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Die toten Seelen

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Indessen erwartete ihn ein anderes Schauspiel. Als die Bauern von der Ankunft ihres Herrn erfuhren, versammelten sie sich alle vor dem Herrenhause. Er sah sich von allerlei Hauben, Kopftüchern, Bauernröcken und malerischen Vollbärten der hübschen Bevölkerung umgeben. Als die Worte erklangen: »Unser Ernährer! Hast dich doch unser erinnert … « und als viele alten Männer und Frauen, die noch seinen Großvater und Urgroßvater gekannt hatten, unwillkürlich in Tränen ausbrachen, konnte er sich nicht mehr der Tränen enthalten. Und er dachte sich: – Soviel Liebe! Wofür? – Weil ich sie nie gesehen und mich um sie noch nie gekümmert habe? – Und er leistete das Gelübde, mit ihnen alle Arbeit und Mühe zu teilen.

Und er fing an, sein Gut zu verwalten. Er setzte den Erbzins herab und ließ die Bauern weniger Tage für den Gutsbesitzer und mehr Tage für sich selbst arbeiten. Den dummen Verwalter jagte er davon. Er begann, sich selbst um alles zu kümmern: er zeigte sich auf den Feldern, auf der Tenne, in den Getreidespeichern, in den Mühlen, am Landungsplatz beim Laden und bei der Abfahrt der Kähne, so daß die Faulen anfingen, sich den Nacken zu kratzen. Dies dauerte jedoch nicht lange. So ein Bauer ist gar nicht dumm: er begriff bald, daß der Herr zwar mit großem Eifer dabei war und auch den Willen hatte, alles anzufassen, daß er aber noch nicht wußte, wie es anzufassen sei, daß er gebildet rede und ihnen nichts einzupauken versuche. So kam es, daß der Herr und der Bauer – man kann nicht sagen, daß sie sich nicht verstanden – sich aber nicht einander anzupassen und den gleichen Ton zu treffen vermochten.

Tjentjetnikow merkte, daß auf seinem Boden alles viel schlechter gedieh als auf dem der Bauern. Es wurde zwar früher gesät, ging aber später auf; und doch schienen die Bauern ordentlich zu arbeiten. Er wohnte den Arbeiten selbst bei und ließ den Leuten sogar ab und zu ein Glas Schnaps für ihre Mühe reichen. Bei den Bauern aber wogte das Korn schon längst in hohen Halmen, der Hafer war aufgegangen, die Hirse wuchs in dichten Büscheln; bei ihm stand aber das Korn erst in dünnen Halmen mit noch leeren Ähren. Mit einem Worte, der Herr merkte, daß die Bauern trotz aller Erleichterungen einfach schwindelten. Er versuchte ihnen Vorwürfe zu machen, bekam aber folgende Antwort: »Ist's denn möglich, Herr, daß wir nicht an den Nutzen der Herrschaft dächten? Sie beliebten doch selbst zu sehen, wie wir uns beim Ackern und Säen abgemüht haben – Sie haben uns ja auch je ein Glas Schnaps geben, lassen.« Was konnte er darauf entgegnen?

»Warum ist es nun so schlecht geraten?« fragte der Herr weiter.

»Wer kann das wissen? Die Würmer werden es wohl von unten angenagt haben. Und dann ist auch der Sommer so schlecht: es hat noch keinen Regen gegeben.«

Der Herr sah aber, daß das Getreide der Bauern unten von keinen Würmern angenagt war; auch hatte es so seltsam geregnet, in lauter Streifen: der Regen hatte nur die Felder der Bauern getroffen, aber die des Herrn mit keinem einzigen Tropfen bedacht.

Noch schwerer fiel es ihm, mit den Weibern auszukommen. Sie bettelten fortwährend um Befreiung von der Arbeit und beklagten sich über den schweren Frondienst. Eine merkwürdige Sache: er hatte alle Lieferungen von Leinwand, Beeren, Pilzen und Nüssen abgeschafft und ihre sonstigen Arbeiten um die Hälfte gekürzt, in der Annahme, daß die Weiber diese Zeit ihrem Haushalt widmen, die Kleidung ihrer Männer instand halten und die Gemüsegärten vergrößern würden. Doch gefehlt! Unter dem schönen Geschlecht kamen Faulheit, Schlägereien, Klatsch und Zank auf, so daß die Männer zu ihm jeden Augenblick mit solchen Worten kamen: »Herr, bring doch meine Hexe zur Raison! Sie ist ja ein wahrer Satan und läßt einen gar nicht leben!«

Er wollte schon, wenn auch mit Selbstüberwindung, zur Strenge greifen; wie konnte er aber streng sein? So ein Weib kam zu ihm als echtes Weib; es begann zu heulen, war krank und schwach und hatte ekelhafte, häßliche Lumpen an; wo es diese Lumpen hernahm, das weiß Gott allein. »Geh, geh mir aus den Augen! Gott sei dir gnädig!« sagte der arme Tjentjetnikow und sah gleich darauf, wie die Kranke, nachdem sie zum Tore hinaus war, mit einer Nachbarin wegen einer Rübe in Streit geriet und diese so verprügelte, wie es auch der kräftigste Bauer kaum fertigbringen kann.

Er versuchte für sie eine Schule zu gründen, doch daraus wurde solch ein Unsinn, daß er den Kopf hängen ließ: hätte er es lieber gar nicht angefangen! Wenn er ihre Streitigkeiten zu schlichten hatte, so zeigte es sich, daß ihm alle die juristischen Finessen, die ihm seine philosophischen Professoren beigebracht hatten, nichts nützten. Die eine Partei log, auch die andere Partei log, der Teufel allein konnte sich da auskennen! Er sah, daß einfache Menschenkenntnis viel nützlicher wäre als alle Feinheiten der philosophischen und juristischen Bücher; er sah wohl ein, daß ihm etwas fehlte, doch was, das wußte Gott allein. Und so kam es, was so oft kommt: weder verstand der Bauer den Herrn, noch der Herr den Bauern; der Bauer sah den Herrn von einer unvorteilhaften Seite, ebenso der Herr den Bauern. Dies alles kühlte erheblich den Eifer des Gutsbesitzers ab. Die Feldarbeiten verfolgte er nun ohne jede Aufmerksamkeit. Wenn die Sensen bei der Heuernte leise rauschten, das Heu zu Schobern aufgerichtet oder auf Wagen verladen wurde und die Arbeit sich dicht vor ihm abspielte – so blickten seine Augen in die Ferne; wurde aber die Arbeit in der Ferne verrichtet, so hefteten sich seine Augen auf irgendeinen Gegenstand in der Nähe oder blickten zur Seite; auf irgendeine Windung des Flusses, wo ein Martin mit roter Nase und roten Beinen spazierte, natürlich ein Vogel und kein Mensch. Er sah neugierig zu, wie der Vogel am Ufer einen Fisch fing und, ihn quer im Schnabel haltend, sich überlegte, ob er ihn verschlingen solle oder nicht; zugleich blickte er auf eine andere Stelle des Ufers, wo in der Ferne ein zweiter Eisvogel schimmerte, der noch keinen Fisch gefangen hatte, doch aufmerksam den ersten beobachtete, der schon einen hatte. Oder er kniff die Augen zusammen, wandte das Gesicht den Himmelsräumen zu und überließ es seiner Nase, den Duft der Felder aufzunehmen, und seinen Ohren, sich am Gesang der Bewohner der Lüfte zu erfreuen, der, von überall, vom Himmel und von der Erde kommend, sich zu einem einzigen harmonischen Chore ohne Mißton vereinte. Im Korn schlägt eine Wachtel, im Grase schnarrt ein Wiesenschnarrer, über ihnen zwitschern die Hänflinge, blökt eine in die Höhe gestiegene Sumpfschnepfe, trillert, im Lichte verschwindend, eine Lerche; wie Trompetentöne klingen die Schreie der Kraniche, die hoch in den Lüften ihre dreieckigen Züge bilden. Und alles weckt einen Widerhall in der ganzen Umgegend, die sich in Musik verwandelt hat. O Schöpfer! Wie herrlich ist deine Welt in der Wildnis, im kleinen Dorfe, fern von den gemeinen Landstraßen und Städten! Aber auch dies wurde ihm bald langweilig. Bald hörte er ganz auf, aufs Feld zu gehen, zog sich in seine Zimmer zurück und empfing nicht mal den Verwalter, wenn der mit einem Bericht zu ihm kam.

Früher besuchte ihn ab und zu mancher von seinen Nachbarn: ein Husarenleutnant a.D., ganz von Pfeifenrauch durchräuchert, oder irgendein radikaler Student, der die Studien nicht abgeschlossen und seine Weisheit aus den modernen Broschüren und Zeitschriften geschöpft hatte. Aber auch dies begann ihn zu langweilen. Ihre Gespräche erschienen ihm allzu oberflächlich, ihr europäisch-ungeniertes Benehmen, das Klopfen aufs Knie, ebenso ihre Schmeichelei und Familiarität kamen ihm allzu ungezwungen und unverblümt vor. Er entschloß sich, alle diese Bekanntschaften aufzugeben und machte das auf eine recht schroffe Weise. Als ihn nämlich einmal der in seinen oberflächlichen Gesprächen über alle möglichen Dinge so angenehme Warwar Nikolajewitsch Wischnepokromow, der den im Aussterben begriffenen Typus der draufgängerischen Obersten und zugleich auch die allerneueste Geistesrichtung repräsentierte, besuchte, um mit ihm nach Herzenslust über alles mögliche zu sprechen: über Politik, Philosophie, Literatur, Moral und sogar den Zustand der englischen Finanzen – ließ er ihm sagen, er sei nicht zu Hause, beging aber zugleich die Unvorsichtigkeit, sich am Fenster zu zeigen. Die Blicke des Hausherrn und des Gastes trafen sich. Der eine murmelte natürlich durch die Zähne: »So ein Vieh!«, und der andere rief ihm gleichfalls etwas wie »Schwein« nach. Damit endeten ihre Beziehungen. Seitdem besuchte ihn kein Mensch mehr.

Er war froh darüber und faßte den Plan zu einem großen Werk über Rußland. Wie er sich diesen Plan überlegte, hat der Leser schon gesehen. In seinem Leben stellte sich eine merkwürdige unordentliche Ordnung ein. Man kann jedoch nicht sagen, daß es keine Augenblicke gegeben hätte, wo er nicht gleichsam aus dem Schlafe erwachte. Wenn die Post ihm Zeitungen und Zeitschriften brachte und er irgendwo den ihm bekannten Namen eines ehemaligen Freundes las, der es im Staatsdienste zu einer ansehnlichen Stellung gebracht hatte oder nach Kräften den Wissenschaften oder der Sache der Menschheit diente, beschlich ein stummer, stiller Schmerz seine Seele, und ihm entrang sich eine traurige, stumme Klage über seine Tatenlosigkeit. In solchen Augenblicken erschien ihm sein Leben widerwärtig und häßlich. Mit ungewöhnlicher Deutlichkeit erstand vor ihm die entschwundene Schulzeit, und er sah vor sich Alexander Petrowitsch … Ströme von Tränen stürzten ihm aus den Augen …

Was bedeuteten diese Tränen? Deckte in ihnen seine krankende Seele das schmerzhafte Geheimnis ihrer Krankheit auf – daß der große Mensch, der im Begriffe war, sich in seinem Innern zu bilden, keine Zeit gehabt hatte, sich zu formen und zu erstarken; daß er, der nicht von Kind auf im Kampfe mit Mißerfolgen erprobt war, noch nicht jenen höheren Zustand erreicht hatte, wo der Mensch gerade durch Hindernisse und Mißerfolge wächst und erstarkt; daß sein reicher Vorrat an großen Gefühlen, der gleich glühendem Metall geschmolzen war, nicht die letzte Härtung bekommen hatte; daß ihm viel zu früh sein ungewöhnlicher Lehrer gestorben war und daß er nun niemand auf der ganzen Welt hatte, der die Kraft hätte, seinen durch ewiges Schwanken erschütterten und jeder Elastizität baren, kraftlosen Willen zu festigen, der seiner Seele anspornend das ermunternde Wort: »Vorwärts!« zuriefe, nach dem jeder Russe von jedem Rang und Stande, auf jeder Lebensstufe dürstet?

 

Wo ist der Mensch, der uns in der Muttersprache unserer russischen Seele das allmächtige Wort: »Vorwärts!« zuzurufen vermöchte? Der uns, mit allen Kräften und Eigenschaften und der ganzen Tiefe unserer Natur vertraut, mit einem einzigen Zauberwink zu einem höheren Leben lenken könnte? Mit welchen Tränen, mit welcher Liebe würde es ihm der dankbare russische Mensch bezahlen! Doch die Jahrhunderte vergehen, schmachvolle Faulheit und die sinnlose Geschäftigkeit eines unreifen Jünglings umfangen . . . und Gott schickt uns nicht den Mann, der dieses Wort zu sprechen vermöchte!

Ein Umstand hätte ihn beinahe geweckt, beinahe hätte sich sein Charakter von Grund auf verändert: er erlebte etwas wie Liebe. Doch die Sache führte zu nichts. In seiner Nachbarschaft, zehn Werst von seinem Gute entfernt, lebte ein General, der, wie wir es schon hörten, nicht allzu günstig über Tjentjetnikow sprach. Der General lebte wie ein richtiger General: hielt ein offenes Haus, liebte es, daß seine Nachbarn ihn besuchten, um ihm ihre Achtung zu bezeugen, erwiderte aber ihre Visiten nicht, sprach mit heiserer Stimme, las Bücher und hatte eine Tochter, ein ungewöhnliches, sonderbares Wesen. Sie war so lebendig wie das Leben selbst.

Ihr Name war Ulinjka. Sie hatte eine recht merkwürdige Erziehung genossen: durch eine englische Gouvernante, die kein Wort Russisch sprach. Ihre Mutter hatte sie sehr früh verloren. Der Vater hatte für sie niemals Zeit. Da er übrigens seine Tochter wahnsinnig liebte, hätte er sie nur verziehen können. Da sie in voller Freiheit herangewachsen war, war alles an ihr trotzig und eigensinnig. Wenn jemand gesehen hätte, wie bei einem plötzlichen Zornausbruch strenge Falten ihre herrliche Stirn durchfurchten und wie hitzig sie mit ihrem Vater stritt, hätte er glauben müssen, sie sei das launischste Geschöpf. Ihr Zorn entbrannte aber nur dann, wenn sie von irgendeiner Ungerechtigkeit oder einer bösen Tat hörte, ganz gleich, an wem sie verübt worden war. Niemals stritt sie aber um ihrer selbst willen, niemals suchte sie sich selbst zu rechtfertigen. Ihr Zorn würde sofort verpuffen, wenn sie den, gegen den sie zürnte, im Unglück sähe. Auf jede Bitte um ein Almosen war sie bereit, wem es auch sei, ihren Beutel mit seinem ganzen Inhalt zuzuwerfen, ohne erst irgendwelche Überlegungen oder Berechnungen anzustellen. Es war etwas Ungestümes an ihr. Wenn sie sprach, so schien sie mit ihrem ganzen Wesen ihren Gedanken nachzueilen, – mit ihrem Gesichtsausdruck, mit ihrem Tonfall, mit ihren Handbewegungen; selbst die Falten ihres Kleides strebten gleichsam in dieselbe Richtung, und man hatte den Eindruck, daß sie gleich selbst ihren eigenen Worten nachfliegen würde. Nichts blieb an ihr verborgen. Vor keinem Menschen scheute sie ihre Gedanken zu äußern, und keine Gewalt vermochte sie zum Schweigen zu bringen, wenn sie sprechen wollte. Ihr bezaubernder, nur ihr allein eigentümlicher Gang war dermaßen frei und sicher, daß ihr jeder unwillkürlich den Weg freigab. In ihrer Gegenwart fühlte sich jeder böse Mensch verlegen und mußte verstummen; der keckste und im Gespräch ungezwungenste Mensch fand in ihrer Gegenwart keine Worte und verlor jede Sicherheit; ein Schüchterner konnte aber mit ihr so lebhaft plaudern, wie er in seinem ganzen Leben noch mit niemand geplaudert hatte, und hatte gleich zu Beginn des Gesprächs den Eindruck, als sei er mit ihr schon einmal irgendwo bekannt gewesen, als hätte er ihre Züge schon einmal gesehen, als hätte er dies in den Tagen der schon vergessenen Kindheit erlebt, in seinem Vaterhause, an einem lustigen Abend, unter freudigen Kinderspielen; und nach einem solchen Gespräch erschien ihm lange noch das vernünftige Alter des Menschen so furchtbar langweilig.

Dasselbe erlebte mit ihr auch Tjentjetnikow. Ein unaussprechliches neues Gefühl drang in seine Seele. Sein langweiliges Leben wurde für einen Augenblick erhellt.

Der General nahm Tjentjetnikow anfangs recht gut und freundlich auf; intim wurden sie jedoch nicht. Ihre Gespräche endeten immer mit einem Streit und einem unangenehmen Gefühl auf beiden Seiten, denn der General liebte keinen Widerspruch; und Tjentjetnikow war auch seinerseits recht empfindlich. Der Tochter zuliebe vergab er natürlich dem Vater vieles, und der Friede zwischen ihnen blieb erhalten, bis einmal der General Besuch von zwei Verwandten erhielt: der Gräfin Bordyrjowa und der Fürstin Jusjakina, zwei Hofdamen des früheren Hofes, die aber noch einige Verbindungen behalten hatten, aus welchem Grunde der General sie auf eine recht gemeine Weise umschmeichelte. Gleich nach ihrer Ankunft kam es Tjentjetnikow vor, daß der General etwas kühler gegen ihn sei, ihn überhaupt nicht beachte oder wie ein stummes Geschöpf behandle; er apostrophierte ihn etwas wegwerfend mit: »Mein Lieber«, »Hör' mal, Bruder«, und selbst mit »du«. Da riß seine Geduld. Er biß jedoch die Zähne zusammen und hatte noch so viel Geistesgegenwart, um mit einer ungemein höflichen und sanften Stimme zu sagen, während auf seinem Gesicht Flecken hervortraten und alles in ihm kochte: »Ich danke Ihnen, General, für Ihre Zuneigung. Mit dem Worte ›du‹ fordern Sie mich zu einer intimeren Freundschaft auf und verpflichten mich, auch zu Ihnen ›du‹ zu sagen. Doch der Unterschied im Alter steht einem solchen familiären Verkehr zwischen uns im Wege.« Der General fühlte sich verlegen. Seine Gedanken sammelnd und nach passenden Worten suchend, sagte er, daß er das Wort »du« nicht in diesem Sinne gebraucht habe und daß es einem alten Manne zuweilen erlaubt sei, einen jüngeren mit »du« anzureden (von seinem Rang sprach er aber kein Wort).

Selbstverständlich hörte darauf jeder Verkehr zwischen ihnen auf, und die Liebe endete gleich bei Beginn. Das Licht, das für eine Weile vor ihm aufgeleuchtet hatte, erlosch, und die nun folgende Dämmerung wurde noch düsterer. Sein Leben nahm die Gestalt an, wie es der Leser zu Beginn dieses Kapitels gesehen hat – er verbrachte es im Liegen und im Müßiggang. In seinem Hause kamen Schmutz und Unordnung auf. Die Bodenbürste blieb tagelang mit dem Kehricht mitten im Zimmer. Die Unterhosen zeigten sich selbst im Salon. Auf dem eleganten Tisch vor dem Sofa lagen schmutzige Hosenträger, gleichsam als Präsent für den Gast, und sein ganzes Leben wurde so unbedeutend und verschlafen, daß ihn nicht nur seine Leibeigenen nicht mehr achteten, sondern auch die Hühner nach ihm pickten. Mit der Feder in der Hand vor einem Blatt Papier sitzend, zeichnete er stundenlang Kringel, Häuschen, Hütten, Bauernwagen und Troikas. Zuweilen vergaß sich aber die Feder und zeichnete ganz von selbst, ohne Wissen ihres Herrn, ein kleines Köpfchen mit feinen Zügen, mit einem schnellen, durchdringenden Blick und einer emporfliegenden Haarflechte, und Tjentjetnikow sah mit Erstaunen das Bildnis des Mädchens erstehen, dessen Porträt wohl kein Künstler hätte malen können. Und es wurde ihm noch trauriger zumute; er glaubte, daß ein Glück auf Erden unmöglich sei, und wurde nur noch trauriger und schweigsamer.

So war der Gemütszustand Andrej Iwanowitschs Tjentjetnikows. Als er einmal nach seiner Gewohnheit am Fenster saß und wie immer hinausblickte, hörte er zu seinem Erstaunen weder den Grigorij noch die Perfiljewna, dafür machte sich im Hofe gegenüber eine gewisse Bewegung und Unruhe bemerkbar. Der Küchenjunge und die Spülfrau liefen hinaus, um das Tor zu öffnen. Im Tore zeigten sich Pferde, ganz wie man sie auf Triumphpforten sieht: eine Schnauze nach rechts, eine Schnauze nach links und eine Schnauze in der Mitte. Über ihnen ragten auf dem Bock ein Kutscher und ein Lakai in einem mit einem Taschentuch umgürteten weiten Rock. Hinter ihnen saß ein Herr in Mantel und Mütze, mit einem regenbogenfarbigen Tuch um den Hals. Als die Equipage vor dem Hauseingange umwendete, zeigte es sich, daß es nichts anderes als ein leichter Reisewagen auf Federn war. Der Herr von einem ungewöhnlich angenehmen Äußern sprang mit einer beinahe militärischen Behendigkeit und Gewandtheit aus dem Wagen.

Andrej Iwanowitsch bekam Angst: er hielt den Herrn für einen Beamten von der Regierung. Es muß erwähnt werden, daß er in seiner Jugend in eine sehr dumme Geschichte hineingeraten war. Zwei Philosophen aus dem Husarenstande, die allerlei Broschüren gelesen hatten, ein Ästhet, der seine Studien nicht abgeschlossen hatte, und ein verkrachter Spieler gründeteneine philanthropische Gesellschaft unter dem Vorsitz eines alten Gauners und Freimaurers, der gleichfalls Kartenspieler war, aber eine ungewöhnliche Rednergabe besaß. Die Gesellschaft verfolgte sehr weitgesteckte Ziele: nämlich der ganzen Menschheit von den Themseufern bis Kamtschatka ein dauerndes Glück zu verschaffen. Sie brauchte dazu kolossale Barmittel, und die großmütigen Mitglieder mußten unglaubliche Summen spenden. Was mit diesem Gelde geschah, wußte nur der Oberleiter allein. In diese Gesellschaft wurde Tjentjetnikow von zwei seiner Freunde hereingezogen, die zur Klasse der »verbitterten« Menschen gehörten; sie waren zwar gute Menschen, aber infolge der vielen Toaste auf die Wissenschaft, die Aufklärung und die der Menschheit in Zukunft zu erweisenden Dienste zu richtigen Säufern geworden. Tjentjetnikow kam bald zur Besinnung und trat aus diesem Kreise aus. Doch die Gesellschaft hatte sich schon auf andere Dinge verlegt, die eines Edelmannes unwürdig sind, und so bekam man es mit der Polizei zu tun … Darum ist es auch kein Wunder, daß er, nach seinem Austritt aus der Gesellschaft und nach Abbruch aller Beziehungen zu ihr, nicht recht ruhig bleiben konnte: sein Gewissen war irgendwie belastet. Nicht ohne Angst blickte er darum auf die Türe, die sich vor ihm öffnete.

Seine Angst verflüchtigte sich aber sofort, als der Gast sich vor ihm mit einer ungewöhnlichen Gewandtheit verbeugte, wobei er den Kopf respektvoll zur Seite geneigt hielt, und ihm in kurzen, doch sicher vorgebrachten Worten erklärte, daß er, wie in Geschäften, so auch von Wißbegierde getrieben, schon seit längerer Zeit Rußland bereise; daß unser Reich, von der Verschiedenheit der Gewerbe und Bodenarten ganz abgesehen, eine ungeheure Menge von bemerkenswerten Dingen aufzuweisen habe; daß ihn die malerische Lage seines Gutes bezaubert habe; daß er aber trotz dieser malerischen Lage sich niemals erlaubt hätte, ihn mit seinem ungelegenen Besuch zu belästigen, wenn nicht seine Equipage infolge der Frühlingsüberschwemmung und der schlechten Straßen einen Bruch erlitten hätte, der die Hilfe von Schmieden und anderen Handwerkern erfordere; und daß er, selbst wenn mit seiner Equipage nichts passiert wäre, sich dennoch nicht das Vergnügen hätte versagen können, ihm persönlich seine Hochachtung zu bezeugen.

Nachdem der Gast diese Rede beendigt hatte, schlug er mit einer bezaubernden Anmut die Hacken seiner in eleganten Halbschuhen aus Glacéleder mit Perlmutterknöpfen steckenden Füße zusammen und prallte gleich darauf, trotz seiner Körperfülle, mit der Leichtigkeit eines Gummiballs etwas zurück.

Andrej Iwanowitsch wurde ruhig und sagte sich, daß es wohl ein wißbegieriger gelehrter Professor sei, der Rußland bereise, um vielleicht irgendwelche Pflanzen oder vielleicht auch Fossilien zu sammeln. Er erklärte sich sofort bereit, ihm in allen Dingen behilflich zu sein; er stellte ihm seine eigenen Handwerker, Wagenbauer und Schmiede zur Verfügung; bat ihn, sich's so bequem zu machen wie im eigenen Hause; setzte ihn in einen bequemen Großvatersessel und machte sich bereit, seinen Vortrag über irgendein naturwissenschaftliches Thema anzuhören.

Der Gast berührte jedoch vorwiegend Erscheinungen der inneren Welt. Er verglich sein Leben mit einem Schiffe mitten im Meere, das von allen Seiten von unbeständigen Winden herumgetrieben wird; er erwähnte, daß er genötigt gewesen sei, mehrere Berufe zu wechseln, daß er für die Wahrheit viel Ungemach erlitten, daß ihm sogar seitens seiner Feinde Lebensgefahr gedroht habe; er erzählte noch viele andere Dinge, die eher von einem Mann des praktischen Lebens zeugten. Zum Schlüsse seiner Rede schneuzte er sich in ein weißes Batisttaschentuch so laut, wie es Andrej Iwanowitsch noch nie gehört hatte. Zuweilen gibt es im Orchester so eine verdammte Trompete: wenn die einen Ton von sich gibt, glaubt man, er sei nicht im Orchester, sondern im eigenen Ohre entstanden. Ein ähnlicher Ton erdröhnte in den aus dem Schlafe erwachten Zimmern, und gleich darauf verbreitete sich der Wohlgeruch von Kölnischem Wasser, der wohl unsichtbar dem Batisttaschentuch, mit dem der Gast fächelte, entströmte.

 

Der Leser hat vielleicht schon erraten, daß der Gast niemand anders war als unser verehrter, von uns schon so lange verlassener Pawel Iwanowitsch Tschitschikow. Er war etwas gealtert: diese Zeit war an ihm wohl nicht ohne Stürme und Unruhe vorübergegangen. Selbst sein Frack schien etwas abgetragen zu sein, auch der Wagen, der Kutscher, der Lakai, die Pferde und das Geschirr sahen etwas abgerieben aus. Man hatte den Eindruck, daß auch seine Finanzlage nicht beneidenswert sei. Doch der Gesichtsausdruck, der feine Anstand und die angenehmen Manieren waren noch dieselben. Er zeigte vielleicht sogar noch mehr Anmut, wenn er, sich in den Sessel setzend, die Füße kreuzte. In seiner Aussprache war noch mehr Weichheit, in seinen Worten und Wendungen noch mehr vorsichtige Mäßigung; er zeigte ein noch feineres Benehmen und noch mehr Takt in allen Dingen. Weißer und reiner als Schnee waren sein Kragen und Vorhemd, und obwohl er direkt aus dem Reisewagen stieg, war an seinem Frack auch nicht ein Federchen zu sehen: man könnte ihn auf der Stelle zu einem Geburtstagsessen einladen. Seine Wangen und sein Kinn waren so sorgfältig rasiert, daß nur ein Blinder ihrer angenehmen Fülle und Rundung seine Bewunderung versagen würde.

Sofort vollzog sich im Hause eine Veränderung. Die eine Hälfte, die bisher blind, mit zugenagelten Laden gelegen hatte, wurde plötzlich sehend und hell. In den nun erleuchteten Zimmern fand jedes Ding seinen Platz, und bald nahm alles folgendes Aussehen an: das Zimmer, das zum Schlafzimmer bestimmt war, nahm die Dinge auf, die man für die Nachttoilette braucht; das Zimmer, das zum Kabinett ausersehen war … zunächst müssen wir aber erwähnen, daß es in diesem Zimmer drei Tische gab: einen Schreibtisch vor dem Sofa, einen Kartentisch zwischen den Fenstern unter dem Spiegel und einen Ecktisch im Winkel zwischen der Schlafzimmertüre und der Türe, die zu dem unbewohnten Saal mit invaliden Möbeln führte, welcher schon seit einem Jahr von niemand betreten worden war und jetzt als Vorzimmer dienen sollte. Auf diesem Ecktische fanden die aus dem Koffer hervorgeholten Kleidungsstücke Platz, und zwar: eine Frackhose, eine neue Hose, eine graue Hose, zwei Samt- und zwei Atlaswesten und ein Rock. Alle diese Gegenstände wurden zu einer Pyramide aufgeschichtet und oben mit einem seidenen Taschentuche zugedeckt. In der anderen Ecke, zwischen der Türe und dem Fenster, wurden in schöner Reihe die Stiefel aufgestellt: ein nicht ganz neues Paar, ein ganz neues Paar, ein Paar Lackhalbschuhe und ein Paar Morgenschuhe. Auch sie wurden schamhaft mit einem seidenen Taschentuch zugedeckt, so daß man von ihnen überhaupt nichts sah. Auf den Schreibtisch kamen in der schönsten Ordnung folgende Gegenstände: die Schatulle, eine Flasche Kölnisches Wasser, ein Kalender und zwei Romane; beides zweite Bände. Die reine Wäsche kam in die Kommode, die sich schon im Schlafzimmer befand; die Wäsche aber, die der Waschfrau übergeben werden sollte, wurde zu einem Bündel zusammengebunden und unter das Bett gesteckt. Auch der nun geleerte Koffer kam unter das Bett. Der Säbel, den er mitzuführen pflegte, um den Dieben Angst einzujagen, kam gleichfalls ins Schlafzimmer, auf einen Nagel in der Nähe des Bettes. Alles sah plötzlich ungewöhnlich sauber und ordentlich aus. Kein Papierchen, kein Federchen, kein Stäubchen lag auf dem Boden. Selbst die Luft wurde gleichsam edler: sie nahm den angenehmen Geruch eines gesunden, frischen Mannes an, der seine Wäsche nicht zu lange trägt, regelmäßig das Dampfbad besucht und sich an Sonntagen mit einem nassen Schwamm abreibt. Im Vorsaale wollte sich schon der Geruch des Lakaien Petruschka festsetzen, aber Petruschka wurde bald, so wie es sich gehörte, in die Küche umlogiert.

In den ersten Tagen fürchtete Andrej Iwanowitsch für seine Unabhängigkeit: der Gast könnte ihm seine Freiheit nehmen, irgendwelche Veränderungen in seine Lebensweise einführen und seine so glücklich aufgestellte Tagesordnung stören; diese Befürchtungen erwiesen sich aber als unbegründet. Unser Pawel Iwanowitsch zeigte eine ungewöhnliche Fähigkeit, sich an alles anzupassen. Er lobte die philosophische Bedächtigkeit seines Gastgebers und sagte, sie verspreche ein Leben von hundert Jahren. Über seine Vereinsamung äußerte er sich sehr glücklich, nämlich in dem Sinne, daß sie die großen Gedanken im Menschen nähre. Nachdem er einen Blick auf die Bibliothek geworfen und sich über die Bücher im allgemeinen sehr lobend ausgesprochen hatte, bemerkte er, daß sie den Menschen vor Müßiggang bewahren. Er verlor nicht viel Worte, aber alles, was er sagte, hatte Hand und Fuß. In seinen Handlungen war er noch tadelloser. Er kam und ging immer zur rechten Zeit; bemühte den Hausherrn mit keinen Fragen, wenn dieser nicht gern sprechen wollte; spielte mit Vergnügen mit ihm Schach und schwieg auch mit dem gleichen Vergnügen. Während der eine den Pfeifenrauch in schönen Wolken aufsteigen ließ, suchte sich der andere, welcher keine Pfeife rauchte, eine entsprechende Beschäftigung: er holte zum Beispiel seine Schnupftabakdose aus Tulasilber hervor, hielt sie zwischen zwei Fingern seiner linken Hand fest und versetzte sie mit einem Finger der rechten Hand in Rotation, die der des Erdballs um seine Achse glich; oder er trommelte auf ihr mit dem Finger und pfiff etwas dazu. Mit einem Wort, er störte den Hausherrn nicht im geringsten. »Ich sehe zum erstenmal einen Menschen, mit dem man leben kann,« sagte sich Tjentjetnikow. »Diese Kunst ist bei uns im allgemeinen wenig verbreitet. Es gibt unter uns wohl genug kluge, gebildete und gute Menschen, aber Menschen von stets gleichmäßigem Charakter, Menschen, mit denen man sein Leben lang auskommen kann, ohne sich mit ihnen zu entzweien – ich weiß nicht, ob es bei uns viele solche Menschen gibt. Dieser ist der erste, den ich sehe.« So äußerte sich Tjentjetnikow über seinen Gast.

Tschitschikow war seinerseits sehr froh darüber, daß er sich für eine Zeitlang bei einem so friedlichen und ruhigen Herrn niedergelassen hatte. Das Zigeunerleben hatte er nun ordentlich satt. Sich wenigstens einen Monat in dem schönen Dorfe, angesichts der Felder und des eben beginnenden Frühjahrs auszuruhen, war sogar in Hinsicht auf die Hämorrhoiden von Nutzen.

Einen schöneren Winkel zum Ausruhen hätte man schwer finden können. Der von Frösten spät aufgehaltene Frühling zeigte sich plötzlich in seiner ganzen Schönheit, und überall regte sich neues Leben. Schon blaute es in den Waldlichtungen, und auf dem frischen Smaragdgrün der Wiesen leuchtete gelber Löwenzahn und neigten lila und rosa Anemonen ihre zarten Köpfchen. Über den Sümpfen zeigten sich Schwärme von Eintagsfliegen und Mengen anderer Insekten; sie wurden schon von den Wasserspinnen gejagt, und allerlei Vögel versammelten sich im trockenen Schilfe. Alles versammelte sich, um einander in der Nähe zu sehen. Plötzlich war die Erde bevölkert, plötzlich waren die Wälder erwacht, und in den Wiesen begann es zu summen und zu tönen. Im Dorfe tanzte man Reigen. Es war ein Vergnügen, sich im Freien aufzuhalten. Wie grell leuchtete das Grün! Wie frisch war die Luft! Wie laut zwitscherten die Vögel in den Gärten! Ein Paradies, ein Jauchzen und Jubilieren der ganzen Kreatur! Das Dorf tönte und sang wie bei einer Hochzeit.