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Die toten Seelen

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Es ist den Lesern schon bekannt, daß Tschitschikow um seine Nachkommen sehr besorgt war. Das ist ein äußerst subtiles Thema! Gar mancher würde vielleicht nicht so tief in eine fremde Tasche greifen, wenn ihm nicht ganz von selbst die Frage käme: »Und was werden die Kinder sagen?« Und der künftige Stammvater schielt wie ein vorsichtiger Kater mit dem einen Auge zur Seite, ob ihn der Hausherr nicht beobachtet, und ergreift eilig alles, was gerade in der Nähe ist: Seife, Kerzen, Speck, oder einen Kanarienvogel, der ihm unter die Pfoten kommt, mit einem Worte, er läßt sich nichts entgehen. So jammerte und weinte unser Held, und doch stand seine Gehirntätigkeit keinen Augenblick still; in seinem Kopfe wollte unablässig etwas entstehen, was nur noch auf einen Plan wartete. Er schrumpfte wieder zusammen, begann wieder hart zu arbeiten, schränkte sich wieder in allen Dingen ein und sank wieder aus der Reinheit und der anständigen Position zu einem schmutzigen und niedrigen Dasein hinab. In Erwartung eines besseren war er gezwungen, den Beruf eines Rechtskonsulenten zu ergreifen – einen Beruf, der sich bei uns noch nicht recht eingebürgert hat: so ein Rechtskonsulent wird von allen Seiten herumgestoßen, von den kleinen Beamten und selbst von seinen Klienten verachtet und ist verurteilt, wie ein Lakai in den Vorzimmern herumzusitzen und jede Grobheit über sich ergehen zu lassen; doch die Not zwang ihn dazu. Unter anderem wurde er mit der Aufgabe betraut, einige hundert Bauern beim Vormundschaftsgericht zu verpfänden. Das Gut war gänzlich ruiniert; die Schuld am Ruin waren Viehseuchen, betrügerische Verwalter, Mißernten, Epidemien, an denen die besten Arbeiter starben, und nicht zuletzt die Dummheit des Gutsbesitzers selbst, der sich in Moskau ein Haus nach der neuesten Mode eingerichtet und für diese Einrichtung sein ganzes Vermögen bis zur letzten Kopeke aufgebraucht hatte, so daß ihm zuletzt nichts zum Essen blieb. Aus diesem Grunde mußte er das letzte ihm noch gebliebene Gut verpfänden. Verpfändungen bei der Krone waren damals noch eine neue Sache, zu der man sich nicht ohne eine gewisse Angst entschloß. Nachdem Tschitschikow als Bevollmächtigter des Gutsbesitzers alle in Betracht kommenden Personen günstig gestimmt hatte (ohne diese Stimmungsmache kann man bei uns bekanntlich nicht mal eine gewöhnliche Auskunft einholen: eine Flasche Madeira pro Kopf ist dabei das mindeste) – nachdem er also alle günstig gestimmt hatte, brachte er unter anderem folgenden Umstand zur Sprache: »Die Hälfte der Bauern ist ausgestorben; ob man nicht deswegen hinterher Schwierigkeiten hat?« – »Aber sie stehen doch noch auf der Revisionsliste?« fragte der Sekretär. – »Ja, auf der Liste stehen sie schon«, antwortete Tschitschikow. – »Was haben Sie dann solche Angst?« sagte der Sekretär. »Der eine stirbt, ein anderer kommt zur Welt, beide taugen gleich fürs Feld.« Der Sekretär verstand offenbar auch in Reimen zu sprechen. Unserem Helden kam aber der genialste Gedanke, der je einem Menschen in den Sinn gekommen ist. »Ach ich Dummkopf!« sagte er zu sich selbst. »Ich suche meine Handschuhe, und die stecken beide in meinem Gürtel! Wenn ich von solchen Gestorbenen vor Einreichung der neuen Revisionslisten, sagen wir, tausend Stück kaufe und sie beim Vormundschaftsgericht zu, sagen wir, zweihundert Rubel verpfände, so habe ich gleich zweihunderttausend Rubel Kapital! Jetzt ist aber die geeignetste Zeit: es hat eben eine Epidemie gegeben, und es sind, Gott sei Dank, genug Menschen gestorben. Die Gutsbesitzer haben ihre Vermögen am Kartentisch verloren, haben ordentlich gebummelt und sind ruiniert; alles geht nach Petersburg und tritt in den Staatsdienst: die Güter sind verlassen und werden elend verwaltet, und den Besitzern wird es mit jedem Jahre schwerer, die Steuern zu bezahlen; ein jeder wird mir darum mit Freuden seine gestorbenen Bauern abtreten, um keine Steuern für sie bezahlen zu müssen; mancher wird mir vielleicht noch was draufzahlen. Das ist natürlich recht schwierig und mühevoll und auch nicht ungefährlich, denn es kann daraus eine neue Geschichte entstehen. Aber dazu hat der Mensch seinen Verstand! Das Gute dabei ist, daß die Sache so unwahrscheinlich klingt und niemand es glauben wollen wird. Allerdings kann man sie ohne Land weder kaufen noch verpfänden. Ich werde sie aber zwecks Übersiedlung kaufen; im Taurischen und Cherssoner Gouvernement bekommt man jetzt Land so gut wie umsonst, wenn man nur Bauern zum Ansiedeln hat. Dort will ich sie auch alle ansiedeln! Ins Cherssoner Gouvernement mit ihnen! Sollen sie da wohnen! Die Übersiedlung kann ich auf vollkommen gesetzliche Weise machen, ganz wie es sich gehört, durch das Gericht. Und wenn sie die Bauern auf ihre Tauglichkeit hin untersuchen wollen, so habe ich nichts dagegen, warum denn nicht? Ich kann auch ein Attest mit eigenhändiger Unterschrift irgendeines Polizeihauptmannsbeibringen. Den Besitz kann ich ›Tschitschikows Dorf‹ nennen oder auch nach meinem Taufnamen ›Pawlowskoje‹.« So entstand im Kopfe unseres Helden dieser seltsame Plan; ich weiß nicht, ob meine Leser ihm dafür dankbar sein werden, der Verfasser weiß aber gar nicht, wie er ihm danken soll, denn wäre Tschitschikow nicht auf diesen Gedanken gekommen, so hätte dieses Poem wohl nie erscheinen können.

Nach russischer Sitte bekreuzigte er sich erst und schritt dann an die Ausführung. Unter dem Vorwande, sich einen Wohnort auswählen zu wollen, und auch unter anderen Vorwänden, nahm er sich vor, verschiedene Gegenden unseres Landes aufzusuchen, und zwar in erster Linie solche, die von Unglück, wie Mißernten, Seuchen usw., betroffen waren, mit einem Worte Gegenden, wo er die Leute, die er brauchte, billig kaufen könnte. Er wandte sich nicht aufs Geratewohl an jeden beliebigen Gutsbesitzer, sondern wählte sich die Leute nach seinem Geschmack, d. h. solche, mit denen sich ähnliche Geschäfte mit möglichst wenig Schwierigkeiten machen ließen, wobei er immer zunächst versuchte, mit ihnen bekannt zu werden und sie günstig zu stimmen, um die Bauern womöglich nicht durch Kauf, sondern als Geschenk zu bekommen. Der Leser darf es daher dem Autor nicht übelnehmen, wenn die Personen, die bisher aufgetreten sind, seinem Geschmack nicht entsprechen: das ist Tschitschikows Schuld; er ist hier der Herr, und wir müssen ihm folgen, wohin es ihm beliebt. Und wenn uns vorgeworfen wird, daß die Personen und Charaktere blaß und unscheinbar seien, so werden wir unsererseits sagen, daß man beim Anfang einer Sache niemals ihren weiteren Verlauf und Umfang ermessen kann. Auch der Einzug in eine Stadt, selbst in eine Residenz, ist immer irgendwie blaß: man sieht erst endlose rauchgeschwärzte Werke und Fabriken, und dann erst erscheinen die Ecken der sechsstöckigen Häuser, die Geschäftsläden, Aushängeschilder, die riesenhaften Perspektiven der Straßen voller Glockentürme, Säulen, Statuen, Türme, mit ihrem Glanz, Lärm und Dröhnen und allem, was der Gedanke und die Hand des Menschen geschaffen; haben. Wie die ersten Käufe zustande kamen, hat der Leser schon gesehen; wie die Sache weiter gehen wird, welche Erfolge und Mißerfolge den Helden erwarten, auf welche Weise er schwierigere Hindernisse bewältigen wird, wie gewaltige Bilder auftauchen, wie die verborgenen Hebel der weitläufigen Erzählung in Bewegung treten werden, wie ihr Horizont sich erweitern und wie sie selbst einen majestätischen lyrischen Verlauf nehmen wird – das wird er später sehen. Ein weiter Weg liegt noch vor unserer Reisegesellschaft, die aus dem Herrn mittleren Alters, dem Wagen, wie ihn Junggesellen zu benützen pflegen, dem Lakai Petruschka, dem Kutscher Sselifan und den drei Pferden besteht, die dem Leser auch schon ihren Namen nach, vom »Assessor« bis zum niederträchtigen Schecken, bekannt sind. So steht also unser Held vor uns da! Vielleicht wird man von uns noch einen letzten charakteristischen Pinselstrich verlangen: was ist er in bezug auf seine moralischen Qualitäten? Daß er kein von Tugenden und Vollkommenheiten erfüllter Held ist, ist ohne weiteres klar. Was ist er dann? Ein Schurke? Warum denn Schurke? Warum soll man gegen seine Nächsten so streng sein? Heutzutage gibt es bei uns keine Schurken mehr: es gibt nur wohlgesinnte, angenehme Menschen; aber solche, die mit ihrem Gesicht eine Ohrfeige der gesamten Öffentlichkeit herausfordern, kann man höchstens zwei oder drei finden; und auch diese sprechen heute schon von der Tugend. Am richtigsten wäre Tschitschikow mit guter Hauswirt und Erwerber zu bezeichnen. Der Erwerbssinn ist an allem schuld: er treibt den Menschen zu Geschäften, die die Welt »nicht ganz sauber« nennt. In einem solchen Charakter liegt allerdings etwas Abstoßendes, und der gleiche Leser, der auf seinem Lebenswege mit einem solchen Menschen verkehrt und recht angenehm die Zeit verbringt, wird ihn scheel anblicken, wenn er ihn im Helden eines Dramas oder eines Poems wiedererkennt. Weise ist aber derjenige, der sich von keinem Charakter abstoßen läßt, sondern seinen prüfenden Blick in ihn versenkt und ihn bis zu seinen Urgründen erforscht. So schnell wandelt sich alles im Menschen: ehe man sich's versieht, ist in seinem Innern ein schrecklicher Wurm gewachsen, der gebieterisch alle seine Lebenssäfte aufsaugt. So oft geschah es schon, daß nicht mal eine große, sondern eine ganz kleine und nichtige Leidenschaft in einem zu besseren Taten geborenen Menschen gewaltig anwuchs und ihn zwang, seine großen und heiligen Pflichten zu vergessen und in wertlosen Narrenschellen Großes und Heiliges zu sehen. Zahllos wie der Sand am Meere sind die menschlichen Leidenschaften, keine gleicht der anderen, und alle, wie die niedrigen so die edlen, die anfangs dem Menschen untertan sind, werden später zu seinen schrecklichen und unumschränkten Gebietern. Selig ist, der sich die schönste der Leidenschaften erkoren hat: seine grenzenlose Seligkeit wächst und verzehnfacht sich von Stunde zu Stunde, und er dringt immer tiefer in das unendliche Paradies seiner Seele ein. Es gibt aber Leidenschaften, deren Wahl nicht vom Menschen abhängt. Sie werden mit ihm in der Stunde seiner eigenen Geburt geboren, und es ist ihm nicht die Kraft gegeben, sich von ihnen zu befreien. Sie werden von höheren Absichten gelenkt, und es ist in ihnen etwas, was ewig ruft und nie im Leben verstummt. Es ist ihnen bestimmt, eine große irdische Laufbahn zu vollenden, ganz gleich, ob in finsterer Gestalt oder als eine die ganze Welt erfreuende lichte Erscheinung vorbeischwebend – sie sind in gleicher Weise zum Wohl der Menschen, das ihnen aber unbekannt ist, heraufbeschworen worden. Vielleicht hängt auch die Leidenschaft, die Tschitschikow treibt, gar nicht von ihm ab, vielleicht steckt in seiner kalten Existenz etwas, was einst den Menschen in den Staub und auf die Knie zwingen wird vor der Weisheit des Himmels. Und es ist noch ein Geheimnis, warum diese Gestalt in diesem, heute erscheinenden Poem auftritt.

 

Doch das ist nicht traurig, daß man mit unserem Helden unzufrieden sein wird; traurig ist, daß in der Seele die Gewißheit wohnt, daß die Leser mit dem gleichen Tschitschikow auch zufrieden sein könnten. Hätte der Autor ihm nicht so tief in die Seele geblickt, hätte er nicht daran gerührt, was der Aufmerksamkeit der Welt entgeht und sich verbirgt, hätte er nicht die geheimsten Gedanken enthüllt, die kein Mensch einem anderen anvertraut, hätte er ihn so gezeigt, wie er der ganzen Stadt, Manilow und den anderen erschienen war – so wären alle höchst zufrieden und hielten ihn für einen interessanten Menschen. Sein Antlitz, seine Gestalt wären dann allerdings nicht so lebendig; dafür wäre die Seele des Lesers nach der Lektüre durch nichts erregt, und alle könnten sich wieder dem Kartentisch zuwenden, dem Trost des ganzen russischen Landes. Ja, meine guten Leser, ihr wollt die menschliche Dürftigkeit nicht gerne enthüllt sehen. »Wozu?« fragt ihr. »Wozu das alles? Wissen wir denn nicht selbst, daß es im Leben viel Verächtliches und Dummes gibt? Auch ohnehin müssen wir oft Dinge sehen, die gar nicht tröstlich sind. Zeigt uns doch lieber das Schöne, das Anziehende. Wir wollen uns lieber vergessen!« – »Warum erzählst du mir, daß die Wirtschaft schlecht geht, Bruder?« sagt der Gutsbesitzer zum Verwalter. »Das weiß ich auch ohne dich, Bruder; weißt du mir denn nichts anderes zu erzählen? Laß mich doch dies alles vergessen, es nicht wissen – dann bin ich glücklich.« Und nun wird das Geld, das die Wirtschaft einigermaßen in Ordnung bringen könnte, zu verschiedenen Mitteln verwendet, die dem Gutsbesitzer helfen sollen, sich zu vergessen; das Gut kommt aber plötzlich zur öffentlichen Versteigerung – und der Gutsbesitzer kann sich nun am Bettelstab vergessen, mit einer Seele, die zu Gemeinheiten fähig ist, vor denen er früher selbst erschauert wäre.

Der Autor wird sich auch noch Vorwürfe seitens der sogenannten Patrioten zuziehen, die ruhig zu Hause hocken und sich mit den gleichgültigsten Dingen abgeben, indem sie sich Vermögen erwerben und ihr Schicksal auf Kosten der anderen gestalten; sobald aber etwas geschieht, was nach ihrer Meinung das Vaterland beleidigt, wenn irgendein Buch erscheint, das manche bittere Wahrheit enthält – so kommen sie aus allen ihren Ecken gelaufen, wie die Spinnen, wenn sie sehen, daß eine Fliege in ihr Netz geraten ist, und sie erheben ein Geschrei: »Ist es denn gut, dies ans Tageslicht zu bringen, es offen zu verkünden? Alles, was hier beschrieben ist, gehört ja uns – ist das gut? Was werden die Ausländer sagen? Ist es denn angenehm, ungünstige Meinungen über sich selbst zu hören? Man denkt wohl, es tue uns nicht weh? Man denkt wohl, daß wir keine Patrioten seien?« Auf diese weisen Einwendungen, insbesondere hinsichtlich der Ausländer, weiß ich nichts zu antworten. Höchstens folgendes: In einem entlegenen Winkel Bußlands lebten einmal zwei Bürger. Der eine war ein Familienvater, namens Kifa Mokijewitsch, ein Mann von sanftem Gemüt, der sein ganzes Leben im Schlafrocke verbrachte. Um seine Familie kümmerte er sich nicht viel; sein Dasein war mehr spekulativ und mit folgender Frage, die er eine philosophische nannte, beschäftigt: »Man nehme zum Beispiel das Tier«, sagte er, in seinem Zimmer auf und ab gehend:»Das Tier wird ganz nackt geboren. Warum nackt? Warum anders als der Vogel: warum schlüpft es nicht aus einem Ei? Es ist wirklich seltsam … wenn man in die Natur tiefer eindringt, kann man sie gar nicht begreifen!« So dachte der Bürger Kifa Mokijewitsch. Aber das ist noch nicht die Hauptsache. Der andere Bürger war Mokij Kifowitsch, sein leiblicher Sohn. Er war das, was man in Rußland einen Helden nennt, und während sein Vater sich mit der Geburt des Tieres beschäftigte, wollte sich dieser zwanzigjährige, breitschulterige Mensch entfalten und austoben. Er verstand keine Sache leicht anzufassen: entweder ging jemand der Arm entzwei, oder eine Nase bekam eine Beule. Zu Hause und in der Nachbarschaft liefen alle, von dem leibeigenen Mädel bis zum Hofhund, wenn sie ihn sahen, davon; selbst sein eigenes Bett im Schlafzimmer haute er in Stücke. So war dieser Mokij Kifowitsch beschaffen, sonst war er aber eine gute Seele. Doch auch das ist noch nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist folgendes: »Ach bitte, Väterchen, gnädiger Herr, Kifa Mokijewitsch,« sagten zum Vater die eigenen und die fremden Leibeigenen, »was hast du für einen Mokij Kifowitsch? Er läßt niemand in Ruhe, dieser Bedrücker!« – »Ja, etwas mutwillig ist er schon«, pflegte der Vater darauf zu sagen: »Aber was soll ich mit ihm anfangen? Hauen kann ich ihn nicht mehr, dazu ist er zu groß, auch würde man mir Grausamkeit vorwerfen; er ist aber empfindlich und ehrgeizig: wenn ich ihm in Gegenwart eines oder zweier Menschen einen Vorwurf mache, wird er gleich ruhiger werden; aber die Öffentlichkeit ist so eine Sache – ein wahres Unglück! Wenn die Stadt es erfährt, werden ihn alle einen Hund nennen. Denken sich die Leute, daß mir das nicht weh tut? Bin ich nicht sein Vater? Folgt denn daraus, daß ich mich mit Philosophie beschäftige und zuweilen auch keine Zeit habe, daß ich nicht sein Vater bin? Aber ich bin doch sein Vater! Sein Vater, hol' mich der Teufel! Mokij Kifowitsch sitzt mir hier im tiefsten Herzen!« Kifa Mokijewitsch schlug sich bei diesen Worten kräftig auf die Brust und geriet in Ekstase. »Wenn er schon als Hund dastehen soll, so sollen es die Menschen nicht von mir erfahren, und ich will nicht sein Verräter sein!« Und nachdem er ein so starkes väterliches Gefühl zeigte, ließ er Mokij Kifowitsch seine Heldentaten fortsetzen und wandte sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung zu, indem er sich wieder eine ähnliche Frage vorlegte: »Nun, wenn der Elefant aus einem Ei ausschlüpfte, so müßte die Eierschale so dick sein, daß man sie auch mit einer Kanone nicht zertrümmern könnte; man müßte ein neues Geschütz erfinden.« So verbrachten ihr Leben diese beiden Bewohner eines friedlichen Winkels, die am Schlusse unseres Poems so unerwartet aus dem Fenster blicken, und zwar eigens, um ihre bescheidene Antwort auf den Vorwurf gewisser hitziger Patrioten zu geben, die sich vorläufig ruhig mit irgendeiner Philosophie oder mit Bereicherung auf Kosten des von ihnen so zärtlich geliebten Vaterlandes abgeben und nicht darum besorgt sind, daß man nichts Böses tue, sondern nur darum, daß die Menschen nicht sagen, sie täten etwasBöses. Doch nein, weder der Patriotismus noch jenes erste Gefühl sind der Grund der Anklagen; hinter ihnen steckt etwas anderes. Warum sollte ich es auch verheimlichen? Wer soll die heilige Wahrheit aussprechen, wenn nicht der Autor? Ihr fürchtet einen tiefen, auf euch gerichteten Blick, ihr fürchtet, auch selbst einen durchdringenden Blick auf etwas zu richten, ihr liebt es, mit den Augen gedankenlos über die Dinge zu gleiten. Ihr werdet auch über Tschitschikow von Herzen lachen; vielleicht werdet ihr sogar den Autor loben und sagen: »Das hat er aber wirklich fein beobachtet! Er muß doch sicher ein lustiger Herr sein!« Nach diesen Worten werdet ihr euch mit doppeltem Stolze euch selbst zuwenden, ein selbstzufriedenes Lächeln wird eure Lippen umspielen, und ihr werdet hinzufügen: »Man muß doch zugeben, daß es in gewissen Provinzen höchst seltsame und höchst drollige Menschen gibt und recht große Schurken dabei!« Wer von uns wird aber, von christlicher Demut erfüllt, nicht laut, sondern in aller Stille, allein, während seiner einsamen Zwiegespräche mit sich selbst in der Tiefe seiner eigenen Seele diese schwere Frage stellen: »Steckt nicht auch in mir ein Stück von diesem Tschitschikow?« Warum nicht gar! Wenn in diesem Augenblick einer seiner Bekannten, der weder ein allzu hohes noch ein allzu niedriges Amt bekleidet, an ihm vorbeigeht, so wird er sofort seinen Nachbar anstoßen und ihm sagen, vor Lachen beinahe wiehernd: »Schau, schau, da ist Tschitschikow, Tschitschikow ist eben vorübergegangen!« Dann wird er ihm, jeden Anstand vergessend, den er seinem Range und seinen Jahren schuldig ist, wie ein Kind nachlaufen und ihn necken: »Tschitschikow! Tschitschikow! Tschitschikow!«

Wir haben aber eben zu laut gesprochen und vergessen, daß unser Held, der, während wir seine Geschichte erzählten, geschlafen hat, schon aufgewacht ist und leicht seinen Familiennamen hören kann, den wir so oft wiederholten. Er ist aber ein empfindlicher Mensch und liebt es nicht, daß man von ihm respektlos spricht. Dem Leser ist es recht gleichgültig, ob Tschitschikow ihm zürnt oder nicht; was aber den Autor betrifft, so darf er sich unter keinen Umständen mit seinem Helden entzweien: sie haben noch einen weiten Weg Hand in Hand zurückzulegen; zwei große Teile des Poems liegen noch vor ihnen, und das ist keine Kleinigkeit.

»Ach Gott! Was ist denn mit dir los?« sagte Tschitschikow zu Sselifan: »Du? … «

»Was?« entgegnete Sselifan langsam.

»Was? Ein Gänserich bist du! Wie fährst du bloß? Rühr' dich!«

Sselifan hielt schon in der Tat seit geraumer Zeit die Augen geschlossen und schlug nur hier und da im Halbschlafe die gleichfalls duselnden Pferde mit den Zügeln auf die Seiten; Petruschka hatte schon längst, Gott weiß wo, seine Mütze verloren, hatte sich ganz zurückgelehnt und seinen Kopf gegen Tschitschikows Knie gedrückt, so daß ihm dieser einen Nasenstüber geben mußte. Sselifan wurde munter, gab dem Schecken einige ordentliche Peitschenhiebe, worauf jener einen Trab anschlug, fuchtelte dann mit der Peitsche über den Rücken des ganzen Dreigespanns und sagte mit hoher, singender Stimme: »Nur keine Angst!« Die Pferdchen kamen in Schwung und sausten mit dem federleichten Wagen dahin. Sselifan schwang bloß die Peitsche und rief: »Hü! Hü! Hü!« Er hüpfte elastisch auf dem Bocke, während die Troika die Hügel, mit denen die Landstraße übersät war, bald hinaufflog und bald wieder hinuntersauste. Tschitschikow lächelte nur, während er auf seinem Lederkissen leicht emporflog, denn er liebte das schnelle Fahren. Und welcher Russe liebt das schnelle Fahren nicht? Sollte seine Seele, die immer danach strebt, sich von einem Wirbel fortreißen zu lassen und zuweilen zu sagen: »Hol doch alles der Teufel!« – sollte seine Seele das schnelle Fahren nicht lieben! Sollte sie es nicht lieben, wo doch daraus etwas Begeisterndes und Wundersames tönt? Es ist, als hätte dich eine unbekannte Gewalt auf ihren Flügel gehoben, du fliegst selbst dahin, und alles fliegt: es fliegen die Werstpfähle, es fliegen die Kaufleute auf ihren Wagensitzen, es fliegt zu beiden Seiten der Wald mit den dunklen Reihen der Tannen und Fichten, mit dem Klopfen der Äxte und dem Gekrächze der Krähen; es fliegt die ganze Straße in die Gott weiß wo verschwindende Ferne; etwas Schreckliches ist in diesem schnellen Vorbeifliegen, wo der entschwindende Gegenstand keine Zeit hat, deutliche Formen anzunehmen, wo nur der Himmel über dem Kopfe, die leichten Wolken und der durchbrechende Mond allein unbeweglich erscheinen. Ach, du Troika, du schneller Vogel! Wer hat dich erdacht? Nur bei einem kecken Volke konntest du zur Welt kommen, in einem Lande, das keinen Spaß versteht, das sich als unendliche Ebene über die halbe Welt breitet – nun geh und zähle die Werstpfähle, bis es dir vor den Augen flimmert. Gar nicht schlau ersonnen siehst du aus, Fahrzeug, keine eiserne Schraube hält dich zusammen, in aller Eile hat dich bloß mit Beil und Meißel ein flinker Jaroslawischer Bauer gebaut und zusammengezimmert. Der Kutscher hat keine deutschen Stulpenstiefel an den Füßen: Vollbart und Fausthandschuhe sind sein einziger Schmuck, und er sitzt der Teufel weiß worauf; wenn er aber aufsteht, mit der Peitsche ausholt und ein Lied anstimmt – so rasen die Pferde wie ein Sturm dahin, die Speichen fließen zu einer glatten Scheibe zusammen – die Straße erzittert, der Fußgänger bleibt erschrocken stehen und schreit auf – und schon fliegt die Troika dahin, sie fliegt, sie fliegt! … Und schon sieht man in der Ferne etwas stauben und die Luft durchbohren.

Fliegst nicht auch du, Rußland, wie eine schnelle Troika, die niemand einholen kann, dahin? Wie Rauch staubt unter dir die Straße, die Brücken dröhnen, alles bleibt zurück! Der vom göttlichen Wunder erschütterte Zuschauer bleibt stehen: ist es nicht ein vom Himmel geschleuderter Blitz? Was bedeutet diese erschreckende Bewegung? Was für eine unbekannte Gewalt liegt in diesen von der Welt noch nie gesehenen Rossen? Ach, ihr Rosse, was seid ihr für Rosse! Sitzen Wirbelstürme in euren Mähnen? Zittert ein wachsames Ohr in jeder eurer Ader? Ihr hört von oben das euch bekannte Lied erklingen, ihr spannt einträchtig eure ehernen Brüste und verwandelt euch, fast ohne die Erde mit den Hufen zu berühren, in bloße langgestreckte Linien, und die Troika rast wie von Gott begeistert dahin! … Rußland, wohin fliegst du? Gib Antwort! Es gibt keine Antwort. Wunderbar klingen die Schellen; es dröhnt die in Stücke gerissene Luft und wird zu Wind; alles auf Erden fliegt vorbei, und alle anderen Völker und Staaten treten zur Seite und weichen ihr aus.