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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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Wie die Ähre im Felde von der Sichel getroffen dahin sinkt, wie ein junges Lamm, das den tödlichen Stahl im Herzen spürt, so ließ Andrij den Kopf sinken und stürzte lautlos, und ohne ein Wort zu sagen, auf das Gras.

Der Kindesmörder blieb stehen und betrachtete lange den leblosen Leichnam. Er war schön auch noch im Tode: das kühne Gesicht, das eben noch Kraft und Heldentum atmete, und einen unwiderstehlichen Reiz auf die Frauen ausübte, trug noch immer den Stempel vollendeter Schönheit. Die schwarzen Brauen ließen seine bleichen Züge wie ein Trauerflor noch stärker hervortreten.

„Was fehlte ihm zu einem braven Kosaken!“ sagte Taraß, „ist er nicht groß gewachsen, sind seine Brauen nicht schwarz, hat er nicht das Gesicht eines Edelmanns und einen starken Arm in der Schlacht? Und mußte doch zugrunde gehen. Ruhmlos zugrunde gehen – wie ein räudiger Hund.“

„Vater, was hast du getan? Du hast ihn getötet?“ fragte Ostap, der in diesem Augenblick herangesprengt kam.

Taraß nickte mit dem Kopf.

Ostap blickte dem Toten bange in die Augen. Er empfand Mitleid mit dem Bruder und sagte: „Vater, wir wollen ihm ein ehrliches Begräbnis bereiten, damit die Feinde ihn nicht beschimpfen und die Raubvögel seinen Körper nicht zerhacken.“ „Man wird ihn auch schon ohne uns begraben,“ sagte Taraß, „und es wird ihm nicht an Klageweibern und ähnlichen Dingen fehlen!“

Einige Sekunden schwankte er, ob er ihn den Wölfen zum Fraße überlassen, oder den tapferen Ritter in ihm ehren sollte, den jeder Krieger achten muß, wer er auch sei – da sah er plötzlich Golokopytenko heransprengen. „Es steht Schlimm um uns, Hauptmann, die Polen haben Verstärkungen erhalten, neue Truppen sind ihnen zu Hilfe gekommen!“ Und kaum hatte Golokopytenko dies gesagt, als sich Wowtusenko ihnen eiligst näherte: „Uns droht Unheil, Hauptmann, neue Truppen rücken heran …“ Kaum hatte Wowtusenko ausgeredet, als Pissarenko ohne Roß herbeigeeilt kam: „Wo bleibst du Väterchen? Die Kosaken suchen dich. Die Hauptleute Newelytschki, Sadoroschni und Tscherewitschenko sind erschlagen; aber die Kosaken halten noch stand; sie wollen nicht sterben, bevor sie noch einmal dein Antlitz geschaut haben: sie wollen, daß du sie anblickst in ihrer Todesstunde!“

„Zu Pferd, Ostap,“ rief Taraß und sprengte davon, um die Kosaken aufzusuchen, sie noch einmal zu sehen und sie noch einmal vor ihrem Tode den Hauptmann sehen zu lassen. Aber sie hatten den Wald noch nicht verlassen, als die Feinde sie plötzlich von allen Seiten umzingelten, und überall zwischen den Bäumen Reiter mit geschwungenen Schwertern und Lanzen auftauchten. „Ostap, Ostap, ergib dich nicht,“ schrie Taraß, zog seinen blitzenden Säbel und hieb nach allen Seiten um sich. Sechs Feinde hatten sich auf Ostap gestürzt – aber das war ihr Unglück. Dem einen flog der Kopf von den Schultern, ein anderer machte kehrt und floh entsetzt davon, dem dritten fuhr die Lanze in die Rippen; der vierte war etwas mutiger, er hatte den Kopf zur Seite gewandt und war so einer heißen Kugel entgangen, die seinem Pferde in die Brust drang. Doch dieses bäumte sich wütend auf, stürzte zu Boden und begrub den Reiter unter sich. „Gut, Söhnchen, gut, Ostap,“ rief Taraß, „ich bin gleich bei dir!“ Er wußte sich der Andrängenden noch immer zu erwehren. Taraß säbelt und haut um sich, bald gibt er dem, bald dem einen Hieb über den Schädel, aber er blickt immer vor sich nach Ostap; da sieht er plötzlich, wie sich wenigstens acht Feinde auf den Sohn stürzen. „Ostap, Ostap, weich nicht zurück!“ Aber schon haben sie Ostap bezwungen, schon hat ihm einer die Schlinge um den Hals geworfen, schon bindet man ihn und schleppt ihn fort. „Ostap, Ostap,“ schreit Taraß, bahnt sich einen Weg zu ihm und haut alles um sich herum in Stücke. „Ach Ostap, Ostap …!“

Aber plötzlich trifft ihn selbst etwas wie ein schwerer Stein. Ein Schwindel überfällt ihn, alles dreht sich um ihn. Einen Augenblick kreist alles vor seinen Blicken: Köpfe, Lanzen, der Rauch, das Flackern des Feuers, die Baumzweige mit ihren Blättern blitzen vor ihm auf. Wie eine gefällte Eiche stürzt er zu Boden, und Nebel bedeckt seine Augen.

Zehntes Kapitel

„Ich habe wohl lange geschlafen!“ sagte Taraß wie nach einem Rausch aus schwerem Schlafe erwachend, und er versuchte es, die ihn umgebenden Gegenstände zu erkennen. Dabei fühlte er eine entsetzliche Schwäche in seinen Gliedern. Die Wände und Ecken des ihm ganz unbekannten Zimmers bewegten sich leise hin und her. Endlich bemerkte er, daß sein Kamerad Towkatsch neben ihm saß und jedem seiner Atemzüge zu lauschen schien.

„Ja,“ dachte Towkatsch, „du wärst vielleicht für immer eingeschlafen!“ Er sagte nichts, sondern drohte nur mit dem Finger und machte ihm ein Zeichen, daß er schweigen solle.

„So sag mir doch, wo ich jetzt bin?“ fragte Taraß von neuem. Er strengte seinen Verstand an und bemühte sich, sich das Vergangene wieder ins Gedächtnis zu rufen.

„So schweig doch,“ fuhr ihn der Gefährte scharf an, „was willst du noch wissen? Siehst du denn nicht, daß du ganz zerhauen bist? Schon zwei Wochen galoppiere ich mit dir herum, ohne mir Zeit zum Atmen zu gönnen, und während dieser Zeit sprichst und schwatzt du im Fieber allen möglichen Unsinn zusammen. Es ist heute das erstemal, daß du ruhig eingeschlafen bist. So schweige doch endlich, wenn du nicht selbst das Unheil auf dich herabrufen willst.“

Taraß strengte sich aus aller Kraft an, seine Gedanken zu sammeln und sich das Vergangene ins Gedächtnis zu rufen. „Die Polen hatten mich aber doch gepackt und mich ganz umzingelt? Ich hatte doch gar keine Möglichkeit, zu entkommen?“

„So schweig doch, hörst du, du Teufelssohn!“ schrie Towkatsch ärgerlich wie eine ungeduldige Wärterin, die ein unartiges und unruhiges Kind anschreit. „Was hast du davon, wenn du weißt, wie du davongekommen bist! Sei froh, daß es so ist! Es fanden sich eben Männer, die dich nicht im Stich gelassen haben – und nun sei zufrieden. Wir haben noch manche Nacht zu reiten. Du meinst wohl, daß sie dich für einen Kosaken halten? Nein, man hat deinen Kopf auf zweitausend Dukaten geschätzt!“

„Und Ostap?“ rief Taraß plötzlich, indem er sich aufzurichten versuchte. Jetzt erst erinnerte er sich, wie man Ostap gefangen und vor seinen Augen gebunden hatte, und daß er sich jetzt in den Händen der Polen befand. Und Schmerz und Trauer übermannten den Alten. Er riß die Verbände von seinen Wunden, schleuderte sie weit von sich und wollte laut etwas sagen – aber er sprach nur unzusammenhängende Worte, das Fieber bemächtigte sich seiner aufs neue, und er begann wieder zu phantasieren und allerhand unzusammenhängendes Zeug zu reden. Unterdessen stand sein treuer Gefährte neben ihm und überschüttete ihn mit zahllosen Schmähungen und Vorwürfen. Endlich packte er ihn an Händen und Füßen, wickelte ihn ein wie ein Kind und brachte die Verbände wieder in Ordnung. Dann hüllte er ihn in eine Ochsenhaut, band sie mit Bast zusammen, befestigte seine Last mit Stricken am Sattel und ritt mit ihm auf und davon.

„Und wenn du auch unterwegs sterben solltest, ich bringe dich doch in die Heimat zurück. Ich werde es nicht zulassen, daß die Polen deine Kosakenehre beschimpfen, deinen Körper in Stücke reißen und ins Wasser werfen. Soll dir denn der Adler durchaus die Augen aushacken – so mag es wenigstens unser Steppenadler sein und kein polnischer Adler, keiner der aus polnischen Ländern kommt. Tot oder lebendig – ich bringe dich in die Ukraine zurück.“

So sprach der treue Gefährte. Und er ritt Tag und Nacht rastlos dahin, bis er den völlig Bewußtlosen wirklich in die Sjetsch der Saporoger brachte. Dort behandelte er ihn unermüdlich mit Kräutern und Umschlagen, machte eine erfahrene, kenntnisreiche Jüdin ausfindig, die Taraß einen Monat lang allerlei Getränke einflößte – und so fing er denn wirklich an, sich zu erholen. Ob es nun die Medizin oder seine eigene eiserne Natur war – genug, nach anderthalb Monat stand er wieder auf den Beinen. Die Wunden waren verheilt, und nur die Säbelnarben bezeugten noch, wie schwer der alte Kosak einst verwundet worden war. Allein er war immer traurig, und sein Gemüt war sehr verdüstert. Drei tiefe Falten hatten sich in seine Stirn gegraben und schwanden nicht mehr von ihr. Soweit er um sich blicken mochte: alles war ihm neu in der Sjetsch. Die alten Waffenbrüder waren alle tot. Keiner von denen, die einst für die gerechte Sache, den Glauben und die Kameradschaft gekämpft hatten, war noch da, und auch jene, die zusammen mit dem Hetman die Tataren verfolgt hatten, waren nicht mehr am Leben. Sie alle waren tot und elend umgekommen. Die einen waren einen ehrlichen Tod im Kampfe gestorben, die andern vor Hunger und Erschöpfung in den Salzgründen der Krim zugrunde gegangen, andere wieder waren, unfähig diese Schmach zu ertragen, in der Gefangenschaft umgekommen. Auch der frühere Hetman war tot, keiner von den alten Kriegsgefährten war mehr am Leben, und längst schon wuchs Gras über ihnen, die einst so kraftvolle und mutige Kosaken gewesen waren.

Er hörte nur, daß man ein großes lärmendes Fest gefeiert hatte. Das Geschirr war in Stücke zerschlagen, kein Tropfen Wein war übrig geblieben, die Gäste und ihre Diener hatten alle kostbaren Becher und Gefäße gestohlen – und der Hausherr stand traurig da und dachte: „O hätte doch jenes Fest gar nicht stattgefunden!“ Vergebens bemühte man sich, Taraß zu ermuntern und zu zerstreuen. Vergebens rühmten die alten bärtigen Bandurenspieler, die zu zweien oder dreien durch die Sjetsch kamen, seine Heldentaten unter den Kosaken – finster und gleichgültig ließ er alles geschehen; auf seinem unbeweglichen Gesicht malte sich ein tiefes, nie verstummendes Leid, und mit gesenktem Kopf sprach er leise vor sich hin: „Mein Sohn, mein Ostap.“

Mittlerweile hatten die Saporoger ein Unternehmen zur See vorbereitet. Zweihundert Boote fuhren den Dnjepr hinab; plötzlich erblickte man in Klein-Asien eine Schar von Kosaken mit rasierten Schädeln und langen Mähnen: und mit Feuer und Schwert verheerten sie die blühenden Küsten. Die Turbane der mohammedanischen Bevölkerung lagen blutgetränkt gleich abgemähten Blumen auf den blutigen Feldern umher, oder schwammen an den Ufern. Auch manche teerbeschmierte Kosakenhose sah man in Kleinasien und manch muskulöse Faust mit der schwarzen Kugelpeitsche. Die Saporoger fraßen alle Weintrauben auf, vernichteten alle Weinberge, ließen ganze Haufen Unrat in den Moscheen zurück, umhüllten ihre Füße mit kostbaren persischen Tüchern oder banden sie als Gürtel um ihre schmutzigen Kittel. Und noch lange nachher sah man dort die kurzen Tabakpfeifen der Kosaken herumliegen. Dann fuhren sie fröhlich wieder zurück. Allein ein türkisches Schiff mit zehn Kanonen jagte hinter ihnen her und zerstreute ihre morschen Boote mit einer Salve aus allen Geschützen wie scheue Vögel. Der dritte Teil versank in den Tiefen des Meeres; die übrigen vermochten sich jedoch wieder zu sammeln und erreichten mit zwölf Fässern voller Zechinen die Mündung des Dnjepr.

 

Doch dies alles ließ Taraß völlig kalt. Wie mit der Absicht, zu jagen, durchstreifte er Felder und Steppen, aber niemals gab sein Gewehr einen Schuß ab. Voller Schwermut legte er es neben sich, während er sich unbeweglich am Meeresgestade niederließ. Lange saß er so mit gesenktem Kopf da und flüsterte immer wieder vor sich hin: „Ostap, mein Ostap“. Das ungeheure schwarze Meer lag leuchtend und blitzend vor ihm, im fernen Schilf schrie eine Möwe, sein grauer Schnurrbart schimmerte silbern, und eine Träne nach der andern rollte über seine Wangen.

Endlich aber hielt es Taraß nicht länger aus. „Was da auch kommen mag, ich will hingehen und erfahren, was mit ihm geschehen ist. Ob er noch lebt, oder schon im Grabe liegt? Vielleicht hat er nicht einmal ein Grab. Ich muß es erfahren, es koste, was es wolle.“ Eine Woche später war er bereits, hoch zu Roß, mit Lanze und Säbel bewaffnet, den Reisesack am Sattel und mit einem Kessel voll Weizenbrei, Pulver, Patronen, einem Koppelseil und sonstigem Gerät ausgerüstet, in der Stadt Uman. Er ritt geradewegs auf ein schmutziges Häuschen zu, dessen kleine verräucherte Fenster kaum zu sehen waren. Der Schornstein war mit einem Lappen zugestopft, und auf dem durchlöcherten Dach wimmelte es von Spatzen. Vor der Tür lag ein Kehrichthaufen, und aus dem Fenster guckte der Kopf einer Jüdin heraus, die ein mit schwärzlichen Perlen besetztes Häubchen trug.

„Ist dein Mann zu Hause?“ fragte Bulba, stieg vom Pferde und band die Zügel an einen eisernen Haken, der sich neben der Tür befand.

„Ja, er ist zu Hause,“ antwortete die Jüdin und trug eiligst Weizen für das Pferd und einen Krug Bier für den Ritter herbei.

„Wo ist denn dein Jude?“

„Er betet im andern Zimmer,“ sagte die Jüdin, verbeugte sich tief und wünschte Bulba, als er den Krug an die Lippen führte, eine gute Gesundheit.

„Bleib hier, füttere und tränke mein Pferd, ich will mit ihm allein sprechen. Ich habe Wichtiges mit ihm zu verhandeln.“

Dieser Jude war der uns wohlbekannte Jankel. Er war jetzt bereits Pächter und Schankwirt. Mit der Zeit hatte er alle benachbarten Herren und Edelleute in seine Hände bekommen, ihnen nach und nach fast all ihr Geld abgenommen und sich überhaupt in jener Gegend äußerst bemerkbar gemacht; drei Meilen weit nach allen Richtungen war kein Haus mehr in einem ordentlichen Zustand, alles verfiel und wurde alt und morsch, alle Leute hatten sich dem Trunke ergeben, und man bemerkte nichts als Armut und Elend. Die ganze Gegend sah so aus, als ob hier ein verheerender Brand stattgefunden, oder als ob die Pest hier gehaust hätte. Und hätte Jankel noch zehn Jahre dort gelebt, er hätte wahrscheinlich die ganze Wojewodenschaft zugrunde gerichtet.

Taraß trat ins Zimmer. Der Jude saß in einem ziemlich schmutzigen Leinenrock da und betete; er wandte sich gerade um, um zum letztenmal auszuspeien wie es seine Religion vorschreibt, als sein Blick plötzlich auf den hinter ihm stehenden Bulba fiel. Das erste, was dem Juden einfiel, waren die zweitausend Dukaten, die auf Bulbas Kopf gesetzt waren, aber er schämte sich gleich wieder seiner Geldgier und bemühte sich, den unablässigen Hunger nach Geld zu unterdrücken, der an seiner Seele nagte, wie an der aller Juden.

„Hör zu, Jankel,“ sagte Taraß zu dem Juden, der sich vor ihm verbeugte, und schloß vorsichtig die Tür, damit man ihn nicht sehen sollte, „ich habe dir das Leben gerettet – die Saporoger hätten dich wie einen Hund in Stücke gerissen – jetzt ist die Reihe an dir, mir einen Dienst zu erweisen.“

Das Gesicht des Juden verfinsterte sich ein wenig. „Was für einen Dienst? Wenn es möglich ist, warum nicht?“

„Genug, kein Wort mehr. Bringe mich nach Warschau.“

„Nach Warschau? Warum nach Warschau,“ fragte Jankel, indem er Schultern und Brauen bestürzt in die Höhe zog.

„Schweig. Bring mich nach Warschau. Was auch geschehen mag, ich will ihn noch einmal sehen und ihm wenigstens noch ein Wort sagen.“

„Wem ein Wort sagen?“

„Ihm, Ostap, meinem Sohne!“

„Hat denn der Herr nicht gehört, daß schon …“

„Ich weiß, ich weiß alles, man bietet zweitausend Dukaten für meinen Kopf. Was verstehen die Narren von Preisen! Ich werde dir fünftausend Dukaten geben.

Da hast du gleich zweitausend (Bulba schüttete zweitausend Dukaten aus seinem ledernen Beutel), die übrigen erhältst du, sowie ich zurückgekehrt bin.“

Der Jude ergriff sofort ein Handtuch und bedeckte die Dukaten damit. „Ä schönes Geld, ä feines Geld,“ sagte er, drehte einen Dukaten in der Hand herum und prüfte einen zweiten mit den Zähnen. „Ich denke, der Mensch, dem der Herr so schöne Dukaten abgenommen hat, hat keine Stunde mehr gelebt; er ist gleich zum Fluß gegangen und hat sich ertränkt – nachdem er so herrliche Dukaten gehabt hat!“

„Ich würde dich nicht in Anspruch nehmen, vielleicht hätte ich auch allein den Weg nach Warschau gefunden; aber die verfluchten Polen könnten mich irgendwo erkennen und gefangen nehmen, denn ich verstehe mich nicht auf Listen und Kunststücke. Ihr Juden aber seid dafür wie geschaffen. Ihr könnt den Teufel selbst hinters Licht führen, ihr beherrscht alle Kniffe. Jetzt weißt du, weshalb ich zu dir gekommen bin. Ja, und ich allein würde ja auch in Warschau nichts ausrichten. Spann also sofort an und bringe mich nach Warschau!“

„Der Herr denkt wohl, das geht so einfach? Man braucht wohl nur die Stute anzuspannen und zu rufen: „He, holla los“! Glaubt denn der Herr, daß man ihn so mitnehmen kann, ohne ihn zu verstecken?“

„Nun, so verstecke mich – tu was du willst! Steck mich meinetwegen in ein Faß!“

„Ei, ei! Meint der Herr, daß man ihn stecken kann in ein leeres Faß? Weiß denn der Herr nicht, daß jeder denken wird, es sei Branntwein darin!“

„Schön, laß ihn doch denken, daß Branntwein darin ist!“

„Wie! Er soll denken dürfen, daß Branntwein darin ist?“ rief der Jude aus, ergriff seine Locken mit beiden Händen und hob sie m die Höhe.

„Was setzt dich so in Erstaunen?“

„Weiß denn der Herr nicht, daß Gott den Branntwein geschaffen hat, damit ihn jedermann probiere? Das sind doch alles Leckermäuler und Feinschmecker. Fünf Werst wird der Edelmann herlaufen hinter dem Faß, wird ä Löchelchen hineinbohren, und wenn nichts herauskommt, wird er sich gleich sagen: der Jude wird schon kein leeres Faß mit sich herumschleppen, es wird schon was darin sein! Packt den Juden, bindet den Juden, nehmt dem Juden alles Geld fort, steckt den Juden ins Gefängnis! Denn alles was es Schlechtes auf der Welt gibt, wird gewälzt auf den Juden, jeder behandelt den Juden wie einen Hund: alle denken, wer ein Jude ist, ist kein Mensch.“

„Nun, so verstecke mich in einem Fischwagen!“

„Das geht nicht Herr, bei Gott, es geht nicht. In ganz Polen sind die Menschen jetzt so ausgehungert wie die Hunde: sie würden die Fische fortschleppen und den Herrn entdecken.“

„So setz mich meinetwegen auf den Teufel, aber bring mich hin!“

„So hört doch Herr,“ sagte der Jude, streifte die Ärmelaufschläge in die Höhe und streckte seine weit auseinander gespreizten Finger gegen ihn aus. „Wir werden es so machen. Jetzt werden überall Festungen und Schlösser gebaut: es sind französische Baumeister aus Deutschland angekommen, und deshalb gibt es viele Wagen mit Ziegeln und Steinen auf der Landstraße. Der Herr soll sich also auf den Boden eines Wagens ausstrecken, und ich werde über ihn mit Ziegeln bepacken. Der Herr sieht gesund und kräftig aus, es wird ihm nichts schaden, wenn die Last ein bißchen schwer drückt; ich werde unten in den Wagen eine kleine Öffnung bohren, um dem Herrn die Nahrung zu reichen.“

„Mach was du willst, nur spann an!“

Nach einer Stunde verließ ein Wagen mit Ziegelsteinen, vor den zwei Mähren gespannt waren, die Stadt Uman. Auf der einen saß der lange Jankel, und seine großen Hängelocken flatterten lustig unter der Judenmütze hervor, während er auf dem Gaule herumhopste, auf dem er sich ausnahm wie eine am Wege stehende Meilenstange.

Elftes Kapitel

Zu der Zeit, als sich die hier beschriebenen Ereignisse abspielten, gab es in den Grenzorten keine Zollbeamten und Aufseher, diese Schrecken der Handelsstädte, und man durfte mit sich schleppen, was man nur wollte. Nahm jemand eine Revision oder Untersuchung vor, so geschah das mehr zu seinem eigenen Vergnügen, besonders wenn sich allerhand schöne und verlockende Dinge auf dem Wagen befanden: natürlich mußte aber auch die eigene Faust eine gewisse Kraft haben. Nach den Ziegelsteinen gelüstete es jedoch niemanden, und so fuhr der Wagen unbehindert durch das Tor der Hauptstadt ein. Bulba konnte in seinem engen Käfig nur das Lärmen und Fluchen der Kutscher hören, sonst vernahm er nichts. Jankel, der unaufhörlich auf seinem kleinen mit Staub bedeckten Klepper herumhopste, lenkte nach einigen Umwegen in eine dunkle schmale Straße ein, die den Namen Schmutz- oder Judenstraße trug, weil beinah sämtliche Juden von Warschau hier wohnten. Diese Straße besaß große Ähnlichkeit mit der inneren Seite eines Hinterhofs, und die Sonne schien überhaupt nie ihren Weg hierher zu finden. Die gänzlich verräucherten Holzhäuser mit den unzähligen Stangen, die aus den Fenstern hervorragten, schienen die Dunkelheit noch zu vergrößern. Hin und wieder schimmerte eine rote Backsteinwand hervor, aber auch sie war meist schon ganz schwarz. Nur hie und da leuchtete einem von oben ein in Sonne getauchtes, weiß getünchtes Stück Mauer entgegen und blendete die Augen durch seine unerträgliche Helligkeit. Alles, was man hier sah, bot einen abstoßenden und wenig erfreulichen Anblick dar: Röhren, Lumpen, Abfälle und zerbrochene Kübel, die man auf die Straße hinausgeworfen hatte, trieben sich hier herum. Jeder, der etwas besaß, was er nicht brauchen konnte, warf es auf die Straße hinaus und überließ es den Vorübergehenden, ihre Freude an all dem Unrat zu haben. Ein Reiter, der auf seinem Pferde saß, reichte mit der Hand bis fast an die Stangen heran, die mitten über die Straße, von einem Hause zum andern gezogen waren und auf denen die Juden ihre Strümpfe, ihre kurzen Hosen und geräucherte Gänse aufzuhängen pflegten. Hin und wieder blickte das hübsche von nachgedunkelten Perlen umrahmte Gesichtchen einer Jüdin aus dem Fenster hervor, ein Haufen kleiner schmutziger Judenkinder mit krausen Haaren wälzte sich schreiend im Unrat herum. Ein rothaariger Jude, dessen ganzes Gesicht mit Sommersprossen bedeckt war, (was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Spatzenei verlieh) blickte aus einem Fenster heraus und sprach Jankel sofort in seinem Kauderwelsch an, worauf dieser sogleich in den Hof fuhr. Ein anderer Jude, der gerade durch die Straße kam, blieb stehen und nahm auch an dem Gespräch teil, und als Bulba endlich unter den Ziegelsteinen hervorkroch, erblickte er drei Juden, die heftig aufeinander einsprachen.

Jankel wandte sich an ihn und teilte ihm mit, daß alles gehen werde, wie er es wünsche, daß Ostap sich im Stadtgefängnis befinde, und daß er, Jankel hoffe, eine Zusammenkunft zwischen ihnen ermöglichen zu können, obgleich die Wachen sehr schwer zu bestechen seien.

Bulba ging mit den drei Juden ins Zimmer hinauf, und diese fingen wieder an, in ihrer unverständlichen Sprache miteinander zu sprechen. Taraß sah sich jeden von ihnen genau an. Plötzlich schien ihn etwas innerlich aufs heftigste erschüttert zu haben: sein rauhes, gleichgültiges Gesicht wurde von einem hell auflodernden Hoffnungsstrahl erleuchtet – einer Hoffnung, die den Menschen oft noch in Augenblicken höchster Verzweiflung heimsucht; sein altes Herz begann laut zu pochen wie bei einem Jüngling.

„Hört, ihr Juden,“ sagte er, und in seinen Worten klang etwas von einer übermächtigen Begeisterung mit, „ihr könnt alles in der Welt, selbst vom Grunde des Meeres holt ihr alles herauf, und schon lange heißt es im Sprichwort, daß ein Jude sich selbst wegstehlen kann, wenn er es nur will. Befreit mir meinen Ostap! Verschafft ihm die Gelegenheit, den Händen jener Teufel zu entfliehen. Ich habe dem Mann da zwölftausend Dukaten versprochen – ich lege noch zwölftausend Dukaten hinzu. Alle meine kostbaren Becher und alles Gold, das ich in der Erde vergraben habe, will ich verkaufen, selbst mein Haus und meinen letzten Rock; ich will mit euch einen Vertrag schließen, und mein ganzes Leben lang alles mit euch teilen, was ich im Kriege erbeuten werde!“

 

„O es geht nicht, teurer Herr, es geht nicht!“ sagte Jankel seufzend.

„Nein, es geht wirklich nicht,“ sagte ein anderer Jude.

Die drei Juden sahen einander an.

„Vielleicht versucht man es doch,“ sagte der dritte und schielte mit ängstlichen Blicken zu den beiden andern hinüber, „vielleicht hilft Gott!“

Die drei Juden begannen nun deutsch zu sprechen, aber so sehr Bulba auch hinhorchte, er vermochte nichts zu enträtseln, er hörte nur, daß das Wort „Mardochai“ oft wiederholt wurde, sonst verstand er nichts.

„Höre, Herr,“ sagte Jankel, „wir müssen uns mit einem Manne beraten, wie es noch nie einen in der Welt gegeben hat. Er ist so weise wie Salomo, wenn er nichts hilft, so kann nichts helfen auf der ganzen Welt. Bleib hier sitzen, Herr, hier hast du den Schlüssel und laß niemand herein!“ Und die Juden gingen auf die Straße hinaus.

Taraß schloß die Tür und blickte durch das kleine Fensterchen auf die schmutzige Judengasse. Die Juden blieben mitten auf der Straße stehen und begannen ziemlich heftig miteinander zu reden; bald schloß sich ihnen ein vierter und fünfter an. Er hörte, wie sie immer und immer wieder das „Mardochai, Mardochai“ wiederholten. Die Juden blickten fortwährend die Straße hinab, endlich sah man in der Tat hinter einem schmutzigen Hause einen mit jüdischen Schuhen bekleideten Fuß und dann ein Paar lange Rockschöße auftauchen. „Mardochai, Mardochai,“ schrien alle Juden wie aus einem Munde. Ein dürrer Jude, der etwas kleiner war als Jankel, aber bedeutend mehr Falten im Gesicht als dieser und eine überaus große Oberlippe hatte, näherte sich der ungeduldigen Gruppe, und alle Juden stürzten auf ihn zu und suchten ihn von dem Geschehenen zu unterrichten, wobei sie einander beständig unterbrachen. Mardochai blickte unterdessen mehrere Male nach dem kleinen Fensterchen hin, woraus Taraß schloß, daß von ihm die Rede war, bewegte die Hände hin und her, hörte zu, unterbrach die Redenden, spie oft nach der Seite aus, schlug seine Rockschöße zurück, steckte die Hände in die Taschen und holte ein Paar Klappern hervor, wobei seine abgeschabten Hosen zum Vorschein kamen. Schließlich machten die Juden einen solchen Lärm, daß der wachehaltende Glaubensgenosse ihnen ein Zeichen geben mußte, daß sie schweigen sollten, und Taraß begann schon für seine Sicherheit zu fürchten; dann erinnerte er sich jedoch, daß die Juden nicht anders als auf der Straße verhandeln können, und daß selbst der Teufel ihre Sprachen nicht verstehen könne, worauf er sich gleich wieder beruhigte.

Nach ungefähr zwei Minuten betraten die Juden allesamt wieder das Zimmer. Mardochai ging auf Taraß zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Wenn wir mit Gottes Hilfe etwas unternehmen, so wird schon alles geschehen, was nötig ist!“

Taraß sah sich diesen Salomon an, wie es noch nie einen zweiten in der Welt gegeben hatte, und schöpfte wieder einige Hoffnung. Und wirklich: seine Erscheinung flößte ein gewisses Vertrauen ein; diese Oberlippe konnte einen einfach schrecken, ihre Dicke war sicherlich auf äußerliche Ursachen zurückzuführen. Der Salomo hatte einen Bart, der im ganzen aus fünfzehn Härchen bestand, und zwar befanden sie sich alle auf der linken Seite. Sein Gesicht trug soviel Spuren von den Prügeln, die man ihm für seine Frechheit verabfolgt hatte, daß er wahrscheinlich ihre Zahl gar nicht mehr kannte und sich daran gewöhnt hatte, sie für Muttermale zu halten.

Mardochai ging zusammen mit seinen Genossen hinaus, die voller Bewunderung für seine Weisheit waren, und Bulba blieb allein zurück. Er befand sich in einer sonderbaren, ihm völlig ungewohnten Lage: zum erstenmal in seinem Leben empfand er etwas wie Unruhe, und ein fieberhafter Zustand hatte sich seiner Seele bemächtigt. Er war nicht mehr der alte, unerschütterliche Bulba: nicht mehr so stark unbeugsam wie eine Eiche, sondern kleinmütig und schwach. Bei jedem Geräusch, und jedesmal wenn sich am Ende der Gasse die Gestalt eines ihm unbekannten Juden zeigte, zuckte er zusammen. In diesem Zustand verharrte er den ganzen Tag, aß nichts, trank nichts und wich keinen Augenblick von dem Fenster, das auf die Straße hinausführte.

Endlich, – es war schon spät abends, – erschienen Mardochai und Jankel. Taraß erstarrte das Herz in der Brust.

„Nun, ist alles gut gegangen?“ fragte er mit der Ungeduld eines wilden Hengstes.

Aber noch ehe die Juden irgend etwas erwidern konnten, bemerkte Taraß, daß Mardochai die letzte Locke fehlte, die sich zwar recht unordentlich aber doch in krausen Ringen unter der Mütze hervordrängte. Man sah, daß er etwas sagen wollte, aber er stammelte ein so unverständliches Zeug zusammen, daß Taraß kein Wort davon begriff.

Auch Jankel führte häufig die Hand an den Mund, wie wenn er sich erkältet hätte.

„O weh, lieber Herr, jetzt ist es ganz unmöglich! Bei Gott es geht nicht. Das sind so schlechte Menschen, daß man ihnen auf den Kopf spucken möchte! Mardochai soll es Euch sagen. Mardochai hat Dinge fertig gebracht, wie noch kein Mensch in der Welt. Aber Gott will nicht, daß es so kommen soll. Es stehen schon dreitausend Soldaten da, die morgen alle hingerichtet werden sollen.“

Taraß sah den Juden ins Gesicht, jetzt jedoch schon ohne Ungeduld und ohne jeden Zorn.

„Wenn der Herr ihn sehen will, dann muß es schon morgen in der Früh sein, noch vor Sonnenaufgang. Die Wachen sind einverstanden, und ein Aufseher hat versprochen, uns zu helfen. Möge das Glück sie fliehen in jener Welt – o weh mir, was sind das für geldgierige Menschen! Nicht einmal unter uns gibt es solche Leute: jedem einzelnen habe ich fünfzig Dukaten geben müssen, und dem Aufseher …“ „Gut! Führe mich zu ihm,“ sagte Taraß entschlossen, und all sein Mut und seine Festigkeit kehrten wieder in seine Seele zurück. Er war mit Jankels Vorschlag einverstanden, sich als ausländischer Graf zu verkleiden, der aus Deutschland gekommen sei. Der schlaue Jude, der alles vorausgesehen, hatte schon die Kleidungsstücke mitgebracht. Unterdessen war es Nacht geworden. Der Wirt des Hauses, der uns bekannte rothaarige Jude, mit den vielen Sommersprossen im Gesicht, schleppte eine elende Matratze herbei, die er mit einer Strohmatte bedeckte, und legte sie auf die Bank, damit Bulba sich auf ihr niederstrecken solle. Jankel bereitete sich ein ähnliches Lager aus dem Fußboden, der rothaarige Jude trank ein Gläschen Schnaps, zog seinen Rock aus – wenn er bloß mit Schuhen und Strümpfen bekleidet herumlief, hatte er große Ähnlichkeit mit einem Hühnchen – und begab sich schließlich mit seiner jüdischen Frau in eine Art von Schrank, und zwei kleine Judenknaben legten sich wie zwei Haushündchen neben dem Schrank auf den Boden. Aber Taraß konnte nicht schlafen. Unbeweglich saß er da und trommelte mit den Fingern auf dem Tische herum. Er hatte seine Pfeife im Munde und stieß solche Rauchwolken hervor, daß der Jude im Schlafe nieste und seine Nase unter die Decke steckte. Und kaum erschienen am Himmel die blassen Vorboten des Morgenrots, als Taraß Jankel bereits mit dem Fuß stieß. „Steh auf, Jude, und reich mir deine Grafenkleidung!“