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Die toten Seelen

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»Der dumme Greis hat seinen letzten Verstand verloren, das ist alles«, versetzte der General. »Ich sehe aber nicht ein, wie ich hier helfen könnte!« sagte er, Tschitschikow erstaunt anblickend.

»Ich habe mir folgendes ausgedacht. Wenn Sie mir alle toten Seelen Ihres Gutes in der Form überlassen, als ob sie noch am Leben wären, Exzellenz, durch einen Kaufvertrag, so könnte ich diesen Kaufvertrag dem Alten vorweisen, und dann würde er mir die Erbschaft ausfolgen.«

Der General fing hier so laut zu lachen an, wie wohl noch kein Mensch gelacht hat. So wie er stand, fiel er in den Sessel. Er warf den Kopf in den Nacken und schien am Ersticken. Das ganze Haus geriet in Unruhe. Der Kammerdiener erschien im Kabinett. Die Tochter kam erschrocken herbeigelaufen.

»Vater, was hast du?« fragte sie, ihm ganz ratlos in die Augen blickend.

Der General vermochte aber lange keinen Ton von sich zu geben.

»Es ist nichts, Liebling; hab nur keine Angst. Geh auf dein Zimmer; wir kommen gleich zu Tisch. Sei unbesorgt. Ha, ha, ha!«

Nachdem ihm noch einigemal der Atem ausgegangen war, brach er mit neuer Kraft in sein Generalslachen aus, das vom Vorzimmer bis zum entlegensten Zimmer widerhallte.

Tschitschikow geriet ernsthaft in Unruhe.

»Der Onkel, ach, der Onkel! Wird der ein dummes Gesicht machen! Ha, ha, ha! Statt der Lebenden wird er Tote kriegen! Ha, ha!«

– Er fängt schon wieder an! – dachte sich Tschitschikow. – Wie kitzlig er ist! Daß er nur nicht zerspringt! –

»Ha, ha, ha!« fuhr der General fort. »So ein Esel! Daß ein Mensch nur auf so eine Idee kommt: ›Soll er sich erst selbst dreihundert Seelen erwerben, dann werde ich ihm auch meine dreihundert überlassen!‹ Er ist doch ein Esel!«

»Es stimmt, Exzellenz, er ist ein Esel.«

»Aber auch dein Einfall, dem Alten Tote vorzusetzen, ist nicht schlecht! Ha, ha, ha! Ich würde, Gott weiß was alles hergeben, um dabei zu sein, wenn du ihm den Kaufvertrag bringst. Wie ist er sonst? Sehr alt?«

»Achtzig Jahre … «

»Er bewegt sich aber noch, ist rüstig? Er muß doch noch rüstig sein, wenn er mit einer Haushälterin zusammenlebt!«

»Gar nicht rüstig, Exzellenz! Er zerfällt beinahe!«

»Dieser Dummkopf! Er ist doch ein Dummkopf?«

»Sehr recht, Exzellenz, ein Dummkopf.«

»Er fährt aber noch aus? Geht in Gesellschaft? Hält sich noch auf den Beinen?«

»Er hält sich noch, wenn auch mit Mühe.«

»Dieser Dummkopf! Ist aber noch rüstig? Hat noch Zähne?«

»Nur noch zwei Zähne, Exzellenz.«

»Dieser Esel! Nimm es mir nicht übel, Bruder … Wenn es auch dein Onkel ist, er ist doch ein Esel.«

»Er ist ein Esel, Exzellenz. Er ist zwar mein Verwandter, und es fällt mir schwer, es einzugestehen, aber was soll ich machen!«

Tschitschikow log: es fiel ihm gar nicht schwer, es einzugestehen, um so weniger, als er wohl kaum je einen Onkel gehabt hat.

»Wollen also Exzellenz mir die … «

»Ich soll dir die toten Seelen überlassen? Für eine so glänzende Idee will ich sie dir mit dem Boden und mit ihren Behausungen überlassen! Nimm dir den ganzen Friedhof! Ha, ha, ha, ha! Aber der Alte, der Alte! Ha, ha, ha, ha! Wird der zum Narren gehalten! Ha, ha, ha, ha! … «

Und das Lachen des Generals widerhallte wieder in allen Zimmern des Generalshauses …

Kapitel 3

– Wenn der Oberst Koschkarjow wirklich verrückt ist, so wäre das gar nicht schlecht, – sagte sich Tschitschikow, als er sich wieder inmitten freier Felder befand, als alles verschwunden war und er nur noch das Himmelsgewölbe und zwei Wolken seitwärts sah.

»Sselifan, hast du dich auch ordentlich erkundigt, wie man zum Obersten Koschkarjow fährt?«

»Pawel Iwanowitsch, ich war so sehr mit dem Wagen beschäftigt, daß ich keine Zeit dazu hatte. Petruschka hat aber den Kutscher ausgefragt.« »Dummkopf! Ich habe dir schon so oft gesagt, daß man sich auf Petruschka nicht verlassen darf; Petruschka ist wohl auch jetzt besoffen.«

»Als ob es eine große Weisheit wäre!« sagte Petruschka, sich halb umwendend und nach Tschitschikow schielend. »Man fährt den Berg hinunter und schlägt dann den Weg durch die Wiesen ein – das ist alles.«

»Fusel ist wohl alles, was du im Munde gehabt hast? Du bist wirklich schön! Man kann wohl sagen: du setzt durch deine Schönheit ganz Europa in Erstaunen!« Nach diesen Worten streichelte sich Tschitschikow sein Kinn und dachte sich: – Was ist doch für ein Unterschied zwischen einem gebildeten Bürger und einer groben Lakaienphysiognomie! –

Die Equipage rollte indessen den Berg hinunter. Wieder zeigten sich weite Wiesen mit hier und da verstreutem Espengehölz.

Die bequeme Equipage fuhr, auf ihren elastischen Federn leise zitternd, vorsichtig die kaum merkliche Bodensenkung hinab und rollte dann über Wiesen, an Mühlen vorbei, laut auf den Brücken dröhnend und auf dem weichen Boden leicht schaukelnd. Der Körper des Fahrenden bekam aber auch nicht einen Erdbuckel zu spüren! Das reinste Vergnügen, und keine Equipage.

Weidengebüsch, dünne Espen und Silberpappeln flogen schnell an ihnen vorbei und peitschten mit ihren Zweigen die auf dem Bocke sitzenden Sselifan und Petruschka. Dem letzteren schlugen sie jeden Augenblick die Mütze vom Kopfe. Der mürrische Diener sprang dann jedesmal vom Bocke, schimpfte auf den Baum und auf dessen Besitzer, der ihn gepflanzt hatte, wollte aber trotzdem seine Mütze weder festbinden noch mit der Hand festhalten, da er immer noch hoffte, daß dies das letztemal gewesen sei und nicht mehr vorkommen werde. Zu den Bäumen gesellten sich bald Birken und hier und da Tannen. Unten an den Wurzeln wucherte dichtes Gras, und darin leuchteten blaue Schwertlilien und gelbe Waldtulpen. Im Walde wurde es immer dunkler, so daß man glaubte, es werde bald die Nacht einbrechen. Plötzlich drangen aber zwischen den Ästen und Baumstümpfen Lichtstrahlen durch, wie von hellen Spiegeln geworfen. Die Bäume standen nicht mehr so dicht beieinander, die Lichtreflexe nahmen zu … und da liegt schon vor ihnen ein See, eine Wasserfläche von etwa vier Werst Durchmesser. Auf dem gegenüberliegenden Ufer erhob sich über dem See ein Dorf, das aus grauen Blockhäusern bestand. Auf dem Wasser tönten Schreie. An die zwanzig Mann, bis an den Gürtel, bis an die Schultern, bis an den Hals im Wasser stehend, schleppten ein Netz ans jenseitige Ufer. Es hatte sich ein seltsamer Unfall ereignet. Zugleich mit den Fischen war ein kugelrunder Herr in das Netz geraten, der ebenso breit als lang war und einer Wassermelone oder einem Fäßchen glich. Er befand sich in verzweifelter Lage und schrie aus vollem Halse: »Denis, du Tölpel, gib es doch dem Kusjma! Kusjma, nimm das Ende dem Denis ab! Foma der Große, dräng nicht so! Geh hin, wo Foma der Kleine steht! Ihr Teufel, ich sag's euch ja, ihr werdet noch das Netz zerreißen!« Die Wassermelone war offenbar nicht um sich selbst besorgt: infolge seiner Dicke konnte er gar nicht ertrinken, und wenn er noch so sehr zappelte, um unterzutauchen, würde ihn das Wasser immer wieder heben; und wenn sich noch zwei Menschen auf seinen Rücken setzten, so bliebe er dennoch wie eine eigensinnige Schwimmblase auf der Oberfläche des Wassers und würde unter der Last nur ein wenig ächzen und aus der Nase Luftblasen aufsteigen lassen. Er hatte aber große Angst, das Netz könnte zerreißen, und die Fische würden entschlüpfen; aus diesem Grunde mußten einige Männer, die am Ufer standen, ihn mit eigens befestigten Stricken herausziehen.

»Das wird wohl der Herr Oberst Koschkarjow sein«, sagte Sselifan.

»Warum?«

»Weil sein Körper, wie Sie zu sehen belieben, weißer ist als bei den anderen, auch hat er die edle Körperfülle eines Herrn.«

Den Herrn, der ins Netz geraten war, hatte man indessen beträchtlich näher ans Ufer gezogen. Als er fühlte, daß er den Grund mit den Füßen erreichen konnte, richtete er sich auf und bemerkte im gleichen Augenblick die den Damm herunterfahrende Equipage und den in ihr sitzenden Tschitschikow.

»Haben Sie schon zu Mittag gegessen?« schrie der Herr, mit den gefangenen Fischen in der Hand ans Ufer tretend und noch ganz ins Netz verstrickt – er erinnerte dabei an ein Damenhändchen im durchbrochenen Sommerhandschuh. Die eine Hand hielt er zum Schutze gegen die Sonne über die Augen, die andere – etwas tiefer unten – wie die dem Bade entsteigende Venus von Medici.

»Nein«, entgegnete Tschitschikow, die Mütze lüftend und ihn aus dem Wagen begrüßend.

»Nun, dann danken Sie Gott!«

»Warum denn?« fragte Tschitschikow interessiert, die Mütze über dem Kopfe haltend.

»Das will ich Ihnen gleich zeigen! Foma der Kleine, laß das Netz und hol mal den Stör aus dem Bottich! Kusjma, du Tölpel, geh hin, hilf ihm!«

Die beiden Fischer hoben aus dem Bottich den Kopf eines Ungeheuers. – »Ist das ein Fürst! Ist aus dem Flusse in den See geraten!« schrie der kugelrunde Herr. »Fahren Sie doch in den Hof! Kutscher, nimm den Weg unten durch die Gemüsefelder! Foma der Große, du Tölpel, lauf hin und öffne das Gatter! Er wird Sie begleiten, ich komme gleich nach … «

Der langbeinige und barfüßige Foma der Große lief, so wie er war, im bloßen Hemd vor dem Wagen her durch das ganze Dorf, wo vor jedem Hause allerlei Netze, Reusen und andere Fischereigeräte hingen: sämtliche Bauern waren Fischer; dann hob er ein Gatter, und der Wagen fuhr zwischen Gemüsegärten auf den Dorfplatz, wo die hölzerne Kirche stand. Hinter der Kirche waren in einiger Entfernung die Dächer der Gutsgebäude zu sehen.

– Ein Kauz ist dieser Koschkarjow! – dachte sich Tschitschikow.

»Da bin ich schon!« erklang eine Stimme von der Seite. Tschitschikow sah sich um. Der Herr fuhr schon neben ihm her, fertig angezogen, in einem grasgrünen Nankingrock und gelber Hose; sein Hals war aber unbekleidet wie bei einem Kupido. Er saß seitwärts in seiner Droschke, nahm aber die ganze Droschke ein. Tschitschikow wollte ihm etwas sagen, aber der Dicke war schon verschwunden. Die Droschke tauchte wieder an der Stelle auf, wo man die Fische aus dem Netze nahm. Wieder hörte man ihn schreien: »Foma der Große! Foma der Kleine! Kusjma! Denis!« Als aber Tschitschikow vor der Freitreppe des Herrenhauses anlangte, stand der dicke Herr zu seinem größten Erstaunen schon da und schloß ihn in seine Arme. Wie er es fertiggebracht hatte, so schnell hier und dort zu sein, war ein Rätsel. Sie küßten sich nach altrussischer Sitte dreimal übers Kreuz: der Herr war ein Mann vom alten Schrot und Korn.

 

»Ich bringe Ihnen die Grüße Seiner Exzellenz«, sagte Tschitschikow.

»Von welcher Exzellenz?«

»Von Ihrem Verwandten, dem General Alexander Dimitrijewitsch.«

»Wer ist Alexander Dimitrijewitsch?«

»Der General Betrischtschew«, antwortete Tschitschikow erstaunt.

»Ich kenne ihn nicht«, sagte jener erstaunt.

Tschitschikows Erstaunen wurde noch größer.

»Wie ist es nun? … Ich hoffe wenigstens, das Vergnügen zu haben, mit dem Obersten Koschkarjow zu sprechen?«

»Nein, hoffen Sie lieber nicht. Sie sind nicht zu ihm, sondern zu mir gekommen. Pjotr Petrowitsch Pjetuch! Pjetuch, Pjotr Petrowitsch!« fiel ihm der Hausherr ins Wort.

Tschitschikow war ganz starr. »Was ist denn das?« wandte er sich an Sselifan und Petruschka, die gleichfalls ihre Münder aufsperrten und mit den Augen glotzten, der eine auf dem Bocke sitzend, der andere vor dem Wagenschlag stehend. »Was habt ihr angestellt, Dummköpfe? Ich habe euch doch gesagt: zum Obersten Koschkarjow … Das ist aber Pjotr Petrowitsch Pjetuch!«

»Die Burschen haben es vorzüglich getroffen! Geht nur in die Küche, man wird euch dort ein Glas Schnaps geben«, sagte Pjotr Petrowitsch Pjetuch. »Spannt die Pferde aus und geht gleich in die Gesindestube!«

»Ich muß mich genieren: ein so unerwarteter Irrtum … «« sagte Tschitschikow.

»Nein, das ist kein Irrtum. Kosten Sie erst das Mittagessen, und dann werden Sie sagen, ob es ein Irrtum ist. Ich bitte ergebenst«, sagte Pjetuch, Tschitschikow unterfassend und in die inneren Gemächer führend. Aus den inneren Gemächern kamen ihnen zwei Jünglinge in Sommerröcken entgegen, schlank wie Weidenruten; beide überragten ihren Vater um eine ganze Elle.

»Meine Söhne, Gymnasiasten, sind für die Feiertage hergekommen … Nikolascha, du bleibst mit dem Gast, und du, Alexascha, kommst mit mir.« Mit diesen Worten verschwand er.

Tschitschikow widmete sich dem Nikolascha. Nikolascha versprach ein ziemlich gemeiner Mensch zu werden. Er erzählte Tschitschikow sofort, daß es sich gar nicht lohne, das Gymnasium in der Gouvernementsstadt zu besuchen, und daß er und sein Bruder die Absicht haben, nach Petersburg zu gehen, weil die Provinz es gar nicht verdiene, daß man in ihr wohne …

– Ich verstehe wohl, – dachte sich Tschitschikow, – die Sache wird wohl mit den Konditoreien und Boulevards enden … – »Übrigens,« sagte er laut, »in welchem Zustande befindet sich das Gut Ihres Herrn Vaters?«

»Es ist verpfändet«, sagte der Herr Vater, der plötzlich wieder im Salon war. »Es ist verpfändet!«

– Es ist schlimm, – dachte sich Tschitschikow. – So wird bald kein einziges Gut übrigbleiben. Ich muß mich beeilen. – »Es ist aber schade,« sagte er teilnahmsvoll, »daß Sie sich beeilt haben, es zu verpfänden.«

»Nein, das macht nichts«, sagte Pjetuch. »Man sagt, es sei vorteilhaft. Alle tun es: warum soll ich hinter den anderen zurückbleiben? Auch habe ich bisher immer hier gelebt; nun will ich mal versuchen, in Moskau zu leben. Auch meine Söhne raten mir dazu, sie wollen sich in der Residenzstadt bilden.«

– Ein Dummkopf, ein Dummkopf! – dachte sich Tschitschikow. – Er wird alles durchbringen und auch seine Söhne zu Verschwendern machen. Das Gut ist gar nicht übel. Wenn man so hinsieht, so haben es die Bauern gut, und auch die Besitzer haben es nicht schlecht. Wenn sie sich aber ihre Bildung aus den Restaurants und Theatern holen, so wird alles zum Teufel gehen. Dieser Fleischkuchen sollte doch lieber auf dem Lande bleiben. –

»Ich weiß aber, was Sie sich denken«, sagte Pjetuch.

»Was denn?« fragte Tschitschikow verlegen.

»Sie denken sich: ›Ein Dummkopf ist dieser Pjetuch: hat mich zum Mittagessen eingeladen, vom Essen ist aber noch nichts zu sehen.‹ Es wird schon fertig werden, Verehrtester. Ein geschorenes Mädel kann sich nicht so schnell den Zopf flechten, als das Essen auf den Tisch kommt.«

»Papachen! Platon Michailowitsch kommt gerade geritten!« sagte Alexascha, zum Fenster hinausblickend.

»Er kommt auf seinem Braunen!« sagte Nikolascha, sich zum Fenster beugend.

»Wo ist er denn, wo ist er denn?« schrie Pjetuch, ans Fenster tretend.

»Wer ist dieser Platon Michailowitsch?« fragte Tschitschikow Alexascha.

»Unser Nachbar, Platon Michailowitsch Platonow, ein vorzüglicher Mensch, ein herrlicher Mensch«, erwiderte Pjetuch selbst.

Indessen trat Platonow, ein hübscher, schlanker Mann mit hellblonden, glänzenden, lockigen Haaren, selbst ins Zimmer. Ihm folgte, mit dem messingbeschlagenen Halsband klirrend, ein gar schrecklich aussehender Hund, namens Jarb.

»Haben Sie schon zu Mittag gegessen?« fragte ihn der Hausherr.

»Ich habe schon gegessen.«

»Sind Sie gekommen, um über mich zu spotten? Was taugen Sie mir, wenn Sie schon gegessen haben?«

Der Gast versetzte lächelnd: »Ich will Ihnen zum Trost sagen, daß ich nichts gegessen habe: ich habe keinen Appetit.«

»Wenn Sie nur unseren Fang gesehen hätten! Den Riesenstör! Die Riesenkarpfen und Karauschen!«

»Man ärgert sich sogar, wenn man Ihnen zuhört. Warum sind Sie immer so lustig?«

»Warum sollte ich mich langweilen? Erlauben Sie doch!«

»Warum man sich langweilen soll? Weil es eben langweilig ist.«

»Sie essen zu wenig, das ist alles. Versuchen Sie mal ordentlich zu Mittag zu essen. Diese Langeweile hat man erst in der allerletzten Zeit erfunden; früher hat sich kein Mensch gelangweilt.«

»Prahlen Sie doch nicht! Als ob Sie sich niemals gelangweilt hätten!«

»Nein, niemals! Ich kenne das gar nicht, habe auch keine Zeit, um mich zu langweilen. Wenn ich am Morgen erwache, kommt gleich der Koch, und ich muß ihm das Mittagessen bestellen; dann trinke ich Tee; dann kommt der Verwalter; dann muß ich zum Fischfang, und dann ist es auch schon Zeit zum Mittagessen. Nach dem Essen habe ich kaum Zeit, ein Schläfchen zu machen: da kommt schon wieder der Koch, und ich muß ihm das Abendessen bestellen; nach dem Abendessen kommt wieder der Koch, und ich muß mit ihm das Essen für den anderen Tag bestellen … Wann soll ich mich langweilen?«

Während dieses Gespräches betrachtete Tschitschikow den Gast, der ihn durch seine ungewöhnliche Schönheit, seinen schlanken Wuchs, die Frische der unverbrauchten Jugend und die jungfräuliche Reinheit des von keinem Pickel verunstalteten Gesichts in Erstaunen setzte. Weder Leidenschaft noch Kummer noch etwas wie Unruhe oder Sorge hatten es gewagt, sein jungfräuliches Gesicht zu berühren und darauf auch nur eine Runzel zu bilden; sie hatten es aber auch nicht belebt. Er blieb irgendwie verschlafen, trotz des ironischen Lächelns, das es zuweilen erhellte. »Auch ich kann, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten,« sagte Tschitschikow, »unmöglich verstehen, wie Sie mit Ihrem Äußern sich langweilen können. Natürlich, wenn man an Geldmangel leidet oder Feinde hat, die einem manchmal sogar nach dem Leben trachten … «

»Glauben Sie mir«, unterbrach ihn der schöne Gast: »Zur Abwechslung möchte ich mal gerne irgendeine Aufregung erleben, daß mich zum Beispiel jemand in Wut versetzt – ich habe aber nicht mal das. Es ist mir einfach langweilig, das ist alles.«

»Also haben Sie nicht genug Land oder zu wenig Leibeigene?«

»Keine Spur. Mein Bruder und ich besitzen zusammen etwa zehntausend Deßjatinen und über tausend Bauern.«

»Seltsam. Das verstehe ich nicht. Vielleicht hat es bei Ihnen Mißernten oder Seuchen gegeben? Sind Ihnen viele Bauern männlichen Geschlechts gestorben?«

»Im Gegenteil, alles ist in der besten Ordnung, und mein Bruder versteht sich ausgezeichnet auf die Wirtschaft.«

»Und dabei langweilen Sie sich! Das verstehe ich nicht«, sagte Tschitschikow und zuckte die Achseln.

»Die Langeweile wollen wir gleich verjagen«, sagte der Hausherr. »Alexascha, lauf mal schnell nach der Küche und sag dem Koch, er möchte uns gleich einige Pastetchen herschicken. Wo stecken aber der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Antoschka? Warum bringt man uns die Vorspeisen nicht?«

Da ging aber die Türe auf. Der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Antoschka erschienen mit Servietten, deckten den Tisch und stellten ein Tablett auf mit sechs Karaffen mit Schnäpsen aller Farben. Um die Karaffen entstand bald eine Kette von Tellern mit allerlei appetitreizenden Speisen. Die Diener bewegten sich flink und brachten immerfort neue zugedeckte Teller, in denen man die geschmolzene Butter zischen hörte. Der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Antoschka machten ihre Sache vorzüglich. Ihre Spitznamen hatten sie offenbar nur zur Ermunterung erhalten. Der Herr schimpfte sonst gar nicht gern und war höchst gutmütig; der Russe kann aber ohne ein kräftiges Wort gar nicht auskommen. Er braucht es wie ein Gläschen Schnaps zur Verdauung. Was soll man machen? So ist mal seine Natur: er liebt nichts Ungesalzenes und Ungepfeffertes.

Nach den Vorspeisen kam das eigentliche Mittagessen. Der gutmütige Hausherr wurde hier zu einem wahren Räuber. Sobald er bei jemand nur ein Stück auf dem Teller bemerkte, legte er gleich ein zweites Stück dazu mit der Bemerkung: »Weder ein Mensch noch ein Vogel kann auf der Welt allein leben.« Wenn jemand zwei Stück hatte, so legte er ihm ein drittes dazu und sagte: »Was ist zwei für eine Zahl? Gott liebt die Dreizahl.« Hatte der Gast drei Stücke verzehrt, so sagte er ihm: »Wo gibt's einen Wagen auf drei Rädern? Wer baut ein Haus mit drei Ecken?« Für vier hatte er auch eine Redensart, für fünf – wieder eine andere. Tschitschikow hatte beinahe zwölf Stücke gegessen und dachte sich: – Jetzt wird der Hausherr wohl nichts mehr sagen können. – Doch gefehlt: der Hausherr legte ihm, ohne ein Wort zu sagen, den ganzen Rückenteil eines am Spieß gebratenen Kalbes mit den Nieren auf den Teller, und was für eines Kalbes!

»Zwei Jahre habe ich es mit Milch ernährt«, sagte der Hausherr. »Habe es wie ein eigenes Kind gepflegt!«

»Ich kann nicht mehr«, sagte Tschitschikow.

»Versuchen Sie es erst, und dann können Sie sagen: ›Ich kann nicht mehr.‹«

»Es ist kein Platz mehr in mir.«

»Auch in der Kirche war kein Platz, da kam aber der Stadthauptmann, und sofort fand sich Platz. Und doch war solch ein Gedränge, daß kein Apfel zu Boden fallen konnte. Versuchen Sie es nur: dieses Stück ist auch so ein Stadthauptmann.«

Tschitschikow versuchte – das Stück war in der Tat eine Art Stadthauptmann: es fand sich noch Platz dafür, obwohl er anfangs glaubte, es könne nichts mehr hinein.

– Wie kann nur so ein Mensch nach Petersburg oder nach Moskau ziehen? Bei seiner Gastfreundschaft ist er nach drei Jahren am Bettelstab! – Tschitschikow kannte nämlich den neuesten Fortschritt noch nicht: man kann, auch ohne so gastfrei zu sein, sein ganzes Vermögen nicht nur in drei Jahren, sondern auch in drei Monaten durchbringen.

Pjetuch füllte die Gläser fortwährend nach; was die Gäste nicht austranken, das mußten seine Söhne Alexascha und Nikolascha austrinken; diese tranken ein Glas nach dem anderen, und man konnte schon sehen, auf welches Gebiet des menschlichen Wissens sie sich in der Hauptstadt verlegen würden. Den Gästen ging es aber ganz anders: mit der größten Mühe schleppten sie sich auf den Balkon, wo sie mit der gleichen großen Mühe in Sessel sanken. Kaum hatte sich der Hausherr in seinen viersitzigen Sessel gesetzt, als er sofort einschlief. Sein massiver Körper verwandelte sieh in einen großen Blasebalg, und aus seinem offenen Munde und den Nasenlöchern kamen Töne, wie sie selbst den neueren Komponisten selten einfallen: man hörte zugleich eine Trommel, eine Flöte und ein eigentümliches abgerissenes Dröhnen, das am ehesten an Hundegebell erinnerte.

»Wie er pfeift«, sagte Platonow.

Tschitschikow mußte lachen.

»Natürlich, wenn man so gegessen hat, wie kann man sich da noch langweilen? Da kommt einfach der Schlaf, nicht wahr?«

»Gewiß. Und doch kann ich, Sie entschuldigen mich schon, nicht verstehen, wie man sich langweilen kann. Gegen die Langeweile gibt es so viele Mittel.«

»Was für Mittel?«

»Für so einen jungen Mann gibt es doch mancherlei. Er kann tanzen, irgendein Instrument spielen … er kann auch heiraten.«

»Wen?«

»Gibt es denn in der Umgegend keine hübschen und reichen Mädchen?«

 

»Ich wüßte nicht.«

»Dann muß man eben anderswo suchen, eine kleine Reise machen.« Plötzlich kam Tschitschikow ein glänzender Gedanke. »Ja, das ist wirklich ein ausgezeichnetes Mittel!« sagte er, Platonow gerade in die Augen blickend.

»Was für eines?«

»Reisen.«

»Wohin soll man denn reisen?«

»Nun, wenn Sie freie Zeit haben, so fahren Sie doch mit mir«, sagte Tschitschikow. Er sah Platonow an und dachte sich: – Das wäre wirklich schön. Alle Auslagen werden dann geteilt, und die Reparatur des Wagens schreibe ich ihm ganz auf die Rechnung. –

»Wo fahren Sie denn hin?«

»Vorläufig fahre ich weniger in eigenen Geschäften als in einer fremden Angelegenheit. Der General Betrischtschew, mein naher Freund und, ich darf wohl sagen, Wohltäter, bat mich, seine Verwandten zu besuchen … Verwandte hin, Verwandte her, doch ich fahre sozusagen zum Teil auch zum eigenen Nutzen: denn die Welt und den Strudel der Menschen sehen, ist, man mag sagen, was man will, gleichsam ein lebendiges Buch, eine eigene Wirtschaft.« Während er dies sagte, dachte er bei sich: – Das wäre wirklich schön. Ich könnte es auch so einrichten, daß er die ganzen Auslagen trägt und daß wir sogar mit seinen Pferden fahren; die meinen könnte er indessen auf seinem Gute verpflegen. –

– Warum soll ich nicht die kleine Reise machen? – dachte sich indessen Platonow. – Zu Hause habe ich nichts zu tun, die Wirtschaft wird ohnehin von meinem Bruder verwaltet; folglich kann nichts in Unordnung geraten. Warum soll ich nicht in der Tat die kleine Reise machen? – »Wären Sie einverstanden,« sagte er laut, »bei meinem Bruder an die zwei Tage zu Gast zu bleiben? Sonst läßt er mich nicht fort.«

»Mit dem größten Vergnügen, sogar drei Tage.«

»Also abgemacht! Wir fahren!« sagte Platonow, sichtbar lebhafter werdend. So wurde die Sache beschlossen. »Wir fahren!«

»Wohin denn, wohin?« rief der Hausherr, aus seinem Schlafe erwachend und sie anglotzend. »Nein, meine Herren! Ich habe schon die Räder von Ihren Wagen abnehmen lassen, und was Ihren Hengst betrifft, Platon Michailowitsch, so hat man ihn schon fünfzehn Werst weit von hier weggeführt. Nein, heute übernachten Sie bei mir, morgen essen wir ordentlich zum Frühstück, und dann können Sie fahren.«

Was war mit diesem Pjetuch zu machen? Man mußte bleiben. Dafür wurden sie mit einem wunderbaren Frühlingsabend belohnt. Der Hausherr veranstaltete eine Bootfahrt auf dem Flusse. Zwölf Ruderer mit vierundzwanzig Rudern führten sie unter Gesängen über die spiegelglatte Fläche des Sees. Aus dem See kamen sie in den Fluß, der zwischen flachen Ufern in die Unendlichkeit hinzog; in einemfort mußten sie unter den quer über den Fluß gespannten Tauen durchfahren, die irgendwie zum Fischfang dienten. Das Wasser war vollkommen unbeweglich; lautlos wechselten die Bilder ab, ein Gehölz nach dem anderen erfreute das Auge durch die verschiedenartige Anordnung der Bäume. Die Ruderer holten auf einmal kräftig mit allen vierundzwanzig Rudern aus, und das Boot flog ganz von selbst wie ein leichter Vogel über die unbewegliche Wasserfläche dahin. Der Vorsänger, ein breitschulteriger Bursche, der am dritten Platz vom Steuer saß, stimmte mit seiner reinen, glockenhellen Stimme die ersten Töne des Liedes an, die aus einer Nachtigallkehle zu kommen schienen; fünf andere fielen ein, die übrigen sechs vervollständigten den Chor, und das Lied floß dahin, grenzenlos wie Rußland. Pjetuch geriet in Ekstase und half mit wo dem Chor die Kraft fehlte, und selbst Tschitschikow fühlte sich als Russe. Nur Platonow allein dachte sich: – Was ist eigentlich an diesem traurigen Lied schön? Es macht einen nur noch trauriger. –

Sie fuhren in der Dämmerung zurück. Die Ruder schlugen das Wasser, das den Himmel nicht mehr spiegelte. In der Dunkelheit landeten sie am Ufer, wo überall Feuer brannten; die Fischer kochten auf Dreifüßen eine Suppe aus frischgefangenen Barschen. Alles war schon zu Hause. Das Vieh und das Geflügel der Bauern war schon längst in den Ställen, der Staub, den sie aufgewirbelt hatten, hatte sich schon gelegt, und die Hirten, die das Vieh heimgetrieben hatten, standen vor den Toren und warteten auf einen Topf Milch oder auf eine Einladung zur Fischsuppe. In der Dämmerung hörte man leise Gespräche der Menschen und Hundegebell, das aus einem anderen Dorfe herüberklang. Der Mond ging auf, und die dunkle Umgebung begann sich zu erhellen; alles erhellte sich. Herrliche Bilder! Es war aber niemand da, der sie bewundern konnte. Nikolascha und Alexascha verschmähten es, auf zwei wilde Hengste zu steigen und, einander überholend, an diesen Bildern vorbeizujagen, und zogen es vor, an Moskau, an die Konditoreien und die Theater zu denken, von denen ihnen ein aus der Hauptstadt zugereister Kadett soviel erzählt hatte; ihr Vater dachte daran, was er seinen Gästen zum Abendessen vorsetzen sollte; Platonow gähnte. Am lebhaftesten zeigte sich Tschitschikow: – Nein, wirklich, ich muß mir mal so ein Gut anschaffen! – Und er dachte auch sofort an das junge Weibchen und an die kleinen Tschitschikows.

Beim Abendessen überaßen sie sich wieder. Als Pawel Iwanowitsch in das ihm zum Schlafen angewiesene Zimmer kam und vor dem Zubettgehen seinen Bauch betastete, sagte er sich: »Die reinste Trommel! Da findet kein Stadthauptmann mehr Platz.« Zufällig befand sich gleich hinter der Wand das Zimmer des Hausherrn. Die Wand war so dünn, daß man alles hören konnte, was dort gesprochen wurde. Der Hausherr bestellte dem Koch unter dem Namen eines Frühstücks ein richtiges Mittagessen; und wie er es bestellte! Bei einem Toten müßte der Appetit erwachen.

»Die Pastete backst du mir mit vier Ecken«, sagte er, mit den Lippen schmatzend und die Luft einatmend. »In die eine Ecke tust du mir die Backen eines Störs und Hausensehnen, in die andere – Buchweizengrütze mit Schwämmen, Zwiebeln, süßer Fischmilch, Hirn und ähnlichen Sachen, du wirst schon selbst wissen … Auf der einen Seite muß sie, verstehst du, schön braun werden, auf der anderen Seite darf sie aber heller sein. Unten soll sie aber so durchgebacken sein, so ganz durchgeschmort, daß sie, weißt du, nicht etwa auseinanderfällt, sondern im Munde wie Schnee zergeht, ohne daß man es merkt.« Bei diesen Worten schmatzte Pjetuch mit den Lippen.

– Hol ihn der Teufel! Er läßt mich nicht einschlafen! – dachte sich Tschitschikow und zog sich die Decke über den Kopf, um nichts zu hören. Aber er hörte es auch durch die Decke:

»Als Beilage zum Stör nimmst du Sternchen aus roten Rüben, Stinte, Pfefferschwämme; dann noch junge Rüben, Möhren, Bohnen und noch irgend so was, überhaupt recht viel Garnierung! Und in den Schweinsmagen tust du ein Stück Eis, damit er ordentlich aufquillt.«

Gar viele Gerichte bestellte noch Pjetusch. Man hörte nichts als: »Brat es ordentlich durch, backe es braun, laß es schön durchschmoren!« Tschitschikow schlief erst bei irgendeinem Truthahn ein.

Am nächsten Tage aßen sich die Gäste wieder so voll, daß Platonow gar nicht reiten konnte. Sein Hengst wurde mit einem Stallknecht Pjetuchs heimgeschickt. Die beiden setzten sich in die Equipage. Der dickschnauzige Hund folgte langsam dem Wagen: auch er hatte sich überfressen.

»Das war schon zuviel«, sagte Tschitschikow, als sie aus dem Hofe herausgefahren waren.

»Und er langweilt sich gar nicht: das ärgert mich am meisten!«

– Hätte ich wie du ein Jahreseinkommen von siebzigtausend, – dachte sich Tschitschikow, – so ließe ich die Langweile nicht über die Schwelle. So ein Branntweinpächter Murasow hat ganze zehn Millionen, leicht gesagt! So eine Summe! –

»Macht das Ihnen was, wenn wir unterwegs einen Besuch abstatten? Ich möchte gern von Schwester und Schwager Abschied nehmen.«

»Mit dem größten Vergnügen!« sagte Tschitschikow.

»Er ist unser bester Landwirt. Er hat, werter Herr, ein Einkommen von zweihunderttausend Rubeln von einem Gut, das vor acht Jahren auch keine zwanzigtausend einbrachte.«