Mann meiner Träume

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Ich verhielt mich ruhig, starrte auf die Wand und versuchte, seine Worte an mir abprallen zu lassen.

'Versuchte' ist der richtige Ausdruck. Einige Male unterdrückte ich die Tränen nur mit größter Anstrengung. Ich verdrängte sie und ertrug stumm, was er mir entgegenschleuderte. Er mochte keine Frauen, die weinten. Also versuchte ich, stark zu bleiben. Irgendwann drehte ich den Kopf in seine Richtung und konnte ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken.

„Es tut mir leid, Napoleone!“ Tränen liefen meine Wangen hinunter, doch es war mir egal. Er blieb mir gegenüber stehen und so plötzlich, wie er zu schreien begonnen hatte, verstummte er, kam auf mich zu, nahm mich in den Arm und flüsterte: „Ich liebe dich, Marie.“

Das Gesicht in meinem Haar vergraben, murmelte er: „Dieser Duft hat mir gefehlt.“ Seine Hände wanderten von meiner Taille hinunter und umfassten meine Pobacken.

Langsam hob ich den Kopf und blickte ihm direkt in die Augen. Sie glitzerten so blau, wie das Meer und schienen ebenso tief. Unsere Blicke verbanden sich und ein sinnliches Lächeln erschien auf seinen Lippen. Ganz langsam senkte sich sein Mund, ich öffnete meinen und schloss die Augen.

Hungrig suchte seine Zunge ihren Weg. Sein unmögliches Verhalten, meine Ängste, alles verschwamm und verblasste. Er drängte mich zu der Kiste, riss mit einer schnellen Bewegung die Hängematte aus ihrer Verankerung und warf sie zur Seite. Leise stöhnend, zog er mich auf seinen Schoß. Seine Hände fuhren meine Hüften entlang, meine vergruben sich in seinem Haar. Seufzend lehnte ich mich ihm entgegen und überließ mich dem Gefühl der Liebe, die gerade die erste Hürde umschifft hatte.

„Ich glaube, ich habe mich geirrt“, raunte er später zärtlich in mein Ohr. Die Hängematte hing wieder an ihrem Platz. Mit einiger Mühe war es uns gelungen nebeneinander darin Platz zu finden.

„Worin?“

„In meiner Einschätzung über die Liebe“, murmelte er. „Es ist nicht lange her, da habe ich geschrieben, dass die Welt ohne Liebe besser dran wäre.“

Was man sich alles behält, wenn man es als junger Mensch auswendig gelernt hat. Ich erinnerte mich an den genauen Wortlaut:

'Die Liebe ist nichts für mich. Denn was heißt Liebe? Eine Leidenschaft, die das Universum beiseite schiebt, um nichts zu sehen, als den geliebten Gegenstand.' Was daran allerdings schlecht sein sollte, verstand ich nicht.

Auf St. Helena, am Ende seines Lebens, schrieb er: 'Auch ich war einmal verliebt und weiß genug davon, um Definitionen zu verachten, die die Sache nur verwirren. Ich leugne ihre Berechtigung, ja mehr, ich halte sie für schädlich für die Gesellschaft und für das Glück des Einzelnen. Ein Segen des Himmels wäre es, die Menschen davon zu befreien.' Bittere Worte.

„Und jetzt weißt du, dass das nicht stimmt?“

Ein Lächeln zog über sein Gesicht.

„Teilweise. Ich sehe meine Kameraden, wie sie sich verlieben, sich töricht benehmen und ihre Pflichten vernachlässigen. Das verurteile ich noch immer. Wenn man sich durch die Liebe wie ein Tor verhält, wäre man ohne sie besser dran.“ Er spielte mit meinen Haaren und fuhr sanft die Konturen meines Nackens nach.

„Aber ich habe auch geschrieben, ich könnte darauf verzichten. Das muss ich korrigieren.“ Jetzt küsste er meinen Nacken. „Mit der richtigen Frau an meiner Seite gibt es nichts Erstrebenswerteres.“ Besitzergreifend zog er mich fester an sich. Seine Worte machten mich glücklich und zauberten ein Lächeln auf mein Gesicht, das einfach nicht mehr verschwinden wollte.

Wir schwiegen lange und genossen einfach nur den Augenblick. Das Leben mit all seinen Unzulänglichkeiten würde uns früh genug einholen.

„Hast du Hunger?“ Da hatte es uns wieder.

„Muss ich aufstehen, wenn ich ja sage?“, fragte ich träge.

„Ja.“

„Dann nicht.“

„Und wenn du nicht aufstehen musst?“

„Einen Bärenhunger“, gab ich zu.

„Ich werde etwas besorgen.“ Er wollte sich erheben. Das brachte die Hängematte so heftig ins Schwanken, dass ich herauszufallen drohte. Lachend schloss er mich fest in die Arme. „Jetzt bleibst du für immer bei mir!“

Sein kindlicher Überschwang brachte mich zum Lachen. „Das klingt wunderbar! Aber du weißt, dass das nicht geht.“

„Ich liebe dich, Marie, und ich möchte dich bei mir haben! Wenn du nicht da bist“, er suchte nach Worten, „dann fehlt ein wichtiger Teil von mir. Ich lasse dich nicht gehen.“

Sanft strich ich ihm mit einer Hand über die Wange. „Nein.“

Er ließ mich los, wandte sich ab und begann, sich anzuziehen. Erneut blitzte Zorn in seinen Augen auf.

„Es ist ein anderer Mann, nicht wahr?“, kam die gepresste Frage.

Was sollte das denn? „Es gibt keinen anderen.“

„Ach, Marie, mach mir nichts vor. Du müsstest jetzt ungefähr fünfundzwanzig sein? Du kannst mir nicht erzählen, dass deine Familie dich nicht verheiraten will! Das ist längst überfällig. Hässlich bist du nicht, alt siehst du nicht aus und dumm bist du sicher nicht. An Bewerbern dürfte es nicht mangeln.“

Wenn du wüsstest! Laut sagte ich: „Du schmeichelst mir.“ Meine Stimme wurde eindringlicher: „Ich bin verheiratet!“

„Hab ich es doch geahnt!“ Er sprang auf und, setzte sich gleich wieder, da kein Platz im Raum war.

„Und zwar mit dir, du ...!“ Ich brach ab, da ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. „Seit über drei Jahren! Am Hochzeitstag habe ich gesagt, dass ich nie bleiben kann. Du wolltest mich trotzdem! Ich war ehrlich zu dir! Wenn dir das nicht genügt, werde ich gehen!“ In einer kurzen Pause überlegte ich meine nächsten Worte. „Und nie wiederkommen.“

Ein wenig theatralisch, aber das, was ich fühlte. Wie konnte ein Mann, der eigentlich gar nicht real war, mich so verletzen? Bewusst provozierend blickte ich zu ihm hinüber.

Gefühle zu verbergen, gehörte nicht gerade zu seinen Stärken. Er biss die Zähne aufeinander, um einen erneuten Wutanfall zu unterdrücke. Seine Faust öffnete und schloss sich in schnellem Rhythmus. Endlich entspannte sich sein Gesichtsausdruck.

„Ich bin verrückt, Marie - verrückt nach dir.“ Jetzt grinste er. „Sonst habe ich meine Sinne ganz gut beisammen, denke ich.“ Er war zu mir getreten. Seine Hand auf meinen Schultern fragte er: „Wann musst du gehen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Wenn es Zeit ist zu gehen, gehe ich.“

Er zog mich zu sich heran und betrachtete mich. „Du verwirrst mich. Ich kenne dich kaum. Ich weiß nicht, ob dein Name Marie ist. Ob es stimmt, dass du aus Mainz kommst. Wie alt du wirklich bist. Was du wirklich machst. Wie du wirklich denkst. Verdammt, ich kenne nicht einmal eine deiner Vorlieben, und dennoch - Ich liebe dich!“

Die Anspannung, die sich zu Beginn seines Monologs in mir aufgebaut hatte, wich.

„Irgendwann werde ich dir alles erzählen - und ich liebe Schwertlilien.“

Er hob seine Brauen. „Ach ja?“

In dem Moment wurde mir klar, dass Schwertlilien das bourbonischen Königshaus symbolisierten. 1793 war nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, um diese Blumen als Lieblingsblumen zu haben. Ich lächelte schuldbewusst und hob leicht die Schultern.

Der Argwohn auf Napoleones Gesicht verschwand und er lächelte jetzt. „Mutig, das zu sagen – oder dumm.“

„Es ist wahr.“

Er hob beschwichtigend die Hand. „Du wirst Schwertlilien von mir bekommen.“ Sein Blick fiel auf die Hosen, die ich getragen hatte. „Die kannst du nicht anziehen. Warte hier, ich besorge dir etwas anderes.“

Ich bekam einen kurzen Kuss und er verschwand. Es blieb mir keine Zeit zum Nachdenken, denn augenblicklich trat er wieder ein.

„Hier, der sollte es tun.“ Er reichte mir einen einfachen dunklen Rock. „Der ist von meiner Mutter“, beantwortete er meine nicht gestellte Frage. „Und Essen habe ich auch.“ Mit einer schnellen Handbewegung holte er Brot und getrocknetes Fleisch aus einem Beutel. „Nicht gerade ein Festmahl, aber für Schiffskost nicht schlecht.“

Ich lächelte und streifte ein Hemd über. „Deine Mutter hat erzählt, dass du jetzt Hauptmann bist.“

„Oh ja!“, antwortete er nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme. „Aber was hat es mir gebracht? Wir haben unser Heim verloren.“ Er sank auf den Hocker. „Du hattest von Anfang an recht. Paoli stand nie hinter mir und meiner Familie. Er hat zu viele Jahre im englischen Exil verbracht und betrachtet uns alle mit Misstrauen, weil wir nicht mit ihm gegangen sind.“ Sein trauriger Blick streifte mich. „Du hast mir vor Jahren gesagt, dass ich Korsika nicht befreien kann.“ Das normalerweise leuchtend helle Blau seiner Augen hatte sich getrübt und wirkte stumpf. „Vielleicht sollte ich langsam damit anfangen, dir auch die abwegigen Teile deiner Prophezeiungen zu glauben.“ Genauso schnell, wie die Trauer in seinen Blick gelangt war, verschwand sie wieder.

„Das ist eine deiner Stärken: Du glaubst niemals irgendjemandem irgendetwas. Du hörst dir an, was es zu sagen gibt, wägst ab und triffst dann deine Entscheidungen.“

„Ich bin mir nur nicht sicher, ob die immer richtig sind. Ich bin zwar Offizier, aber ich hatte noch nie ein richtiges Kommando. Dabei herrscht Krieg und es gibt viel zu tun! Sieh dir zum Beispiel Toulon an: Dort sind nur Stümper am Werk! Man könnte die Stadt in kürzester Zeit zurückerobern. Mit wenigen Kanonen an den richtigen Stellen wären die Engländer vor Ablauf einer Woche vertrieben. Wenn man mir nur eine Chance geben würde!“

Auf diese Chance würde er nicht mehr lange warten müssen. Ob ich ...?

„Schreib etwas, in dem du deine Gedanken zum Ausdruck bringst“, riet ich ihm. „Gegen den Bürgerkrieg, gegen die Aufstände und für den Nationalkonvent. Du hast immer noch Freunde in Paris.“

 

In einigen Monaten würde er tatsächlich eine Broschüre mit dem Titel 'Le Souper de Beaucaire' (Das Nachtmahl von Beaucaire) drucken lassen, in der er für den Konvent und gegen den Bürgerkrieg sprach. Sein Landsmann Saliceti in Paris, ein Mitglied des Konvents, würde es lesen und ihm seinen größten Wunsch erfüllen: Als Artilleriekommandeur nach Toulon zu gehen, um die Engländer zu vertreiben. Wie sagt man so schön: Der Rest ist Geschichte.

Jetzt erfüllte erst einmal sein Lachen den Raum. „Weißt du, wie schön es ist, ein paar Stunden mit dir zu verbringen? Deine Sicht der Dinge ist immer so erfrischend anders.“ In ernstem Tonfall fuhr er fort: „Erst einmal bin ich froh, nicht mehr in Paris zu sein, es ist ... Du kannst dir nicht vorstellen, wie es dort zugeht. Ich habe erlebt, wie die Bevölkerung letztes Jahr am 10. August die Tuilerien stürmte. Der Mob geriet außer Kontrolle. Das Gemetzel ...“ Kopfschüttelnd hielt er inne und blickte mich liebevoll an. „Gut, dass du nicht da warst. Ich hätte nicht gewollt, dass du das siehst. Allein der Gedanke, du hättest dort in diese Menge geraten können ...“

Endlich hatte ich einen Menschen gefunden, der mich beschützen wollte, dem mein Wohlergehen am Herzen lag.

„Ich habe gehört, was passiert ist und bin auch froh, dass ich nicht dort war. Was ist aus den Idealen der Revolution geworden?“

„An diesem Tag wurden sie mit Füßen getreten.“ Verachtung sprach aus jeder Silbe. „Leider bin ich sicher, dass es schlimmer kommen wird. Robespierres Ziele mögen richtig sein. Die Art, mit der er es angeht ...“ Er schüttelte den Kopf und drückte meine Hand. „Ich persönlich glaube nicht mehr daran, dass es möglich ist, Gleichheit für alle zu erreichen. Das ist idealistisches Geschwätz. Es wird immer eine herrschende und eine dienende Schicht geben. Man muss eben sehen, dass man auf der Seite der herrschenden steht – und der dienenden das Gefühl geben, dass es so das Beste ist.“ Er stand jetzt und verschränkte die Hände auf dem Rücken.

„Weißt du“, begann er von Neuem, „inzwischen bin ich noch mehr davon überzeugt, dass Rousseau mit seinen Theorien recht hatte: Da ist nichts Gutes im Menschen. Seine Triebfedern sind Furcht, Selbstsucht und Ehrgeiz. Ich bilde da keine Ausnahme. Aber ich habe erkannt, dass ich diesen Gedanken als Grundlage meines Handelns nehmen muss.“

Es fängt an, fuhr es mir durch den Kopf. Der Glaube an die Ideale ist verschwunden. Noch vor drei Jahren wollte er einfach Soldat sein. Jetzt änderte sich das. Jetzt wollte er handeln.

Und mit einer Wucht, wie sie nur eine unerwartete Erkenntnis liefert, verstand ich, was ihn antrieb. Es war nicht Machtgier oder Ehrgeiz – zumindest nicht am Anfang. Es war einzig und allein das Gefühl, es besser machen zu können. Man hatte es an seinen kurzen Sätzen über Robespierre und Toulon hören können: Er, Napoleone Buonaparte, würde es besser machen. Er vergaß dabei, dass selbst Robespierre nicht immer ein Vertreter des Terrors gewesen war. Seine Gedanken und Ziele zu Beginn der Revolution waren völlig andere. Der Mann, der jetzt Tausende unter der Guillotine sterben ließ, galt vor wenigen Jahren als einer der glühendsten Gegner der Todesstrafe. Macht und Verantwortung verändern einen Menschen und seine Ziele. Mein Blick fiel auf Napoleone. In diesem Moment wünschte ich mir nur eins: Die Geschichte sollte gnädiger mit diesem Mann umgehen und ihm dieses Schicksal ersparen. Wunschdenken.

Den Rest der Fahrt redeten wir über belanglose Dinge. Aber das Gespräch ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Nicht mehr lange und er würde all seine Ideale verlieren – und Macht bekommen. Ich versuchte, nicht an die Zukunft zu denken, was gar nicht leicht ist, wenn man sie genau kennt.

Als es langsam dunkel wurde, erreichten wir einen Hafen.

„Ich werde in Calvi an Land gehen“, sagte Napoleone. „Wir müssen Vorräte laden und ich habe einige Dinge zu erledigen. Berière kann sich um dich kümmern.“

Das würde nicht nötig sein. „Ich muss gehen, Napoleone.“ Durch meinen Tonfall versuchte ich zu sagen, dass ich bleiben wollte. Er streichelte meine Wange und flüsterte: „Es mach keinen Sinn zu fragen, wie du von der Insel wegkommst, oder?“

„Nein.“

„Ich dachte ...“ Er brach mitten im Satz ab, „Keine Vorwürfe. Ich habe es versprochen. Aber lass mich nie wieder so lange alleine.“

Ich antwortete nicht.

„Du sagst nichts? Möchtest nichts versprechen?“

Ich hörte den unterdrückten Zorn. Seine Augen verdunkelten sich und glitzerten gefährlich. „Ich kann nicht, Napoleone. Die einzige Möglichkeit dieses Versprechen nicht zu brechen ist, es nicht zu geben. In Gedanken bin ich bei dir“, meine Stimme brach.

„Werde ich jemals mehr als einen Tag mit dir bekommen? Mehr als ein paar flüchtige Stunden?“

Ich schloss die Augen. Das wäre wundervoll. Ein Leben an der Seite des Mannes, der mich liebte. Aber das war nicht möglich. Wenn ich auch nicht wusste, wie das mit den Träumen funktionierte, wusste ich doch sicher, dass daraus niemals mehr als diese Stunden werden würden.

Da ich ihm keine befriedigende Antwort geben konnte, sagte ich nichts und verließ fluchtartig das Schiff.

Anna ließ nachdenklich die Aufzeichnungen sinken. Sie bestätigten ihre Befürchtungen. Napoleone ähnelte Stefan mehr, als Marie zugeben wollte. Und sie steigerte sich da in etwas hinein, das nicht gut enden würde. Das einzig Positive an dieser Sache war, dass sie diese Beziehung nur im Traum führte.

„Und?“ Maries Stimme riss Anna aus ihren Gedanken.

„Merkst du eigentlich, dass dein Napoleone Stefan ähnelt?“

„Das stimmt nicht!“

„Nicht? Er schreit, macht dir Vorwürfe, bringt dich zum Weinen und ein Kuss von ihm lässt dich alles vergessen? Ich sehe da schon Parallelen.“

„Nein. Napoleone stellt keine Bedingungen. Er verlangt nichts von mir. Er lässt mich gehen, das hätte Stefan nie zugelassen. Bei Napoleone darf ich einfach ich sein.“

„Er verlangt nichts von dir?“ Anna konnte nicht glauben, dass Marie das wirklich dachte. „Du denkst nicht, dass da einiges verkehrt läuft?“

„Doch. Er verändert sich, verliert seine Ideale. Er ist jetzt härter.“

Mit geschlossenen Augen massierte sich Anna die Schläfen. „Wir reden immer noch über Träume, oder?“

„Sicher. Auch wenn es sich immer noch nicht so anfühlt.“

„Dann würde ich sagen, dass er zu dem Mann wird, den die Geschichte uns beschreibt: kalt, skrupellos und selbstverliebt. Daran wirst du nichts ändern können.“

Energisch schlug sich Marie mit der Faust aufs Knie. „Ich werde es aber versuchen. Meine Liebe muss doch etwas ändern!“

„Das hat schon bei Stefan nicht funktioniert.“

„Das hier ist anders. Ich bin anders! Diesmal werde ich es schaffen.“

Anna blickte zu Marie, die mit Tränen in den Augen vor ihr saß. „Du würdest wirklich bei ihm bleiben, wenn du könntest, oder?“

Marie nickte. „Das macht mich fertig, Anna. Ich werde nie bleiben können, nie da sein, wenn er abends nach Hause kommt, nie mit ihm die kleinen Dinge des Alltags erleben.“ Ihre Stimme versagte und sie verbarg ihr Gesicht in den Händen.

„Ich weiß nicht, Marie. Wir reden über Napoléon I.. Vielleicht ist es besser, wenn du den Alltag mit ihm nie erlebst?“

„Soll das etwa gut sein?“

„Hast du mal überlegt, warum du diese Träume hast?“

„Woher soll ich das denn wissen?“ Ihre Worte klangen bitterer als beabsichtigt.

„Vielleicht soll dir das Ganze wieder Vertrauen in eine Beziehung geben?“

„Das ist aber ein merkwürdiger Weg, das zu erreichen. Ich soll lernen, eine Beziehung zu führen, indem ich keine führen darf?“

„Wenn du es so formulierst, hört es sich nicht überzeugend an“, sagte Anna seufzend. „Hast du inzwischen eine Ahnung, wer dieser Tristan Berière ist?“

„Keinen blassen Schimmer. Ich habe all meine Bücher durchgesehen und ein wenig im Netz recherchiert. Der Name kommt nirgends vor.“

„Aber er scheint ein Freund deines Napoleone zu sein?“

„Es sah so aus. Sie scheinen sich nahe zu stehen.“

„Ich bin gespannt, ob er noch eine wichtige Rolle spielt. Vorausgesetzt, deine Träume gehen weiter.“

12. November (August 1794)

Sie gingen weiter. Am nächsten Abend wartete Marie schon aufgeregt darauf, dass Anna nach Hause kam.

„Du wolltest mehr über Tristan Berière erfahren!“, begrüßte sie ihre Cousine. „Setz dich und lies das!“

„Marie, jetzt lass mich erst einmal ankommen.“ Anna hängte ihre Jacke auf und betrat das Wohnzimmer. „Was ist los?“

„Lies!“

Festungshaft

Die Luft roch nach Fisch und Meer. Kein Strand diesmal, sondern eine Stadt. In einiger Entfernung hörte ich Stimmen, die auf viele Menschen schließen ließen. Ein kurzer Blick an mir hinab bestätigte, dass es sich wieder um einen meiner Träume handelte. Ich trug Kleidung des ausgehenden 18. Jahrhunderts und befand mich in einer schmalen und nichtssagenden Gasse. Die hätte überall sein können. Kurz entschlossen setzte, ich mich in Bewegung und trat auf eine breite Uferstraße hinaus.

In einigen Metern Entfernung sah ich das Meer glitzern und dachte sofort an Nizza. Da müsste Napoleone stationiert sein. Suchend blickte ich mich um und blieb an einer großen Festungsanlage hängen. Das war nicht Nizza. Diese in verschiedene Richtungen spitz zulaufenden hohen Mauern kannte ich von Fotos: Fort Carré in Antibes. Aus der Luft betrachtet, bildeten die Mauern einen vierzackigen Stern. Wenn mir doch nur einfallen würde ...

„Bürgerin Seurant, mal wieder auf der Suche nach Eurem 'Bruder'?“ Hörte ich da ein Hauch Ironie? Lächelnd stand Tristan Berière vor mir.

„Ja, das scheint mein Los zu sein, wenn ich Euch begegne, nicht wahr?“ Zu meiner Überraschung freute ich mich, ihn zu sehen - das ersparte mir eine Menge Sucherei.

„Zu Euren Diensten.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Ich fürchte nur, es wird nicht ganz einfach sein, Euch zu ihm zu bringen.“

Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.

„Buonaparte steht unter Arrest.“

„Unter Arrest?“ Dann lag ich richtig mit Antibes und das Datum wusste ich auch. Napoleone war vom 10. - 20. August inhaftiert. Völlig zu Unrecht.

„Ja. Nach dem Sturz Robespierres wurde jeder, der mit ihm in Verbindung stand, festgesetzt.“

„Er kannte Robespierre doch gar nicht! Soweit ich weiß, hatte er zu seinem jüngeren Bruder Kontakt – und das nur flüchtig.“

„Ja, aber“, Berière brach ab und musterte mich eindringlich.

„Aber?“, fragte ich unschuldig.

Er schüttelte den Kopf. „Es sind schlimme Zeiten. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Aber das wisst Ihr ja. Möchtet Ihr ihn besuchen? Ich werde sehen, was ich machen kann.“

„Geht das?“, fragte ich überrascht.

„Ja. Wenn man die richtigen Leute kennt.“ Er grinste breit. „Ich könnte Euch eine Stunde verschaffen.“

„Danke.“ Es wurde wirklich Zeit, dass ich herausfand, was dieser Mann in meinen Träumen machte.

„Wartet hier“, sagte er und verschwand. Es dauerte wenige Sekunden, bis er wieder auftauchte.

An seinem Gesicht erkannte ich sofort, dass er Erfolg gehabt hatte. „Gute Nachrichten. Ich konnte zwei Stunden aushandeln. Dass heute Buonapartes Geburtstag ist, hat geholfen.“ Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Damit hatte ich ein konkretes Datum: der 15. August 1794.

„Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll, Bürger Berière.“ Dieser Mann wurde von Sekunde zu Sekunde interessanter.

„Oh, wartet mit Eurer Dankbarkeit, bis Ihr alles gehört habt. Ich musste die Wachen bestechen und Euch als ein“, sein Blick glitt verlegen zu Boden, „sagen wir mal Geburtstagsgeschenk an Buonaparte ausgegeben - von seinen Freunden.“ Sein Blick flackerte zu mir.

 

Ich brauchte einen Moment, bis mir die volle Tragweite seiner Worte bewusst wurde. „Oh“, hauchte ich, „soll das heißen, man denkt, ich sei eine ...“

Es entstand eine peinliche Pause.

„Das soll es heißen.“ Er räusperte sich. „Das war der einzige Weg, Euch Zugang zu verschaffen.“ Eine leichte Röte zog sich seinen Hals hinauf und er lächelte verlegen.

„Das ist kein Problem. Wichtig ist, dass ich ihn treffen kann.“

Wortlos gingen wir zur Festung. Auch hier waren die Straßen schmal. Das milde Klima und die Palmen überall, ließen mich direkt an Urlaub denken. Die Besiedlung ließ nach, je näher wir der Festung kamen und die Straße stieg langsam aber stetig an. Den Blick auf das Meer gewandt, blieb ich stehen.

„Das ist wunderschön!“

Ein Lächeln huschte über Tristan Berières Züge. „Ja. Man könnte glatt vergessen, in welch gefährlichen Zeiten wir uns befinden.“ Seine Züge verfinsterten sich. „Ihr seid Euch darüber im Klaren, wie man Euch jetzt gleich behandeln wird?“

War ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie Soldaten dieser Zeit Huren behandelten. Aber mit ein paar dummen Sprüchen würde ich fertig werden. „Nicht ganz. So schlimm wird es schon nicht werden.“

Seine Miene blieb ausdruckslos. „Haltet Euch an mich. Und verzeiht mir bitte jedes Wort, das ich gleich sagen werde – und jede Tat.“ Er betrachtete mich. „Öffnet Euer Haar.“

Ich zog die Nadeln, die es hielten, heraus.

„Schütteln.“

Ich tat, was er sagte. Sein kritischer Blick tastete meinen Körper ab. „Schiebt das Kleid über die Schultern hinunter und öffnet das Mieder oben etwas.“ Zufrieden nickend kam er auf mich zu. „Das wird gehen. Kommt.“ Er legte seinen Arm fest um meine Taille, nur um ihn im nächsten Moment zurückzuziehen – und ich war ihm unendlich dankbar dafür.

Leicht taumelnd fuhr meine Hand an die Stelle, auf der eben noch seine Finger gelegen hatten. Die Welt war für einen kurzen Moment aus den Fugen geraten, – nur um einen Augenblick später, an genau den richtigen Platz zu rücken. Nicht, dass sie vorher falsch gewesen wäre. Aber durch die Berührung wurde sie richtig. Ein Blick in seine Richtung zeigte ihn ebenso verwirrt, wie mich.

Fassungslos starrte er auf seinen Arm und schüttelte den Kopf. „Was zur Hölle ...“ Seine Augen suchten meine und er lächelte unsicher. „Lasst es mich nochmal versuchen.“

Behutsam legte er den Arm erneut um meine Taille. Diesmal war es nicht wie ein Paukenschlag, sondern ein leichtes Knistern.

„Ihr spürt das auch, oder?“

Ich nickte, da ich nicht wusste, ob mir meine Stimme gehorchen würde.

„Gut! Legt Euren Arm um meine Schulter“, befahl er in geschäftsmäßigem Tonfall. „Und lächeln.“

Dort, wo er mich berührte, kribbelte meine Haut. Ihn schien das wenig zu beeindrucken. Er hatte ein anzügliches Grinsen aufgesetzt und rief viel zu laut: „Ich bringe das Geschenk für den Bürger General Buonaparte!“

Der Soldat, der uns entgegenkam, ließ mich den vorherigen Gedanken zurücknehmen: Das war ein anzügliches Grinsen. Berière schien mein Unbehagen zu spüren, denn sein Griff wurde ein wenig fester. Das angenehme Gefühl seiner Berührung beruhigte meine Nerven ein wenig.

„Oh, da habt Ihr Euch aber ins Zeug gelegt. Die würde ich gerne durchvögeln.“ Feixend wandte sich der Wachsoldat mir zu. „Wenn du mit dem da drinnen fertig bist, kannst du bei mir weitermachen.“ Eine Hand schob sich in mein Dekolleté und begann grob, meine Brüste zu begrapschen.

Was sollte ich tun? Lachen? Eine flapsige Bemerkung? Auf sein Angebot eingehen?

Tristan Berière nahm mir die Entscheidung ab. Besitzergreifend entfernte er die Hand. „Glaub mir mein Freund, die kannst du dir nicht leisten. Und wenn sie hier fertig ist, gehört sie mir.“ Der Druck seines Armes wurde fester und er gab mir einen feuchten Kuss auf die Wange. Dem Mann schlug er freundschaftlich auf die Schulter. „Bring uns zur Zelle. Die ist zwar ein Geschenk, aber fürs Herumstehen wird sie nicht bezahlt.“ Er lachte anstößig und der Mann stimmte ein.

Das machte alles entschieden weniger Spaß, als ich gedacht hätte. Ich versuchte, während des ganzen Gesprächs zu lächeln und so zu tun, als sei das alles völlig normal.

Die Wache führte uns - mit gierigen Blicken auf mich - zu einer Arrestzelle. Er raschelte mit seinen Schlüsseln und öffnete umständlich die Zellentür. „Besuch für den Bürger General Buonaparte.“

Napoleone saß mit dem Rücken zu uns an einem kleinen Tisch und schrieb. Er drehte den Kopf und binnen weniger Sekunden sah ich die unterschiedlichsten Emotionen auf seinem Gesicht. Überraschung, für den Bruchteil einer Sekunde Erkennen, Freude und letztlich verschloss sich seine Miene. Er schien die Szenerie, die sich ihm bot, vollständig erfasst zu haben – und seine Augen funkelten gefährlich.

Berière trat vor und schob mich in Napoleones Richtung. „Alles Gute zum Geburtstag, Buonaparte. Wir dachten, du könntest ein wenig Abwechslung hier drinnen gebrauchen. Diese 'Dame'“, er zeigte spöttisch grinsend auf mich, „soll darin eine Meisterin sein.“

Ich stand Napoleone direkt gegenüber und erkannte, wie er bei Berières Worten blass wurde. Seine Hände verkrampften sich, sein Blick gefror zu Eis. Nicht mehr lange und seine Wut würde die Oberhand gewinnen. Ich musste etwas tun. Sofort, bevor das hier in einer Katastrophe endete.

Mit dem Mut der Verzweiflung drehte ich mich zum Eingang um und sagte mit einem – wie ich hoffte – kessen Blick: „Verzieht euch, Jungs. Ich wurde nur für den einen hier bezahlt. Wenn ihr zuschauen wollt, kostet es das doppelte – pro Zuschauer.“ Mit angehaltenem Atem hoffte ich, dass sie möglichst schnell verschwanden.

„Wir gehen schon. Viel Spaß!“, rief der Wachmann mit einem zotigen Lachen und die Tür fiel ins Schloss.

Ich atmete auf und drehte mich lächelnd zu Napoleone um.

Mit wutverzerrtem Gesicht zischte er: „Dafür bringe ich ihn um!“

Mein Lächeln erstarb und ich legte ihm beruhigend die Hände auf den Arm. „Nicht, Napoleone. Er wollte helfen.“

„Helfen? Und dich hier als ... als ...“ Er brachte das Wort nicht über die Lippen.

„Und wenn schon. Ich bin hier.“ Beruhigend streichelte ich ihm über die Wange. „Überleg' doch. Anders hätte ich keinen Zutritt bekommen.“

Seine Haltung entspannte sich ein wenig. „Marie, es bringt mich fast um den Verstand, wenn ich daran denke, wie der Wachmann dich behandelt hat – meine Frau behandelt hat. Du solltest als Ehefrau Zutritt bekommen und dich nicht als Dirne verkleiden müssen. Wie konnte Berière nur auf diese Idee kommen?“ Er wischte sich mit den Händen über die Augen und lächelte mich traurig an. „Ich habe dich nicht einmal begrüßt, Marie.“ Er öffnete die Arme und ich ließ mich hineinsinken.

Mein Kopf ruhte an seiner Schulter, ich spürte seinen Herzschlag und wünschte, dieser Moment würde nie enden – einfach in seinen Armen liegen und nie wieder gehen. „Ich habe dich vermisst“, murmelte er in mein Haar.

„Jetzt bin ich da.“ Ich hob den Kopf und unsere Lippen verschmolzen. Sein Kuss wurde schnell fordernder, seine Hände fuhren ungeduldig meinen Körper entlang – aber er hielt sich zurück. Meine Finger begannen, sein Hemd zu öffnen. Er schob sie sachte beiseite. Sein Kuss wurde im Gegenzug intensiver. Meine Hand wanderte zu seinem Hosenbund – und wieder schob er sie zur Seite. Diesmal löste er sich von mir.

„Nein. Nicht hier, nicht so“, stieß er keuchend hervor. Ich starrte ihn verwirrt an. Er nahm meine Hände in seine. Mit Befriedigung stelle ich fest, dass sie leicht zitterten. „Nicht, wenn alle da draußen denken, du ... wir ...“ Er ließ mich los und wandte sich von mir ab.

Hatte ich das richtig verstanden? Weil die Wachen dachten, wir hätten Sex, hatten wir jetzt keinen?

Napoleone drehte sich wieder zu mir und sagte mit mühsam beherrschter Stimme: „Du bleibst, wo du bist und ich setze mich hier auf den Stuhl.“ Er durchquerte den Raum und brachte möglichst viel Abstand zwischen uns. Mit leicht belegter Stimme sprach er weiter. „Wie hast du erfahren, dass ich hier festgehalten werde?“

Also reden, gut. „Berière hat es mir gesagt. Ich war auf der Suche nach dir, als ich ihn traf.“

„Aha. Und dann hatte er diese ... Idee.“