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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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„Es ist Zeit,“ sagte Jawtuch, „komm laß uns gehn.“

„Ich wollte, ich könnte dir ein Zündholz durch die Zunge bohren, verfluchtes Schwein!“ dachte der Philosoph, erhob sich jedoch und sagte „Komm!“

Auf dem Wege zur Kirche sah sich der Philosoph fortwährend um und sprach ein paar Worte mit seinen Begleitern. Aber Jawtuch schwieg, und selbst Dorosch blieb stumm.

Es war eine höllische Nacht. Scharen von Wölfen heulten in der Ferne, selbst das Gebell der Hunde klang unheimlich.

„Es hört sich fast an, als wären das, was dort heult, gar keine Wölfe,“ sagte Dorosch. Jawtuch schwieg. Auch der Philosoph wußte nichts zu erwidern.

Sie näherten sich der Kirche und betraten den wackligen Holzboden, der deutlich verriet, wie wenig sich der Gutsherr um Gott und sein Seelenheil kümmerte. Jawtuch und Dorosch entfernten sich wie gewöhnlich, der Philosoph blieb allein.

Alles war wie am Tage zuvor. Alles hatte das gleiche, bekannte und drohende Aussehen. Choma blieb einen Augenblick stehen. Unbeweglich wie immer stand der Sarg der greulichen Hexe in der Mitte des Gotteshauses. „Ich fürchte mich nicht, bei Gott, ich fürchte mich nicht,“ sagte Choma, beschrieb wie vormals einen Kreis um sich und rief sich alle Beschwörungen ins Gedächtnis. Die lautlose Stille war schrecklich: die Kerzen flackerten und erfüllten die Kirche mit ihrem hellen Licht. Der Philosoph schlug eine Seite um, dann die zweite und dritte: da bemerkte er plötzlich, daß er gar nicht das las, was im Buch stand. Vor Schreck bekreuzigte er sich und begann zu singen. Das beruhigte ihn ein wenig: das Lesen ging jetzt wieder besser, er schlug eine Seite nach der andern um.

Da sprang plötzlich – inmitten der Stille – der eiserne Sargdeckel auf. Die Tote richtete sich empor. Sie war noch furchtbarer anzusehen, als das erstemal. Die Zähne schlugen gräßlich aufeinander, die Lippen verzerrten sich krampfhaft und stießen heulende, schreckliche Verwünschungen hervor. Ein Sturm fegte durch die Kirche. Die Heiligenbilder stürzten zur Erde, und die zerbrochenen Fenstergläser fielen klirrend auf den Boden. Die Tür wurde aus ihren Angeln gerissen, und eine Unzahl fürchterlicher Ungeheuer stürzte in das Gotteshaus. Sie schlugen mit ohrenbetäubendem Lärm ihre Flügel zusammen, kratzten mit ihren Krallen und erfüllten die Kirche mit einem schrecklichen Getöse. Alles flog und flatterte hin und her und spähte überall nach dem Philosophen.

Der letzte Rest seines Rausches war verschwunden. Choma schlug ein Kreuz ums andere und las alle möglichen Gebete, die er kannte, durcheinander. Unterdessen aber hörte er, wie die Dämonen um ihn herumtobten, sie streiften ihn fast mit ihren Flügeln und berührten ihn mit ihren widerlichen Schwänzen. Er hatte nicht den Mut, sie sich genauer anzusehen: er bemerkte nur, daß ein riesiges Ungeheuer, das so lang wie die Wand war, vor ihm stand: Ein dichter Wald von gräulichen durcheinander gewirrten Haaren hüllte es ein: durch das Geflecht der Haare aber blickten zwei grausige Augen hervor, deren Brauen ein wenig in die Höhe gezogen waren. Über ihm in der Luft schwebte eine Art Riesenblase, aus deren Zentrum sich Tausende von Zangen und Skorpion-Stacheln hinausstreckten, an deren Enden große Klumpen schwarzer Erde hingen. Alle blickten den Philosophen an, spähten nach ihm, und konnten ihn doch nicht sehen, denn er war von dem heiligen Kreise umgeben. „Führt den Wij her, führt den Wij her,“ schrie plötzlich die Stimme der Toten.

Mit einem Male trat in der Kirche eine tiefe Stille ein. Aus der Ferne vernahm man das Heulen der Wölfe, und gleich darauf erdröhnten schwere Schritte, die im Gotteshause laut widerhallten. Choma warf einen scheuen Blick auf die Tür und sah, wie ein untersetztes, stämmiges, täppisches Menschenwesen hineingeführt wurde. Es war ganz in schwarze Erde gehüllt. Seine gleichfalls mit Erde bedeckten Hände und Füße streckten sich wie zähe, knorrige Wurzeln empor, es stieß polternd mit den Füßen auf den Boden und stolperte beständig. Die großen Augenlider hingen ihm bis zur Erde herab und voller Grauen gewahrte Choma, daß sein Antlitz von Eisen war. Die Geister führten das Ungetüm an der Hand und brachten es bis an die Stelle, wo Choma stand.

„Hebt mir die Lider empor, ich sehe nicht,“ stöhnte Wij mit unterirdischer Stimme – und die ganze Dämonenschar stürzte auf ihn zu, um ihm die Lider empor zu heben.

Eine innere Stimme flüsterte dem Philosophen zu: sieh nicht hin. Aber er hielt es nicht aus und blickte hin.

„Da ist er,“ schrie Wij und deutete mit seinem eisernen Finger auf ihn, und alle Geister fielen über den Philosophen her. Atemlos stürzte er zu Boden und gab schreckerfüllt seinen Geist auf.

Da krähte der Hahn. Es war schon der zweite Schrei. Die Geister hatten den ersten überhört. Die geängstigten Dämonen zerstreuten sich nach allen Seiten: durch die Tür und durch die Fenster, nur um recht schnell zu entfliehen. Aber es war schon zu spät, sie blieben zwischen Türen und Fenstern hängen.

Als der Geistliche die Kirche betrat, blieb er beim Anblick einer solchen Schändung des Allerheiligsten auf der Schwelle stehen und wagte es nicht mehr, hier eine Messe abzuhalten. So blieb denn die Kirche mit den in den Fenstern und Türen festgebannten Ungeheuern in alle Ewigkeit leer. Wald, Wurzeln, Steppengras und wilde Dornhecken überwucherten sie, – und niemand wird je wieder den Weg zu ihr finden.

Als das Gerücht von diesen Begebenheiten bis nach Kiew drang und der Theologe Haljawa von dem Schicksal des Philosophen Choma hörte, versank er eine Stunde lang in tiefes Nachdenken. Seitdem war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen. Das Glück war ihm hold gewesen: nach Beendigung des Kursus war er zum Glöckner des allerhöchsten Glockenturmes ernannt worden, und nun erschien er nie anders als mit einer zerschlagenen Nase, da die Treppe im Turm sehr schlecht gebaut war.

„Hast du schon gehört, wie es Choma ergangen ist?“ fragte ihn Tiberius Gorobetz, als er ihm einmal begegnete, er war jetzt Philosoph und trug schon einen Schnurrbart.

„Es war Gottes Wille,“ sagte der Glöckner, „komm in die Schenke, wir wollen seiner bei einem Glase gedenken.“

Der junge Philosoph, der begeistert von seinen neuen Rechten Gebrauch machte – seine Hosen, sein Rock, ja selbst seine Mütze rochen stark nach Alkohol und Tabak – drückte sofort seine Bereitwilligkeit aus.

„Choma war doch ein herrlicher Mensch,“ sagte der Glöckner, als der lahme Wirt den dritten Krug vor ihm hinstellte, „ein famoser Kerl, und ist so um nichts und wieder nichts umgekommen!“

„Ich weiß, warum er umgekommen ist! Weil er Angst bekommen hat; hätte er sich nicht gefürchtet, so hätte die Hexe ihm nichts anhaben können. Man muß nur das Kreuz schlagen, und ihr auf den Schwanz spucken – dann kann einem nichts geschehen! Ich kenne das ganz genau. Bei uns in Kiew sind doch alle Marktweiber Hexen.“

Hier nickte der Glöckner zum Zeichen seines Einverständnisses mit dem Kopf. Aber als er merkte, daß seine Zunge sich nicht mehr bewegen und keine Laute mehr hervorbringen konnte, erhob er sich vorsichtig und ging taumelnd davon, um sich irgendwo abseits im Steppengras auszustrecken. Hierbei vergaß er es jedoch aus alter Gewohnheit nicht, eine alte Stiefelsohle einzustecken, die auf einer Bank lag.

Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten

Erstes Kapitel
Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch

Was für eine herrliche Pekesche Iwan Iwanowitsch doch hat! Diese Pelzverbrämung – Teufel auch – diese Pelzverbrämung! Bläulichgrau, mit einem weißlichen Schimmer! Bei Gott – ich will ein Schuft sein, wenn es noch einen zweiten solchen Pelzrock gibt. Ich bitte Sie, sehen Sie sich das einmal an – besonders, wenn Iwan Iwanowitsch mit jemand spricht – betrachten Sie ihn nur in Profil: was ist das für eine Pracht! Es ist ganz unbeschreiblich: das leuchtet wie Samt und Silber und Feuer! Bei Gott, heiliger Wundertäter Nikolaus, frommer Knecht Gottes, ich bitte dich: warum habe ich nicht solch eine Pekesche! Er hat sie sich noch damals machen lassen, als Agafja Feodosiewna noch nicht so oft nach Kiew reiste. (Sie kennen doch Agafja Feodosiewna? Dieselbe, die dem Assessor das Ohr abgebissen hat?)

Und was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Wie stattlich ist sein Haus in Mirgorod! Rundherum geht ein Schutzdach auf eichenen Pfosten, und darunter stehen überall Bänke. Wenn es zu heiß wird, zieht er Pelzrock und Hose aus, legt sich im bloßen Hemd unter das Schutzdach und beobachtet, was im Hofe und auf der Straße vorgeht. Und was für herrliche Apfel- und Birnbäume vor dem Fenster stehen! Bitte öffnen Sie nur die Fenster, sofort stecken sie ihre Zweige bis ins Zimmer; aber das ist bloß vor dem Hause. Sehen Sie sich mal erst den Garten an! Was gibt es da nicht alles! Pflaumen, Kirschen, Weichsel, allerlei Gemüse, Sonnenblumen, Gurken, Melonen, Erbsen – sogar eine Tenne und eine Schmiede gibt es da.

Was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Besonders gern ißt er Melonen, das ist sein Lieblingsgericht. Gleich nach dem Mittagessen begibt er sich im Hemd unter das Schutzdach und befiehlt Gapka, zwei Melonen aufzutragen, die er eigenhändig zerlegt. Dann nimmt er die Kerne heraus, wickelt sie in ein Papier und macht sich daran, die Melonen zu verzehren; Gapka muß ihm das Tintenfaß bringen, und er schreibt eigenhändig auf das Päckchen: „Diese Melonen wurden an dem und dem Tage gegessen“. War irgend ein Gast dabei, so wird hinzugefügt: der und der hat teilgenommen.

Der verstorbene Richter von Mirgorod freute sich immer von Herzen beim Anblick von Iwan Iwanowitschs Haus. Ja – das Haus kann sich auch sehen lassen! Vor allem gefallen mir die vielen Balkone und Erkerchen, welche von allen Seiten angebaut sind; wenn man es von ferne erblickt, so sieht man die Dächer, die übereinander liegen – das erinnert mich immer an einen Teller voll Pfannkuchen, oder besser an Pilze, die aneinander und übereinander um einen herum wachsen. Übrigens sind die Dächer mit Binsen gedeckt, über die eine Weide, eine Eiche und zwei Apfelbäume ihre üppigen Zweige ausbreiten. Durch das Geäst aber gucken die kleinen Fensterchen mit ihren geschnitzten weißen Läden munter auf die Straße hinaus.

 

Was für ein Prachtmensch ist doch Iwan Iwanowitsch! Der Herr Kommissar aus Poltawa ist sein guter Bekannter. Dorosch Tarasowitsch Puchiwotschka besucht ihn stets, wenn er aus Chorol hierherkommt, und Vater Peter der in Koliberda wohnt, pflegt, wenn einmal fünf Mann hoch bei ihm zu Gaste sind, stets zu erwähnen, daß er niemanden kennt, der seine Christenpflicht so gut erfüllt und so zu leben versteht, wie Iwan Iwanowitsch.

Mein Gott, wie doch die Zeit vorbeieilt. Damals waren schon zehn Jahre verflossen, seit er Witwer geworden war. Er hatte keine Kinder. Dafür hat Gapka, die Magd, welche, die im Hofe spielen. Iwan Iwanowitsch gibt gewöhnlich jedem Kinde eine Bretzel, ein Stückchen Melone oder eine Birne. Gapka hat auch die Schlüssel zu den Kammern und Kellern: nur der Schlüssel zu dem großen Kasten, der in seinem Schlafzimmer steht, und der zu der mittleren Vorratskammer befindet sich bei ihm; denn Iwan Iwanowitsch liebt es nicht, jemanden dort hineinzulassen. Gapka ist ein kräftiges Mädel, mit einer großen Schürze, drallen Waden und roten Backen.

Und was für ein gottesfürchtiger Mensch Iwan Iwanowitsch ist! Jeden Sonntag zieht er seine Pekesche an und geht in die Kirche. Nachdem er sich nach allen Seiten verneigt hat, nimmt er gewöhnlich im Chor Platz und unterstützt den Baß auf das schönste. Ist der Gottesdienst zu Ende, so unterläßt es Iwan Iwanowitsch nie, der Reihe nach alle Bettler aufzusuchen. Vielleicht hat er oft gar keine Lust, sich mit so langweiligen Sachen abzugeben, aber seine natürliche Gutmütigkeit läßt ihm keine Ruhe.

Gewöhnlich sucht er sich das allerarmseligste Weib, in einem zerfetzten, aus Lumpen zusammengeflickten Kleide aus und wendete sich teilnahmsvoll an sie. „Nun wie geht es Ärmste? Woher kommst du Mütterchen?“

„Ich komme vom Dorf, Herr, seit drei Tagen habe ich weder gegessen noch getrunken. Die eigenen Kinder haben mich fortgejagt.“

„Du arme Seele! Und warum bist du hierhergekommen?“

„Ach Herr, ich stehe hier und bitte um ein Almosen, vielleicht gibt mir jemand etwas Geld, damit ich mir Brot kaufen kann.“

„Hm. So. Du möchtest also Brot haben?“ fragte Iwan Iwanowitsch gewöhnlich.

„Wie sollte ich nicht? Ich bin hungrig wie ein Hund.“

„Hm, hm,“ sagt Iwan Iwanowitsch gewöhnlich weiter: „Vielleicht möchtest du auch Fleisch haben?“

„Ja alles, was Euer Gnaden mir geben wollen, ich bin mit allem zufrieden.“

„Hm, hm, – ist denn Fleisch besser als Brot?“

„Ein Hungriger ist nicht wählerisch, Herr. Wir sind mit allem zufrieden, was Sie geben.“ Hierbei streckt sie ihm gewöhnlich die Hand entgegen.

„Nun, Gott mit dir,“ sagt Iwan Iwanowitsch. – „Ja, was stehst du denn noch da? Ich schlage dich doch nicht!“ Und in gleicher Weise wendet er sich an den zweiten und dritten Bettler und geht endlich nach Hause, zu seinem Nachbar, Iwan Nikiforowitsch, oder auch zum Polizeimeister, um einen Schnaps mit ihnen zu trinken.

Iwan Iwanowitsch liebt es auch sehr, wenn man ihm Geschenke macht oder ihm Leckerbissen bringt. Das letztere hat er besonders gern.

Auch Iwan Nikiforowitsch ist ein ganz prächtiger Mensch. Sein Hof grenzt an den Iwan Iwanowitschs. Zwei solche Freunde wie diese beiden, hat die Welt sicher noch nicht gesehen. Anton Prokowjewitsch Pupopus, der bis zum heutigen Tage noch einen braunen Rock mit hellblauen Ärmeln trägt und des Sonntags beim Richter zu Tisch geladen ist, pflegte gewöhnlich zu sagen: der Teufel habe in höchsteigener Person Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch mit einem Schnürchen zusammengebunden: wo der eine erscheint, da folgt der andere auf dem Fuße.

Iwan Nikiforowitsch war nie verheiratet. Man hat wohl davon gesprochen, er wäre einmal verheiratet gewesen, doch das ist eine gemeine Lüge. Ich kenne Iwan Nikiforowitsch sehr genau und kann beschwören, daß er niemals auch nur die Absicht gehabt hat, sich zu verheiraten. Wie solch ein Klatsch nur entsteht! Einmal hieß es, Iwan Nikiforowitsch sei hinten mit einem Schwanz auf die Welt gekommen. Aber dies ist eine Erfindung, die so dumm und dabei so abscheulich und unanständig ist, daß ich es nicht einmal für nötig halte, sie vor meinen aufgeklärten Lesern zu widerlegen, denen es sicher bekannt ist, daß nur die Hexen, und auch die nur, sofern sie weiblichen Geschlechts sind, (aber selbst diese bloß in Ausnahmefällen) hinten einen Schwanz haben. Übrigens gehören ja die Hexen überhaupt mehr dem weiblichen als dem männlichen Geschlecht an. Trotz der gegenseitigen Zuneigung waren diese seltenen Freunde doch von der Natur recht verschieden bedacht. Am besten lernt man ihren Charakter durch eine Nebeneinanderstellung kennen. Iwan Iwanowitsch besitzt die seltene Gabe, sehr angenehm zu sprechen. Herr Gott, wie kann er sprechen! Wenn Sie ihm zuhören, haben Sie eine Empfindung – nein, die läßt sich nur mit dem Gefühl vergleichen, wenn man Ihnen den Kopf kraut oder mit dem Finger leise, ganz leise über die Fersen streicht. Man lauscht und lauscht … der Kopf sinkt einem herab … so angenehm, so ungeheuer angenehm ist das! … wie ein Schläfchen nach einem Bade. Iwan Nikiforowitsch hingegen ist das gerade Gegenteil. Er liebt es, zu schweigen – aber wenn er einmal ein Wörtchen sagt, dann heißt es: feststehen – das sitzt, das schneidet schärfer wie das feinste Rasiermesser! Iwan Iwanowitsch ist mager und von hoher Statur; Iwan Nikiforowitsch ist kleiner und geht mehr in die Breite. Iwan Iwanowitschs Kopf gleicht einem Rettich mit dem Schwänzchen nach oben. Iwan Nikiforowitsch dagegen einem Rettich mit dem Schwänzchen nach unten. Iwan Iwanowitsch liegt nur nach dem Mittag im bloßen Hemde unter dem Schutzdach, – abends zieht er seine Pekesche an und geht irgendwohin, entweder in das Stadtmagazin, an das er Mehl liefert, oder ins Feld, um Wachteln zu fangen. Iwan Nikiforowitsch liegt den ganzen Tag im Flur; wenn es nicht gar zu heiß ist, legt er sich mit bloßem Rücken in die Sonne und will sich garnicht vom Fleck rühren. Wenn es ihm gerade einfällt, macht er morgens eine Runde durch den Hof, sieht sich alles an und legt sich dann nieder. Früher ging er wohl auch einmal zu Iwan Iwanowitsch hinüber. Iwan Iwanowitsch ist ein sehr feiner Herr, nie gebraucht er ein schmutziges Wort, auch nicht im gewöhnlichsten Gespräch, und daher ist er auch sofort verletzt, wenn er ein solches hört. Iwan Nikiforowitsch aber läßt sich mitunter etwas gehn. Gewöhnlich steht dann Iwan Iwanowitsch auf und sagt: ‚Genug, genug, Iwan Nikiforowitsch, legen Sie sich doch lieber schnell wieder in die Sonne, statt solche gottlose Reden zu führen!‘ Iwan Iwanowitsch wird sehr böse, wenn er eine Fliege in der Suppe findet – er gerät außer sich, wirft den Teller hin, und der Wirt bekommt etwas zu hören. Iwan Nikiforowitsch badet ungemein gern, und wenn er bis zum Halse im Wasser sitzt, liebt er es sehr, sich ein Tischchen mit der Teemaschine ins Wasser stellen zu lassen und in der kühlen Flut Tee zu trinken. Iwan Iwanowitsch rasiert sich zweimal wöchentlich, Iwan Nikiforowitsch nur einmal. Iwan Iwanowitsch ist sehr neugierig, Gott bewahre einen jeden davor, ihm etwas zu erzählen, und nicht bis zum Schluß zu kommen. Ist er unzufrieden, so sieht man es ihm sogleich an. Äußerlich ist es Iwan Nikiforowitsch sehr schwer anzusehen, ob er zufrieden oder ärgerlich ist – selbst wenn er sich über etwas freut, so läßt er es sich nicht merken. Iwan Iwanowitsch hat einen etwas ängstlichen Charakter – ganz anders wie Iwan Nikiforowitsch, der so faltenreiche Pluderhosen trägt, daß sie, wenn man sie aufblasen wollte, den Hof mit allen Scheuern und Wirtschaftsgebäuden in sich fassen würden. Iwan Iwanowitsch hat große, ausdrucksvolle tabakfarbene Augen, und sein Mund hat die Form des Buchstabens V. Iwan Nikiforowitsch hat kleine, gelbliche Augen, die ganz zwischen den dicken Backen und den buschigen Brauen verschwinden, und seine Nase gleicht einer reifen Pflaume. Wenn Ihnen Iwan Iwanowitsch eine Prise anbietet, leckt er erst den Deckel der Tabakdose ab, klopft mit dem Finger auf sie, reicht sie Ihnen hin und sagt, wenn Sie gut mit ihm bekannt sind: ‚Mein Herr, darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!‘ Sind Sie ihm dagegen fremd, so spricht er: ‚Mein Herr, ich habe nicht die Ehre, Ihren Rang und Namen zu kennen, darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!‘ Iwan Nikiforowitsch dagegen gibt Ihnen einfach die Dose in die Hand und sagt ganz kurz: ‚Bedienen Sie sich.‘ Beide – Iwan Iwanowitsch sowohl wie Iwan Nikiforowitsch mögen die Flöhe nicht leiden, und lassen daher nie einen Handelsjuden vorübergehn, ohne ihm ein Elixier oder ein Pulver gegen diese Insekten abzukaufen – natürlich erst, nachdem sie ihn gehörig wegen seines Glaubens ausgescholten haben.

Übrigens sind beide, sowohl Iwan Iwanowitsch als auch Iwan Nikiforowitsch, abgesehen von einigen Verschiedenheiten, ganz prächtige Menschen.

Zweites Kapitel
Aus welchem man erfahren kann, was Iwan Iwanowitsch sich wünschte, worüber Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch miteinander sprachen, und wie das Gespräch endete

Eines Morgens – es war im Juli – lag Iwan Iwanowitsch unter seinem Schutzdach. Der Tag war heiß, und die Luft war trocken und flutete in feinen Strömen auf und ab. Iwan Iwanowitsch war schon außerhalb der Stadt und im Dorf bei den Schnittern gewesen und hatte schon alle Bauern und Bäuerinnen, die ihm begegneten, nach dem Woher, Wohin und Warum ausgefragt; dabei hatte er sich müde gelaufen und wollte nun ausruhen. Im Liegen betrachtete er lange den Hof, die Vorratskammern, und die im Hofe herumlaufenden Hühner und dachte sich: „Herr Gott, was bin ich doch für ein guter Wirt! Was habe ich nicht alles! Speicher, Gebäude, Vögel, alles was das Herz begehrt, Schnäpse und Liköre, einen Garten mit Birnen und Pflaumen, Mohn, Kohl und Erbsen … was fehlt mir noch? Wirklich, ich möchte wissen, was mir fehlt?“

Mit dieser tiefsinnigen Frage beschäftigt, versank Iwan Iwanowitsch in tiefes Nachdenken, unterdessen aber suchten seine Augen nach neuen Gegenständen, schweiften über den Zaun nach Iwan Nikiforowitsch’s Haus und wurden unwillkürlich von einem merkwürdigen Schauspiel gefesselt.

Ein altes hageres Weib trug verschlissene Kleidungsstücke auf den Hof, um sie eins nach dem andern zum Auslüften auf einen ausgespannten Strick zu hängen. Bald streckte ein alter Waffenrock mit abgeschabten Aufschlägen seine Ärmel in die Luft und umarmte ein Jackett aus Brokatstoff; neben ihm kam eine Livree mit Wappenknöpfen und einem von den Motten zerfressenen Kragen zum Vorschein; ferner ein Paar fleckige weiße Kaschmir-Beinkleider, die einst Iwan Nikiforowitschs Beine umspannt hatten, jetzt aber bestenfalls für seine Finger reichen würden; dann wieder hing ein anderes Paar in Form eines A da, dann ein blauer Kosakenrock, den sich Iwan Nikiforowitsch vor 20 Jahren hatte machen lassen, als er in die Miliz einzutreten gedachte und sich sogar einen Schnurrbart wachsen ließ. Zuletzt kam zu all diesen schönen Sachen auch noch ein Degen hinzu, der einer Turmspitze glich, die in die Luft starrt – dann wieder flatterten die Rockschöße eines graugrünen Kaftans mit talergroßen kupfernen Knöpfen im Winde, und zwischen den Schößen lugte eine mit Goldborte verzierte, stark ausgeschnittene Weste hervor. Aber bald wurde die Weste durch einen alten Unterrock der Großmutter verdeckt, in dessen großen Taschen man ruhig je eine Melone hätte verstecken können. Dies ganze Durcheinander gewährte Iwan Iwanowitsch einen höchst unterhaltenden Anblick. Die Strahlen der Sonne beleuchteten bald einen dunkelblauen oder grünen Ärmel, einen roten Aufschlag und einen Teil des Goldbrokats oder sie spielten plötzlich um die Degenspitze und gaben ihr ein ganz ungewöhnliches Aussehen. Dieses bunte Allerlei weckte Erinnerungen an die Weihnachtskrippe, die herumziehende Tagediebe in den Dörfern aufstellen: die herandrängende Volksmenge betrachtet den Kaiser Herodes mit der goldenen Krone, oder den Anton, der eine Ziege herumführt; hinter der Krippe quietscht eine Geige, ein Zigeuner ahmt mit seinen Lippen eine Trommel nach, die Sonne geht allmählich unter und die angenehme Kühle der südlichen Nacht schmiegt sich verstohlen um die frischen Schultern und hochatmenden Busen der drallen Bäuerinnen.

Nach einiger Zeit kam die Alte wieder stöhnend aus der Vorratskammer, und trug keuchend einen altmodischen Sattel mit abgerissenen Steigbügeln, abgeschabten ledernen Pistolentaschen und einer Schabracke auf dem Rücken heraus, die einst purpurrot gewesen und mit Goldstickereien und Blechplatten verziert war.

 

„So ein dummes Weib,“ dachte Iwan Iwanowitsch, „bald wird sie auch noch Iwan Nikiforowitsch in eigener Person hinausschleppen und auslüften.“

Und in der Tat, Iwan Iwanowitschs Vermutung war nicht so ganz unrichtig. Nach kaum fünf Minuten erschienen Iwan Nikiforowitschs Pumphosen, die fast die ganze Hälfte des Hofes einnahmen. Dann schleppte sie noch seine Mütze und eine Flinte heran.

„Was soll das bedeuten,“ dachte Iwan Iwanowitsch. „Ich habe früher nie eine Flinte bei ihm gesehen! Ja, was fällt ihm ein! Er schießt eigentlich nicht, und hält sich doch eine Flinte! Was will er mit ihr? Es ist übrigens ein gutes Gewehr! .. ich wollte mir schon lange ein solches anschaffen. Ich wünschte sehr, so eine Flinte zu haben … ich spiele zu gern mit so einem Flintchen … He, Alte, Alte!“ schrie Iwan Iwanowitsch, und winkte mit dem Finger.

Die Alte kam an den Zaun.

„Was hast du da, gute Alte?“

„Sie sehen doch selbst, eine Flinte.“

„Was für eine Flinte?“

„Was weiß ich. Wenn sie mir gehörte, würde ich vielleicht wissen, woraus sie gemacht ist, aber sie gehört doch dem Herrn.“

Iwan Iwanowitsch stand auf, besah sich die Flinte von allen Seiten, und vergaß ganz, die Alte dafür zu schelten, daß sie auch Degen und Flinte zum Lüften herausgebracht hatte.

„Wahrscheinlich ist sie aus Eisen,“ meinte die Alte.

„Hm, hm, aus Eisen. Warum sollte sie gerade aus Eisen sein?“ murmelte Iwan Iwanowitsch. „Hat dein Herr sie schon lange?“

„Vielleicht – es ist möglich, daß er sie schon lange hat.“

„Ein vortreffliches Gewehr,“ fuhr Iwan Iwanowitsch fort. „Ich werde es mir von ihm ausbitten. Wozu braucht er eine Flinte? Oder ich tausche sie gegen etwas anderes ein. Sag mal Alte, ist dein Herr zu Hause?“

„Freilich.“

„Er hat sich wohl hingelegt?“

„Jawohl.“

„Gut. Ich werde zu ihm gehen.“

Iwan Iwanowitsch zog sich an und nahm einen Knotenstock mit sich, den er als Waffe gegen die Hunde brauchte; denn in Mirgorod begegnet man auf der Straße mehr Hunden als Menschen. Dann machte er sich auf den Weg.

Obwohl die Höfe Iwan Iwanowitschs und Iwan Nikiforowitschs aneinander grenzten, und man aus dem einen in den andern hinübersteigen konnte, ging Iwan Iwanowitsch doch über die Straße. Nach dieser Straße mußte er eine kleine Gasse passieren, die ganz ungewöhnlich schmal war; wenn es geschah, daß zwei Einspänner sich hier begegneten, so konnten sie nicht aneinander vorbei und mußten so lange stillstehen, bis sie jemand an den Hinterrädern packte und in die Straße zurückzog. Der Fußgänger aber kam wie mit Blumen geschmückt aus dieser Gasse heraus, da zu beiden Seiten des Zaunes die Kletten aufs schönste gediehen. An diese Gasse stieß sowohl die Scheune Iwan Iwanowitschs, als auch ein Kornspeicher Iwan Nikiforowitschs, und ebenso sein Tor und sein Taubenschlag. Iwan Iwanowitsch trat ans Tor und rüttelte an der Türklinke. Aus dem Innern erscholl Hundegebell, als aber die buntscheckige Gesellschaft sah, daß ein guter Bekannter den Hof betrat, zog sie sich schweifwedelnd zurück. Iwan Iwanowitsch durchschritt den Hof, auf dem ein buntes Drunter und Drüber herrschte: indische Tauben, die der Besitzer eigenhändig zu füttern pflegte, Melonen- und Wassermelonenschalen, verstreutes Gemüse, ein zerbrochenes Rad, ein Faßreifen, dazwischen ein kleiner Junge in einem schmutzigen Hemdchen – mit einem Wort, ein Anblick, wie die Maler ihn lieben! Die ausgehängten Kleider hüllten den ganzen Hof in ihre Schatten ein und verliehen ihm eine gewisse Kühle. Die Alte begrüßte Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung, rührte sich aber nicht vom Flecke und gähnte. Vor dem Hause befand sich eine zierliche Treppe mit einem Schutzdach, das von zwei Eichenpfosten gestützt wurde: übrigens ein sehr unzureichendes Mittel gegen die Sonne, denn Frau Sonne liebt um diese Zeit in Kleinrußland nicht zu spaßen und badet den Spaziergänger von Kopf bis zu Fuß in Schweiß. Dies zeigt übrigens, wie groß das Verlangen Iwan Iwanowitschs nach dem so unentbehrlichen Dinge war, da er sich um diese Zeit hinausgewagt hatte und somit seiner Gewohnheit, das Haus erst des Abends zu einem Spaziergang zu verlassen, untreu geworden war.

Das Zimmer, welches Iwan Iwanowitsch betrat, war ganz dunkel und die Läden waren geschlossen. Nur durch das Guckloch im Laden fielen ein paar Sonnenstrahlen, spielten in Regenbogenfarben und malten eine bunte Landschaft an die gegenüberliegende Wand: da sah man binsengedeckte Dächer, Bäume, die ausgehängten Kleidungsstücke usw. – alles natürlich auf den Kopf gestellt, wodurch das Zimmer in ein wundersames, helles Dämmerlicht gehüllt wurde.

„Gott helf,“ sagte Iwan Iwanowitsch.

„Guten Tag, Iwan Iwanowitsch,“ antwortete eine Stimme aus der Zimmerecke. Erst jetzt bemerkte Iwan Iwanowitsch Iwan Nikiforowitsch, der auf einem ausgebreiteten Teppich am Boden lag.

„Entschuldigen Sie bitte, daß ich mich Ihnen im Adamskostüm präsentiere.“

Iwan Nikiforowitsch lag ganz nackt und ohne Hemd da.

„Bitte, bitte. Haben Sie gut geschlafen, Iwan Nikiforowitsch?“

„Ausgezeichnet. Und Sie, Iwan Iwanowitsch?“

„Ich habe auch gut geschlafen.“

„Sie sind wohl erst eben aufgestanden?“

„Was? ich soll erst eben aufgestanden sein? Gott behüte, Iwan Nikiforowitsch, wie kann man so lange schlafen. Ich komme eben aus dem Dorf zurück – überall wo man hinkommt – giebt’s herrliches Getreide, großartig sag ich Ihnen! Auch das Heu ist lang, weich und saftig.“

„Gorpina,“ schrie Iwan Nikiforowitsch, „bring Iwan Iwanowitsch einen Schnaps und ein paar Rahmkuchen.“

„Ein herrliches Wetter heut.“

„Ach loben Sie es doch nicht, Iwan Iwanowitsch. Hol’s der Teufel – man kommt ja um vor Hitze.“

„Ist es denn durchaus nötig, den Teufel anzurufen? Ach, Iwan Nikiforowitsch, Sie werden noch an mich denken, wenn es zu spät sein wird. Jawohl, Sie werden im Jenseits für Ihre gottlosen Reden büßen müssen.“

„Womit habe ich Sie denn beleidigt, Iwan Iwanowitsch? Ich habe doch weder Ihren Vater noch Ihre Mutter beschimpft. Ich verstehe nicht, wodurch ich Sie gekränkt haben könnte.“

„Lassen wir das, Iwan Nikiforowitsch, lassen wir das.“

„Bei Gott, ich wollte Sie nicht kränken, Iwan Iwanowitsch.“

„Merkwürdig, daß die Wachteln noch immer nicht ins Rohr gehen.“

„Wie Sie wollen, Iwan Iwanowitsch, denken Sie was Sie wollen – ich hatte wirklich nicht die Absicht, Sie zu kränken.“

„Ich begreife nicht, warum Sie nicht hineingehen,“ sagte Iwan Iwanowitsch, als habe er die Worte gar nicht gehört. „Vielleicht ist noch die Zeit dazu nicht gekommen, aber mir scheint, es wäre jetzt die rechte Zeit.“

„Sie sagen, daß das Getreide gut steht?“

„Herrlich, ganz herrlich!“

Nun folgte eine lange Pause.

„Iwan Nikiforowitsch, warum lassen Sie denn plötzlich alle Ihre Kleider heraushängen,“ fragte endlich Iwan Iwanowitsch.

„Ach, die verfluchte Alte hat meine guten und fast neuen Kleidungsstücke verschimmeln lassen: jetzt lasse ich alles auslüften; das Tuch ist noch fein, es ist noch ganz ausgezeichnet, einiges braucht man nur wenden zu lassen, dann kann man es wieder tragen.“

„Etwas hat mir besonders gefallen, Iwan Nikiforowitsch.“

„Was denn?“

„Sagen Sie bitte, wozu brauchen Sie diese Flinte? Da ist doch eine Flinte mit herausgehängt!“ Bei diesen Worten reichte Iwan Iwanowitsch seinem Freunde eine Prise. „Darf ich Sie bitten, sich zu bedienen?“

„Bitte bedienen sie sich selbst, ich nehme von meinem eigenen,“ dabei tastete Iwan Nikiforowitsch mit den Händen umher und fand endlich seine Dose. „So ein dummes Weib! Sie will die Flinte also auch auslüften? Der Jude in Sorotschintzy macht einen ausgezeichneten Tabak. Ich weiß nicht, was er hineintut – es ist so etwas Aromatisches, und erinnert ein wenig an Krauseminze. Aber bedienen Sie sich doch.“