Mann meiner Träume

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Nicht schon wieder. „Ja“, sagte ich und verdrehte die Augen. „Bitte, lass uns von etwas anderem reden. Was geschehen ist, kannst du nicht mehr rückgängig machen. Wie geht es deiner Familie?“ Ein Versuch, ihn fröhlicher zu stimmen. Ich hätte es besser wissen müssen!

„Lucien hat geheiratet“, sagte er in einem Ton, als sei das eine Todsünde. „Die Tochter eines Weinhändlers! Wie kann er es wagen! Ich billige diese Heirat nicht, das ist weit unter seinem Stand.“

Ich biss mir auf die Lippen und erinnerte ihn nicht daran, dass er mich geheiratet hatte. Eine Frau, von der er nichts wusste – und die nicht einmal eine gute Mitgift hatte, im Gegensatz zu Christine Boyer.

„Lucien ist ehrgeizig, ihn hätte eine einflussreiche Frau weit bringen können. Ich muss dringend mit ihm reden und ihn zur Trennung bewegen. Stattdessen sitze ich hier fest!“ Wieder antwortete ich nicht. „Du hast keine Meinung?“, fragte er gereizt.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“ Denn eines wollte ich jetzt sicher nicht: mit ihm streiten. Und sein Verhältnis zu Lucien wollte ich schon gar nicht diskutieren. Das würde von Jahr zu Jahr gespannter werden.

Das brachte doch alles nichts. Er war schlecht gelaunt und ich hatte nur zwei Stunden Zeit. Lächelnd stand ich auf und setzte mich auf seinen Schoß.

„Marie, nein“, hob er an.

„Scht.“ Ich legte ihm einen Zeigefinger auf die Lippen. „Ich habe keine Lust, mit dir zu streiten. Die Zeit ist knapp. Lass sie uns nicht mit Gesprächen vergeuden, die wir nicht führen wollen.“

Ich küsste ihn. Vorsichtig lockend, spielte meine Zunge mit seinen Lippen, fuhr sanft seine Zähne entlang. Es dauerte nicht lange, bis er mein Spiel mit einer Heftigkeit erwiderte, die mir den Atem nahm.

„Zum Teufel mit den Wachen“, murmelte er, zog mich hoch und drängte mich zum Bett. Er hielt mich nicht mehr ab, sein Hemd zu öffnen. Ein leises Stöhnen entrann seiner Kehle, als meine Finger nackte Haut berührten. Sanft erforschten seine Finger jeden Zentimeter meiner Haut und glitten schließlich meine Schenkel hinauf.

Viel zu schnell hörten wir das Klopfen an der Tür und die Stimme des Wachmanns. „Die Zeit ist um.“

Hastig sprang ich aus dem Bett und suchte meine Kleider zusammen. Napoleone beobachtete stumm, wie ich mich anzog. Als ich zur Tür gehen wollte, rief er mich zurück: „Wenn ich es recht überlege, war das ein wundervolles Geburtstagsgeschenk“, flüsterte er mir zu und seine Lippen suchten die meinen. Wir küssten uns immer noch, als die Wache die Tür aufstieß. „Na, der scheint Ihr es ordentlich besorgt zu haben.“

Sofort versteifte sich Napoleone.

„Nicht!“, wisperte ich. „Lass ihn reden. Er weiß es nicht besser.“ Ich ließ meine Hand über seine Wange gleiten und drehte mich zur Tür.

„Wo ist Monsieur Berière?“ Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, tauchte er in der Tür auf.

„Hier bin ich. Komm.“ Fordernd streckte er die Arme nach mir aus und legte sie erneut um meine Taille. Das Prickeln raubte mir den Atem. Ich wollte hier weg. Das heißt: Eigentlich nicht, aber Napoleones Gesichtsausdruck als Berière mich auf diese intime Art berührte, verhieß nichts Gutes. Er kochte vor Wut und beherrschte sich nur mühsam.

Berière schien das ähnlich zu sehen. Sein Weg aus der Festung glich einer Flucht. Sobald wir außer Sichtweite waren, ließ er mich los und fragte: „War es schlimm? Er schien zornig.“

„Das ist deutlich untertrieben. Er drohte damit, Euch umzubringen.“

Berière lachte. „Ja, das passt zu ihm. Macht Euch bitte keine Sorgen, er wird mir verzeihen.“

Das hoffte ich doch. „Danke, dass Ihr mir das Treffen ermöglicht habt.“

„Lasst es gut sein.“ Eine leichte Röte überzog sein Gesicht. „Kann ich Euch sonst irgendwie behilflich sein?“

„Nein. Nein, ich muss gehen. Grüßt ihn von mir und richtet ihm aus, dass ich sehr wütend wäre, wenn er Euch töten würde, ja?“ Er nickte bedächtig.

„Gerne. Denn dann würden wir nie erfahren, was das ist, wenn wir uns berühren. Au revoir, Marie Seurant. Bis zum nächsten Mal.“ Er verbeugte sich und lief mit schnellen Schritten davon.

Mein Blick ging ein letztes Mal zu Fort Carré hinauf und ich spürte das Ziehen, das meiner Heimreise vorausging. „Au revoir, Napoleone“, murmelte ich und kehrte in die Gegenwart zurück.

„Was war das? Was ist da passiert, als du Tristan Berière berührt hast?“

Marie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. So etwas habe ich noch nie erlebt. Als wäre alles in diesem Moment an die richtige Stelle gefallen. Wie, wenn es im Kopf klick macht und alles auf einmal einen Sinn ergibt. Nur dass ich es körperlich gespürt habe und er auch.“

„Mmmh, und du weißt sicher nicht, wer der Mann ist?“

„Keine Ahnung.“

„Ich finde das zu merkwürdig, um es zu ignorieren.“

„Ich auch, aber was soll ich machen? Ich weiß nicht, wer er ist und ich finde nichts über ihn.“

„Frag ihn, wenn du wieder träumst! Frag ihn, wer er ist.“

Marie biss sich auf die Lippen. „Ich weiß nicht. Das, was eben passiert ist, macht mir Angst. Dieses Gefühl ...“ Marie suchte nach Worten. „Es war so allumfassend.“ Sie schloss die Augen. „Weißt du, warum ich nicht mit Napoleone reden wollte?“, fragte sie leise. Ohne auf eine Antwort zu warten, sprach sie weiter: „Ich wollte dieses berauschende, wundervolle Gefühl vergessen, das Tristan in mir ausgelöst hat. Ich wollte Napoleone und nicht diesen fremden Mann.“

Anna machte große Augen. „So heftig war das?“

„Ja. So heftig war das. Wenn ich daran denke, flattert mein Herz, meine Haut prickelt und meine Hände zittern.“

„Vielleicht soll dir das die Zukunft erleichtern?“

„Wie denn das?“

„Was geschieht als Nächstes?“

„Jetzt trifft er Joséphine.“

„Und was wird dann mit dir?“

Ein sichtbarer Schauer überlief Marie. „Ich weiß nicht.“

„Soweit ich das verstehe, steht er an einem Wendepunkt seines Lebens.“

„Es beginnt,“ flüsterte Marie.

„Was beginnt?“

„Napoleone wird zu all dem, was du gesagt hast. Die kommenden Ereignisse in Paris ...“ Marie stockte.

„Was ist in Paris?“

Seufzend bedeckte Marie ihre Augen und flüsterte: „Er wird mit Kanonen auf die Pariser Bevölkerung schießen lassen. Schlimmer: Er wird die Kanonen mit Schrott füllen lassen, um mehr Schaden anzurichten.“

„Uh, das ist nicht schön.“

„Ich weiß, dass er Soldat ist. Und ich weiß, dass er ohne Skrupel tötet. Verdammt, es ist auch kein Problem, wenn das ein längst verstorbener Mann in einem Geschichtsbuch tut. Aber mein Mann?“

Anna zog ihre Cousine an sich. „Vielleicht musst du das alles ja gar nicht erleben. Vielleicht gibt es deshalb Tristan?“

Mit einer heftigen Bewegung befreite sich Marie aus der Umarmung. „Ich will das erleben, verdammt! Ich will erleben, wie seine Träume wahr werden, will sehen, wie er die Probleme in Angriff nimmt und löst!“ Tränen traten in ihre Augen.

„Oh, Marie!“

„Und wenn ich daran denke, was Joséphine ihm antun wird ...“ Sie schloss die Augen und schnäuzte sich.

„Soweit ich mich erinnere“, sagte Anna vorsichtig, „ist oder besser war er ihr hoffnungslos verfallen, liebeskrank.“

„Das stimmt.“

„Warum er sie geheiratet hat, ist klar. Er war ihr verfallen. Aber warum hat sie ihn genommen?“ Annas Hoffnung, Marie durch Fragen auf andere Gedanken zu bringen, funktionierte.

„Sie wollte versorgt sein. Nach der Revolution hatte ihr Wohl und das ihrer Kinder immer von ihren Liebhabern abgehangen. Ich denke, dass sie die Sicherheit einer Ehe geschätzt hat.“

„Er hatte doch nichts. Er war arm wie eine Kirchenmaus, oder?“

„Ich denke schon. Es gibt da dieses unschöne Gerücht, dass Barras sie zu der Ehe gedrängt habe.“

„Wer war nochmal Barras?“

„Französischer Staatschef. Vorsitzender des Direktoriums und Joséphines Geliebter. Es gab Gerüchte, dass er die teure Geliebte loswerden wollte. Das Oberkommando über Italien soll für Napoléon das Hochzeitsgeschenk von Barras gewesen sein - eine Art Mitgift.“

„Glaubst du das?“, fragte Anna skeptisch.

„Ich weiß nicht. Napoléon hat das immer weit von sich gewiesen.“ Sie lächelte. „Natürlich – wenn es so war, ging es ihm gegen die Ehre.“

„Das wäre doch interessant zu erfahren,“ sinnierte Anna.

„Ich werde ihn bestimmt nicht fragen! Das kannst du vergessen!“

„Das weiß ich. Interessant wäre es trotzdem.“ Anna klatschte in die Hände. „Was fangen wir mit diesem Samstag an?“

„Zeig mir die Stadt. Das ist doch eine Studentenstadt und es soll viele schöne Kneipen hier geben.“

„Super! Wir brezeln uns auf und machen die Stadt unsicher!“

13. November

Die beiden Frauen kamen erst am nächsten Morgen nach Hause und Marie fiel in einen traumlosen Schlaf. Sie erwachte am Mittag mit einem Gefühl der Enttäuschung und einem leichten Kater.

 

Anna saß im Wohnzimmer und sah genauso aus, wie Marie sich fühlte. Zerzaustes Haar, leidende Miene und zu müde, sich zu bewegen.

„Und hattest du einen Traum?“

Marie schüttelte den Kopf.

14. November (März 1796)

Als Anna am nächsten Tag erwachte, wurde sie von einer aufgeregten Marie erwartet. „Ich habe wieder geträumt. Sogar zwei Träume.“ Strahlend hielt sie Anna ihre Aufzeichnungen entgegen.

.

Verspätung

Paris! Da gab es keinen Zweifel. Diese Stadt würde ich immer erkennen. Schon bei meinem allerersten Besuch als Kind, hatte sie einen Zauber auf mich ausgeübt wie kein anderer Ort auf dieser Welt. Und dieses Gefühl stellte sich ein, als ich mich umblickte. Leider kam mir nichts bekannt vor. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Die Anhaltspunkte des modernen Paris fehlten. Eiffelturm und Sacre Coeur gab es noch nicht. Und auch die Straßenführung unterschied sich deutlich von der heutigen.

Während ich mich zu orientieren versuchte, sah ich Napoleone und Berière um eine Ecke biegen. In ein Gespräch vertieft schritten sie eilig die Straße entlang. Berières Blick streifte mich. Er grüßte und machte Napoleone auf mich aufmerksam. Zu meinem Schrecken geschah, was ich befürchtet hatte: Napoleones Blick flackerte kurz zu mir herüber, dann schaute er direkt auf den Boden.

„Bürgerin Seurant!“, übernahm Berière das Gespräch. „Wie schön, Euch hier zu treffen!“

Sein Lächeln fiel eine Spur zu freundlich aus, um echt zu sein.

„Bonaparte, du hast mir gar nicht erzählt, dass deine 'Schwester' kommt.“

Sein Bemühen um einen leichten Tonfall hätte mich zum Lächeln gebracht, wenn da nicht Napoleones ernste Miene gewesen wäre. Und was hatte er da gerade gesagt? Wohin sollte ich kommen?

Ich verstand Napoleones gezischte Antwort nicht. Laut sagte er: „Sie wird nicht mitkommen. Geh und triff alle Vorbereitungen. Ich komme nach.“

Berière nickte, verabschiedete sich und eilte davon.

„Komm mit!“ Das war ein Befehl, keine Bitte. Napoleone sah mich immer noch nicht an und vermied jede Berührung. Das erinnerte mich viel zu sehr an meinen letzten Besuch auf Korsika. Das Herz schlug mir schmerzhaft gegen die Brust. Es konnte unmöglich wieder so viel Zeit vergangen sein, oder?

Wohin würde er mich bringen? Joséphines Haus! Ich hatte ein Bild davon gesehen und Beschreibungen gelesen. Napoleone war nach der Hochzeit dort eingezogen.

Er lebte mit ihr zusammen, wahrscheinlich schon verheiratet. Warum führte er mich hierher?

Irgendwie schaffte ich es, ihm quer durch das Haus zu folgen, ohne umzukippen. Am Rande nahm ich wahr, dass wir in einem Arbeitszimmer halt gemacht hatten. Flüchtig registrierte ich den schweren Schreibtisch, einen Stuhl, ein Regal. An der Seite sah ich eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Überall lagen Bücher, lose Papiere und Karten herum.

Verzweifelt blickte ich mich nach einer Sitzgelegenheit um - außer dem Stuhl hinter dem Schreibtisch gab es keine. Also ließ ich mich gegen den Tisch sinken. Das gab mir ein bisschen Halt und den hatte ich immer dringender nötig. Nach wie vor schwieg Napoleone.

Immer noch stumm schloss er die Tür und lehnte sich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen dagegen. Erst jetzt hob er den Blick und sah mich an.

Würde er mich wieder anschreien? Würde er mich wegschicken, wie Stefan es getan hatte? Meine Hände begannen zu zittern und ich versuchte, sie unter die Falten meines Kleides zu schieben.

Ich hielt seinem Blick nicht stand. Die Sekunden zogen sich in die Länge und ich drängte mit aller Macht die aufsteigenden Tränen zurück. Jetzt bloß nicht weinen.

Nach einer Ewigkeit spürte ich seine Hand unter meinem Kinn. Nervös zuckte ich zusammen.

Er ignorierte meinen Schrecken, hob meinen Kopf und zwang mich, ihn anzusehen. Jetzt zitterte selbst mein Kinn in seiner Hand.

„Ich hatte vergessen, wie schön du bist, Marie.“

Ein Stöhnen entrann meiner Kehle und ich versuchte, etwas zu sagen. Gar nicht so einfach, wenn das Herz zerspringen will und kein Muskel mehr tut, was er soll. „Und sie?“, brachte ich mit krächzender Stimme heraus.

„Brennt wie Feuer in meinen Adern“, kam seine ehrliche Antwort. Jetzt rann eine Träne meine Wange hinab. „Aber du löschst es.“

Dann küsste er mich. Dieser Kuss sagte so viel mehr, als Worte je gekonnt hätten.

Ich hätte ihm zu gerne geglaubt. Löschte meine Anwesenheit Joséphine für den Moment aus seinen Gedanken? Das wäre ein Sieg, oder? Warum fühlte es sich dann nicht so an? Warum blieb dieses überwältigende Gefühl aus, das mich bei jeder seiner Berührungen durchfahren hatte?

Er löste sich von mir und blickte mich stirnrunzelnd an. „Was ist los, Marie?“

„Es ist Joséphine. Wo ...?“

Er atmete tief ein und ließ die Luft langsam entweichen. „Gut, reden wir über sie.“ Wieder verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und hob die Brauen.

„Du willst wissen, wo sie ist?“

Ich nickte.

„Dann weißt du nicht, welcher Tag heute ist?“

Ich schüttelte den Kopf – und kam mir langsam dämlich vor.

„Und ich dachte, du seist deshalb hier“, sagte er mehr zu sich selbst. „Ich muss mich bei dir entschuldigen, Marie.“ Ein schiefes Lächeln erschien auf seinen Zügen. „Ich musste annehmen, du wolltest mir eine Szene machen. Ich hätte es besser wissen müssen. So etwas passt nicht zu dir.“

Das war alles sehr schmeichelhaft, aber ich wusste immer noch nicht, worauf er hinaus wollte. Er stand wieder vor mir und nahm meine Hände in seine. „Berière und ich waren eben auf dem Weg zu meiner Hochzeit.“

„Oh“, entfuhr es mir. Das erklärte einiges. Aber das hieß ja ... „Du wirst zu spät kommen.“

„Sieht ganz so aus.“

Das konnte nicht sein! Ich sollte der Grund sein, warum Napoleone zu spät zu seiner Hochzeit kam? Tatsächlich hatte er Joséphine und alle anderen Anwesenden mehrere Stunden auf dem Standesamt warten lassen. Nach allem, was ich wusste, ging die gegenwärtige Forschung davon aus, dass seine Vorbereitungen für den Italienfeldzug der Grund gewesen waren. Ein kurzes, prustendes Lachen suchte sich seinen Weg. Es kostete mich große Mühe, es nicht hysterisch werden zu lassen.

„Was ist los mit dir, Marie? Dein Verhalten verwirrt mich.“ Natürlich – er musste mich für völlig wahnsinnig halten.

„Ich bin überrascht, überwältigt, eifersüchtig.“

Er strich eine Locke aus meinem Gesicht und fuhr mit der Fingerspitze über meine Wangen. „Komm mit mir. Lass uns eine Zivilehe schließen und begleite mich nach Italien.“

Ich musste mir fast die Zunge abbeißen, um nicht laut Ja! zu schreien. Mein Herz wollte genau das tun, doch irgendetwas hielt mich zurück. Verdammt! Ein schlechter Moment für rationale Gedanken.

Da ich meiner Stimme nicht traute, schüttelte ich den Kopf. Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich befreite mich aus seinem Griff und wandte mich ab. Diese Tränen sollte er nicht sehen.

„Das verstehe ich jetzt nicht“, unterbrach Anna ihre Lektüre.

„Was verstehst du nicht?“

„Warum du 'nein' sagst. Ich meine, du hast ihn schon geheiratet. Warum nicht noch einmal?“

„Ist das nicht offensichtlich?“

Anna schüttelte den Kopf.

„Weil er Joséphine heiraten muss! Ohne sie kein Napoléon.“

„Das sind Träume, Marie! In Träumen kannst du tun, was du willst.“

„Und wenn es mehr als Träume sind?“ Marie sprach so leise, dass Anna Mühe hatte, sie zu verstehen.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Anna ihre Cousine an. „Du meinst ...“ Sie war sich nicht sicher, ob sie aussprechen wollte, was Marie angedeutet hatte.

„Was ist, wenn ich wirklich da bin?“ Maries geflüsterte Worte bestätigten Annas schlimmste Vermutungen.

„Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Und wenn doch?“, brauste Marie auf. „Wenn das alles kein Traum ist, sondern echt?“ Trotzig schob sie das Kinn nach vorne. „Es fühlt sich so an, es geschieht alles in der richtigen Reihenfolge. Und überhaupt, hast du schon einmal von solchen Träumen gehört? Träume, die immer weitergehen?“

„Habe ich nicht. Aber Zeitreise! In deinen Träumen! Das ist doch ...“ Hilflos ließ sie die Arme hängen. Allein der Gedanke war ihr zuwider. Und die Vorstellung, dass Marie an so etwas glauben könnte, machte sie rasend.

„Das ist aber der Grund, warum ich nicht 'ja' sagen konnte! Weil es echt sein könnte und dann muss er sie heiraten und nicht mich.“

Anna gab es auf. „Das muss ich wohl hinnehmen. Du hast nein gesagt, weil diese Träume echt sein könnten.“ Sie nahm das Buch wieder zu Hand und las.

Da ich meiner Stimme nicht traute, schüttelte ich den Kopf. Erneut füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich befreite mich aus seinem Griff und wandte mich ab. Diese Tränen sollte er nicht sehen.

„Du sagst nein und weinst?“ Er schnaubte und ballte die Fäuste. „Ich verstehe dich nicht, Marie! Du sagst, du seist eifersüchtig. Ich biete dir an, auf diese Ehe zu verzichten – zu deinen Gunsten – und du lehnst ab!“ Kopfschüttelnd sprach er weiter: „Und jetzt weinst du? Was soll ich deiner Meinung nach machen?“

„Joséphine heiraten und mich vergessen“, murmelte ich leise.

Er unterbrach mich mit donnernder Stimme: „Niemals.“

Vorsichtig lugte ich zu ihm hinüber.

Mit einem gequälten Lächeln bekräftigte er seine Aussage: „Ich heirate Joséphine, ich liebe Joséphine – aber ich kann dich nicht vergessen. Ich werde dich nicht aufgeben!“ Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ich möchte nicht streiten, Marie. Aber du musst verstehen, wie sehr du meine Welt durcheinanderwirbelst. Immer, wenn ich denke, mein Leben läuft in eine bestimmte Richtung, tauchst du auf und stellst alles auf den Kopf.“ Er seufzte. „Deine Besuche haben mir Kraft und Zuversicht gegeben. Du hast mich aufgebaut und mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht. Dann verschwindest du und ich brauche Wochen, um alles wieder in gewohnte Bahnen zu lenken. So wie heute. Der Tag sollte Joséphine und mir gehören – und jetzt bist du da. Was soll ich nur mit dir machen?“

Ich schluckte. So hatte ich das noch nicht gesehen. Meine eigenen Gefühle hatten mich so sehr beschäftigt, dass ich an seine keinen Gedanken verschwendet hatte.

„Ich will dein Leben nicht durcheinanderbringen. Und ich habe versucht, dich in Ruhe zu lassen - damals, nach unserer Hochzeit. Ich habe es nicht geschafft. Ich musste dich wiedersehen, egal zu welchem Preis.“ Schon wieder kamen mir die Tränen. „Ich liebe dich viel zu sehr. Alles andere ist mir egal. Was du mit mir machen sollst, fragst du? Küss mich, sag mir, dass du mich liebst, und heirate Joséphine.“

Ohne ein Wort nahm er mich in den Arm und folgte meinem Befehl. Seine sanften Berührungen verscheuchten all meine Sorgen und Ängste. Wie hatte ich nur glauben können, er würde mich vergessen? Sein Mund hatte sich von meinen Lippen gelöst und knabberte an meinem Ohr. Mein Körper reckte sich ihm entgegen und verlangte mehr. Sein unruhiger Atem verriet mir, dass es ihm ähnlich ging. Mit einem tiefen Seufzen schob er mich ein Stück von sich weg.

„Marie, ich habe eine Idee.“

„Nur eine?“, neckte ich.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Seine Hand glitt ins Innere der Jacke und er holte einen runden Gegenstand hervor. Es war ein Medaillon mit einer Glasscheibe davor – das Bildnis Joséphines. „Ich werde genau so ein Portrait von dir anfertigen lassen. Dann habe ich dich immer bei mir.“ Er ging zum Schreibtisch und zog eine Schublade nach der anderen auf. „Hier ist es“, rief er triumphierend aus und hielt eine kleine Holztafel hoch. Sein Portrait. „Nimm es!“

Es sah ihm tatsächlich ähnlich, auch wenn ich schon schönere Bilder von ihm gesehen hatte.

Ich nahm es und lächelte ihn zum ersten Mal an diesem Tag an. „Danke.“

Er kam zu mir zurück und schloss mich in die Arme. „Berière wird herkommen. Er soll Skizzen machen. Darin ist er ziemlich gut. Dann habe ich endlich mehr als ein Kreuz, das mich an dich erinnert.“ Seine Lippen senkten sich in einem kurzen leidenschaftlichen Kuss auf meine. „Ich muss mich jetzt wirklich auf den Weg machen. Du bleibst hier und wartest auf Berière.“ Er nahm meine Hände und sagte eindringlich: „Vergiss nicht, dass ich dich liebe – und dass DU die Frau bist, mit der ich eigentlich den Rest meines Lebens verbringen wollte – und will.“ Mit diesen Worten eilte er aus dem Zimmer.

 

Verwirrt blickte ich ihm nach. Ich sollte hier im Haus auf Berière warten? Und die Bediensteten? Waren das nicht Joséphines Leute? Die würden ihr sicher berichten, was sich hier abgespielt hatte!

Es klopfte an der Tür.

„Bürgerin Seurant?“, hörte ich Berières fragende Stimme. Oh je, ich hatte völlig vergessen, dass solche 'Leerlaufzeiten' wie im Flug vergingen.

„Ich komme“, rief ich und öffnete die Tür.

„Bürgerin“, er verbeugte sich knapp. Wenn ihn etwas an der ganzen Situation wunderte, verbarg er das gut.

„Bonaparte gab mir den Auftrag, ein Portrait von Euch anzufertigen. Kommt.“ Mir fiel auf, dass er mir nicht seinen Arm anbot. Es schien eher so, dass er jede Berührung vermeiden wollte.

Nach wenigen Minuten erreichten wir ein Haus. Sein Blick streifte mich immer wieder, doch er schwieg. Was er wohl dachte?

„Hier ist es.“ Ohne ein weiteres Wort führte er mich in ein Atelier und alles ging sehr schnell. Er bat mich, mich zu setzen und verschwand hinter einer Staffelei. Schweigend begann er zu zeichnen. Nach wenigen Minuten trat er hervor und lächelte mich an. „Das sollte reichen.“

„Ihr malt?“ Das war ja eine sinnige Frage.

Er schien das ähnlich zu sehen, denn mit einem leichten Lachen auf den Lippen machte er eine alles umfassende Handbewegung. „Sieht so aus.“

Seine Antwort trieb mir die Röte ins Gesicht. Um von diesem Umstand abzulehnen ging ich auf die Staffelei zu, vor der er stand.

„Darf ich das ansehen?“ Ohne auf ihn zu achten, wollte ich an das Bild herantreten und bemerkte nicht, dass er sich mir in den Weg gestellt hatte.

„Nein!“, hörte ich ihn sagen und prallte gegen seine Brust.

Er sog scharf die Luft ein und mein ganzer Körper begann zu glühen. Da war es wieder, dieses Kribbeln. Unwillkürlich fuhr meine Hand zur Kehle.

Er schien jetzt wieder völlig unbeeindruckt. „Ich denke, Ihr solltet gehen.“ Mit einer freundlichen Handbewegung wies er zur Tür.

Völlig verdattert folgte ich seinen Anweisungen und erwachte im nächsten Moment in meinem Bett.

„Das Kribbeln ist also noch da?“

Ein angenehmer Schauer durchlief Marie, als sie daran dachte. „Jaaaa!“

„Aha. Ich will auch solche Träume. Du hast Sex mit einem Mann, den du vergötterst. Du hast einen Mann, dessen Berührungen ein Lächeln auf deine Lippen zaubert, wie ich es noch nie an dir gesehen habe. Sag mir, wie man das macht.“

„Lass dich von einem Mann verarschen, denke an Selbstmord und himmle einen toten Kaiser an. So habe ich es gemacht.“

Die beiden Frauen kicherten. „Nein, mal im Ernst. Was hat es mit diesem Portrait auf sich? Da steckt doch mehr dahinter oder?“

„Und ob da mehr dahintersteckt!“, sagte Marie glücklich. „Das heißt nämlich, er hatte in Italien zwei Porträts dabei! Meines und Joséphines. Das erklärt zumindest die ganzen Berichte, dass er es immer wieder hervorholte, um es zu betrachten oder den Leuten zu zeigen.“

„Marie“, unterbrach Anna, „wovon redest du?“

„Habe ich dir das nie erzählt? Napoleone hatte in Italien ein Medaillon mit Joséphines Bild dabei. Das hat er jedem, der es sehen wollte, oder nicht sehen wollte, unter die Nase gehalten. In einigen Fällen mehrmals. Er sprach von seiner wunderschönen Frau, die ihn bestimmt bald besuchen würde.“ Marie blickte Anna erwartungsvoll an.

„Und da du glaubst, tatsächlich in die Vergangenheit zu reisen“, nahm Anna den Faden auf, „nimmst du an, dass er beide Porträts herumzeigte?“

„Ja! Wahrscheinlich sind sie bis auf das Gesicht gleich und der Unterschied nur schwer zu erkennen. Vielleicht hat er den Leuten nicht zweimal das gleiche Bild gezeigt, sondern verschiedene – und sie im Wechsel gedankenversunken betrachtet.“ Glücklich schnippte Marie mit den Fingern. „Das gefällt mir besser, als der Gedanke, dass er liebeskrank nach dieser ...“, sie verdrehte die Hände im Würgegriff, „gewesen sein soll.“

Gegen ihren Willen musste Anna lachen. „Nur mal angenommen, deine Theorie stimmt – was auf keinen Fall erwiesen ist! Dann bist du auf eine Frau eifersüchtig, die seit mehr als 200 Jahre tot ist!“

„Das ist mir genauso klar, wie die Tatsache, dass ich einen Mann liebe, der fast ebenso lange tot ist.“ Sie seufzte. „Lies den Rest.“ Eine leichte Röte stieg Marie ins Gesicht und sie begann, nervös an ihren Kleidern zu nesteln. „Passiert jetzt etwas Peinliches?“

„Wie man es nimmt. Er ist in Italien. Dort wartete er verzweifelt auf seine Joséphine und schrieb ihr glühende Liebesbriefe. Schon bevor ich ihn kannte, konnte ich diese Briefe nur mit gemischten Gefühlen lesen.“ Marie schüttelte sich. „Diese Worte von ihm für eine andere Frau geschrieben – ich glaube, wenn ich einen dieser Briefe hier hätte, würde ich ihn zerreißen. Egal wie viele 10.000 Euro er wert ist!“

„Jetzt bin ich gespannt!“

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