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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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Neuntes Kapitel

In der Stadt hatte noch niemand etwas davon erfahren, daß die Hälfte der Saporoger abgezogen war, um die Tataren zu verfolgen. Vom Rathausturm bemerkte man allerdings, daß ein Teil der Wagen hinter dem Walde verschwunden war, allein man glaubte, daß die Kosaken den Leuten in der Stadt einen Hinterhalt legen wollten, und so dachte auch der welsche Ingenieur. Mittlerweile aber hatte sich die Meinung des Hetmans bestätigt: in der Stadt machte sich wieder ein großer Mangel an Lebensmitteln bemerkbar: wie stets in diesen Zeiten, so hatte man es auch diesmal nicht für nötig gehalten, die Bedürfnisse des Heeres im voraus zu berechnen. So versuchte man denn, einen Ausfall aus der Stadt zu machen – indes die Hälfte der Waghalsigen wurde auf der Stelle von den Kosaken niedergemacht, und die andern wurden mit leeren Händen in die Stadt zurückgeschickt. Die Juden aber wußten den Ausfall gut auszunutzen: sie kriegten alles heraus: wohin und weshalb die Saporoger fortgezogen waren, welche Führer, welche Abteilungen und wieviel Leute an Ort und Stelle zurückgeblieben waren, und was sie zu tun beabsichtigten – kurz, man war in der Stadt bald darauf aufs genaueste über alles unterrichtet.

Die Führer schöpften neuen Mut und entschlossen sich, den Kosaken eine Schlacht zu liefern. Taraß erriet diese Absicht schon an dem Lärm und der Bewegung in der Stadt, worauf auch er schnell alle Anstalten traf, alle nötigen Befehle und Anordnungen gab und die einzelnen Abteilungen in drei Lager teilte, indem er sie von Proviantwagen wie mit Festungswällen umstellen ließ, – eine Kampfart, in der die Saporoger unbesieglich waren. Zwei Abteilungen befahl er, sich in den Hinterhalt zu legen, und einen Teil des Feldes ließ er mit spitzen Pfeilen, zerbrochenen Säbeln und Lanzen spicken, um, wenn es glücken sollte, die feindliche Reiterei hineinzujagen. Als alles aufs trefflichste instand gesetzt war, hielt er eine Ansprache an die Kosaken: nicht etwa um sie zu ermutigen oder anzufeuern – er wußte, daß sie auch ohnedies mutig und tapfer genug waren, sondern einfach weil er selbst einmal aussprechen wollte, was er auf dem Herzen hatte.

„Werte Herren, ich will euch sagen, was unsere Kameradschaft bedeutet. Ihr habt von den Vätern und Großvätern vernommen, wie unser Land überall geehrt wurde: die Griechen haben es kennen gelernt, und von Konstantinopel erhielt es Dukaten als Tribut; es hatte herrliche Städte, Kirchen und Fürsten – Fürsten von altem russischen Adel, seine eigenen Fürsten und nicht katholische Ketzer. Und nun haben uns die Ungläubigen alles geraubt, und es ist alles verloren gegangen: nur wir arme Waisen sind übrig geblieben – und wie eine Witwe, deren starker Mann dahingegangen ist, ist auch unser Land verwaist und schutzlos geworden. In einer solchen Zeit haben wir uns die Hände gereicht, Kameraden, um Brüderschaft miteinander zu schließen! Und das ist es, worauf unsere Kameradschaft gegründet ist! Es gibt keine heiligeren Bande als die der Waffenbrüderschaft; der Vater liebt sein Kind, die Mutter liebt ihr Kind, das Kind liebt Vater und Mutter, doch was bedeutet das alles, Brüder? Auch das Tier liebt ja sein Junges! Eine Seelengemeinschaft die noch über die Blutsbande hinausgeht, die kann nur bei Menschen bestehen! Auch in andern Ländern haben treue Freunde und Kameraden zusammengehalten, aber nirgends noch gab es solche, wie die russische Erde sie hervorbrachte. Viele von euch haben lange, lange Zeit in der Fremde geschmachtet, gewiß, auch dort gibt es Menschen – auch sie sind von Gott erschaffen worden, und man kann mit ihnen sprechen wie mit seinesgleichen. Aber wenn es sich um Worte handelt, die die ganze Seele aufrühren, da merkt man sofort den Unterschied! Gewiß, es sind kluge Leute, und doch fehlt es ihnen an etwas, es sind Menschen wie wir, und doch ganz anders geartet. Nein Brüder, so lieben, wie ein russisches Herz es kann – ich meine nicht mit dem Verstande oder irgend etwas Ähnlichem, sondern mit allem, was uns Gott gegeben hat, mit alledem, was im Menschen verborgen ist – ah,“ sagte Taraß, indem er die Hand sinken ließ, sein graues Haupt schüttelte und mit dem Schnurrbart zuckte, „nein, so kann kein anderer lieben! Ich weiß wohl, es sind jetzt schlimme Sitten in unser Land gedrungen, alle Leute denken nur an ihre Heuschober, ihre Kornspeicher, ihre Roßherden und legen den allergrößten Wert darauf, daß die versiegelten Metflaschen in ihren Kellern nur ja unberührt bleiben; sie nehmen der Teufel weiß was für heidnische Sitten an, verachten ihre eigene Sprache und wollen kaum noch mit ihren eigenen Stammesgenossen sprechen, ja sie verkaufen den eigenen Bruder wie irgend ein seelenloses Vieh, das man auf dem Markte feilbietet. Die Gunst eines fremden Königs, ja nicht einmal eines Königs, sondern nur das schmähliche Wohlwollen eines polnischen Magnaten, der sie mit seinen gelben Stiefeln ins Gesicht schlägt, liegt ihnen mehr am Herzen als alle Brüderschaft. Aber auch im letzten Lumpen, so niedrig und gemein er auch sein mag, selbst wenn er sich noch so sehr in Staub, Schmutz und Unterwürfigkeit wälzt, auch in ihm, Brüder, lebt noch ein Fünkchen russischen Gefühls, und der Tag kommt, an dem er wieder erwacht und zur Besinnung kommt; dann wird er sich wie ein Verzweifelter gegen die Brust schlagen, sich am Kopfe fassen, sein schändliches Leben laut verfluchen, und seine schmachvolle Tat mit tausend Qualen sühnen wollen. So mögen sie denn alle wissen, was die Kameradschaft in russischen Landen bedeutet! Und wenn es denn gilt, zu sterben, so wird niemand von ihnen so zu sterben wissen wie wir. Niemand, niemand! Das bringt ihre Mäusenatur nicht fertig!“

So sprach der Hauptmann, und als er seine Rede beendet hatte, schüttelte er noch lange sein silberweißes Haupt, das in den vielen Kosakenzügen ergraut war.

Alle Umstehenden hatte seine Rede aufs tiefste ergriffen und bis ins Innerste erschüttert. Die Ältesten verharrten in völliger Bewegungslosigkeit, sie hatten ihre grauen Häupter zu Boden gesenkt, und in ihren alten Augen glänzte eine verstohlene Träne, die sie langsam mit dem Ärmel fortwischten. Dann aber erhoben sie alle wie auf Verabredung gleichzeitig die Hände und schüttelten die greisen Häupter.

Der alte Taraß mußte wohl mancherlei Vertrautes und Schönes wachgerufen haben, das tief im Herzen der Menschen schlummert, eines Menschen, der durch Not, Mühsal, Leichtsinn und allerhand Mißgeschick klüger geworden ist oder der zwar noch nicht alles erfahren, aber doch in seiner jungen reinen Seele vieles empfunden hat, zur Freude seiner greisen Eltern, die ihn erzeugt haben.

Doch schon kam das feindliche Heer aus der Stadt herangezogen, die Pauken und Posaunen dröhnten, und die Ritter nahten, die Hände in die Seiten gestemmt, auf ihren stolzen Rossen, umgeben von zahllosen Reisigen. Der dicke Oberst teilte Befehle aus. Ohne Verzug rückten die Polen gegen die Kosakenlager vor und legten drohend ihre Gewehre an, wobei ihre Augen zornig funkelten und ihre Kupferrüstungen glänzten.

Kaum hatten die Kosaken gesehen, daß sie nur noch auf Schußweite entfernt waren, so ergriffen auch sie ihre sechs Fuß langen Gewehre und eröffneten ein ununterbrochenes Feuer. Das dumpfe Knattern tönte über alle Wiesen und Felder und wuchs zu einem beständigen Donner an. Das ganze Schlachtfeld war in Rauch gehüllt, aber die Saporoger fuhren fort zu schießen, ohne auch nur die geringste Pause eintreten zu lassen, die hinteren Reihen taten hierbei nichts, als daß sie die Gewehre luden, die sie den vorderen reichten, worüber der Feind aufs äußerste bestürzt war, da er nicht begreifen konnte, wie die Kosaken zum Schuß kämen, ohne die Gewehre zu laden. Infolge des dichten Rauchs, der beide Heere einhüllte, war es völlig unmöglich, wahrzunehmen, wie bald der eine, bald der andere in den Reihen fehlte; doch die Polen fühlten sehr wohl, daß ein wahrer Kugelregen auf sie niederprasselte, und daß der Kampf sehr ernst wurde; als sie sich ein wenig zurückzogen, um aus dem Pulverrauche herauszukommen, und sich ein wenig umsahen, merkten sie, daß in ihren Reihen viele fehlten, während bei den Kosaken höchstens zwei oder drei vom Hundert gefallen waren. Die Kosaken aber setzten ihr Gewehrfeuer unablässig fort, ohne auch nur einen Augenblick inne zu halten.

Selbst der ausländische Ingenieur wunderte sich über diese noch nie gesehene Kampfart und erklärte laut und vor allen Leuten:

„Wackere Kerls diese Saporoger! So sollte man überall kämpfen, auch in anderen Ländern.“ Und er riet, unverzüglich die Kanonen auf das Lager zu richten. Dumpf brüllten die Kanonen aus ihren weiten ehernen Schlünden, weithin und dröhnend erbebte der Erdboden, und das ganze Schlachtfeld hüllte sich in noch dichteren Pulverdampf. In den Straßen und Plätzen der benachbarten und entfernteren Städte machte sich der Pulvergeruch bemerkbar, allein die Polen hatten zu hoch gezielt: die glühenden Kugeln beschrieben einen zu großen Bogen, flogen mit schrecklichem Getöse über die Köpfe des gesamten Lagers hinweg und bohrten sich tief in den Boden ein, wobei sie das schwarze Erdreich völlig aufwühlten und hoch in die Luft schleuderten. Angesichts einer solchen Ungeschicklichkeit raufte sich der welsche Kriegskünstler die Haare und begann die Kanonen nun selbst zu richten, ohne darauf zu achten, daß die Kosaken ununterbrochen feuerten.

Taraß hatte von weitem die Gefahr bemerkt, die der ganzen Abteilung Nesamaikow und Steblikiw drohte, und rief mit dröhnender Stimme: „Alle Mann hinter den Wagen vor, und sofort auf die Pferde!“ Allein die Kosaken hätten kaum noch Gelegenheit gehabt, das eine oder das andere zu tun, wenn nicht Ostap sich mitten in die Schlachtreihe des Feindes gestürzt hätte: hierbei schlug er sechs Kanonieren die Lunten aus den Händen, bei vier anderen mißglückte ihm jedoch dieser waghalsige Versuch, und die Polen trieben ihn wieder zurück. Nun aber ergriff der ausländische Hauptmann selbst die Lunte, um sie an ein Riesengeschütz zu legen, wie es noch keiner von den Kosaken bisher gesehen hatte: Es bot mit seinem furchtbaren Schlunde einen schrecklichen Anblick dar, und hundert Tode blickten aus ihm hervor. Und als es erdröhnte und zugleich mit ihm noch drei andere ihren ehernen Mund öffneten, und ein vierfacher Stoß den ganzen Erdboden erschütterte – welch entsetzliches Unheil richteten sie da an! Wie viele Kosaken blieben auf der Walstatt! Manch alte Mutter sollte ihren gefallenen Sohn beklagen und mit den knochigen Händen ihren welken Busen schlagen! Wie viele Witwen in Gluchow, Nemirow, Tschernigow und in anderen Städten sollten ihre Männer beweinen! Tag für Tag sollten die Bräute auf den Markt hinauslaufen, jeden Vorübergehenden festhalten und ihm in die Augen blicken, ob sich nicht der unter ihnen befindet, der ihr der Liebste ist! Aber viele Soldaten sollten durch die Stadt ziehen, doch der über alles Geliebte sollte nicht unter ihnen sein!

 

Die Hälfte der Abteilung Nesamaikow war wie weggeblasen. Wie der Hagel ein ganzes Erntefeld niedermäht, aus dem jede Ähre gleich einem vollwertigen Dukaten glänzt, so wurden sie erschlagen und niedergestreckt!

Wie da aber die Kosaken vorwärtsstürmten! Wie sie sich alle auf den Feind stürzten! Der Hauptmann Kukubenko schäumte vor Wut, als er sah, daß die Hälfte seiner Leute nicht mehr da war. Mitten ins feindliche Zentrum warf er sich jetzt mit dem Rest seiner Abteilung. Den ersten, der ihm begegnete, hieb er in seiner Wut in Stücke zusammen; zahllose Ritter stürzte er von ihren Rossen, indem er Roß und Reiter mit seiner Lanze durchbohrte: schon hatte er sich bis zu den Kanonieren durchgeschlagen und sich einer Kanone bemächtigt, als er sah, daß die Befehlshaber der Abteilungen Uman und Stephan Guska die Riesenkanone fortschleppten. Er überließ dies also jenen Abteilungen und sprengte mit den Seinen in den feindlichen Haufen zurück. Und immer öffnete sich eine Gasse, wo sich die Krieger von Nesamaikow zeigten! Wo sie eine Wendung machten, da tat sich eine Straße auf. Man sah, wie die Reihen der Polen sich immer mehr lichteten und wie ein Haufen nach dem andern niedersank. In der Nähe der Wagen stand Wowtusenko, vor ihm Tscherewitschenko, hinter dem letzten Wagen Degtarenko und noch weiter zurück der Abteilungsführer Wertychwist. Zwei Edelleute hatte Degtarenko bereits mit seiner Lanze durchbohrt und war jetzt an den dritten geraten, der sich so leicht nicht ergeben wollte. Dieser Pole war äußerst gewandt und stark, er trug eine prachtvolle Rüstung, und fünfzig Krieger bildeten sein Gefolge.

Er versetzte Degtarenko einen gewaltigen Streich, warf ihn zu Boden und schrie jetzt, den Säbel hoch über ihm schwingend: „Ihr Hunde von Kosaken, es gibt keinen unter euch, der es mit mir aufzunehmen wagte!“

„Doch, es gibt einen,“ sagte Mossy Schilo und trat vor. Er war ein starker Kosak, der die Kosaken schon oft zu Wasser befehligt und schon manches Mißgeschick erlebt hatte. Die Türken hatten ihn und seine Leute einst bei Trapezunt ergriffen und sie alle als Sklaven auf die Galeere geschleppt; ganze Wochen lang hatten sie ihnen kein Brot gegeben und sie ekles Meerwasser trinken lassen. Allein die armen Sklaven erlitten und ertrugen alles, nur um ihren heiligen Glauben nicht abzuschwören. Der Hauptmann, Mossy Schilo, vermochte jedoch diesen Zustand nicht mehr zu ertragen: er trat das heilige Gebot mit Füßen, schlang den abscheulichen Turban um sein sündiges Haupt und gewann dadurch das Vertrauen des Paschas, der ihn zum Schließer und Oberaufseher über das Schiff und alle Sklaven machte. Da wurden die armen Sklaven sehr traurig; sie wußten, wenn ein Bruder den Glauben verrät und zu den Bedrückern übergeht, dann wird es unter seiner Herrschaft noch viel schlimmer als unter der eines Ungläubigen. Und so kam es auch. Mossy Schilo legte allen neue Ketten an, schloß je drei zusammen, fesselte sie mit furchtbaren Stricken, die sich bis auf die weißen Knochen ins Fleisch einschnitten und versetzte ihnen kräftige Hiebe über Nacken und Kopf. Als jedoch die Türken voller Freude, daß sie einen solchen Aufseher gewonnen hatten, ihre religiösen Vorschriften vergaßen, sich zum Schmausen niederließen und sich ganz sinnlos betranken, da trug Mossy Schilo alle vierundsechzig Schlüssel herbei und gab sie den Gefangenen, ließ sie ihre Ketten aufschließen, die Fesseln ins Meer werfen, statt ihrer einen Säbel in die Hand nehmen und alle Türken niedermetzeln. Die Kosaken machten eine große Beute und kehrten ruhmbedeckt in die Heimat zurück; und lange noch sangen die Bandurenspieler von Mossy Schilo. Man hätte ihn wohl zum Hetman gewählt, wenn er nicht ein so seltsamer Kosak gewesen wäre. Manchmal vollführte er Dinge, die auch dem Weisesten nicht eingefallen wären; ein anderes Mal plagte ihn einfach der Teufel. Er vertrank und verjubelte alles, was er besaß; in der Sjetsch war er jedem etwas schuldig, und dazu kam noch, daß er einmal einen Diebstahl begangen hatte – wie ein gewöhnlicher Straßenräuber. Eines Nachts stahl er eine vollständige Kosakenausrüstung aus einer benachbarten Abteilung und gab sie einem Schenkwirt zum Pfand. Wegen dieser schimpflichen Tat wurde er auf den Markt geschleppt, an einen Pfahl gebunden, und es wurde ein Knittel neben ihn gelegt, mit dem ihm jeder einen kräftigen Schlag versetzen mußte; es fand sich aber keiner unter den Saporogern, der den Knittel wider ihn erhoben hätte: denn sie gedachten alle seiner früheren Verdienste. So war der Kosak Mossy Schilo.

„Es gibt doch noch Männer, ihr Hunde, die euch niederzuhauen wissen“, sagte er und fiel über den Polen her. Und beide hieben wild aufeinander los. Die Schulterstücke und Brustharnische verbogen sich unter ihren Schlägern. Der wütende Pole spaltete ihm den eisernen Panzer, und sein Schwert drang tief in seinen Körper. Das Hemd des Kosaken färbte sich blutrot, aber Schilo achtete nicht darauf: er hob seinen sehnigen Arm (und wie schwer war dieser stämmige Arm!) und versetzte dem Polen einen furchtbaren Hieb, der ihn betäubte. Der kupferne Helm flog in Stücke, der Pole schwankte und fiel zu Boden, und Schilo schickte sich gerade an, dem Betäubten den Garaus zu machen; – ach hätte er doch den Feind nicht vollends totgeschlagen und sich lieber umgedreht! Allein der Kosak tat es nicht, im selben Augenblick aber stieß ihm einer der Leute des Erschlagenen sein Messer in den Hals. Schilo drehte sich um und hätte den Waghalsigen vielleicht noch erreicht, aber er verschwand rechtzeitig im Pulverdampf. Unterdessen knatterten von allen Seiten die Luntenbüchsen, Schilo schwankte, er fühlte, daß seine Wunde tödlich war. Er sank nieder, preßte die Hand an die Wunde, wandte sich an seine Kameraden und schrie: „Lebt wohl, werte Herren und Waffenbrüder! Möge es ewig leben, das rechtgläubige Rußland, und ewig sei sein Ruhm und seine Ehre!“ Er schloß die brechenden Augen, und die Kosaken-Seele entfloh aus dem rauhen Kriegerleib. Da aber kam Sadoroschny mit seinen Leuten herangerast, auch der Hauptmann Wertychwist durchbrach die Reihen, und Balaban machte sich zum Angriff bereit.

„Hallo, ihr Herren,“ rief Taraß zu den Hauptleuten herüber, „habt ihr noch Pulver in den Hörnern? Ist eure Kosakenkraft noch nicht erlahmt? Steht der Kosak noch fest und beugt er sich nicht?“

„Noch ist Pulver in den Hörnern, Väterchen, noch ist die Kosakenkraft umgebrochen, und noch steht der Kosak fest und beugt sich nicht!“

Und die Kosaken drangen heftig auf den Feind ein und brachten die Reihen des Gegners in Verwirrung. Der kleine Hauptmann ließ die Trommel rühren und acht bunte Fahnen aufrollen, um seine Leute, die über das ganze Feld zerstreut waren, wieder zusammenzubringen. Die Polen strömten den Bannern zu, kaum hatten sie sich jedoch wieder in Reih und Glied aufgestellt, als der Hauptmann Kukubenko mit seinen Leuten wieder in das Zentrum einfiel und sich ohne weiteres auf den dicken Hauptmann stürzte. Der hielt nicht stand, wandte sein Pferd und galoppierte davon, allein Kukubenko setzte ihm weit über das Feld nach und verlegte ihm den Weg zu dem Heere. Als Stephan Guska das auf dem linken Flügel bemerkte, sprengte er seinerseits herbei, um ihm behilflich zu sein; den Kopf auf den Hals des Pferdes gebeugt und eine Schlinge in der Hand, so wartete er einen günstigen Augenblick ab und warf dem Polen plötzlich die Schlinge um den Hals: der Hauptmann wurde rot, griff mit beiden Händen nach dem Strick und suchte ihn zu zerreißen, aber da bohrte ihm der Kosak mit einem kraftvollen Stoß die tödliche Lanze in den Leib, und festgenagelt blieb jener am Boden liegen. Aber auch Guska stand nichts Gutes bevor. Die Kosaken hatten kaum Zeit, sich umzusehen, da drangen ihm schon vier Lanzen in den Leib. Er vermochte gerade noch die Worte hervorzubringen:

„Mögen doch alle Feinde untergehen, und möge das russische Reich ewig, ewig blühen und gedeihen!“ – dann verschied er.

Die Kosaken sahen sich um, hei, wie da Meteliza den Polen zusetzte und bald den einen, bald den andern niederschlug; von der andern Seite her rückt der Hauptmann Newelytschki mit seinen Leuten heran; bei dem Wagen steht Sagruriguba und teilt Hieb auf Hieb aus: noch weiter zurück hat Pissarenko der Dritte bereits eine ganze Schar in die Flucht getrieben, und an einer andern Stelle ist man schon handgemein und kämpft hoch oben auf den Wagen.

„Hallo, meine Herren,“ rief hier der Hauptmann Taraß, der allen voranritt, „ist noch Pulver in den Hörnern? Ist die Kosakenkraft noch ungebrochen? Stehen die Kosaken noch fest und beugen sie sich nicht?“

„Noch ist Pulver in den Hörnern, Väterchen! Die Kosakenkraft ist noch ungebrochen, noch stehen die Kosaken fest, noch beugen sie sich nicht.“

Schon war Bowdjug vom Wagen gefallen. Eine Kugel hatte ihn gerade in das Herz getroffen, aber er raffte noch einmal seine ganze Kraft zusammen und rief: „Ich trauere nicht, daß ich Abschied von der Welt nehmen muß! Gott gebe jedem ein solches Ende! Hoch lebe Rußland bis in alle Ewigkeit!“ Und Bowdjugs Seele stieg zum Himmel empor, um den längst hinübergegangenen Genossen zu berichten, wie man in Rußland zu kämpfen, und vor allem, wie man dort für den heiligen Glauben zu sterben weiß!

Bald darauf stürzte auch der Hauptmann Balaban zu Boden. Er hatte drei tödliche Wunden erhalten: eine von einer Lanze, eine von einer Kugel und eine von einem schweren Säbel. Und war doch einer der wackersten Kosaken gewesen! Er war Hetman und hatte viele Züge zur See unternommen, vor allen aber war sein Zug an die Küsten Anatoliens berühmt. Viele Zechinen hatten sie damals erbeutet, kostbare türkische Stoffe, Gewebe und allerlei Schmuck. Aber auf der Heimfahrt traf sie großes Unheil. Die Ärmsten kamen plötzlich unter den Regen der türkischen Geschosse. Es hagelte nur so auf sie los, die Hälfte ihrer Schiffe und Kähne kenterte, und viele Kosaken stürzten ins Wasser, jedoch das an den Seiten der Fahrzeuge befestigte Schilf rettete sie vor dem Untergange. Balaban ruderte mit Aufbietung aller Kräfte vorwärts, immer mitten in der Sonne, und ward so unsichtbar für das türkische Schiff. Die ganze Nacht schöpften er und seine Leute mit Schaufeln und Mützen das Wasser aus den Boten und besserten die beschädigten Stellen aus. Dann machten sie sich Segel aus ihren weißen Kosakenhosen, setzten sich in die Kähne und entkamen so den schnellsten türkischen Schiffen. Sie erreichten nicht nur unversehrt die Sjetsch, sondern brachten auch dem Archimandriten des Klosters Meschigorsk zu Kiew noch ein goldgesticktes Amtsgewand und einen Rahmen aus reinem Silber für den heiligen Pokrow in der Sjetsch mit. Und lange noch rühmten die Bandurenspieler die Geschicklichkeit und das Glück der Kosaken … Da er den Tod herannahen fühlte, senkte er das Haupt und murmelte leise: „Mir scheint, ihr Brüder, ich sterbe einen schönen Tod. Sieben Feinde habe ich in Stücke gehauen, neun mit der Lanze durchstoßen, viele hat mein Pferd niedergetreten, und ich weiß nicht mehr, wieviele meine Kugel getroffen hat … So möge denn das russische Reich ewig blühen!“ Und seine Seele entfloh.

Kosaken, Kosaken! Opfert doch nicht die schönste Blüte eures Heeres! Schon war Kukubenko umzingelt, schon waren von der Abteilung Nesamaikow nur noch sieben Mann übrig geblieben, und auch deren Kraft war erschöpft. Schon ist Kukubenkos Gewand über und über mit Blut bespritzt … Taraß, der seine schlimme Lage übersieht, eilt ihm sofort zu Hilfe. Aber die Kosaken kommen zu spät: Eine Lanze war ihm ins Herz gedrungen, noch bevor es gelang, die ihn umzingelnden Feinde davonzujagen. Stumm sank er in die offenen Arme der Brüder, und sein junges Blut schoß in Strömen aus seinen Wunden hervor, gleich einem köstlichen Wein, den unvorsichtige Diener in gläsernen Gefäßen aus dem Keller tragen: gerade am Eingang des Gemaches gleiten sie aus, lassen die Kanne fallen, sie zerschellt, und ihr ganzer Inhalt ergießt sich über den Estrich. Was hilft es, daß der Hausherr herbeieilt und sich an den Kopf greift, da er den Wein doch für ein besonders glückliches Ereignis in seinem Leben aufbewahrt hatte, um sich, so Gott wollte, noch einst als Greis mit einem Jugendfreunde bei einem Becher der früheren, besseren Zeiten zu erinnern, als der Mensch noch anderer und reinerer Freuden fähig war. Kukubenko blickte langsam um sich und sagte: „Ich danke Gott, daß er mich vor euren Augen sterben läßt, Kameraden. Möchten doch unsere Söhne und Enkel noch tüchtiger sein als wir, und ewig blühe und gedeihe Christi geliebtes russisches Reich!“ Und er hauchte sterbend seine junge Seele aus. Die Engel nahmen sie in ihre Hände und trugen sie gen Himmel. Wie wohl wird es ihm dort sein! „Setz dich neben mich, Kukubenko,“ wird Christus sagen, „du hast deine Brüder nicht im Stich gelassen, hast nie die Ehre verletzt, hast keinen im Unglück verlassen und hast immer meine heilige Kirche behütet und beschützt.“ Alle Kosaken waren durch den Tod Kukubenkos aufs tiefste erschüttert. Ihre Reihen waren schon stark gelichtet, und viele, viele Tapfere fehlten, aber trotz alledem standen die Kosaken noch ihren Mann und hielten sich wacker.

 

„Nun, ihr Herren,“ rief Taraß den übrigen Befehlshabern zu, „ist noch Pulver in den Hörnern? Sind die Säbel noch nicht stumpf geworden? Ist die Kraft der Kosaken noch ungebrochen? Stehen die Kosaken noch ihren Mann?“

„Noch ist Pulver da, Väterchen, die Säbel sind noch scharf, die Kosakenkraft ist noch ungebrochen, und noch stehen die Kosaken ihren Mann!“

Und wieder stürzten sie sich in die Feinde, als hätten sie noch keine Verluste erlitten. Nur noch drei Befehlshaber waren am Leben, überall flossen Bäche von Blut, und hoch türmten sich die Leichen der Kosaken und der Feinde. Taraß blickte zum Himmel: ein Zug Falken flog vorüber. „Ja, einer wird sich sicher freuen,“ murmelte er vor sich hin. Und schon war Meteliza von einer Lanze durchbohrt, schon drehte sich das Haupt des zweiten Pissarenko im Kreise herum, seine Augen brachen, und schon stürzte Ochrim Guska vom Rosse herab und sank gevierteilt zu Boden.

„Wohlan denn,“ sagte Taraß und schwenkte sein Tuch hoch in der Luft. Ostap verstand das Zeichen, er brach aus dem Hinterhalt hervor und fiel mit unerhörter Kraft über die polnische Reiterei her. Die Polen hielten dem starken Ansturm nicht stand, und er trieb sie gerade nach dem Platz, wo die Pfähle und abgebrochenen Lanzen in die Erde gerammt waren. Die Pferde strauchelten, stürzten, und die Polen flogen über ihre Köpfe hinweg zu Boden. Jetzt feuerten auch die Kosaken der Korsunabteilung, die die Reserve bildeten und weit hinter den Wagen standen, ihre Büchsen auf die Polen ab, da sie sahen, daß diese sich nur in Schußweite von ihnen befanden. Die Polen gerieten in Verwirrung und verloren den Mut, während die Kosaken von neuer Hoffnung erfüllt wurden. „Jetzt ist der Sieg unser,“ schallten die Stimmen der Saporoger von allen Seiten, die Posaunen ertönten, und die Siegesbanner flatterten auf. Die geschlagenen Polen flohen nach allen Richtungen auseinander und suchten, wo sie sich verstecken könnten. „Nein, noch ist der Sieg nicht unser,“ sagte Taraß mit einem Blick auf das Stadttor, und er hatte die Wahrheit gesagt. Die Tore öffneten sich, und eine Schar Husaren, der Stolz der gesamten Reiterei, kam hervorgesprengt. Sie saßen insgesamt auf dunkelbraunen, schnellfüßigen Pferden, voran sprengte ein Ritter, schöner und mutiger als alle andern; sein schwarzes Haar wehte unter dem kupfernen Helm hervor, und am Arme trug er eine kostbare Binde, die die schönste unter den Polinnen ihm gestickt hatte. Taraß war starr vor Schreck, als er Andrij erkannte. Der aber flog, ganz vom Feuer und dem Wüten der Schlacht ergriffen und von dem einen Wunsche getrieben, sich das um den Arm gewundene Zeichen zu verdienen, dahin wie ein junger Jagdhund, der schönste, schnellste und jüngste von der ganzen Meute. Der Jäger ruft ihm zu – und er rast fort, die Füße wie eine gerade Linie in die Luft streckend, den Körper zur Seite geneigt, den Schnee aufwühlend und alle Hasen in seinem Laufe zehnmal überholend. Der alte Taraß blieb stehen und sah zu, wie er sich einen Weg bahnte, alles vertrieb, in Stücke zusammenschlug und nach rechts und links hin Hiebe austeilte. Das konnte Taraß nicht länger mit ansehen, und er rief laut aus: „Was, auf die eigenen Brüder schlägst du los, du Satanskind?!“ Allein Andrij sah nicht, wen er vor sich hatte: ob es die eigenen Kameraden oder Fremde waren, er sah nichts als Locken: ein paar lange, lange Locken, einen schwanenweißen Busen, einen schneeweißen Hals, zwei alabasterne Schultern, und alles, was geschaffen ist für wahnsinnige, glühende Küsse.

„Hallo, ihr Burschen, lockt mir mal den Reiter in den Wald! Schnell, lockt ihn mir nur hinein,“ rief Taraß. Und schon machten sich dreißig der schnellsten Kosaken daran, ihn in den Wald zu locken. Sie rückten ihre hohen Mützen zurecht und stürmten auf ihren Rossen dahin, um den Husaren den Weg zu verlegen. Sie griffen die Vorderreihen von der Seite an, sprengten sie auseinander und trennten sie von den hinteren Reihen, wobei sie beiden einen tüchtigen Denkzettel verabreichten. Hierbei versetzte Golokopytenko Andrij eins mit der flachen Klinge über den Rücken, und dann jagten die Kosaken alle auf und davon, so schnell sie nur konnten, um den Husaren zu entschlüpfen.

Da aber geriet Andrij in Wut! Das junge Blut stürmte wild durch all’ seine Adern. Er gab seinem Rosse die Sporen und jagte aus aller Kraft hinter den Kosaken her, ohne sich umzusehen und ohne zu bemerken, daß ihm nur zwanzig von seinen Leuten folgten. Die Kosaken sprengten mit Windeseile auf ihren Pferden dahin und ritten auf den Wald zu. Auch Andrij raste auf seinem Rosse weiter, und schon hatte er Golokopytenko erreicht, als plötzlich eine starke Hand seinem Pferde in die Zügel fiel. Andrij blickte auf: vor ihm stand Taraß! Er erbebte am ganzen Körper und wurde totenbleich, wie ein Schüler, der unüberlegterweise einen Kameraden geprügelt und von diesem mit dem Lineal einen Schlag auf den Kopf erhalten hat: plötzlich lodert er auf wie Feuer, springt von der Bank, um hinter seinem Mitschüler herzujagen und ihn in Stücke zu reißen – da erblickt er den Lehrer, der gerade die Klasse betritt: der ganze leidenschaftliche Zorn legt sich plötzlich, und seine ohnmächtige Wut ist wie fortgeblasen. So verschwand Andrijs Zorn augenblicklich, als hätte er nie in ihm getobt. Er sah nur noch seinen furchtbaren Vater vor sich.

„Nun, was sollen wir jetzt machen?“ sagte Taraß, und blickte ihm offen ins Antlitz. Aber Andrij konnte kein Wort hervorbringen und stand mit gesenkten Blicken da.

„Nun, mein Söhnchen, haben dir deine Polen geholfen?“

Andrij vermochte noch immer nichts zu sagen.

„Also Verrat und Tücke! Den Glauben verkaufen! Die Seinen verraten! Nun, steig mal vom Pferde herunter.“

Gehorsam wie ein Kind stieg Andrij vom Pferde und blieb mehr tot als lebendig vor Taraß stehen.

„Steh still und rühre dich nicht. Ich habe dich gezeugt – ich werde dich auch töten,“ sagte Taraß, trat einen Schritt zurück und nahm das Gewehr von der Schulter. Andrij war totenbleich geworden, man sah nur, wie sich seine Lippen leise bewegten und einen Namen flüsterten: aber das war nicht der Name seines Vaterlandes, oder der seiner Mutter, oder seiner Brüder – es war der Name der schönen Polin. Taraß drückte los.