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Der Mantel: Eine Novelle

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Akaki Akakiewitsch kam in vollständiger Unordnung zu Hause an; sein Haar, ohnehin nur mehr noch spärlich an der Schläfe und im Nacken, war zerzaust; die Seite, die Brust und die Hosen waren mit Schnee bedeckt. Seine alte Wirtin hörte ihn diesmal anders als sonst an der Tür klopfen, sprang eilig aus dem Bett und lief, nur mit einem Strumpfe, ihm die Tür zu öffnen, während sie ihr Hemd keusch an die Brust hielt; doch ließ sie dieses gleich los, da sie den Titularrat in seiner traurigen Verfassung erblickte. Und als sie nun vernahm, worum es sich handle, schlug sie die Hände zusammen und meinte, er müsse zum Polizeihauptmann, der Polizeileutnant sei eine Schlafmütze, mache Versprechungen und ziehe die Sache nur hinaus; sie kenne den Hauptmann, weil Anna, die Estin, die früher bei ihr in der Küche gewesen sei, jetzt bei ihm als Amme diene; auch sehe sie ihn selber öfters, wenn er am Hause hier vorbeifahre, im übrigen gehe er jeden Sonntag in die Kirche, sage sein Gebet und sehe dabei alle Leute sehr freundlich an, er sei jedenfalls nach allem, was man beobachten konnte, ein guter Mensch. Akaki Akakiewitsch hörte ihr zu und ging, ohne ein Wort zu sagen, in sein Zimmer – wie er dort die Nacht verbracht hat, kann sich jeder denken, der sich an die Stelle eines anderen zu versetzen imstande ist. Am nächsten Morgen machte er sich gleich zum Polizeihauptmann auf. Man sagte ihm dort, der Polizeihauptmann schlafe. Er kam um zehn Uhr wieder: er schläft noch. Um elf Uhr hieß es, er sei nicht zu Hause. Akaki Akakiewitsch kam um die Mittagsstunde – doch die Schreiber wollten ihn jetzt nicht einmal hereinlassen und mußten erst wissen, was ihn herbringe und was überhaupt geschehen sei, so daß Akaki Akakiewitsch endlich, wohl das erstemal in seinem Leben, Mut bewies und in abgerissenen Sätzen erwiderte, er müsse den Polizeihauptmann persönlich sprechen, sie sollten es nur wagen, ihn nicht hereinzulassen, er komme aus dem Ministerium in einer dienstlichen Angelegenheit, er würde über sie alle, wie sie da wären, Beschwerde führen, und sie würden dann das Weitere schon sehen. Dagegen konnten die Schreiber nichts mehr erwidern, und einer ging hinaus, den Polizeihauptmann zu holen. Dieser hatte nun eine ganz sonderbare Art, den Bericht entgegenzunehmen. Statt auf die Hauptsache, den Raub des Mantels, einzugehen, fragte er Akaki Akakiewitsch, warum er so spät nach Hause gegangen sei und ob er nicht vielleicht gar in einem verrufenen Hause gewesen sei? so daß Akaki Akakiewitsch ganz verlegen wurde und hinauseilte, ohne zu wissen, ob die Angelegenheit nun ihren Weg gehen werde oder nicht. Er ging nicht ins Amt (das einzige Mal in seinem Leben); erst am nächsten Tag erschien er wieder dort, bleich, verstört und mit der alten Kapuze, die heute noch trauriger aussah. Die Kunde vom Raub des Mantels rührte wohl die meisten seiner Kollegen – natürlich fehlte es nicht an solchen, die auch diesmal die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen wollten, sich über Akaki Akakiewitsch lustig zu machen. Sie beschlossen auch, eine Kollekte zu veranstalten, doch es kam nur eine Kleinigkeit zusammen, weil sie eben große Auslagen gehabt hatten mit dem Porträt des Direktors und einem Buche, das sie auf Betreiben des Abteilungschefs, einem Freunde des Verfassers, kaufen mußten. Einer von ihnen beschloß, vom Mitleid bewegt, Akaki Akakiewitsch wenigstens mit einem guten Rat beizustehen und meinte, er solle nicht zum Polizeileutnant gehen, denn es könnte vorkommen, daß dieser, um sich beim Hauptmann beliebt zu machen, den Mantel auf die eine oder andere Art finde, daß der Mantel aber trotzdem auf der Polizei liegenbleibe, es sei denn, daß er sein Eigentumsrecht auf den Mantel gesetzlich nachzuweisen vermöchte; nun wäre aber da eine hochstehende Persönlichkeit, an die sollte er sich wenden, denn durch ihre Verbindungen vermöchte diese die Sache schneller zu betreiben, sobald sie davon erfahren hätte. Wer gerade diese hochstehende Persönlichkeit gewesen wäre, ist bis jetzt ebenso unbekannt geblieben wie deren Stellung. Nur so viel war zu ermitteln, daß die hochstehende Persönlichkeit es erst vor kurzem geworden und bis dahin noch ganz und gar nicht hochgestanden wäre. Natürlich im Vergleiche mit einer noch höherstehenden ließ sich ihre Stellung überhaupt nicht zu den hochstehenden rechnen; aber es wird sich immer ein Kreis von Menschen finden, für den eine nicht sehr hochstehende Persönlichkeit eben schon eine sehr hochstehende ist. Selbstverständlich suchte sie ihre hohe Bedeutung auf alle Weise und mit allerlei Mitteln zu bekräftigen; so z. B. führte sie ein, daß die niederen Beamten ihr bis zur Stiege entgegengingen, sooft sie im Amt erschien; daß ferner niemand es wagen dürfe, direkt vor ihr zu erscheinen, sondern daß es in folgender Reihenfolge vor sich gehen sollte: der Registrator übernimmt das Gesuch und übermittelt es dem Gouvernementssekretär, dieser dem Titularsekretär, und so auf diesem und gar keinem anderen Wege könne eine Sache bis zu ihr gelangen. So ist eben im heiligen Rußland alles mit Nachäfferei angesteckt, und jeder tuts seinem Vorgesetzten nach und nicht anders. Als ein Titularrat Direktor einer kleinen Kanzlei wurde, soll er sich, so erzählt man, sofort ein eigenes Zimmer haben abstecken lassen, das er Dienstzimmer nannte; vor die Tür stellte er zwei Diener mit roten Kragen und goldnen Tressen, sie hatten jedem Hereinkommenden die Tür zu öffnen, und dabei konnte man im Zimmer mit Mühe mehr als einen Tisch unterbringen. Die Empfänge und überhaupt alle Gewohnheiten der hochstehenden Persönlichkeit waren sehr majestätisch, aber durchaus nicht unkompliziert. Ihr System war Strenge.» Nur Strenge und noch einmal und immer wieder Strenge, «sagte sie bei jeder Gelegenheit, und beim letzten Worte pflegte sie jedesmal dem, mit dem sie gerade sprach, höchst bedeutsam ins Gesicht zu blicken – obwohl natürlich zu besonderer Strenge nicht die geringste Ursache vorhanden war, denn die zehn Beamten, die den Mechanismus ihrer Kanzlei bildeten, kamen ohnehin nie ganz aus der Furcht heraus; sobald sie ihrer nur ansichtig wurden, ließen sie die Arbeit liegen und standen auf und warteten, bis sie an ihnen vorbei wäre. Ihre übliche Ansprache an die Untergebenen war eben auch ganz durch jene Strenge gekennzeichnet und bestand im Grunde nur aus den drei Sätzen:» Wie können Sie es wagen? Wissen Sie, mit wem Sie reden? Wissen Sie, wer vor Ihnen steht? «Dabei war er im Innersten seines Herzens ein guter Kerl, freundlich zu seinen Kameraden, gefällig; der Generalsrang hatte ihn eben ganz aus der Fassung gebracht. Er wurde durch diesen Titel in der Tat ganz verdreht, kam aus dem Geleise und wußte gar nicht mehr, wie ihm wäre. Mit Gleichgestellten gab er sich wie er ist – als anständigen, in vieler Beziehung gar nicht dummen Menschen; fanden sich aber in der Gesellschaft Leute, die auch nur um eine einzige Stufe niedriger waren als er, war er wie verwandelt: er schwieg und schwieg, und seine Lage weckte um so mehr Bedauern, als er selber fühlte, daß er seine Zeit unvergleichlich angenehmer zubringen könnte. Man konnte ihm ja den Wunsch von den Augen ablesen, sich in ein interessantes Gespräch zu mischen oder einem Kreise beizugesellen, doch stets hielt ihn der Gedanke zurück: Wird es nicht von seiner Seite zu viel sein, wird es nicht familiär erscheinen, wird er dadurch nicht seiner Stellung schaden? Die Folge davon war, daß er ewig an ein und derselben Stelle wie angenagelt dastand, keinen Ton von sich gab und also sich den Ruf eines höchst langweiligen Menschen erwarb.

Vor dieser hochstehenden Persönlichkeit erschien also Akaki Akakiewitsch im allerungünstigsten Augenblicke, will sagen: höchst ungünstig für sich selber, denn in einem gewissen Sinne kam er der hochstehenden Persönlichkeit ganz gelegen. Die hochstehende Persönlichkeit war in ihrem Kabinett und unterhielt sich sehr angeregt mit einem alten Bekannten und Jugendgespielen, der vor kurzem hier eingetroffen war und den sie lange nicht gesehen hatte. Und gerade in diesem Augenblicke mußte auch der Diener melden, daß ein gewisser Baschmatschkin draußen warte. Der General fragte sehr scharf:» Wer? «Die Antwort:» Ein Beamter.«» Er soll warten, ich habe jetzt keine Zeit. «Hier muß ich gleich bemerken, daß die hochstehende Persönlichkeit da ganz einfach log, sie hatte Zeit; die beiden Freunde hatten längst alles durchgesprochen und schon seit einiger Zeit die Unterhaltung mit leeren Phrasen zu füllen gesucht, wie:» Ja, ja, Iwan, so war es nun einmal! «oder» Stefan, es geht nicht anders auf der Welt, «einander abwechselnd auf die Schultern klopfend. Aber trotzdem ließ sie den Beamten warten, damit nämlich der Jugendgespiele, der seit langem nicht mehr diente und auf dem Dorfe lebte, erfahre, wie lange hier die Beamten im Vorzimmer zu warten verstünden. Erst nachdem sie sich, jeder an seiner Zigarre ziehend, in den sehr breiten, bequemen Fauteuils sattgeredet, vielmehr ausgeschwiegen hatten, fiel der hochstehenden Persönlichkeit wie von ungefähr etwas ein, und sie sagte zum Sekretär, der bei der Tür mit Schriften stand:» Draußen, scheint es, steht ein Beamter. Sagen Sie ihm, er kann herein! «Da sie nun das demütige Gesicht des Akaki Akakiewitsch und dessen abgetragene Uniform sah, kehrte sie sich ihm zu und schrie ihn ohne weiteres an:» Was wollt Ihr? «Mit ihrer schneidenden, harten Stimme, die sie zu Hause im Zimmer ganz allein vor dem Spiegel geprobt hatte, eine Woche schon, bevor sie ihren jetzigen Posten und den Generalsrang erhalten hatte. Akaki Akakiewitsch fühlte auch so die gebührende Ehrfurcht, war gleich verwirrt und erzählte, soweit Redefreiheit ihm erlaubt war, daß sein Mantel ganz neu, daß er auf eine ganz unmenschliche Weise beraubt worden wäre, daß er sich jetzt an seine Exzellenz wende, damit seine Exzellenz durch ihre Fürsprache etwa… damit sie sich in Verbindung setze mit dem Herrn Oberpolizeimeister oder sonst jemandem von der Polizei und auf diese Weise nach dem Mantel gesucht werde. Seiner Exzellenz erschien nun diese Sprache zu familiär.» Was heißt denn das, mein Herr, «unterbrach er ihn,» kennen Sie nicht die Vorschrift? Wohin sind Sie denn überhaupt gekommen? Wissen Sie nicht, wie man in einem solchen Falle vorzugehen hat? Sie hätten zuerst ein Bittgesuch in der Kanzlei einreichen sollen, so wäre es zuerst in die Hände des Kanzleivorstehers gekommen, dieser hätte es dem Sekretär übergeben, und der Sekretär hat es dann mir einzuhändigen.«

 

»Ach, Eure Exzellenz, «erwiderte Akaki Akakiewitsch, indem er alles, was er an Mut in seiner Seele barg, herausholte und fühlte, daß er ganz entsetzlich schwitze,» ich war so frei, Eure Exzellenz selber damit zu belästigen, weil die Sekretäre… weil sich auf die Sekretäre doch kein Mensch auf der Welt verlassen kann!«

»Was, was, was? «rief die hochstehende Persönlichkeit.» Woher dieser Geist? Woher solche Gedanken? Welcher Geist des Aufruhrs unter den jungen Leuten gegen ihre Vorgesetzten! «(Die hochstehende Persönlichkeit schien gar nicht zu bemerken, daß Akaki Akakiewitsch schon seine fünfzig Jahre beisammen hatte und daß er nur im Vergleiche zu einem Siebzigjährigen etwa noch jung genannt werden konnte.)» Wissen Sie, zu wem Sie reden? Wissen Sie, wer vor Ihnen steht? Wissen Sie das oder nicht, frage ich? «Hier stampfte die Exzellenz mit dem Fuße auf den Boden und schrie so laut, daß sich auch ein anderer als Akaki Akakiewitsch gefürchtet hätte. Akaki Akakiewitsch verging vor Angst, zitterte am ganzen Körper und konnte sich kaum auf den Beinen erhalten; wenn die Diener ihn nicht gehalten hätten, wäre er zu Boden gesunken; sie trugen ihn wie leblos heraus. Die hochstehende Persönlichkeit, zufrieden damit, daß der Erfolg ihre Erwartungen übertroffen, ja berauscht von dem Gedanken, daß ein Wort von ihr einen Menschen des Bewußtseins zu berauben vermochte, sah den Freund von der Seite an, um sich zu vergewissern, wie dieser sich dabei benehme, und sie sah nicht ohne Vergnügen, daß dieser Freund sich äußerst unbehaglich fühlte und seinerseits auch schon Angst zu spüren begann.

Wie er die Treppe herunter, wie er weiter auf die Straße gekommen sei, daran konnte Akaki Akakiewitsch sich nicht erinnern. Er spürte weder Hand noch Fuß; in seinem ganzen Leben war er noch nicht von einem General angeschrien worden, noch dazu von einem fremden. Auf der Straße wehte der Schnee, Akaki Akakiewitsch ging mit offenem Mund, der Wind blies wie immer in Petersburg von allen vier Seiten, im Nu hatte er sich erkältet, so kam er zu Hause an, ohne die Kraft zu haben, auch nur ein Wort zu sagen. Er fror und legte sich ins Bett. Den nächsten Tag lag er im Fieber. Dank dem großmütigen, hilfsbereiten Petersburger Klima schritt die Krankheit schneller vor, als man sonst hätte erwarten dürfen, und nachdem der Doktor ihm den Puls gefühlt hatte, fand er nichts anderes mehr zu tun vor, als ein Rezept zu schreiben, nur damit der Kranke nicht ganz ohne die wohltätige Hilfe der Medizin sei, und erklärte ihm auch, daß er nicht mehr als höchstens zwei Tage werde zu leben haben; und sich zur Wirtin kehrend, setzte er hinzu:» Und Ihr, Alte, verliert nur keine Zeit und bestellt lieber gleich einen Sarg aus Fichtenholz; einer aus Eiche ist für ihn sowieso zu teuer. «Hatte Akaki Akakiewitsch diese für ihn so überaus trostreichen Worte gehört oder nicht, haben sie ihn zu erschüttern vermocht, bedauerte er jetzt sein sorgenreiches, erbärmliches Leben – niemand vermag es zu sagen, denn Akaki Akakiewitsch befand sich die ganze Zeit über im Delirium. Ein Gesicht nach dem anderen ohne Unterbrechung jagte durch sein Gehirn: Petrowitsch erschien ihm, und er bestellte bei ihm einen Mantel, in- und auswendig voll von Fallen gegen die Diebe; diese lagen unter dem Bett, und er schrie nach der Wirtin, sie sollte einen von ihnen unter seiner Bettdecke, wohin dieser schon geraten sei, hervorziehen. Dann fragte er, warum vor ihm die alte Kapuze hänge, da er jetzt doch einen neuen Mantel besäße; auch schien ihm, er stünde vor dem General und ließ sich herunterreißen und sagte nur immer wieder: Verzeihung, Exzellenz, Verzeihung! Dann wieder fluchte er und nahm so entsetzliche Worte in den Mund, daß sich die Wirtin bekreuzigte; noch nie hatte sie solche Worte aus diesem Munde vernommen, und jetzt folgten diese Flüche stets unmittelbar auf:» Eure Exzellenz«. Später sprach er nur mehr noch ganz sinnloses Zeug, man konnte nur unterscheiden, daß sie alle sich um ein und denselben Mantel drehten. Endlich gab der arme Akaki Akakiewitsch seinen Geist auf.