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Sämmtliche Werke 4: Mirgorod

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Ostap nahm die Mütze ab und dankte allen Kameraden für die Ehre, ohne sich erst lange mit seiner Jugend oder seiner geringen Erfahrung zu entschuldigen, denn er wußte, daß man während des Krieges keine Zeit zu solchen Dingen hat. Er führte seine Kosaken sogleich dorthin, wo das Gedränge am größten war, und bewies so, daß sie nicht übel beraten waren, als sie ihn zum Hauptmann wählten. Als die Polen merkten, daß die Sache doch etwas ernst wurde, zogen sie sich zurück und stürmten quer über das Feld, um sich am andern Ende wieder zu sammeln. Der kleine Hauptmann gab den vierhundert Mann, die in der Nähe des Tores standen und noch nicht am Gefecht teilgenommen hatten, ein Zeichen – und ein Kartätschenregen hagelte auf die Reihen der Kosaken nieder; sie trafen jedoch nur wenige. Dafür aber streiften einige Kugeln die Ochsenherden der Kosaken, die die Schlacht mit entsetzten Blicken anstarrten. Die erschrockenen Ochsen brüllten laut auf, stürmten auf das Kosakenlager zu, zertrümmerten die Wagen und traten viele Leute zu Boden. In diesem Augenblick jedoch stürzte Taraß mit seiner Abteilung aus dem Hinterhalte hervor und verlegte den Tieren den Weg, die aufs höchste gereizt, kehrt machten und sich mit angstvollem Gebrüll auf die polnischen Regimenter stürzten, die Reiter über den Haufen warfen und alles zerstampften und zertraten.

„Hallo, Dank ihr Ochsen!“ schrien die Saporoger, „ihr habt uns während des ganzen Feldzuges schon manchen Nutzen gebracht und jetzt leistet ihr uns gar noch Kriegsdienste!“

Und mit frischen Kräften stürzten sie sich auf den Feind. Da wurde manch ein Pole niedergemetzelt, und viele von den Kosaken zeichneten sich durch ihre Kraft und ihren Heldenmut aus! Meteliza, Schilo, die beiden Pisarenko, Wowtusenko und noch mancher andere.

Die Polen sahen, daß es schlecht mit ihnen stand, und so befahlen sie denn, die Fahnen zu hissen und das Stadttor zu öffnen. Knarrend öffnete sich das eisenbeschlagene Tor und nahm die sich stoßenden und drängenden, erschöpften und bestaubten Reiter auf wie der Stall die Schafe. Viele Saporoger sprengten ihnen nach, aber Ostap hielt seine Leute zurück und sagte: „Haltet euch fern von den Mauern, werte Herren und Brüder, haltet euch fern von ihnen. Es ist gefährlich, sich ihnen zu nähern.“ Er hatte die Wahrheit gesprochen, denn die Polen schleuderten alles, was sie in die Hände bekamen, von den Mauern herab, und hierbei wurde mancher Kosak gefährlich verletzt. In diesem Augenblicke ritt der Hetman an Ostap heran, lobte ihn und sagte:

„Der Hauptmann ist zwar noch jung, aber er leitet seine Schar wie ein alter, gewiegter Heerführer!“

Der alte Bulba wandte sich um, um zu sehen, von was für einem neuen Hauptmann die Rede sei, und erblickte Ostap, der mit der Mütze auf dem Ohr und mit dem Hauptmannsstab in der Hand an der Spitze seiner Leute hoch zu Rosse saß. „Das ist ein Kerl!“ rief der Alte, ihn voller Freude betrachtend und dankte allen Uman-Kosaken für die seinem Sohne erwiesene Ehre.

Die Kosaken kehrten wieder um und machten sich bereit, ihr Lager aufzusuchen, als die Polen abermals, diesmal aber bereits in zerrissenen Gewändern auf den Wällen der Stadt erschienen. An vielen kostbaren Kleidern klebte geronnenes Blut, und die schönen Kupferhelme waren mit Staub bedeckt.

„Na, habt ihr uns zusammengebunden?“, riefen ihnen die Saporoger von unten zu.

„Ich werde euch schon fassen,“ schrie der dicke Oberst immer wieder von oben herab und drohte mit einem Strick; die erschöpften und bestaubten Krieger wollten noch immer nicht aufhören, Drohungen auszustoßen, und die Heißblütigsten ließen es auf beiden Seiten nicht an kräftigen Worten fehlen.

Endlich zerstreuten sich alle miteinander. Die einen begaben sich, vom Kampf ermüdet, zur Ruhe, die andern legten Erde auf ihre Wunden und zerrissen Tücher und die kostbaren Gewänder, die sie dem Feinde abgenommen hatten, um sich zu verbinden. Die, die sich etwas frischer fühlten, brachten die Erschlagenen fort und erwiesen ihnen die letzte Ehre; sie gruben ihnen mit einem Schwert oder einer Lanze ein Grab und trugen die Erde in ihren Mützen und Rockschößen fort; andächtig legten sie die toten Kosaken hinein und schütteten frische Erde über sie, damit ihnen Krähen und Adler nicht die Augen aushacken sollten. Die Leichen der Polen banden sie zu je zehn und mehr an die Schweife wilder Rosse und ließen diese zügellos über das ganze Feld rasen, ja, sie jagten noch hinter ihnen her und schlugen sie auf die Lenden. Die rasenden Pferde flogen über Furchen, Hügel, Gräben und Bäche und schleiften die mit Blut und Staub bedeckten Körper der Polen über den Erdboden.

Dann lagerten sich die Kosakenschaaren im Kreise, um ihr Abendessen einzunehmen, und redeten des langen und breiten über die Heldentaten, die ein jeder vollbracht hatte, zur Nacheiferung und zum Gedächtnis für die Neuhinzukommenden und die Nachfahren. Es dauerte lange, ehe sie sich niederlegten, aber länger als alle blieb der alte Taraß auf, der fortwährend darüber nachsann, was es wohl bedeuten mochte, daß Andrij sich nicht unter den feindlichen Kriegern befunden hatte. Ob sich der Judas vielleicht geschämt hatte, gegen die Seinen zu kämpfen, oder ob der Jude gelogen und Andrij einfach gefangen war? Aber er mußte doch wieder daran denken, wie empfänglich sein Herz für die Worte der Frauen war, ein tiefer Gram erfaßte Taraß, und er verfluchte im tiefsten Innern die Polin, die seinen Sohn bezaubert hatte. Oh er wollte seinen Schwur halten; ohne nur im geringsten ihrer Schönheit zu achten, wollte er sie an ihren schönen üppigen Haaren packen und zwischen den Kosaken hindurch über das ganze Feld schleifen. Staub und Blut sollten ihre schönen Brüste und Schultern bedecken und mochten sie noch so weiß sein und schimmern wie der ewige Schnee auf den Berggipfeln, sie sollten gegen die harte Erde schlagen und von ihr zerfetzt und zerrissen werden. In tausend Stücke wollte er ihren wunderbaren schwellenden Körper reißen, und die Teile in den Wind zerstreuen. Aber Bulba wußte nicht, was Gott dem Menschen für den morgigen Tag aufbehalten hat … er vergaß endlich seinen Schmerz und schlief ein. Die Kosaken plauderten noch immer miteinander, und die ganze Nacht hindurch standen nüchterne Wachtposten bei den Lagerfeuern und blickten scharfen Auges nach allen Seiten.

Achtes Kapitel

Die Sonne stand noch nicht im Zenit, als sich die Saporoger bereits zu einer allgemeinen Beratung versammelten. Aus der Sjetsch war die Nachricht gekommen, daß die Tataren sie während der Abwesenheit der Kosaken überfallen und völlig ausgeplündert, ja daß sie sogar die Schätze, die die Kosaken unter der Erde versteckt hielten, ausgegraben und alle, die zu Hause geblieben waren, totgeschlagen oder in die Gefangenschaft geführt hätten, und daß sie mit den geraubten Rinder- und Roßherden geradewegs nach Perekop gezogen wären. Nur einem einzigen Kosaken, Marim Goloducha, war es unterwegs gelungen, sich aus den Händen der Tataren zu befreien; er hatte den Mirza erstochen, dessen mit Zechinen gefüllten Beutel geraubt und sodann in tatarischer Kleidung und auf einem Tatarenpferde einen Tag und zwei Nächte auf der Flucht vor seinen Verfolgern zugebracht. Hierbei hatte er sein eigenes Pferd zu Tode gehetzt, ein anderes bestiegen, das er ebenfalls zu Schanden geritten hatte, und so war er erst am dritten Tage ins Lager der Saporoger gekommen, nachdem er unterwegs erfahren, daß diese bei Dubno standen. Er vermochte nur noch zu sagen, daß das Unglück geschehen war; wie es aber geschehen konnte, ob die zurückgebliebenen Saporoger sich nach Kosakenart betrunken hatten und dann im Rausch gefangen genommen worden, und wie die Tataren die Stelle entdeckt hatten, an der sich der Kriegsschatz befand – von alledem vermochte er nichts zu sagen. Der Kosak war furchtbar erschöpft und am ganzen Körper geschwollen; der heiße Wind hatte ihm das Gesicht verbrannt, genug, er sank sofort nieder und verfiel in einen tiefen Schlaf.

In solchen Fällen war es bei den Saporogern Sitte, den Räubern unverzüglich nachzujagen und sie noch unterwegs einzuholen, denn es konnte sonst leicht geschehen, daß die Gefangenen plötzlich auf den kleinasiatischen Bazaren, in Smyrna, auf der Insel Kreta oder an anderen Orten auftauchten, und Gott allein mochte wissen, wo man den buschigen Schädeln der Saporoger noch sonst begegnete. Das war der Grund, weswegen die Saporoger sich versammelt hatten. Sie alle, vom ersten bis zum letzten, hatten ihre Mützen aufbehalten, denn sie waren nicht hergekommen, um von ihrem Hetman Befehle zu hören, sondern um sich als Gleichgestellte miteinander zu beraten. „Die Ältesten sollen zuerst sprechen,“ riefen einige Stimmen aus der Menge. „Nein, Hetman, gib du uns einen Rat,“ sagten andere.

Der Hetman nahm die Mütze ab, nicht mehr als ihr Anführer, sondern als ihr Kamerad, dankte für die Ehre und sprach: „Es gibt viele unter uns, die älter sind, als ich, und viele, die einen klügeren Rat erteilen könnten, da man mir aber die Ehre erwiesen hat, mich zu fragen, so ist dies mein Rat: Verliert keine Zeit, Kameraden, und setzt den Tataren nach, denn ihr wißt ja selbst, was der Tatar für ein Mensch ist. Er wird mit seinem geraubten Schatz kaum auf unsere Ankunft warten, sondern ihn sofort verschleudern, sodaß auch nicht eine Spur von ihm übrig bleibt. Dies also ist mein Rat. Wir müssen aufbrechen, wir haben uns hier schon genug Bewegung gemacht. Die Polen wissen, wer die Kosaken sind, wir haben unsern Glauben nach Kräften gerächt. Die ausgehungerte Stadt aber kann für uns nicht mehr viel bedeuten. Darum lautet mein Rat: Brechen wir auf!“

„Aufbrechen, aufbrechen!“ schrieen die Abteilungen der Saporoger. Aber diese Worte wollten Taraß Bulba wenig gefallen. Finster runzelte er seine rabenschwarzen, leicht ergrauten Augenbrauen, die dem dichten Gestrüpp glichen, das auf dem Scheitel eines Berges wächst und dessen Spitzen mit feinen weißen Nadeln bereift sind. „Nein, dein Rat ist nicht gut, Hetman,“ sagte er, „deine Worte sind nicht richtig, du scheinst zu vergessen, daß die Unsern in der Gefangenschaft bei den Polen zurück bleiben. Du scheinst zu wollen, daß wir das erste und heiligste Gesetz der Freundschaft mißachten; daß wir unsere Brüder in Stich lassen, damit man ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abzieht oder ihren Kosakenleib vierteilt und ihn dann durch alle Städte und Dörfer schleppt, wie sie das bereits mit dem Hetman und den besten Helden der Ukraine gemacht haben. Haben sie unser Heiligstes noch nicht genug beschimpft? Was sind wir denn? frage ich euch alle. Was ist das für ein Kosak, der seinen Kameraden in der Not verläßt und zugibt, daß er in der Fremde verreckt wie ein Hund? Wenn es schon so weit gekommen ist, daß niemand die Kosakenehre mehr heilig hält und daß jeder sich erlaubt, uns ins Angesicht und auf unseren großen Schnurrbart zu speien, und Schimpfworte auf uns zu häufen – so soll wenigstens mir keiner einen Vorwurf machen können. Ich bleibe hier und wenn ich der einzige bin!“

 

Alle anwesenden Saporoger begannen zu schwanken.

„Tapferer Oberst“ entgegnete hierauf der Hetman, „hast du denn vergessen, daß es ebenfalls unsere Kameraden sind, die sich in den Händen der Tataren befinden? Daß ihr Leben ein ewiges Sklaventum unter den Heiden sein wird, entsetzlicher als der schrecklichste Tod, wenn wir sie nicht befreien? Hast du denn vergessen, daß sie unsern gesamten Schatz besitzen, der mit teurem Christenblute erkauft ist?“

Die Kosaken wurden nachdenklich und wußten nicht, was sie sagen sollten. Keiner von ihnen wollte in üblen Ruf kommen. Da trat der Älteste aus dem Heere der Saporoger, Kaßjan Bowdjug, hervor. Er war hochgeehrt bei den Kosaken, war schon zweimal Hetman gewesen und galt auch im Kriege als ein tüchtiger Kosak, aber jetzt war er schon sehr alt und nahm an keinem Feldzuge mehr teil, auch liebte er es nicht, Rat zu erteilen, sondern der alte Kämpe zog es vor, im Kreise der Kosaken auf dem Rücken zu liegen und den Erzählungen über vergangene Abenteuer und Feldzüge der Kameraden zu lauschen. Er mischte sich nie in ihre Reden, sondern hörte nur aufmerksam zu und drückte mit den Fingern die Asche in seiner kurzen Pfeife zusammen, die er nie aus dem Munde ließ. So saß er lange da, die Augen halb geschlossen, und die Kosaken wußten nie, ob er zuhöre oder schon schlafe. Während der letzten Feldzüge war er stets zu Hause geblieben, aber diesmal hatte es ihn aufgerüttelt. Nach Kosakenart hatte er seine Hand geschwungen und gesagt: „Ach was, diesmal komme ich mit euch. Vielleicht kann ich dem Kosakentum noch irgendwie nützlich sein.“ Alle Kosaken verstummten, als er jetzt vor die Versammlung trat, denn schon lange hatte man kein Wort aus seinem Munde gehört. Jeder wollte wissen, was Bowdjug zu sagen hatte.

„Auch an mich ist jetzt die Reihe gekommen, einige Worte zu sagen, ihr Herren und Brüder“, begann er, „so hört denn, was euch ein alter Mann sagt, Kinder. Der Hetman hat weise gesprochen; als Führer des Kosakenheeres, der verpflichtet ist, den Besitz des Heeres zu hüten und zu bewahren, konnte er gar nichts Weiseres sagen. Das laßt euch zuerst gesagt sein. Jetzt aber hört, was ich euch weiter mitzuteilen habe. Und zwar muß ich euch folgendes sagen. Auch der Oberst Taraß hat eine große Wahrheit ausgesprochen! Gott möge ihm ein langes Leben bescheren, und möge es noch oft solche Obersten in der Ukraine geben! Die erste Pflicht und die höchste Ehre des Kosaken ist es, Waffenbrüderschaft zu halten. Solange ich auf der Welt bin, ihr Herren und Brüder, habe ich es noch nicht erlebt, daß der Kosak seinen Kameraden in Stich gelassen oder verraten hätte. Sowohl die einen wie die andern sind unsere Kameraden; ob ihrer nun viele oder wenige sind, das ist ganz gleich, sie sind alle unsere Kameraden und uns alle gleich lieb und wert. Ich will also folgendes sagen: Diejenigen, denen die Gefangenen der Tataren besonders lieb sind, sollen sich an die Verfolgung der Tataren machen, die dagegen, denen die von den Polen Fortgeschleppten mehr am Herzen liegen, und die deren gerechte Sache nicht verlassen wollen, sollen hier bleiben. Der Hetman mag seiner Pflicht gemäß mit der einen Hälfte die Tataren verfolgen, die andere Hälfte aber soll sich unterdessen einen eigenen stellvertretenden Hetman wählen. Und für dieses Amt eignet sich, wenn ihr einem Graukopf folgen wollt, niemand besser, als Taraß Bulba. Es gibt keinen unter uns, der ihm an Mut und Tapferkeit gleich ist.“

So sprach Bowdjug und verstummte; und alle Kosaken freuten sich, daß sie der Alte so auf den richtigen Weg gewiesen hatte. Alle warfen ihre Mützen in die Luft und riefen: „Dank dir, Väterchen! Du hast immer geschwiegen, und geschwiegen, du hast lange geschwiegen, und nun endlich hast du das einzig Richtige und Wahre gesagt. Du hast nicht vergebens erklärt, als du mit uns in den Feldzug zogst, daß du dem Kosakentum nützen könntest: Nun ist es wirklich so gekommen.“

„Seid ihr damit einverstanden?“ fragte der Hetman.

„Ja, wir sind Alle einverstanden,“ riefen die Kosaken.

„Die Versammlung ist also beendet?“

„Die Versammlung ist beendet,“ riefen die Kosaken.

„So vernehmt denn jetzt den Heeresbefehl, Kinder,“ sagte der Hetman, trat vor und setzte die Mütze auf; und alle Saporoger, so viel ihrer da waren, nahmen die ihren ab und hörten ihn entblößten Hauptes und mit zu Boden gesenkten Blicken an, wie es bei den Kosaken Sitte war, wenn einer der Ältesten sprechen wollte. „Jetzt teilt euch in zwei Teile, ihr Herren und Brüder. Wer gehen will, begebe sich auf die rechte Seite, wer bleibt, auf die linke. Geht der größere Teil einer Abteilung mit, so folgt ihnen auch der Führer, ist es jedoch nur der kleinere Teil, so mögen sich die Übrigbleibenden einer anderen Abteilung anschließen.“

Und Alle teilten sich in zwei Gruppen und stellten sich teils auf die rechte, teils auf die linke Seite. Wohin sich der größere Teil einer Abteilung begab, dahin folgte auch der Führer: kleinere Teile schlossen sich an die größeren Abteilungen an. Und es stellte sich heraus, daß beide Gruppen fast gleichstark waren. Folgende Abteilungen hatten sich zum Bleiben entschlossen: beinahe die ganze Abteilung Nesamaikow, die größere Hälfte der Abteilung Popowitsch, die ganze Abteilung Uman und Kanew, und die größere Hälfte der Steblikiwschen und Tymoschewschen Abteilungen. Die übrigen Abteilungen zogen es vor, die Tataren zu verfolgen. Auf beiden Seiten gab es viele tapfere und wackere Kosaken. Unter denen, die beschlossen hatten, den Tataren nachzujagen, befanden sich: ein wackerer, alter Kosak, Tscherewaty, ferner Pokotypole, Lemisch und Prokopowitsch Choma. Auch Demid Popowitsch hatte sich ihnen angeschlossen, denn er hatte eine recht hohe Meinung von sich und liebte es nicht, lange an ein und demselben Ort zu sitzen: er hatte sich nun mit den Polen gemessen, jetzt wollte er es wieder einmal mit den Tataren aufnehmen. Die Anführer der einzelnen Abteilungen waren folgende: Nostjugan, Pokryschka, Newylytschki und noch viele andere wackere und tapfere Kosaken, die Schwert und Kraft im Kampf gegen die Tataren erproben wollten. Aber nicht weniger tapfere und brave Kosaken waren unter denen, die da bleiben wollten: die Abteilungsführer Demytrowitsch, Kukubenko, Wertychwist, Balaban, Bulbenko und Ostap. Außer ihnen gab es da noch viele andere berühmte und gewaltige Kosaken: Wowtusenko, Tscherewytschenko, Stepan Guska, Ochrim Guska, Mykola Gustyj, Sadoroschny, Metelizja, Iwan Sakrutyguba, Mossy Schilo, Degtjarenko, Sydorenko, die drei Pissarenko und noch viele andere ausgezeichnete Kosaken, alles erfahrene, und erprobte Leute. Sie waren an den Küsten Anatoliens, in den Steppen der Krim, auf allen großen und kleinen Flüssen, die in den Dnjepr münden, und in den Schluchten und auf den Inseln dieses Flusses gewesen; sie hatten die Moldau, die Wallachei und die Türkei besucht, hatten das ganze schwarze Meer mit ihren zweiruderigen Kosakenbooten durchkreuzt und mit deren fünfzig die größten und reichsten Schiffe überfallen, nicht wenig Galeeren zum Kentern gebracht und viel, sehr viel Pulver in ihrem Leben verschossen. Oft genug hatten sie kostbare Seiden- und Sammetstoffe zerrissen um sich Fußlappen daraus zu verfertigen, und ihre Beutel am Hosengurt mit goldenen Zechinen vollgestopft. Und wieviel Geld und Gut jeder von ihnen schon vertrunken und verjubelt hatte, – einem andern hätte es für das ganze Leben gereicht – das war garnicht auszurechnen. Sie hatten nach Kosakenart alles verschwendet: alle Welt bewirtet, und Musikanten bestellt, damit alles, was da lebte, lustig sei! Noch jetzt hatten die meisten irgendwo Wertgegenstände vergraben: Becher, silbernes Trinkgeschirr und Armbänder, die sie im Schilf auf den Inseln des Dnjepr versteckt hielten, damit die Tataren sie nicht auffinden konnten, wenn es diesen gelingen sollte, die Sjetsch in einem unglücklichen Augenblick plötzlich zu überfallen. Aber es wäre den Tataren schwer geworden, diese Schätze zu finden, wußten doch oft die Besitzer selbst nicht mehr, wo sie sie vergraben hatten. Das waren die Kosaken, die da bleiben wollten, um die treuen Waffenbrüder und den christlichen Glauben an den Polen zu rächen. Der alte Kosak Bowdjug wollte gleichfalls mit ihnen zurückbleiben und sagte: „Ich bin nicht mehr jung genug, um hinter den Tataren herzulaufen; auch dies ist ein Platz, wo man einen ehrlichen Kosakentod sterben kann! Schon lange bete ich zu Gott, daß ich, wenn ich denn sterben soll, mein Leben im Kampf für die heilige Sache Christi hingeben dürfe. Nun ist es so gekommen. Einen schöneren Tod kann es für einen alten Kosaken nirgends geben.“

Nachdem sie auseinandergegangen waren und sich in zwei Gruppen nach den Abteilungen aufgestellt hatten, schritt der Hetman die Reihen ab und sagte:

„Nun ihr Herren und Brüder, sind die beiden Teile miteinander zufrieden?“

„Wir sind alle zufrieden Väterchen,“ riefen die Kosaken.

„Nun, dann küßt euch und drückt euch zum Abschied die Hände, denn Gott weiß, ob ihr euch noch einmal im Leben wiederseht. Gehorcht eurem Hetman, und tut euer Bestes: ihr wißt ja selbst, was die Kosakenehre von euch fordert.“

Und alle Kosaken, so viele ihrer waren, küßten einander. Die Führer machten den Anfang, sie strichen sich über ihre grauen Schnurrbärte und küßten sich dreimal, dann drückten sie sich die Hände und hielten sie lange fest, als ob sie sagen wollten: „Werden wir uns noch einmal wieder sehen, Herr Bruder oder nicht?“

Sie sagten aber doch nichts, sondern schwiegen, und ihre grauen Köpfe versanken in Nachdenken. Auch die Kosaken nahmen Abschied von einander; alle insgesamt, denn sie wußten, daß es für beide Teile viel zu tun gab. Sie beschlossen aber, sich nicht sofort zu trennen, sondern bis zum Anbruch der Nacht zu warten, damit der Feind nichts davon merke, daß das Kosakenheer kleiner geworden sei. Dann begaben sich alle in die einzelnen Lager, um sich ihr Mittagsmahl zu bereiten.

Nach der Mahlzeit legten sich alle, die nach Hause gehen wollten zur Ruhe nieder; sie schliefen lange und fest, wie wenn sie ahnten, daß dies das letzte Mal sei, wo sie sich als freie Männer auf freiem Felde ausschlafen konnten. Sie schliefen bis zum Sonnenuntergang: bei Anbruch der Dunkelheit aber standen sie auf, um ihre Wagen zu schmieren. Als sie fertig waren, schickten sie die Wagen voraus, sie selbst aber grüßten ihre Kameraden nochmals mit den Mützen und schritten langsam und still hinter den Wagen her; die Berittenen zogen in guter Ordnung, ohne die Pferde durch Schreien und Pfeifen anzuspornen, hinter den Fußgängern her, und bald waren sie in der Dunkelheit verschwunden. Nur hie und da hörte man noch das dumpfe Pferdegetrappel und hin und wieder das Knarren eines Rades herüberschallen, das noch nicht recht in Gang gekommen oder während der nächtlichen Dunkelheit schlecht geschmiert worden war.

Und lange noch winkten ihnen die zurückgebliebenen Kameraden zu, obgleich nichts mehr von ihnen zu sehen war. Als sie aber zu ihren Lagerplätzen zurückgekehrt waren, und als sie bei dem sternhellen Himmel sahen, daß die gute Hälfte der Wagen nicht mehr da war, und daß viele ihrer Brüder fehlten, da wurde es ihnen traurig und bang ums Herz, sie wurden unwillkürlich nachdenklich und ließen ihre unruhigen Köpfe herabsinken.

Taraß sah, wie schwermütig die Kosaken wurden, und wie sich ihrer Köpfe eine gewisse Verzagtheit, die eines tapferen Mannes unwürdig ist, bemächtigte; aber er schwieg, er wollte ihnen Zeit lassen, bis sie sich an den Schmerz gewöhnten, den der Abschied der Kameraden in ihnen hervorgerufen hatte. Im stillen nahm er sich jedoch vor, sie plötzlich durch den Kosaken-Kriegsruf aufzurütteln, um ihrer Seele wieder neuen frischen Mut und neue Stärke einzuflößen. Jene Stärke, deren nur die slavische Rasse fähig ist, diese weitherzige, mächtige Rasse, die sich zu den andern Rassen verhält, wie das Meer zu einem seichten Flüßchen. Wenn die Zeit stürmisch ist, dann bricht es in ein dröhnendes Gebrüll und Gedonner aus und wirft und türmt gewaltige Wogenmassen auf, wie es ein kraftloser Fluß nie vermag; wenn aber Windstille und Ruhe herrscht, dann streckt es seine unabsehbare, klare Spiegelfläche aus: den Augen ein ewiges Labsal, und klarer und reiner als je einer der Flüsse.

 

Taraß befahl seinen Dienern, einen Wagen, der gesondert dastand, auszupacken. Es war der größte und stärkste von allen Kosakenwagen. Seine Räder waren mit doppelten mächtigen Reifen beschlagen, er war hoch beladen, mit Decken und starken Ochsenfellen bespannt und mit gut geteerten Stricken umwunden. Im Innern befanden sich Gefäße und Fässer mit gutem alten Wein, der lange in Taraß’ Kellern gelagert hatte. Er hatte diesen Vorrat für einen feierlichen Augenblick aufgespart, damit ein jeder Kosak – wenn der große Augenblick gekommen war und große Taten winkten, die würdig waren, der Nachwelt überliefert zu werden – einen köstlichen Schluck dieses verbotenen Trunkes koste, auf daß der große Moment in dem Menschen auch ein großes Gefühl auslöse. Auf den Befehl des Obersten liefen die Knechte sofort zu den Wagen, hieben mit ihren Säbeln die dicken Stricke durch, nahmen die starken Ochsenhäute und Decken ab und zogen die Gefäße und Fässer vom Wagen herunter.

„Nehmt nur alle,“ sagte Bulba, „alle, so viele ihr seid, ein jeder nehme, was er bei der Hand hat: einen Becher, einen Eimer, mit dem er sonst sein Pferd tränkt, einen Fausthandschuh oder die Mütze, oder wenn es gar nicht anders geht, so haltet einfach die Hände unter.“

Und alle Kosaken, soviel ihrer da waren, taten, wie Taraß ihnen gebot; der eine hielt einen Becher unter, ein anderer einen Eimer, aus dem er sonst sein Pferd tränkte, ein dritter seinen Fausthandschuh und wieder andere die Mütze, viele aber hielten einfach beide Hände hin. Und Taraß’ Knechte schenkten ihnen allen den Wein aus Gefäßen und Fässern ein. Allein Taraß gebot ihnen, nicht eher davon zu kosten, als bis er ihnen ein Zeichen gäbe, damit alle den Wein auf einmal austränken. Man sah es ihm an, daß er etwas sagen wollte. Taraß wußte, daß, so stark auch die Wirkung an und für sich ist, die ein guter alter Wein auf das Gemüt des Menschen ausübt, und so sehr er ihn ermutigt und belebt, der Einfluß des Trunkes auf Geist und Gemüt noch doppelt so stark ist, wenn er von einem guten Wort begleitet wird. „Ich habe Euch nicht deshalb zu diesem Trunke eingeladen, werte Herren und Brüder,“ sprach Bulba, „weil ihr mich zu euerem Führer erwählt habt, so sehr ich mir das auch zur Ehre anrechne, und auch nicht um den Abschied von unseren Kameraden zu feiern, – das würde sich wohl in anderen Zeiten besser geziemen als gerade in diesem Augenblick. Große, schwere Taten, edlen Schweißes wert, harren unser, Taten, die den gewaltigen Mut der Kosaken erfordern! Und darum, Kameraden, laßt uns den Wein austrinken auf einen Zug: vor allem auf den heiligen christlichen Glauben, damit endlich die Zeit kommt, wo sich der eine wahre und heilige Glaube über den ganzen Erdboden verbreite und alle Mohammedaner, soviel ihrer auch sind, gläubige Christen werden. Und zugleich laßt uns auf die Sjetsch trinken, auf daß diese noch lange bestehen möge zum Schrecken und Verderben der Mohammedaner, und auf daß alle Jahre recht viele brave Kosaken, einer tüchtiger und schöner als der andere, aus ihr hervorgehen mögen. Und endlich laßt uns auch gleich auf unsern eigenen Ruhm trinken, auf daß Kinder und Kindeskinder sich von uns erzählen, daß es einst Kosaken gegeben habe, die nicht Verrat geübt an der Freundschaft und die eigenen Waffenbrüder nicht in Stich gelassen haben! Also es lebe der Glaube, werte Herren. Es lebe der Glaube!“

„Es lebe der Glaube!“ donnerten alle, die in den vordersten Reihen standen mit ihren tiefen Baßstimmen los. „Auf unsern Glauben!“ fielen auch die ferner Stehenden ein, und alle Anwesenden, die Alten und die Jungen, leerten die Becher auf ihren Glauben.

„Auf die Sjetsch!“ sagte Bulba und hob den Arm hoch über den Kopf empor.

„Auf die Sjetsch!“ riefen die in den vordersten Reihen mit lauter Stimme. „Auf die Sjetsch!“, sagten die Alten leise und strichen sich die grauen Schnurrbärte; und die Jungen wiederholten wie ein junger Falke, der aus dem Schlafe erwacht: „Auf die Sjetsch!“ – und weithin drang über das Feld der Ruf, mit dem die Kosaken ihrer Sjetsch gedachten.

„Jetzt noch einen letzten Trunk, Kameraden: auf unsere Ehre und unseren Ruhm und auf alle Christen, die in der Welt leben!“

Und alle Kosaken, vom ersten bis zum letzten, tranken den letzten Schluck auf Ehre und Ruhm und auf alle Christen, die irgendwo in der Welt lebten. Und lange noch wiederholten die einzelnen Gruppen und Abteilungen:

„Auf das Wohl aller Christen, die in der Welt leben!“

Die Becher waren geleert, doch noch immer standen die Kosaken mit erhobenen Händen da; allein wenn auch der Wein ihre Augen heller und freudiger glänzen machte, – sie waren doch immer noch ernst und nachdenklich. Nicht an Beute und Kriegsglück dachten sie jetzt, auch nicht daran, ob ihnen wohl goldene Dukaten, kostbare Waffen, gestickte Röcke und Tscherkessenpferde beschieden sein würden: sie saßen sinnend da wie eine Schar von Adlern, die sich hoch oben auf den Spitzen steinerner Felsen und steiler Berge niedergelassen haben, von wo aus man das weite grenzenlose Meer erblickt, wie es mit Galeeren, Segelschiffen und allerlei Fahrzeugen, gleichwie mit kleinen Vögeln, besät ist, – das Meer mit seinen in der Ferne verschwimmenden Meerbusen und Gestaden, mit Städten, die wie Fliegen, und mit Wäldern, deren Bäume wie niedrige Grashalme aussehen. Mit Adlerblick überschauten sie die ganze Ebene und ihr von ferne winkendes Schicksal. Einst würde das ganze weite Feld, mit all seinen Wegen und Verstecken, mit nackten weißen Kosakenknochen bedeckt sein, und auf dem von Kosakenblut gedüngten Boden würde man zertrümmerte Wagen, zerbrochene Säbel und Lanzen erblicken; überall würden dicht behaarte Köpfe mit zerzausten und blutigen Mähnen und tief herabhängenden Schnurrbärten herumliegen, die Adler würden sich auf die Leichen stürzen und ihnen mit ihren Schnäbeln die Kosaken-Augen heraushacken. Aber wie schön und herrlich war doch trotz allem ein so weites, freies Sterbelager! Keine ihrer großen Taten würde vergessen werden, und der Kosakenruhm würde nie vergehen und nie sich verlieren wie die kleine Kugel, die den Flintenlauf verlassen hat. Ein Bandura-Spieler mit einem weißen, bis an den Gürtel reichenden Bart würde einst von ihm singen oder vielleicht auch ein weißhaariger Greis, der aber noch immer ein Bild kraftvoller männlicher Schönheit ist: ein Wahrsager und Prophet, würde er mit gewaltigen, mächtigen Worten von ihm künden! Und weithin über die Welt würde sich der Ruhm der Kosaken verbreiten, und alle, die nach ihnen geboren würden, würden von ihnen reden. Denn leicht verbreitet sich ein gewaltiges Heldenwort, leicht wie der Ton aus schallendem Glockenerz, in das der Meister viel köstliches und reines Silber gemischt hat, auf daß der herrliche Klang in alle Städte und Dörfer, Paläste und Hütten dringe, und alle Christen zum heiligen Gebete rufe.