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Die toten Seelen

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Kapitel 8

Tschitschikows Käufe waren bereits zu einem Stadtgespräch geworden. In der Stadt sprach und diskutierte man viel darüber, ob es vorteilhaft sei, Bauern ohne Land zwecks Übersiedlung zu kaufen. Unter den Ansichten, die bei diesen Debatten geäußert wurden, zeichneten sich viele durch große Sachkenntnis aus. »Gewiß,« sagten manche, »dagegen läßt sich nicht streiten: das Land in den südlichen Gouvernements ist wirklich gut und fruchtbar; wie werden aber die Bauern Tschitschikows ohne Wasser leben können? Es gibt dort ja keinerlei Fluß.« – »Das ist noch das geringste, daß es dort kein Wasser gibt; das wäre noch nicht so schlimm, Stepan Dmitrijewitsch; aber die Ansiedlung selbst ist eine unsichere Sache. Man weiß ja, wie so ein Bauer ist: wenn er in eine ganz neue Gegend gebracht wird und Ackerbau treiben soll, aber nichts hat – weder Haus noch Hof –, so brennt er durch, so gewiß, wie zweimal zwei vier ist; er brennt durch, und man findet nicht mal seine Spur. – »Nein, Alexej Iwanowitsch, Sie erlauben schon: ich bin mit Ihrer Ansicht, daß Tschitschikows Bauer durchbrennen wird, nicht einverstanden. Der Russe ist zu allem fähig und gewöhnt sich an jedes Klima. Wenn Sie ihn auch nach Kamtschatka schicken und ihm nur ein Paar warme Handschuhe geben, so wird er erst die Hände gegeneinander klopfen, dann die Axt nehmen und sich ein neues Haus zimmern.« – »Du hast aber etwas sehr Wichtiges außer acht gelassen, Iwan Grigorjewitsch, du hast gar nicht gefragt, was für Leute die Tschitschikowschen Bauern sind. Du hast vergessen, daß der Gutsbesitzer einen guten Bauern nicht verkaufen wird: ich setze meinen Kopf dafür ein, daß Tschitschikows Bauern lauter Diebe, Säufer und Faulenzer von äußerst ausgelassenem Betragen sind.« – »Gewiß, dem stimme ich zu, daß kein Gutsbesitzer gute Bauern verkaufen wird und daß Tschitschikows Bauern Säufer sind; aber man muß in Betracht ziehen, daß gerade hierin die Moral steckt: jetzt sind sie Taugenichtse, wenn sie aber in eine neue Gegend kommen, können sie plötzlich zu ausgezeichneten Untertanen werden. Dafür hat es in der Welt nicht wenig Beispiele gegeben, und auch in der Weltgeschichte … « – »Das wird niemals sein,« sagte der Direktor der Staatsfabriken, »glauben Sie mir: niemals. Denn die Bauern Tschitschikows werden zwei mächtige Feinde vor sich haben. Der erste Feind ist die Nähe der kleinrussischen Gouvernements, wo bekanntlich freier Branntweinverkauf besteht. Ich versichere Sie: in zwei Wochen werden sie dem Suff erliegen. Der andere Feind ist aber der Hang zum Vagabundenleben, den die Bauern während der Übersiedlung erwerben. Tschitschikow müßte sie immer beaufsichtigen, sehr streng halten und für jede Bagatelle bestrafen; und zwar dürfte er sich dabei nicht auf einen anderen verlassen, sondern alles selbst tun und persönlich die Ohrfeigen und Genickstöße austeilen.« – »Warum soll sich denn Tschitschikow selbst damit abgeben und die Genickstöße austeilen? Er kann sich ja auch einen Verwalter nehmen.« – »Ja, finden Sie ihm einen Verwalter: die sind alle Spitzbuben.« – »Sie sind Spitzbuben, weil sich die Herren selbst nicht um die Sache kümmern.« – »Das stimmt!« bestätigten viele. »Wenn der Herr auch nur etwas von der Wirtschaft versteht und einige Menschenkenntnis hat, so findet er immer einen guten Verwalter.« – Der Direktor der Staatsfabriken sagte aber, daß man für weniger als fünftausend Rubel keinen guten Verwalter finden könne. Doch der Kammervorsitzende meinte, daß man auch schon für dreitausend einen haben könne. Aber der Direktor der Staatsfabriken fragte: »Wo finden Sie einen solchen? Höchstens in Ihrer Nase.« – »Nein, nicht in der Nase, sondern im hiesigen Landkreise; es ist ein gewisser Pjotr Petrowitsch Ssamoilow; er ist gerade der richtige Verwalter, wie ihn die Bauern Tschitschikows brauchen!« Viele versetzten sich mit großer Teilnahme in Tschitschikows Lage und hatten große Angst vor der Übersiedlung einer solchen Menge von Bauern; sie fürchteten sogar, daß unter so unruhigen Elementen, wie es die Bauern Tschitschikows seien, leicht ein Aufruhr ausbrechen könnte. Darauf wandte der Polizeimeister ein, daß man einen Aufruhr nicht zu befürchten brauche, da zur Verhinderung solcher Vorkommnisse die Macht der Polizeihauptleute bestehe; der Polizeihauptmann brauche nicht mal persönlich hinzufahren, es genüge schon, wenn er seine Mütze hinschicke: die Mütze allein sei schon imstande, die Bauern ohne irgendwelche Schwierigkeiten nach dem Orte ihrer Ansiedlung zu bringen. Viele machten ihre Vorschläge, wie der aufrührerische Geist der Tschitschikowschen Bauern auszurotten sei. Diese Vorschläge waren sehr verschiedener Art: es waren solche darunter, die eine beinahe übermäßige militärische Grausamkeit und Härte atmeten; andere dagegen zeugten von großer Milde. Der Postmeister meinte, daß Tschitschikow eine heilige Aufgabe vor sich habe, daß er gewissermaßen der Vater seiner Bauern werden und unter ihnen sogar die segensreiche Aufklärung verbreiten könne; bei dieser Gelegenheit äußerte er sich sehr lobend über die Lancastersche Methode des wechselseitigen Unterrichts.

So sprach und diskutierte man in der Stadt, und viele teilten Tschitschikow, von aufrichtiger Teilnahme bewegt, ihre Vorschläge mit und empfahlen ihm sogar, die Bauern, der größeren Sicherheit wegen, an ihren neuen Wohnsitz durch eine Militäreskorte begleiten zu lassen. Tschitschikow dankte für die Ratschläge, versprach diese bei Gelegenheit in Betracht zu ziehen, verzichtete aber sehr entschieden auf die Eskorte, indem er sagte, daß diese absolut unnötig sei, da die von ihm gekauften Bauern sich durch einen außerordentlich friedlichen Charakter auszeichneten und selbst eine große Neigung für die Übersiedlung hätten, so daß ein Aufruhr unter ihnen völlig ausgeschlossen sei.

Alle diese Debatten und Erörterungen hatten übrigens für Tschitschikow die denkbar besten Folgen; es kam nämlich das Gerücht auf, daß er nicht mehr und nicht weniger als ein Millionär sei. Die Stadtbewohner hatten, wie wir es schon im ersten Kapitel sahen, Tschitschikow auch ohnehin herzlich liebgewonnen. Um die Wahrheit zu sagen, waren sie lauter gutmütige Menschen, lebten in Eintracht, behandelten einander auf die freundschaftlichste Weise, und ihre Gespräche trugen immer den Stempel einer ganz besonderen Treuherzigkeit und Intimität: »Liebster Freund, IIja Iljitsch! … « – »Hör' mal, Bruder, Antipator Sacharjewitsch! … « – »Du übertreibst, Mamachen, Iwan Grigorjewitsch.« Dem Postmeister, welcher Iwan Andrejewitsch hieß, sagte man immer: »Sprechen Sie Deutsch, Iwan Andreitsch?« Mit einem Worte, alles ging höchst familiär zu. Viele waren nicht ohne Bildung: der Kammerpräsident kannte die »Ludmilla« von Schukowskij, die damals noch eine ganz frische Novität war, auswendig und rezitierte aus ihr meisterhaft viele Stellen; besonders gut gelangen ihm: »Der Wald schläft ein, die Täler ruh'n im Schlummer« und das Wort: »Horch!«, so daß man tatsächlich die Täler schlafen sah; um die Illusion zu vergrößern, schloß er sogar die Augen.

Der Postmeister neigte mehr der Philosophie zu und las höchst fleißig, selbst bei Nacht, die »Nächte« von Young und den »Schlüssel zu den Geheimnissen der Natur« von Eckartshausen; aus dem letzteren Werke machte er sogar längere Exzerpte; welcher Art diese aber waren, wußte niemand. Im übrigen war er sehr witzig, gebrauchte gerne erlesene Ausdrücke und liebte es, wie er sich selbst ausdrückte, seine Rede zu »würzen«. Er würzte seine Rede mit einer Menge von Partikeln und Wendungen wie: »Verehrtester Herr, wissen Sie, verstehen Sie, denken Sie sich nur, beziehungsweise, gewissermaßen« und ähnlichen, die er mit vollen Händen ausstreute; er würzte seine Rede ferner recht geschickt durch Blinzeln und Zwinkern mit dem einen Auge, was vielen seiner satirischen Andeutungen einen recht bissigen Ausdruck verlieh. Auch die anderen waren mehr oder weniger aufgeklärte Menschen: der eine las Karamsin, der andere die »Moskauer Nachrichten« und ein dritter las überhaupt nichts. Der eine war, was man eine Schlafmütze nennt, das heißt ein Mensch, dem man nur durch einen Fußtritt in Bewegung setzen konnte; ein anderer war einfach ein Siebenschläfer, der sein ganzes Leben verschlief und den zu wecken es sich überhaupt nicht lohnte: er würde sowieso nicht aufstehen. Was das Äußere betrifft, so machten alle, wie schon bekannt, einen durchaus zuverlässigen Eindruck; Schwindsüchtige gab es unter ihnen nicht. Es waren lauter Männer, denen die Gattinnen bei zärtlichen Gesprächen unter vier Augen folgende Kosenamen zu geben pflegten: Fäßchen, Dickerchen, Bäuchlein, Joujou usw. Doch im allgemeinen waren es liebe, gastfreundliche Menschen, und einer, der mit ihnen zu Mittag gegessen oder einen Abend lang Whist gespielt hatte, wurde von ihnen sofort ins Herz geschlossen – dies war ganz besonders bei Tschitschikow der Fall, der über bezaubernde Eigenschaften und Manieren verfügte und das große Geheimnis, den Menschen zu gefallen, wirklich kannte. Sie hatten ihn so sehr liebgewonnen, daß er gar keine Möglichkeit sah, aus der Stadt herauszukommen; er hörte nichts als: »Nun, noch eine Woche, nur noch eine einzige Woche bleiben Sie hier bei uns, Pawel Iwanowitsch!« Mit einem Worte, man trug ihn förmlich auf den Händen. Doch unvergleichlich bemerkenswerter war der Eindruck, den Tschitschikow auf die Damen machte; dieser war direkt erstaunlich! Um diese Erscheinung einigermaßen verständlich zu machen, müßte man eigentlich vieles über die Damen selbst und über ihre Gesellschaft sagen und ihre seelischen Eigenschaften sozusagen mit lebendigen Farben schildern; aber dem Autor fällt dieses sehr schwer. Einerseits gebietet ihm hier die unbeschränkte Achtung vor den Gattinnen der hohen Beamten halt, und andererseits … andererseits ist es einfach schwer. Die Damen der Stadt N. waren … nein, ich bringe es nicht fertig; ich empfinde wirklich eine Scheu. An den Damen der Stadt N. war am bemerkenswertesten … Es ist sogar sonderbar: ich kann nicht mal die Feder heben, wie wenn sie mit Blei gefüllt wäre. Also gut: ich muß es einem, dessen Farben lebendiger sind und der ihrer mehr auf seiner Palette hat, überlassen, sich über ihren Charakter zu äußern; wir beschränken uns aber nur auf zwei, drei Worte über ihr Äußeres und einige der oberflächlichen Züge. Die Damen der Stadt N. waren das, was man präsentabel nennt, und in dieser Beziehung könnte man sie allen anderen als ein Vorbild hinstellen. Was den guten Ton, die Etikette, die Menge der feinsten Anstandsregeln, besonders aber die Beobachtung der Mode in ihren letzten Einzelheiten betrifft, so hatten sie in dieser Beziehung selbst die Petersburger und die Moskauer Damen überflügelt. Sie kleideten sich mit großem Geschmack, fuhren durch die Stadt in den schönsten Equipagen, wie es die neueste Mode vorschrieb, mit goldbetreßten Lakaien hinten auf dem Trittbrett. Eine Visitenkarte galt, selbst wenn sie auf einer Treffzwei oder einem Karoas gedruckt war, als ein heiliger Gegenstand. Wegen eines solchen Gegenstandes entzweiten sich sogar einmal zwei Damen, die vorher große Freundinnen gewesen und sogar miteinander verwandt waren – weil eine von ihnen einen Gegenbesuch mankiert hatte. Wie sehr sich ihre Männer und Verwandten nachher auch bemühten, sie wieder zu versöhnen, es gelang ihnen nicht; es zeigte sich, daß alles auf der Welt zu erreichen ist, nur das eine nicht: zwei Damen zu versöhnen, die sich wegen eines mankierten Gegenbesuches entzweit haben. So verblieben denn diese beiden Damen in »gegenseitiger Abneigung«, wie man es in der guten Gesellschaft der Stadt nannte. Streitigkeiten wegen des Vorranges führten gleichfalls zu einer Menge sehr heftiger Auftritte, die den Männern zuweilen durchaus großmütige Begriffe von ihrem Ritteramt einflößten. Zu Duellen kam es natürlich nicht, weil sie doch alle Zivilbeamte waren; dafür suchten sie einander bei jeder Gelegenheit ein Bein zu stellen, was bekanntlich zuweilen viel unangenehmer ist als jedes Duell. In ihren Sitten waren die Damen der Stadt N. sehr streng, von einer edlen Entrüstung gegen alles Lasterhafte und Ärgerniserregende erfüllt und bestraften jede Schwäche ohne Nachsicht. Und wenn unter ihnen auch »manches« passierte, so passierte es immer im geheimen, so daß niemand etwas davon merkte; die ganze Würde blieb gewahrt, und der Gatte selbst war dermaßen vorbereitet, daß er, wenn er »manches« sah oder davon hörte, mit dem kurzen und vernünftigen Sprichworte antwortete: »Wen geht es was an, daß die Gevatterin neben dem Gevatter saß?« Es muß noch erwähnt werden, daß die Damen der Stadt N. sich gleich vielen Petersburger Damen durch eine große Vorsicht und feinen Takt in der Wahl der Ausdrücke auszeichneten. Niemals sagten sie: »Ich habe mich geschneuzt, ich habe geschwitzt, ich habe ausgespuckt«; sie sagten statt dessen: »Ich habe mir die Nase erleichtert, ich habe vom Taschentuch Gebrauch gemacht.« Unter keinen Umständen durfte man sagen: »Dieses Glas oder dieser Teller stinkt«; man durfte sogar nichts sagen, was einer Anspielung darauf gleichkäme; man sagte statt dessen: »Dieses Glas benimmt sich nicht gut« oder etwas Ähnliches. Um die russische Sprache noch mehr zu veredeln, hatten sie fast die Hälfte aller Worte gestrichen und mußten daher sehr oft zu französischen greifen; wenn man aber schon Französisch sprach, so war es eine ganz andere Sache: dann durfte man weit härtere Worte gebrauchen als die oben erwähnten. Das ist alles, was von den Damen der Stadt N., wenn man sich auf das Oberflächliche beschränkt, zu sagen ist. Wollte man aber tiefer hineinblicken, so würden noch manche andere Dinge zum Vorschein kommen; doch es ist sehr gefährlich, in Damenherzen tief hineinzublicken. Wir beschränken uns daher auf das Oberflächliche und fahren fort. Die Damen hatten bisher sehr wenig von Tschitschikow gesprochen, im übrigen aber seinen angenehmen Umgangsformen volle Gerechtigkeit gezollt. Als aber das Gerücht von seinem Millionenreichtum aufkam, fanden sie an ihm auch noch andere Vorzüge. Die Damen waren übrigens an seinem Reichtum in keiner Weise interessiert: das Wort »Millionär« – nicht der Millionär als solcher, sondern nur das bloße Wort – war an allem schuld; denn schon im bloßen Klange dieses Wortes ist, ganz abgesehen von der Vorstellung des Geldsackes, etwas enthalten, was in gleicher Weise auf die gemeinen Menschen, auf solche, die weder Fleisch noch Fisch sind, und auf die guten, mit einem Worte, auf alle Menschen wirkt. Der Millionär hat den Vorteil, daß er die vollkommen uneigennützige Gemeinheit, die reine Gemeinheit, die auf keinerlei eigennützigen Motiven beruht, zu sehen bekommt: viele wissen sehr gut, daß sie von ihm nichts bekommen werden und auch gar keinen Anspruch darauf haben, von ihm etwas zu bekommen, und doch müssen sie unbedingt vor ihm herlaufen, ihm wenigstens zulächeln, wenigstens den Hut vor ihm ziehen, wenigstens sich als Gast zu einem Mittagessen aufdrängen, zu dem der Millionär eingeladen ist. Man kann nicht behaupten, daß diese zarte Neigung zur Gemeinheit auch von den Damen empfunden worden wäre; doch man äußerte in vielen Salons, daß Tschitschikow, wenn auch nicht gerade der schönste Mann auf dem Erdenrund, dafür aber gerade so beschaffen sei, wie ein Mann beschaffen sein solle; daß es schon nicht mehr gut wäre, wenn er ein wenig dicker oder voller wäre. Bei dieser Gelegenheit wurde sogar eine recht verletzende Bemerkung über die dünnen Männer gemacht: diese seien mehr Zahnstocher als Männer. An den Damentoiletten zeigten sich allerlei Veränderungen. Im städtischen Kaufhause herrschte auf einmal großes Gedränge; es entstand sogar eine Art Korso: so viele Equipagen sammelten sich da an. Die Kaufleute waren erstaunt, als sie sahen, daß einige Stoffe, die sie von der Messe mitgebracht hatten und die infolge des als zu hoch angesehenen Preises unverkauft geblieben waren, plötzlich viel verlangt wurden und im Nu ausverkauft waren. Während des Gottesdienstes bemerkte man bei einer der Damen unten am Kleide einen so üppigen Besatz, daß der Rock die halbe Kirche füllte und der zufällig in der Nähe anwesende Polizeikommissar das Volk zum Portal zurückdrängen lassen mußte, damit die Toilette ihrer Hochwohlgeboren nicht zerdrückt werde. Sogar Tschitschikow selbst mußte schließlich diese ihm entgegengebrachte ungewöhnliche Aufmerksamkeit wahrnehmen. Als er einmal nach Hause zurückkehrte, fand er auf seinem Tische einen Brief vor. Von wem der Brief stammte und wer ihn gebracht hatte, ließ sich nicht feststellen: der Gasthofdiener meldete nur: jemand habe den Brief gebracht, ihm aber verboten, zu sagen, von wem der Brief sei. Der Brief fing in einem sehr entschiedenen Tone an, und zwar: »Nein, ich muß Dir schreiben!« Dann war die Rede davon, daß es eine geheime Sympathie zwischen den Seelen gäbe; diese Wahrheit war durch mehrere Punkte bekräftigt, die beinahe eine halbe Zeile füllten. Weiter folgten einige so treffende Gedanken, daß wir es beinahe für notwendig halten, sie hier zu zitieren: »Was ist unser Leben? – Ein Tal, in dem die Leiden wohnen. Was ist die Welt? – Ein Haufen von Menschen, die nichts fühlen.« Die Schreiberin berichtete ferner, daß sie die Zeilen ihrer zärtlichen Mutter, die schon vor fünfundzwanzig Jahren gestorben sei, mit ihren Tränen benetze; Tschitschikow wurde aufgefordert, in die Wüste zu ziehen und die Stadt, wo die Menschen in ihren dumpfen Mauern keine Luft atmen, für immer zu verlassen; das Ende des Briefes drückte sogar absolute Verzweiflung aus; er schloß mit den Versen:

 
 
Zwei Turteltauben zeigen
Dir meiner Asche Haus
Und girren in den Zweigen:
Sie starb und weinte sich die Augen aus!
 

In der letzten Zeile stimmte zwar das Versmaß nicht, allein das machte nichts: der Brief war ganz im Geiste der damaligen Zeit geschrieben. Es fehlte jede Unterschrift: weder Name, noch Vorname, noch das Datum waren angegeben. Im Postskriptum hieß es nur, daß das eigene Herz des Adressaten die Schreiberin erraten müsse und daß auf dem morgen stattfindenden Ball beim Gouverneur das Original selbst anwesend sein werde.

Das interessierte ihn außerordentlich. In der Anonymität lag so viel Verlockendes und die Neugierde Reizendes, daß er den Brief noch ein zweites und ein drittes Mal las und schließlich sagte: »Es wäre doch recht interessant zu erfahren, wer ihn geschrieben hat!« Mit einem Wort, die Sache schien eine ernste Wendung nehmen zu wollen; länger als eine Stunde dachte er darüber nach; dann spreizte er die Arme, neigte den Kopf und sagte: »Der Brief ist doch sehr kunstvoll geschrieben!« Zuletzt faltete er den Brief selbstverständlich zusammen und legte ihn in die Schatulle neben einen Theaterzettel und eine Familienanzeige, die seit sieben Jahren an der gleichen Stelle lag. Etwas später brachte man ihm tatsächlich eine Einladung zum Ball beim Gouverneur; solche Bälle sind in den Gouvernementsstädten durchaus gewöhnlich: denn ohne einen Ball kann der Gouverneur gar nicht auf die Liebe und den Respekt des Adels rechnen.

Alles nicht zur Sache Gehörige wurde sofort zur Seite geschoben, und alle seine Sinne richteten sich auf die Vorbereitungen zum Ball; denn er hatte in der Tat viele anspornende Gründe dafür. Dafür ist aber wohl seit der Erschaffung der Welt noch nie soviel Zeit auf die Toilette verwendet worden. Eine ganze Stunde war nur dem Betrachten des Gesichts imSpiegel gewidmet. Er versuchte, ihm eine ganze Menge der verschiedensten Ausdrücke zu verleihen: bald einen würdigen und soliden, bald einen respektvollen mit einem gewissen Lächeln, bald einen einfach respektvollen ohne Lächeln; er machte gegen den Spiegel mehrere Verbeugungen, die er mit einigen unartikulierten Lauten begleitete, die wie Französisch klangen, obwohl Tschitschikow kein Wort Französisch verstand. Er bereitete sich selbst eine Menge angenehmster Überraschungen, indem er sich mit den Augenbrauen und mit den Lippen zuzwinkerte und sogar einige Bewegungen mit der Zunge machte; was macht der Mensch nicht alles, wenn er allein ist, sich seiner Schönheit bewußt und obendrein auch überzeugt ist, daß niemand durch eine Türspalte hereinguckt. Zuletzt streichelte er sich leicht das Kinn und sagte: »Ach, du nettes Kerlchen!« Hierauf begann er sich anzukleiden. Während des ganzen Ankleideprozesses befand er sich in der zufriedensten Stimmung: als er die Hosenträger anknöpfte und sich die Krawatte umband, machte er Kratzfüße und Verbeugungen; obwohl er nie im Leben getanzt hatte, machte er dennoch einen Luftsprung. Dieser Luftsprung hatte auch einige kleine harmlose Folgen: die Kommode erzitterte, und die Bürste fiel vom Tisch.

Sein Erscheinen auf dem Ball erregte ein ungewöhnliches Aufsehen. Das ganze Publikum wandte sich ihm zu – der eine mit Karten in der Hand, der andere im interessantesten Punkte eines Gesprächs, nachdem er gerade gesagt hatte: »Und die niedere Instanz des Kreisgerichts antwortete darauf … « Was aber das Kreisgericht antwortete, das verschwieg er und eilte unserem Helden entgegen, um ihn zu begrüßen. »Pawel Iwanowitsch! Ach, mein Gott, Pawel Iwanowitsch! Liebster Pawel Iwanowitsch! Verehrtester Pawel Iwanowitsch! Mein Herz, Pawel Iwanowitsch! Da sind Sie also, Pawel Iwanowitsch! Da ist er, unser Pawel Iwanowitsch! Lassen Sie sich ans Herz drücken, Pawel Iwanowitsch! Laßt ihn mal mir, ich will ihn recht fest umarmen und küssen, meinen teuren Pawel Iwanowitsch!« Tschitschikow fühlte sich zugleich von mehreren Menschen umarmt. Er hatte sich noch nicht ganz aus der Umarmung des Kammervorsitzenden befreit, als er schon in den Armen des Polizeimeisters lag; der Polizeimeister übergab ihn dem Inspektor der Medizinalverwaltung; der Inspektor der Medizinalverwaltung dem Branntweinpächter, der Branntweinpächter – dem Stadtarchitekten … Als der Gouverneur, der gerade in Gesellschaft einiger Damen stand und in der einen Hand eine Bonbonhülle und in der anderen ein Bologneser Hündchen hielt, ihn erblickte, ließ er sofort wie die Bonbonhülle so auch das Bologneser Hündchen zu Boden fallen – das Hündchen winselte nur –, mit einem Worte, Tschitschikow verbreitete eine ungewöhnliche Freude und Heiterkeit. Da gab es kein einziges Gesicht, das nicht das größte Vergnügen zeigte oder wenigstens das allgemeine Vergnügen widerspiegelte. Das kann man an den Gesichtern von Beamten beobachten, wenn ein hoher Vorgesetzter zur Revision ins Amt gekommen ist: nachdem der erste Schreck vorüber ist, sehen sie, daß ihm manches gefallen hat und daß er sogar zu scherzen, das heißt mit einem angenehmen Lächeln einige Worte zu sagen geruht – dann lachen die sich um ihn drängenden Beamten doppelt so laut; außerordentlich herzlich lachen diejenigen, die die von ihm gesprochenen Worte nur schlecht gehört haben; und selbst der ganz weit an der Türe stehende Polizist, der in seinem Leben noch nie gelacht und der kurz vorher dem Volke mit der Faust gedroht hat – auch dieser zeigt nach den unveränderlichen Gesetzen der Reflexion etwas wie ein Lächeln, obwohl dieses Lächeln mehr dem Ausdruck gleicht, den man nach einer starken Prise Schnupftabak unmittelbar vor dem Schnupfen annimmt. Unser Held beantwortete jede Liebenswürdigkeit und fühlte sich ungewöhnlich leicht beschwingt: er verbeugte sich nach rechts und nach links, zwar etwas schief, wie es seine Gewohnheit war, doch vollkommen ungezwungen, so daß alle bezaubert waren. Die Damen umringten ihn sofort als glänzende Girlande, die ganze Wolken von Wohlgerüchen jeder Art ausströmte: die eine atmete Rosenduft, die andere roch nach Frühling und Veilchen, die dritte war stark mit Reseden parfümiert; Tschitschikow hob nur die Nase in die Höhe und schnüffelte. Die Toiletten zeigten ein wahres Meer von Geschmack: die Mousseline-, Atlas- und Gazestoffe waren von den modernen blassen Tönen, für die es sogar keine Namen gibt – so raffiniert war der Geschmack! Die Bänder und Blumensträuße umschwebten die Kleider in der malerischsten Unordnung, obwohl diese Unordnung von manchem tüchtigen Kopf reiflich durchdacht war. Ein leichter Kopfschmuck war nur an den Ohren befestigt und schien sagen zu wollen: »Paßt auf, gleich fliege ich davon! Schade nur, daß ich die Schöne nicht mitnehmen kann!« Die Taillen waren stramm umspannt und zeigten feste und für die Augen angenehme Formen (es ist zu bemerken, daß alle Damen der Stadt N. im allgemeinen etwas voll waren, sich aber so kunstvoll zu schnüren verstanden und so angenehme Manieren hatten, daß man diese Fülle gar nicht sah). Alles war bei ihnen mit ungewöhnlichem Scharfsinn durchdacht und vorgesehen: der Hals und die Schultern waren gerade so tief entblößt, als es nötig war und auch nicht um ein Haar tiefer; eine jede zeigte ihre Besitzungen gerade so weit, als diese nach ihrer eigenen Überzeugung imstande waren, einen Menschen zugrunde zu richten; alles übrige war mit ungewöhnlichem Geschmack versteckt: bald umschlang ein leichtes Bändchen, leichter als das Gebäck, das unter dem Namen »Baiser« bekannt ist, ätherisch den Hals, bald ragten an den Schultern aus dem Kleide kleine gezackte Hüllen aus feinstem Batist hervor, die man »Sittsamkeiten« nennt. Diese »Sittsamkeiten« verhüllten vorne und hinten alles, was den Menschen nicht mehr zugrunde richten konnte, erregten aber zugleich die Meinung, daß gerade unter ihnen das Verderben stecke. Die langen Handschuhe waren nicht bis zu den Ärmeln hinaufgezogen, sondern ließen mit Absicht die Leidenschaft erregenden Teile der Arme oberhalb des Ellenbogens, die bei vielen eine beneidenswerte Fülle atmeten, entblößt, bei manchen waren die Glacéhandschuhe bei den Versuchen, sie höher hinaufzuziehen, sogar geplatzt – mit einem Worte, alles schien die Etikette zu tragen: »Nein, das ist keine Gouvernementsstadt, das ist die Residenz, das ist Paris!« Nur hier und da guckte irgendeine noch nie dagewesene Haube hervor oder eine Feder, vielleicht sogar eine Pfauenfeder, die im Widerspruch zu jeder Mode nur dem eigenen Geschmack der Trägerin entsprach. Ohne das geht es aber nicht ab, das ist schon einmal die Eigenschaft der Gouvernementsstadt: irgendwie muß sie sich immer blamieren. Während Tschitschikow die Damen betrachtete, dachte er: »Welche mag wohl die Schreiberin des Briefes sein?« Er versuchte sogar, seine Nase hervorzustrecken, doch diese geriet sofort in einen Strudel von Ellenbogen, Aufschlägen, Ärmeln, Schleifenenden, duftigen Chemisetten und Kleidern. Die Galoppade fegte wie toll dahin: die Postmeisterin, der Polizeihauptmann, eine Dame mit einer blauen Feder, eine Dame mit einer weißen Feder, der georgische Fürst Tschipchaichilidsew, ein Beamter aus Petersburg, ein Beamter aus Moskau, der Franzose Coucou, ein Herr Perchunowskij, ein Herr Berenkendowskij – alles erhob sich und raste dahin …

 

»So! Nun ist die Gouvernementsstadt los!« sagte Tschitschikow zurückweichend. Sobald die Damen auf ihren Plätzen saßen, begann er wieder auszuschauen, ob es sich nicht an dem Ausdruck eines Gesichts oder eines Augenpaares erkennen ließe, wer die Briefschreiberin war; aber weder der Gesichtsausdruck noch der Ausdruck der Augen verrieten die Briefschreiberin. An allen sah er etwas unfaßbar Feines, etwas furchtbar Raffiniertes! … »Nein,« sagte Tschitschikow zu sich selbst, »die Frauen sind so eine Sache … « – hier winkte er mit der Hand und fuhr fort: »Darüber ist überhaupt nichts zu sagen! Versuch nur einer mit Worten, alles, was über ihr Gesicht läuft, alle diese Ausstrahlungen und Andeutungen wiederzugeben … nein, das läßt sich gar nicht wiedergeben. Die Augen allein sind schon ein so grenzenloses Reich, daß ein Mensch, der hineingerät, unrettbar verloren ist! Dann kann man ihn weder mit einem Haken noch mit einem anderen Werkzeug herausziehen. Versuch' nur einer, ihren Glanz allein zu beschreiben: er ist feucht, samtweich, zuckersüß – Gott allein weiß, was er nicht alles ist: hart und weich, sogar schmachtend oder, wie es manche nennen, trunken vor Wonne und auch ohne Wonne; das gefährlichste aber ist, wenn er wonnetrunken ist: dann dringt er einem tief ins Herz hinein oder fährt über die Seele wie ein Fiedelbogen. Nein, man findet einfach kein Wort dafür: es ist eben die Galanteriebranche des Menschengeschlechts und sonst nichts!«

Pardon! Dem Munde unseres Helden ist, glaube ich, ein auf der Straße aufgefangener Ausdruck entschlüpft. Was ist zu machen? So ist einmal die Lage des Schriftstellers in Rußland! Übrigens, wenn ein Wort aus der Straße ins Buch geraten ist, so ist es nicht die Schuld des Schriftstellers, sondern die der Leser und vor allem der Leser aus den höheren Gesellschaftsschichten: von ihnen bekommt man nie ein anständiges russisches Wort zu hören; französische, deutsche und englische Worte setzen sie einem wohl in solcher Menge vor, daß man kaum zuhören mag; sie gebrauchen sie sogar unter Beibehaltung der verschiedenen Aussprachen: sprechen sie Französisch, dann unbedingt mit dem französischen »r« und durch die Nase; das Englische reden sie wie ein Vogel und nehmen dabei sogar den Gesichtsausdruck eines Vogels an; sie lachen einen sogar aus, der dieses Vogelgesicht nicht nachmachen kann. Ein russisches Wort setzen sie aber einem niemals vor; höchstens daß sie aus Patriotismus bei sich auf dem Lande einen Bau in russischem Stil aufführen. So sind also die Leser aus den höheren Schichten und auch alle, die sich selbst zu den höheren Schichten rechnen! Und dabei kommen sie noch mit Ansprüchen! Sie verlangen, daß alles in einer korrekten, gereinigten und edlen Sprache abgefaßt sei – mit einem Worte, sie verlangen, daß die russische Sprache fertig verfeinert ganz von selbst aus den Wolken falle und sich ihnen gerade auf die Zunge setze, so daß sie nur den Mund zu öffnen und die Zunge herauszustrecken brauchen. Die weibliche Hälfte des Menschengeschlechts ist allerdings recht diffizil; doch die geehrten Leser sind zuweilen, offen gestanden, noch diffiziler.

Tschitschikow war indessen ganz ratlos, welche von den Damen wohl die Briefschreiberin gewesen sei. Als er gespannter hinzublicken versuchte, sah er, daß auch die Damengesichter etwas ausdrückten, was zugleich Hoffnungen und süße Qualen in den Herzen der armen Sterblichen weckte, und schließlich sagte er sich: »Nein, man kann es unmöglich erraten!« Dies tat jedoch der frohen Gemütsverfassung, in der er sich befand, keinen Abbruch. Er wechselte ungezwungen und sehr gewandt einige angenehme Worte mit einigen der Damen und trippelte bald auf die eine, bald auf die andere mit kleinen Schrittchen zu, wie es gewöhnlich die kleinen galanten Greise auf hohen Absätzen zu tun pflegen, die sehr geschickt um die Damen herumscharwenzeln. Nachdem er sich so mit kleinen Schrittchen recht geschickt nach rechts und nach links bewegt hatte, scharrte er mit dem Fuße und beschrieb dabei einen kurzen Schnörkel oder eine Art Komma. Die Damen waren überaus zufrieden und fanden an ihm nicht nur eine Menge angenehmer und liebenswürdiger Eigenschaften, sondern auch einen majestätischen Gesichtsausdruck, sogar etwas Martialisches und Kriegerisches, was bekanntlich den Damen gut gefällt. Seinetwegen entstanden sogar kleine Streitigkeiten: da sie merkten, daß er gewöhnlich vor der Türe stand, suchten manche die Plätze in der Nähe der Türe zu besetzen; als es der einen gelang, den anderen zuvorzukommen, kam es beinahe zu einem unangenehmen Auftritt, und diese Frechheit erschien vielen, die eigentlich das gleiche tun wollten, allzu stark.