugte sich Iwan Iwanowitsch wieder und setzte sich.

„Ein Täßchen?“

„Nun, denn, meinetwegen, ein Täßchen,“ sagte Iwan Iwanowitsch und streckte die Hand nach dem Teebrett aus.

Himmel! Welch eine Fülle von feinstem Takt besitzt doch mitunter ein Mensch! Es ist nicht zu sagen, welch angenehmen Eindruck solche Umgangsformen machen.

„Befehlen Sie noch ein Täßchen!“

„Herzlichen Dank,“ erwiderte Iwan Iwanowitsch, indem er die umgestülpte Tasse auf das Teebrett zurücksetzte und sich verbeugte.

„Bitte bedienen Sie sich doch, Iwan Iwanowitsch.“

„Ich kann nicht – verbindlichsten Dank.“ Hierbei machte Iwan Iwanowitsch eine Vorbeugung und setzte sich wieder.

„Iwan Iwanowitsch, tun Sie mir den Gefallen! Nur ein Täßchen!“

„Nein, haben Sie vielen Dank für Ihre Gastfreundlichkeit.“ Hierbei erhob er sich, machte eine Verbeugung und setzte sich.

„Nur ein Täßchen! Ein einziges Täßchen!“

Iwan Iwanowitsch streckte seine Hand nach dem Teebrett aus und nahm eine Tasse.

Weiß der Teufel, wie dieser Mann es verstand, seine Würde zu wahren!

„Demian Demianowitsch,“ sagte Iwan Iwanowitsch, indem er den Rest aus seiner Tasse schlürfte, „ich habe ein wichtiges Anliegen – ich will eine Klage einreichen.“ Hierbei stellte Iwan Iwanowitsch die Tasse hin und zog einen voll beschriebenen Stempelbogen aus der Tasche. „Eine Klage gegen meinen Feind, meinen Todfeind!“

„Gegen wen denn?“

„Gegen Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun.“

Bei diesen Worten fiel der Richter fast vom Stuhle. „Was sagen Sie?“ rief er aus und schlug die Hände zusammen. „Iwan Iwanowitsch, was ist Ihnen? Sind Sie es, der das spricht?“

„Sie sehen doch selbst, daß ich es bin!“

„Gott und alle Heiligen schützen Sie! Wie? Sie! Iwan Iwanowitsch, ein Feind von Iwan Nikiforowitsch? So etwas kommt über Ihre Lippen? Wiederholen Sie das noch einmal! Hat sich vielleicht jemand hinter Ihren Rücken versteckt und spricht für Sie?“

„Was ist denn so Unwahrscheinliches daran? Ich kann ihn nicht mehr sehen. Er hat mich tödlich beleidigt! Er hat meine Ehre verletzt!“

„Heilige Dreieinigkeit! Wie soll ich das bloß meiner Mutter beibringen! Wenn ich mich mit meiner Schwester zanke, sagt die Alte täglich: Kinder ihr lebt ja zusammen wie Hund und Katze, nehmt euch doch ein Beispiel an Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch, das sind einmal Freunde; ja das sind echte, wahre Freunde und Ehrenmänner! Da haben wir es – schöne Freunde das! Aber erzählen Sie doch – was ist geschehen! Was ist los?“

„Das ist eine delikate Sache, Demian Demianowitsch; mit Worten kann man so etwas gar nicht wiedergeben, lassen Sie sich lieber meine Klage vorlesen. Bitte fassen Sie sie hier an – von dieser Seite: es ist so vornehmer.“

 

„Bitte lesen Sie vor, Taraß Tichonowitsch,“ sagte der Richter und wandte sich an den Sekretär.

Taraß Tichonowitsch nahm die Bittschrift in Empfang, schnaubte sich mit Hilfe zweier Finger die Nase (so machen es nämlich alle Sekretäre in den Kreisgerichten) und begann zu lesen.

„Der Edelmann und Gutsbesitzer des Mirgoroder Kreises Iwan Iwanowitsch Pererepenko, erlaubt sich folgende Eingabe an das Gericht zu machen. Der Anlaß dazu ist in folgenden Punkte enthalten:

1) Der aller Welt durch seine gottlosen, jedermann zur Wut reizenden, alles Maß übersteigenden, gesetzwidrigen Handlungen bekannte Edelmann: Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun hat mich am 7. Tage des Monats Juli 1810 tödlich beleidigt, indem er sowohl meine persönliche Ehre angegriffen, als auch die Würde meines Standes und meiner Familie herabzusetzen und zu demütigen getrachtet hat. Dabei hat genannter Edelmann selbst ein garstiges Äußeres, einen zänkischen Charakter und steckt voller Gotteslästerungen und persönlicher Schimpfworte.“

Hier hielt der Vorleser einen Moment inne, um sich wieder zu schneuzen, der Richter aber kreuzte voller Bewunderung die Arme und murmelte vor sich hin: „Was für eine gewandte Feder! Herrgott, wie der Mann schreibt!“

Iwan Iwanowitsch bat den Schreiber, weiter zu lesen, und Taraß Tichonowitsch fuhr fort: „Genannter Edelmann, Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun gab mir öffentlich, als ich mit freundschaftlichen Vorschlägen zu ihm kam, einen beleidigenden und ehrenrührigen Namen, nämlich „Gänserich“, obgleich es dem Mirgoroder Kreis bekannt ist, daß ich mich nie nach diesem widerlichen Vogel genannt, und auch in Zukunft nicht die Absicht habe, mich nach ihm zu nennen. Der Beweis für meine adelige Herkunft ist schon damit geführt, daß der Tag meiner Geburt, wie die an mir vollzogene Taufe in dem Kirchenbuche, das sich in der Drei-Heiligen-Kirche befindet, eingetragen ist. Ein „Gänserich“ hingegen kann, wie jedermann, der nur im geringsten mit den Wissenschaften vertraut ist, nicht in einem Kirchenbuch eingetragen sein, da ein „Gänserich“ kein Mensch, sondern ein Vogel ist. Dieses weiß sogar ein jeder, der nicht einmal ein Seminar besucht hat. Aber trotzdem ihm alles so gut bekannt war, hat mich genannter bösartiger Edelmann mit diesem garstigen Worte beschimpft, nur um meiner Ehre, meinem Rang und Stand eine tödliche Beleidigung zuzufügen.

2) Derselbe unanständige und unerzogene Edelmann hat es auch auf mein, mir von meinem Vater, dem seligen Iwan und Sohn des Onisius-Pererepenko, der dem geistlichen Stande angehörte, vererbtes Stammeigentum abgesehen, indem er nur, allen Vorschriften entgegen, direkt vor meine Veranda einen Gänsestall hingebaut hat, allein in der Absicht, die mir angetane Beleidigung noch zu verschärfen; denn der genannte Stall stand bis dahin an einem vortrefflichen Platze und war noch in gutem Zustande. Aber die ekelhafte Absicht des oben genannten Edelmanns war einzig und allein die, mich zum Augenzeugen unanständiger Geschehnisse zu machen, da es doch aller Welt bekannt ist, daß kein Mensch zwecks anständiger Verrichtungen in einen Stall geht, besonders nicht in einen Gänsestall. Bei dieser gesetzwidrigen Handlung standen die beiden vorderen Pfosten noch dazu auf meinem Terrain, das ich noch zu Lebzeiten meines seligen Vaters Iwan, des Onisius-Pererepenkos Sohn, erhalten habe, und das beim Speicher beginnt und in gerader Linie bis zu der Stelle geht, wo die Weiber ihre Töpfe waschen.

3) Der oben geschilderte Edelmann, dessen Name und Familie schon allein Ekel erregen, trägt sich mit der nichtswürdigen Absicht, mir das Haus über dem Kopfe anzuzünden, was aus den unten angeführten Anzeichen deutlich hervorgeht: 1. geht jener schlechte Edelmann in letzter Zeit viel aus seinem Hause heraus, was er früher aus Faulheit und infolge seiner nichtswürdigen körperlichen Fülle nicht zu tun pflegte; 2. brennt er in seiner Gesindestube, welche dicht an dem Zaune liegt, der mein von meinem seligen Vater Iwan des Onisius Sohn Pererepenko geerbtes Eigentum umgibt, täglich und ungewöhnlich lange Licht. Das beweist deutlich seine verbrecherischen Pläne, da bis jetzt nicht nur das Talglicht, sondern auch die Tranlampe aus schmutzigem Geiz frühzeitig ausgelöscht wurde.

Und daher bitte ich den genannten Edelmann, Iwan Nikifors Sohn, Dowgotschchun der Brandstiftung, der Beleidigung meines Ranges, Namens und Geschlechts, der räuberischen Aneignung fremden Eigentums und hauptsächlich der niederträchtigen und anstößigen Hinzufügung des Wortes „Gänserich“ zu meinem Familiennamen schuldig zu sprechen, ihm eine Strafe aufzuerlegen, zur Zahlung der Unkosten, zum Schadenersatz zu verurteilen, ihn des ferneren wegen dieser Verbrechen ins Stadtgefängnis zu werfen und das Urteil gemäß meiner Eingabe sofort und widerspruchslos zu vollstrecken.

Geschrieben und aufgesetzt vom Edelmann und Mirgoroder Gutsbesitzer Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko.“

Nach Beendigung der Vorlesung näherte sich der Richter Iwan Iwanowitsch, faßte ihn bei einem seiner Knöpfe und begann ungefähr folgendermaßen auf ihn einzureden: „Was machen Sie da, Iwan Iwanowitsch? Fürchten Sie denn Gott garnicht? Vernichten Sie diese Klage, möge sie verschwinden (mag ihr der Teufel im Traum erscheinen)! Nehmen Sie lieber Iwan Nikiforowitsch bei den Händen und küssen Sie sich; kaufen Sie sich Santurinischen oder Nikopolsker Wein, oder machen Sie einfach einen kleinen Punsch zurecht und laden Sie mich dazu ein! Wir trinken ihn zusammen, und alles ist vergessen.“

„Nein Demian Demianowitsch, das ist keine so einfache Sache,“ sagte Iwan Iwanowitsch mit der Würde, die ihm so wohl anstand, „das ist keine Angelegenheit, die man durch einen freundschaftlichen Vergleich erledigen könnte. Adieu. Leben Sie wohl meine Herren,“ fuhr er mit der gleichen Würde fort, indem er sich an alle Anwesenden wandte. „Ich hoffe, daß meine Eingabe die ihr gebührende Berücksichtigung finden wird.“ Mit diesen Worten ging er und ließ die Kanzlei in der größten Bestürzung zurück. Der Richter saß sprachlos da; der Sekretär nahm eine Prise, die Schreiber warfen die zerbrochene Flasche um, die als Tintenfaß diente, und der Richter fuhr in seiner Zerstreutheit mit dem Finger durch die Tintenlache, die sich auf dem Tische gebildet hatte.

„Was sagen Sie dazu, Dorofej Trofimowitsch,“ sagte der Richter, indem er sich nach einer Pause an den Gerichtsschreiber wandte.

„Ich sage garnichts,“ antwortete der Gerichtsschreiber.

„Was nicht alles auf der Welt passiert,“ fuhr der Richter fort. Kaum hatte er dies gesagt, als die Tür knarrte, und die vordere Hälfte von Iwan Nikiforowitsch in der Kanzlei erschien, – die andere befand sich noch im Vorraum. Iwan Nikiforowitschs Erscheinen, zumal vor Gericht, war etwas so Außergewöhnliches, daß der Richter laut aufschrie, der Sekretär seine Lektüre unterbrach, der eine Kanzleibeamte, welcher einen kurzen Frack aus Frieswolle trug, die Feder in den Mund steckte, und ein anderer eine Fliege verschluckte; sogar der Invalide, welcher den Dienst eines Feldjägers und Wächters versah, und bisher in der Tür gestanden hatte und sich unter seinem schmutzigen an der Schulter mit Stickereien geschmückten Hemde kratzte, selbst dieser Invalide riß das Maul auf und trat irgend jemandem auf den Fuß.

„Was verschafft uns die Ehre? Was gibt’s? Wie ist Ihr wertes Befinden, Iwan Nikiforowitsch?“

Aber Iwan Nikiforowitsch war halbtot vor Schrecken, denn er war zwischen der Türe eingekeilt und konnte keinen Schritt vorwärts noch rückwärts machen. Vergebens schrie der Richter in das Vorzimmer hinaus, jemand solle Iwan Nikiforowitsch von hinten in den Gerichtssaal schieben, aber im Vorraum befand sich nur eine alte Bittstellerin, die mit ihren knöchernen Händen trotz der größten Anstrengung nichts ausrichten konnte. Da trat ein Kanzleibeamter mit wulstigen Lippen, breiten Schultern, dicker Nase, schielenden, weinseligen Äuglein und zerfetzten Ärmeln vor, schritt auf Iwan Nikiforowitschs vordere Hälfte zu, legte ihm die Hände wie einem kleinen Kinde auf der Brust zusammen und winkte dem Invaliden. Dieser stemmte sich mit den Knien gegen Iwan Nikiforowitschs Bauch und preßte ihn trotz seines kläglichen Stöhnens wieder in den Vorraum. Darauf schob man die Riegel zurück und öffnete die zweite Hälfte der Flügeltür. Der Kanzleibeamte und der Invalide hatten bei ihrer gemeinschaftlichen Anstrengung einen so starken Duft ausgeströmt, daß die ganze Kanzlei für einige Zeit gleichsam in einen Schnapsausschank verwandelt schien.

„Sie haben sich doch hoffentlich nicht weh getan, Iwan Nikiforowitsch? Ich werde es meiner Mutter sagen, die wird Ihnen ein Elixier zuschicken; wenn Sie sich Rücken und Kreuz damit einreiben, wird alles wieder vergehen!“

Iwan Nikiforowitsch sank auf einen Stuhl; er stieß immer wieder verzweifelte Seufzer aus; sonst war nichts aus ihm herauszubringen. Endlich sprach er mit einer vor Ermattung kaum hörbaren Stimme: „Ist’s gefällig?“ Dann zog er seine Tabaksdose aus der Tasche und sagte: „Bitte, bedienen Sie sich!“

„Ich freue mich sehr, Sie hier zu sehen,“ sagte der Richter, „aber ich kann mir nicht vorstellen, was Sie bewogen hat, diese Mühe auf sich zu nehmen und uns mit einer so angenehmen Überraschung zu erfreuen.“

„Mit einer Bitte …“, das war alles, was Iwan Nikiforowitsch zu sagen vermochte.

„Mit einer Bitte? Mit was für einer Bitte?“

„Mit einer Klage … (hier ging ihm der Atem aus, und es entstand eine neue Pause), oh … mit einer Klage gegen diesen Räuber … gegen Iwan Iwanowitsch Pererepenko!“

„Mein Gott, Sie auch! Zwei solche seltene Freunde! Eine Klage gegen einen so tugendhaften Menschen!“

„Er ist der Teufel in eigener Person!“ stieß Iwan Nikiforowitsch hervor.

Der Richter schlug ein Kreuz.

„Bitte nehmen Sie die Eingabe und lesen Sie!“

„Da ist nichts zu machen, Taraß Tichonowitsch lesen Sie,“ sagte der Richter, indem er sich verdrießlich an den Sekretär wandte: dabei beschnüffelte seine Nase die Oberlippe, was sie sonst nur in den Augenblicken zu tun pflegte, wenn ihm etwas besonders Angenehmes passierte. Diese Eigenmächtigkeit seiner Nase verursachte dem Richter noch mehr Verdruß, und um ihre Frechheit zu bestrafen, nahm er sein Taschentuch heraus und wischte sich allen Tabak von der Oberlippe.

Der Sekretär nahm wie gewöhnlich einen Anlauf, was er vor der Lektüre eines Schriftstückes stets zu tun pflegte, – natürlich abermals ohne Hilfe eines Taschentuchs, und begann mit monotoner Stimme folgendermaßen:

„Der Edelmann des Mirgorodschen Kreises Iwan, Nikiforows Sohn, Dowgotschun, wendet sich mit einem Gesuch an das Kreisgericht von Mirgorod, der Inhalt dieses Gesuches ist in folgenden Punkten dargelegt:

1. Iwan Iwans Sohn, Pererepenko, der sich selbst einen Edelmann nennt, fügt mir in seiner haßerfüllten Bosheit und deutlichen Mißgunst allerlei Heimtücke, Verluste und andere teuflische und schreckenerregende Schädigungen zu. Gestern um Mitternacht hat er sich wie ein Räuber mit Beilen, Sägen, Stemmeisen und anderen Schlosserwerkzeugen in meinen Hof geschlichen und daselbst meinen eigenen, dort befindlichen Stall eigenhändig in schamloser Weise zerstört, obgleich ich ihm meinerseits gar keine Veranlassung zu einer so gesetzwidrigen und räuberischen Handlung gegeben habe.

2. Derselbe Edelmann Pererepenko trachtet mir sogar nach dem Leben; diesen Plan hat er schon bis zum 7. dieses Monats im geheimen geschmiedet, hierauf aber besuchte er mich, fing in freundschaftlich-listiger Weise an, mir eine Flinte, die sich im Zimmer befand, abzuschmeicheln, und bot mir mit dem ihm eigenen Geiz, allerlei unbrauchbare Gegenstände: unter anderem ein braunes Schwein und zwei Maß Hafer zum Ersatz dafür an. Da ich aber sofort seine verbrecherische Absicht durchschaute, versuchte ich ihn auf alle mögliche Weise davon abzubringen, aber der obengenannte Halunke und Lump, Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, beschimpfte mich in gemeiner bäurischer Weise und verfolgt mich seit jener Zeit mit unversöhnlichem Haß. Dabei ist der oben des öfteren genannte rasende Edelmann und Räuber Iwanowitsch Pererepenko außerdem von sehr schimpflicher Herkunft. Seine Schwester war eine weltbekannte Herumtreiberin, und zog mit dem Jägerregiment, das vor fünf Jahren in Mirgorod lag, davon, ihren Mann aber hat sie in die Liste der Bauern eintragen lassen. Und ebenso waren sein Vater und Mutter sehr verbrecherische Leute, und beide unglaubliche Säufer. Der oben erwähnte Edelmann und Räuber Pererepenko hat jedoch durch seine viehische und abscheuerregende Handlungsweise seine Verwandten noch übertroffen, und vollbringt unter dem Schein der Gottesfürchtigkeit die allerschlimmsten Anstoß erregenden Sachen. Er hält die Fasten nicht ein, denn am Vorabend des heiligen Philippus kaufte sich dieser Gottlose zum Beispiel einen Hammel, befahl seiner Konkubine Gapka, das Tier am nächsten Tage zu schlachten, und redete sich nachher damit heraus, daß er den Talg für Licht und Lampe benötigt habe.

 

Daher ersuche ich darum, den genannten Edelmann, als Räuber, Gotteslästerer und Halunken, der schon mehrfach des Raubes und Diebstahls überführt worden ist, in Ketten zu legen, in den Turm zu sperren, oder ins Staatsgefängnis überzuführen, und dort nach Lage der Dinge seines Ranges und Eigentums zu entäußern, tüchtig mit Ruten auszupeitschen, oder nötigenfalls zur Zwangsarbeit nach Sibirien zu verschicken, ihn zur Zahlung der Unkosten und zu Schadenersatz zu verurteilen und das Urteil laut diesem meinen Gesuche zu vollstrecken.

Diese Eingabe hat Iwan, Nikiforows Sohn, Dowgotschchun, Edelmann des Mirgorodschen Kreises eigenhändig unterschrieben.“

Kaum hatte der Sekretär die Eingabe verlesen, als Iwan Nikiforowitsch schon nach seiner Mütze griff, sich verbeugte und anscheinend wieder gehen wollte.

„Wo wollen Sie hin, Iwan Nikiforowitsch?“ rief ihm der Richter nach, „bleiben Sie doch noch einen Augenblick sitzen. Trinken Sie doch erst eine Tasse Tee. Oryschko, was stehst du da, dummes Mädel, und liebäugelst mit den Schreibern? Lauf schnell und bring Tee.“

Aber Iwan Iwanowitsch war voller Angst, weil er sich so weit vom Hause entfernt hatte und da er sich der gefährlichen Quarantäne beim Eintritt erinnerte, schon zur Tür hinausgeschlüpft und sagte nur: „Bitte machen Sie keine Umstände, ich werde mit Vergnügen …“ Nach diesen Worten schloß er die Tür hinter sich und ließ den ganzen Gerichtshof in höchstem Staunen und größter Bestürzung zurück.

Es war nichts zu machen. Beide Eingaben wurden angenommen, und die Sache wäre sicherlich sehr interessant geworden, wenn nicht ein unvorhergesehener Umstand ihr noch eine weit größere Bedeutung verliehen hätte. Als der Richter die Amtsstube in Begleitung des Gerichtsschreibers und des Sekretärs verlassen, und die Schreiber die verschiedenen Gegenstände, die die Klienten mitgebracht hatten, als da sind: Hühner, Eier, Brote, Pasteten, Torten und allerlei Plunder in einen Sack stopfen wollten, kam ein braunes Schwein in das Zimmer gelaufen und packte zur großen Überraschung aller Anwesenden – nicht etwa eine Pastete oder eine Brotrinde – sondern Iwan Nikiforowitschs Eingabe, die so nah am Tischrande lag, daß ein paar Seiten hinüberhingen. Sobald das Schwein die Eingabe ergriffen hatte, lief es schnell davon, so daß niemand von den Kanzleibeamten es einholen konnte, trotz aller Lineale und Tintenfässer, die sie ihm nachschleuderten. Dieses außerordentliche Ereignis verursachte einen fürchterlichen Wirrwarr, da noch keine Kopie von der Eingabe angefertigt worden war. Der Richter, oder vielmehr der Gerichtsschreiber und der Sekretär berieten sich lange über diesen unerhörten Vorgang; endlich wurde beschlossen, daß man einen Bericht aufsetzen und den Polizeimeister davon benachrichtigen müsse, da die Untersuchung dieser Angelegenheit in das Ressort der städtischen Polizei gehöre. Noch am selben Tage wurde ihm ein Bericht zugesandt, der die Nummer 389 trug, und hierauf erfolgte eine sehr interessante Auseinandersetzung, über die der Leser im folgenden Kapitel Näheres erfahren kann.