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Die toten Seelen

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Man kann jedoch nicht behaupten, daß die Natur unseres Helden so rauh und hart, daß seine Gefühle so abgestumpft gewesen wären, daß er weder Mitleid noch Barmherzigkeit gekannt habe. Weder das eine noch das andere Gefühl waren ihm fremd; er wäre sogar bereit, seinen Nächsten zu helfen, doch diese Hilfe durfte nicht in größeren Geldsummen bestehen, denn er wollte um keinen Preis das Geld antasten, das er beschlossen hatte, nicht anzutasten; mit einem Worte, der väterliche Rat: »spare jede Kopeke« trug seine Frucht. Er hing aber am Gelde nicht des Geldes wegen; es waren nicht Geiz und Gier, die ihn bewegten. Er hatte ganz andere Beweggründe: ihm schwebte ein Leben mit allen Genüssen und Freuden vor: Equipagen, ein gut eingerichtetes Haus, schmackhaftes Essen – das war es, was seine Gedanken unausgesetzt beschäftigte. Um später einmal, mit der Zeit, dies alles kosten zu können, sparte er jede Kopeke, die er vorläufig sich selbst und den anderen versagte. Wenn an ihm irgendein reicher Mann in einem schönen Rennwagen, mit Trabern in prunkvollem Geschirr, vorüberfuhr, blieb er wie angewurzelt stehen und sagte später, wie aus einem tiefen Traume erwachend: »Und er war doch ein gewöhnlicher Kontorist und trug das Kopfhaar auf Bauernart geschnitten!« Alles, was nach Reichtum und Wohlstand schmeckte, machte auf ihn einen Eindruck, den er sich selbst nicht zu erklären vermochte. Nachdem er die Schule verlassen, wollte er sich auch nicht die kürzeste Ruhe gönnen: so stark war sein Wunsch, so schnell als möglich an die Arbeit zu gehen und in den Dienst zu treten. Trotz der lobenden Atteste gelang es ihm nur mit großer Mühe, einen Posten am Rentamte zu bekommen: auch in der entlegensten Provinz braucht man nämlich Protektion! Der Posten war recht unbedeutend und mit einem Gehalt von nur dreißig oder vierzig Rubel im Jahre verbunden. Er war aber fest entschlossen, sich mit dem größten Eifer dem Dienste zu widmen, alles zu besiegen und zu überwinden. Er zeigte auch in der Tat eine unerhörte Selbstaufopferung, Geduld und Genügsamkeit. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend saß er, ohne die geringste geistige oder körperliche Ermüdung, in die Kanzleipapiere vertieft und schrieb; er ging nicht nach Hause, schlief auf den Kanzleitischen, aß oft mit den Kanzleidienern zu Mittag und brachte es bei alledem doch fertig, die größte Reinlichkeit zu beobachten, sich anständig zu kleiden, seinem Gesicht einen angenehmen Ausdruck und seinen Bewegungen einen gewissen Adel zu verleihen. Es muß erwähnt werden, daß die Rentamtsbeamten sich durch besondere Unansehnlichkeit und Häßlichkeit auszeichneten. Die Gesichter mancher von ihnen erinnerten an ein schlecht gebackenes Brot; die eine Backe war geschwollen, das Kinn ragte in die entgegengesetzte Seite, die Oberlippe war zu einer Blase aufgedunsen, die zudem auch noch gesprungen war; mit einem Wort, sie sahen gar nicht schön aus. Sie sprachen alle mit rauher Stimme, als wollten sie jemand verprügeln; sie opferten oft dem Gotte Bacchus und zeigten auf diese Weise, daß in der Natur der Slaven noch vieles Heidnische erhalten geblieben ist; sie kamen zuweilen sogar angetrunken in den Dienst, so daß in den Amtsräumen eine unangenehme Stimmung herrschte und die Luft durchaus nicht aromatisch war. Unter solchen Beamten mußte Tschitschikow, der sich von ihnen wie durch sein angenehmes Gesicht, so auch durch die freundliche Stimme und die strengste Abstinenz unterschied und auszeichnete, unbedingt auffallen. Und doch machte er seine Karriere nur mit der größten Mühe. Er bekam einen alten Abteilungsvorstand zum Vorgesetzten, der ein Muster steinerner Gefühllosigkeit und Unerschütterlichkeit war; ewig unnahbar, hatte er noch niemals gelächelt und niemand selbst mit einer einfachen Frage nach dem Befinden begrüßt. Noch niemals hatte ihn jemand anders gesehen, nicht einmal auf der Straße, nicht einmal zu Hause; wenn er doch wenigstens einmal Teilnahme für etwas gezeigt hätte! Wenn er sich doch wenigstens einmal betrunken und im Trunke gelacht hätte! Wenn er sich doch wenigstens einmal der wilden Ausgelassenheit hingegeben hätte, der sich selbst ein Räuber im Rausche hingibt! – Von alledem sah man bei ihm keine Spur. Er war überhaupt aller Eigenschaften bar, wie der bösen, so auch der guten, und dieser Mangel machte einen grauenhaften Eindruck. Sein hartes, wie aus Marmor gemeißeltes Gesicht, das nicht die geringste Unregelmäßigkeit aufwies, erinnerte an kein anderes Menschengesicht; alle seine Züge waren streng proportioniert. Nur die vielen Pockennarben und Unebenheiten, die sein Gesicht übersäten, machten es zu einem jener Gesichter, auf denen, wie der Volksmund sich ausdrückt, der Teufel nachts Erbsen drischt. Man sollte annehmen, daß kein Mensch es fertigbringen könnte, die Neigung dieses Menschen zu gewinnen; aber Tschitschikow machte dennoch einen Versuch. Zuerst bemühte er sich, ihm in allerlei Kleinigkeiten gefällig zu sein: er studierte sorgfältig, wie die Federn zugeschnitten waren, mit denen der Vorgesetzte zu schreiben pflegte, schnitt dann einige Stück auf die gleiche Art zu und legte ihm immer eine hin, so oft er eine brauchte; er blies und wischte den Streusand und Tabak von seinem Tische weg; er schaffte einen neuen Putzlappen für sein Tintenfaß an; er brachte heraus, wo jener seine Mütze, die elendeste Mütze, die es je auf der Welt gegeben hat, hinzuhängen pflegte und legte sie jedesmal einen Augenblick vor Schluß der Amtsstunden neben ihn; er putzte ihm den Rücken, wenn er sich an der Wand mit Kalk beschmiert hatte. Dies alles blieb aber völlig unbemerkt, als wäre es überhaupt nicht unternommen worden. Endlich erfuhr Tschitschikow einiges über das Familienleben seines Vorgesetzten: daß er eine ältliche Tochter hatte mit einem Gesicht, auf dem wohl gleichfalls der Teufel nachts Erbsen zu dreschen pflegte. An diesem Punkte unternahm er nun seinen Angriff. Er stellte fest, welche Kirche diese Tochter an Sonntagen zu besuchen pflegte und pflanzte sich dann immer, sauber gekleidet, mit steif gestärktem Vorhemd, ihr gegenüber auf. Dies hatte Erfolg: der strenge Abteilungsvorstand konnte dem nicht widerstehen und lud ihn zum Tee ein! Ehe die Kanzleikollegen es sich versahen, gedieh die Sache so weit, daß Tschitschikow zu ihm ins Haus zog und darin zum unentbehrlichsten Menschen wurde: er kaufte Mehl und Zucker ein, behandelte die Tochter als seine Braut, nannte den Abteilungsvorstand Papachen und küßte ihm die Hand. Das ganze Rentamt war überzeugt, daß Ende Februar, vor dem großen Fasten, die Hochzeit stattfinden würde. Der strenge Abteilungsvorstand verwendete sich sogar für ihn bei der vorgesetzten Behörde, und Tschitschikow bekam nach einiger Zeit, als es gerade eine Vakanz gab, selbst den Posten eines Abteilungsvorstandes. Darin bestand wohl auch der Hauptzweck seiner Verbindung mit dem alten Abteilungsvorstand; denn er ließ dann sofort seinen Koffer heimlich zu sich nach Hause schaffen und befand sich schon am nächsten Tage in einer anderen Wohnung. Er hörte auf, den Abteilungsvorstand Papachen zu nennen und ihm die Hand zu küssen; und die Hochzeit kam überhaupt nicht mehr zur Sprache, als wäre von ihr überhaupt nie die Rede gewesen. Sooft er aber dem alten Abteilungsvorstand begegnete, drückte er ihm freundlich die Hand und lud ihn zu einer Tasse Tee ein, so daß der Alte trotz seiner ewigen Unbeweglichkeit und verstockten Gleichgültigkeit jedesmal den Kopf schüttelte und in den Bart brummte: »Betrogen, betrogen hat er mich, der Teufelssohn!«

Das war die schwierigste Schwelle, die er zu überschreiten hatte. Von nun an ging die Sache viel leichter und erfolgreicher. Er lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Man nahm an ihm alles wahr, was man in dieser Welt braucht: Anmut in den Manieren und Handlungen und Tüchtigkeit in Geschäften. Mit diesen Mitteln ausgerüstet, erlangte er in kürzester Zeit das, was man ein warmes Plätzchen nennt, und machte davon denkbar besten Gebrauch. Man muß nämlich wissen, daß man um jene Zeit die Bestechlichkeit mit den strengsten Mitteln zu bekämpfen begann. Tschitschikow fürchtete diese Bekämpfung nicht und nützte sie sofort zu seinem eigenen Vorteil aus, wobei er die echt russische Erfindungsgabe zeigte, die nur unter dem Drucke von Verfolgungen erblüht. Er machte die Sache wie folgt: wenn ein Bittsteller kam und die Hand in die Tasche steckte, um einige der bekannten Empfehlungsbriefe mit der Unterschrift des Fürsten Chowanskij, wie man bei uns in Rußland die Banknoten zu nennen pflegt, hervorzuholen, faßte er den Besucher bei der Hand und sagte mit einem Lächeln: »Nein, nein! Sie glauben wohl, daß ich … Nein, nein! Das ist unsere Pflicht, unsere Schuldigkeit; das müssen wir ohne jede Bezahlung tun! In dieser Beziehung können Sie ganz unbesorgt sein: die Sache wird morgen erledigt werden. Darf ich Sie um Ihre Adresse bitten? Sie brauchen sich nicht mehr herzubemühen: alles wird Ihnen ins Haus geschickt.« Der entzückte Bittsteller kehrt fast begeistert nach Hause zurück und denkt sich: – Da ist endlich ein Mensch, wie wir solche möglichst viel haben müßten! Ein wahrer Edelstein! – Der Bittsteller wartet aber einen Tag, einen zweiten – er bekommt nichts ins Haus zugestellt; auch am dritten Tage nicht. Er geht in die Kanzlei – in seiner Sache ist noch nichts geschehen; er wendet sich an den Edelstein selbst. »Ach, entschuldigen Sie!« sagt Tschitschikow äußerst höflich, indem er die beiden Hände des Besuchers ergreift: »Wir hatten so viel zu tun, aber morgen wird es erledigt werden, morgen, ganz bestimmt! Ich muß mich wirklich genieren!« Alle diese Worte begleitete er mit den bezauberndsten Gesten. Wenn dabei der Schlafrock aufging, so suchte die Hand die Sache sofort gutzumachen und den Rockschoß festzuhalten. Aber auch morgen und übermorgen und auch am dritten Tage bekam der Bittsteller nichts ins Haus gebracht. Nun wird er nachdenklich: »Hat die Sache vielleicht doch einen Haken?« Er erkundigt sich und erfährt, daß man den Schreibern etwas geben muß. »Warum sollte ich ihnen nichts geben? Auf ein paar Fünfundzwanzigkopekenstücke kommt es mir nicht an.« – »Nein, die Schreiber kriegen keine Fünfundzwanzigkopekenstücke, sondern je fünfundzwanzig Rubel.« – »Was, je fünfundzwanzig Rubel für die Schreiber?!« ruft der Bittsteller aus. – »Was ereifern Sie sich so?« antwortet man ihm: »Es ist ganz in Ordnung: die Schreiber bekommen je fünfundzwanzig Kopeken, und der Rest geht an den Amtsvorstand.« Der einfältige Bittsteller versetzt sich einen Klaps auf die Stirn und schimpft, was er schimpfen kann, auf die neue Ordnung: auf den Kampf gegen die Bestechlichkeit und auf die höflichen, veredelten Umgangsformen der Beamten. »Früher wußte man wenigstens, was man zu tun hatte: man gab dem Amtsvorstand einen Zehnrubelschein, und die Sache war erledigt; heute muß man aber einem jeden fünfundzwanzig Rubel geben und verliert obendrein eine ganze Woche, ehe man darauf kommt! Hol der Teufel diese Unbestechlichkeit und die edle Gesinnung der Beamten!« Der Bittsteller hat natürlich recht; dafür gibt es jetzt aber keine bestechlichen Beamten; alle Amtsvorstände sind die ehrlichsten und edelsten Menschen; und nur die Sekretäre und die Schreiber sind Spitzbuben. Bald bot sich jedoch Tschitschikow ein viel weiteres Feld für seine Tätigkeit: es wurde eine Kommission zur Errichtung irgendeines sehr großen Amtsgebäudes eingesetzt. Es gelang ihm, bei dieser Kommission unterzukommen, und er wurde zu einem ihrer tätigsten Mitglieder. Die Kommission machte sich unverzüglich an die Sache. Sechs Jahre plagte sie sich mit dem Amtsgebäude ab; aber entweder war das Klima ungünstig, oder lag es an der Beschaffenheit der Baumaterialien – jedenfalls kam der Bau nicht über das Fundament hinaus. Indessen hatte schon jedes der Kommissionsmitglieder an einem anderen Ende der Stadt sein sehr hübsches Haus von bürgerlicher Architektur: offenbar war dort der Boden günstiger. Die Kommissionsmitglieder fingen an, im Wohlstande zu leben und Familien zu gründen. Erst jetzt begann Tschitschikow, sich allmählich von den strengen Fesseln der Enthaltsamkeit und der unerbittlichenSelbstlosigkeit zu befreien. Erst jetzt milderte er seine strengen Fasten, und nun zeigte es sich, daß ihm durchaus kein Verständnis für alle die Genüsse fehlte, deren er sich in den Jahren seiner feurigen Jugend, wo sonst kein Mensch Herr über sich selbst ist, zu enthalten verstanden hatte. Er entfaltete sogar einen gewissen Luxus: er schaffte sich einen recht guten Koch und feine Hemden aus holländischem Leinen an. Auch kaufte er sich für seine Anzüge ein Tuch, wie es nur wenige Leute im Gouvernement trugen; aus dieser Zeit stammt auch seine Vorliebe für die braunen und rötlichen Tuchsorten mit Glanz; schon hatte er sich ein vorzügliches Paar Pferde angeschafft und hielt bei seinen Ausfahrten einen der Zügel mit eigener Hand, damit das eine Beipferd sich wie ein Aal winde; schon gewöhnte er sich die Manier an, sich mit einem in verdünnte Eau de Cologne getauchten Schwamm abzureiben; schon kaufte er eine gewisse gar nicht billige Seife, die der Haut eine wunderbare Glätte verlieh; schon …

 

Plötzlich wurde aber an Stelle der alten Schlafmütze ein neuer Vorgesetzter ernannt, ein strenger Herr vom Militär, ein Feind jeder Bestechlichkeit und Unredlichkeit. Gleich am ersten Tage nach seiner Ernennung jagte er allen Beamten ohne Ausnahme Angst ein, verlangte Rechenschaftsberichte, stellte auf Schritt und Tritt Fehlbeträge fest, entdeckte sofort auch die Häuser von der schönen bürgerlichen Architektur – und das Spiel ging los. Die Beamten wurden entlassen; die Häuser kamen an den Staat und wurden in allerlei wohltätige Anstalten und Kantonistenschulen umgewandelt; alles wurde zerrupft, und Tschitschikow bekam mehr als die anderen ab. Sein Gesicht mißfiel plötzlich trotz seiner angenehmen Züge dem Vorgesetzten – warum eigentlich, weiß Gott allein: zuweilen geschieht so was ohne jeglichen Grund – und er fing an, Tschitschikow wie den Tod zu hassen. Der unerbittliche Vorgesetzte wütete entsetzlich. Da er aber immerhin ein Militär war und folglich alle Schliche des Zivildienstes nicht kannte, so gelang es bald anderen Beamten mit Hilfe ihres ehrlichen Aussehens und der Kunst, ihm gefällig zu sein, seine Gnade zu erwerben, und der General geriet bald in die Gewalt noch größerer Schurken, die er aber gar nicht für solche hielt; er war sogar zufrieden, daß er die richtigen Leute gefunden hatte, und prahlte sogar ernsthaft mit seiner Kunst, fähige Menschen zu entdecken. Die Beamten erfaßten schnell seinen Charakter und seinen Geist. Alle seine Untergebenen wurden zu verschworenen Gegnern jeder Unredlichkeit; sie verfolgten sie in allen Dingen so, wie der Fischer mit seiner Harpune einen fetten Hausen verfolgt; sie verfolgten sie mit solchem Eifer, daß ein jeder von ihnen bald ein Kapital von mehreren tausend Rubel beisammen hatte. Um diese Zeit bekehrten sich auch viele von den früheren Beamten zur Redlichkeit und wurden wieder in den Dienst genommen. Tschitschikow allein gelang es nicht, wieder in den Dienst zu treten; wie sehr sich für ihn auch der erste Sekretär des Generals, der es wunderbar verstand, seinen Vorgesetzten an der Nase herumzuführen, unter dem Einflusse der Empfehlungsbriefe des Fürsten Chowanskij einsetzte – in diesem Falle konnte er nichts ausrichten. Der General war ein Mensch, der sich wohl an der Nase herumführen ließ (doch ohne sein Wissen); wenn sich aber ein Gedanke in seinem Kopf festsetzte, so saß er darin so fest wie ein eiserner Nagel und ließ sich mit keiner Zange herausziehen. Alles, was der kluge Sekretär ausrichten konnte, war, daß Tschitschikows alte beschmutzte Dienstliste vernichtet wurde; und auch das hatte er beim General nur durch einen Appell an sein Mitleid erreicht, indem er ihm in den lebhaftesten Farben das rührende Schicksal der unglücklichen Familie Tschitschikows ausmalte, die jener glücklicherweise gar nicht besaß.

»Was ist da zu machen!« sagte Tschitschikow: »Die Sache ist einmal vorbeigelungen – punktum! Weinen nützt nichts, man muß handeln.« Und er entschloß sich, seine Karriere von neuem zu beginnen, sich aufs neue mit Geduld zu wappnen, sich wieder in allen Dingen einzuschränken, so angenehm sein Leben vorher auch war. Er mußte in eine andere Stadt ziehen und sich dort berühmt machen. Das wollte ihm lange Zeit nicht gelingen. Zwei oder drei Posten mußte er schnell hintereinander wechseln. Diese Posten waren irgendwie schmutzig und erniedrigend. Es muß hier festgestellt werden, daß Tschitschikow der reinlichste und heikelste Mensch auf Erden war. Obwohl er anfangs auch in einer unsauberen Gesellschaft hatte verkehren müssen, bewahrte er seine Seele doch immer rein, hielt darauf, daß in den Kanzleien lackierte Tische waren und daß alles anständig aussah. Niemals erlaubte er sich im Gespräch ein unanständiges Wort und fühlte sich immer verletzt, wenn er in den Worten der anderen den schuldigen Respekt vor Titel und Würden vermißte. Ich glaube, es wird dem Leser angenehm sein, zu erfahren, daß er jeden zweiten Tag die Wäsche wechselte, im Sommer aber, während der heißesten Monate, sogar jeden Tag: jeder irgendwie unangenehme Geruch beleidigte ihn. Aus diesem Grunde pflegte er sich jedesmal, wenn Petruschka erschien, um ihm beim Auskleiden behilflich zu sein und die Stiefel auszuziehen, eine Gewürznelke in die Nase zu stecken; in vielen Dingen waren seine Nerven so empfindlich wie die eines jungen Mädchens; darum fiel es ihm so schwer, wieder in die Gesellschaftsschichten hinabzusteigen, wo es nach Schnaps und schlechten Manieren roch. So sehr er sich auch zusammennahm, er magerte infolge dieser Widerwärtigkeiten ab und bekam sogar eine grünliche Gesichtsfarbe. Hatte er ja schon angefangen, dick zu werden und die rundlichen und angenehmen Formen anzunehmen, mit denen ihn der Leser kennengelernt hat; gar oft hatte er schon bei einem Blick in den Spiegel an allerlei Angenehmes gedacht: an ein junges Weibchen, an eine Kinderstube, und diesen Gedanken folgte stets ein Lächeln; als er aber jetzt einmal zufällig in den Spiegel blickte, konnte er sich nicht des Ausrufes enthalten: »Heilige Mutter Gottes! Wie garstig ich geworden bin!« Nachher wollte er lange Zeit nicht mehr in den Spiegel blicken. Doch unser Held trug alles tapfer und geduldig; schließlich bekam er eine Stellung beim Zollamt. Es ist zu erwähnen, daß diese Tätigkeit schon längst der Gegenstand seiner geheimen Gedanken war. Er sah, was die Zollbeamten sich für elegante ausländische Sächelchen zulegten, was für Porzellan und Batist sie ihren Gevatterinnen, Tanten und Schwestern schickten. Mehr als einmal hatte er schon seufzend ausgerufen: »Ach, wenn ich da eine Anstellung bekommen könnte: man sitzt dicht an der Grenze und hat mit gebildeten Menschen zu tun, und was für feine holländische Hemden kann man sich da anschaffen!« Es muß hinzugefügt werden, daß er dabei auch noch an eine gewisse Sorte französischer Seife dachte, welche der Haut eine ungewöhnliche Weiße und den Wangen eine herrliche Frische verlieh; wie diese Seife hieß, weiß Gott allein, er vermutete aber, daß sie an der Grenze anzutreffen war. Er wollte also schon längst in den Zolldienst treten, wurde aber noch von verschiedenen augenblicklichen Vorteilen an der Baukommission festgehalten; er sagte sich mit Recht, daß das Zollamt allenfalls doch nur eine Taube auf dem Dache, die Kommission aber der Sperling in der Hand sei. Jetzt aber wollte er, koste es, was es wolle, im Zolldienste unterkommen, und er erreichte es auch. Er machte sich ans Werk mit ungewöhnlichem Eifer. Das Schicksal selbst schien ihn zum Zollbeamten bestimmt zu haben. Eine solche Geschicklichkeit, einen solchen Scharfblick hatte man nicht nur niemals gesehen, man hatte von ihnen nicht mal gehört. Nach drei, vier Wochen hatte er sich bereits eine solche Tüchtigkeit in der Zollbranche angeeignet, daß er rein alles wußte: ohne zu messen und zu wiegen, erkannte er schon nach der Faktur, wieviel Ellen Tuch oder anderen Stoff ein Ballen enthielt; wenn er ein Paket bloß in die Hand nahm, konnte er sofort sagen, wieviel Pfund es wog. Was aber die Durchsuchung des Gepäcks betrifft, so hatte er darin, wie sich selbst seine Kollegen ausdrückten, die Nase eines Spürhundes: man mußte staunen, wenn man die Geduld sah, mit der er jeden Knopf betastete; und dies alles machte er mit einer geradezu mörderischen Kaltblütigkeit und einer unerhörten Höflichkeit. Während die von ihm durchsuchten Reisenden vor Wut rasten, aus der Haut fuhren und die böse Lust verspürten, ihm sein angenehmes Gesicht durch Nasenstüber zu verunstalten, sagte er nur, ohne das Gesicht zu verziehen und ohne etwas von seiner Liebenswürdigkeit zu verlieren: »Wollen Sie sich nicht bemühen und ein wenig aufstehen?«, oder: »Wollen Sie sich nicht, gnädige Frau, ins Nebenzimmer begeben? Die Gattin eines unserer Beamten wird mit Ihnen einige Worte wechseln«; oder: »Gestatten Sie, daß ich Ihnen das Unterfutter Ihres Mantels mit meinem Messer ein wenig auftrenne.« Und mit diesen Worten zog er Schals und Tücher hervor, so kaltblütig, wie aus seinem eigenen Koffer. Selbst die Vorgesetzten meinten, er sei ein Teufel und kein Mensch: er fand die Konterbande in Wagenrädern, Deichseln, Pferdeohren und an weiß Gott was für Stellen, in die kein Dichter hineinlangen würde, und in die hineinzulangen es höchstens einem Zollbeamten erlaubt ist; der arme Reisende, der über die Grenze gekommen, blieb dann einige Minuten wie vor den Kopf geschlagen; er wischte sich den Schweiß ab, der seinen ganzen Körper wie ein Ausschlag bedeckte, bekreuzigte sich und sagte bloß: »Na, na!« Seine Lage glich außerordentlich der eines Schuljungen, der eben aus dem geheimen Gemach gelaufen kommt, wohin ihn der Lehrer gerufen, um ihm eine kleine Belehrung zu erteilen und ihm statt dessen ganz unerwartet eine Portion Ruten verabreicht hat. In kürzester Zeit hatte er den Schmugglern das Leben ganz unmöglich gemacht. Er war der Schrecken und die Verzweiflung der ganzen polnischen Judenschaft. Seine Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit waren unüberwindlich, beinahe unnatürlich. Er legte sich nicht einmal ein kleines Kapital aus den konfiszierten Waren und den den Reisenden abgenommenen Gegenständen an, die, zur Vermeidung unnötiger Schreibereien, an den Staat nicht abgeliefert wurden. Solch ein eifriger und uneigennütziger Dienst mußte zum Gegenstand des allgemeinen Staunens werden und schließlich auch der höchsten Behörde zu Ohren kommen. Er erhielt einen Titel, wurde befördert und reichte bald darauf ein Projekt ein, wie man alle Schmuggler einfangen könnte; dabei bat er nur um die Ermächtigung, das Projekt selbst zu verwirklichen. Man erteilte ihm sofort den Oberbefehl und das unbeschränkte Recht, allerlei Untersuchungen anzustellen. Das war alles, was er brauchte. Um jene Zeit hatte sich gerade eine planmäßig organisierte, mächtige Schmugglergesellschaft gebildet; das freche Unternehmen versprach Millionen abzuwerfen. Tschitschikow hatte schon längst Kenntnis von der Sache, und als die Gesellschaft ihn durch Abgesandte zu bestechen versuchte, ging er darauf sogar nicht ein und sagte trocken: »Es ist noch nicht Zeit.« Als er aber alle Vollmachten in Händen hatte, ließ er sofort der Gesellschaft ansagen: »Jetzt ist es Zeit.« Sein Plan war mehr als sicher. Er hatte die Möglichkeit, in einem Jahre mehr zu verdienen als in zwanzig Jahren des eifrigsten Dienstes. Früher wollte er mit den Schmugglern nichts zu tun haben, weil er da nur eine untergeordnete Rolle spielen und nicht viel hätte verdienen können; doch jetzt … jetzt war es eine ganz andere Sache: jetzt konnte er beliebige Bedingungen diktieren. Damit die Sache glatter vonstatten gehe, überredete er einen anderen Beamten, seinen Kollegen, der, obwohl er schon ergraut war, der Versuchung nicht widerstehen konnte. Das Abkommen wurde geschlossen, und die Gesellschaft machte sich ans Werk. Ihre ersten Schritte hatten den glänzendsten Erfolg. Der Leser hat schon sicher jene, oft wiedererzählte Geschichte von der klug erdachten Reise spanischer Hammel gehört, die die Grenze in doppelten Fellen überschritten und dabei für eine Million Brabanter Spitzen hinüberschmuggelten. Diese Geschichte spielte sich gerade zu der Zeit ab, als Tschitschikow beim Zollamt diente. Wäre er nicht selbst an diesem Unternehmen beteiligt gewesen, so hätte kein Jude in der ganzen Welt diesen Streich verüben können. Nach drei oder vier solchen Grenzüberschreitungen der Hammel hatten die beiden Beamten je vierhunderttausend Rubel Kapital. Tschitschikow soll sogar über fünfhunderttausend gehabt haben, da er geschickter war als der andere. Gott allein weiß, welch eine Riesenziffer diese gesegneten Summen erreicht hätten, wenn nicht ein böser Zufall in die Quere gekommen wäre. Der Teufel nahm den beiden Beamten jede Vernunft: sie wurden einfach verrückt und gerieten ohne jeglichen triftigen Grund in Streit. In einem hitzigen Gespräch, vielleicht auch in einem etwas trunkenen Zustande, nannte Tschitschikow den anderen Beamten einen Popensohn; jener war zwar wirklich ein Popensohn, fühlte sich aber, Gott weiß warum, auf einmal furchtbar verletzt und gab ihm sofort eine außerordentlich scharfe Abfuhr; er sagte nämlich: »Nein, du lügst: ich bin Staatsrat und kein Popensohn; du aber bist ein Popensohn!« Um ihn noch mehr zu ärgern, fügte er hinzu: »Ja, so ist's!« Obwohl er Tschitschikow auf diese Weise ordentlich seine Meinung gesagt und den beleidigenden Ausdruck mit einer Retourkutsche zurückgegeben hatte, und obwohl die Wendung: »Ja, so ist's!« stark genug war, begnügte er sich nicht damit und schickte außerdem noch eine geheime Anzeige an die vorgesetzte Behörde. Man sagt übrigens, sie hätten auch ohnehin einen Streit wegen eines frischen jungen Weibes gehabt, das, wie sich die Zollbeamten ausdrückten, so fest wie eine Zaunrübe war; es sollen sogar ein paar Männer gedungen worden sein, um unseren Helden eines Abends in einer dunklen Gasse zu verhauen; die beiden Beamten hätten aber nichts erreicht, und das Weib sei einem gewissen Stabshauptmann Schamscharjow zugefallen. Wie es sich in Wahrheit verhielt, weiß Gott allein; der Leser kann, wenn er Lust hat, die Geschichte selbst weiter ausspinnen. Die Hauptsache aber ist, daß ihre geheimen Verbindungen mit den Schmugglern zu offenbaren wurden. Der Staatsrat ging zwar selbst zugrunde, stürzte aber auch seinen Kollegen ins Verderben. Die Beamten kamen vor Gericht, man beschlagnahmte alles, was sie hatten, und das Ganze kam so unerwartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Erst als sie wie aus einem Rausche erwachten, merkten sie, was sie angestellt hatten. Der Staatsrat konnte dem Schicksal nicht standhalten und ging irgendwo in der gottvergessenen Provinz zugrunde, der Kollegienrat aber ging nicht unter. Er verstand es, trotz der feinen Witterung der Beamten, die mit der Untersuchung betraut waren, einen Teil des Geldes auf die Seite zu schaffen; er wandte alle Schliche seiner großen Erfahrung und seiner ganzen Menschenkenntnis an: hier ging er mit seinen angenehmen Manieren vor, dort mit rührenden Reden; hier beräucherte er die Beamten mit Schmeichelei, die niemals schaden kann, dort steckte er einem etwas Geld zu; mit einem Worte, er machte die Sache so, daß er einen weniger entehrenden Abschied bekam als sein Kollege und dem Kriminalgericht entging. Doch vom Kapital und von all den ausländischen Sächelchen blieb ihm so gut wie nichts zurück: für diese Dinge hatten sich andere Liebhaber gefunden. Es blieben ihm nur an die zehntausend Rubel, die er sich für die Stunde der Not zurückgelegt hatte, zwei Dutzend holländische Hemden, der kleine Wagen, wie ihn die Junggesellen zu benutzen pflegen, und zwei Leibeigene: der Kutscher Sselifan und der Lakai Petruschka; außerdem hatten ihm die Zollbeamten aus lauter Herzensgüte fünf oder sechs Stück Seife zur Erhaltung der Frische seiner Wangen gelassen – das war alles. In einer solchen Lage befand sich nun unser Held! Ein so schweres Ungemach war plötzlich über ihn hereingebrochen! Dies nannte er, ein Opfer seiner Redlichkeit sein. Nun hätte man meinen sollen, er würde sich nach diesen Stürmen, Prüfungen, Schicksalsschlägen und Plagen mit den ihm gebliebenen letzten zehntausend Rubelchen in irgendeine entlegene friedliche Kreisstadt zurückziehen und dort in einem Schlafrock aus Kattun vor dem Fenster eines niedrigen Häuschens für immer eintrocknen, an Sonntagen die Raufereien der Bauern vor seinen Fenstern schlichten, oder mal zur Abwechslung einen Spaziergang nach dem Hühnerstall machen, um persönlich das für die Suppe bestimmte Huhn zu betasten und auf diese Weise sein stilles, doch in seiner Art nicht nutzloses Leben beschließen. Es kam aber anders. Man muß seiner unüberwindlichen Charakterstärke jede Anerkennung zollen. Nach allen diesen Erlebnissen, die genügt hätten, um einen Menschen, wenn nicht umzubringen, so doch jedenfalls für immer abzukühlen und zu demütigen, war in ihm seine ungeheure Leidenschaftlichkeit dennoch nicht erloschen. Er härmte sich ab, er ärgerte sich, er murrte gegen die ganze Welt, zürnte dem ungerechten Schicksal, empörte sich über die ungerechten Menschen und konnte sich doch nicht versagen, neue Versuche zu unternehmen. Mit einem Worte, er zeigte eine Geduld, gegen die die hölzerne Geduld des Deutschen, die schon von seinem langsamen Blutumlauf bedingt wird, gar nichts ist. Das Blut Tschitschikows wallte dagegen lebhaft, und er mußte seinen ganzen zielbewußten Willen zusammennehmen, um alles, was sich aus ihm drängte und nach Freiheit lechzte, im Zaume zu halten. Er stellte Betrachtungen an, denen eine gewisse Richtigkeit nicht abzusprechen ist: »Warum mußte ich es sein? Warum ist das Unglück über mich hereingebrochen? Welcher Beamte schläft jetzt und denkt nicht an Erwerb? Ich habe doch keinen Menschen unglücklich gemacht: ich habe keine Witwe beraubt, habe niemand an den Bettelstab gebracht; ich habe nur vom Überflusse geschöpft; ich nahm dort, wo auch jeder andere an meiner Stelle genommen hätte; hätte ich es nicht genommen, so täten es die anderen. Warum sollen die anderen ihr Leben genießen, und warum soll ich wie ein Wurm zugrunde gehen? Was bin ich jetzt? Wozu tauge ich noch? Mit welchen Augen kann ich jetzt einem achtbaren Familienvater ins Gesicht sehen? Wie soll ich keine Gewissensbisse empfinden, wo ich weiß, daß ich die Erde unnütz belaste? Und was werden einmal meine Kinder sagen? – ›Unser Vater,‹ werden sie sagen, ›war ein gemeiner Kerl: er hat uns gar kein Vermögen hinterlassen!‹«