Macht

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Es ist schwierig, diesen Problembezug in eine Definition einzufangen, die eindeutig angibt, was Macht ist und was sie nicht ist. Der Problembezug generiert jedoch Zusammenhänge, und diese lassen sich beschreiben. Man kann sagen: Je stärker Einfluß kontingent wird, indem er sich als ein Handeln zu erkennen gibt, das die eigene Selektivität darauf spezialisiert, fremdes Handeln auszulösen, desto weniger kann eine natürlich-situative Interessenkongruenz unterstellt werden, desto problematischer wird die Motivation und desto notwendiger wird ein Code, der die Bedingungen der Selektionsübertragung und die Zuschreibung der entsprechenden Motive regelt. Dieser von Interaktionskonstellationen ausgehende Ansatz kann dann in die Theorie gesellschaftlicher Evolution übernommen werden mit der These, daß bei zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung Situationen häufiger werden, in denen trotz so hoher Kontingenz und Spezialisierung Selektionsübertragungen stattfinden müssen, wenn ein erreichtes Entwicklungsniveau gehalten werden soll. In wichtigen Funktionsbereichen stellt sich situative Interessenkongruenz nicht mehr häufig und nicht mehr spezialisiert genug ein, daß damit auszukommen wäre. Dann wird die Entwicklung eines problembezogenen Sonder-Codes für Macht zum Engpaß weiterer Evolution.

Auch diese Argumentation hat ihre Parallelen in anderen Medienbereichen und wird dadurch mitgestützt. Erst von einem gewissen Entwicklungsstande ab wird die tägliche Kommunikation so informationsreich, daß Wahrheit zum Problem wird. Erst von [23]einem gewissen Entwicklungsstande ab wird der Güterbestand so groß, daß es Sinn hat, ihn unter dem Gesichtspunkt der Knappheit für kontingenten Zugriff offen zu halten. Man könnte ferner sagen: Liebe wird als ein besonderer Kommunikations-Code erst nötig, wenn die Emotionen und Welt-Sichten anderer so stark individualisiert – und das heißt: kontingent geworden – sind, daß man ihrer nicht mehr sicher sein kann und deshalb nach Maßgabe kultureller Vorschriften selbst lieben muß. Und auch Kunst ist als Kommunikationsmedium abhängig von gesteigerter Kontingenz – nämlich von der Kontingenz offensichtlich hergestellter, aber vom konkreten lebensweltlichen Zweckkontext nicht mehr getragener Werke. Mit all dem sind spezialisierte Interaktionsproblematiken, nämlich Varianten des Problems der Selektionsübertragung, und zugleich evolutionäre Lagen des Gesellschaftssystems bezeichnet.

5. Die vielleicht wichtigste Veränderung gegenüber älteren Machttheorien liegt darin, daß die Theorie der Kommunikationsmedien das Phänomen Macht auf Grund einer Differenz von Code und Kommunikationsprozeß begreift und deshalb nicht in der Lage ist, Macht einem der Partner als Eigenschaft oder als Fähigkeit zuzuschreiben31. Macht »ist« eine codegesteuerte Kommunikation. Die Zurechnung der Macht auf den Machthaber wird in diesem Code geregelt mit weittragenden Folgen, was Verstärkung der Befolgungsmotive, Verantwortung, Institutionalisierbarkeit, Adressierung von Änderungswünschen usw. anlangt. Obwohl beide Seiten handeln, wird das, was geschieht, dem Machthaber allein zugerechnet32. Die wissenschaftliche Analyse darf sich durch die in ihrem Gegenstand selbst liegenden Zurechnungsregeln jedoch nicht irritieren lassen; solche Regelungen bewirken nicht, daß der Machthaber für das Zustandekommen von Macht wichtiger oder in irgend einem Sinne »ursächlicher« ist als der Machtunterworfene33. Zurechnungsregeln der Medien-Codes sind selbst noch ein möglicher Gegenstand wissenschaftlicher Analyse34. Man kann auch nach ihren Funktionen noch fragen. Dazu muß das analytische Instrumentarium von Vorentscheidungen über Zurechnungen [24]zunächst abstrahieren. Dieses Erfordernis liegt zugleich auf der Linie einer stärkeren Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems aus der Gesellschaft, in unserem Fall einer weitergehenden Differenzierung von Wissenschaft und Politik.

Die Unterscheidung von generalisiertem Code und selektivem Kommunikationsprozeß wird uns im Folgenden ständig begleiten. Die symbolische Generalisierung eines Code, nach dem Erwartungen gebildet werden können, ist Voraussetzung für die Ausdifferenzierung von Macht als eines spezialisierten Mediums, das auf bestimmte Problemkonstellationen bezogen werden kann, bestimmte Leistungen erbringt und bestimmten Bedingungen unterliegt. Im generalisierten Medien-Code liegen ferner die Ansatzpunkte für Steigerungsleistungen im Laufe der gesellschaftlichen Evolution. Unter diesen Gesichtspunkten ist Macht gesellschaftstheoretisch von Interesse. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, daß Organisationstheorien oder Interaktionstheorien mit vereinfachten Konzepten der Macht arbeiten können, etwa mit solchen, die im Machtbegriff schon Statusdifferenzen oder ausreichende Informations und Kalkulationsmöglichkeiten voraussetzen. Im Rahmen derart verengter Prämissen wird man jedoch kein Urteil über die gesamtgesellschaftliche Tragweite von Macht gewinnen können.

6. In einer viel beachteten, umfangreichen Kritik des Werkes von Parsons und seiner Machttheorie insbesondere äußert Alvin Gouldner sein Erstaunen darüber, daß Parsons Macht durch ihre Behandlung als symbolisch generalisiertes Medium in so hohem Maße mit legitimer Macht, mit »establishment power« identifiziere und dies für den gesellschaftlichen Normalfall halte35. Diese Auffassung wird pauschal und in einzelnen ihrer Ausformulierungen als moralistisch, als intellektuell absurd, als utopistisch, als irreführend abgetan unter Hinweis auf die Brutalität und die Eigensüchtigkeit der Machthaber. Dies Erstaunen eines Soziologen müßte nun wiederum die Soziologen erstaunen; um so mehr, als es im Rahmen einer Soziologie der Soziologie formuliert wird. [25]Natürlich ist nicht zu bestreiten, daß die Soziologie sich für Phänomene des brutalen und eigensüchtigen Machtgebrauchs interessieren kann und sollte. Ein solches Interesse darf jedoch nicht zu einem in die Begriffe und Theorien eingebauten Vorurteil über die gesellschaftliche Realität auswachsen.

Es war gerade die Leistung der Parsons’schen Theorie, die Vorurteile der Soziologie als einer Krisen- und Oppositionswissenschaft durch eine relativ autonome (in sich selbst dann wieder kritisierbare) Begriffsarchitektonik zu ersetzen. Wie immer man über die Adäquität dieses Instrumentariums urteilt, man wird nicht bestreiten können, daß die Institutionalisierung durchsetzbarer legitimer Macht das Phänomen von größerer gesellschaftlicher Tragweite ist im Vergleich zu Brutalität und Eigensucht. Das Alltagsleben einer Gesellschaft ist in sehr viel stärkerem Maße durch Rekurs auf normalisierte Macht, namentlich auf Rechtsmacht, bestimmt, als durch brutalen und eigensüchtigen Machtgebrauch. Regional begrenzte Ausnahmefälle machen gerade diesen Sachverhalt deutlich36. Die Interferenz legitimer Gewalt ist größer; man kann sie nicht hinwegdenken, ohne daß fast das gesamte normale gesellschaftliche Leben gestört und transformiert würde. Brutalität und Eigensucht sind Vorkommnisse, die mit vielen gesellschaftlichen Zuständen kompatibel sind, so lange sie die Dominanz institutionalisierter Macht nicht untergraben. Natürlich rechtfertigt, wie man aus der Geschichte der Theodizeen und Wohlfahrtsrechnungen weiß, ein solches Argument keinen einzigen Akt der Brutalität, auch nicht ein Tolerieren oder In-Kauf-Nehmen. Aber ein solches Verrechnungsproblem stellt sich seinerseits erst sekundär – sowohl historisch als auch theoretisch. Es setzt voraus, daß ein binärer Schematismus schon eingeführt ist, der Soll und Haben, oder Recht und Unrecht oder konformes und abweichendes Verhalten differenziert.

Mit der Ausarbeitung einer Theorie der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien setzen wir dazu an, solche Kontroversen zu unterlaufen. Die Konstitutionsbedingungen einer Dichotomisierung von »herrschender Ordnung« und »Kritik« [26]gehen in die Theorie selbst ein. Sie behandelt derartige Disjunktionen als Elemente eines Kommunikations-Codes und fragt nach ihren genetischen Bedingungen, ihren Funktionen, ihren Folgen, ihren Komplementäreinrichtungen, ihren Entwicklungschancen. Auch eine solche Theorie läßt sich mit Gouldner dann wiederum als moralistisch und konservativ charakterisieren, wenn man unterstellt, daß sie die an ihrem Gegenstand entdeckten Merkmale bejaht; sie ist in dem Sinne konservativ, daß sie die Option bewahren und offen halten möchte, je nach Lage der Dinge für oder gegen eine Machtäußerung Stellung zu nehmen.

[27]II. Handlungsbezug

Von anderen Kommunikationsmedien unterscheidet Macht sich dadurch, daß ihr Code auf beiden Seiten der Kommunikationsbeziehung Partner voraussetzt, welche Komplexität durch Handeln – und nicht nur durch Erleben – reduzieren. Diese Kontrastierung von Handeln und Erleben hat, da das menschliche Leben beides in unentwirrbarer Verflechtung voraussetzt, etwas Künstliches37. Das wird nicht bestritten, kann aber der Theorie nicht zum Vorwurf gereichen. Die Künstlichkeit eines ganz speziell auf Handlungsketten-Bildung zugeschnittenen Mechanismus ist nämlich kein analytisches Kunstwerk der wissenschaftlichen Abstraktion, sondern eine Abstraktionsleistung der Gesellschaft selbst, ein Erfordernis evolutionär fortgeschrittener Gesellschaftssysteme. Eine Machttheorie, die als Theorie eines besonderen symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums ausgearbeitet wird, muß jedoch erklären können, wie eine solche Spezialisierung auf Übertragung von Handlungsreduktionen im gesellschaftlichen Leben überhaupt möglich ist und welche Folgeprobleme sie aufwirft. Spiegelbildlich würde sich das gleiche Problem für eine Theorie der Wahrheit stellen, die zu erklären hätte, wie eine Spezialisierung auf die Übertragung von erlebnismäßigen Reduktionen möglich ist, ohne daß die Interferenz von Handlungen und Handlungspräferenzen der Beteiligten die Sachverhalte verzerrt.

 

1. Von Handeln wollen wir dann und nur dann sprechen, wenn selektives Verhalten einem System (und nicht seiner Umwelt) zugerechnet wird38. Die Zurechnung bezieht sich auf die Selektion selbst, liefert gleichsam die Erklärung für das Wunder der Reduktion. Über die Zurechnung als Erleben bzw. Handeln kann und wird in vielen Fällen Dissens bestehen. Es besteht aber zugleich ein gesellschaftliches Interesse, diese Frage zumindest für Problemsituationen zu klären. Von der Umwelt- bzw. Systemzurechnung hängt nämlich ab, ob den übrigen Systemen in der Gesellschaft [28]gleiche Selektion zugemutet oder andersartige Selektion freigegeben wird. Erleben muß man gleich, handeln kann man auch anders. Diese Unterscheidung geht der Frage voraus, ob die Freigabe andersartigen Handelns dann wieder beschränkt wird – etwa durch Gebote der Moral oder des Rechts oder durch Macht. In bezug auf Erleben hätten diese Formen der Einschränkung von Kontingenz keinen Sinn. Fehlgriffe des Erlebens werden als Irrtümer behandelt und, wenn überhaupt, anders sanktioniert39. Handeln unterliegt dagegen besonderen sozialen Kontrollen, die mit seiner Ermöglichung zugleich ausgebildet werden. Das hohe Risiko der Ermöglichung von Handeln liegt auf der Hand. Es zeigt sich unter anderem an der erleichterten Negierbarkeit der Handlungsintention im Vergleich zum Erleben und, abhängig davon, an den Komplikationen der Behandlung des Negationsproblems in einer normativen Handlungstheorie oder gar -logik.

Die Kategorisierung von Selektion als Handeln muß deshalb gewürdigt werden als ein Mechanismus, der Systeme aus der Gleichheitszumutung entläßt und Differenzierungen möglich macht. Da dies nicht uneingeschränkt geschehen kann, muß das Handeln gleichsam wieder eingefangen und domestiziert werden. Die soziale Konstitution der Möglichkeit zu handeln und die Spezialisierung von darauf bezogenen Kontrollmechanismen haben ihre primäre Funktion in einem Produktionsumweg für höhere gesellschaftliche Komplexität, nämlich in der Erzeugung und Beschränkung der Möglichkeit ungleichartiger Selektionen in einer intersubjektiv konstituierten SinnWelt.

Dem Zurechnungs- und Etikettierungsinteresse folgen Kategorisierungen, die den Tatbestand des Handelns voraussetzen und erklären – also das Erleben eigenen bzw. fremden Handelns ordnen. Dazu zählt der Begriff des Willens (im Unterschied zu Vernunft), die Auffassung der Kontingenz des Selektionsaktes als Freiheit (im Unterschied zu Zufall) und in der neueren Zeit vor allem die Zuschreibung von Motiven40 und Absichten41. Freier Wille ist ein alteuropäisches, Motiviertheit ein neuzeitliches Attribut des Handelns – in jedem Falle kein primäres Faktum, etwa [29]gar eine »Ursache« des Handelns42, sondern eine Zuschreibung, die das sozial einhellige Erleben von Handeln ermöglicht. Motive sind kein Erfordernis des Handelns, wohl aber ein Erfordernis des verständlichen Erlebens von Handlungen. Auf der Ebene der Motivzuschreibungen wird eine Sozialordnung daher sehr viel stärker integriert sein als auf der Ebene des Handelns selbst. Verständnis von Motiven hilft dann rückläufig zur Erkenntnis darüber, ob überhaupt eine Handlung vorliegt43.

Die Funktion des Kommunikationsmediums Macht ist daher nicht ausreichend beschrieben, wenn man meint, es gehe nur darum, den Machtunterworfenen zur Annahme der Weisungen zu bewegen. Auch der Machthaber selbst muß zur Ausübung seiner Macht bewegt werden, und darin liegt in vielen Fällen die größere Schwierigkeit. Liegt es nicht gerade für ihn, der im Zweifel unabhängiger ist, näher, sich zurückzuziehen und die Dinge laufen zu lassen? Auch die Motivation dessen, der Selektionsleistungen überträgt, wird erst im Kommunikationsprozeß aufgebaut und zugeschrieben. Gerade dem Machthaber werden, ob er will oder nicht, auf Grund seiner Macht Erfolge und Mißerfolge zugerechnet und dazu passende Motive oktroyiert. Macht instrumentiert also nicht einen schon vorhandenen Willen, sie erzeugt diesen Willen erst und sie kann ihn verpflichten, kann ihn binden, kann ihn zur Absorption von Risiken und Unsicherheiten bringen, kann ihn sogar in Versuchung führen und scheitern lassen. Die generalisierten Symbole des Code, die Aufgaben und Insignien des Amtes, die Ideologien und Legitimationsbedingungen dienen der Artikulationshilfe; aber erst der Kommunikationsprozeß selbst legt mit der Machtausübung zugleich die Motive fest.

2. Vor diesem Hintergrund muß man die Spezialisierung eines Mediums begreifen, das die Übertragung von Handlungsselektionen auf Handlungsselektionen leistet, also beide Partner voraussetzt als Systeme, denen ihre Selektion als Handlung zugerechnet wird. Der Machtunterworfene wird erwartet als jemand, der sein eigenes Handeln wählt und darin die Möglichkeit der Selbstbestimmung [30]hat; nur deshalb werden Machtmittel, etwa Drohungen, gegen ihn eingesetzt, um ihn in dieser selbstvollzogenen Wahl zu steuern. Und auch der Machthaber nimmt in Anspruch, nicht einfach die Wahrheit zu sein, sondern seinem Willen gemäß zu handeln. Damit ist in der Beziehung beider die Möglichkeit zurechenbarer, »lokalisierbarer« Divergenz postuliert. Eine Übertragung reduzierter Komplexität kommt zustande, wenn und soweit Alters Handeln die Selektion von Egos Handeln mitbestimmt. Der Erfolg einer Machtordnung besteht in der Steigerung noch überbrückbarer Situations- und Selektionsdifferenzierungen.

Dazu ist ein Umweg über Negationen erforderlich, der gewisse Anforderungen an den Code der Macht stellt. Wenn Macht eine Kombination von gewählten Alternativen leisten soll und andere Möglichkeiten im Spiel sind, kann die Wahrscheinlichkeit dieser Kombination nur durch eine parallellaufende Koordination des Ausscheidens von Alternativen gewährleistet werden. Macht setzt voraus, daß beide Partner Alternativen sehen, deren Realisierung sie vermeiden möchten. Auf beiden Seiten muß es mithin über die bloße Mehrheit von Möglichkeiten hinaus eine Ordnung von Präferenzen geben, die unter dem Gesichtspunkt von eher positiver und eher negativer Bewertung schematisiert und für die andere Seite einsichtig sein muß44. Unter dieser Voraussetzung kann eine hypothetische Kombination von Vermeidungsalternativen beider Seiten hergestellt werden – am einfachsten durch Drohung mit Sanktionen, die der Machthaber selbst lieber vermieden sähe: »Wenn Du dies nicht tust, schlage ich Dich!«. Auch das allein genügt noch nicht. Zur Machtausübung kommt es erst, wenn die Beziehung der Beteiligten zu ihren jeweiligen Vermeidungsalternativen unterschiedlich strukturiert ist derart, daß der Machtunterworfene seine Alternative – in unserem Beispiel: die des physischen Kampfes – vergleichsweise eher vermeiden möchte als der Machthaber, und auch diese Relation zwischen den Relationen der Beteiligten zu ihren Vermeidungsalternativen für die Beteiligten erkennbar ist. Kurz gesagt: Der Macht-Code muß eine Relationierbarkeit von Relationen gewährleisten. Bei dieser Voraussetzung [31]entsteht die Möglichkeit einer konditionalen Verknüpfung der Kombination von Vermeidungsalternativen mit einer weniger negativ bewerteten Kombination von anderen Alternativen. Diese Verknüpfung motiviert die Übertragung von Handlungsselektionen vom Machthaber auf den Machtunterworfenen.

Sie gibt dem Macht, der darüber entscheiden kann, ob eine solche konditionale Verknüpfung von Möglichkeitskombinationen hergestellt wird oder nicht45. Macht beruht mithin darauf, daß Möglichkeiten gegeben sind, deren Verwirklichung vermieden wird. Das Vermeiden von (möglichen und möglich bleibenden) Sanktionen ist für die Funktion von Macht unabdingbar46. Jeder faktische Rückgriff auf Vermeidungsalternativen, jede Ausübung von Gewalt zum Beispiel, verändert die Kommunikationsstruktur in kaum reversibler Weise. Es liegt im Interesse der Macht, eine solche Wendung zu vermeiden. Macht ist damit schon strukturell (und nicht erst: rechtlich!) aufgebaut auf Kontrolle des Ausnahmefalles. Sie bricht zusammen, wenn es zur Verwirklichung der Vermeidungsalternativen kommt47. Daraus folgt unter anderem, daß hochkomplexe Gesellschaften, die weit mehr Macht benötigen als einfachere Gesellschaften, die Proportion von Machtausübung und Sanktionsanwendung ändern und mit einem verschwindend geringen Anteil an faktischer Realisierung von Vermeidungsalternativen auskommen müssen48.

Diese Angaben bedürfen im Hinblick auf das Verhältnis von negativen und positiven Sanktionen einer weiteren Klärung. Negative und positive Sanktionen unterscheiden sich – trotz logischer Symmetrisierbarkeit – in den Voraussetzungen, an die sie anknüpfen, und in ihren Folgen so wesentlich49, daß die Ausdifferenzierung und Spezifikation von Kommunikationsmedien diesen Unterschied nicht übergehen kann. Liebe, Geld und Überredung zu Wertkonsens lassen sich nicht als Fälle von Macht spezifizieren. Wir beschränken deshalb den Machtbegriff auf den Fall, der mit dem (allerdings erläuterungsbedürftigen) Begriff der negativen Sanktion gemeint war50. Macht wird nur dann angewandt, wenn gegenüber einer gegebenen Erwartungslage eine [32]ungünstigere Alternativenkombination konstruiert wird. Die Unterscheidung ungünstiger/günstiger ist erwartungsabhängig und damit auch zeitpunktabhängig51. Die Ausgangslage kann sehr wohl auf positiven Leistungen des Machthabers beruhen – etwa auf Schutzversprechen, Liebeserweisen, Zahlungsversprechen; sie wird in Macht aber nur dann transformiert, wenn nicht schon die Ausgangslage selbst, sondern ihr Entzug vom Verhalten des Unterworfenen abhängig gemacht wird. Staatliche Subventionen, die mit Auflagen verknüpft werden, sind als solche keine Machtäußerung ebenso wenig wie ein normaler Kauf; sie werden zur Machtbasis erst, wenn mit der Drohung der Streichung ein im Subventionsprogramm nicht vorgesehenes Verhalten (z. B. Unterlassen regierungskritischer Äußerungen) durchgesetzt werden soll. Der Unterschied liegt darin, daß bei vorheriger Konditionierung positiver Leistungen der Betroffene frei kalkulieren kann, daß er bei nachträglicher Konditionierung mit Entzugsdrohung dagegen Erwartungen schon gebildet hatte, sich schon eingerichtet hatte und deshalb stärkeren Schutz verdient. Deshalb unterscheidet sich auch der Legitimationsbedarf positiver und negativer Sanktionen. Und andererseits mag gerade dieser Weg, positive Leistungen in negative Sanktionen zu transformieren, dem Machthaber Motivquellen und Einwirkungschancen erschließen, an die er sonst nicht herankäme. Weitgehend beruht die durch Organisation gebildete Macht auf diesem Umweg.

Wir kehren nach diesen Klarstellungen zum Hauptthema zurück. Unter der Einwirkung einer so kompliziert gebauten, durch Negationen vermittelten Medienstruktur, die die Selektivität des Verhaltens beider Partner betont herausarbeitet und forciert, wird Handeln zum Entscheiden, das heißt zur bewußt selektiven Wahl. Die evolutionäre Unwahrscheinlichkeit eines solchen ausdifferenzierten, symbolisch generalisierten Codes spiegelt sich auf der Prozeßebene in Entscheidungszumutungen, die für den Machtunterworfenen, aber auch für den Machthaber selbst unbequem werden können. Man wird daher nicht überrascht sein können, wenn sich bei zunehmend komplexen Selektionsfeldern herausstellt, [33]daß Machtprobleme letztlich in Entscheidungsschwierigkeiten kulminieren.

 

3. Die Grundstruktur des Kommunikationsmediums Macht, jene – man kann es leider nicht einfacher formulieren – invers konditionalisierte Kombination von relativ negativ bewerteten und relativ positiv bewerteten Alternativenkombinationen, ist die Grundlage dafür, daß Macht als Möglichkeit (Potenz, Chance, Disposition) erscheint und auch als solche wirkt52. Auf dieser Grundlage kommt es zu einer Modalisierung kommunikativer Interaktionen unter dem Gesichtspunkt von Macht. Bei der Kommunikation über Sachthemen wird mit in Betracht gezogen, daß die eine Seite die Möglichkeit hat, ihre Auffassung durchzusetzen. Durch Generalisierung als Möglichkeit wird die Macht gegenüber Kontexten egalisiert und in gewissem Umfange unabhängig gemacht von einer nur bruchstückhaft und situationsweise gegebenen Wirklichkeit; die Projektion des Möglichen erlaubt, um mit Nelson Goodman53 zu formulieren, ein Auffüllen der Lücken des Wirklichen.

Aus einer solchen Modalisierung ergibt sich ein typisches Folgeproblem, das auch die Wissenschaft unter theoretischen wie unter methodischen Gesichtspunkten bereits beschäftigt hat54. Durch Modalisierung wird ein Überschuß an Möglichkeiten erzeugt. Macht, die eine ständig vorhandene Möglichkeit ist und dem Machthaber wie eine Fähigkeit oder eine Eigenschaft zugeschrieben wird, kann doch nicht ständig und vor allem nicht ständig über alle Personen und alle Themen des Machtfeldes ausgeübt werden. Die Erwartung, daß alle Macht immer auch ausgeübt werde, würde nicht nur den Machthaber überanstrengen; sie würde als Vorschrift des Macht-Code auch verhindern, daß nennenswerte Macht akkumuliert wird. Der Machthaber muß sich zu seiner eigenen Macht selektiv verhalten; er muß sich überlegen, ob er sie einsetzen will oder nicht; er muß sich selbst disziplinieren können. Für derartige Entscheidungen, die für ihn zwangsläufig sind, braucht der Machthaber zusätzliche Direktiven und Rationalisierungshilfen55; dafür versucht eine [34]neuere, ökonomische Fassung der Machttheorie, Kostenkalküle anzubieten56. Wie weit das gelingen kann, ist eine derzeit offene Frage. Jedenfalls zwingt das gesellschaftliche Faktum der Modalisierung des Mediums Macht die Machttheorie, zwei Ebenen simultan zu berücksichtigen: die genetischen und strukturellen Bedingungen der Konstitution von Macht als Potential und die strukturellen und situativen Bedingungen der Ausübung von Macht.

Diese Differenz von Potentialität und Aktualisierung bedeutet ein Doppeltes: Auf der Ebene des symbolischen Codes können Instruktionen, wann Macht anzuwenden ist, zwar angedeutet, aber nicht voll spezifiziert werden, denn das würde den disponiblen Überschuß an Potentialität eliminieren. Der Code muß, soll er eine durchgehaltene Möglichkeit symbolisieren, in dieser Richtung unterspezifiziert sein. Dies setzt vor allem einer Juridifizierung von Macht, die den Machthaber zum dauernden Einschreiten zwingt, Schranken. Oder anders formuliert: Juridifizierung macht Macht in gefährlicher Weise herausforderbar. Zum anderen kann auf der prozessualen Ebene faktischen Machtverhaltens eine Festlegung auf Anwendung von Macht Machtverlust bedeuten, nämlich Verzicht auf Unbestimmtheit, Offenheit, Liquidität des Möglichen57.

Zugleich wird Macht durch modale Generalisierung empfindlich gegen bestimmte Informationen über eine gegenteilige Wirklichkeit: Der Machthaber kann in dem Maße, als er von projektiver Informationsverarbeitung abhängig ist, sich keine Niederlage im Einzelfall mehr leisten. Er muß unter Umständen schon kämpfen, um die Façade seiner Macht zu halten58. Es findet zugleich mit der Kommunikation über das in Aussicht genommene Handeln oder Unterlassen eine Metakommunikation über Macht statt59. Sie kann die Form der stillschweigenden Vorwegverständigung annehmen, des erwartbaren Erwartens von Erwartungen; sie kann auch durch Andeutungen und unbeantwortbare Anspielungen aktualisiert und schließlich auch explizit formuliert 60 werden. Formulierte Macht nimmt im Kommunikationsprozeß den Charakter einer Drohung an. Sie setzt sich der Möglichkeit einer expliziten Negation [35]aus. Sie bildet schon einen ersten Schritt zur Realisierung der Vermeidungsalternativen, einen ersten Schritt zur Zerstörung der Macht, und wird daher nach Möglichkeit vermieden. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, daß man, statt die Gewalt direkt zu formulieren, auf einen gewaltgedeckten Rechtsanspruch Bezug nimmt.

Die Formulierung von Macht, die zur Klärung und zur Herstellung einer übereinstimmend modalisierten Situationsdefinition erforderlich erscheinen kann, ist vor allem in einfachen Systemen elementarer Interaktion schwierig und problematisch. In organisierten Sozialsystemen und auf der Ebene umfassender Gesellschaftssysteme gibt es dafür institutionalisierte Äquivalente – etwa anerkannte Kompetenzen oder geltende Rechtsnormen, auf die man sich berufen kann. Diese Äquivalente dienen dazu, Machtausübung in Interaktionssystemen zu erleichtern und zu entpersonalisieren, also Motive der Machtausübung bereitzustellen, obwohl auch in bezug auf sie Formulierungshemmungen auftreten können (wie jeder Vorgesetzte weiß, der sich einem schwerhörigen Untergebenen gegenüber explizit auf seine Befehlszuständigkeit berufen muß)61.

Die Einzelheiten der Formen, in denen Metakommunikation über Macht ablaufen kann, können hier nicht ins Detail verfolgt werden. Fürs weitere interessiert vor allem, daß die Differenzierung von Code und Prozeß die Form einer Modalisierung kommunikativen Handelns annimmt. Diese Modalisierung – und nicht etwa eine dem Machthaber innewohnende Fähigkeit, Kraft, oder Potenz und auch nicht seine bloße Ausstattung mit Mitteln – ist die Grundlage dafür, daß Macht auch ohne Einsatz der sogenannten Machtmittel als bloße Möglichkeit schon wirkt. Mit dem Begriff der Chance oder des Machtpotentials wird dieser Sachverhalt unzulänglich begriffen.

4. Darüber hinaus brauchen wir unsere Analyse der Modalisierung von Macht durch Kombination von relativ negativ bewerteten und relativ positiv bewerteten Alternativenkombinationen, [36]um gewisse Probleme der zeitlichen Struktur von Machtverhältnissen zu klären.

Wenn Macht als Möglichkeit gesichert ist auf der Basis von Handlungsmöglichkeiten, deren Aktualisierung man vermeiden möchte, können auf der Ebene interaktioneller Prozesse Entscheidungen zeitlich auseinandergezogen werden. Ein Sozialsystem, das über diese Möglichkeit verfügt, kann damit Zeit gewinnen, um Komplexität zu ordnen. Was nicht gleichzeitig sein kann, läßt sich in einem geordneten Nacheinander gleichwohl ermöglichen. Auf diese Weise läßt sich das Repertoire der integrierbaren, noch aufeinander beziehbaren Handlungen eines Systems erweitern.

Zunächst gibt es solche Zeitstrukturen im eigenen Handlungsbereich des Machthabers selbst. Er kann zuerst den gewünschten Handlungsverlauf gleichsam versuchsweise und unverbindlich skizzieren, wohl wissend, daß er Macht einzusetzen hat. Er kann probieren, ob schon dies genügt, weil der andere weiß, wo die Macht sitzt. Er kann sodann in dem Fall, daß sich Widerstand zeigt, deutlicher werden und implizit oder sogar explizit zur Kommunikation über Macht ansetzen, also drohen. Hier gibt es Schritte der Steigerung. Schließlich kann er entscheiden, ob er, wenn all das nichts nützt, die Sanktion ausführen, also die Vermeidungsalternative realisieren will oder nicht. Die Einheit einer solchen Kette ist einerseits durch das System vorgezeichnet, in dem sie stattfindet, andererseits durch den Macht-Code selbst, das heißt durch Rücksichten auf die Erhaltung oder Steigerung des Potentials. Es ist also nicht reiner Zufall, wenn ein Schritt auf den anderen folgt und sich Machtäußerungen in der angegebenen Weise steigern. System und Code fungieren in einem solchen Ablauf als begleitende Identitäten, die die Möglichkeit/Unmöglichkeit des Anschlusses der nächsten Schritte definieren. Gleichwohl bestehen solche Ketten aus Entscheidungen in jeweils neuen, veränderten Situationen. Ob der Machthaber seine Macht zu erwähnen beginnt, wenn seine Kommunikation nicht glatt abfließt, mag von ihm selbst und von der Situation abhängen; ebenso und erst recht, ob er eine angedrohte Sanktion auch ausführt. Das System und [37]die Potentialität seiner Macht überlassen ihm die Entscheidung, aber nicht zur Willkür, sondern mit mehr oder weniger scharf definierten Konsistenzbedingungen. Auch darin zeigt sich der oben (S. 33 f.) erörterte Möglichkeitsüberschuß. Es ist mithin eine wichtige Frage, welcher Verhaltensspielraum dem Machthaber selbst im Hinblick auf seine eigene Entscheidungskette gelassen wird, wie offen seine eigene Zukunft noch ist, wenn er einmal begonnen hat zu kommunizieren62. Die Größe und Sicherheit seines Machtpotentials dürfte hier ebenso wichtig sein wie der Grad an Ausdifferenzierung, also an möglicher Rücksichtslosigkeit in Bezug auf eigene andere Rollen, und schließlich auch die Art der Symbolisierung der Macht, zum Beispiel: ob eine normative Form der Legitimation oder gar eine juristische Durchformulierung der Macht den Machthaber verstärkt dazu zwingt, konsistent zu sein. Die Offenheit seiner Zukunft und die Elastizität in der Handhabung wird nicht zuletzt davon abhängen, ob dem Machthaber erlaubt wird, opportunistisch zu verfahren.

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