Za darmo

Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

Tekst
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

In einem Augenblick war er angezogen: er schwärzte sich seinen Schnurrbart und seine Brauen, und setzte ein kleines dunkles Mützchen auf den Kopf, sodaß niemand, nicht einmal die Kosaken, die ihm am nächsten standen, ihn hätten erkennen können. Er sah nicht älter aus als ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Ein gesundes Rot bedeckte seine Wangen, und selbst die Narben standen ihm ausgezeichnet und verliehen ihm etwas Gebieterisches. Das goldverbrämte Gewand kleidete ihn ganz vorzüglich.

Die Straßen lagen noch in tiefem Schlafe, und noch war in der Stadt kein Händler mit seiner Kiste unter dem Arme zu bemerken. Bulba und Jankel gelangten vor ein Gebäude, das wie ein sitzender Reiter aussah. Es war niedrig, breit, außerordentlich groß und ganz vor Alter geschwärzt; auf der einen Seite ragte ein langer, schmaler Turm empor, der wie der Hals eines Storches aussah und auf dessen Spitze sich das Stück eines Daches befand. Dieses Gebäude hatte die allermannigfaltigsten Funktionen: hier befanden sich die Kasernen, das Gefängnis und sogar das Kriminalgericht. Unsere Wanderer traten in das Tor ein und standen gleich darauf in einem geräumigen Saal, oder vielmehr in einem gedeckten Hof, in dem ungefähr tausend Menschen nebeneinander schliefen. Ihnen gegenüber befand sich eine kleine Tür vor der zwei Wachen saßen, und ein merkwürdiges Spiel spielten, welches darin bestand, daß der eine dem andern mit zwei Fingern auf die Handflächen zu schlagen suchte. Sie beachteten die Ankömmlinge kaum und drehten ihre Köpfe erst um, als Jankel zu ihnen sagte:

„Das sind wir, hören Sie meine Herren, das sind wir!“

„Geht hinein,“ sagte der eine von ihnen und öffnete mit der einen Hand die Tür, während er seinem Kameraden die andere zum Schlage hinhielt.

Sie betraten einen schmalen dunklen Gang und gelangten in einen ähnlichen Saal mit einigen kleinen Fenstern an der Decke.

„Wer da?“ riefen mehrere Stimmen, und Taraß erblickte eine beträchtliche Anzahl von Kriegern in voller Rüstung. „Wir haben Befehl, niemanden hineinzulassen.“

„Das sind wir,“ rief Jankel, „bei Gott das sind wir, erlauchte Herren!“ Aber niemand wollte ihm Gehör schenken. Glücklicherweise trat in diesem Augenblick ein dicker Mann herein, der seinem Aussehen nach ein Vorgesetzter sein mußte, denn er schimpfte und fluchte mehr als alle andern zusammen.

„Herr, das sind wir, der Herr kennt uns schon – der Herr Graf wird sich noch persönlich bedanken!“

„Laßt sie durch, Donnerwetter noch ’mal! Von nun ab aber laßt ihr mir keinen mehr herein, und daß mir keiner von euch den Säbel ablegt und sich auf der Erde herumwälzt!“

Die Fortsetzung dieser so eindrucksvollen Rede vernahmen unsere Reisenden jedoch nicht mehr.

„Das sind wir, das bin ich, ein guter Freund,“ sagte Jankel zu jedem, der ihm begegnete.

„Ist’s so weit?“ fragte er eine der Wachen, als sie endlich an die Stelle gelangten, wo der Gang zu Ende war.

„Kommt nur. Ich weiß aber nicht, ob man euch in das Gefängnis selbst hineinlassen wird! Jan ist jetzt nicht mehr da, statt seiner steht ein anderer Wache,“ antwortete ein Wachtposten.

„Oh oh,“ sagte der Jude leise, „das ist schlimm, werter Herr!“

„Schnell, führ mich weiter,“ sprach Taraß hartnäckig. Der Jude gehorchte.

An der Tür eines unterirdischen Gewölbes, das oben scheinbar spitz zulief, stand ein Heiduck mit einem dreistöckigen Schnurrbart. Der eine Teil des Bartes war nach hinten gebürstet, der andere nach vorn, und der dritte hing ihm nach unten herab, sodaß der Mann aussah wie ein Kater.

Der Jude schrumpfte völlig zusammen und beugte sich fast bis zum Erdboden herab. Endlich näherte er sich ihm von der Seite. „Euer Gnaden, allerdurchlauchtigster Herr!“

„Sagst du das zu mir, Jude?“

„Zu dir, allerdurchlauchtigster Herr!“

„Hm … ich bin aber doch nur ein einfacher Heiduck!“ sagte der Schnurrbartgewaltige und sein ganzes Gesicht strahlte von Eitelkeit.

„Ich dachte, bei Gott, du seist der erhabene Wojewode selbst! Oh oh oh.“ Bei diesen Worten schüttelte der Jude den Kopf und spreizte die Finger. „Oh oh, wie würdig und vornehm der Herr aussehen. Bei Gott – ein Oberst, wie ein richtiger Oberst! Nur noch ein Tröpfchen, und nichts fehlte zu einem Oberst! Der Herr müßte auf einem Pferde sitzen, so schnell, wie eine Fliege, und Parade abhalten über alle Regimenter!“

Der Heiduck brachte den untern Teil seines Bartes in Ordnung, und seine Augen strahlten vor Vergnügen.

„Nein, was sind die Soldaten doch für ein Volk,“ fuhr der Jude fort. „O weh mir, was für ein prächtiges Volk! Schnüre, Tressen, das glänzt ordentlich wie die Sonne! Und die Fräulein, die die Herren Soldaten sehen – oh oh …“ Und der Jude schüttelte wieder den Kopf.

Der Heiduck strich sich mit der Hand über den oberen Teil des Bartes und gab hierbei einen Laut von sich, der dem Wiehern eines Pferdes glich.

„Darf ich den Herrn untertänigst um eine Freundlichkeit bitten?“ bat der Jude, „der Fürst hier ist aus fremden Landen gekommen; er möchte sich die Kosaken ansehen. Hat er doch in seinem Leben nicht gesehen, was für ein Volk die Kosaken sind!“

Die Besuche ausländischer Grafen und Barone kamen in Polen ziemlich häufig vor; oft führte sie nichts hin als die bloße Neugierde, sich diesen halbasiatischen Winkel Europas anzusehen. Moskau und die Ukraine galt ihnen schon für Asien. Der Heiduck hielt es daher nach einer ziemlich tiefen Verbeugung für nötig, von sich aus noch ein paar Worte hinzuzufügen.

„Ich weiß nicht,“ sagte er, „warum Euer Durchlaucht sie sich ansehen wollen. Das sind ja Hunde und keine Menschen. Und einen Glauben haben sie, den achtet niemand!“

„Das lügst du, Teufelsbrut,“ rief Bulba. „Du selbst bist ein Hund! Wie wagst du, zu sagen, daß man unsern Glauben nicht achtet! Euren ketzerischen Glauben, den verabscheut jeder Rechtgläubige!“

„Aha steht es so!“ rief der Heiduck, „jetzt weiß ich, wer du bist, mein Freund! Du gehörst wohl selbst zu diesen, die hier festsitzen. Warte mal, ich will mal unsere Leute herbeirufen!“

Taraß sah ein, wie unvorsichtig er gewesen war, aber Trotz und Wut hinderten ihn, darüber nachzudenken, wie er es wieder gut machen sollte. Glücklicherweise griff Jankel sofort ein.

„Allerdurchlauchtigster Herr! Wie sollte es möglich sein, daß der Herr ist ein Kosak! Und wenn er ein Kosak wäre, wie käme er zu einer solchen Kleidung und zu einem so gräflichen Aussehen!“

„Lüg dir doch selbst was vor!“ Der Heiduck wollte schon seinen riesigen Mund öffnen, um Lärm zu machen.

„Eure königliche Hoheit! Beruhigen Sie sich! Beruhigen Sie sich um Gottes willen!“ schrie Jankel. „Wir werden Ihnen so viel geben, wie Sie noch nie gesehen haben: wir werden Ihnen zwei goldene Dukaten geben!“

„He, wie? – zwei Dukaten! Aus zwei Dukaten mache ich mir garnichts, die gebe ich dem Barbier, wenn er mir die Hälfte meines Bartes rasiert hat. Hundert Dukaten, Jude!“ Hier drehte der Heiduck seinen Schnurrbart … „Wenn du mir nicht sofort hundert Dukaten gibst, so schrei ich sofort los!“

„Warum soviel,“ rief der Jude, der ganz kreidebleich geworden war, jammernd und öffnete einen ledernen Säckel: er war aber doch glücklich, daß nicht mehr darin war, und daß der Heiduck nicht weiter als bis hundert zählen konnte.

„Herr, lassen Sie uns schnell fortgehen. Sie sehen doch, was das hier für schlechte Menschen sind!“ sagte Jankel, als er bemerkte, daß der Heiduck das Geld nachzählte, als ob es ihm leid täte, nicht mehr gefordert zu haben.

„Nun, du Satansheiduck?“ rief Bulba. „Das Geld hast du genommen, aber du denkst nicht daran, uns den Gefangenen zu zeigen? Nun, jetzt mußt du ihn uns zeigen! du hast das Geld angenommen, und darum hast Du kein Recht uns abzuweisen!“

„Fort mit euch, geht zum Teufel! Sonst melde ich es sofort! Und man wird euch gleich … Ich will euch Beine machen, sage ich euch!“

„Herr. Herr, kommt schnell, bei Gott, kommt! Hol sie der Teufel! Gott schicke ihm einen Traum, daß ihm übel wird!“ schrie der arme Jankel.

Bulba wandte sich langsam um und schritt mit gesenktem Kopfe zurück, wobei ihn Jankel mit Vorwürfen überhäufte, der sich über die nutzlos weggeworfenen hundert Dukaten fast zu Tode ärgerte.

„Wozu mußtet Ihr ihn denn reizen! Hättet Ihr doch den Hund ruhig schimpfen lassen! Das ist doch nun mal so ein Volk, die müssen immer schimpfen. O weh mir, was für ein Glück hat Gott diesen Menschen geschickt! Hundert Dukaten dafür, daß er uns fortjagt; Unsereinem dagegen reißt man die Locken ab, man richtet ihm das Gesicht zu, daß man es gar nicht mehr anschauen mag – und kein Mensch gibt ihm hundert Dukaten! O mein Gott! Barmherziger Gott!“

Dieser Mißerfolg hatte jedoch einen noch tieferen Eindruck auf Bulba gemacht: eine verzehrende Flamme glühte in seinen Augen.

„Vorwärts“, sagte Bulba plötzlich, wie aus einem Traum erwachend, „komm, wir wollen auf den Platz gehen. Ich will sehen, wie man ihn foltern wird.“

„O weh, gnädiger Herr, wozu sollen wir hingehen, wir können ihm ja doch nicht mehr helfen.“

„Komm,“ sagte Bulba eigensinnig, und der Jude folgte ihm seufzend, wie eine Kinderfrau.

Es war nicht schwer, den Platz aufzufinden, wo die Hinrichtung stattfinden sollte: denn das Volk strömte von allen Seiten dorthin. In jenen barbarischen Zeiten war das nicht nur für den Pöbel, sondern auch für die höheren Kreise eins der beliebtesten Schauspiele. Viele fromme alte Weiber, eine Unzahl scheuer und ängstlicher junger Mädchen und Frauen, die nachher die ganze Nacht von blutigen Leichen träumten und im Schlafe so laut aufschrien, wie das nur noch ein betrunkener Husar vermag, ließen keine Gelegenheit vorüber, sich das Schauspiel anzusehen. „O welch entsetzliche Qualen,“ schrien manche in hysterischer, fieberhafter Erregung, hielten sich die Hände vor die Augen und wandten sich ab, verharrten aber trotzdem lange auf ihrem Platze. Viele standen mit weitgeöffnetemMunde da, streckten die Arme aus und wären den vor ihnen Stehenden am liebsten auf den Kopf gesprungen, um besser sehen zu können. Aus der Menge der kleinen, schmalen und gewöhnlichen Köpfe ragte hin und wieder das dicke Gesicht eines Schlächters hervor: er sah sich den Vorgang mit Kennermienen an und unterhielt sich in einsilbigen Worten mit einem Waffenschmied, den er Gevatter nannte, weil er sich an Feiertagen mit ihm zusammen in der gleichen Schenke zu betrinken pflegte. Wieder andere erörterten das Ereignis mit großer Erregung und Leidenschaftlichkeit; eine dritte Partei ging sogar Wetten ein. Die meisten der Anwesenden jedoch gehörten zu jener Gattung, die die ganze Welt und alles, was darin vorgeht gleichgültig ansehen und dabei den Finger in die Nase stecken. In der ersten Reihe, neben den mit mächtigen Schnauzbärten gezierten Heiducken, die die Stadtwache bildeten, stand ein junger Edelmann (er sah wenigstens so aus) – in ritterlicher Tracht; er hatte sich mit allem behängt, was er besaß, so daß nur noch ein zerrissenes Hemd und ein Paar alte Stiefel in seiner Wohnung zurückgeblieben waren. Um seinen Hals hatte er zwei Ketten geschlungen, eine über die andre, an denen je ein Dukaten hing. So stand er mit seiner Geliebten Jusysja da und sah sich fortwährend um, damit nur ja niemand ihr seidenes Kleid beschmutzte. Er hatte ihr bereits alles erklärt, so daß gar nichts mehr hinzuzufügen blieb. „Sieh, geliebte Jusysja,“ sagte er „dies ganze Volk, das Du hier siehst, ist hierhergekommen, um zu sehen, wie man die Verbrecher hinrichten wird. Der da, mit dem Beil und den andern Werkzeugen in der Hand, den, den du dort siehst, Liebchen: das ist der Henker, der wird das Urteil vollstrecken. Solange er den Verbrecher rädert und noch auf andere Weise martert, ist der immer noch am Leben; schlägt er ihm aber den Kopf ab, dann ist es aus mit ihm, Liebste. Zuerst wird er natürlich schreien und sich winden – wenn man ihm aber den Kopf abgeschlagen hat, dann kann er nicht mehr schreien, und nicht mehr essen, noch trinken, denn er hat ja keinen Kopf mehr, Liebchen!“ Und Jusysja hörte das alles voller Schrecken und Neugier an. Die Dächer der Häuser waren von einer großen Menschenmenge bedeckt. Aus kleinen Luken blickten merkwürdige Gesichter, mit Schnurrbärten und haubenartigen Kopfbedeckungen hervor. Auf den Balkonen saßen die Edelleute unter Baldachinen. Das schöne Händchen eines lachenden Fräuleins mit einem Gesichtchen, das wie Milchzucker glänzte, lag lässig auf dem Rand des Geländers. Edle Herren von ansehnlicher Beleibtheit blickten mit ernster Miene von oben herab. Ein Leibeigener in kostbarer Tracht und mit zurückgeschlagenen Ärmeln reichte allerhand Speisen und Getränke herum. Bisweilen warf ein mutwilliges Mädchen mit schwarzen Augen und weißen glänzenden Händchen Kuchen und Früchte unter die Menge. Eine Schar hungriger Ritter hielt um die Wette ihre Mützen hin, und ein hagerer Edelmann, der mit seinem Kopfe weit über alles Volk hinausragte und einen verblichenen roten Rock mit nachgedunkelten goldenen Schnüren trug, fing die süße Beute mit seinen langen Armen zuerst auf, küßte sie, drückte sie ans Herz und ließ sie dann im Munde verschwinden. Auch ein Falke, der in einem goldenen Käfig unter dem Balkon hing, gehörte zu den Zuschauern; er saß mit zur Seite gebogenem Schnabel und ausgestreckter Kralle da und beobachtete seinerseits das Volk voller Aufmerksamkeit. Plötzlich begann die Menge unruhig zu werden und zu lärmen, und man schrie von allen Seiten: „sie kommen, sie kommen, die Kosaken kommen!“

 

Diese kamen mit entblößten Häuptern und ihren langen Mähnen herangeschritten; auch ihre Bärte waren lang und ungepflegt. Ihr Gang war weder ängstlich noch bekümmert; stumm und stolz schritten sie daher. Das kostbare Tuch ihrer Kleider war verschlissen und hing in Fetzen an ihnen herab: sie beachteten das Volk nicht und gönnten ihm keinen Gruß. Allen voran schritt Ostap.

Was mochte der alte Taraß empfinden, als er seinen Sohn erblickte? Was ging wohl in seiner Seele vor? Er sah aus der Menge nach ihm hin, und keine seiner Bewegungen ging ihm verloren. Die Kosaken hatten den Richtplatz betreten. Ostap blieb stehen. Er sollte den bitteren Kelch als erster leeren. Er sah die Seinen an, hob die Arme empor und sprach laut: „Gebe Gott, daß alle Ketzer, die hier stehen, nichts davon vornehmen, wie ein Christ leidet, und daß keiner einen Laut von sich gebe!“ Dann beschritt er das Schafott. „Brav, mein Sohn, brav,“ sagte Bulba leise und ließ seinen grauen Kopf tief hinabsinken.

Der Henker riß Ostap die alten Lumpen herunter, Hände und Füße wurden in ein eigens zu diesem Zwecke angefertigtes Gestell gesteckt und … Aber wozu sollen wir den Leser mit der Beschreibung all der höllischen Qualen erschüttern, bei denen einem jeden die Haare zu Berge stehen müssen. Das waren die Ausgeburten jenes rohen barbarischen Zeitalters, da der Mensch sein Leben nur in blutigen Kämpfen hinbrachte und seine Seele gegen alle menschlichen Gefühle abhärtete. Vergebens kämpften einzelne Menschen, die in jener Zeit nur seltene Ausnahme bildeten, gegen diese entsetzlichen Schauspiele. Vergebens wiesen geistig hochbegabte und aufgeklärte Könige und viele Ritter darauf hin, daß solch grausame Strafen den Rachedurst der Kosaken nur noch mehr entflammen müßten. Aber die Macht des Königs und die vernünftigen Erwägungen waren ohnmächtig gegenüber der Zügellosigkeit und frechen Willkür der Magnaten, die durch ihre Unüberlegtheit, ihren unbegreiflichen Mangel jeglichen Weitblicks und durch ihren kindischen Ehrgeiz und kleinlichen Stolz den Reichstag zu einer Satire auf die Regierung herabgewürdigt hatten. Ostap ertrug die Qualen und Foltern wie ein Held. Als man ihm die Gelenke an Händen und Füßen zerbrach, hörte man ihm nicht einmal einen Schrei oder einen Seufzer entfahren, und selbst als inmitten der totenstillen Menge das entsetzliche Krachen der Knochen auch dem entferntesten Zuschauer hörbar wurde, und die jungen Fräuleins ihre Augen abwandten – selbst da entwich seinen Lippen kein Klagelaut, und zuckte keine Miene in seinem Gesicht. Taraß stand mit gesenktem Haupte in der Menge, aber seine Augen blickten stolz, und er murmelte beifällig: „Bravo, mein Sohn, bravo.“

Als man jedoch zu den letzten tödlichen Martern schritt, da schien es, als ob Ostap seine Selbstbeherrschung verlassen wollte. Er sah sich rings um: Gott! Lauter fremde, unbekannte Gesichter! O wäre doch nur einer, der ihm nahestand, bei seinem Tode zugegen gewesen. Es war nicht das Schluchzen und Klagen der schwachen Mutter, oder das irrsinnige Jammern der Gattin, die sich die Haare zerrauft und gegen den weißen Busen schlägt, was ihn zu hören verlangte, wohl aber hätte er jetzt einen starken Mann sehen mögen, der ihn vor seinem Ende mit einem klugen Wort erfrischen und trösten konnte. Seine Kraft verließ ihn und in furchtbarer Seelenqual schrie er auf: „Vater, wo bist du? Hörst du das alles nicht?“

„Ich höre es,“ klang es plötzlich durch die allgemeine Stille, und ein Zittern ging plötzlich durch die millionenstarke Menge. Ein Teil der bewaffneten Reiter stürzte sich sofort mitten unter sie, um sie zu durchsuchen. Jankel war bleich geworden wie der Tod; als sich die Reiter ein wenig von ihm entfernt hatten, wandte er sich voller Schrecken um, um Taraß zu suchen; allein dieser stand schon nicht mehr neben ihm und war spurlos verschwunden.

Zwölftes Kapitel

Taraß ließ bald wieder von sich hören. Ein Heer von hundertzwanzigtausend Kosaken erschien an den Grenzen der Ukraine. Das war nicht mehr ein Häuflein oder eine kleine Schar, die auf Raub ausging oder die den Tataren nachsetzen wollte. Nein, die ganze Nation hatte sich erhoben, denn die Geduld des Volkes war endlich erschöpft – sie hatte sich erhoben, um sich für die Verhöhnung ihrer Rechte, den erniedrigenden Schimpf, der ihren Sitten angetan war, die Verletzung des Glaubens ihrer Vorfahren und ihrer heiligen Gebräuche, für die Schändung der Kirchen, die Willkür der ausländischen Herren, die Unterdrückung, die Union und die verhaßte Herrschaft der Juden in christlichen Landen, kurz, um sich für alles zu rächen, was den leidenschaftlichen Haß der Kosaken hervorgerufen und gesteigert hatte. An der Spitze dieses unübersehbaren Kosakenheeres stand der junge aber kluge und mutige Hetman Ostraniza, und ihm zur Seite sein altersgrauer und kampferprobter Waffenbruder und Berater Gunja. Acht Hauptleute führten ebensoviel Scharen von je zwölftausend Kosaken. Zwei Anführer und ein Unterfeldherr bildeten das unmittelbare Gefolge des Hetmans. Der erste Fahnenträger ritt mit dem großen Banner allen voran; und noch zahllose andere Fahnen und Feldzeichen sah man in der Ferne flattern. Die Anführer trugen alle ihre Hetmansstäbe. Außerdem befanden sich im Heere noch eine große Reihe anderer Würdenträger, als da sind: Proviantmeister, Stabsoffiziere, Heerschreiber &c., die von Berittenen und Fußvolk begleitet wurden. Die Zahl der Freiwilligen war fast ebenso groß, wie die der Kriegspflichtigen. Von allen Seiten waren die Kosaken zusammengeströmt: aus Tschigirin, Perejaßlaw, aus Baturin und Gluchow, von dem unteren Laufe des Dnjepr, von seinem ganzen Oberlauf und von all seinen Inseln. Zahllose Roßherden und Wagenreihen zogen über die Felder dahin. Aber unter den vielen Kosaken, unter diesen acht Abteilungen war eine, die vor allen ausgezeichnet war, das war die, an deren Spitze Taraß Bulba stand. Alles kam zusammen, um ihm ein gewaltiges Übergewicht über seine Genossen zu geben: sein vorgerücktes Alter, seine Erfahrung, seine Kunst, ein so großes Heer zu befehligen, und vor allem sein furchtbarer Haß gegen die Feinde. Selbst den Kosaken erschien seine furchtbare Wildheit und unbarmherzige Grausamkeit fast übertrieben. Sein ergrauter Kopf träumte von nichts anderen, als von Galgen und Feuer, und im Kriegsrate verbreitete sein Wort Schrecken und Vernichtung.

Es wäre zwecklos, all die Schlachten, in denen sich die Kosaken auszeichneten oder den ganzen Verlauf dieses Feldzuges zu beschreiben, all dieses ist in den Büchern der Geschichte aufgezeichnet. Man weiß, wie man in russischen Landen einen Krieg für den Glauben führt: es gibt keine furchtbarere Kraft als den Glauben. Er ist unüberwindlich und schrecklich wie ein Felsen, der nicht von Menschenhand geschaffen ist und der von dem wilden ewig wechselnden Meere umbraust wird: aus der tiefsten Tiefe des Meeresgrundes erhebt er seine unerschütterlichen, aus einem einzigen Stücke geschaffenen Mauern bis in den Himmel empor. Er ist von allen Seiten sichtbar und blickt aufrecht auf die vorbeieilenden Wogen herab. Und wehe dem Schiff, das zu ihm hingetrieben wird. Seine kraftlosen Masten und Segel reißen in Stücke. Mann und Maus geht unter, und das Jammergeschrei der Ertrinkenden erfüllt ringsum die Luft.

Es ist in den Chroniken ausführlich beschrieben, wie die polnischen Besatzungen aus den erschrockenen Städten flohen, wie die gewissenlosen jüdischen Pächter, einer nach dem andern, aufgeknüpft wurden, wie wehrlos der königliche Hetman Nikolaus Potozki mit seinem großen Heere dieser unüberwindlichen Macht gegenüberstand, wie er geschlagen und verfolgt wurde und wie er die bessere Hälfte seines Heeres in einem kleinen Flüßchen untergehen ließ; wie die furchtbaren Kosakenhorden ihn in das Städtchen Polomo einschlossen, und wie der bis zum Äußersten getriebene polnische Hetman ihnen mit einem feierlichen Eid im Namen des Königs und aller Magnaten vollständige Genugtuung und die Wiederherstellung aller früherer Rechte und Privilegien versprach. Aber die Kosaken waren nicht gesinnt, sich damit zu begnügen: wußten sie doch, welch einen Wert ein polnischer Eid hatte. Und Potozki hätte nicht mehr auf seinem schmucken Renner, der wohl sechstausend Gulden wert war, die Blicke der Edeldamen und den Neid des Adels auf sich lenken, nicht mehr im Reichstag lärmen und keine glänzenden Gastmähler zu Ehren der Senatoren geben können, wenn ihn die russische Geistlichkeit, die sich im Städtchen befand, nicht gerettet hätte. Als nämlich alle Polen in ihren glänzenden, goldgestickten Meßgewändern, mit Heiligenbildern und Kreuzen in den Händen und allen voran der Erzbischof mit Kreuz und Mitra ihnen entgegenkamen, da senkten die Kosaken ihre Häupter und nahmen die Mützen ab. In jenem Augenblick hätten sie wohl niemandem Achtung erwiesen, selbst dem König nicht – aber gegen ihre Kirche erdreisteten sie sich nicht, sich aufzulehnen, und daher begrüßten sie ihre Geistlichkeit ehrfürchtig. Der Hetman wie die Hauptleute erklärten sich bereit, Potozki freizugeben, doch ließen sie ihn vorher einen Schwur leisten, daß er alle christlichen Kirchen in Ruhe lassen, der alten Feindschaft entsagen und dem Kosakentum keinen Schimpf und Schaden mehr zufügen werde. Nur einer der Hauptleute wollte diesen Friedensschluß nicht mitmachen: dieser eine war Taraß. Er riß sich ein Büschel Haare aus und rief:

 

„He, du Hetman und ihr Hauptleute! macht doch keine solchen Weibergeschäfte! Traut den Polen nicht: sie werden euch ja doch verraten!“ Und als der Heerschreiber den Vertrag vorlegte, und der Hetman ihn mit seiner mächtigen Faust unterzeichnete, da zog Taraß seine herrliche Klinge, den kostbaren türkischen Säbel von feinstem Stahl, zerbrach ihn in zwei Stücke wie einen Stab, warf sie weit weg, nach verschiedenen Richtungen und rief: „So lebt denn wohl! So wenig wie diese beiden Enden sich je zu einem Säbel vereinigen werden, werden auch wir uns in dieser Welt noch einmal wiedersehen, Kameraden! Seid meiner Abschiedsworte eingedenk!“ (Hier wurde seine Stimme lauter, sie erhob sich gewaltig, und eine ungewohnte Macht ging von ihr aus, so daß alle über diese propethischen Worte in Verwirrung gerieten.) „In Eurer Todesstunde werdet ihr meiner gedenken! Ihr glaubt, daß ihr euch nun Ruhe und Frieden erkauft habt, ihr glaubt, daß ihr jetzt wie die Herren leben werdet? Das kann ein rechtes Herrenleben werden! Die Haut wird man dir vom Kopfe ziehen, Hetman, man wird sie mit Buchweizenspreu ausstopfen und sie auf allen Märkten herumschleppen und ausstellen! Und auch ihr, werte Herren, werdet eure Köpfe nicht behalten! In feuchten Kellern, zwischen steinernen Mauern eingepfercht, werdet ihr elend verrecken – wenn man euch nicht etwa lebendig röstet wie Hammel in glühenden Kesseln.“

„Doch ihr, Kameraden,“ fuhr er fort, indem er sich an seine Leute wandte, „wer von euch will einen Tod sterben, wie er selbst ihn sich wünscht, – nicht hinter dem Ofen und an der Seite seines Weibes, nicht trunken hinterm Zaun neben irgend einer Schenke, wie ein stinkendes Aas, – sondern einen ehrlichen Kosakentod, zusammen mit allen, auf einem Lager, wie Braut und Bräutigam? Oder wollt ihr vielleicht nach Hause zurückkehren, eurem Glauben abschwören und die polnischen Priester auf eurem Rücken schleppen.“

„Führe du uns Hauptmann, führe uns, Herr,“ riefen alle die zu seiner Abteilung gehörten, und noch viele andere schlossen sich ihnen an.

„Nun also denn, vorwärts“ rief Taraß, drückte seine Mütze noch kühner in die Stirn, warf den Zurückbleibenden einen verächtlichen Blick zu, richtete sich auf seinem Rosse hoch auf und rief den Seinen zu: „Niemand wage es, uns zu beschimpfen! Auf Freunde, jetzt wollen wir diesen Katholiken einmal einen Besuch abstatten!“ Damit gab er seinem Pferd einen Schlag und stürmte davon, und ein ganzer Zug von hundert Wagen, dem sich viele Kosaken zu Fuß und zu Pferde anschlossen, folgte ihm. Taraß wandte sich um und warf den Zurückbleibenden noch einen drohenden Blick zu – seine Augen sprühten vor Zorn. Niemand wagte es, sie zurückzuhalten. Die Abteilung zog Angesichts des ganzen Heeres ab, und noch viele Male drehte sich Taraß nach ihm um, und blitzte sie zornig an.

Der Hetman und die Kosaken blieben zurück; sie versanken in Gedanken und schwiegen lange Zeit, wie wenn eine schwere Vorahnung sie bedrückte. Taraß hatte die Wahrheit gesagt. Es kam ganz so, wie er es vorausgesehen hatte. Kurze Zeit darauf, nach dem Verrat von Kanewo, ward der Kopf des Hauptmanns und mit ihm der vieler vornehmer Würdenträger, auf einen Pfahl gesteckt und öffentlich zur Schau gestellt.

Was aber geschah mit Taraß? Er stürmte mit seinen Leuten durch ganz Polen, brannte achtzig Städtchen und ungefähr vierzig Kirchen nieder und rückte schon gegen Krakau vor. So manchen Edelmann hatte er schon niedergemacht und die reichsten und schönsten Schlösser geplündert. Die Kosaken öffneten die Wein- und Metfässer, welche Jahrhundertelang im Keller der polnischen Herren gelagert hatten, und ließen den köstlichen Wein auf den Boden laufen, schnitten die kostbaren Stoffe in Stücke und verbrannten die Gewänder und Zierrate, die sich in den Kammern befanden. „Schont mir nur nichts,“ wiederholte Taraß fortwährend, und die Kosaken schonten selbst die schwarzäugigen Fräulein mit dem weißen Busen und den lieblichen Gesichtchen nicht, nicht einmal vor den Altären fanden sie Schutz vor ihnen: Taraß ließ sie mitsamt den Altären verbrennen. Manch schneeweiße Hand hob sich flehend aus der feurigen Glut zum Himmel: bei ihrem jämmerlichen Geschrei hätte die Erde selbst sich erweicht, und das Gras der Steppe hätte sich mitleidig zu Boden geneigt. Aber die grausamen Kosaken achteten auf nichts, sie spießten auf den Straßen die Säuglinge auf ihre Lanzen und schleuderten sie ihnen in die Flammen nach. „Da ihr verdammten Polen, das ist die Totenfeier für Ostap,“ wiederholte Taraß beständig. Und solche Totenfeiern für Ostap veranstaltete er in jedem Dorfe, bis die polnische Regierung endlich erkannte, das Taraß’ Toben mehr bedeute als ein einfaches Rauben, sie erteilte daher Potozki den Auftrag, mit fünf Regimentern auszuziehen, um Taraß unverzüglich zu fangen.

Sechs Tage lang entzogen sich die Kosaken auf allerhand Feldwegen der Verfolgung, die Pferde vermochten die ungewohnte schnelle Flucht kaum zu ertragen und retteten nur mit Mühe die Kosaken. Potozki erwies sich jedoch diesmal des ihm gegebenen Auftrags gewachsen: unermüdlich verfolgte er sie und erreichte sie endlich am Ufer des Dnjestr, wo Bulba eine zerfallene und verlassene Festung bezogen hatte, um dort Rast zu halten.

Diese Festung stand dicht an den steilen Ufern des Dnjestr, die Wälle waren niedergerissen, die Mauern waren zerfallen, und die Spitze des Felsens, die jeden Augenblick zusammenzustürzen und herabzufallen drohte, war über und über mit zerbrochenen Kiesel- und Felssteinen bedeckt. Hier war es, wo der königliche Hetman Potozki die Kosaken von drei Seiten, die mit dem offnen Feld in Verbindung standen, umzingelte. Vier Tage lang kämpften und verteidigten sie sich, indem sie Felsen und Ziegelsteine auf die Polen herabschleuderten, aber als die Vorräte und Kräfte zu Ende waren, faßte Taraß den Entschluß, sich durch die feindlichen Reihen hindurchzuschlagen. Der Versuch wäre beinahe gelungen – schon hatten die Kosaken die feindliche Schlachtordnung durchbrochen, und vielleicht hätten ihnen ihre schnellfüßigen Rosse noch einmal einen treuen Dienst geleistet, – da hielt Taraß plötzlich mitten im vollen Lauf inne und rief aus: „Halt, ich habe meine Pfeife und meinen Tabak verloren! Ich will nicht, daß die verfluchten Polen auch nur meine Pfeife in die Hände bekommen!“ Und der alte Hauptmann bückte sich und begann im Grase nach seiner Pfeife zu suchen, die immerdar – zu Wasser und zu Lande, im Feldzug und daheim, seine treue Begleiterin gewesen war. Inzwischen war jedoch ein Trupp Polen herbeigesprengt, und plötzlich packten ihn ein paar Leute bei den kräftigen Schultern. Er suchte sie mit aller Macht abzuschütteln, aber diesmal fielen die Heiducken nicht wie ehemals von ihren Rossen herunter. „Ach ja, man wird alt,“ sagte er, und der schwere, alte Kosak begann bitterlich zu weinen, doch es war nicht das Alter, das an seiner Niederlage schuld war: er war der Übermacht erlegen, denn mehr als dreißig Mann hielten seine Hände und Füße umklammert.

„Endlich haben wir dich, alte Krähe!“ schrieen die Polen, „jetzt müssen wir es uns nur noch überlegen, du Hund, wie wir dich am besten ehren!“ Mit Zustimmung des Hetmans wurde er dazu verurteilt, angesichts des Heeres, lebendig verbrannt zu werden. Ganz in der Nähe befand sich ein kahler Baumstamm, dessen Spitze vom Blitze zerstört war. Taraß wurde in eiserne Ketten geschlossen, zum Baume geschleppt und an den Stamm gefesselt; man erhob ihn so hoch wie möglich über den Erdboden, damit man ihn von allen Seiten sehen konnte, nagelte seine Hände fest und schichtete einen Scheiterhaufen unter dem Baume auf. Aber Taraß blickte nicht auf den Scheiterhaufen; er dachte nicht an das Feuer, das ihn verzehren sollte, er sah dorthin, wo die Gewehre knatterten und die Kosaken sich ihrer Feinde zu erwehren suchten, war doch von seinem erhöhten Platze aus alles zu sehen wie auf der flachen Hand. „Schnell, schnell hinauf, Kameraden,“ schrie er, „besetzt den Hügel hinter dem Walde! Dorthin können sie euch nicht folgen!“ Aber der Wind trug seine Worte nicht bis zu ihnen. „Sie werden umkommen, nutzlos umkommen“ sagte er und blickte verzweifelt nach unten hinab, wo der Dnjestr glänzte. Plötzlich blitzte eine helle Freude in seinen Augen auf. Er hatte hinter einem Busch auf dem Flusse vier Nachen erblickt, und so nahm er denn seine ganze Kraft zusammen und schrie mit lauter Stimme „Ans Ufer, ans Ufer Kameraden! Lauft den kleinen Weg hinunter, den, der zur Linken liegt! Am Ufer liegen Kähne! Bemächtigt euch ihrer sofort, aber aller, hört ihr, damit sie euch nicht verfolgen können!“