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Die toten Seelen

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Kapitel 7

Glücklich der Reisende, der nach einer langen, langweiligen Reise mit ihrer Kälte, ihrem Schmutz und ihrer Nässe, mit den verschlafenen Stationsaufsehern, dem Schellengebimmel, den Reparaturen, Kutschern, Schmieden und sonstigen Schuften jeder Art, mit denen man unterwegs zu tun hat, endlich das bekannte Dach mit den ihm entgegenleuchtenden Flammen erblickt – schon sieht er die vertrauten Zimmer, hört die freudigen Schreie der ihm entgegenlaufenden Dienstboten, den Lärm und das Gerenne der Kinder und das beruhigende, sanfte Zwiegespräch, unterbrochen von glühenden Küssen, die die Kraft haben, alles Traurige aus der Erinnerung zu tilgen. Glücklich der Familienvater, der solch ein Obdach besitzt, doch wehe dem Junggesellen!

Glücklich der Dichter, der sich an den langweiligen, abstoßenden, durch ihre traurige Wirklichkeit erdrückenden Charakteren vorbei, solchen Charakteren nähert, die die hohe Würde des Menschen offenbaren, der aus dem großen Sumpfe der täglich abwechselnden Gestalten sich nur einige seltene Ausnahmen erwählt hat, der der erhabenen Harmonie seiner Leier kein einziges Mal untreu geworden, der niemals von seiner Höhe zu seinen armen, elenden Brüdern herabgestiegen ist und, ohne die Erde zu berühren, sich ganz seinen dem Irdischen entrückten, erhabenen Gestalten hingeben darf. Doppelt beneidenswert ist sein schönes Los: er ist unter seinen Gestalten, wie im Kreise seiner Familie, sein Ruhm schallt aber dabei laut in alle Ferne. Er hat mit berauschendem Räucherwerk die Menschenaugen bezaubert; er hat den Menschen wunderbar geschmeichelt, indem er alles, was im Leben traurig ist, vor ihnen verheimlicht und ihnen nur den schönen Menschen gezeigt hat. Alles folgt händeklatschend seinem Triumphwagen. Man nennt ihn einen großen, weltberühmten Dichter, der über allen anderen Dichtern der Welt schwebt wie ein Adler über anderen Hochfliegenden. Schon sein Namen allein läßt die jungen, leicht entzündlichen Herzen erzittern; Tränen des Verständnisses blinken ihm von jeder Wimper entgegen … Niemand gleicht ihm an Macht – ; er ist wie ein Gott! Doch anders ist das Los eines Dichters, der sich erfrecht hat, all das heraufzubeschwören, was der Mensch immer vor Augen hat, was aber die gleichgültigen Augen nicht sehen – den ganzen erschreckenden und erschütternden Schlamm der Kleinlichkeiten, von denen unser Leben umstrickt ist, die ganze Tiefe der kalten, zersplitterten Alltagscharaktere, von denen unser zuweilen bittere und langweilige Lebensweg wimmelt –, der sich erkühnt hat, durch die Kraft seines Unerbittlichen Meißels sie grell und plastisch allen vor Augen zu führen! Er erntet keinen Beifallssturm des Volkes, er bekommt weder dankbare Tränen noch das einmütige Entzücken erschütterter Seelen zu sehen; ihm fliegt keine Sechzehnjährige mit schwindelnden Sinnen in heroischer Verzückung entgegen; er wird sich nie im süßen Klange der von ihm selbst geweckten Töne vergessen; und schließlich wird er nicht dem Gericht seiner Zeit entgehen, dem heuchlerischen und gefühllosen Gericht dieser Zeit, das die von ihm so zärtlich betrauten Schöpfungen nichtig und gemein nennen und ihm einen elenden Platz unter den Dichtern einräumen wird, die die Menschheit verunglimpfen, das ihm alle Eigenschaften der von ihm geschilderten Helden beilegen und ihm Herz und Seele und die heilige Flamme des Talents absprechen wird: denn das Gericht dieser Zeit will nicht anerkennen, daß die Gläser, die uns die Sonne zeigen, und solche, die die Bewegungen kaum sichtbarer Insekten offenbaren, gleich wunderbar sind; denn es will nicht anerkennen, daß man eine große seelische Tiefe haben muß, um ein dem verächtlichen Leben entronnenes Bild zu beleuchten und zu einer Perle der Schöpfung emporzuheben; denn das Gericht dieser Zeit will nicht anerkennen, daß das hohe, begeisterte Lachen wohl würdig ist, neben den hohen lyrischen Regungen zu stehen, und daß zwischen diesem Lachen und den Possen eines Budengauklers ein tiefer Abgrund liegt! Das Gericht dieser Zeit erkennt dies alles nicht an und macht es dem nicht anerkannten Dichter zum Vorwurf und zur Schmach: ohne Teilnahme, ohne Widerhall, ohne Sympathie bleibt er allein wie ein einsamer Wanderer auf seinem Wege stehen. Hart ist das Feld seiner Arbeit, und bitter fühlt er seine Vereinsamung.

Lange ist es mir noch von einer unfaßbaren Macht beschieden, mit meinen seltsamen Helden Hand in Hand zu gehen, das ganze gewaltige vorbeirauschende Leben zu überblicken, es durch das für die Welt sichtbare Lachen und die für die Welt unsichtbaren und unbekannten Tränen zu schauen! Und ferne ist noch die Zeit, wo der mächtige Sturm der Begeisterung sich dem vom heiligen Schauer erschütterten und glanzgekrönten Haupte als ein anderer Quell entringen und die Welt verlegen und bebend den majestätischen Donner anderer Reden vernehmen wird …

Vorwärts! Vorwärts! Fort mit den Runzeln, die über meine Stirne gleiten, fort mit der düsteren Miene! Wollen wir auf einmal und schnell wieder ins Leben mit seinem ganzen unharmonischen Lärm und Schellengebimmel untertauchen und sehen, was Tschitschikow macht.

Tschitschikow erwachte, streckte Arme und Beine und fühlte, daß er sich gut ausgeschlafen hatte. Nachdem er an die zwei Minuten auf dem Rücken gelegen, schnalzte er mit den Fingern und erinnerte sich mit strahlendem Gesicht, daß er nun beinahe vierhundert Seelen besaß. Er sprang sofort aus dem Bette und betrachtete nicht einmal sein Gesicht, das er aufrichtig liebte und an dem ihm das Kinn am anziehendsten erschien, denn er prahlte damit oft vor seinen Freunden, besonders während des Rasierens. »Schau nur,« pflegte er zu sagen, sich das Kinn streichelnd, »was für ein Kinn ich habe: es ist ganz rund!« Jetzt blickte er aber weder das Kinn noch das Gesicht an, sondern zog sich sofort seine mit bunten Ledereinlagen verzierten Saffianstiefel an, mit denen die Stadt Torschok, infolge des Hanges der russischen Natur zur Bequemlichkeit, so schwunghaften Handel treibt, und vollführte auf schottische Manier, nur mit einem kurzen Hemde bekleidet, seine ganze Würde und sein solides mittleres Alter außer acht lassend, zwei Sprünge, wobei er sich recht geschickt mit einer Ferse auf den entsprechenden Körperteil klatschte. Darauf machte er sich unverzüglich an die Arbeit: vor der Schatulle stehend, rieb er sich die Hände mit dem gleichen Behagen, mit dem es der unbestechliche Landrichter zu tun pflegt, der zu einer Voruntersuchung hinausgefahren ist und vor den Tisch mit dem Imbiß tritt, und holte sofort die nötigen Papiere hervor. Er wollte die Sache so schnell als möglich erledigen. Er faßte den Entschluß, die Kaufverträge selbst aufzusetzen und ins reine zu schreiben, um den Gerichtschreibern nichts zahlen zu müssen. Die Form war ihm gut bekannt; schnell schrieb er mit großen Buchstaben: »Im Jahre eintausendachthundertsoundsoviel«; darunter etwas kleiner: »Der Gutsbesitzer Soundso« und dann alles Weitere. In zwei Stunden war alles fertig. Als er dann die Blätter mit den Namen der Bauern überflog, die einst wirkliche Bauern gewesen, die gearbeitet, gepflügt, gesoffen, sich als Fuhrleute durchgeschlagen, ihre Herren betrogen hatten, vielleicht aber auch einfach tüchtige Bauern gewesen waren, bemächtigte sich seiner ein eigentümliches, ihm selbst unverständliches Gefühl. Jede der Listen hatte gleichsam einen eigenen Charakter, was wiederum auch den Bauern einen eigenen Charakter verlieh. Die Bauern, die der Korobotschka gehört hatten, trugen sämtlich Anhängsel und Spitznamen. Die Liste Pljuschkins zeichnete sich durch den kurzen Stil aus: oft standen nur die Anfangsbuchstaben der Vor- und Vatersnamen, von je einem Punkte begleitet. Das Verzeichnis Ssobakewitschs fiel durch seine erstaunliche Vollständigkeit und Ausführlichkeit auf; keine der Eigenschaft der Bauern blieb darin unerwähnt; von dem einen hieß es: »ein guter Tischler«; von einem andern: »versteht seine Sache und trinkt nicht«. Bei jedem waren auch die beiden Eltern erwähnt und auch das Betragen der letzteren verzeichnet; nur bei einem gewissen Fedotow hieß es: »Vater unbekannt, Mutter ist die leibeigene Dirne Kapitolina; er ist jedoch gut von Sitten und stiehlt nicht.« Alle diese Einzelheiten verliehen der Liste eine eigentümliche Frische: es war, als hätten die Bauern gestern noch gelebt. Nachdem er die Namen lange studiert, fühlte er sich gerührt und sagte mit einem Seufzer: »Mein Gott, welche Menge! Was habt ihr, ihr Teuern, in eurem Leben getrieben? Wie habt ihr euch durchgeschlagen?« Seine Augen blieben unwillkürlich auf einem Familiennamen stehen. Es war der bekannte Pjotr Ssaweljew Neuwaschaj-Koryto, der einst der Gutsbesitzerin Korobotschka gehört hatte. Und wieder konnte er sich der Bemerkung nicht enthalten: »Herrgott, wie lang der ist: eine ganze Zeile nimmt er ein! Warst du ein Handwerker oder einfach ein Bauer, und wo hat dich der Tod erwischt? In der Schenke, oder hat dich, als du mitten auf der Straße schliefst, eine schwere Fuhre überfahren? – Stepan Probka, ›Zimmermann, von musterhafter Nüchternheit‹. Ach so, da ist ja der Stepan Probka, der Recke, der für die Garde taugte! Hast wohl mit der Axt im Gürtel und den Stiefeln auf dem Buckel alle Gouvernements durchwandert, hast für eine halbe Kopeke Brot und für eine Kopeke gedörrte Fische gegessen, aber jedesmal an die hundert Rubel im Beutel heimgebracht, vielleicht sogar die Staatsrente in deine Leinwandhose eingenäht oder im Stiefel verwahrt! Wo hat es dich erwischt? Bist du vielleicht, um noch mehr Geld zu verdienen, in die Kirchenkuppel gestiegen oder sogar bis zum Kreuz hinaufgeklettert, dort auf dem Gerüst ausgeglitten und in die Tiefe gestürzt, während irgendein Onkel Michej, der gerade in der Nähe stand, sich nur den Nacken kratzte und sagte: ›Was hast du auch für Pech, Wanja!‹, worauf er sich selbst einen Strick um den Leib band und auf deinen Platz kletterte. – Maxim Teljantnikow, ›Schuster‹. Ha, Schuster! ›Besoffen wie ein Schuster‹, sagt das Sprichwort. Ich kenne dich, ich kenne dich, mein Lieber; wenn du willst, erzähle ich dir deine ganze Geschichte. Du warst bei einem Deutschen in der Lehre, der euch alle aus einem Topf fütterte, mit dem Riemen für jede Nachlässigkeit auf den Rücken schlug und nie auf die Straße ließ, damit ihr euch nicht herumtreibt; so wurdest du zu einem wahren Wunder von einem Schuster, und der Deutsche konnte dich in Gesprächen mit seiner Frau oder einem Kameraden gar nicht genug loben. Als aber die Lehre zu Ende war, sagtest du: ›Nun will ich mir ein eigenes Haus und Geschäft gründen, mach' es aber nicht wie der Deutsche, der sich wegen jeder Kopeke abquält, sondern werde auf einmal reich!‹ Und du zahltest deinem Herrn einen reichen Zins, mietetest dir einen kleinen Laden, nahmst eine Menge Aufträge an und begannst zu arbeiten. Zum Drittel des Preises kauftest du dir irgendwo verfaultes Leder, verdientest zwar an jedem Stiefel die Hälfte, aber schon nach zwei Wochen platzten alle deine Stiefel und man schimpfte auf dich auf die gemeinste Weise. Dein Laden verödete, du fingst zu trinken an und dich auf der Straße herumzuwälzen und dabei zu sprechen: ›Schlecht ist es auf dieser Welt! Der Russe kann gar nicht leben, denn die Deutschen lassen ihn nicht aufkommen!‹ – Und was ist das da für ein Bauer: Jelisaweta Worobej? Pfui Teufel, das ist doch ein Weibsbild! Wie kommt die her? Der verdammte Ssobakewitsch hat mich auch darin beschummelt!« Tschitschikow hatte wirklich recht: es war ein Weibsbild. Wie sie hereingeraten war, ist unbekannt; sie war aber so geschickt hineingesetzt, daß man sie aus der Ferne für einen Mann halten könnte, auch stand sie mit einer männlichen Endung da: nicht Jelisaweta, sondern Jelisawet. Tschitschikow nahm aber keine Rücksicht darauf und strich sie auf der Stelle. – »Grigorij kommst – niemals – an! Was warst du für ein Mensch? Warst du ein Fuhrmann, hattest dir eine Troika und einen bastgedeckten Wagen angeschafft und dich mit den Kaufleuten von Jahrmarkt zu Jahrmarkt geschleppt? Hast du irgendwo unterwegs deine Seele ausgehaucht, oder haben dich deine eigenen Freunde wegen eines dicken und rotbackigen Soldatenweibes umgebracht, oder gefielen deine Lederhandschuhe und die drei untersetzten, doch kräftigen Pferde irgendeinem Waldvagabunden allzu gut, oder war es dir, als du auf deiner Pritsche lagst, plötzlich eingefallen, so ohne jeden Anlaß in eine Schenke einzukehren und von dort in ein im Eise ausgehauenes Loch zu plumpsen, wo du deinen Tod fandst? Ach, du russisches Volk! Du liebst es nicht, eines natürlichen Todes zu sterben! – Und ihr, meine Lieben?« fuhr er fort, indem er die Liste vornahm, auf der Pljuschkins entlaufene Seelen verzeichnet waren: »Ihr seid zwar noch am Leben, aber was hat man von euch? Ihr seid so gut wie gestorben. Wo tragen euch jetzt eure schnellen Füße herum? Habt ihr es beim Pljuschkin so schlecht gehabt, oder war es einfach euer Verlangen, durch die Wälder zu streifen und die Reisenden auszurauben? Sitzt ihr in Gefängnissen, oder gehört ihr neuen Herren und pflügt für sie die Erde? Jeremej Karjakin, Nikita Wolokita (Herumtreiber) und sein Sohn Anton Wolokita: schon an euren Namen merkt man's, daß ihr gute Läufer seid. – Leibeigener Popow … Der verstand wohl zu lesen und zu schreiben; hast wohl kein Messer in die Hand genommen, aber doch einen anständigen Diebstahl begangen. Da hat dich aber schon ohne Paß der Polizeihauptmann eingefangen. Tapfer stehst du beim Verhör. ›Wem gehörst du?‹ fragt dich der Polizeihauptmann und traktiert dich bei dieser günstigen Gelegenheit mit einem kräftigen Wörtchen. ›Dem Gutsbesitzer Soundso‹, antwortest du unverzagt. ›Und wo kommst du her?‹ fragt dich der Polizeihauptmann. ›Ich bin gegen Zins freigelassen‹, antwortest du, ohne zu stocken. ›Wo ist dein Paß?‹ – ›Beim Herrn, dem Kleinbürger Pimenow.‹ – ›Her mit dem Pimenow! Bist du Pimenow?‹ – ›Ja, ich bin Pimenow.‹ – ›Hat er dir seinen Paß gegeben?‹ – ›Nein, er hat mir keinen Paß gegeben.‹ – ›Was lügst du?‹ sagt der Polizeihauptmann und läßt wieder ein kräftiges Wörtchen los. ›Es stimmt‹, antwortest du keck; ›ich gab ihm den Paß nicht, weil ich spät nach Hause kam. Ich gab ihn dem Glöckner Antip Prochorow in Verwahrung.‹ – ›Her mit dem Glöckner! Hat er dir seinen Paß gegeben?‹ – ›Nein, er hat mir keinen Paß gegeben.‹ – ›Was lügst du schon wieder?‹ sagt der Polizeihauptmann und bekräftigt seine Rede mit einem kräftigen Wörtchen. ›Wo ist denn dein Paß?‹ – ›Ich habe ihn gehabt,‹ sagst du schnell, ›habe ihn aber wohl irgendwo unterwegs verloren.‹ – ›Und warum hast du den Soldatenmantel gestohlen? Und den Kasten mit dem Kupfergeld beim Geistlichen?‹ sagt der Polizeihauptmann und beschließt die Rede wieder mit dem kräftigen Wörtchen. ›Zu Befehl, nein,‹ sagst du, ohne dich zu rühren, ›mit Diebstahl habe ich noch nie was zu tun gehabt.‹ – ›Warum hat man dann den Soldatenmantel bei dir gefunden?‹ – ›Das kann ich nicht wissen; den hat wohl ein anderer hergebracht.‹ – ›Ach, du Bestie!‹ sagt der Polizeihauptmann kopfschüttelnd und die Hände in die Seiten stemmend. ›Schlagt ihm die Füße in den Block und bringt ihn ins Gefängnis!‹ – ›Bitte sehr, mit Vergnügen!‹ sagst du darauf. Du holst aus der Tasche deine Schnupftabaksdose, traktierst freundlich die beiden Invaliden, die dir die Füße in den Block schlagen, und erkundigst dich, ob sie schon lange ihre Militärzeit abgedient und an welchen Kriegen sie teilgenommen haben. Und dann lebst du im Gefängnis, solange deine Sache durch die Gerichte läuft. Und das Gericht beschließt: man bringe ihn aus Zarewo-Kokschaisk nach dem Gefängnisse der und der Stadt. Und jenes Gericht schreibt wieder: man bringe ihn nach Wessjegonsk. Und so ziehst du aus dem einen Gefängnis ins andere und sagst, wenn du eine neue Behausung vor dir siehst: ›Nein, das Gefängnis von Wessjegonsk war doch viel feiner: dort gab's sogar für das Knöchelspiel Platz, auch hatte man dort mehr Gesellschaft.‹ – Abakum Fyrow! Wie steht's mir dir, Bruder? Wo treibst du dich herum? Bist du an die Wolga geraten und hast dich, in deiner Sehnsucht nach einem freien Leben, den Treidlern angeschlossen?« Hier hielt Tschitschikow inne und wurde etwas nachdenklich. Worüber dachte er wohl nach? Über das Schicksal des Abakum Fyrow, oder wurde er einfach nachdenklich, wie es jeder Russe, von jedem Alter, Stande und Vermögen wird, wenn er über die Lust des freien Lebens nachdenkt? Und in der Tat: wo mag jetzt dieser Fyrow stecken? Er bummelt laut und lustig am Getreidestapelplatz herum, nachdem er sich an Kaufleute verdungen hat. Blumen und Bänder am Hute, vergnügt sich die ganze Treidlerbande und nimmt Abschied von den schlanken, großgewachsenen Frauen und Schätzen, die mit Perlenschnüren und Bändern geschmückt sind; Reigen und Lieder; der ganze Landungsplatz brodelt, während die Lastträger unter Lärmen, Schreien und Schimpfen sich mit einem Haken neun Pud schwere Lasten auf den Rücken laden, Erbsen und Weizen mit großem Geräusch in die tiefen Schiffe schütten und Säcke mit Hafer und Graupen schleppen; den ganzen Platz füllen die Säcke, wie Kanonenkugeln zu Pyramiden aufgestapelt; gewaltig ragt dieses ganze Getreidearsenal, bis es in die geräumigen Schiffe verladen ist und die unendliche Flotte wie ein Zug Gänse zugleich mit dem Frühlingseise fortschwimmt. Nun beginnt eure Arbeit, ihr Treidler! Ebenso vereint, wie ihr bisher gebummelt und über die Schnur gehauen habt, so werdet ihr jetzt euch an die Arbeit machen und schweißtriefend das Schlepptau ziehen, ein Lied singend, das ebenso endlos ist, wie Rußland selbst!

 

»Ach so! Schon zwölf!« sagte endlich Tschitschikow, indem er auf die Uhr blickte. »Was verliere ich soviel Zeit? Wenn ich noch wenigstens etwas Gescheites getan hätte, aber ich redete nur dummes Zeug und wurde dann nachdenklich. Was bin ich für ein Narr!« Nachdem er dies gesagt, vertauschte er sein schottisches Kostüm mit einem europäischen, zog sein volles Bäuchlein mit der Schnalle fester zusammen, besprengte sich mit Eau de Cologne, nahm seine warme Mütze in die Hand und die Papiere unter den Arm und begab sich auf die Zivilkammer, um die Kaufverträge abzuschließen. Er beeilte sich, nicht weil er etwa zu spät zu kommen fürchtete – das brauchte er nicht zu fürchten, denn der Kammervorsitzende war sein guter Bekannter und hatte die Macht, die Amtsstunden nach Belieben zu verlängern oder abzukürzen, gleich dem alten Zeus Homers, der die Tage verlängerte und die Nächte schneller eintreten ließ, wenn er die Kämpfe seiner Lieblingsheroen unterbrechen oder zum Abschluß bringen lassen wollte; er empfand aber noch immer eine gewisse Unruhe und Verlegenheit: ab und zu kam ihm der Gedanke, daß die Seelen doch nicht ganz echt seien und daß es in solchen Fällen immer von Vorteil wäre, die Last möglichst schnell loszuwerden. Kaum war er auf die Straße getreten, immer noch in diese Gedanken versunken und zugleich auf den Schultern einen mit braunem Tuch gedeckten Bären schleppend, als er gleich an der ersten Straßenkreuzung mit einem Herrn zusammenstieß, der gleichfalls einen mit braunem Tuch gedeckten Bären schleppte und eine warme Mütze mit Ohrenklappen aufhatte. Dieser Herr schrie auf: es war Manilow. Sie schlossen einander in die Arme und verblieben an die fünf Minuten mitten auf der Straße in dieser Stellung. Die gegenseitigen Küsse waren so heftig, daß beiden nachher den ganzen Tag die Vorderzähne schmerzten. Manilows Gesicht nahm vor Freude einen solchen Ausdruck an, daß die Augen vollständig verschwanden und nur noch die Nase und die Lippen übrigblieben. Etwa eine Viertelstunde lang hielt er Tschitschikows Hand mit seinen beiden Händen fest und machte sie gehörig warm. In den feinsten und angenehmsten Wendungen erzählte er, wie er herbeigeflogen sei, um Pawel Iwanowitsch zu umarmen; er schloß seine Rede mit einem Kompliment, das man höchstens einem jungen Mädchen zu sagen pflegt, mit dem man zu Tanze geht. Tschitschikow öffnete den Mund, ohne noch recht zu wissen, wie er sich bedanken solle, als Manilow plötzlich eine mit einem rosa Bändchen umwundene Papierrolle aus seinem Pelze hervorholte.

»Was ist denn das?«

»Die Bäuerlein.«

»Ach so!« Tschitschikow entfaltete das Papier, überflog es mit den Augen und wunderte sich über die Sorgfalt und Schönheit der Schrift. »Es ist so schön geschrieben,« sagte er, »daß man es gar nicht ins reine zu schreiben braucht. Und dann diese schöne Einfassung rundherum! Wer hat die Einfassung gemacht?«

»Ach, fragen Sie lieber nicht«, sagte Manilow.

»Sie?«

»Meine Frau.«

»Mein Gott! Ich geniere mich wirklich, daß ich Ihnen solche Mühe gemacht habe.«

»Für Pawel Iwanowitsch gibt es keine zu große Mühe.«

Tschitschikow verbeugte sich dankbar. Als Manilow erfuhr, daß er auf die Zivilkammer ging, um die Kaufverträge abzuschließen, erklärte er sich bereit, ihn zu begleiten. Die Freunde faßten sich unter und setzten den Weg gemeinsam fort. Bei jeder kleinen Erderhöhung, bei jedem Hügel und jeder Stufe stützte Manilow Tschitschikow, wobei er ihn mit der Hand beinahe in die Höhe hob; mit einem angenehmen Lächeln fügte er hinzu, daß er es nicht zulassen werde, daß Pawel Iwanowitsch sich seine Füßchen verstauche. Tschitschikow genierte sich sehr und wußte gar nicht, wie ihm zu danken, denn er war sich seines schweren Gewichtes wohl bewußt. Unter gegenseitigen Dienstleistungen erreichten sie endlich den Platz, auf dem das Amtsgebäude stand – ein großes zweistöckiges, steinernes Haus, so weiß wie Kreide, wohl um die Seelenreinheit der in ihm wirkenden Beamten zu versinnbildlichen. Die übrigen Gebäude, die sich auf diesem Platze befanden, entsprachen an Größe in keiner Weise dem Amtsgebäude. Dies waren: ein Schilderhäuschen, vor dem ein Soldat mit einem Gewehr stand, zwei oder drei Fuhrmannsbuden und schließlich lange Bretterzäune mit den bekannten mit Kohle oder Kreide hingekritzelten Inschriften und Zeichnungen. Sonst befand sich auf diesem einsamen, oder wie man sich bei uns auszudrücken pflegt, schönen Platze nichts. Aus den Fenstern des ersten und des zweiten Stocks blickten die unbestechlichen Häupter der Priester der Themis heraus, die sofort wieder verschwanden, weil wohl in diesem Moment ein Vorgesetzter ins Zimmer trat. Die Freunde gingen nicht, sondern liefen die Treppe hinauf, weil Tschitschikow, um sich nicht von Manilow stützen zu lassen, die Schritte beschleunigte und weil Manilow seinerseits, um Tschitschikow nicht müde werden zu lassen, vorauseilte; darum keuchten die beiden schwer, als sie den dunklen Korridor betraten. Weder die Gänge noch die Zimmer setzten ihre Blicke durch Reinlichkeit in Erstaunen. Damals war man um die Reinlichkeit noch wenig besorgt, und alles, was schmutzig war, blieb eben schmutzig, ohne ein anziehendes Äußere anzunehmen. Göttin Themis empfing ihre Gäste ganz wie sie war, im Negligé und im Schlafrock. Eigentlich müßten wir auch die Kanzleiräume beschreiben, die unsere Helden durchschritten, der Autor empfindet aber eine große Scheu vor allen Amtslokalitäten. Selbst wenn er mal zufällig diese Lokalitäten in glänzender und veredelter Gestalt, mit lackierten Fußböden und Tischen zu durchschreiten hatte, so machte er es immer im schnellsten Tempo, die Augen zu Boden gesenkt; darum hat er auch keine Ahnung davon, wie dort alles blüht und gedeiht. Unsere Helden sahen viel für Konzepte wie auch für die Reinschrift bestimmtes Papier, gesenkte Köpfe, breite Nacken, Fräcke und Röcke vom bekannten Schnitt der Gouvernementschneider und sogar eine einfache hellgraue Joppe, die von den anderen sehr abstach und deren Träger, den Kopf auf die Seite gebeugt und beinahe ans Papier gedrückt, schnell und mit Schwung ein Protokoll abschrieb, das wohl von der Beschlagnahme eines Gutes handelte, welches sich irgendein friedlicher Gutsbesitzer, der seine Tage ruhig im Anklagezustande verbrachte und unter diesem fremden Obdache Kinder und Enkel gezeugt, widerrechtlich angeeignet hatte; ab und zu fielen kurze, heisere Worte: »Fedossej Fedossejitsch, leihen Sie mir, bitte, den Akt Nummer dreihundertachtundsechzig!« – »Immer müssen Sie den Stöpsel vom amtlichen Tintenfasse verlegen!« Zuweilen erklang befehlend eine majestätischere Stimme, die offenbar von einem Vorgesetzten herrührte: »Da, schreib das ins reine! Sonst lasse ich dir die Stiefel ausziehen und du bleibst mir hier sechs Tage sitzen und kriegst nichts zu essen.« Die Schreibfedern erzeugten ein lautes Geräusch und es klang, als führen mehrere Wagen mit Reisig durch einen Wald, wo der Boden einen viertel Arschin hoch mit trockenem Laub bedeckt sei.

 

Tschitschikow und Manilow gingen auf den ersten Tisch zu, an dem zwei jugendliche Beamte saßen, und fragten: »Gestatten Sie, wo ist hier die Abteilung für Kaufverträge?«

»Was wünschen Sie denn?« fragten die beiden Beamten, indem sie sich umwandten.

»Ich möchte ein Gesuch einreichen.«

»Was haben Sie denn gekauft?«

»Ich möchte zuvor wissen, wo die betreffende Abteilung ist, hier oder anderswo?«

»Nein, sagen Sie mir zuvor, was Sie gekauft haben und zu welchem Preis, dann werden wir Ihnen sagen, wo diese Abteilung ist; sonst können wir es nicht wissen.«

Tschitschikow merkte sofort, daß die Beamten, wie alle jungen Beamten, einfach neugierig waren und sich in ihrer Tätigkeit mehr Gewicht und Bedeutung verleihen wollten.

»Hört mal, meine Lieben,« sagte er, »ich weiß sehr gut, daß alle Kaufverträge, um welchen Kaufpreis es sich auch handeln mag, an einer Stelle erledigt werden, darum bitte ich euch, uns die betreffende Abteilung zu zeigen; wenn ihr euch aber hier nicht auskennt, so werden wir jemand anderen fragen.«

Die Beamten gaben darauf keine Antwort, und der eine von ihnen zeigte bloß mit einem Finger auf einen Winkel, wo ein alter Mann vor einem Tische saß und irgendwelche Papiere numerierte. Tschitschikow und Manilow begaben sich zwischen den Tischen zu ihm. Der alte Mann war in seine Arbeit mit großem Fleiß vertieft.

»Gestatten Sie die Frage,« sagte Tschitschikow mit einer Verbeugung, »ist hier die Abteilung für Kaufverträge?«

Der alte Mann hob die Augen und sagte langsam: »Nein, hier ist nicht die Abteilung für Kaufverträge.«

»Wo denn?«

»In der Expedition für Kaufverträge.«

»Und wo ist die Expedition für Kaufverträge?«

»Bei Iwan Antonowitsch.«

»Und wo ist Iwan Antonowitsch?«

Der alte Mann zeigte mit dem Finger auf eine andere Zimmerecke. Tschitschikow und Manilow begaben sich zu Iwan Antonowitsch. Iwan Antonowitsch hatte schon auf sie ein Auge geworfen und sie von der Seite gemustert; doch im gleichen Augenblick vertiefte er sich gleich wieder in seine Schreibarbeit.

»Gestatten Sie die Frage,« sagte Tschitschikow mit einer Verbeugung, »ist hier die Abteilung für Kaufverträge?«

Iwan Antonowitsch tat so, als ob er nichts hörte; er vertiefte sich in seine Papiere und gab keine Antwort. Man sah ihm gleich an, daß er ein vernünftiger, reifer Herr war und kein junger Schwätzer und Leichtfuß. Iwan Antonowitsch schien hoch in den Vierzigern zu sein; seine Haare waren dicht und schwarz; die ganze mittlere Gesichtspartie trat hervor und strebte der Nase zu; kurz, es war eines der Gesichter, das man im Alltagsleben mit »Kannenmaul« zu bezeichnen pflegt.

»Darf ich fragen, ist hier die Abteilung für Kaufverträge?« fragte Tschitschikow.

»Ja, hier«, sagte Iwan Antonowitsch, indem er sein Kannenmaul von ihm wegwandte und sich wieder in die Schreibarbeit vertiefte.

»Ich komme mit folgender Sache: ich habe von einigen Gutsbesitzern des hiesigen Kreises Bauern zwecks Übersiedlung erworben; die Kaufverträge sind aufgesetzt, sie müssen nur noch vollzogen werden.«

»Sind die Verkäufer zur Stelle?«

»Einige sind zur Stelle, und von den anderen liegen Vollmachten vor.«

»Haben Sie das Gesuch mitgebracht?«

»Ich habe auch das Gesuch mitgebracht. Ich möchte gern … ich habe einige Eile … Könnte man die Sache nicht schon heute erledigen?«

»Ja, heute! … Heute geht es nicht«, sagte Iwan Antonowitsch. »Man muß noch Erkundigungen einziehen, ob den Verkäufen keine gerichtlichen Verfügungen im Wege stehen.«

»Übrigens, was die Beschleunigung der Sache betrifft, so ist Iwan Grigorjewitsch, der Kammervorsitzende, mein guter Freund … «

»Iwan Grigorjewitsch ist nicht der einzige; es sind auch andere da«, sagte Iwan Antonowitsch streng. Tschitschikow verstand die Anspielung Iwan Antonowitschs und entgegnete: »Auch die anderen sollen nicht zu kurz kommen; ich habe selbst gedient und kenne die Sache … «

»Gehen Sie zu Iwan Grigorjewitsch«, sagte Iwan Antonowitsch etwas freundlicher. »Soll er nur dem, den es angeht, Befehl geben. An uns soll es nicht fehlen.«

Tschitschikow holte aus der Tasche eine Banknote hervor und legte sie vor Iwan Antonowitsch, der sie gar nicht bemerkte und sofort mit einem Buche zudeckte. Tschitschikow wollte ihn auf die Note aufmerksam machen, aber jener gab ihm durch ein Kopfnicken zu verstehen, daß er es nicht zu tun brauchte.

»Dieser da wird Sie in den Sitzungssaal führen«, sagte Iwan Antonowitsch. Er nickte mit dem Kopf, und einer der anwesenden Priester der Themis, der der Göttin mit solchem Eifer opferte, daß seine beiden Ärmel geplatzt waren und aus ihnen schon längst das Unterfutter hervorquoll, wofür er auch seinerzeit den Rang eines Kollegienregistrators erhalten hatte, gesellte sich als Führer zu unseren Freunden, wie einst Vergil zu Dante, und führte sie in den Sitzungssaal, wo nur ein einziger breiter Sessel stand und in diesem, vor einem Tische mit dem Gerichtsspiegel [Fußnote] und zwei dicken Büchern einsam wie die Sonne der Kammervorsitzende thronte. Hier zeigte der neue Vergil solche heilige Scheu, daß er es nicht wagte, den Fuß über die Schwelle zu setzen und sofort den Rücken kehrte, der glattgerieben wie eine Bastdecke war und an dem eine Hühnerfeder klebte. Als sie den Saal betraten, sahen sie, daß der Vorsitzende nicht allein war: an seiner Seite saß, ganz vom Gerichtsspiegel verdeckt, Ssobakewitsch. Das Erscheinen der Gäste löste freudige Ausrufe aus, und der Regierungssessel wurde geräuschvoll zurückgeschoben. Auch Ssobakewitsch erhob sich von seinem Platze und wurde in ganzer Figur, mit seinen langen Ärmeln sichtbar. Der Vorsitzende schloß Tschitschikow in die Arme, und der Saal hallte wider von den Küssen; man fragte einander nach dem Befinden; es zeigte sich, daß die beiden leichte Kreuzschmerzen hatten, was sofort der sitzenden Lebensweise zugeschrieben wurde. Der Vorsitzende war schon anscheinend von Ssobakewitsch über den Kauf unterrichtet, weil er sofort unseren Helden zu beglückwünschen begann, was den letzteren etwas verlegen machte, um so mehr, als er die beiden Verkäufer, Ssobakewitsch und Manilow, mit jedem, von denen er das Geschäft unter vier Augen abgeschlossen hatte, nun einander gegenüberstehen sah. Er dankte jedoch dem Vorsitzenden und wandte sich gleich an Ssobakewitsch mit der Frage: »Und wie ist Ihr Befinden?«