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Die toten Seelen

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»Das muß doch ein sehr achtbarer Mann sein! Es wird mich sehr interessieren, so einen Menschen kennenzulernen. Natürlich! Das ist ja sozusagen … Wie heißt er denn?«

»Kostanschoglo.«

»Und mit seinem Vor- und Vaternamen, wenn ich fragen darf?«

»Konstantin Fjodorowitsch.«

»Konstantin Fjodorowitsch Kostanschoglo. Seine Bekanntschaft wird mich sehr interessieren. Es ist sicher sehr belehrend, so einen Menschen kennenzulernen.«

Platonow übernahm es, Sselifan zu beaufsichtigen und zu leiten: dies war auch sehr nötig, da jener sich kaum auf dem Bocke halten konnte. Petruschka flog zweimal vom Wagen, so daß man ihn schließlich mit einem Strick an den Bock festbinden mußte. »Dieses Vieh!« wiederholte Tschitschikow immer wieder.

»Schauen Sie, da beginnen seine Besitzungen,« sagte Platonow, »das sieht gleich ganz anders aus!«

Und in der Tat: die ganze Fläche war von einem angepflanzten Wald mit pfeilgeraden Bäumchen bedeckt; hinter ihnen erhob sich ein zweiter junger Wald mit etwas höheren Bäumen; dahinter ein alter Wald, und einer immer höher als der andere. Und dann kam wieder eine dicht bewaldete Strecke in der gleichen Anordnung: erst ein junger und hinter diesem ein alter Wald. So fuhren sie dreimal durch die Schonungen wie durch Tore in einer Mauer. »Das ist bei ihm alles in acht, höchstens zehn Jahren gewachsen; bei einem anderen wäre es auch in zwanzig Jahren nicht so weit.«

»Wie hat er es nur gemacht?«

»Fragen Sie ihn. Der versteht sich so auf die Bodenverhältnisse, daß bei ihm nichts verloren geht. Er kennt nicht nur den Boden, er weiß auch, was für eine Nachbarschaft jede Pflanze braucht und was für Bäume neben jeder Getreideart wachsen müssen. Jedes Ding erfüllt bei ihm zugleich drei und vier Bestimmungen. Der Wald dient ihm nicht nur als Wald, sondern auch dazu, um an einer bestimmten Stelle eine bestimmte Menge Feuchtigkeit den Feldern abzugeben, eine bestimmte Menge gefallenes Laub zum Dunge zu liefern und soundsoviel Schatten zu spenden … Wenn bei allen anderen Trockenheit herrscht, gibt's bei ihm keine Trockenheit; wenn alle von einer Mißernte heimgesucht sind, gibt's bei ihm keine Mißernte.Schade, daß ich von diesen Dingen wenig verstehe und es nicht richtig erzählen kann, denn es gibt bei ihm so wunderbare Kunststücke … Man nennt ihn auch einen Zauberer. Er hat viele solche Dinge … Und doch ist es so langweilig … «.

– Das muß wohl wirklich ein merkwürdiger Mann sein, – dachte sich Tschitschikow. – Es ist nur traurig, daß der junge Mensch so oberflächlich ist und nicht zu erzählen versteht. –

Endlich zeigte sich das Dorf. Es lag wie eine richtige Stadt auf drei Anhöhen, von denen eine jede von einer Kirche überragt wurde, und zwischen den vielen Häusern erhoben sich überall riesenhafte Getreide- und Heuschober. – Ja, man sieht, daß hier ein hervorragender Gutsbesitzer wohnen muß! – dachte sich Tschitschikow. – Die Bauernhäuser waren alle gut gebaut, die Straßen festgestampft; wenn irgendwo ein Wagen stand, so war er nagelneu und fest; die Bauern hatten alle kluge Gesichter; das Hornvieh war von ausgesuchter Schönheit; selbst die Bauernschweine sahen wie Edelleute aus. Man sah, daß hier die Bauern wohnten, die, wie es im Liede heißt, das Silber mit Schaufeln zusammenscharren. Es gab hier keine englischen Parkanlagen, keinen Rasen und sonstigen Firlefanz; dafür zog sich nach alter Sitte eine Straße von Speichern und Arbeitshäusern bis zum Herrenhause hin, so daß der Herr alles, was geschah, überblicken konnte; das hohe Hausdach wurde von einem Turm überragt; dieser diente aber nicht als Schmuck und nicht, um die Aussicht zu bewundern, sondern um es dem Hausherrn zu ermöglichen, die auf den entfernteren Feldern vor sich gehenden Arbeiten zu überwachen. Vor dem Hause wurden sie von flinken Dienern empfangen, die so ganz anders aussahen als der Saufbold Petruschka, obwohl sie keine Fräcke anhatten, sondern Kosakenröcke aus hausgewebtem, blauem Tuch.

Die Hausfrau selbst lief auf die Freitreppe hinaus. Sie war frisch wie Milch und Blut, schön – wie ein sonniger Tag; sie glich Platonow wie ein Tropfen dem anderen, doch nur mit dem Unterschied, daß sie nicht so fade war wie er, sondern gesprächig und lustig.

»Guten Tag, Bruder! Wie freue ich mich, daß du gekommen bist. Konstantin ist nicht zu Hause, muß aber gleich kommen.«

»Wo ist er denn?«

»Er hat im Dorfe mit einigen Aufkäufern zu tun«, sagte sie, die Gäste ins Zimmer geleitend.

Tschitschikow betrachtete neugierig die Behausung dieses ungewöhnlichen Menschen, der ein Einkommen von zweihunderttausend Rubel hatte, und hoffte an dieser die Eigenschaften des Hausherrn selbst zu erkennen, wie man nach einer leeren Muschelschale auf die Eigenschaften der Auster oder Schnecke schließt, die in ihr einst gewohnt und ihren Abdruck hinterlassen hat. Er konnte aber keinerlei Schlüsse ziehen. Die Zimmer waren einfach, sogar leer: es gab weder Fresken, noch Bilder, noch Bronzen, noch Blumen, noch Etageren mit Porzellan, nicht einmal Bücher. Mit einem Worte, alles wies darauf hin, daß das Leben des Wesens, das hier wohnte, sich gar nicht in den vier Wänden des Zimmers, sondern im Felde abwickelte; und daß es selbst seine Pläne nicht vorher, sybaritisch in einem bequemen Sessel vor dem Kaminfeuer sitzend, erwog, sondern daß sie ihm an Ort und Stelle in den Sinn kamen und sofort ins Werk umgesetzt wurden. In den Zimmern konnte Tschitschikow nur die Spuren der Tätigkeit einer Hausfrau erblicken: auf den Tischen und Stühlen lagen saubere Lindenbretter, und auf diesen waren irgendwelche Blumenblätter zum Trocknen ausgebreitet …

»Was ist das für ein Dreck, der da herumliegt, Schwester?« fragte Platonow.

»Wieso Dreck!« rief die Hausfrau. »Das ist das beste Mittel gegen Fieber. Im vorigen Jahre haben wir damit alle Bauern kuriert. Dieses da ist für Likör bestimmt, dieses aber wird mit Zucker eingemacht. Ihr lacht alle über unser Eingemachtes und in Salz Eingelegtes, wenn ihr es aber eßt, lobt ihr es selbst.«

Platonow trat ans Klavier und blätterte in den Noten.

»Mein Gott! Dieses alte Zeug!« sagte er. »Schämst du dich denn nicht, Schwester?«

»Du mußt schon entschuldigen, Bruder, ich habe keine Zeit zum Musizieren. Ich habe eine achtjährige Tochter, die ich unterrichten muß. Sie einer ausländischen Gouvernante überliefern, um selbst freie Zeit zum Musizieren zu haben, so was tue ich nicht, du mußt schon entschuldigen, Bruder.«

»Wie langweilig du doch geworden bist, Schwester!« sagte Platonow, ans Fenster tretend. »Da kommt er ja schon, er kommt!« rief er plötzlich.

Auch Tschitschikow eilte ans Fenster. Dem Hause näherte sich ein etwa vierzigjähriger Mann, mit lebhaftem, gebräuntem Gesicht, in einem Rock aus Kamelhaartuch. Auf seine Kleidung gab er wohl nicht viel. Er trug eine Mütze aus Wollsammet. Rechts und links von ihm gingen zwei Männer niederen Standes, ohne Mützen, in ein Gespräch mit ihm vertieft; der eine war ein einfacher Bauer, der andere wohl ein zugereister Dorfwucherer, ein durchtriebener Kerl, in blauem Rock. Da sie alle vor dem Hause stehenblieben, konnte man ihre Unterhaltung im Zimmer hören.

»Macht es lieber so: kauft euch bei eurem Herrn los. Ich will euch auch das Geld vorstrecken, und ihr arbeitet es mir später ab.«

»Nein, Konstantin Fjodorowitsch, warum sollen wir uns loskaufen? Nehmen Sie uns so. Von Ihnen kann man ja jede Weisheit lernen. Einen so klugen Menschen findet man nicht so bald wieder. Heutzutage kann man sich selbst gar nicht in acht nehmen: es ist ein wahres Unglück. Die Branntweinschenker brauen solche Schnäpse, daß sich einem gleich nach dem ersten Glase der Magen umdreht und man hinterher einen ganzen Eimer Wasser aussaufen möchte; ehe man sich's versieht, hat man sein ganzes Geld vertrunken. Es gibt viele Versuchungen. Man möchte glauben, daß der Böse die Welt regiert, bei Gott! Man führt allerlei Dinge ein, um die Bauern verrückt zu machen: Tabak und ähnliches Zeug … Was soll man da machen, Konstantin Fjodorowitsch? Man ist nur ein Mensch und kann sich nicht beherrschen.« »Hör' einmal: bei mir bleibt ihr doch immer Leibeigene. Ihr bekommt zwar gleich je eine Kuh und ein Pferd und alles andere zugewiesen, aber ich verlange von meinen Bauern mehr als jeder andere Gutsbesitzer. Bei mir mußt du arbeiten: ganz gleich, ob für mich oder für dich selbst; Müßiggang dulde ich nicht. Auch ich selbst arbeite wie ein Ochs, ebenso meine Bauern, denn ich habe das schon selbst erfahren: wenn man nicht arbeitet, so fallen einem allerlei Dummheiten ein. Überlegt es euch also in eurer Gemeinde und besprecht es miteinander.«

»Wir haben schon darüber gesprochen, Konstantin Fjodorowitsch. Das sagen auch die Alten: ›Was ist da noch viel zu reden?‹ Jeder Bauer ist bei Ihnen reich: das wird schon seinen Grund haben. Auch die Geistlichen sind mitleidig. Uns hat man aber unsere Geistlichen genommen, und wir haben niemand, der einen beerdigen kann.«

»Geh doch hin und besprich es mit deinen Leuten.«

»Zu Befehl!«

»Sie müssen schon so gut sein, Konstantin Fjodorowitsch, und ein wenig nachlassen«, sagte der zugereiste Dorfwucherer im blauen Rock, an der anderen Seite gehend.

»Ich hab's schon, einmal gesagt: ich mag nicht handeln. Ich bin nicht wie mancher andere Gutsbesitzer, zu dem du gerade an dem Tage kommst, wo er der Leihkasse die Zinsen bezahlen muß. Ich kenne euch ja: ihr habt Listen, in denen vermerkt ist, wer und wieviel er zu zahlen hat. Ist das ein Kunststück? Wenn er das Geld dringend braucht, gibt er dir die Ware auch zum halben Preis her. Was brauche ich aber dein Geld? Die Ware kann bei mir auch drei Jahre liegen: ich brauche keine Zinsen an die Leihkasse zu zahlen.«

»Das ist auch vernünftig, Konstantin Fjodorowitsch. Ich mache das Geschäft doch nur, um auch in Zukunft mit Ihnen in Verbindung zu bleiben, und nicht aus Geldgier. Wollen Sie also die dreitausend Rubel Anzahlung nehmen.« Der Dorfwucherer holte aus dem Busen einen Pack fettiger Banknoten. Kostanschoglo nahm sie ihm höchst kaltblütig aus der Hand und steckte sie, ohne nachzuzählen, in die hintere Rocktasche.

 

– Hm! – dachte sich Tschitschikow, – ganz als ob es ein Taschentuch wäre! – Kostanschoglo zeigte sich in der Salontür. Er machte auf Tschitschikow jetzt einen noch größeren Eindruck durch sein sonnengebräuntes Gesicht, seine struppigen schwarzen Haare, die stellenweise vorzeitig ergraut waren, den lebhaften Ausdruck der Augen und sein ganzes etwas galliges südländisches Aussehen. Er war kein reiner Russe. Er wußte selbst nicht, woher seine Vorfahren stammten. Er interessierte sich nicht für seinen Stammbaum, da er der Ansicht war, daß dies unwichtig sei und für die Landwirtschaft keine Bedeutung habe. Er hielt sich für einen Russen und kannte auch keine andere, Sprache außer der russischen.

Platonow stellte ihm Tschitschikow vor. Die Schwäger küßten sich.

»Um mich von meiner Langweile zu kurieren, habe ich mich entschlossen, eine Reise durch einige Gouvernements zu machen, Konstantin«, sagte Platonow.

»Und Pawel Iwanowitsch machte mir den Vorschlag, mich ihm anzuschließen.«

»Sehr schön«, sagte Kostanschoglo. »Welche Gegenden«, fuhr er fort, sich freundlich an Tschitschikow wendend, »gedenken Sie auf Ihrer Reise zu besuchen?«

»Offen gestanden,« antwortete Tschitschikow, den Kopf höflich auf die Seite neigend und zugleich mit der Hand die Armlehne des Sessels streichelnd, »fahre ich weniger in eigenen Geschäften als in einer fremden Angelegenheit. Der General Betrischtschew, mein naher Freund und, ich darf wohl sagen, Wohltäter, bat mich, seine Verwandten zu besuchen. Verwandte hin, Verwandte her, doch ich fahre auch sozusagen im eigenen Interesse: ganz abgesehen vom Nutzen im Hinblick auf die Hämorrhoiden, ist auch die Bekanntschaft mit der Welt und dem Strudel der Menschen sozusagen ein lebendiges Buch, eine eigene Wissenschaft.«

»Ja, es schadet gar nicht, sich gewisse Winkel anzusehen.«

»Sie haben es ganz vortrefflich bemerkt: es schadet wirklich nicht, das ist das richtige Wort. Man sieht Dinge, die man sonst nicht zu Gesicht bekommt; man lernt Menschen kennen, die man sonst nicht kennenlernen würde. Das Gespräch mit manch einem Menschen ist einen Dukaten wert, wie zum Beispiel jetzt, wo ich die Gelegenheit habe … Ich wende mich an Sie, verehrtester Konstantin Fjodorowitsch, lehren Sie mich, lehren Sie mich, stillen Sie meinen Durst durch Belehrung. Ich ersehne Ihre süßen Worte wie himmlisches Manna.«

»Ja, was soll ich Sie lehren?« sagte Kostanschoglo verlegen. »Ich habe ja selbst keine richtige Bildung genossen.«

»Lehren Sie mich Weisheit, Verehrtester, Weisheit: die Kunst, das schwierige Steuer der Landwirtschaft zu handhaben, die Kunst, sichere Gewinne zu erzielen, ein Vermögen zu erwerben, kein imaginäres, sondern ein greifbares Vermögen und damit die Bürgerpflicht zu erfüllen und die Achtung seiner Landsleute zu erlangen.«

»Wissen Sie was?« sagte Kostanschoglo, ihn nachdenklich anschauend: »Bleiben Sie einen Tag bei mir. Ich will Ihnen den ganzen Verwaltungsmechanismus zeigen und alles erklären. Sie werden sehen, daß gar nicht viel Weisheit dahintersteckt.«

»Natürlich, bleiben Sie doch!« sagte die Hausfrau. Darauf wandte sie sich an ihren Bruder und fügte hinzu: »Bruder, bleib doch da, du hast ja nichts zu versäumen.«

»Mir ist es gleich. Was meint Pawel Iwanowitsch?«

»Ich bleibe mit dem größten Vergnügen … Aber es ist noch so ein Umstand: ein Verwandter des Generals Betrischtschew, ein gewisser Oberst Koschkarjow … «

»Der ist ja verrückt!«

»Er ist allerdings verrückt. Ich würde ihn gar nicht besuchen, aber der General Betrischtschew, mein naher Freund und, ich darf wohl sagen, Wohltäter … «

»In diesem Falle, wissen Sie was?« sagte Kostanschoglo. »Fahren Sie zu ihm hin, es sind keine zehn Werst von hier. Meine Droschke ist fertig angespannt – fahren Sie gleich zu ihm hin. Sie können zum Tee wieder zurück sein.«

»Ein ausgezeichneter Gedanke!« rief Tschitschikow und griff nach seinem Hut.

Die Droschke fuhr vor und brachte ihn in einer halben Stunde zum Obersten. Das Dorf war in einem chaotischen Zustand. Neubauten, Umbauten, Haufen von Ziegelsteinen, Mörtel und Balken in allen Straßen. Es gab einige Häuser, die wie Amtsgebäude aussahen. Auf dem einen stand in goldenen Lettern: »Depot der landwirtschaftlichen Geräte«; auf einem anderen: »Hauptrechnungsexpedition«; ferner: »Komitee für Bauernangelegenheiten«; »Schule für die Normalbildung der Landleute«. Mit einem Worte – weiß der Teufel, was es da nicht alles gab!

Er traf den Obersten mit einer Feder in den Zähnen vor einem hohen Schreibpult stehen. Der Oberst empfing Tschitschikow mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit. Er sah äußerst gutmütig und freundlich aus: er begann ihm zu erzählen, wieviel Mühe es ihn gekostet habe, das Gut in den jetzigen guten Zustand zu bringen; er beklagte sich mit Bedauern, wie schwer es sei, es dem Bauern verständlich zu machen, daß es höhere Triebe gebe, die der Mensch aus einem aufgeklärten Luxus, aus Kunst und Kunstgewerbe schöpfen könne; daß es ihm bisher noch nicht gelungen sei, die Bauernweiber so weit zu bringen, daß sie Korsetts tragen, während in Deutschland, wo er sich im Jahre 1814 mit einem Regiment aufhielt, die Müllerstochter Klavier spielen konnte; daß er es aber, trotz dieses hartnäckigen Verharrens in der Unbildung, erreichenwerde, daß der Bauer, hinter dem Pfluge hergehend, zugleich ein Buch über Franklins Blitzableiter, oder Vergils »Georgika«, oder die »Chemische Untersuchung des Ackerbodens« lesen wird.

– Ja, freilich! – dachte sich Tschitschikow. – Und ich bin mit der »Gräfin Lavallière« noch immer nicht fertig: finde immer keine Zeit dazu. –

Vieles sprach noch der Oberst darüber, wie man die Menschen zum Wohlstande bringen könne. Er maß dabei eine große Bedeutung der Kleidung zu: er setzte seinen Kopf dafür ein, daß, wenn man nur auch eine Hälfte der russischen Bauern mit deutschen Hosen bekleiden wollte, die Wissenschaften und der Handel sich heben und in Rußland das goldene Zeitalter anbrechen würde.

Tschitschikow hörte lange zu, ihm aufmerksam in die Augen blickend, und sagte sich schließlich: – Mit dem brauche ich wohl keine großen Umstände zu machen! – Und er erklärte ihm ohne Umschweife, was er für Seelen brauche und was für Verträge und Formalitäten dabei nötig seien.

»Soviel ich aus Ihren Worten ersehe,« sagte der Oberst ohne das geringste Erstaunen, »ist das eine Bitte, nicht wahr?«

»Gewiß.«

»In diesem Falle wollen Sie sie schriftlich formulieren. Das Gesuch kommt an das ›Bureau zur Entgegennahme von Berichten und Meldungen‹. Das Bureau wird das Gesuch signieren und an mich weiterleiten; von mir kommt es an das ›Komitee für Bauernangelegenheiten‹; dort werden Ermittlungen angestellt, und dann kommt das Gesuch an den Verwalter. Der Verwalter wird aber gemeinsam mit dem Sekretär… «

»Erlauben Sie!« rief Tschitschikow: »So wird ja die Sache Gott weiß wie verschleppt! Wie kann man das auch schriftlich behandeln? Das ist ja so eine Sache… Die Seelen sind ja gewissermaßen… tot.«

»Sehr gut. Erwähnen Sie das in Ihrem Gesuch, daß die Seelen gewissermaßen tot sind.«

»Wie, daß sie tot sind? Das kann man doch nicht hinschreiben! Sie sind zwar tot, es soll aber den Anschein haben, als ob sie noch lebendig wären.«

»Sehr gut. Dann schreiben Sie: ›es ist aber nötig‹, oder: ›es wird verlangt, ersucht, gewünscht, daß es den Anschein habe, als ob sie noch lebendig wären‹. Ohne diese Schreibereien kann man da gar nichts machen. Als Beispiel kann ich Ihnen England oder selbst Napoleon anführen. Ich werde Ihnen einen Kommissionär mitgeben, der Sie an alle diese Stellen geleiten wird.«

Er schwang die Klingel. Sofort erschien irgendein Mann.

»Sekretär! Man schicke mir sofort den Kommissionär!« Darauf erschien der Kommissionär, der halb wie ein Bauer und halb wie ein Beamter aussah. »Er wird Sie an alle die in Betracht kommenden Stellen führen.«

Was war mit dem Obersten zu machen? Tschitschikow entschloß sich, aus bloßer Neugierde mit dem Kommissionär mitzugehen, um die in Betracht kommenden Stellen zu sehen. Das »Bureau zur Entgegennahme von Berichten und Meldungen« existierte nur auf dem Aushängeschild, die Türe war aber verschlossen. Der bisherige Vorstand dieses Bureaus, Chruljow, war an das neugebildete »Komitee für Dorfbauten« versetzt worden. Seine Stellung nahm jetzt der Kammerdiener Beresowskij ein, aber auch der war von der Baukommission irgendwohin abkommandiert worden. Sie klopften im »Komitee für Bauernangelegenheiten« an, aber das wurde gerade umgebaut; sie weckten irgendeinen Betrunkenen, konnten aber von ihm nichts Vernünftiges erfahren. »Bei uns herrscht die größte Unordnung«, sagte endlich der Kommissionär zu Tschitschikow. »Man führt den Herrn an der Nase herum. Die Baukommission hat die ganze Gewalt in Händen: sie nimmt die Leute von der Arbeit weg und schickt sie hin, wohin es ihr beliebt.« Offenbar war er mit der Baukommission unzufrieden. Tschitschikow wollte nichts mehr sehen. Zum Obersten zurückgekehrt, erzählte er ihm, wie die Dinge lagen, was für eine Unordnung bei ihm herrschte, daß man von keinem Menschen was erfahren konnte und daß die »Kommission zur Entgegennahme von Berichten« überhaupt nicht existiert.

Der Oberst schäumte vor edler Empörung und drückte Tschitschikow zum Zeichen des Dankes kräftig die Hand. Er griff sofort nach Papier und Feder und schrieb acht strenge Anfragen: Nach welchem Rechte hat die Baukommission eigenmächtig über die ihr nicht unterstehenden Beamten verfügt? Wie hat es der Hauptverwalter zulassen können, daß sein Vertreter, ohne seinen Posten jemand anderem abzugeben, sich zu einer Untersuchung begeben hat? Und wie hat es das »Komitee für Bauernangelegenheiten« gleichgültig sehen können, daß das »Bureau zur Entgegennahme von Berichten und Meldungen« gar nicht existiert?

– Nun wird es ein Donnerwetter geben! – dachte sich Tschitschikow und wollte schon wegfahren.

»Nein, ich lasse Sie nicht fort. Hier steht meine Ehre auf dem Spiele. Ich will Ihnen zeigen, was ein organisches, geregeltes Wirtschaftssystem ist. Ich will mit Ihrer Sache einen Mann betrauen, der allein mehr wert ist als alle anderen: er hat eine Universität absolviert. Ja, solche Leibeigene habe ich! Um die kostbare Zeit nicht zu verlieren, möchte ich Sie bitten, sich in meiner Bibliothek umzuschauen«, sagte der Oberst, eine Seitentüre öffnend. »Hier finden Sie Bücher, Papier, Federn, Bleistifte, alles. Sie dürfen über alles verfügen, Sie sind hier der Herr. Die Aufklärung muß allen offenstehen.«

So sprach Koschkarjow, indem er ihn in seine Bücherei geleitete. Es war ein großer, von unten bis oben mit Büchern angefüllter Saal. Es gab hier sogar ausgestopfte Tiere. Es gab Bücher über alle Zweige der Landwirtschaft: über Forstwissenschaft, Viehzucht, Schweinezucht, Gartenbau; Fachzeitschriften über alles mögliche, die man zugeschickt bekommt mit der Aufforderung, sie zu abonnieren, die man aber nicht liest. Als Tschitschikow sah, daß es keine Unterhaltungslektüre war, wandte er sich einem andern Schrank zu und geriet aus dem Regen in die Traufe: es waren lauter Werke über Philosophie. Sechs dicke Bände fielen ihm in die Augen mit dem Titel: »Vorbereitende Einleitung in das gesamte Gebiet des Denkens. Theorie der Gesamtheit, Gemeinsamkeit und Wesenheit mit Anwendung auf die Erkenntnis der organischen Grundlagen der Zweiteilung der sozialen Produktivität«. Was für ein Buch Tschitschikow auch aufschlug, auf jeder Seite las er: »Manifestation«, »Evolution«, »Abstraktion«, »Geschlossenheit« und weiß der Teufel, was noch alles! – Das ist nichts für mich! – sagte Tschitschikow und wandte sich einem dritten Schrank zu, in dem kunstwissenschaftliche Werke standen. Hier holte er einen riesengroßen Band mit leichtsinnigen mythologischen Abbildungen hervor und begann diese zu betrachten. Solche Bilder gefallen oft Junggesellen in mittleren Jahren, auch manchen alten Herren, die sich vom Ballett und ähnlichen gepfefferten Leckerbissen anregen lassen. Nachdem er mit dem einen Band fertig war, zog er einen andern von der gleichen Art heraus, als Oberst Koschkarjow mit strahlendem Gesicht und einem Papier in der Hand hereinkam.

»Alles ist erledigt, und zwar wunderbar erledigt! Der Mann, von dem ich vorhin sprach, ist ein wahres, Genie. Dafür werde ich ihn über alle setzen und für ihn allein ein eigenes Departement gründen. Schauen Sie nur, was das für ein heller Kopf ist und wie er das in den wenigen Minuten erledigt hat.«

– Na, Gott sei Dank! – dachte sich Tschitschikow und wurde ganz Ohr. Der Oberst las:

»Indem ich an die Überlegung des mir von Ew. Hochwohlgeboren erteilten Auftrages gehe, beehre ich mich, zu diesem folgendes zu melden:

 

»I. Schon im Gesuch des Herrn Kollegienrats und Ritters Pawel Iwanowitsch Tschitschikow ist ein Mißverständnis enthalten, da darin die in den Revisionslisten geführten Seelen versehentlich tote genannt werden. Darunter wird wohl der erwähnte Herr die dem Tode nahen, doch nicht toten Seelen gemeint haben. Auch weist eine solche Benennung auf ein empirisches Studium der Wissenschaften und auf einen Bildungsgang hin, der sich wahrscheinlich auf eine niedere Gemeindeschule beschränkt hat; denn die Seele ist unsterblich.«

»Dieser Schelm!« sagte Koschkarjow zufrieden, die Vorlesung unterbrechend: »Hier hat er Ihnen einen Seitenhieb versetzt. Aber Sie müssen gestehen, daß der Stil ausgezeichnet ist!«

»II. In unserm Gute sind keinerlei unverpfändete, weder dem Tode nahe noch sonstige Revisionsseelen vorhanden, denn alle Seelen ohne Ausnahme sind nicht nur mit einfachen, sondern auch, unter Nachzahlung von einhundertfünfzig Rubeln pro Seele, mit zweiten Hypotheken belastet, mit Ausnahme der Leibeigenen des kleinen Dorfes Gurmailowka, welches infolge des mit dem Gutsbesitzer Predischtschew schwebenden Prozesses strittig und infolgedessen vom Gericht mit Arrest belegt worden ist, worüber in Nr. 4a der »Moskauer Nachrichten« eine Anzeige erlassen worden ist.«

»Warum haben Sie es mir dann nicht gleich gesagt? Warum hielten Sie mich unnütz auf?« sagte Tschitschikow empört.

»Ja, ich wollte, daß Sie es durch die Formalitäten des schriftlichen Instanzenweges ersehen. Sonst ist es kein Kunststück. Unbewußt kann es auch ein Dummkopf sehen, man soll aber so was bewußt erfassen.«

Tschitschikow griff empört nach seiner Mütze und lief, alle Anstandspflichten außer acht lassend, aus dem Hause: er war aufs höchste aufgebracht. Der Kutscher hielt mit der Droschke vor der Tür, da er wußte, daß es keinen Zweck hatte, die Pferde auszuspannen: wollte man den Pferden Futter geben, so müßte man erst ein schriftliches Gesuch einreichen und die Resolution, den Pferden Hafer zu verabreichen, würde erst am nächsten Tage erfolgen. Der Oberst lief aber hinaus; er drückte Tschitschikow gewaltsam die Hand, drückte sie an sein Herz und dankte ihm dafür, daß er ihm Gelegenheit gegeben hatte, den Verwaltungsmechanismus in der Praxis zu sehen; er sagte, daß man den Leuten schon ordentlich einheizen müsse, weil sonst die Federn dieses Mechanismus verrosten und schlaff werden können; daß ihm anläßlich dieses Vorfalls die glückliche Idee gekommen wäre, eine neue Kommission zu bilden, welche »Kommission zur Beaufsichtigung der Baukommission« heißen würde; dann würde es schon niemand wagen, zu stehlen.

Tschitschikow kam böse und unzufrieden zurück, zu einer Stunde, als die Kerzen schon brannten.

»Warum kommen Sie so spät?« fragte Kostanschoglo, als er in der Tür erschien.

»So einen Dummkopf habe ich meinen Lebtag nicht gesehen!« entgegnete Tschitschikow. »Das ist noch gar nichts!« versetzte Kostanschoglo. »Koschkarjow ist noch eine tröstliche Erscheinung; So ein Mensch ist sogar nützlich, weil sich in ihm karikiert und auffallend alle Dummheiten unserer Klugen spiegeln – der Klugen, die, ohne ihre Heimat richtig zu kennen, sich im Auslande allerlei Unsinn in den Kopf setzen. Solche Gutsbesitzer sind jetzt aufgekommen: sie haben allerlei Bureaus, Manufakturen, Schulen und Kommissionen und weiß der Teufel was noch alles eingeführt! So sind diese Klugen! Kaum fing das Land an, sich nach der Franzoseninvasion von 1812 zu erholen, als sie es schon wieder ruiniert haben. Sie haben es noch mehr heruntergebracht als der Franzose, so daß ein Pjotr Petrowitsch Pjetuch noch als guter Gutsbesitzer erscheint.«

»Aber auch der hat schon alles verpfändet«, bemerkte Tschitschikow.

»Na ja, alles wird verpfändet.« Nach diesen Worten fing Kostanschoglo an, allmählich böse zu werden. »Da hat einer eine Hut- und eine Kerzenfabrik gegründet, hat sich die Meister aus London verschrieben, ist zu einem Krämer geworden! Gutsbesitzer ist doch ein ehrenvoller Beruf, aber er wird Manufakturist und Fabrikant! Spinnereien, um für die städtischen Dirnen Tüll herzustellen … «

»Du hast aber doch auch Fabriken«, bemerkte Platonow.

»Wer hat sie eingeführt? Bei mir sind sie ganz von selbst entstanden. Als sich so viel Wolle angesammelt hatte, daß ich sie nicht mehr los werden konnte, fing ich an, Tuche zu weben, doch einfache, dicke Tuche – die werden zum billigen Preise auf meinen Dorfmärkten verkauft; der Bauer, mein Bauer braucht sie. Die Fischer hatten sechs Jahre lang die Fischschuppen einfach am Ufer liegen lassen, – nun, was soll ich mit dem Zeug machen? Da fing ich an, aus ihnen Leim zu sieden, und das hat mir Vierzigtausend abgeworfen. Alles ist bei mir so.«

– So ein Teufel! – dachte sich Tschitschikow, ihn unverwandt anblickend: – So eine glückliche Hand! –

»Und ich habe mich darauf nur darum verlegt, weil so viele Arbeiter zusammengelaufen waren, die sonst Hungers gestorben wären: es war ein Hungerjahr, und zwar dank den Herren Fabrikanten, die die Saat versäumt hatten. Solche Fabriken gibt's bei mir genug, Bruder. Jedes Jahr entsteht eine andere, je nach dem, was für Abfälle und Reste sich gerade angesammelt haben. Wenn du dich nur aufmerksam in deiner Wirtschaft umsiehst, so kann dir jeder Dreck, den du als unnötig fortwirfst, etwas einbringen. Meine Fabriken sind auch keine Paläste mit Säulen und Frontons!«

»Es ist erstaunlich … Am erstaunlichsten aber ist, daß man an jedem Dreck etwas verdienen kann«, sagte Tschitschikow.

»Ich bitte Sie! Wenn man die Sache nur ganz einfach auffaßt, wie sie ist. Jeder will aber gleich Mechaniker sein und das Kästchen, das ganz einfach aufgeht, mittels eines Instrumentes öffnen. Er wird zu dem Zweck zuerst nach England hinüberfahren, das ist die Sache! Diese Narren!« Nach diesen Worten spuckte Kostanschoglo aus. »Und wenn er zurückkommt, so ist er hundertmal dümmer, als er schon war!«

»Ach, Konstantin, du regst dich schon wieder auf!« sagte seine Frau besorgt. »Du weißt doch, daß dir das schadet.«

»Wie soll ich mich nicht aufregen? Wenn das noch eine fremde Angelegenheit wäre; aber es geht mir so furchtbar nahe! Es ärgert mich, daß der russische Charakter verdorben wird; im russischen Charakter ist jetzt eine Donquichotterie aufgekommen, die ihm früher fremd war! Wenn sich der Russe auf Volksaufklärung verlegt, so wird er zu einem Don Quichotte und führt gleich solche Schulen ein, wie sie auch einem Dummkopf nicht einfallen würden! Und diese Schulen ziehen Menschen heran, die zu gar nichts taugen, weder für die Stadt, noch fürs Land: die verstehen nur zu trinken und sich was auf ihre Menschenwürde einzubilden. Verlegt er sich auf Philanthropie – so wird er zu einem Don Quichotte der Philanthropie: er baut für eine Million Rubel ganz dumme Spitäler und ähnliche Anstalten mit Säulen und richtet sich selbst und die anderen zugrunde: das ist seine Philanthropie!«

Tschitschikow interessierte sich aber nicht für Volksaufklärung; er wollte von Kostanschoglo ausführlich erfahren, wie man aus jedem Dreck einen Nutzen ziehen kann; Kostanschoglo ließ ihn aber gar nicht zu Worte kommen: immer neue gallige Worte kamen von seinen Lippen, und er konnte sie nicht mehr aufhalten. »Die Leute zerbrechen sich den Kopf, wie man den Bauer aufklären soll … mach ihn erst zu einem reichen, tüchtigen Landwirt, dann wird er schon selbst etwas lernen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dumm heute die ganze Welt geworden ist! Was diese Federfuchser nicht alles schreiben! Wenn so einer ein Buch erscheinen läßt, stürzen sich gleich alle darauf. Jetzt sagen sie: ›Der Bauer führt ein viel zu einfaches Leben; man muß ihn mit dem Luxus bekannt machen und ihm Bedürfnisse einflößen, die sein Vermögen übersteigen … ‹ Da sie selbst dank diesem Luxus Waschlappen und keine Menschen sind, da sie sich weiß der Teufel was für Krankheiten zugelegt haben, und weil es keinen achtzehnjährigen Jungen mehr gibt, der nicht alles durchgekostet hätte, so daß er keine Zähne mehr hat und kahl ist wie eine Schweinsblase – so wollen sie auch die anderen anstecken. Gott sei Dank, daß wir noch einen gesunden Stand haben, der alle diese Errungenschaften nicht kennt! Dafür müssen wir wirklich Gott danken. Der Ackerbauer ist unser ehrbarster Stand; was rührt man ihn an? Gott gebe, daß alle Leute so wären wie der Ackerbauer!«