Za darmo

Die toten Seelen

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Schon lange habe ich keine Gäste bei mir gesehen,« sagte er, »offen gestanden, sehe ich auch nicht viel Nutzen von den Gästen. Die Leute haben die dumme Sitte eingeführt, sich gegenseitig zu besuchen, während die Wirtschaft in Verfall gerät … außerdem muß man auch noch ihren Pferden Heu geben! Ich habe schon längst zu Mittag gegessen, meine Küche ist niedrig und schlecht gebaut, der Schornstein ist ganz verfallen: wenn man heizt, kann leicht eine Feuersbrunst entstehen.«

– So stehen die Sachen! – dachte sich Tschitschikow. – Es ist gut, daß ich bei Ssobakewitsch einen Käsekuchen und ein Stück Hammellende gegessen habe! –

»Und dann so furchtbar dumm: kein bißchen Heu in der ganzen Wirtschaft!« fuhr Pljuschkin fort. »Wie soll man sich auch Vorräte davon anlegen? Der Landbesitz ist klein, die Bauern sind faul, sie arbeiten nicht und denken nur an die Branntweinschenke … wie leicht kann es passieren, daß ich auf meine alten Tage noch betteln gehen muß!«

»Man hat mir aber gesagt,« bemerkte Tschitschikow bescheiden, »daß Sie mehr als tausend Seelen besitzen.«

»Wer hat Ihnen das gesagt? Sie sollten dem in die Augen spucken, der Ihnen solches gesagt hat! Das war wohl ein Spaßvogel, der sich über Sie lustig machen wollte. Von tausend Seelen reden die Leute, wenn man aber nachzählen wollte, so würde man so gut wie keine finden! In den letzten drei Jahren ist mir eine ganze Menge von Bauern an dem verdammten Fieber eingegangen.«

»Was Sie nicht sagen! Sind wirklich viele gestorben?« fragte Tschitschikow teilnahmsvoll.

»Ja, viele kamen auf den Friedhof.«

»Und darf ich fragen, wie viele?«

»An die achtzig Seelen.«

»Nein, wirklich?«

»Ich werde doch nicht lügen, Väterchen.«

»Gestatten Sie noch die Frage: Sie meinen doch die Seelen, die nach der Einreichung der letzten Revisionslisten gestorben sind?«

»Dafür würde ich noch Gott danken!« sagte Pljuschkin. »Seit jener Zeit werden es sogar an die hundertzwanzig sein.«

»Tatsächlich? Ganze hundertzwanzig?« rief Tschitschikow und machte sogar vor Erstaunen den Mund auf.

»Ich bin zu alt, Väterchen, um zu lügen: das siebzigste Jahr lebe ich schon auf der Welt!« sagte Pljuschkin. Er schien durch den beinahe freudigen Ausruf Tschitschikows verletzt. Auch Tschitschikow sah jetzt ein, daß diese Teilnahmlosigkeit gegen ein fremdes Unglück unschicklich war; darum seufzte er und sprach Pljuschkin sein Beileid aus.

»Das Beileid kann man doch nicht in die Tasche stecken«, sagte Pljuschkin. »Hier in meiner Nähe wohnt ein Hauptmann, der Teufel weiß, wo er hergekommen ist; er behauptet, mein Verwandter zu sein. Immer sagt er: »Onkelchen! Onkelchen!« und küßt mir die Hand. Wenn er aber mit seinem Beileid kommt, so heult er so, daß man sich die Ohren zuhalten muß. Ist ganz rot von Gesicht, hat wohl den Schnaps für sein Leben gern. Er hat sein ganzes Geld verputzt, als er noch Offizier war, oder eine Schauspielerin hat es ihm herausgelockt; darum kommt er jetzt mit seinem Beileid!«

Tschitschikow bemühte sich, ihm klarzumachen, daß sein Beileid ganz anders als das des Hauptmanns sei und daß er es nicht mit leeren Worten, sondern durch die Tat beweisen wolle. Ohne weitere Umschweife erklärte er sich unverzüglich bereit, für alle die Bauern, die auf eine so unglückliche Weise gestorben waren, aus eigener Tasche die Abgaben zu entrichten. Dieser Vorschlag versetzte Pljuschkin in höchstes Erstaunen. Er glotzte ihn lange an und fragte zuletzt: »Waren Sie vielleicht im Militärdienst, Väterchen?«

»Nein«, entgegnete Tschitschikow nicht ohne List. »Ich war nur im Zivildienste.«

»Im Zivildienste?« wiederholte Pljuschkin und begann die Lippen zu bewegen, als ob er etwas kaute. »Wie ist es nun? Das wäre doch ein Schaden für Sie?«

»Um Ihnen ein Vergnügen zu bereiten, bin ich auch bereit, den Schaden auf mich zu nehmen.«

»Ach, Väterchen! Ach, Wohltäter!« rief Pljuschkin aus und merkte in seiner Freude gar nicht, daß aus seiner Nase auf eine wenig malerische Weise eine Prise Schnupftabak wie dicker Kaffee hervorquoll und daß die Schöße seines Schlafrocks aufgingen und eine Unterwäsche zeigten, die nicht gerade anständig aussah. »Was haben Sie mir armem Greis für eine Freude erwiesen! Ach, du lieber Gott! Ihr Heiligen!« Weiter kam Pljuschkin nicht. Aber nach kaum einer Minute war diese Freude, die so plötzlich sein hölzernes Gesicht erleuchtet hatte, schon wieder ebenso plötzlich verschwunden, als wäre sie überhaupt nicht gewesen, und sein Gesicht nahm wieder den besorgten Ausdruck an. Er wischte sich sogar das Gesicht mit dem Taschentuch ab, ballte dann letzteres zusammen und fuhr sich damit über die Oberlippe.

»Wie ist es nun, mit Verlaub, nehmen Sie es mir nicht übel: werden Sie die Abgaben für sie alljährlich mir oder an die Staatskasse bezahlen?«

»Das wollen wir so machen: wir schließen über die Seelen einen Kaufvertrag ab, als ob sie lebende wären und als ob Sie sie mir verkauften.«

»Ja, einen Kaufvertrag … « sagte Pljuschkin nachdenklich und begann wieder mit den Lippen zu kauen. »So ein Kaufvertrag ist ja gleich mit Ausgaben verbunden. Die Beamten sind heute ganz gewissenlos! Früher war die Sache mit einem halben Rubel in Kupfer und einem Sack Mehl abgetan; heute aber muß man ihnen einen ganzen Wagen Graupen schicken und noch einen roten Zehnrubelschein dazugeben, – diese Geldgier! Ich verstehe gar nicht, warum niemand dagegen etwas unternimmt. Man könnte ja so einem Beamten ein göttliches Wort sagen: so ein Wort dringt schließlich in jedes Herz! Man mag sagen, was man will, aber einem göttlichen Wort kann doch kein Mensch widerstehen!«

– Du wirst ihm wohl widerstehen! – dachte sich Tschitschikow und erklärte gleich darauf, daß er aus Achtung für Pljuschkin sogar bereit sei, die Kosten des Kaufvertrags auf sich zu nehmen.

Als Pljuschkin hörte, daß der Gast auch die Kosten des Kaufvertrags auf sich nehmen wollte, sagte er sich, daß er wohl sehr dumm sei und sich nur so stelle, als sei er im Zivildienst gewesen; in Wirklichkeit hätte er als Offizier gedient und Schauspielerinnen den Hof gemacht. Dabei konnte er aber seine Freude doch nicht verbergen und wünschte alles Tröstliche nicht nur ihm allein, sondern auch seinen Kinderchen, ohne sich erst zu erkundigen, ob er überhaupt welche habe. Dann trat er ans Fenster, trommelte mit den Fingern auf die Scheibe und rief »Proschka!« Nach einer Weile hörte man, wie jemand in den Flur gelaufen kam und dort lange mit den Stiefeln klopfte. Endlich ging die Türe auf, und ins Zimmer trat Proschka, ein etwa dreizehnjähriger Junge in so großen Stiefeln, daß sie ihm beim Gehen beinahe von den Füßen fielen. Es sei gleich hier mitgeteilt, warum Proschka so große Stiefel anhatte: Pljuschkin besaß für sein gesamtes Hausgesinde nur ein einziges Paar Stiefel, das sich immer im Flur befinden mußte. Ein jeder, der in die herrschaftlichen Gemächer berufen wurde, mußte erst barfuß durch den ganzen Hof tanzen; im Flur aber zog er die Stiefel an und betrat in diesen das Zimmer. Wenn er wieder ging, ließ er die Stiefel im Flur stehen und legte den weiteren Weg auf seinen natürlichen Sohlen zurück. Wenn man im Herbste, besonders um die Zeit der Morgenfröste, zum Fenster hinausblickte, sah man das ganze Gesinde solche Sprünge durch den Hof machen, wie sie auch dem geübtesten Theatertänzer kaum gelingen.

»Schauen Sie sich nur diese Fratze an, Väterchen!« sagte Pljuschkin zu Tschitschikow, mit dem Finger auf Proschka zeigend. »Er ist dumm wie ein Stück Holz, wenn man aber etwas liegenläßt, so stiehlt er es im Nu! – Nun, was bist du hergekommen, Dummkopf? Sag', was bist du gekommen?« Darauf schwieg er eine Weile, was Proschka gleichfalls mit Schweigen beantwortete. »Setz' mal den Samowar auf, hörst du? Und nimm diesen Schlüssel, gib ihn der Mawra, sie soll in die Speisekammer gehen: dort liegt auf dem Brett ein Zwieback vom Stollen, den Alexandra Stepanowna mitgebracht hat – diesen Zwieback soll sie zum Tee bringen! Wart', wo willst du schon hin? Esel! Ach, bist du ein Esel! … Dir steckt wohl der Teufel in den Füßen! … Hör' erst, was man dir sagt. Der Zwieback ist oben wohl etwas verschimmelt, also soll sie ihn mit dem Messer abkratzen; die Krümel soll sie aber nicht wegwerfen, sondern in den Hühnerstall tragen. Paß auf, Bruder, daß du mir nicht selbst in die Speisekammer gehst. Sonst kriegst du was mit Birkenruten, du weißt schon, zum Appetit! Du hast auch schon jetzt einen guten Appetit, der soll noch besser werden! Versuch' nur in die Speisekammer zu gehen, ich werde zum Fenster hinausschauen. – Man kann den Leuten in nichts trauen«, wandte er sich an Tschitschikow, als Proschka mit seinen Stiefeln verschwunden war. Darauf begann er auch seinen Gast argwöhnisch zu mustern. Dessen geradezu unerhörte Großmut kam ihm unwahrscheinlich vor, und er dachte sich: »Da soll sich der Teufel auskennen; vielleicht prahlt er nur, wie alle diese Verschwender: er lügt und lügt, nur um die Zeit zu verbringen und ein Glas Tee zu bekommen, und dann fährt er wieder fort!« Darum sagte er aus Vorsicht und zugleich, um Tschitschikow zu prüfen, daß es gut wäre, den Kaufvertrag möglichst bald abzuschließen; auf das Menschenleben sei doch kein Verlaß; heute lebt der Mensch, was aber mit ihm morgen geschieht, das weiß Gott allein.

Tschitschikow erklärte sich bereit, die Sache augenblicklich abzuschließen und bat nur um eine Liste aller Bauern.

Dies beruhigte Pljuschkin. Es war ihm anzusehen, daß er etwas vorhatte; und in der Tat: er nahm den Schlüsselbund, ging mit ihm zum Schrank, kramte lange zwischen den Gläsern und Tassen herum und erklärte schließlich: »Jetzt finde ich ihn nicht, ich hatte einen wunderbaren Likör, wenn die Leute ihn nur nicht ausgesoffen haben: es sind ja lauter Diebe! Da habe ich ihn schon!« Tschitschikow erblickte in seinen Händen ein Fläschchen, das so verstaubt war, daß es in einer Wolljacke zu stecken schien. »Meine Selige hat ihn selbst gemacht«, fuhr Pljuschkin fort. »Die Haushälterin, diese Betrügerin, hat sich um ihn nicht gekümmert und ihn nicht mal zugekorkt, die Kanaille! Allerlei Gewürm und sonstiger Dreck hatte sich drin angesammelt, aber ich habe alles herausgenommen, und nun ist der Likör wieder rein. Ich will Ihnen ein Gläschen einschenken.«

 

Tschitschikow beeilte sich aber, auf diesen feinen Likör zu verzichten, und erklärte, daß er schon gegessen und getrunken habe.

»So, schon gegessen und getrunken!« sagte Pljuschkin. »Ja, natürlich, einen Mann aus der guten Gesellschaft erkennt man überall: er ißt nicht, ist aber immer satt; aber so einen Windbeutel und Schwindler kann man ewig füttern … Wenn der Hauptmann gefahren kommt, so sagt er gleich: »Onkelchen«, sagt er, »geben Sie mir etwas zu essen!« Dabei bin ich ebenso sein Onkel, wie er mein Großvater ist. Bei sich zu Hause hat er wohl nichts zu essen, darum treibt er sich herum! Sie brauchen also eine Liste von all diesen Tagedieben? Gewiß! Ich habe sie schon einmal, so gut ich's konnte, auf einen eigenen Zettel geschrieben, um sie bei der nächsten Revision streichen zu lassen.« Pljuschkin setzte sich die Brille auf und begann in den Papieren herumzukramen. Indem er einen Pack nach dem anderen aufschnürte, traktierte er seinen Gast mit solchen Staubwolken, daß dieser niesen mußte. Schließlich holte er einen Zettel hervor, der auf beiden Seiten eng beschrieben war. Die Bauernnamen saßen drauf wie die Fliegen. Es waren allerlei Namen darunter: ein Paramonow, ein Pimenow und ein Pantelejmonow; selbst ein gewisser Grigorij Dojesschaj-ne-dojedesch (kommst niemals an) war darunter; im ganzen waren es über hundertzwanzig Namen. Als Tschitschikow diese Zahl sah, lächelte er zufrieden. Er steckte den Zettel in die Tasche und erklärte Pljuschkin, daß er zum Abschluß des Kaufvertrages in die Stadt werde fahren müssen.

»In die Stadt? Wie mache ich es nur? … Wie soll ich das Haus ohne Aufsicht lassen? Alle meine Leute sind entweder Diebe oder Spitzbuben: an einem einzigen Tage bestehlen sie mich so, daß nicht mal ein Nagel übrigbleibt, an dem ich meinen Rock aufhängen könnte.«

»Haben Sie denn keinen Bekannten in der Stadt?« »Einen Bekannten? Alle meine Bekannten sind entweder tot oder wollen mich nicht mehr kennen … Ach ja, Väterchen, gewiß habe ich einen Bekannten!« rief er aus. »Ich kenne ja den Kammervorsitzenden, vor vielen Jahren pflegte er mich sogar zu besuchen. Wie sollte ich den nicht kennen? Wir sind doch an der gleichen Krippe aufgewachsen, sind zusammen über die Zäune geklettert! Wie sollte ich den nicht kennen? Einen besseren Bekannten gibt's ja gar nicht! … Soll ich ihm vielleicht einen Brief schreiben?«

»Natürlich schreiben Sie ihm einen Brief!«

»Gewiß, ein guter Bekannter von mir! In der Schule waren wir Freunde.«

Über das hölzerne Gesicht Pljuschkins glitt plötzlich ein warmer Strahl; es war kein Gefühl, sondern nur eine blasse Spiegelung eines Gefühls: die Erscheinung erinnerte an das unerwartete Auftauchen eines Ertrinkenden auf der Wasseroberfläche, das einen freudigen Aufschrei in der Menge, die sich am Ufer drängt, auslöst; doch vergebens werfen die erfreuten Brüder und Schwestern einen Strick aus und warten, ob nicht wieder der Rücken und die im Kampf ermüdeten Arme zum Vorschein kommen: es war sein letztes Auftauchen. Alles ist stumm, und noch schrecklicher und öder wird die stille Oberfläche des gleichgültigen Elements. So wurde auch das Gesicht Pljuschkins, nachdem der Abglanz eines Gefühls darüber gehuscht war, noch gefühlloser und hölzerner.

»Da hat auf dem Tische ein Bogen reines Papier gelegen«, sagte er: »Ich weiß nicht, wo es hingekommen ist: alle meine Leute taugen nichts!« Hierauf suchte er unter dem Tische und auf dem Tische, wühlte überall herum und rief schließlich: »Mawra! Mawra!« Auf den Ruf erschien eine Frau mit einem Teller in der Hand, auf dem der dem Leser schon bekannte Zwieback lag. Zwischen den beiden wickelte sich folgendes Gespräch ab:

»Räuberin, wo hast du das Papier hingetan?«

»Bei Gott, Herr, ich habe kein Papier gesehen, außer dem Stückchen, mit dem Sie das Schnapsglas zugedeckt haben.«

»Ich sehe es dir ja an den Augen an, daß du es gestohlen hast.«

»Wozu sollte ich es stehlen? Was hätte ich davon: ich kann ja gar nicht schreiben.«

»Du lügst, du hast es zum jungen Küster hingetragen, der versteht zu schreiben, darum hast du es ihm gegeben.«

»Wenn der Küster Papier braucht, so kann er sich selbst welches verschaffen. Ihr Papier hat er nicht vor die Augen bekommen!«

»Warte nur, warte: beim Jüngsten Gericht werden dich die Teufel schon mit glühenden Eisen zwicken! Du wirst es sehen, wie sie dich zwicken werden!«

»Was werden sie mir tun, wenn ich den Bogen nicht mal angerührt habe? Jede andere weibliche Schwäche kann man mir eher vorwerfen, aber Diebstahl hat mir noch niemand vorgeworfen.«

»Die Teufel werden dich aber zwicken! Sie werden sagen: ›Das hast du dafür, du Spitzbübin, daß du deinen Herrn betrogen hast!‹, und sie werden dich mit den glühenden Eisen zwicken!«

»Und ich werde darauf sagen: ›Ich habe es nicht verdient, bei Gott, ich habe es nicht verdient: ich habe das Papier nicht angerührt … ‹ Da liegt es ja auf dem Tisch. Immer machen Sie mir unverdiente Vorwürfe!«

Pljuschkin erblickte tatsächlich das Papier und hielt für eine Weile inne. Er kaute mit den Lippen und sagte: »Was bist du so aus dem Häuschen geraten? So ein Frauenzimmer! Wenn man ihr bloß ein Wort sagt, gibt sie gleich zehn zur Antwort! Geh, bring mir Feuer, damit ich den Brief versiegeln kann. Wart! Du wirst wohl eine Talgkerze nehmen; Talg schmilzt leicht: das Licht verbrennt, und es bleibt nichts übrig, und ich habe nur Schaden davon; bring mir lieber einen Kienspan!«

Mawra ging, Pljuschkin setzte sich aber in den Sessel, ergriff die Feder und drehte das Blatt lange hin und her, um festzustellen, ob sich nicht die Hälfte davon ersparen ließe; schließlich kam er zur Überzeugung, daß es doch nicht ging; er tauchte die Feder in das Tintenfaß mit einer verschimmelten Flüssigkeit und einer Menge von Fliegen auf dem Grunde und begann zu schreiben. Er malte Buchstaben, die an Musiknoten gemahnten, hemmte fortwährend den Schwung, in den seine Hand geraten war, setzte dicht Zeile an Zeile und dachte nicht ohne Bedauern daran, daß doch noch ein leerer Raum übrigbleiben mußte.

Konnte denn ein Mensch zu einer solchen häßlichen Kleinlichkeit herabsinken? Konnte er sich so verändern? Ist das überhaupt wahrscheinlich? – Alles ist wahrscheinlich, alles kann aus dem Menschen werden. Der begeisterte Jüngling von heute würde entsetzt zurückprallen, wenn man ihm sein Altersbild vorhalten wollte. Nehmt darum, wenn ihr aus den sanften Jünglingsjahren in das rauhe, härtende Mannesalter tretet, alle menschlichen Regungen mit, lasset nichts unterwegs liegen: ihr werdet es später nicht mehr auflesen können! Drohend und schrecklich ist das nahende Alter, und es wird euch nichts zurückgeben! Das Grab ist barmherziger, auf dem Grabsteine steht geschrieben: »Hier ruht ein Mensch«; doch nichts ist auf den kalten, gefühllosen Zügen des unmenschlichen Greisenalters zu lesen.

»Haben Sie vielleicht zufällig einen Freund,« fragte Pljuschkin, den Brief zusammenfaltend, »der entlaufene Seelen brauchen könnte?«

»Haben Sie denn auch entlaufene Seelen?« fragte Tschitschikow, wieder zur Besinnung kommend.

»Das ist es eben, daß ich welche habe. Mein Schwiegersohn ist der Sache nachgegangen und sagt, daß die Leute spurlos verschwunden sind; er ist aber ein Militär und versteht nur, mit den Sporen herumzuspringen; wenn es aber gilt, sich beim Gericht zu bemühen … «

»Wieviel solche Seelen haben Sie?«

»Es werden wohl auch an die siebzig Stück sein.«

»Nein, wirklich?«

»Bei Gott! Jedes Jahr laufen mir welche davon. Die Leute sind furchtbar gefräßig und haben sich vor lauter Nichtstun das Fressen angewöhnt, ich habe aber selbst fast nichts zu essen … Für diese Seelen würde ich jeden Preis nehmen. Empfehlen Sie es doch Ihrem Freunde: wenn er bloß zehn Stück von den entlaufenen Seelen einfängt, so hat er eine hübsche Summe verdient. Eine Seele gilt doch heute fünfhundert Rubel.«

– Nein, davon soll der Freund nichts zu riechen bekommen, – sagte sich Tschitschikow und erklärte Pljuschkin, daß er einen solchen Freund nicht habe, daß die Gerichtskosten alles aufzehren würden: man lasse dem Gerichtsbeamten lieber seine beiden Rockschöße zurück und mache, daß man weiterkomme; wenn aber Pljuschkin sich tatsächlich in einer so bedrängten Lage befinde, so sei er aus bloßer Teilnahme bereit, für diese Seelen einen Preis zu bieten … das sei aber eine solche Bagatelle, daß es sich darüber nicht zu reden verlohne.

»Wieviel würden Sie denn geben?« fragte Pljuschkin. Seine Hände zitterten vor Habgier wie Quecksilber.

»Ich würde fünfundzwanzig Kopeken für die Seele zahlen.«

»Wie kaufen Sie: gegen bar?«

»Ja, ich zahle sofort.«

»Väterchen, meiner Armut wegen könnten Sie mir wirklich vierzig Kopeken pro Stück zahlen.«

»Verehrtester!« sagte Tschitschikow, »nicht nur vierzig Kopeken, fünfhundert Rubel würde ich Ihnen gern zahlen. Mit Vergnügen würde ich sie Ihnen zahlen, denn ich sehe, daß ein ehrwürdiger, guter Greis wegen seiner Gutmütigkeit solche Not leidet.«

»So ist es, bei Gott! Bei Gott, es ist wahr!« sagte Pljuschkin, indem er den Kopf hängen ließ und ihn traurig schüttelte. »Alles kommt von meiner Gutmütigkeit.«

»Nun sehen Sie es, ich habe Ihren Charakter im Nu erfaßt. Warum sollte ich nicht auch fünfhundert Rubel für die Seele geben, aber … ich habe kein Vermögen. Wenn Sie wollen, kann ich noch fünf Kopeken zulegen, so daß jede Seele auf dreißig Kopeken zu stehen kommt.«

»Nun, Väterchen, wie Sie wollen, legen Sie wenigstens noch zwei Kopeken dazu.«

»Zwei Kopeken will ich gerne zulegen. Wie viele Seelen haben Sie im ganzen? Sie sprachen, glaube ich, von siebzig Stück?«

»Nein, es werden im ganzen achtundsiebzig sein.«

»Achtundsiebzig, achtundsiebzig, zu zweiunddreißig Kopeken pro Seele, das macht … « Unser Held dachte kaum mehr als eine Sekunde nach und erklärte plötzlich: »Das macht vierundzwanzig Rubel sechsundneunzig Kopeken!« Er war sehr stark im Kopfrechnen. Er ließ sich sofort von Pljuschkin eine Quittung ausstellen und gab ihm das Geld, das jener mit beiden Händen so vorsichtig zum Sekretär trug, als ob es eine Flüssigkeit wäre, von der er keinen Tropfen verschütten wollte. Als er vor dem Sekretär stand, sah er sich das Geld noch einmal an und legte es ebenso vorsichtig in eines der Fächer, in dem es dem Gelde wohl beschieden war, begraben zu sein, bis P. Karp und P. Polikarp, die beiden Geistlichen seines Dorfes, ihn selbst begraben würden, zur unbeschreiblichen Freude des Schwiegersohnes und der Tochter, vielleicht auch des Hauptmanns, der sich für seinen Verwandten ausgab. Nachdem Pljuschkin das Geld verschlossen hatte, setzte er sich in den Sessel und schien keinen neuen Gesprächsstoff finden zu können.

»Wie, Sie wollen schon aufbrechen?« fragte er, als er Tschitschikow eine kleine Bewegung machen sah; dieser wollte aber nur sein Taschentuch hervorholen. Diese Frage erinnerte Tschitschikow daran, daß er hier tatsächlich nichts mehr zu suchen hätte. »Ja, es wird Zeit!« sagte er, nach seinem Hute greifend.

»Und der Tee?«

»Nein, den Tee trinke ich lieber ein anderes Mal.«

»Schade! Ich habe ja schon den Samowar aufsetzen lassen. Offen gestanden, ich bin kein Liebhaber von Tee: das Getränk ist teuer, und auch der Zuckerpreis ist wahnsinnig gestiegen. Proschka! Wir brauchen keinen Samowar! Den Zwieback bringst du der Mawra zurück, hörst du? Sie soll ihn an die gleiche Stelle legen; oder nein, gib ihn her, ich will ihn selbst hintragen. Leben Sie wohl, Väterchen! Gott segne Sie! Den Brief geben Sie aber dem Kammervorsitzenden. Ja! Soll er ihn nur lesen, er ist ja mein alter Bekannter. Gewiß, wir sind doch an der gleichen Krippe aufgewachsen!«

Hierauf begleitete ihn diese seltsame Erscheinung, dieses eingeschrumpfte alte Männchen vor das Tor und befahl, das letztere sofort zu schließen; dann machte er eine Runde durch alle Vorratskammern, um sich zu vergewissern, ob alle Wächter an ihren Plätzen seien; an jeder Ecke mußte so ein Wächter stehen und mit einer Holzschaufel auf ein leeres Faß statt auf ein Eisenbrett trommeln; darauf blickte er in die Küche hinein, wo er, unter dem Vorwande, sich überzeugen zu wollen, ob das Essen des Hausgesindes gut sei, eine ordentliche Portion Kohlsuppe und Brei verzehrte; dann warf er der ganzen Dienerschaft Diebstahl und schlechtes Betragen vor und kehrte in sein Zimmer zurück. Als er allein geblieben war, kam ihm sogar der Gedanke, daß er den Gast für seine beispiellose Großmut eigentlich hätte belohnen müssen. »Ich werde ihm eine Taschenuhr schenken,« sagte er sich, »eine gute silberne Uhr, nicht etwa eine aus Tombak oder Bronze; sie ist zwar etwas verdorben, aber er kann sie reparieren lassen; er ist doch noch ein junger Mann, also braucht er eine Taschenuhr, um guten Eindruck auf seine Braut zu machen. Oder nein,« sagte er sich nach kurzer Überlegung, »lieber vermache ich sie ihm in meinem Testament, damit er sich später meiner erinnert.«

 

Unser Held war aber auch ohne die Uhr in der besten Stimmung. Dieser unerwartete Kauf war ein Geschenk des Himmels. Und in der Tat: es waren nicht bloß tote, sondern auch entlaufene Seelen, und im ganzen an die zweihundert Stück! Als er sich vorhin dem Dorfe Pljuschkins näherte, hatte er schon natürlich geahnt, daß da ein Geschäft zu machen sei, aber auf so ein vorteilhaftes Geschäft hatte er gar nicht gerechnet. Während der ganzen Fahrt war er ungewöhnlich lustig; er pfiff und trompetete, indem er sich eine Faust vor die Lippen hielt. Schließlich stimmte er ein so ungewöhnliches Lied an, daß Sselifan nach längerem Zuhören leicht den Kopf schüttelte und sagte: »Wie der Herr heute singt!« Es war schon recht dunkel, als sie die Stadt erreichten. Licht und Schatten waren gänzlich vermischt, und auch alle Gegenstände schienen durcheinandergeraten. Der buntgestreifte Schlagbaum sah höchst unbestimmt aus; der Schnurrbart des Wachpostens schien auf der Stirne, viel höher als die Augen zu sitzen, und von der Nase war überhaupt nichts zu sehen. Das Dröhnen und Poltern gab zu erkennen, daß der Wagen schon über das Straßenpflaster rollte. Die Straßenlaternen brannten noch nicht, nur hier und da waren einzelne Fenster erleuchtet, und in den Neben- und Quergassen spielten sich Szenen ab, die diese Stunde in allen Städten begleiten, wo es viele Soldaten, Fuhrleute, Arbeiter und die eigenartigen weiblichen Wesen gibt, die in roten Schals, in Schuhen ohne Strümpfe an den Straßenecken wie die Fledermäuse herumschwirren. Tschitschikow sah sie aber nicht und bemerkte nicht mal die vielen mageren Beamten mit den Stöckchen in der Hand, die wohl vom Abendspaziergange vor der Stadt heimkehrten. Ab und zu schlugen nur einzelne, wohl von Frauenlippen kommende Rufe an sein Ohr: »Du lügst, Säufer, niemals habe ich ihm eine solche Gemeinheit erlaubt!« Oder: »Rühr mich nicht an, Rohling! Komm nur aufs Revier, dort werde ich es dir schon zeigen! … « Mit einem Worte lauter Rufe, die auf einen in Gedanken versunkenen zwanzigjährigen Jüngling, der aus dem Theater kommt und eine spanische Straße, eine Nacht und ein herrliches Frauenbild mit Locken und einer Gitarre im Kopfe trägt, wie kochendes Wasser wirken. Was schwebt nicht alles in seinem Kopfe? Er ist im Himmel, er weilt bei Schiller zu Besuch – und plötzlich hört er dicht vor sich die verhängnisvollen Worte und sieht sich auf die Erde, sogar auf den Heumarkt, sogar vor eine Schenke versetzt, und wieder prangt vor ihm das Alltagsleben.

Endlich machte der Wagen einen ordentlichen Sprung und sank, wie in eine Grube, in das Gasthoftor. Tschitschikow wurde von Petruschka empfangen, der mit der einen Hand die Schöße seines Rockes zusammenhielt, weil er nicht liebte, daß sie aufgingen, und mit der anderen seinem Herrn aus dem Wagen half. Auch der Polowoj kam mit einer Kerze in der Hand und einer Serviette über der Schulter herausgelaufen. Ob Petruschka sich über die Rückkehr seines Herrn freute, ist unbekannt; er wechselte jedenfalls mit Sselifan einen Blick, und seine sonst finstere Miene schien sich ein wenig aufzuheitern.

»Lange waren Sie fort!« sagte der Polowoj, ihm auf der Stiege leuchtend. »Ja«, sagte Tschitschikow, als er schon oben war. »Und wie geht es dir?«

»Gottlob!« sagte der Polowoj mit einer Verbeugung. »Gestern ist irgendein Leutnant angekommen, hat Nummer sechzehn besetzt.«

»Ein Leutnant?«

»Man weiß nicht, wer er ist, er kommt aus Rjasan und hat braune Pferde.«

»Schön, schön, führ dich auch in Zukunft gut auf!« sagte Tschitschikow, indem er in sein Zimmer trat. Als er das Vorzimmer passierte, verzog er die Nase und sagte zu Petruschka: »Wenn du doch wenigstens etwas gelüftet hättest!«

»Ich habe wohl gelüftet«, sagte Petruschka, aber das war eine Lüge. Auch der Herr wußte übrigens, daß es gelogen war, wollte aber nichts mehr sagen. Nach der langen Reise spürte er große Müdigkeit. Nachdem er ein ganz leichtes Abendessen, das bloß aus einem Spanferkel bestand, zu sich genommen hatte, zog er sich sofort aus, schlüpfte unter die Bettdecke und schlief so wunderbar ein, wie nur die Glücklichen zu schlafen pflegen, die nichts von Hämorrhoiden, von Flöhen und allzu starken geistigen Regungen wissen.