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Der Mantel: Eine Novelle

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Alle die mit einem Jahresgehalt von vierhundert Rubel und darum haben in Petersburg einen gar argen Feind, und dieser Feind ist kein anderer als unser Winterfrost, trotzdem er natürlich für sehr gesund gilt. So um neun Uhr morgens, um die Zeit, da sich die Straßen füllen mit solchen, die in die Ministerien müssen, beginnt er so kräftige und beißende Nasenstüber auszuteilen, daß die armen Beamten wirklich nicht mehr wissen wohin mit ihren Nasen. Und wenn denen in hoher Stellung schon die Stirn vor Kälte brennt und Tränen in die Augen treten, geht es unseren armen Titularräten erst recht schlecht. Das einzige, was diesen zu tun übrigbleibt, ist sich so schnell wie möglich in ihren dünnen Mäntelchen durch die fünf oder sechs Gassen zu schlagen und dann in der Portierloge sich die Füße am Ofen zu wärmen, so lange, bis alle auf dem Wege eingefrorenen Talente und Fähigkeiten zum Dienst wieder aufgetaut wären. Akaki Akakiewitsch begann nun schon seit einiger Zeit zu fühlen, daß ihn da was im Rücken und auf den Schultern gar heftig zwicke und beiße, trotzdem er sich bemühte, den Weg ins Bureau so schnell wie möglich zurückzulegen. Und er dachte, ob nicht am Ende sein Mantel die Schuld trüge, und richtig, da er ihn zu Hause genau durchsuchte, entdeckte er, daß an drei oder vier Stellen, gerade am Rücken und an den Schultern, sich der Stoff durchgerieben hatte und ganz durchsichtig geworden und daß auch das Futter zerrissen wäre. Man muß im übrigen wissen, daß die Kollegen auch diesen Mantel zur Zielscheibe ihres Spottes gewählt, daß sie ihm den ehrenwerten Namen eines Mantels überhaupt genommen und ihn Kapuze getauft hatten. In der Tat hatte er im Laufe der Zeit eine fragwürdige Form angenommen, auch war der Kragen von Jahr zu Jahr schmäler geworden, da er zum Flicken der anderen Teile herhalten mußte, und diese Flecken verrieten keineswegs die Kunst eines Schneiders, vielmehr waren sie von höchst ungeübter und grober Hand eingesetzt.

Da nun Akaki Akakiewitsch mit Augen sah, woran er wäre, beschloß er, den Mantel sofort zu Petrowitsch, dem Schneider, zu tragen. Dieser lebte irgendwo im vierten Stock eines Hinterhauses und befaßte sich mit Reparaturen aller Art von Hosen und Fräcken der Beamten und anderer Leute, natürlich nur in Stunden, da er nüchtern und sein Kopf frei war. Ich brauchte über ihn natürlich nicht lange zu reden, doch da es nun einmal so Sitte ist, daß in einer Erzählung über den Charakter einer Figur kein Zweifel herrsche, so her mit diesem Schneider. Vor Jahren hieß er noch einfach Grigori und war Leibeigener bei irgendeinem Herrn. Petrowitsch begann er sich erst zu nennen, da er freigelassen wurde und sich an allen Feiertagen tüchtig zu betrinken anfing, zuerst nur an den großen, später aber an allen ohne Unterschied, wo immer nur im Kalender sich ein Kreuz fand. Darin war er der Sitte seiner Väter durchaus treu geblieben, und wenn er darob mit seinem Weibe zankte, so nannte er sie ein weltliches Geschöpf ohne Sitte und ohne Art und zudem eine Deutsche. Da ich nun schon einmal bei seinem Weibe bin, so muß ich auch über sie ein paar Worte sagen. Leider ist von ihr nicht viel mehr bekannt, als daß sie eben das Eheweib des Petrowitsch sei und daß sie eine Haube und nicht ein Tuch um den Kopf trage. Sie konnte sich wohl in keinem Falle rühmen, schön zu sein; höchstens daß Soldaten von der Garde ihr einmal unter die Haube guckten, doch sie drehten sich da jedesmal den Schnurrbart, lachten und sprachen ein nicht wiederzugebendes Wort aus.

Auf der Stiege zu Petrowitsch – die Wahrheit zu sagen war diese gerade frisch eingeseift und stank, wie alle Petersburger Hintertreppen, stark nach Schnaps – ich sage auf der Stiege überlegte Akaki Akakiewitsch, wieviel Petrowitsch wohl verlangen dürfte, und war in Gedanken fest entschlossen, nicht mehr als zwei Rubel zu geben. Die Tür stand offen, denn die Küche, wo des Petrowitsch Weib einen Fisch briet, war so voll Rauch, daß man nicht einmal die Schwaben sehen konnte. Akaki konnte also durchgehen, ohne von der Wirtin gesehen zu werden, und trat ins Zimmer des Petrowitsch, welcher an einem breiten ungestrichenen Tisch saß und die Beine wie ein Pascha gekreuzt hatte. Die Füße waren wie bei allen Schneidern bloß, und vor allem mußte dem Kunden der Daumen auffallen; Akaki Akakiewitsch kannte ihn gut mit seinem verstümmelten Nagel, der dick und hart wie Schildpatt war. Um den Hals hingen ihm Fäden von Zwirn und Seide und auf den Knien hatte er einen alten Fetzen. Schon seit einigen Minuten suchte er den Zwirn in das Nadelöhr zu bekommen, doch es wollte ihm nicht gelingen, und da begann er denn auf die Finsternis zu schimpfen und auch auf den Zwirn: Er geht nicht hinein, das Luder. Akaki Akakiewitsch war es nicht angenehm, gerade in einem Augenblick zu kommen, da Petrowitsch in schlechter Stimmung war: es wäre ihm lieber gewesen, bei Petrowitsch eine Bestellung zu machen, da dieser seine Courage vertrunken hatte und nach Fusel roch. In diesem Zustande ging er nämlich auf alles ein und stand immer wieder von seinem Sitze auf und verbeugte sich in einem fort und war überaus dankbaren Gemütes. Freilich später kam dann das Weib und weinte und schrie, der Mann sei betrunken gewesen gestern und hätte nur darum die Arbeit für so wenig übernommen. Doch da legte man ein paar Kopeken zu, und die Sache war gemacht. Heute aber, schien es, war Petrowitsch nüchtern und darum fest, er tat den Mund nicht auf und war also eher geneigt, weiß Gott was für Preise zu verlangen. Akaki Akakiewitsch fühlte das sehr deutlich und wollte schon wieder zurück, doch er war schon zu weit gekommen, Petrowitsch hatte ihn erblickt und blinzelte ihn mit seinem einzigen Auge von der Seite an, so daß der Titularrat ganz gegen seinen Willen:» Guten Tag, Petrowitsch! «ausrief.» Gott zum Gruß, Herr! «erwiderte Petrowitsch, und das Auge des Schneiders fiel auf die Hand des Akaki Akakiewitsch und wollte wissen, was für eine Beute dieser ihm heute denn brächte.» Ich komme zu dir, Petrowitsch… denn… weil… «Man muß wissen, daß der Titularrat sich meist nur in Umstands- und Beiwörtern und in sonst welchen Silben, die ganz ohne Sinn waren, ausdrückte. Und wenn eine Sache sehr schwierig war, hatte er die Gewohnheit, den Satz überhaupt nicht zu beenden…

»Was habt Ihr da? «sagte Petrowitsch und musterte inzwischen mit seinem einen Auge die ganze Uniform von oben bis unten, Kragen, Aermel, Rücken, Falten, Achselschlingen, er kannte das alles sehr gut, denn es war seine eigene Arbeit. Das ist bei Schneidern so Gewohnheit; das erste, was jeder tut.

»Da hab ich was für dich, Petrowitsch. Den Mantel… Das Tuch… Du siehst, es ist überall noch gut, ganz fest. Er ist nur etwas verstaubt und sieht darum so alt aus, doch er ist noch ganz neu… neu… Nur hier ist so etwas… am Rücken. Und auch noch auf der Schulter ist er ein wenig durchgewetzt, und dann da noch auf dieser Schulter… Siehst du es auch? Das ist alles. Nicht viel Arbeit.«

Petrowitsch nahm den Mantel, breitete ihn auf dem Tisch aus und prüfte ihn lange. Er schüttelte mit dem Kopfe, und seine Hand griff nach einer runden Tabaksdose mit dem Porträt eines Generals darauf – man konnte nicht sehen welches, denn dort, wo das Gesicht hätte sein sollen, war das Holz mit dem Finger durchgedrückt und mit einem Stückchen Papier zugeklebt. Petrowitsch schnupfte ein wenig Tabak und hielt jetzt den Mantel gegen das Licht und schüttelte noch einmal sein Haupt; dann kehrte er das Futter heraus und schüttelte wieder mit dem Kopfe; noch einmal nahm er die Dose mit dem geköpften General, zog etwas Tabak ein, legte sie aufs Fensterbrett und sagte endlich:» Nein, da ist nichts mehr auszubessern. Der Mantel ist schlecht.«

Dem Titularrat schlug das Herz.» Warum nicht, Petrowitsch? «fragte er mit der jammernden Stimme eines kleinen Kindes.» Er ist doch nur an den Schultern etwas durchgewetzt. Du hast sicher bei dir noch alte Flecken zum Stopfen.«

»Die habe ich schon; aber man kann sie nicht mehr aufnähen. Das Tuch ist schon ganz mürbe und hält den Stich nicht mehr: so ist es!«

»Da nähst du eben einen Lappen darauf!«

»Worauf denn? Nein, nein, den kann man nicht mehr zusammenflicken, der hat schon zuviel durchgemacht.«

»Doch, doch, stopf ihn nur!«

»Nein, «sagte Petrowitsch jetzt ganz entschlossen,» da ist nichts mehr zu stopfen. Am besten, Ihr macht Euch, wenn der Winter kommt, Fußlappen daraus. Strümpfe sind doch nicht warm. Die haben die Deutschen erfunden, um noch mehr Geld zu machen. (Petrowitsch liebte es, gelegentlich auf die Deutschen zu schimpfen.) Den Mantel aber, versteht sich, müßt Ihr Euch neu machen lassen.«

Bei dem Worte neu wurde es dem Titularrat dunkel vor den Augen, und alles drehte sich ihm im Zimmer, und er sah nur ganz klar vor sich den General mit dem zugeklebten Gesichte auf der Tabaksdose.

»Wieso einen neuen? «rief er wie aus dem Traume.» Ich habe doch kein Geld dafür.«

»Ja, einen neuen, «bestätigte Petrowitsch mit grausamer Ruhe.

»Und wenn es schon ein neuer sein muß, was würde…?«

»Ihr meint, was er kostet?«

»Ja.«

»Nun, so hundertundfünfzig Rubel müßt Ihr darauf schon verwenden, «meinte Petrowitsch und kniff die Lippen zusammen. Er liebte nämlich die starken Effekte. Er liebte es, den Leuten Schrecken einzujagen und dann so von der Seite zuzusehen, was der Geschreckte für ein Gesicht machte.

»Hundertundfünfzig Rubel für einen Mantel! «schrie Akaki Akakiewitsch auf, vielleicht das erstemal wieder nach seiner Geburt, denn für gewöhnlich eignete ihm große Stille.

»Ja, gewiß! «sagte Petrowitsch.» Und wenn Ihr den Kragen aus Marder und die Kapuze mit Seide gefüttert haben wollt, so kommt er auf zweihundert.«

»Petrowitsch, ich bitte dich, «flehte der Titularrat, ohne auf Petrowitsch zu hören und auf dessen Effekte zu achten,» bessere mir den Mantel aus, damit er noch einige Zeit wenigstens hält!«

»Nein, das geht nicht. Das hieße Arbeit verschwenden und das Geld auf die Straße werfen, «schloß Petrowitsch, und Akaki Akakiewitsch lief hinaus. Petrowitsch jedoch behielt noch lange seine Stellung, kniff höchst bedeutsam die Lippen zusammen und ließ die Hände von der Arbeit, so zufrieden war er damit, daß er diesmal weder sich selber erniedrigt noch die Schneiderkunst verraten hatte.

 

Auf der Straße ging Akaki Akakiewitsch wie im Traume.» So etwas. Ich hätte doch nicht gedacht, daß es dazu kommen würde! «Und dann fügte er hinzu nach einigem Überlegen:» So steht die Sache. Das kam dabei heraus. Wer hätte vermuten können, daß es damit so stände. «Und wieder schwieg er, und jetzt noch einmal:» So steht es also mit mir. Das konnte ich doch nicht erwarten, niemals… So etwas… «Anstatt nach Hause ging er nun, ohne es zu wissen, genau in der entgegengesetzten Richtung. Auf dem Wege streifte ihn ein Schornsteinfeger, und die Schulter war ganz schwarz davon. Auch fiel eine Kelle mit Kalk auf ihn von einem Hause, an welchem gebaut wurde. Er merkte nichts. Erst als er gegen einen Wachtposten angerannt war, der, die Hellebarde neben sich, aus seinem Beutel Tabak auf die schwielige Hand tat, wachte er auf, denn der Posten schrie ihn an:» Mußt du mir denn ins Maul kriechen? Wozu ist denn das Trottoir da? «Jetzt sah er auf und ging nach Hause. Und hier erst begann er die Gedanken zu sammeln und klar seine Lage zu übersehen, hier erst begann er mit sich nicht mehr zusammenhanglos, sondern überlegt und offen zu sprechen, als redete er mit einem klugen Freunde, dem man eine Herzenssache anvertrauen kann.» Nein, nein, heute kann niemand mit Petrowitsch reden. Sein Weib muß ihn durchgeprügelt haben. Ich gehe besser am nächsten Sonntag noch einmal zu ihm. Sonnabend ist er betrunken, und da bekommt er Sonntag darauf die Augen nicht auf und bedarf einer Stärkung. Sein Weib gibt ihm das Geld nicht, und da bin ich dann da und drücke ihm einen Sechser in die Hand, und so wird er mit sich reden lassen, und der Mantel wird dann noch gehen… «So schloß der Titularrat, sprach sich Mut zu und wartete auf den nächsten Sonntag. Kaum hatte er gesehen, daß des Schneiders Weib aus dem Hause ging, eilte er schnurstracks zu ihm. In der Tat hatte Petrowitsch Mühe, sein einziges Auge aufzubekommen und war ganz voll Schlaf und ließ den Kopf hängen. Doch kaum hatte er verstanden, es sich wieder handle, als er schon wie vom Satan getrieben rief:» Nein, nein, das geht nicht. Ihr müßt einen neuen bestellen! «Der Augenblick war da, ihm den Sechser in die Hand zu drücken.» Ich danke Euch, Herr! Da kann ich mich ein wenig stärken gehen auf Eure Gesundheit. Doch den Mantel laßt nun einmal, er taugt wirklich nichts mehr. Ich mache Euch einen neuen, schönen und dabei bleibt es. «Der Titularrat fing immer wieder von der Reparatur an, doch Petrowitsch hörte gar nicht auf ihn und rief:» Ich mache Euch einen neuen. Verlaßt Euch auf mich, ich werde mir Mühe geben! Ich werde Euch sogar, weil es jetzt so Mode ist, silberne Pfötchen aufs Appliqué nähen.«

Akaki Akakiewitsch sah nun ganz klar, daß der neue Mantel nicht mehr zu umgehen sei, und sein Mut war weg. Von welchem Gelde sollte er sich ihn nur machen lassen? Freilich durfte er auf die Remuneration zu den Feiertagen hoffen, doch die war schon im voraus eingeteilt: er brauchte neue Hosen, mußte den Schuster bezahlen fürs Ansetzen von Kappen an den Schuhen, und dann wollte er bei der Näherin drei Hemden bestellen. Kurz, das Geld war schon verausgabt. Und wenn auch der Direktor so gnädig wäre, ihm statt vierzig Rubel fünfundvierzig oder gar fünfzig zu bewilligen, würde die Kleinigkeit, die übrigbliebe, nur ein Tropfen im Meere sein im Vergleiche zu der Summe, die der neue Mantel kosten soll. Natürlich das wußte er schon, daß Petrowitsch, weiß der Teufel warum, bei guter Laune gerne solche verrückte Preise machte, so daß selbst sein Weib sich nicht mehr halten konnte und ihn anschrie:» Bist du närrisch geworden? Einmal arbeitest du für nichts und dann wieder treibt dich der Teufel, einen Preis zu verlangen, den du selber gar nicht wert bist. «Wenn der Titularrat auch wußte, daß Petrowitsch den Mantel für achtzig Rubel liefern würde – woher aber die achtzig nehmen? Die Hälfte konnte er noch zusammenkriegen, ja, die Hälfte sogar sicher, vielleicht auch eine Kleinigkeit mehr: aber die andere Hälfte, wer sollte die ihm geben?.. Doch der Leser muß zuerst erfahren, woher er die erste Hälfte nehmen wollte. Akaki Akakiewitsch hatte nämlich die Gewohnheit, von jedem verausgabten Rubel eine Kopeke in eine kleine Sparbüchse zu tun, die zugeschlossen war und einen schmalen Schlitz enthielt, durch den so eine Kopeke ging. Jedes halbe Jahr zählte er die Summe, die sich angesammelt hatte, und wechselte sie in Silber um. Das hatte er nun seit geraumer Zeit durchgeführt, und auf diese Weise war im Laufe von mehreren Jahren die Summe von vierzig Rubel zusammengekommen. Die eine Hälfte war also da, in seinen Händen, woher aber, noch einmal, die anderen vierzig Rubel? Akaki Akakiewitsch überlegte hin und her und beschloß endlich, mindestens ein ganzes Jahr sich einzuschränken, das heißt: keinen Tee mehr am Abend zu trinken, kein Licht mehr anzuzünden und, wenn er abends arbeiten müsse, zur Wirtin zu gehen und dort bei der Kerze zu schreiben; dann auf der Straße so leise und vorsichtig wie möglich aufzutreten, ja auf den Zehen zu gehen, um die Sohlen nicht durchzuwetzen; endlich die Wäsche so selten wie möglich zum Waschen zu geben und sie zu Hause gleich auszuziehen, damit sie nicht abgenützt werde, und im halbwollenen Schlafrock dazusitzen, der sehr alt sei und dem die Zeit darum nichts mehr anhaben könnte. Es fiel ihm ja, um die Wahrheit zu sagen, anfangs schwer, sich an alle diese Entbehrungen zu gewöhnen, doch mit der Zeit wurde es ihm immer leichter, ja allmählich ward er ein Meister in der Kunst zu hungern, im Geiste sich mit dem Gedanken an den neuen Mantel nährend.