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Die toten Seelen

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»Wir sind über Ihre Lage unterrichtet, wir haben alles gehört!« sagte er, nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Türe hinter ihnen fest verschlossen war. »Macht nichts, macht nichts! Verzagen Sie nicht: alles kommt in Ordnung. Wir alle werden für Sie arbeiten und stehen zu Ihren Diensten. Dreißigtausend Rubel für alle, und fertig.«

»Wirklich?« rief Tschitschikow aus. »Und ich werde ganz freigesprochen?«

»Vollkommen! Sie werden sogar eine Entschädigung für Ihre Verluste bekommen.«

»Und für Ihre Mühe?«

»Dreißigtausend. Für alle: für die Unserigen, für die Beamten des Generalgouverneurs und für den Sekretär.«

»Aber erlauben Sie, wie kann ich es machen? … Alle meine Sachen … die Schatulle … alles ist versiegelt und beschlagnahmt … «

»In einer Stunde haben Sie alles wieder. Also abgemacht?«

Tschitschikow schlug ein. Sein Herz klopfte, und er traute nicht recht, daß es möglich sei …

»Inzwischen leben Sie wohl! Unser gemeinsamer Freund ließ Ihnen sagen, daß das Wichtigste jetzt Ruhe und Geistesgegenwart sind.«

– Hm! – dachte sich Tschitschikow, – ich verstehe: der Rechtsbeistand! –

Ssamoswitow verschwand. Als Tschitschikow allein geblieben war, konnte er seinen Worten noch immer nicht trauen; aber es war keine halbe Stunde nach diesem Gespräch vergangen, als ihm seine Schatulle gebracht wurde: die Papiere, das Geld – alles war in der schönsten Ordnung. Ssamoswitow erschien in der Rolle eines Aufsichtsbeamten: er erteilte den Wachtposten eine Rüge, weil sie nicht wachsam genug seien, befahl dem Aufseher, noch einige Soldaten zur Verstärkung kommen zu lassen, nahm nicht nur die Schatulle, sondern auch alle Papiere, die Tschitschikow irgendwie kompromittieren konnten, zu sich, schnürte alles zusammen, versiegelte es und schickte das alles mit einem Soldaten zu Tschitschikow unter der Vorspiegelung, daß es Dinge seien, die der Verhaftete für die Nacht brauche; so erhielt Tschitschikow zugleich mit den Papieren auch noch warme Sachen, um seinen sterblichen Leib zu bedecken. Diese schnelle Zustellung machte ihm unsagbare Freude. Er faßte Hoffnung, und schon schwebten ihm allerlei schöne Dinge vor: am Abend Theater und die Tänzerin, der er die Cour machte. Das Landleben und die Stille erschienen ihm wieder blasser, die Stadt und der Lärm dagegen leuchtender und klarer … Oh, Leben!

Unterdessen war in den Gerichten und Kanzleien eine Affäre von grenzenlosen Dimensionen entstanden. Die Federn der Schreiber arbeiteten unermüdlich; gewitzigte Rechtsverdreher mühten sich ab, hier und da eine Prise nehmend und jede knifflige Zeile mit einem geradezu künstlerischen Genuß betrachtend. Der Rechtsbeistand lenkte wie ein verborgener Magier den ganzen Mechanismus; ehe sich es jemand versah, hatte er schon alle mit seinen Netzen umgarnt. Der Wirrwarr wurde immer größer. Ssamoswitow übertraf sich selbst an Kühnheit und unerhörter Frechheit. Nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, wo die verhaftete Frau saß, ging er direkt hin und trat so keck als Vorgesetzter auf, daß der Posten salutierte und stramm stand. »Stehst du schon lange hier?« – »Seit heute früh, Euer Wohlgeboren.« – »Wann kommt die Ablösung?« – »In drei Stunden, Euer Wohlgeboren.« – »Ich werde dich brauchen. Ich will dem Offizier sagen, daß er statt deiner einen anderen herkommandiert.« – »Zu Befehl, Euer Wohlgeboren!« Ssamoswitow fuhr sofort nach Hause und verkleidete sich selbst, um niemand anderen in die Sache zu verwickeln, als Gendarm; plötzlich hatte er Schnurr- und Backenbart – der Teufel selbst würde ihn nicht erkennen. Er ging ins Haus, wo Tschitschikow wohnte, packte das erste beste Weib, das ihm in die Hände fiel, übergab es zwei geschickten Beamten, die ebenso gerieben waren wie er selbst, und begab sich mit seinem Schnurrbart und mit dem Gewehr, ganz wie es sich gehört, zu dem Wachtposten: »Geh zu . . . Der Kommandant hat mich hergeschickt, um dich abzulösen!« Er löste ihn ab und stellte sich selbst mit dem Gewehr hin. Das war alles, was er brauchte. Währenddessen kam an die Stelle des früheren Weibes ein anderes, das nichts wußte und nichts verstand. Das erste Weib versteckte man inzwischen so gründlich, daß man auch später nicht mehr erfahren konnte, wo es hingekommen war. Während Ssamoswitow sich in der Verkleidung eines Kriegers auf diese Weise betätigte, vollbrachte der Rechtsbeistand wahre Wunder auf dem Gebiete der Zivilverwaltung: er ließ den Gouverneur auf Umwegen wissen, daß der Staatsanwalt eine geheime Anzeige gegen ihn schreibe; dem Gendarmerieoberst ließ er mitteilen, daß ein sich in der Stadt geheim aufhaltender Beamter gegen ihn Anzeigen schreibe; den sich geheim aufhaltenden Beamten überzeugte er, daß es einen noch geheimeren Beamten gebe, der ihn denunziere – so versetzte er alle in eine solche Lage, daß sie sich von ihm Ratschläge holen mußten. Es gab einen furchtbaren Wirrwarr: eine geheime Anzeige folgte der anderen, und es kamen solche Dinge an den Tag, wie sie die Sonne nie gesehen hatte, und selbst solche, die überhaupt nicht existierten. Alles kam auf und wurde mit verwertet: wer unehelich geboren war, aus welchem Stande wer stammte, wer eine Geliebte hatte und wessen Frau wem nachlief. Zahllose ärgerniserregende Skandalgeschichten wurden bekannt, und alles vermengte sich dermaßen mit dem Falle Tschitschikows und mit den toten Seelen, daß man unmöglich entscheiden konnte, welche von diesen Affären die unsinnigste war: beide schienen von gleicher Güte. Schließlich liefen auch beim Generalgouverneur allerlei Papiere ein, und der arme Fürst konnte nichts begreifen. Ein sehr kluger und geschickter Beamter, der beauftragt war, einen Auszug aus allen Akten zu machen, wurde beinahe verrückt, da er unmöglich den Kern der Sache erfassen konnte. Der Fürst hatte um jene Zeit auch noch verschiedene andere Sorgen, eine unangenehmer als die andere. In einem Teil des Gouvernements herrschte Hungersnot. Die Beamten, die man hingeschickt hatte, um Brot zu verteilen, führten diesen Auftrag nicht so aus, wie sie sollten. Im anderen Teil des Gouvernements regten sich die Sektierer. Jemand ließ unter ihnen das Gerücht los, daß der Antichrist erschienen sei, der auch die Toten nicht in Ruhe lasse und tote Seelen aufkaufe. Sie taten Buße und sündigten und brachten unter dem Vorwande, den Antichrist einfangen zu wollen, mehrere Nichtantichristen um. In einer anderen Gegend empörten sich die Bauern gegen die Gutsbesitzer und die Polizeihauptleute. Irgendwelche Vagabunden verbreiteten unter ihnen das Gerücht, daß die Zeit anbreche, wo die Bauern Gutsbesitzer werden und Fräcke anziehen müßten; die Gutsbesitzer würden aber Bauernkittel anziehen und Bauern werden; eine ganze große Gemeinde weigerte sich, ohne zu überlegen, daß es dann viel zu viele Gutsbesitzer und Polizeihauptleute geben würde . . .die Steuern zu bezahlen. Man mußte zu Zwangsmaßregeln greifen. Der arme Fürst war in der übelsten Laune. Da meldete man ihm den Besuch des Branntweinpächters. »Soll er nur kommen«, sagte der Fürst. Der Alte trat ein.

»Da haben Sie Ihren Tschitschikow! Sie sind immer für ihn eingetreten und haben ihn verteidigt. Jetzt hat man ihn aber bei einer Sache erwischt, für die auch der schlimmste Gauner nicht zu haben wäre.«

»Gestatten Sie mir die Bemerkung, Durchlaucht, daß ich diese ganze Angelegenheit nicht recht verstehe.«

»Die Fälschung eines Testaments, und was für eine! … Darauf steht öffentliche Knutenstrafe!«

»Durchlaucht, ich will Tschitschikow nicht verteidigen, aber ich muß sagen, daß die Sache noch nicht bewiesen ist: die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.«

»Es gibt Beweise: die Frau, die die Rolle der Verstorbenen spielen mußte, ist verhaftet. Ich will sie sofort in Ihrer Gegenwart vernehmen.« Der Fürst klingelte und befahl die Frau zu holen.

Murasow schwieg.

»Eine ganz ehrlose Sache! Zu unserer Schande sind auch die höchsten Beamten der Stadt verwickelt, sogar der Gouverneur. Er dürfte doch nichts mit den Dieben und Spitzbuben zu tun haben!« sagte der Fürst erregt.

»Der Gouverneur ist ja auch Erbe; er durfte wohl gewisse Ansprüche erheben; und daß die anderen sich von allen Seiten an die Affäre geklammert haben, ist doch nur menschlich, Durchlaucht! Eine reiche Frau ist, ohne eine kluge und gerechte letztwillige Verfügung zu hinterlassen, gestorben; nun sind von allen Seiten Leute herbeigestürzt, die gern einen Bissen erwischen möchten – das ist nur menschlich … «

»Aber wozu alle die Gemeinheiten? … Diese Schurken!« sagte der Fürst empört. »Ich habe keinen einzigen anständigen Beamten, alle sind Schurken!«

»Durchlaucht! Wer von uns ist denn wirklich anständig? Alle Beamten unserer Stadt sind nur Menschen; alle haben ihre Vorzüge, viele sind in ihrem Fach sehr tüchtig, sündigen kann aber ein jeder!«

»Hören Sie, Afanassij Wassiljewitsch: sagen Sie mir – ich kenne Sie als einen ehrlichen Menschen – was haben Sie für eine merkwürdige Leidenschaft, alle Schurken in Schutz zu nehmen?«

»Durchlaucht,« sagte Murasow, »wenn Sie jemand auch einen Schurken nennen, so ist er doch immerhin ein Mensch. Wie soll man den Menschen nicht verteidigen, wenn man weiß, daß er die Hälfte seiner Verbrechen aus Roheit und Unbildung verübt? Wir alle begehen auf Schritt und Tritt Ungerechtigkeiten und verschulden jeden Augenblick das Unglück unserer Mitmenschen, selbst ohne jede böse Absicht. Auch Eure Durchlaucht haben eine große Ungerechtigkeit begangen.«

»Wie!« rief der Fürst erstaunt aus, bestürzt über diese unerwartete Wendung des Gesprächs.

Murasow schwieg eine Weile, als überlegte er sich etwas und sagte schließlich: »Nun, zum Beispiel in der Affäre Djerpjennikow.«

»Afanassij Wassiljewitsch! Das war doch ein Verbrechen gegen die Grundgesetze des Staates, beinahe Landesverrat!«

»Ich verteidige ihn nicht. War es aber gerecht, einen Jüngling, der sich in seiner Unerfahrenheit von anderen hatte verführen und verlocken lassen, ebenso zu bestrafen, wie einen der Rädelsführer? Djerpjennikow hat ja dasselbe Schicksal erfahren, wie ein Woronnoj-Drjannoj; ihre Verbrechen waren aber nicht gleich.«

 

»Um Gottes willen … « sagte der Fürst in sichtbarer Erregung. »Wissen Sie etwas darüber? Sagen Sie es mir. Ich habe erst kürzlich nach Petersburg geschrieben und um die Milderung seines Loses gebeten.«

»Nein, Durchlaucht, ich will nicht gesagt haben, daß ich etwas weiß, was Sie nicht wissen. Obwohl es wirklich einen Umstand gibt, der ihm nützen könnte; er wird aber von ihm keinen Gebrauch machen wollen, weil darunter ein anderer leiden könnte. Ich frage mich bloß, ob Sie damals nicht doch etwas voreilig gehandelt haben? Entschuldigen Sie, Durchlaucht, ich urteile nur nach meinem schwachen Verstande. Sie haben mich mehrmals aufgefordert, aufrichtig zu sprechen. Als ich noch selbst Vorgesetzter war, hatte ich allerlei Arbeiter unter mir, gute und schlechte. Man muß auch das Vorleben eines Menschen mit in Betracht ziehen. Wenn man nicht alles kaltblütig untersucht, sondern gleich zu schreien anfängt – so schüchtert man den Menschen nur ein und bekommt von ihm kein Geständnis zu hören; wenn man ihn aber mit Teilnahme, wie einen Bruder, ausfragt – so sagt er alles von selbst und bittet nicht mal um Milderung der Strafe; er ist auch gegen niemand erbittert, denn er sieht klar, daß nicht ich ihn bestrafe, sondern das Gesetz.«

Der Fürst wurde nachdenklich. In diesem Augenblick trat ein junger Beamter ins Zimmer und blieb respektvoll mit seinem Portefeuille in der Hand stehen. Sorge und Anstrengung spiegelten sich in seinem jugendlichen, noch frischen Gesicht. Offenbar wurde er nicht umsonst für besondere Aufträge verwendet. Er war einer der wenigen Beamten, die ihr Amt conamore versahen. Weder von Ehrgeiz noch von Habgier bewegt, auch nicht um es den anderen gleichzutun, tat er seinen Dienst nur aus dem Grunde, weil er überzeugt war, daß er für diese und keine andere Stellung geschaffen war, daß er überhaupt nur dazu lebte. Eine Sache erforschen, in allen Teilen untersuchen, alle Fäden eines verwickelten Falles entwirren – das war seine Sache. Er war für alle seine Mühen, alle schlaflosen Nächte und Anstrengungen reichlich belohnt, wenn die Sache sich zu klären begann, wenn die verborgensten Gründe ans Licht kamen und er sich imstande fühlte, das Ganze mit wenigen Worten deutlich und klar darzustellen, so daß es einem jeden offenbar und verständlich sein würde. Man kann wohl sagen, kein Schüler hat sich noch so sehr gefreut, wenn es ihm gelang, irgendeinen schwierigen Satz zu entwirren und den Sinn des Gedankens eines großen Schriftstellers zu erfassen, wie er sich freute, wenn sich vor seinen Blicken eine verworrene Sache klärte . . .

»… mit Brot in den Gegenden, die von der Hungersnot betroffen sind; ich kenne dieses Gebiet besser als alle Beamten; ich werde persönlich untersuchen, was jeder braucht. Wenn Eure Durchlaucht mir gestatten, will ich auch mit den Sektierern sprechen. Mit unsereinem, einem einfachen Mann, werden sie viel eher reden wollen, und so wird die Sache, so Gott will, vielleicht auf friedlichem Wege erledigt werden. Die Beamten werden es aber niemals fertigbringen: es wird gleich eine Schreiberei beginnen, und sie werden sich so in die Akten vergraben, daß sie die Sache selbst nicht mehr sehen werden. Das Geld werde ich aber von Ihnen nicht annehmen, denn es ist, bei Gott, eine Schande, an seinen eigenen Vorteil zu denken, zu einer Zeit, wo die Menschen Hungers sterben. Ich habe noch einige Getreidevorräte; auch habe ich schon meine Leute nach Sibirien geschickt, und zum nächsten Sommer werden sie mir neues Getreide bringen.«

»Gott allein kann Sie für diesen Dienst belohnen, Afanassij Wassiljewitsch. Ich aber werde Ihnen kein Wort sagen, denn jedes Wort ist, wie Sie es wohl selbst fühlen, ohnmächtig. Aber gestatten Sie mir nur eines zu Ihrer Bitte zu bemerken. Sagen Sie selbst: habe ich das Recht, an dieser Sache achtlos vorüberzugehen, und wird es gerecht und ehrlich von mir sein, wenn ich diesen Schurken verzeihe?«

»Durchlaucht, bei Gott, man darf sie so nicht nennen, um so mehr, als unter ihnen auch viele würdige Männer sind. Schwierig ist zuweilen die Lage des Menschen, Durchlaucht, furchtbar schwierig. Es kommt vor, daß der Mensch die ganze Schuld zu tragen scheint; wenn man aber genauer hinsieht, so ist er unschuldig.«

»Aber was werden sie selbst sagen, wenn ich die Sache niederschlage? Viele von ihnen werden noch hochnäsiger werden und sogar sagen, sie hätten uns Angst eingejagt. Sie werden die ersten sein, die allen Respekt verlieren … «

»Durchlaucht, erlauben Sie mir, Ihnen meine Meinung zu sagen: Lassen Sie sie alle kommen, sagen Sie ihnen, daß Sie alles wissen; schildern Sie ihnen Ihre eigene Lage genau so, wie Sie sie soeben mir geschildert haben, und fragen Sie sie um Rat: was ein jeder von ihnen an Ihrer Stelle wohl tun würde.«

»Sie meinen wohl, daß ihnen edlere Regungen mehr eigen sind, als Ränke und Habgier? Glauben Sie mir: sie werden mich auslachen.«

»Das glaube ich nicht, Durchlaucht. Jeder Mensch, selbst der schlechte Mensch, hat doch einen Instinkt für die Gerechtigkeit. Vielleicht stimmt das nur bei einem Juden nicht, doch der Russe … Nein, Durchlaucht, Sie haben nichts zu verheimlichen. Sprechen Sie zu ihnen genau so, wie Sie zu mir gesprochen haben. Sie schmähen Sie als einen stolzen, ehrgeizigen Menschen, der auf nichts hören will und selbstbewußt ist –, sollen sie nun sehen, wie es sich in Wirklichkeit verhält. Was kümmert Sie das? Ihre Sache ist doch gerecht. Sagen Sie das ihnen so, als beichteten Sie nicht ihnen, sondern dem Herrn selbst.«

»Afanassij Wassiljewitsch,« sagte der Fürst nachdenklich, »ich will es mir überlegen, einstweilen danke ich Ihnen aber für Ihren Rat.«

»Den Tschitschikow wollen Sie aber freilassen, Durchlaucht.«

»Sagen Sie diesem Tschitschikow, er soll sich aus dem Staube machen, und zwar so schnell als möglich, und je weiter, um so besser. Ihm würde ich niemals verzeihen.«

Murasow begab sich vom Fürsten direkt zu Tschitschikow. Er traf ihn bereits in guter Laune an, mit einem recht anständigen Mittagessen beschäftigt, das man ihm in einem Fayencegeschirr aus einer gleichfalls recht anständigen Garküche gebracht hatte. Schon aus seinen ersten Worten merkte der Alte, daß Tschitschikow inzwischen mit einigen von den beamteten Rechtsverdrehern gesprochen hatte. Er begriff sogar, daß auch der gerissene Rechtsbeistand unsichtbar mit hineinspielte.

»Hören Sie mal, Pawel Iwanowitsch,« sagte er, »ich bringe Ihnen die Freiheit unter der Bedingung, daß Sie sofort diese Stadt verlassen. Packen Sie alle Ihre Habseligkeiten und machen Sie sich mit Gott auf den Weg, ohne auch nur einen Augenblick zu säumen, denn Ihre Sache steht jetzt noch schlimmer. Ich weiß, Sie sind jetzt von einem gewissen Menschen beeinflußt; darum teile ich Ihnen vertraulich mit, daß eben noch eine Affäre an den Tag kommt, die so schlimm ist, daß Ihnen keine Macht auf Erden mehr helfen kann. Er ist natürlich froh, wenn er aus Zeitvertreib andere Menschen ins Verderben stürzen kann, doch die Sache kommt bald an den Tag. Als ich Sie verließ, waren Sie in einer guten Gemütsverfassung, in einer viel besseren als jetzt. Mein Rat ist vollkommen ernst gemeint. Bei Gott, es kommt wirklich nicht auf dieses Vermögen an, um dessentwillen die Menschen einander bekämpfen und umbringen: als ob es möglich wäre, sein irdisches Leben in Ordnung zu bringen, ohne an das künftige Leben zu denken! Glauben Sie es mir, Pawel Iwanowitsch: solange die Menschen nicht alles, um dessentwillen sie sich zerfleischen und auffressen, aufgeben, solange sie nicht daran denken, ihre geistige Habe in Ordnung zu bringen, kann auch die irdische Habe nicht in Ordnung gebracht werden. Es werden Zeiten des Hungers und der Armut kommen, wie für das ganze Volk, so auch für jeden einzelnen Menschen … Das ist klar. Sie mögen sagen, was Sie wollen, der Leib hängt doch nur von der Seele ab. Wie kann man nur erwarten, daß alles nach Wunsch gehe? Denken Sie nicht an die toten Seelen, sondern an Ihre eigene lebendige Seele und betreten Sie mit Gottes Hilfe den neuen Weg! Ich reise auch morgen ab. Beeilen Sie sich! Sonst wird es in meiner Abwesenheit ein Unglück geben.«

Der Alte ging, nachdem er dies gesagt hatte, hinaus. Tschitschikow wurde nachdenklich. Der Sinn des Lebens erschien ihm wieder gar nicht so unwichtig. – Murasow hat recht – sagte er: – Es ist Zeit, einen neuen Weg zu beginnen! – Nach diesen Worten verließ er das Gefängnis. Der Wachtposten schleppte ihm seine Schatulle nach … Sselifan und Petruschka freuten sich über die Befreiung ihres Herrn so, als ob es Gott weiß was für ein Glück wäre. »Nun, meine Lieben,« sagte Tschitschikow, sich gnädig an sie wendend, »wir müssen packen und abreisen.«

»Wie der Wind werden wir fahren, Pawel Iwanowitsch!« sagte Sselifan. »Der Weg ist jetzt wohl gut: es ist genug Schnee gefallen. Es ist wirklich Zeit, aus dieser Stadt herauszukommen. Ich habe sie so satt, daß ich sie nicht mehr ansehen mag.«

»Geh zum Wagenbauer und laß unseren Wagen auf Schlittenkufen setzen,« sagte Tschitschikow und begab sich in die Stadt; aber er hatte keine Lust, Abschiedsvisiten zu machen. Nach allen diesen Ereignissen wäre ihm dies auch unangenehm, um so mehr, als in der Stadt allerlei ungünstige Gerüchte über ihn umliefen. Er ging allen Begegnungen aus dem Wege und begab sich nur ganz still zu dem Kaufmann, bei dem er das Tuch von Navarinoscher Flammenfarbe mit Pulverrauch gekauft hatte; er kaufte wieder vier Arschin für Frack und Hose und ging dann zu demselben Schneider. Der Schneidermeister entschloß sich, für den doppelten Preis die Arbeit zu beschleunigen; die ganze Bevölkerung seiner Werkstatt mußte die ganze Nacht bei Kerzenlicht mit Nadeln, Bügeleisen und Zähnen arbeiten, und der Frack war auch wirklich am nächsten Tage, wenn auch etwas spät, fertig. Die Pferde waren schon angespannt. Tschitschikow probierte aber dennoch den Frack an. Er war schön, genau so schön, wie der erste. Doch wehe! Er bemerkte etwas Glattes und Weißes durch seine Haare hindurchschimmern und sagte traurig: »Warum ließ ich mich nur so von der Verzweiflung hinreißen? Am allerwenigsten durfte ich mir aber mein Haar ausraufen.« Er rechnete mit dem Schneider ab und verließ endlich die Stadt in einer sehr merkwürdigen Gemütsverfassung. Es war nicht mehr der alte Tschitschikow; es war nur eine Ruine des alten Tschitschikow. Sein Seelenzustand ließe sich mit einem in seine einzelnen Bestandteile zerlegten Gebäude vergleichen, welches aus diesen Bestandteilen neu aufgebaut werden soll; mit dem Neubau hat man aber noch nicht begonnen, weil der Architekt noch keinen endgültigen Plan geschickt hat, und die Arbeiter stehen ganz ratlos da. Eine Stunde vor Tschitschikows Abreise machte sich auch Murasow mit Potapytsch in einem einfachen, mit Bastmatten gedeckten Wagen auf den Weg, und eine Stunde nach Tschitschikows Abreise erging an alle Beamten der Befehl, zum Fürsten zu kommen, der sie vor seiner Abreise nach Petersburg noch sehen wolle.

Im großen Saale des Hauses des Generalgouverneurs versammelten sich sämtliche Beamte der Stadt, vom Gouverneur bis zum Titullarrat abwärts: die Kanzleivorstände, die Abteilungsvorstände, die Räte, die Assessoren, Kislojedow, Krasnonossow, Ssamoswitow, solche, die man bestechen konnte, solche, die man nicht bestechen konnte, Gauner, halbe Gauner und keine Gauner. Alle warteten nicht ohne Aufregung auf das Erscheinen des Generalgouverneurs. Der Fürst kam zu ihnen heraus; er war weder düster noch heiter: seine Blicke waren ebenso sicher wie seine Schritte. Die versammelten Beamten verneigten sich, viele sehr tief. Der Fürst dankte mit einer leichten Verbeugung und begann:

»Vor meiner Abreise nach Petersburg hielt ich es für angemessen, Sie alle noch einmal zu sehen und Ihnen zum Teil auch die Gründe zu erklären. Bei uns ist eine sehr ärgerniserregende Sache im Gange. Ich glaube, viele von den Anwesenden wissen, was für eine Sache ich meine. Diese Sache hat zur Aufdeckung anderer, nicht weniger schmachvoller Sachen geführt, in die schließlich auch solche Menschen verwickelt sind, die ich bisher für ehrlich hielt. Mir ist auch das geheime Ziel der Machenschaften bekannt: alles dermaßen zu verwirren, daß es gänzlich unmöglich werde, eine Entscheidung auf formalem Wege zu treffen. Ich weiß sogar, wer der Haupträdelsführer ist und durch wessen geheime . . . obwohl er seine Teilnahme sehr geschickt zu verheimlichen gewußt hat. Die Sache ist nun die, daß ich mich entschlossen habe, das Verfahren nicht auf formalem Aktenwege, sondern durch das schnelle Kriegsgericht wie in Kriegszeiten durchzuführen, und ich hoffe, vom Kaiser die Ermächtigung dazu zu erwirken, wenn ich ihm den ganzen Fall darlege. In einem solchen Falle, wo keine Möglichkeit besteht, die Sache mit Hilfe der bürgerlichen Gesetze zu erledigen, wenn Schränke mit Akten verbrennen und wenn man sich auch noch bemüht, durch eine Menge von falschen Aussagen, die mit der Sache nichts zu tun haben, und durch falsche Anzeigen diesen auch ohnehin dunklen Fall noch mehr zu verdunkeln – so halte ich das Kriegsgericht für das einzige Mittel. Nun möchte ich gerne auch Ihre Meinung darüber hören.«

 

Der Fürst hielt inne, als erwartete er eine Antwort. Alle standen da, den Blick zu Boden gesenkt. Viele waren blaß.

»Es ist mir auch noch eine andere Sache bekannt, obwohl die Beteiligten fest davon überzeugt sind, daß sie niemals an den Tag kommen wird. Auch dieser Fall wird nicht auf dem Aktenwege behandelt werden, weil ich hier selbst Bittsteller und Supplikant bin und offensichtliche Beweise vorlegen werde.«

In der Beamtenversammlung zuckte einer zusammen; auch manche andere von den Ängstlichen wurden verlegen.

»Es versteht sich von selbst, daß die Hauptschuldigen ihre Titel und Vermögen verlieren und dann auch ihrer Posten enthoben sein werden. Es versteht sich von selbst, daß dabei auch viele Unschuldige leiden werden. Aber was ist zu machen? Der Fall ist zu schmachvoll und schreit nach Gerechtigkeit. Obwohl ich weiß, daß dadurch nicht mal ein Exempel statuiert wird, weil an die Stelle der Bestraften sofort andere kommen werden, weil die, die bisher ehrlich waren, unehrlich werden und die, denen ich Vertrauen schenken werde, mich betrügen und verraten werden – trotz alledem muß ich hart vorgehen, denn die verletzte Gerechtigkeit schreit zum Himmel. Ich weiß, daß man mir Härte und Grausamkeit vorwerfen wird, aber ich weiß auch, daß diese . . . solche muß ich zu gefühllosen Werkzeugen der Gerechtigkeit machen, das auf die Häupter der . . . herabfallen soll … «

Über alle Gesichter lief unwillkürlich ein Zittern.

Der Fürst war ruhig. Sein Gesicht drückte weder Zorn noch seelische Empörung aus.

»Derjenige, in dessen Hand das Schicksal vieler liegt und den keinerlei Bitten erweichen können, richtet jetzt selbst eine Bitte an euch. Alles soll vergessen, getilgt und vergeben werden, ich selbst will euer Fürsprecher sein, wenn ihr meine Bitte erfüllt. Ich bitte um folgendes. Ich weiß, daß man das Unrecht durch keinerlei Mittel, keinerlei Einschüchterung und keinerlei Strafen ausrotten kann: es hat schon zu tiefe Wurzeln gefaßt. Die schmachvolle Bestechlichkeit ist schon zu einer Notwendigkeit und einem Bedürfnis selbst bei solchen Leuten geworden, die nicht als Ehrlose geboren sind. Ich weiß, daß es vielen beinahe unmöglich ist, gegen den Strom zu schwimmen. Doch jetzt, in dem entscheidenden und heiligen Augenblick, wo es das Vaterland zu retten gilt, wo jeder Bürger alles trägt und seine ganze Habe opfert, muß ich wenigstens diejenigen anrufen, die noch ein russisches Herz in ihrer Brust haben und denen das Wort Edelmut verständlich ist. Was soll man noch davon reden, wer von uns die meiste Schuld hat? Vielleicht habe ich die größte Schuld; vielleicht habe ich euch anfangs zu streng empfangen; vielleicht habe ich durch übertriebenen Argwohn diejenigen abgestoßen, die aufrichtig bestrebt waren, mir nützlich zu sein, obwohl ich auch meinerseits hätte erreichen können, daß . . . Wenn es Ihnen tatsächlich um die Gerechtigkeit und um das Wohl Ihres Landes zu tun war, so hätten Sie sich durch meine hochmütige Haltung nicht verletzt fühlen dürfen; Sie hätten Ihren Ehrgeiz unterdrücken und alles Persönliche zum Opfer bringen müssen. Es wäre undenkbar, daß ich Ihre Selbstaufopferung und Ihre hohe Liebe zum Guten übersehen und Ihre nützlichen und klugen Ratschläge nicht angenommen hätte. Der Untergebene muß sich doch eher dem Charakter seines Vorgesetzten anpassen, als der Vorgesetzte dem des Untergebenen. Das wäre jedenfalls natürlicher und leichter, denn die Untergebenen haben nur einen Vorgesetzten, doch der Vorgesetzte hat hundert Untergebene. Aber lassen wir jetzt die Frage beiseite, wer der Schuldige ist. Es handelt sich darum, daß wir jetzt unser Land retten müssen; daß unser Land nicht an der Invasion von zwanzig feindlichen Völkern zugrunde geht, sondern an uns selbst; daß neben der rechtmäßigen Regierung eine andere Regierung entstanden ist, die viel mächtiger ist als jede rechtmäßige Regierung. Es sind bestimmte Satzungen aufgestellt worden, für alles hat man Preise festgesetzt, und diese Preise sind sogar allen bekannt. Kein Regent, und wäre er auch weiser als alle Gesetzgeber und Regenten, kann das Übel ausrotten, und wenn er auch die Willkür der schlechten Beamten dadurch zu beschränken suchte, daß er sie von anderen Beamten überwachen ließe. Alles wird vergeblich bleiben, solange nicht ein jeder von uns das Gefühl hat, daß er sich ebenso gegen das Unrecht erheben muß, wie er sich in der Zeit der Erhebung der Völker gegen . . . erhoben hat. Als Russe, der mit euch durch die Bande der Blutsverwandtschaft, durch das gleiche Blut verbunden ist, wende ich mich jetzt an euch. Ich wende mich an diejenigen unter euch, die eine Ahnung davon haben, was edle Gesinnung ist. Ich fordere euch auf, an die Pflicht zu denken, die der Mensch auf jedem Posten zu erfüllen hat. Ich fordere euch auf, auf die Pflicht und Schuldigkeit eures irdischen Amtes zu achten, weil wir es schon alle dunkel ahnen und weil wir kaum . . .