Za darmo

Die toten Seelen

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Kapitel 6

Früher, vor langer Zeit, in den Jahren meiner Jugend, in den Jahren der unwiederbringlich verflogenen Kindheit, war es mir immer eine Lust, mich zum erstenmal einem unbekannten Orte zu nähern: ganz gleich, ob es ein Dörfchen, ein armes Kreisstädtchen, ein Kirchdorf oder ein Flecken war – mein neugieriger kindlicher Blick entdeckte da immer viel Interessantes. Jedes Gebäude, alles, was nur den Stempel von Besonderem trug, fesselte und erstaunte mich. Ein steinernes Regierungsgebäude von der bekannten Architektur mit den vielen falschen Fenstern, das einsam inmitten eines Haufens aus Balken gezimmerter einstöckiger Bürgerhäuschen ragte; eine regelmäßige, ganz mit Weißblech gedeckte Kuppel über einer schneeweißen Kirche, ein Markt oder ein Provinzdandy, der im Städtchen auftauchte – nichts entging der frischen, scharfen Aufmerksamkeit. Die Nase aus dem Reisewagen herausgesteckt, betrachtete ich den mir noch unbekannten Schnitt irgendeines Rockes, die hölzernen Kisten mit Nägeln, mit Schwefel, der aus der Ferne gelb leuchtete, mit Rosinen und Seife, die in den Türen eines Gemüseladens neben Gläsern mit ausgetrocknetem Moskauer Konfekt prangten; ich betrachtete mit der gleichen Aufmerksamkeit den vorbeigehenden Infanterieoffizier, der Gott weiß aus welchem Gouvernement in diese langweilige Provinz verschlagen war, und den Kaufmann in langem Überrock, der in einer leichten Droschke an mir vorüberflog – und ich folgte ihnen mit meinen Gedanken in ihr elendes Dasein. Ging ein Kreisbeamter an mir vorbei, so fragte ich mich gleich, wohin er wohl gehen möge: ob zu einer Abendunterhaltung bei einem seiner Kollegen oder direkt zu sich nach Hause, um erst ein halbes Stündchen, solange die Abenddämmerung noch nicht angebrochen ist, draußen vor der Haustüre zu sitzen und sich dann mit seiner Mutter, seiner Frau und der Schwester dieser Frau ans frühe Abendessen zu setzen, und worüber sie wohl sprechen werden, wenn das leibeigene Mädel mit den Perlengehängen oder ein Junge in dicker Joppe nach der Suppe ein Talglicht in dem alten Hausleuchter hereinbringt. Wenn ich mich dem Dorfe irgendeines Gutsbesitzers näherte, betrachtete ich neugierig den hohen, schmalen hölzernen Glockenturm oder die breite, dunkle, alte hölzerne Kirche. Einladend schimmerten durch das Laub der Bäume das rote Dach und die weißen Schornsteine des Herrenhauses, und ich wartete mit Ungeduld, daß die es verdeckenden Gärten zu beiden Seiten zurücktreten und das Haus mit seiner damals durchaus nicht banalen Fassade (heute sind die Fassaden leider nicht mehr so!) zum Vorschein käme; und ich suchte zu erraten: was für ein Mensch der Gutsbesitzer und ob er dick sei, ob er Söhne oder ganze sechs Töchter mit hellem Mädchenlachen und ewigen Spielen habe, von denen die jüngste immer wunderhübsch ist, ob sie schwarze Augen haben und ob er selbst ein lustiger Patron sei oder immer düster wie die letzten Septembertage in den Kalender schaue und über Korn und Weizen spreche, was für die Jugend so langweilig ist.

Heute nähere ich mich gleichgültig jedem unbekannten Dorfe und betrachte gleichgültig sein abgeschmacktes Äußere; mein abgekühlter Blick fühlt sich ungemütlich, nichts bringt mich zum Lachen; was in vergangenen Jahren eine lebhafte Bewegung in meinem Gesichte geweckt, was mich zum Lachen oder Reden gereizt hatte, gleitet jetzt an mir wirkungslos vorüber, und meine unbeweglichen Lippen bewahren ein teilnahmsloses Schweigen. Oh, meine Jugend, oh, meine einstige Frische!

Während Tschitschikow über den Spitznamen, den die Bauern Pljuschkin verliehen hatten, nachdachte und innerlich lachte, merkte er gar nicht, wie er mitten in ein ausgedehntes Kirchdorf mit einer Menge Bauernhäuser und Straßen geraten war. Bald wurde er jedoch darauf durch ein ordentliches Rütteln aufmerksam gemacht, das vom Knüppelpflaster herrührte und gegen welches das städtische Pflaster gar nichts ist. Die Balken hoben und senkten sich wie die Klaviertasten, und der unachtsame Reisende bekam entweder eine Beule im Nacken oder einen blauen Fleck auf der Stirne, oder es kam auch vor, daß er sich mit den eigenen Zähnen sehr schmerzhaft in die Spitze seiner eigenen Zunge biß. Tschitschikow nahm an fast allen Gebäuden des Dorfes eine eigentümliche Morschheit wahr: die Balken der Wände waren dunkel und alt; viele Dächer waren durchscheinend wie Siebe; von vielen war außer dem Firstbalken oben und Rippenstangen an den Seiten überhaupt nichts übriggeblieben. Es sah so aus, als hätten die Bewohner selbst die Bretter und Schindeln heruntergeholt, in der natürlich durchaus richtigen Erwägung, daß man bei Regenwetter die Häuser nicht deckt, daß sie bei trockenem Wetter auch so keinen Tropfen durchlassen und daß man sich mit seinem Weibe nicht unbedingt zu Hause vergnügen muß, wo es doch genügend Platz wie in der Schenke, so auch an der Landstraße, kurz überall gibt. Die Fenster waren sämtlich ohne Scheiben; einige waren nur mit Gras oder Kleidungsstücken verstopft; die von Brüstungen umgebenen kleinen Altane unter den Dächern, die Gott weiß zu welchem Zweck an vielen russischen Bauernhäusern angebracht werden, waren schief und dunkel geworden und wirkten nicht einmal malerisch. Hinter den Häusern erhoben sich reihenweise riesengroße Getreideschober, die anscheinend schon lange dastanden; ihre Farbe erinnerte an alte, schlecht gebrannte Ziegelsteine; oben wuchs auf ihnen allerlei Unkraut und an der Seite sogar hie und da ein Strauch. Das Getreide gehörte offenbar dem Gutsbesitzer. Zwischen den Getreideschobern und den morschen Dächern ragten bald rechts und bald links, je nach den Wendungen, die der Wagen machte, zwei Dorfkirchen dicht nebeneinander in die heitere Luft; die eine aus Holz und nicht mehr benutzt, die andere aus Stein, mit gelben Mauern voller Flecken und Risse. Hier und da blickte das Herrenhaus durch, das schließlich ganz sichtbar wurde an der Stelle, wo die Häuserreihe aufhörte und statt ihrer ein leeres, von einem niederen, stellenweise zerbrochenen Zaune eingefaßtes Gemüse- oder Kohlfeld kam. Dieses seltsame, ganz ungewöhnlich lange Palais sah wie ein altersschwacher Invalide aus. Stellenweise hatte es nur ein Geschoß und stellenweise zwei. Auf dem dunklen Dache, das dem Alter nicht überall sicheren Schutz bot, ragten einander gegenüber zwei Aussichtstürme, beide schief und der Farbe, mit der sie einst bedeckt gewesen, beraubt. Die Mauern zeigten hier und da das hölzerne Gitterwerk, von dem der Mörtel abgefallen war, und schienen nicht wenig von Regen, Stürmen und herbstlichen Wetterstürzen gelitten zu haben. Von den Fenstern standen nur zwei offen; die übrigen waren mit Läden verschlossen und zum Teil sogar mit Brettern vernagelt. Auch die beiden erwähnten Fenster waren ihrerseits halbblind; und auf dem einen prangte ein aufgeklebtes Dreieck aus blauem Zuckerpapier.

Nur der ausgedehnte alte Garten hinter dem Hause, der sich über das Dorf hinaus erstreckte und schließlich in den Feldern verlor, verwildert und vernachlässigt, schien allein dieses große Dorf zu beleben und bot in seiner malerischen Verwilderung den einzigen schönen Anblick. In grünen Wolken und unregelmäßigen, aus zitterndem Laube bestehenden Kuppeln hoben sich die ineinandergewachsenen Wipfel der in Freiheit verwilderten Bäume vom Himmel ab. Der weiße kolossale Stamm einer Birke, die von einem Sturm oder Gewitter ihres Wipfels beraubt worden war, ragte aus diesem grünen Dickicht empor und rundete sich in der Luft wie eine glänzende regelmäßige Marmorsäule; die schiefe spitze Bruchstelle, die sie oben statt eines Kapitals bekrönte, saß auf dem blendenden Weiß wie eine Mütze oder wie ein schwarzer Vogel. Der Hopfen, der unten die Holunder-, Ebereschen- und Haselnußstauden erstickte und dann längs des Zaunes kletterte, lief den Birkenstamm hinauf und umrankte ihn bis zur Mitte. Nachdem er die Mitte erreicht hatte, fiel er von da ab und klammerte sich zum Teil an die Wipfel anderer Bäume fest oder hing zum Teil in feinen, zähen Ranken, die in der Luft leise bebten, herab. Das von der Sonne beschienene grüne Dickicht öffnete stellenweise einen Ausblick in die unbeleuchtete Tiefe, die wie ein dunkler Rachen gähnte; sie war ganz vom Schatten umschlungen, und in der schwarzen Tiefe schimmerten kaum sichtbar: ein schmaler Fußpfad, ein eingestürztes Geländer, eine baufällige Laube, ein hohler, morscher Weidenstamm, graues Akaziengebüsch, das hinter der Weide seine in der furchtbaren Enge verdorrten, durcheinandergeflochtenen und gekreuzten Blätter und Äste hervorstreckte, und schließlich ein junger Ahornast, dessen tatzenförmige Blätter seitwärts hervorlugten und von denen das eine, von der Gott weiß wieso hineingeratenen Sonne durchdrungen, durchsichtig und feurig in diesem dichten Dunkel glühte. Etwas seitwärts, am Rande des Gartens, trugen einige hohe, alle anderen Bäume überragende Espen auf ihren zitternden Wipfeln riesige Krähennester. Einige von ihnen ließen abgebrochene, doch noch nicht ganz losgelöste Äste mit den verdorrten Blättern herabhängen. Mit einem Worte – alles war so schön, wie es sonst weder die Natur noch die Kunst zu erfinden vermögen und wie es nur dann der Fall ist, wenn sie sich miteinander verbünden: wenn die Natur über das oft sinnlos aufgetürmte Menschenwerk mit seinem Meißel nachgefahren ist, die schweren Massen leichter gemacht, die rohe Symmetrie und die dürftigen Lücken vernichtet hat, durch die der unverhüllte, nackte Plan hervorlugt, und allem, was in der Kühle abgemessener Genauigkeit und Reinlichkeit entstanden ist, eine wunderbare Wärme verliehen hat.

Nach einer oder zwei Wendungen kam unser Held dicht vor das Haus, das jetzt einen noch traurigeren Eindruck machte. Das morsche Holz des Tores und Zaunes war schon vom grünen Schimmel überzogen. Eine ganze Menge sichtlich zerfallender Baulichkeiten – Gesindegebäude, Scheunen und Schuppen – füllte den Hof. Alles zeugte davon, daß hier einst eine große Wirtschaft betrieben worden war, und alles blickte jetzt düster drein. Nichts belebte das Bild: weder sich auftuende Türen, noch aus den Häusern tretende Menschen, noch irgendwelche lebendige Hausarbeit! Nur das Haupttor allein stand offen, und auch das nur aus dem Grunde, weil eben ein Bauer mit vollbeladenem, mit Bastmatten zugedecktem Wagen wie eigens zur Belebung dieser ausgestorbenen Stätte hereingefahren war. Zu anderer Zeit war wohl auch dieses Tor fest verschlossen, denn in der eisernen Klammer hing ein riesengroßes Vorhängeschloß. Vor einem der Gebäude bemerkte Tschitschikow eine Gestalt, die mit dem Bauern, der eben mit seinem Wagen gekommen war, sofort Streit anfing. Lange konnte er das Geschlecht dieser Gestalt nicht erkennen: ob es ein Mann oder ein Weib war. Die Kleidung, die sie anhatte, war höchst unbestimmt und glich am ehesten einem Frauenmorgenrock; auf dem Kopfe hatte sie eine spitze Haube, wie sie die leibeigenen Bauernweiber zu tragen pflegen; nur die Stimme kam ihm für ein Frauenzimmer etwas zu rauh vor. »Weiß Gott, ein Weibsbild!« sagte er sich, fügte aber gleich hinzu: »Weiß Gott, doch kein Weibsbild!« – »Natürlich ein Weibsbild!« sagte er endlich, nachdem er die Gestalt genauer betrachtet hatte. Auch die Gestalt musterte ihn ihrerseits ebenso aufmerksam. Der Gast erschien ihr wohl wie ein Wunder, denn sie musterte nicht nur ihn, sondern auch Sselifan und die Pferde vom Schwanze bis zur Schnauze. Nach dem Schlüsselbund, den sie am Gürtel hängen hatte, und den kräftigen Schimpfworten, mit denen sie den Bauern traktierte, schloß Tschitschikow, daß es die Wirtschafterin sein müsse.

 

»Hör' mal, Mütterchen,« sagte er, aus dem Wagen steigend, »ist der Herr … ?«

»Er ist nicht zu Hause«, unterbrach ihn die Wirtschafterin, ohne das Ende der Frage abzuwarten; nach einer Weile fügte sie hinzu: »Was wollen Sie denn?«

»Es ist eine geschäftliche Angelegenheit.«

»Dann treten Sie bitte ins Haus!« sagte die Wirtschafterin. Sie wandte ihm ihren Rücken zu, der mit Mehl beschmiert war und etwas tiefer ein recht großes Loch hatte.

Tschitschikow trat in den großen dunklen Flur, aus dem es ihn kalt wie aus einem Keller anwehte. Aus dem Flur kam er in ein ebenso dunkles Zimmer, das nur aus dem breiten Spalt unten an der Türe sein Licht erhielt. Er öffnete diese Türe und kam in einen hellen Raum. Die hier herrschende Unordnung machte ihn stutzig. Es sah so aus, als ob man im ganzen Hause die Böden scheuerte und sämtliche Möbel zeitweise hier untergebracht hätte. Auf dem einen Tisch stand sogar ein zerbrochener Stuhl und neben diesem eine Uhr, deren Pendel stille stand und an den eine Spinne bereits ihr Gewebe befestigt hatte. Hier stand auch, an die Wand gelehnt, ein Schrank mit altertümlichem Silber, Karaffen und chinesischem Porzellan. Auf dem Sekretär, dessen Perlmuttermosaik stellenweise herausgefallen war und nur gelbe, mit trockenem Leim gefüllte Lücken zurückgelassen hatte, lag allerlei Kram durcheinander: ein Haufen eng beschriebener Zettel unter einem grün angelaufenen marmornen Briefbeschwerer mit einem kleinen Ei oben, ein altertümliches Buch in Ledereinband mit Rotschnitt, eine ganz ausgetrocknete Zitrone, kaum größer als eine Walnuß, eine abgebrochene Sessellehne, ein mit einem Brief zugedecktes Likörglas mit einer Flüssigkeit, in der drei Fliegen schwammen, ein Stück Siegellack, ein kleiner, irgendwo aufgelesener Lumpen, zwei mit Tinte beschmierte Schreibfedern, so trocken, wie wenn sie die Schwindsucht hätten, und ein gelber Zahnstocher, mit dem sein Besitzer wohl noch vor der Invasion der Franzosen in Moskau in seinen Zähnen gestochert hatte.

An den Wänden hingen ohne jedes System mehrere Bilder eng durcheinander. Ein vergilbter Stich, der irgendeine Schlacht darstellte, mit riesengroßen Trommeln, schreienden Soldaten mit Dreispitzen auf den Köpfen und ertrinkenden Pferden; der Stich steckte in einem Mahagonirahmen mit schmalen Bronzestreifen und runden Bronzeverzierungen an den vier Ecken, doch ohne Glas. Neben ihm nahm ein riesengroßes, fast schwarzes Ölbild, auf dem Blumen, Früchte, eine zerschnittene Melone, ein Wildschweinkopf und eine mit dem Kopf nach unten hängende Ente dargestellt waren, die halbe Wand ein. Von der Mitte der Decke hing ein in einem Leinensack steckender Kronleuchter herab, der so furchtbar verstaubt war, daß er dem Kokon einer Seidenraupe glich. In einem Winkel des Zimmers war ein Haufen von gröberen Gegenständen aufgestapelt, die es wohl nicht verdienten, auf dem Tische zu liegen. Was sich alles in diesem Haufen befand, war schwer zu sagen, denn das Ganze war so dick mit Staub bedeckt, daß jede Hand, die die Sachen berührte, sofort eine Art Handschuh bekam; am deutlichsten waren darin ein abgebrochenes Stück von einer hölzernen Schaufel und eine alte Stiefelsohle zu unterscheiden. Man würde niemals glauben, daß dieses Zimmer von einem lebenden Wesen bewohnt werde, wenn nicht eine alte abgetragene Mütze, die auf dem Tische lag, davon zeugte. Während Tschitschikow die seltsame Ausstattung des Zimmers studierte, ging eine Seitentüre auf, und die gleiche Wirtschafterin, die er schon auf dem Hofe gesehen hatte, trat ins Zimmer. Nun merkte er aber, daß es eher ein Hausverwalter als eine Wirtschafterin war: eine Wirtschafterin pflegt sich wenigstens nicht den Bart zu rasieren, dieser aber rasierte sich den Bart, und zwar wohl sehr selten, denn das ganze Kinn und die untere Hälfte der Wange glichen einer Drahtbürste, mit der man die Pferde zu striegeln pflegt. Tschitschikow nahm einen fragenden Ausdruck an und wartete mit Spannung, was der Hausverwalter ihm wohl sagen würde. Der Hausverwalter wartete seinerseits, was ihm Tschitschikow sagen wollte. Diese beiderseitige Verlegenheit machte Tschitschikow stutzig, und er entschloß sich, zu fragen:

»Wo ist denn der Herr? Zu Hause?«

»Hier ist der Herr«, sagte der Hausverwalter.

»Wo denn?« wiederholte Tschitschikow.

»Sind Sie denn blind, Väterchen?« sagte der Hausverwalter. »Der Herr bin doch ich!«

Unser Held trat hier unwillkürlich einen Schritt zurück und sah den Mann genauer an. Er hatte schon verschiedene Leute gesehen und selbst solche, die meine Leser und ich wohl nie zu Gesicht bekommen werden; aber etwas Derartiges hatte er noch nie gesehen. Das Gesicht bot eigentlich nichts Besonderes: es war fast so, wie es viele magere Greise haben; nur das Kinn trat etwas weit vor, so daß er es immer mit einem Taschentuch zudecken mußte, um es nicht vollzuspucken. Die kleinen Äuglein waren noch nicht erloschen und bewegten sich unter den buschigen Augenbrauen wie die Mäuse, wenn sie ihre spitzen Schnäuzlein aus den dunklen Löchern hervorstecken, mit gespitzten Ohren und zitternden Schnurrbarthaaren ausspähen, ob nicht irgendwo ein Kater oder ein mutwilliger Junge lauere, und argwöhnisch die Luft beschnuppern. Viel bemerkenswerter war seine Kleidung. Man könnte wohl durch keine Mühe und keine Mittel feststellen, woraus sein Schlafrock zusammengesetzt war: die Ärmel und die Schöße waren dermaßen speckig, daß man sie für Juchtenleder halten konnte, aus dem man Stiefel macht; hinten hatte er statt zweier vier Schöße hängen, aus denen die Baumwolle in Knäueln herausquoll. Um den Hals hatte er etwas gewickelt, von dem man nicht sagen konnte, ob es ein Strumpf, ein Strumpfband oder eine Bauchbinde war; jedenfalls war es kein Halstuch. Mit einem Worte, hätte ihn Tschitschikow in diesem Kostüm irgendwo vor einer Kirchentüre getroffen, so hätte er ihm sicher eine Kupfermünze gegeben; denn zur Ehre unseres Helden muß gesagt werden, daß er ein mitleidiges Herz hatte und sich niemals enthalten konnte, einem armen Menschen eine Kupfermünze zu geben. Vor ihm stand aber kein Bettler, sondern ein Gutsbesitzer. Dieser Gutsbesitzer besaß über tausend leibeigene Seelen, und man müßte lange nach einem zweiten suchen, der solche Vorräte an Getreide und Mehl hätte, dessen Vorratskammern, Scheunen und Tennen mit der gleichen Menge von Leinwand, Tuch, gegerbter und ungegerbter Schaffelle, getrockneter Fische, Gemüse und Schwämme aller Art angefüllt waren. Jeder, der nur in seinen Arbeitshof hineinblickte, wo Riesenvorräte von Holzwaren und Geschirr jeder Art, die niemals in Gebrauch kamen, aufgestapelt waren, müßte sich auf den Moskauer Holzmarkt versetzt glauben, wohin sich alltäglich die tüchtigen Schwiegermütter, von ihren Köchinnen gefolgt, begeben und wo ganze weiße Berge von genagelten, gedrechselten, geflochtenen und gebasteltenHolzwaren schimmern: Fässer, Halbfässer; Zuber, Büchsen, Kannen mit und ohne Nasen, Krüge, Behälter, in denen die Weiber ihre Waschlappen und sonstigen Kram verwahren, Kästen aus dünnen, gebogenen Espenbrettern, Gefäße aus Birkenrinde und viele andere Dinge, die das reiche wie das arme Rußland braucht. Wozu brauchte aber Pljuschkin eine solche Menge derartiger Erzeugnisse? Seinen Lebtag könnte er sie nicht mal in den beiden großen Gütern, die er hatte, aufbrauchen; aber auch das schien ihm noch zu wenig. Er gab sich mit diesem Besitz nicht zufrieden: jeden Tag ging er in die Straßen seines Dorfes, blickte unter alle Brückchen und Stege und nahm alles, was ihm in die Augen fiel, mit: eine alte Schuhsohle, einen Weiberlumpen, einen Eisennagel, einen Topfscherben – und tat es in den Haufen, den Tschitschikow im Winkel seines Zimmers bemerkt hatte. »Da geht der Fischer schon wieder auf den Fang!« sagten die Bauern, wenn sie ihn so gehen sahen. Und in der Tat: hinter ihm brauchte man die Straße nicht mehr zu kehren: wenn ein vorbeifahrender Offizier zufällig einen Sporen verlor, so wanderte dieser sofort in den bewußten Haufen; wenn ein Bauernweib beim Brunnen ihren Eimer vergaß, so schleppte er auch den Eimer weg. Wenn ihn übrigens ein Bauer dabei ertappte, so widersprach er nicht und gab den geraubten Gegenstand wieder heraus; war aber der Gegenstand schon in den Haufen geraten, dann war es aus: er schwor, daß der Gegenstand sein Eigentum sei, daß er ihn dann und dann und von dem und dem gekauft oder von seinem Großvater geerbt habe. Auch in seinem Zimmer hob er alles vom Boden auf, was er nur sah: ein Endchen Siegellack, ein Fetzchen Papier, ein Federchen – und legte alles auf den Sekretär oder auf die Fensterbank. Und doch gab es eine Zeit, wo er nur ein sparsamer Hausherr gewesen war! Er hatte eine Frau und eine Familie gehabt, und mancher Nachbar suchte ihn auf, um bei ihm zu Mittag zu essen, seine Belehrungen zu hören und von ihm die Kunst der Hauswirtschaft und weise Sparsamkeit zu lernen. Alles floß lebendig und im Gleichtakt dahin: die Mühlen und die Walkwerke bewegten sich, die Tuchfabriken, Hobelbänke und Webstühle arbeiteten; in alles drang das scharfblickende Auge des Hausherrn ein, und wie die fleißige Spinne lief er unruhig, doch tätig von einem Ende seines Spinngewebes zum anderen. Seine Gesichtszüge spiegelten keine allzu starken Gefühle wieder, doch aus seinen Augen lugte Klugheit hervor; seine Worte zeugten von Erfahrung und Weltkenntnis, und der Gast hörte ihm mit Vergnügen zu; die gesprächige und freundliche Hausfrau war wegen ihrer Gastfreundschaft berühmt; der Gast wurde von zwei lieblichen, blonden Töchtern empfangen, die so frisch waren, wie zwei Rosen; sein Söhnchen, ein aufgewecktes Kind, lief jedem Gast entgegen und küßte ihn, ohne danach zu fragen, ob es diesem angenehm war oder nicht. Im ganzen Hause standen die Fenster offen; im Zwischenstock wohnte der französische Hauslehrer, der sich wunderbar zu rasieren verstand und ein glänzender Schütze war: jeden Tag brachte er Birkhühner oder Wildenten zu Mittag, zuweilen auch nur Sperlingseier, aus denen er sich eine Eierspeise machen ließ, die außer ihm kein Mensch im Hause aß. Im gleichen Zwischenstock wohnte auch eine Landsmännin von ihm, die Erzieherin der beiden jungen Mädchen. Der Hausherr selbst erschien bei Tisch stets in einem langen Rock, der zwar etwas abgetragen, sonst aber sauber war; die Ellbogen waren in Ordnung, und am ganzen Anzug war nichts geflickt. Doch die gute Hausfrau starb; ein Teil der Schlüssel und mit diesen auch ein Teil der kleinen Sorgen fielen ihm zu. Pljuschkin wurde unruhig und, wie die meisten Witwer, argwöhnischer und geiziger. Auf seine ältere Tochter, Alexandra Stepanowna, konnte er sich nicht in allen Dingen verlassen, und hatte auch recht, denn Alexandra Stepanowna brannte bald darauf mit einem Stabsrittmeister von einem Gott weiß welchen Kavallerieregiment durch und ließ sich mit ihm in aller Eile in irgendeiner Dorfkirche trauen, da sie wußte, daß ihr Vater alle Offiziere aus dem seltsamen Vorurteil heraus, daß sie sämtlich Kartenspieler und Verschwender seien, nicht leiden konnte. Der Vater schickte ihr seinen Fluch nach, unternahm aber nichts, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Im Hause wurde es nun noch leerer. Der Besitzer zeigte immer mehr Geiz; die silbergrauen Fäden, die treuen Begleiter des Geizes, die in seinen rauhen Haaren aufblitzten, ließen diesen sich noch mehr entwickeln. Der französische Hauslehrer wurde entlassen, weil der Sohn schon in den Staatsdienst treten sollte; auch die Madame wurde davongejagt, weil es sich zeigte, daß sie an der Entführung Alexandra Stepanownas nicht unbeteiligt war. Der Sohn, den der Vater in die Gouvernementsstadt geschickt hatte, damit er im Rentamte den eigentlichen Staatsdienst kennenlerne, trat statt dessen in ein Regiment ein und schrieb seinem Vater nach vollzogener Tatsache einen Brief, in dem er ihn um Geld für die Uniformierung bat; es versteht sich von selbst, daß er nur das bekam, was man im Volksmunde eine Feige nennt. Schließlich starb auch die jüngere Tochter, die ihm noch geblieben war, und der Alte stand auf einmal als der Behüter, Verwalter und Besitzer seiner Reichtümer ganz allein da. Das einsame Leben gab seinem Geiz, der bekanntlich einen Wolfshunger hat und um so unersättlicher wird, je mehr er verzehrt, reichliche Nahrung; die menschlichen Gefühle, die in ihm auch ohnehin niemals tief gewesen waren, schwanden von Stunde zu Stunde, und jeden Tag ging in dieser Ruine etwas verloren. Nun mußte es sich gerade um diese Zeit, wie zur Bestätigung seiner Ansicht von den Offizieren, treffen, daß sein Sohn große Verluste im Kartenspiel hatte; er schickte ihm seinen aus tiefster Seele kommenden väterlichen Fluch und interessierte sich von nun an nicht mehr, ob er noch lebe. Mit jedem Jahr verringerte sich die Zahl der offenen Fenster in seinem Hause, und zuletzt blieben nur noch zwei übrig, von denen das eine, wie es der Leser schon sah, mit Papier überklebt war; mit jedem Jahre verlor er die Hauptzweige seiner Wirtschaft immer mehr aus dem Auge und wandte seine ganze kleinliche Aufmerksamkeit den Papierchen und Federchen zu, die er vom Fußboden auflas; immer unnachgiebigerwurde er gegen die Leute, die zu ihm kamen, um die Produkte seiner Wirtschaft zu kaufen: die Käufer versuchten anfangs noch zu handeln und zu feilschen, gaben ihn aber schließlich ganz auf und sagten, daß er ein Teufel und kein Mensch sei; das Heu und das Getreide verfaulten; die Heu- und Getreideschober verwandelten sich in reinsten Mist, so daß man auf ihnen sogar Kohl bauen konnte; das Mehl wurde in den Kellern zu Stein, so daß man es mit dem Beil bearbeiten mußte; das Tuch, die Leinwand und die anderen hausgewebten Stoffe durfte man gar nicht anrühren: sie zerfielen zu Staub. Er wußte selbst nicht mehr, was und wieviel er besaß, und erinnerte sich nur noch daran, daß an einer bestimmten Stelle im Schrank eine Flasche mit einem Restchen Likör stand, auf der er selbst ein Merkzeichen angebracht hatte, damit niemand hinter seinem Rücken auch einen Tropfen austrinke; auch wußte er noch, wo ein Federchen oder ein Endchen Siegellack lag. Die Wirtschaft brachte aber den gleichen Ertrag ein wie früher: jeder Bauer mußte genau wie früher den gleichen Zins entrichten, jedes Bauernweib hatte noch immer die gleiche Menge Nüsse abzuliefern und die Weberin die gleiche Menge Leinwand herzustellen. Das alles kam in die Vorratskammern, wo es verfaulte und zerfiel, und so wurde er mit der Zeit auch selbst zu einer durchfaulten Stelle an der Menschheit. Alexandra Stepanowna kam zweimal mit ihrem kleinen Sohn zu ihm gefahren und versuchte, von ihm wenigstens etwas zu bekommen: das Wanderleben mit dem Stabsrittmeister war wohl gar nicht so anziehend, wie es ihr vor der Hochzeit erschienen war. Pljuschkin verzieh ihr, ließ sogar seinen kleinen Enkel mit einem Knopf, der auf dem Tische lag, spielen, gab ihr aber keinen Pfennig Geld. Das nächste Mal kam Alexandra Stepanowna mit zwei kleinen Kindern und brachte ihm einen Stollen zum Tee und einen neuen Schlafrock mit, denn der alte Schlafrock ihres Vaters befand sich in einem Zustand, daß es nicht nur ein Jammer, sondern auch eine Schande war, ihn anzusehen. Pljuschkin nahm die beiden Enkelsöhne freundlich auf, setzte den einen auf sein rechtes und den anderen auf sein linkes Knie und ließ sie wie auf richtigen Pferden reiten; den Stollen und den Schlafrock nahm er an, gab jedoch seiner Tochter nichts, und so zog Alexandra Stepanowna, ohne etwas erreicht zu haben, wieder ab.

 

So eine Art Gutsbesitzer stand also vor Tschitschikow! Es muß festgestellt werden, daß derartige Erscheinungen in Rußland recht selten sind, wo alles eher die Tendenz hat, ins Uferlose zu gehen, als zusammen zu schrumpfen; um so erstaunlicher ist so eine Erscheinung, wenn gleich in der Nachbarschaft ein Gutsbesitzer wohnt, der sein Leben mit echt russischem Schwung und der ganzen Breite seiner Natur genießt. Ein Neuankömmling bleibt erstaunt vor seiner Behausung stehen und fragt sich, was für ein regierender Prinz mitten unter diese kleinen, farblosen Besitzer geraten sei: an Schlösser gemahnen seine weißen steinernen Häuser mit den zahllosen Schornsteinen, Aussichtstürmen, Wetterfahnen, von einer ganzen Herde von Seitenflügeln und Wohnhäusern für die Gäste umgeben. Was fehlt ihm noch? Da gibt es Theater und Bälle; die ganze Nacht leuchtet der mit Lämpchen und Festfeuern illuminierte, von Musik erfüllte Garten. Das halbe Gouvernement geht aufgeputzt und lustig unter seinen Bäumen spazieren, und keinem Menschen fällt das Wilde und Drohende dieser Beleuchtung auf, wenn aus dem Dickicht ein von künstlichem Licht beleuchteter, seines natürlichen Grüns beraubter Ast theatralisch hervorlugt, oben aber um so dunkler, strenger und zwanzigmal drohender der nächtliche Himmel erscheint und die ernsten Baumwipfel, hoch oben mit ihren Blättern zitternd und tief in die undurchdringliche Finsternis ragend, sich über das falsche Licht empören, das unten ihre Wurzeln bestrahlt.

Pljuschkin stand schon mehrere Minuten, ohne ein Wort zu sagen, da, und auch Tschitschikow konnte noch immer kein Gespräch beginnen, da ihn das Bild des Hausherrn und der Dinge, die das Zimmer füllten, ablenkte. Lange konnte er keine Worte finden, um den Grund seines Besuches darzulegen. Er war schon im Begriff, sich in dem Sinne zu äußern, daß er, nachdem er so viel von der Tugend und den seltenen Herzenseigenschaften Pljuschkins gehört, es für seine Pflicht gehalten habe, ihm persönlich seine Hochachtung zu bezeugen; er besann sich aber noch rechtzeitig und sagte sich, daß es doch zu viel des Guten wäre. Nachdem er noch einmal alles, was im Zimmer war, mit einem Blicke gestreift hatte, fühlte er, daß die Worte »Tugend« und »seltene Herzenseigenschaften« mit Erfolg durch die Worte »Sparsamkeit « und »Ordnung« ersetzt werden konnten; er modelte seine Rede dementsprechend um und sagte, daß er, nachdem er von der Sparsamkeit und der seltenen Kunst Pljuschkins, seine Güter zu verwalten, gehört, es für seine Pflicht gehalten habe, ihn kennenzulernen und ihm persönlich seine Hochachtung auszusprechen. Natürlich hätte er wohl auch einen anderen, besseren Vorwand erfinden können, aber es wollte ihm nichts anderes einfallen.

Pljuschkin murmelte darauf etwas durch die Lippen – Zähne hatte er keine mehr –; was er sagte, ist unbekannt, der Sinn war aber wohl folgender: »Hol' dich der Teufel mit deiner Hochachtung!« Da aber die Gastfreundschaft bei uns so allgemein üblich ist, hatte auch der Geizhals nicht die Kraft, wider die Sitte zu handeln; darum fügte er etwas deutlicher hinzu: »Ich bitte ergebenst, Platz zu nehmen!«